Gestern war ein echt seltsamer Tag für mich. Ein Tag mit einem politischen Kontrastprogramm, wie es größer nicht sein kann. Erst die kleine, aber sehr feine #noprism Demo in Düsseldorf ab 13.37. Gute Reden, gute Motivation der Teilnehmer, und – abgesehen vom Anlass – auch gute Stimmung. Schließlich geht es um unsere Zukunft. – Übrigens, ab sofort stehen alle Regierungen der Welt für mich unter Generalverdacht, ihre Bürger abzuhören!
Danach, ab 16 Uhr – im Eichendorff-Saal des Gerhart-Hauptmann-Hauses -, war zwar auch Zukunft, aber für mich persönlich auch historisches Bewusstsein gefragt, zum Festakt des 50-jährigen Bestehens der Gerhart-Hauptmann-Stiftung. Schließlich bin ich selbst – nicht nur aber auch – Schlesier, ein in Köln geborenes Vertriebenen-Kind, dessen Eltern reichlich erzählt haben, vom Krieg (WK I und II) und von ihrer Jugendzeit dazwischen. Nun habe ich Vertriebenenorganisationen immer kritisch gesehen, als Triebkräfte politischen Ressentiments. Heute weiß ich – auch Ressentiments gebären sich – jenseits einer Rechtfertigung – aus Schmerz und Verletzungen. Leidtragende militärischer Auseinandersetzungen sind immer die Bürger, die Zivilbevölkerung.
Anbei mein Grußwort, das ich nicht vorgetragen habe. Die Reden des Festakts waren Helmut Harbich (Vorstandsvorsitzender), Hans Günther Parplies (Vorsitzender des Landesverbandes NRW des Bundes der Vertriebenen), Landtagspräsidentin Carina Gödecke und dem Festredner Minister a.D. Friedhelm Farthmann vorbehalten. Das Grußwort wurde jedoch in einer Sonderausgabe des West-Ost-Journals abgedruckt. Ich gebe es hier noch einmal wieder.
All the best, und schönen Sonntag noch,
Joachim Paul MdL aka Nick H.
Grußwort
Nach großen Männern benannte Einrichtungen stehen immer in der Gefahr unkritischer Heldenverehrung. Dies beginnt schon mit der Frage nach der Frau, die hinter ihnen stand. Auch Gerhart Hauptmann ist hier jemand, der in seiner Biographie ein Spiegel der Zeitläufe war. Bemerkenswert ist nicht nur seine grundlegende Orientierung in soz ialen Fragen. Beachtenswert ist auch sein konsequenter Lernprozess – jenseits konjunktur-politischer Orientierungen, dem man sich nur schwer zwischen taktischen Notwendigkeiten und ethischen Imperativen entziehen kann. Vom Weltkrieg I-Befürworter wandelte er sich zu einem überzeugten Pazifisten. Ein Lernprozess, dem man den vielen empfehlen sollte, die heute wieder eine Remilitarisierung der Außenpolitik gut heißen. Jeder Konflikt ist ein politischer, wirtschaftlicher und sozialer Konflikt, bevor er militärisch wird. Damit ist er Ausdruck gesellschaftlichen Zivilversagens. Die Kriege neuerer Zeit machen zudem deutlich, zwischen einer miltärischen und zivilen Front kann nicht mehr getrennt werden. Waren im ersten Weltkrieg unter 100 Toten 14 Zivilisten, im 2. Weltkrieg mehr als 40, im Korea- und Vietnamkrieg um die 90, ist heute die Entscheidung für einen Krieg im Grunde genommen die Entscheidung für einen Massenmord an der Zivilbevölkerung.
Als Einrichtung, an deren politischen Anfang die Vertreibung aus den früheren sog. Ostgebiete stand, gehörte es bis zur neuen Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel, sich aus der deutschen Verantwortung zu mogeln. War es doch in der Restaurationsphase der Bundesrepublik für Täter leicht, sich in die Haut der Opfer zu mogeln. Seriöser Geschichtsaufarbeitung ging und geht es nicht darum, das Leid der Heimatvertriebenen zu verneinen. Es geht aber darum, den Ausgangspunkt für dieses Leid zu benennen: Den Angriffskrieg Deutschlands gegen seine Nachbarn und die damalige Einstufung der Polen, Russen und Slowenen als „minderwertig“. Nicht wenige Deutsche, auch und gerade in den Gebieten, aus denen sie vertrieben wurden, haben diese Politik bis zu bitteren Ende unterstützt.
Kritische Vergangenheitsbewältigung ist eine Facette der Arbeit. Der neue Auftrag – Erhaltung und Stärkung der kulturellen Identität auf der Grundlage der Völkerverständigung- steht heute vor zwei Herausforderungen:
- Aussiedler aus den sog. Ost-Gebieten, haben im Sinne einer retrograden Utopie ein Deutschland-Bild gepflegt, daß mit der zunehmend multikulturellen Wirklichkeit des heutigen Deutschland nicht übereinstimmt und massive interkulturelle Lernprozesse und deren Begleitung erfordert.
- Die Globalisierung und der mit der europäischen Integration einhergehende Abbau des Wohlfahrtsstaates führt mit der Prekarisierung des „Arbeitsmarktes“ nicht nur zur vermeindlichen „Wohlstandsmigration“ aus osteuropäischen Ländern. Auch die vielen Scheinselbständigen, die über Werkverträge bei uns auf dem Altar der Marktgesellschaft ausgenommen werden, kommen aus Osteuropa.
Genug Arbeits- und Konfliktstoff für weitere Jahre hoffentlich erfolgreicher Arbeit.
/Ende Grußwort