Meine Rede zu TOP 3 am Mittwoch, den 2. März 2016 zum Antrag von CDU und FDP – Wirtschaftspolitische Kehrtwende endlich einleiten – Zukunftschancen für den Produktionsstandort Nordrhein-Westfalen sichern, Wohlstand und Wachstum stärken, Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen – Drucksache 16/11222
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Fraktion der Piraten spricht jetzt Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen lieben Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer!
Das wird für mich jetzt eine Übung im Slalomfahren zwischen schwarz-gelben und rot-grünen Hindernisstangen, die alle irgendwie nach hinten zeigen.
Was über den Armutsbericht ja schon bekannt ist: Jeder Fünfte zwischen Duisburg und Dort-mund hatte weniger als 60 % des mittleren Einkommens zur Verfügung, und das Ruhrgebiet wird leider als Problemregion Nummer eins bezeichnet. Bei aller Kritik, die man an der Berechnungsmethode haben kann, zeigt das doch, wie stark die Chancenverteilung im Land in den letzten 20 Jahren auseinandergedriftet ist. Das gesellschaftliche Klima ist sehr viel rauer geworden, und die Gewissheit, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen wird, ist vielen Menschen abhandengekommen.
Deshalb sagen auch wir Piraten: Ja, es ist Zeit für eine wirtschaftspolitische Kurskorrektur, aber aus deutlich anderen Gründen, als es der vorliegende oppositionspolitische „Eintopf-Antrag“ suggeriert. Dieses Düsseldorfer Allerlei ist echt keine Delikatesse.
(Beifall von den PIRATEN)
Weder das Tariftreue- und Vergabegesetz noch der Umwelt- und Klimaschutz hat zu den Missständen in unserem Land geführt, sondern eine viel zu zaghafte Regierungspolitik, bei der sich Rot-Grün immer wieder fragt, ob die eigenen Vorhaben auch genügend neoliberal durchdekliniert worden sind. Dabei weiß Rot-Grün doch längst, dass Austeritätspolitik auf der ganzen Breite gescheitert ist.
Demgegenüber steht jetzt eine CDU/FDP-Antragsprosa, die mit einem Auge auf das Silicon Valley schaut und mit dem anderen einer „Unsere Gesetze von früher waren aber besser“-Rhetorik folgt. Da ist Schielen vorprogrammiert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, insgesamt ist die deutsche Politik derzeit zu sehr auf die Verteidigung etablierter deutscher Stärken ausgerichtet. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalisierung werden nicht ausreichend berücksichtigt. – Das ist nicht von mir, dieser Satz stammt aus einem Gutachten der Expertenkommission für Forschung und Innovation, die der deutschen Politik jüngst digitale Mittelmäßigkeit attestiert hat. Das gilt leider auch für Nordrhein-Westfalen.
Nach fünf Jahren Hannelore Kraft im Amt frage ich euch: Haben wir uns denn einen Spitzenplatz in der elektronischen Verwaltung erarbeitet, sodass Bürger und Unternehmen effizient und bürokratiearm mit den Ämtern kommunizieren können? – Die Antwort ist Nein. Wir haben noch nicht einmal den Stand erreicht, auf dem Estland vor zehn Jahren war.
(Beifall von den PIRATEN)
Deswegen fordern auch wir eine Kurskorrektur, und zwar eine technologische, eine digitale.
(Beifall von den PIRATEN)
Sind wir national oder international führend bei der Ansiedlung von innovativen Start-ups? Was sind überhaupt diese Start-ups? Politiker fast jedweder Couleur feiern die ja als Leuchtfeuer der neuen Zeit für Fortschritt und Wachstum. Demgegenüber aber wendet sich die Logik der Investoren und des Kapitals ausschließlich immer dem augenblicklich Vielversprechendsten, dem kurzfristigen Interesse der Shareholder zu, gepaart mit einem fast religiösen Glauben an einen Solutionismus, der versucht, vielfältigste gesellschaftliche Probleme auf algorithmische Lösungen zu reduzieren: Der Markt – hier der Markt der Algorithmen – wird schon das Beste für uns hervorbringen. Was wollen wir denn eigentlich? Etwa noch einen Global Player à la Apple, Amazon, Microsoft, Google, Facebook, der mit uns und unseren Daten im Internet Monopoly spielt? Nein, danke – mir ist schon schlecht.
Wir brauchen eine Strategie, die offensiv die Stärken unserer Wirtschaft fit macht für das Informationszeitalter. Und die Stärke in NRW ist der Mittelstand. Der braucht als Allererstes eine Breitbandleitung für ein stabiles Netzwerk aus den Menschen in unserem Land und den mit-telständischen Unternehmen, das auch reißfest ist: Glasfaser! – Mein Hausarzt hat mir geraten, das so leise herauszuschreien, weil ich sonst eine Darmverschlingung bekomme.
Aber dazu muss die Landesregierung erst einmal heraus aus ihrer wirtschaftspolitischen Defensive. Bestes Beispiel für die defensive Sichtweise von SPD und Grünen ist der Antrag zum Einzelhandel. Da wird die böse Digitalisierung statt als Chance als Bedrohung wahrgenommen, und nur mithilfe der Landesregierung können angeblich Abwehrmechanismen entwickelt werden. Das ist typisch.
Wir wissen: Die Veränderungen durch die Digitalisierung sind so umfassend, dass wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Rezepte aus der Vergangenheit nicht mehr wirken werden. In Zeiten von Automatisierung, Algorithmen und Robotik wird die menschliche Arbeitskraft teilweise überflüssig. Es wird sich eine neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine einstellen müssen. Die Finanzierung der Sozialsysteme darf dann nicht mehr wie bisher nur an den Faktor menschliche Arbeit gekoppelt sein.
Selbst Timotheus Höttges von der Telekom denkt laut über ein bedingungsloses Grundeinkommen nach. Aber aufgepasst: Was will er? Womöglich doch nur seine Lohnkosten senken?
Das Gegenteil einer defensiven Politik, die alte Strukturen gegen den Wandel verteidigt, wären massive Investitionen zum Aufbau eines Netzwerks aus mittelständischen Unternehmen, Industrie sowie Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land. Und dafür braucht es – ich sage es noch einmal – Glasfaser!
(Beifall von den PIRATEN)
Der Antrag enthält einige spannende Punkte. Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen. Schauen wir einfach mal! – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Duin das Wort.