Meine Rede zu TOP 2 am Donnerstag, den 03.12.2015 zum Einzelplan 06 „Innovation, Wissenschaft und Forschung“ im Rahmen der 2. Lesung des NRW-Haushaltes 2016
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Die Piratenfraktion schickt nun Herrn Dr. Paul ans Pult.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen lieben Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer am Stream! Ich würde mir ja wünschen, dass eine solche hochschulpolitische Einzelplandiskussion im Netz so etwas wie ein Blockbuster wäre, ein Burner, ein Straßenfeger. Das wäre schön.
Versuchen wir doch einmal, uns vorzustellen, dass wir Haushaltsberatungen über einen Einzelplan führen, der für Innovation zuständig ist. Was würden wir von einem solchen Haushalt erwarten? – Wir würden doch zu Recht darüber reden, dass es wegweisende Forschungsprojekte gibt, die den Wissenschaftsstandort NRW deutlich nach vorn bringen.
Wir würden auch darüber reden, dass die digitale Revolution gerade an den Orten der Innovation – nämlich an den Hochschulen – erforscht und begleitet wird, dass nutzbare Technologie entwickelt und Grundlagenforschung ausgebaut werden. Und wir würden darüber reden, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, die es zulassen, ein Höchstmaß an Kreativität hervorzubringen.
Wir würden darüber reden, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen auskömmlich und nicht pro Kopf rückläufig ist, dass die Labore ordentlich ausgestattet sind, dass Hochschulen als Orte der Wissenschaft demokratisch organisiert sind und dass die einzelnen Gruppen an den Hochschulen den demokratischen, den wissenschaftlichen und den gesellschaftlichen Diskurs üben und beleben.
Wir würden darüber reden, dass der Haushaltsplan jeder Bürgerin und jedem Bürger Auskunft darüber gibt, was mit den Steuergeldern an den Hochschulen passiert. Und wir würden über die Qualität von Forschungskooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft diskutieren. Vor allem wüssten wir, was dort passiert.
Allein – das ist ein schöner Traum. Das vorliegende Zahlenwerk ist kräftig – zugegeben; das muss man sagen dürfen –, aber es ist alles andere als innovativ. Die Landesregierung lässt keine eigene Forschungs- und Innovationsstrategie für die nordrhein-westfälische Hochschul- und Forschungslandschaft erkennen.
Wir haben in der letzten Anhörung im Wissenschaftsausschuss wieder einmal erleben dürfen, dass Sie mit der digitalen Revolution nicht nur nicht Schritt halten können, sondern dass Sie sie regelrecht verschlafen. Ein eigenes Profil ist nicht zu erkennen. Zu nennen ist hier vor allem der Bereich des digitalen Lernens.
Eigentlich hätte es heute eine historische Einzelplan-06-Debatte werden können. Liebe Frau Seidl, liebe Ruth, leider haben Sie mir das kaputtgemacht, indem Sie das Wort „Studiengebühren“ in den Mund genommen haben. Normalerweise kommt das immer von Schwarz-Gelb. Sie haben das Wort erwähnt. Schade!
Auf der anderen Seite möchte ich die Union, Herr Dr. Berger, einmal loben, denn sie scheint so ein bisschen aus ihrer Ecke hervorzukommen. Sie begnügt sich nicht mehr damit, die intellektuelle Fußtruppe der turboneoliberalen Bildungsökonomisierung zu sein, sondern sie kommt tatsächlich schon mal mit Konzepten.
Wir haben uns über Ihren Antrag zum digitalen Lernen wirklich gefreut und sehen die Chance, zusammen mit Rot-Grün und Gelb etwas machen zu können. Allerdings möchte ich erwähnen: Es gab zu diesem Thema schon drei Anträge von uns.
Kommen wir zu den Dingen, die sich nicht in diesem Haushalt finden. Es gibt keine – noch keine; wir arbeiten ja daran – Mittel, um Open Access an den Hochschulen zu verankern. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden allein gelassen, und die Hochschulbibliotheken werden bei der Bereitstellung von Journals unter Druck gesetzt. In zwei Anhörungen hier im Landtag wurde von zahlreichen Expertinnen und Experten vorgetragen – Elsevier lässt grüßen –, dass die Preise durch die Verlage diktiert werden.
Für manche scheint das kein relevantes wissenschaftspolitisches Thema zu sein. Es ist aber sehr relevant. Wir sind auf dem Weg, wir sind auf dem Sturmlauf in die moderne Wissens- und Informationsgesellschaft, auch wenn Frau Kraft immer noch versucht, die nordrhein-westfälische Zukunft aus dem Kohlenstaub zu lesen. Aber Big Data lässt grüßen.
Es ist also unabdingbar, dass auch wissenschaftliche Publikationen in Onlinejournals und über Open Access publiziert werden müssen. Hier setzen die außeruniversitären Forschungseinrichtungen der Helmholtz- und der Fraunhofer Gesellschaft mal wieder die Standards.
Was passiert hier in der Landespolitik? – Man beschränkt sich auf Ankündigungen. Schauen wir uns mal den Bereich des digitalen Lernens an. Da haben wir mit der Fernuniversität Hagen den deutschlandweit größten Player im Kontext Blended Learning in Nordrhein-Westfalen. Wo ist das Signal aus Nordrhein-Westfalen, bei den Open Educational Resources Vorreiter zu sein? Das sind die Zukunftsthemen. Hier müssen Gelder investiert werden. Das ist im Haushalt zu finden unter Titelgruppe 00 000 – kommt nicht vor.
