Meine Rede zu TOP 9 am 16. März 2017, Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung der Forschung sind unverzichtbar und elementar für NRW und weltweit
Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der PIRATEN – Drucksache 16/14393
CDU und FDP haben zu dem Thema tief in die rhetorische Kanalisation gegriffen, das war unterirdisch.
Aus dem Plenarprotokoll:
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Seidl. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN):Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten – das ist ein stetiger, nie endender Prozess – weltweit an der Beantwortung der vier großen Fragen des Aufklärers Immanuel Kant – ich habe mir die Freiheit herausgenommen, dabei das „ich“ durch ein „wir“ zu ersetzen –: Was können wir wissen? Was können wir tun? Was dürfen wir hoffen? Was ist der Mensch?
Das geschieht zur Vermehrung des Wissens und Verstehens der Welt und von uns selbst. Diese oft sehr anstrengende und grenzenverschiebende Arbeit sollte im Dienste von uns allen geschehen, im Dienst der Gesellschaften und im Dienst aller Menschen. Dafür ist die individuelle Freiheit der wissenschaftlich Tätigen unabdingbar – im Denken und Handeln, im Erkennen und Wollen. Dazu gehört auch die Freiheit der Kommunikation. Denn Wissenschaft ist Kommunikation – einerseits innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaften und andererseits zwischen diesen Gemeinschaften und den Gesellschaften auf dieser Welt.
Dieser Freiheit und der Kommunikation sind jüngst Feinde und Bedrohungen erwachsen. In der Türkei sitzen Hochschullehrer im Gefängnis. In den USA soll die Wissenschaft auf einmal zur Regierungsmeinung passend gemacht werden. In Großbritannien ist durch den Brexit die gesamte akademische Landschaft gefährdet. Denn unter den Mitgliedern der EU war die britische Wissenschaft wie keine andere von Fördermitteln aus Brüssel abhängig.
Das ist längst nicht alles. In vielen anderen Ländern der Welt gibt es ebenfalls Bedrohungen und Gängelungen für wissenschaftlich Tätige, für die Wissenschaftsfreiheit insgesamt – und das zu einer Zeit, in der sich Probleme global zu Bergen aufgetürmt haben und in der wir zur Bewältigung vielleicht auf nichts so sehr angewiesen sein werden wie auf unsere wissenschaftliche Rationalität. So diagnostiziert der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski in einem Werk zur Kritik der globalen Vermögensverteilung am Rande einen Wandel unseres Weltbildes, der – so sagt er – die Ausmaße der Kopernikanischen Wende erreiche. Mit dem Apollo-17-Foto des Blauen Planeten aus dem Jahr 1972 sei im kollektiven Bewusstsein ein anderes Bild von Globalität entstanden, sagt er. Und zu dem Blick ins Universum, den das Hubble-Teleskop eröffnet habe, bemerkt der Soziologe, dass er noch kaum verarbeitet sei. Er spricht hier generell eine Überforderung durch die Maschine an – hier in diesem Fall die Maschine Weltraumteleskop –, die die Reichweite unserer optischen Wahrnehmung quasi ins Unendliche ausgedehnt hat. Das führt zunächst zu einer mentalen Schockstarre, zum Schreck einer Einsamkeit kosmischen Ausmaßes, regt aber auf der anderen Seite auch positiv unsere Phantasie an.
Als Ausweg, als Weiterentwicklung, gewissermaßen als Update der Aufklärung gelangt der in England geborene US-Philosoph Stephen Toulmin zu dem Schluss, dass es einer neuen Humanisierung der Moderne bedarf. Die gegenwärtige Aufgabe bestehe darin, Wege zu finden, die von der herkömmlichen Auffassung der Moderne, die die exakten Naturwissenschaften – die scheinbar exakten – und die Geisteswissenschaften voneinander trennt, zu einer gewandelten Auffassung führen, die Philosophie und Wissenschaften befreit, indem sie wieder mit der humanistischen Hälfte der Moderne in Verbindung gesetzt wird.
Die Zukunft, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren, ist unbestimmt, aber sie ist voller Hausforderungen und Chancen. Schützen wir unsere Wissenschaft, entwickeln wir sie weiter – gemeinsam und demokratisch!
Der Landtag kann mit diesem Antrag ein deutliches Signal setzen. Bitte stimmen Sie zu. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Paul. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Berger das Wort.
Teil 2: als Replik auf Frau Freimuth (FDP) und Herrn Berger (CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Ministerin. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Dr. Paul zu Wort gemeldet.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich muss hier noch einmal das Wort ergreifen, weil es offensichtlich eine völlige Verkennung der Tatsachen gegeben hat.
Ich selber habe um die 90er-Jahre herum in EU-geförderten Forschungsprojekten im IT-Bereich gearbeitet. Dabei schließt man auch Freundschaften. Mir persönlich, Frau Freimuth, reicht es zur Genugtuung, dass meine Freunde Charles Taylor, Alistair Sutherland und Bob Henery vom Turing Institute in Glasgow mir für diesen Antrag persönlich Danke sagen werden.
Wenn man den Brexit als schlechtes Momentum für die Wissenschaft erwähnt, zusammen mit anderen Dingen, die so auf der Welt passieren, dann ist das zunächst einmal eine Aufzählung von unterschiedlichen Dingen und keine Gleichmacherei.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Was für eine Logik ist das denn überhaupt? – Das ist unglaublich! – Danke.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Paul. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.