Offener Brief an einen potenziellen AfD-Wähler

Sehr geehrter Herr Vorname Name,

am 24.4. erhielt ich die unten unter dem Strich stehende Email von Ihnen an meine Landtags-Email-Adresse, die Bezug nimmt auf einen Artikel in der Neuss-Grevenbroicher Zeitung mit dem Titel: „Piraten kämpfen um Zukunft im Landtag“. Mit cc an meinen Neusser Kollegen Lukas Lamla und an diverse Adressen der Rheinischen Post und der NGZ.

Entschuldigen Sie bitte die späte Rückmeldung, aber ich befand mich vom 24. bis zum 28. auf einer Ausschussreise im Kosovo, so dass ich erst jetzt dazu komme, Ihnen zu antworten. Aus Datenschutzgründen habe ich Ihren Namen im öffentlichen Blogpost durch einen Platzhalter ersetzt. Wenn Sie möchten, kann ich ihn jedoch nachträglich wieder einsetzen.

In Ihrer Mail stellen Sie fest, dass man von den Piraten außer Austrittsnachrichten in dieser Legislaturperiode aus dem Landtag nichts gehört habe und stellen im nächsten Absatz für die kommende Landtagswahl die AfD – Angst für Deutschland – als Alternative hin. Dem muss ich – nicht nur als Pirat – deutlich widersprechen.

Sie verstricken sich in Widersprüche. Die AfD kritisiert ja die Presse des öfteren als „Lügenpresse“. Wenn Sie nun sagen, dass man von den Piraten nichts gehört habe, wäre dafür nach ihrer Auffassung folgerichtig nicht die sogenannte „Lügenpresse“ verantwortlich?

Ich mag diesen Ausdruck überhaupt nicht, er trifft auch nicht zu, denn unsere Presse – abgesehen von einigen schwarzen Schafen, die es in jeder Branche gibt – lügt nicht.

„Lückenpresse“ ist das bessere Wort. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. In der letzten Plenarwoche gab es eine von CDU und FDP beantragte aktuelle Stunde zum Thema des schlechten Wirtschaftswachstums in NRW. Im Verlauf meiner Rede dazu verwies ich auf das irrsinige Potenzial der Menschen in unserem Land und fragte, warum nicht das Elektroauto, der Tesla, in NRW gebaut würde. Nach mir redete Reiner Priggen von den Grünen und stellte – fairerweise unter direktem Verweis auf meinen Vorschlag – dieselbe Frage: Warum wird der Tesla eigentlich nicht in NRW gebaut? Er wurde in der Presse damit mehrfach zitiert, ich – als Urheber – nicht ein einziges Mal. Berichterstattung durch Weglassen – die Lücke eben.

Deshalb haben Sie nichts von uns gehört, denn das ist nur ein kleines Beispiel. Ich könnte Dutzende nennen.

Noch ein anderes, damit ich nicht in den Verdacht komme, nur über Piraten zu schreiben. Als im letzten Jahr herauskam, dass Armin Laschet von der CDU im Rahmen eines Lehrauftrags an der RWTH Aachen eine Klausur verbummelt hatte, war im Landtag die Hütte im Hochschulausschuss voll. Wir mussten in den Fraktionssaal der CDU umziehen, damit alle Pressevertreter zum ersten TOP der Ausschusssitzung Platz hatten. Als zweiter Tagesordnungspunkt wurde der „Rahmenkodex gute Arbeit“ verhandelt, der die Beschäftigungsverhältnisse an unseren Hochschulen in NRW und damit viele Menschen betrifft. Da war jedoch kein einziger! Pressevertreter mehr im Raum.

Es geht also nur noch um potenzielle Skandale und Skandälchen, und da wundert man sich über die sogenannte Politikverdrossenheit.

Wir sehen, Medienkritik ist sehr wichtig, aber sachlich und konstruktiv, bitteschön. Mit konkreten Fällen. Und nicht AfD-Stil.

Für mich ganz persönlich habe ich daraus  die Konsequenz gezogen, dass ich nicht mehr jede Medienanfrage beantworte, nicht mehr über jedes Stöckchen springe, das man mir hin hält. Sondern nur dann, wenn ich es für sinnvoll halte und es um ein wirkliches Thema geht. Wenn der Pressevertreter dann nicht will, ok, mein Problem.

Besonders krass wird’s für mich immer dann, wenn ein Pressemensch mich im Interview fragt, warum man von den Piraten gerade nichts hört. Da könnte ich aus der Hose springen.