Wenn wir gerade bei Studienbedingungen sind: Die Piraten sind wohl die Einzigen, die noch Kritik an der Bolognareform formulieren. Viele meinen, dass sich durch die Bolognareform für Studierende und Lehrende an den Hochschulen vieles verbessert hat. Wir dürfen das nach wie vor anzweifeln und sind dabei nicht in schlechter Gesellschaft. Der Chef der Hochschulrektorenkonferenz Hippler sagt dazu, dass es seit der Bolognareform nicht leichter geworden sei, ins Ausland zu gehen.
Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident:
„Dieses Versprechen ist nicht wirklich erfüllt worden. Im Ausland müssen sie sich die Leistungen auch erst mal anerkennen lassen. Das ist oft nach wie vor schwierig.“
Zum anderen liege mit einem Bachelorabschluss keine berufliche Qualifikation vor, allenfalls eine Berufsbefähigung.
Unternehmen – das sagt auch McKinsey – sind jedoch auf der Suche nach Persönlichkeiten, nicht nur nach Absolventen.
So viel zu den Aussagen Hipplers.
Vor allem brauchen wir wieder ein Studieren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten – wichtig für Inter- und Transdisziplinarität abseits der starren Vorschriften der Regelstudienvorgaben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Begriff der Regelstudienzeit als Steuerinstrument und Regelungskriterium abgeschafft wird.
Von einem Mittel für die Sicherstellung der Freiheit von Forschung und Lehre wurde die Festlegung der Regelstudienzeit zu einem Knebel für alle an universitärer Forschung und Lehre Beteiligten. Speziell für inter- und transdisziplinäre Lehre und Forschung erweist sich eine Regelstudienzeit als kontraproduktiv und innovationshemmend. Man hat keine Zeit mehr, über den Tellerrand zu gucken.
Um angesichts des steigenden finanziellen und sozialen Drucks auf das gesamte Hochschulsystem eine merkbare Erleichterung zu schaffen und einen zeitgemäßen innovationsfreundlichen Begriff für Studium und Universität entwickeln zu können, muss die Regelstudienzeit fallen.
Wir gehen davon aus, dass nur so die Anzahl der erfolgreichen Studienabschlüsse an Hochschulen bundesweit gesteigert und die weiter stark steigende Zahl der Studienanfängerinnen und ?anfänger – das ist ja erfreulich – im gesamten Bundesgebiet bewältigt werden kann. Reibungslos war das mit dem doppelten Abiturjahrgang nämlich nicht, liebe Frau Seidl.
Weiter wollen wir offensichtlich als Einzige, dass alle Studierenden, die einen Masterplatz anstreben, diesen auch bekommen können. Ohne Masterplatzgarantie kann auch das beste Hochschulmanagement am Ende nur den Mangel verwalten. Da zu wenige Masterstudienplätze bereitstehen, werden individuelle Aufstiegschancen zunichtegemacht und somit gesamtgesellschaftliche Potenziale verschenkt.
Apropos Potenziale: Die Landesregierung ist auch dafür verantwortlich, dass die Kreativität an den Hochschulen eingeschränkt bleiben wird. Aktuell wird die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes diskutiert. Wir sagen nach wie vor: Daueraufgaben sind mit Dauerstellen zu besetzen.
(Beifall von den PIRATEN)
Befristete Beschäftigungsverhältnisse sollten ausschließlich für eine Weiterqualifikation zulässig sein. Dabei darf es keine grundsätzliche zeitliche Obergrenze geben.
Das WissZeitVG regelt die Befristung von wissenschaftlichem und künstlerischem Personal in der Qualifizierungsphase sowie in drittmittelfinanzierten Projekten. Die gültige Form des WissZeitVGs hat zu einer Prekarisierung der wissenschaftlich und künstlerisch arbeitenden Menschen an Hochschulen und Universitäten geführt.
Durch die dort eröffnete Möglichkeit, für maximal zwölf Jahre befristete Verträge zu vergeben, wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit kurzen Vertragslaufzeiten unter Druck gesetzt. Viele befinden sich daher nach zwölf Jahren in einer beruflichen Sackgasse, erleben vielleicht einen Karriereknick, da einerseits eine befristete Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich ist und andererseits Dauerstellen nicht existieren. Dieser Gap muss geschlossen werden.
Was hat das nun mit dem Haushalt zu tun? Eine ganze Menge; denn wir schieben jährlich einfach Geld an die Hochschulen, die damit die vermeintliche Freiheit auf dem Rücken der Beschäftigten ausleben. Sie belassen die Beschäftigten im Existenzkampf und schaden damit nachhaltig der Wissenschaft, der Innovation in Nordrhein-Westfalen.
Auch bei der Vergabe der Qualitätsverbesserungsmittel, also der Kompensationsmittel, werden die Mittel, pro Kopf gesehen, weniger. Eine nachhaltige Finanzierung und Stärkung der Lehre sieht nach unserer Auffassung anders aus.
Fazit: Uns fehlt in einem Haushalt, der sich mit Innovation auseinandersetzen soll, schlicht die Innovation.
Ja, die Steigerung von DFG-Mitteln ist lobenswert. Aber das bedeutet nicht, dass man sich zurücklehnen kann. Hier erforschte Patente müssen auch in NRW bleiben und umgesetzt werden. Dafür ist es nötig, eine Infrastruktur zu schaffen, die gründerfreundlich, innovationsfördernd und zukunftsgerichtet ist.
Wir werden diesen Einzelplan ablehnen, weil darin keine Vision vom Wissenschaftsstandort NRW zu erkennen ist. Er ist für uns auch niemals zustimmungsfähig, da er nach wie vor eine Versammlung von Intransparenzen darstellt. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Schulze das Wort.