Meine Rede zu TOP 10 am 14. September 2016 im Landtag von NRW – Beste Voraussetzungen für Industrie 4.0 in NRW – Spitzencluster „it’s OWL“ langfristig weiterentwickeln – Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/12852 (Neudruck)
Aus dem Plenarprotokoll:
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Brockes. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer daheim! Im Jahr 2011 wurde der Forschungsverbund „Intelligente technische Systeme Ostwestfalen-Lippe“, kurz „it’s OWL“, gegründet und im Jahr darauf mit 40 Millionen € des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ausgestattet. Das war der Startschuss für eine Forschungskooperation zwischen mehr als 180 Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Organisationen aus der Region Ostwestfalen-Lippe.
Dieser Forschungsverband hat sich die Aufgabe gesetzt, die vernetzte Produktion zu erforschen und den Wissenstransfer zu kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken. Denn kleine und mittlere Unternehmen im Netzwerk haben nach unserer Auffassung eine größere Zukunft als altbekannte Monolithen, die Großkonzerne.
Wir Piraten werden diesem Antrag zustimmen, weil er Ausdruck einer Hoffnung auf echte Innovation ist. Er ist eine Aufforderung an die Landesregierung, den Forschungsverbund weiterzuführen, auch wenn die Bundesförderung ausläuft. Hier gilt es neue finanzielle Wege zu suchen, zum Beispiel Landesmittel.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass auch die Neu- oder Umgestaltung der Arbeitswelt in den Fokus der Forschung von „it’s owl“ rückt. Vielleicht steht OWL – owl – ja auch für die sprichwörtliche Eule und wir dürfen auf ein bisschen Weisheit hoffen.
(Beifall von den PIRATEN)
Gleichzeitig sind wir als Ausdruck einer Differenz nicht mit auf den Antrag gegangen. Denn der Begriff „Industrie 4.0“, aufgepumpt mit Erzählungen, Mythen und Halbwahrheiten, ist eben kein Ausdruck von Weisheit, sondern eine nur in Deutschland vorzufindende Marking-Spezialsprechblase, die jegliche kritische Reflexion bislang vermissen lässt. Der womöglich mit KI-Unterstützung laufende technische Produktionsprozess eines Produktes von den Rohstoffen bis zum Kunden wird klassische Unternehmensgrenzen zwangsläufig aufweichen.
Was bedeutet das für die Identitäten und Loyalitäten der darin arbeitenden Menschen? Ich benutze mal ein einfaches Bild: Gehört meine Loyalität dem Endprodukt Toaster oder meiner Firma, die die Heizwendeln herstellt? Was macht es mit mir als Mensch, wenn ich mit pseudoautonomen, selbsttätig agierenden Algorithmen und Maschinen zusammenarbeite? Denn selbsttätiges und auch anpassungsfähiges maschinelles Verhalten unterscheidet sich ganz grundsätzlich von autonomem, zu begrifflicher Reflexion fähigem menschlichen Handeln in sozialer Praxis.
Gestützt auf längst widerlegte Hypothesen des Funktionalismus wird, wie leider allgemein üblich, die maschinelle Welt der Signale und Daten bislang unzulässig mit der sozialen Welt von Bedeutungen, Intentionalität und Reflektion gleichgesetzt. Indem diese unterschiedlichen Vorgänge einander gleichgesetzt werden, entsteht einerseits der Eindruck, Maschinen könnten Intelligenz entwickeln, während andersherum menschliches Verhalten, menschliches Handeln auf determiniertes maschinelles Verhalten reduziert wird – gewissermaßen als ver-menschlichende Selbsttäuschung der KI-Forschung.
So können wir dabei zusehen, wie sich vor unseren Augen eine neue Art von Hexenwahn verbreitet, diesmal in Gestalt vermeintlich intelligenter Maschinen. „Oh, die Superintelligenz wird uns alle umbringen.“ Auch hinsichtlich des Ausmaßes, den sie an Angst und Schrecken verbreiten, stehen sie den Hexen in nichts nach. Dabei werden die eigentlichen Probleme, wie etwa instrumentelles Handeln mit in ihrem Verhalten undurchschaubaren Maschinen gelingen soll, noch nicht einmal angesprochen.
Das sind längst keine akademischen Fragen mehr. Vielmehr zeigen sie auf, wie stark die digitale Transformation unser Denken herausfordert. Fest steht schon jetzt: Den One-size-fits-all-, den Facebook-Ansatz, wird es in der Welt der Zukunft und dem Business-to-business-Bereich nicht mehr geben. Denn eins muss bei all den Herausforderungen klar sein: Den Menschen gilt es in den Mittelpunkt unseres wirtschaftlichen Denkens zu stellen. Denn die Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt das Selbstverständnis der in die Arbeitsabläufe einge-bundenen Personen unterliegen einem großen Umbruch. Dabei habe ich die Finanzierung der Sozialsysteme, die sich auch verändern muss, noch nicht mal angesprochen.
Wir PIRATEN kämpfen für eine souveräne Haltung der Technologie gegenüber – und zwar jenseits des blinden Gegensatzes von Hype und Horror. Wer mehr dazu wissen will: Meine Partei hat auf dem Bundesparteitag in Wolfenbüttel am 28. August mit großer Mehrheit ein sehr weitgehendes netzpolitisches Manifest für das Informationszeitalter beschlossen.
In diesem Sinne: Wir stimmen zu. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.