Aber, wir haben ja das Internet und Sie auch, sie haben ja gemailt. Sie könnten, wenn Sie es wirklich wollen, sich über das, was die Piraten im Landtag machen, auch hier informieren bei der Fraktion http://www.piratenfraktion-nrw.de, der Partei http://www.piratenpartei-nrw.de und was mich persönlich angeht hier bei http://www.vordenker.de/blog

Und was die AfD betrifft, sie ist ja nicht als Jungfernzeugung vom Himmel gefallen. Sie ist das stinkende unappetitliche Verwesungsprodukt des etablierten Politikversagens, des massiven Vertrauensverlusts von CDUSPDFDPGrünenLinken.

Und sie betreibt das Spiel mit der Angst, sie bedient Angst mit populistischen Parolen, die nicht nur rechts sind, sondern auch jeder rationalen Grundlage entbehren. Die AfD ist ein Fakt, ohne Zweifel, und Fakt ist auch, dass die Partei politische Themen komplett faktenfrei polemisiert.

Wenn man mal aus dem Programm der AfD die braunen, nationalistischen und anti-wasweißich-Punkte abzieht – was mir im Grunde ungeheuer schwer fällt -, dann bleibt ein retroneoliberales Programm übrig, das schon 1960 extrem unmodern und unsozial gewesen wäre. Also keine Alternative zu den Piraten. Lassen Sie das.

Aber eins macht die AfD mit brutaler Konsequenz, sie ist ja seit der letzten Kommunalwahl in NRW in so einigen Stadträten und Kreistagen vertreten, nämlich nichts, nix, niente, nada. Ein bisschen Stören, ein bisschen Randale vielleicht. Es wird ja eh nicht berichtet, also muss man auch nichts Sinnvolles machen. Die könnten das auch gar nicht, selbst, wenn sie es wollten.

Denn wenn mal ein Antrag oder eine Rede in einem Stadtrat kommt, dann so, dass sich jede ernstzunehmende Rechtschreibkorrektur einer Textverarbeitung übergeben muss. Selbst der Papierkorb verweigert die Annahme. Woher ich das weiß? Ich kenne so einige Kollegen in den Stadträten und Kreistagen, und das sind nicht nur Piraten.

Aber es ist schön, dass auch die AfD versucht, mit arabischen Zahlen zu rechnen. Ob sie weiß, woher die Zahlen kommen, ob sie’s kann, ob sie den Wert anderer Kulturen erkennt, ich denke nicht.

Punkt.

Hochachtungsvoll,
Ihr Joachim Paul
– nur echt mit Dr. und Piratenfahne


Sehr geehrte Damen und Herren,
die aktuellen Umfragewerte für die Piratenpartei im Landtag sind erwartungsgemäß mehr als schlecht, weil die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes von der Partei, die erstmals im Landtag vertreten ist, in der laufenden Legislaturperiode nichts gehört und gesehen hat, ausgenommen, dass zwei Mitglieder der Fraktion ins andere polititsche Lager gewechselt sind.

So ist der Untergang sicher für die Partei schmerzlich, für die Wählerinnen und Wähler in unserem Land aber sicher zu verkraften, wird es doch bei der Landtagswahl im Mai 2017 genügend Alternativen geben.

Siehe AfD, die gerade Bündnis 90/Die Grünen überholt und wohl drittstärkste Kraft werden wird.

Aber auch in Dormagen ist das mit der Präsenz nicht viel anders. Von Herrn Kazior, Mitglied des Rates der Stadt, hat man auch nicht viel konstruktives vernommen und wenn dann für die Kommunalparlamente demnächst die 2,5 %-Hürde kommt, wird auch er nicht mehr im Rat vertreten sein.

Freundliche Grüße

Herr Vorname Name

2 Gedanken zu „Offener Brief an einen potenziellen AfD-Wähler

  • 5. Mai 2016 um 16:12 Uhr
    Permalink

    Lieber der.axt,

    welchen Anlass habe ich Dir gegeben, so schwarz-weiß, so binär zu argumentieren?

    Nein, ich habe den Briefschreiber nicht abgebügelt, ich war höflich und niemals persönlich beleidigend, not my style.

