Meine Rede am 27. Januar 2017 zur aktuellen Stunde, Schulen ohne Anschluss – Wie will die Landesregierung die dramatische Unterversorgung der Schulen in Nordrhein-Westfalen bei Breitbandanschlüssen beenden?
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 16/14069
Aus dem Plenarprotokoll:
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Guten Morgen! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Leitbilder allein, Frau Voigt-Küppers, Herr Bolte, leiten noch keine Bits und Bytes, da muss man die Kabelzange schon einmal in die Hand nehmen.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Aber ohne sie geht es auch nicht!)
Breitband für Schulen ist dringend notwendig, und wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler in der Schule die Arbeit mit digitalen Technologien einüben und auch sinnvoll und konstruktiv im Unterricht einsetzen. Dazu gehört natürlich wesentlich das Internet. Eine reine Offline-Nutzung von IT an den Schulen ist undenkbar vor dem Hintergrund, dass fast alle Jugendlichen ein Smartphone mit Internetzugang bereits in der Hosentasche haben.
Bereits im November 2013 haben wir Piraten den Antrag „Bildungsinnovationen 2020 – Chancen der Digitalisierung für die Bildung nutzen“ gestellt. Bereits dort haben wir eine Bestandsaufnahme zur IT-Infrastruktur an den Schulen gefordert. Wir haben uns schon zu diesem Zeitpunkt für die Anbindung der Schulen ans Breitband und für Internetzugänge in allen Unterrichtsräumen eingesetzt. Diese Forderungen haben wir in weiteren Anträgen in der Folge immer wieder erneut zur Debatte gestellt.
Die heutige Debatte findet aufgrund eines Antrags der CDU-Fraktion statt. Herzlichen Dank dafür, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Gern geschehen!)
Auch Sie wagen sich endlich ins Neuland und haben, soweit ich weiß, damit Ihre erste Initiative zu Fragen von Schule und Digitalisierung in die Beratung dieses Hauses eingebracht.
82 % der Schulen haben bislang keinen Breitbandanschluss. Das ist bedauerlich, aber nicht überraschend. Die Landesregierung hat beim Breitbandausbau zu viel Zeit liegen lassen.
Meine Fraktion hat dies hier immer wieder zum Thema gemacht. Bereits im Jahr 2013 haben wir die Landesregierung aufgefordert, den Breitbandausbau zu beschleunigen. Doch anstatt zu handeln, wurde drei Jahre gewartet. Gewartet auf einen angeblichen Heilsbringer, auf ein neues Bundesförderprogramm. Die vollmundig angekündigten 5 Milliarden € sind ja auch noch nicht im Haushalt eingepreist. Jetzt kommt hierfür viel weniger Geld aus Berlin, und es ist heute schon absehbar, dass Ihre ohnehin unzureichenden Ziele beim Breitbandausbau nicht erreicht werden können.
Die angestrebten 50 MBit/s wird es in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 nicht flächendeckend geben. Aber seit August gibt es nun eine Gigabit-Strategie für Nordrhein-Westfalen. Minister Duin hat angekündigt, bis zum Jahr 2026 werde es im Land flächendeckend Lichtwellenleiter geben. Leider kennen wir dafür noch kein Finanzierungskonzept. Deshalb bleiben uns Zweifel, ob der politische Wille und die Entschlossenheit da sind, um tatsächlich im notwendigen, aber auch beträchtlichen Maß zu investieren.
Apropos Finanzierungskonzept, ich sage das hier mal so: Ceterum censeo Schuldenbremse …
Immerhin haben das Land und die kommunalen Spitzenverbände im Dezember die Breitbandversorgung der Schulen in ihrer gemeinsamen Erklärung zu „Gute Schule 2020“ vom Dezember aufgenommen. Hier lesen wir, dass perspektivisch die Anbindung der Schulen an Glasfasernetze in den Förderprogrammen zum Breitbandausbau berücksichtigt werden soll.
Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ist Ihre Forderung viel zu bescheiden und bleibt sogar hinter den vorliegenden Absichtserklärungen zurück. Sie wollen mindestens eine 50-MBit/s-Leitung in die Schulen verlegen. Das heißt, 50 MBit/s wären für Sie für den Anfang schon okay. Jetzt frage ich Sie: 50 MBit/s im Download, was meistens nur 10 MBit/s im Upload bedeutet, reicht vielleicht für eine vierköpfige Familie. Wie sollen damit Hunderte von Schülern ins Internet gehen? Das klappt vorne und hinten nicht.
Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel. Wenn in der Politik, im Sozialkundeunterricht, in Geografie, Deutsch ein aktuelles Thema auftaucht und sich der Lehrer spontan entscheidet, über die learn:line ein passendes Medium vom Landesbildungsserver und von den kommunalen Bildungsservern EDMOND in HD-Qualität in die Klasse zu streamen – wenn das drei Klassen an einem Gymnasium gleichzeitig machen, dann haben Sie bestenfalls Klötzchen und Breakdance. Das reicht nicht aus, um konstruktiv mit Medien in den Schulen zu arbeiten.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Ralph Bombis [FDP])
Im Gegenteil, damit wird mehr Stau produziert als im Berufsverkehr um Köln.
Selbst die doppelte Rate wird realistischerweise nicht ausreichen. So sieht das auch Breitband.NRW, die bei der Schulträgertagung 2016 dargelegt haben: Wenn man allen Schülerinnen und Schülern Internetzugang in einer Schule ermöglichen will, dann ist eine hohe Bandbreite notwendig. Es geht also um Gigabit, das heißt Glasfaser. Als langfristige Perspektive ist sogar die Inhouse-Verkabelung mit Glasfaser in den Schulgebäuden anzustreben.
Für uns ist klar: Die Schulen brauchen einen eigenen Glasfaseranschluss. Das fordern wir Piraten seit Jahren. Wenn wir vom Lernen mit digitalen Medien sprechen, dürfen wir nicht die möglichen und die bestehenden Probleme übergehen, anderenfalls wäre der Vorwurf einer naiven Technikgläubigkeit berechtigt.
Ein Problembereich ist der Schutz der persönlichen Daten, die bei der Nutzung von IT im Unterricht und beim Lernen anfallen, insbesondere der Schutz der Schülerdaten. Bildungsdaten bedürfen besonderen Schutzes. Es gilt zu verhindern, dass sie für nichtschulische Zwecke ausgewertet werden können. Deshalb kann ein wahlloses „Bring your own device“ nicht die Grundlage für das Lernen mit digitalen Medien sein. Uns darf nicht egal sein, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht persönliche Daten frei Haus ins Silicon Valley schicken. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass sie im Unterricht nur Systeme nutzen, die ihre Daten ausreichend schützen. Deshalb ist gegenüber den Sirenengesängen von der digitalen Bildungsrevolution eine gesunde Skepsis angebracht, wenn diese auf die systematische Auswertung von Schülerdaten gebaut werden soll.
Vor Ansätzen wie personalisiertem Lernen auf der Grundlage von Learning Analytics, der Speicherung und Auswertung von großen Beständen an Lehr- und Lerndaten, muss gewarnt werden. Ich appelliere ausdrücklich an die Kollegen von der Union: Schauen Sie Ihrer Ministerin Wanka in Berlin genau auf die Finger. Für meinen Geschmack spricht die Dame ein bisschen zu häufig mit Jörg Dräger von der Bertelsmann Stiftung. Wir wissen ganz genau, dass sich der Konzern bei Udacity eingekauft hat, einem System, das auf universitärer Ebene Lerndaten auswertet. Also bitte – wir Piraten haben da sehr spitze Ohren.
(Beifall von den PIRATEN)
Eine qualitativ hochwertige digitale Bildung wollen wir für die Kinder und die Jugendlichen. So steht es auch im Antrag der Union. Für eine zeitgemäße Bildung in der digitalisierten Welt ist die technische Ausstattung der Schulen ein wichtiger Aspekt, aber es ist eben nur ein Aspekt – Herr Bolte hatte das auch angedeutet –, denn ein Breitbandanschluss allein macht eine Schule noch nicht fit für das Lernen in der digitalisierten Welt.
Neben der Anwendung von digitalen Medien im Unterricht und zum Lernen sind weiterhin erforderlich: Medienbildung für eine reflektierte Medienrezeption als Querschnittsaufgabe über alle Fächer und informatische Allgemeinbildung für den informierten Einsatz von IT sowie eine angemessene Berücksichtigung der drei Bereiche in der Lehreraus- und -fortbildung: Lernen mit digitalen Medien, Medienkompetenzvermittlung und Informatik.
Jetzt schließe ich meine Rede, weil meine Redezeit abgelaufen ist, aber ich bin noch einmal dran. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Duin.
Teil 2
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Ich muss leider sagen: Wir Piraten haben Probleme bei der Planung unseres nächsten Bundesparteitages. Der findet im März in Düsseldorf statt, und als kleinere Partei muss man ja immer ein bisschen auf das Geld achten. Wir haben uns die Aula der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Düsseldorf ausgeguckt. Leider endet die Glasfaser kurz vor der Schule.
(Lachen von Jochen Ott [SPD])
Angeschlossen wird sie vielleicht im April – aber der Parteitag ist schon im März. So viel dazu. Ich verspreche Ihnen jedoch: Wir kriegen das hin; zur Not machen wir eine Funkstrecke.
(Jochen Ott [SPD]: Vielleicht hilft es, wenn ihr miteinander redet!)
Ich möchte noch ein bisschen auf das eingehen, was Frau Schmitt-Promny gerade noch einmal angerissen hat, nämlich auf den Aspekt der Didaktik und des Umgangs mit der Technologie. Daraus wird, glaube ich, sehr schnell deutlich werden, dass selbst die Didaktik und der Umgang, auch wenn er noch so ambitioniert ist, in Zukunft auf einen Breitbandanschluss angewiesen sein wird.
Denn stellen Sie sich bitte folgendes Szenario vor: Heute Morgen hatten wir das Gedenken an Auschwitz; Frau Präsidentin hat dazu gesprochen. Nehmen wir jetzt mal an, ein Lehrer entschließt sich, im Geschichtsunterricht oder im Englischunterricht – dort wird manchmal auch Geschichte in Englisch vermittelt – mit einer historischen Dokumentation zu arbeiten.
Die Schülerinnen und Schüler laden sich also diese Dokumentation mehrfach herunter und bekommen dann die Aufgabe, diesen Film für Hörgeschädigte zu untertiteln. Da ist mit der Arbeit an und im Medium als Knetmasse sogar der Aspekt der Inklusion mit drin. Wenn Sie so etwas in einer Schule in großem Stil und gleichzeitig in mehreren Klassen machen wollen, dann kommen Sie nicht drumherum: Wir brauchen Glasfaser in allen Schulen in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
Ein weiterer Punkt: Man kann diese – ich sage mal – Medienkompetenz vermitteln als Querschnittsleistung in allen Fächern. So etwas geht auch im Fach Biologie, wenn vielleicht eine Naturdokumentation selber erarbeitet wird, wobei dann hoffentlich etwas Besseres herauskommt als dieses Pathosgeschwafel von „Terra X“ im ZDF. Die schlagen mit ihren Dokumentationen mittlerweile sogar das „Dschungelcamp“.
Was aber nicht im Querschnittsdienst in allen Fächern funktioniert, ist die Vermittlung von informatischen Zusammenhängen. Ich sage es noch einmal: Wir brauchen nicht nur das Breitband, sondern wir brauchen auch ein Lernfach „Informatik“ in allen Schulen.
Informatik ist das Denken in Prozessen und wird in Zukunft immer wichtiger werden. Dann – und nur dann – werden die Schulen als Zukunftslabore für die Gesellschaft in der Informationsgesellschaft zu dem werden, was sie eigentlich sein sollen, nämlich Knoten im Netz. Schulen müssen zu Knoten im Netz werden. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Kaiser.