    Und ja, Du hättest Dich auch an den Beispielen abarbeiten können, die sind nämlich gut. Und extra so ausgesucht, es geht nämlich nicht nur um Piraten, siehe das Laschet-Beispiel. Du wirfst mir eine beleidigte Haltung „der Presse“ gegenüber vor?
    Hmm. Wenn Du gerade in der letzten Zeit die Presse aufmerksam verfolgt hast, wirst Du feststellen, dass ich sehr wohl Interviews gegeben habe, und zwar zu einem ganz bestimmten Thema. Sie ist für mich keinesfalls das „personifizierte Böse“, wie Du es ausdrückst.
    Die Presse selektiert desöfteren, das ist ihr Recht im Rahmen der Pressefreiheit. Und ich selektiere eben auch. Nichts weiter. Das ist mein Recht, auch als Abgeordneter.
    Und was Medienpädagogik ist, musst Du mir nicht erklären, die beinhaltet nämlich auch Reflexion und Medienkritik. Die sollte in einer Demokratie ebenso selbstverständlich sein, wie die Pressefreiheit.
    Lesenswert ist z.B. das Interview mit Thomas Meyer sowie auch sein Buch, Die Unbelangbaren: http://www.heise.de/tp/artikel/45/45077/1.html
    Wolfgang Herles – ZDF – hat auch ein lesenswertes Buch geschrieben, „Die Gefallsüchtigen: Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik“.

    Und ich sitze auch nicht schmollend in der Ecke sondern mache verdammt meinen Job, als Mitglied von 4 Ausschüssen und Sprecher der Fraktion in dreien davon!, ich lasse – wenn nicht eine Reise dazwischen kommt, wie letztes Jahr – keinen Parteitag aus und bastle mit anderen an einem netzpolitischen Manifest, das weit über #reclaimyournetzpartei hinaus geht.
    Alles das ist wahrnehmbar, siehe die Links. Hier ist noch einer: https://www.youtube.com/channel/UC1gwf1Yy5E-wbMBx1M1JZ9A

    Mit besten Grüßen, Joachim

  • 4. Mai 2016 um 15:30 Uhr
    Permalink

    Lieber Joachim,

    ich möchte mich gar nicht erst an den dargestellten Beispielen abarbeiten. Einige Einschätzungen kann man sicher auch anders sehen.

    Ob man den Email-Schreiber allerdings in dieser Form abbügeln muss, halte ich für fragwürdig.

    Was mich schon eher stört, ist die immer noch beleidigte Haltung der Presse gegenüber, die in einem weinerlichen Lamento gipfelt:

    Muss ich Dir als Medienpädagoge wirklich erklären, nach welchen Gesetzmäßigkeiten die Medien funktionieren?

    Wenn ich dann aber lese

    „Für mich ganz persönlich habe ich daraus die Konsequenz gezogen,
    dass ich nicht mehr jede Medienanfrage beantworte, nicht mehr über
    jedes Stöckchen springe, das man mir hin hält. Sondern nur dann,
    wenn ich es für sinnvoll halte und es um ein wirkliches Thema geht.
    Wenn der Pressevertreter dann nicht will, ok, mein Problem.“

    dann könnte ich „aus der Hose springen“.

    Nein, das ist nämlich nicht Dein Problem. Es ist das Problem, Deiner Partei, Deiner Wähler und Unterstützer. Es ist das Problem der Menschen, die für Dich Plakate geklebt und möglicherweise für den Wahlkampf gespendet haben. Es ist das Problem aller Mitglieder in diesem Landesverband,
    die seit Jahren „ihre“ Abgeordneten nicht mehr zu Gesicht bekommen haben.

    Alle diese Piraten können ruhigen Gewissens verlangen, dass Du Deinen Job machst und Dich nicht schmollend in die Ecke setzt und glaubst, mit Verweigerung irgendetwas erreichen zu können.

    Und es gehört nun mal zu Deinem Job, mit Medienvertretern zu reden und auch über viele Stöckchen zu springen. Es gehört auch zu Deinem Job für Piratenbelange und Piratenpolitik die Öffentlichkeit zu suchen.

    Schlimmer noch ist jedoch die anscheinend weit verbreitete Grundhaltung, sich selbst als die Guten und vor allem die Pressevertreter als das personifizierte Böse identifiziert zu haben. Diese Anmaßung kann ich beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen. Hier haben sich bei vielen unserer Vertreter im Landtag Überzeugungen und Verhaltensweisen eingeschlichen, die in höchstem Maße bedenklich sind.

    Ich bin sicher, dass Du bei nochmaliger Würdigung der Umstände meiner Einschätzung folgen kannst. Genauso sicher bin ich aber auch, dass einige bei ihrer Berufswahl die falsche Entscheidung getroffen haben. Aber es ist ja nie zu spät, das zu revidieren…

    der_axt

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