Liebe Vordenkerinnen, liebe Vordenker,
die Sommeredition 2013 ist raus:
„Zenon ist passé“…
… das ist die Aussage des Philosophen Herbert Schnädelbach in einem Interview (Telepolis vom 25.08.2013), das den Titel trägt:
„Logik ist nicht dazu da, Strukturen oder gar Prozesse in der Wirklichkeit abzubilden“
Da nimmt sich das Thema der Sommer-Edition 2013 geradezu wie ein konträrer – ja fast schon kontradiktorischer – Gegensatz aus, denn erstens ist Zenon alles andere als passé und zweitens bereitet schon die Überschrift, die den Tenor des Interviews widerspiegelt, ein gewisses Magengrummeln bei all denjenigen, die mit den Arbeiten des Logikers und Philosophen Gotthard Günther vertraut sind.
Schon die bekanntesten Phänomene der Quantenphysik, wie etwa die Heisenberg’sche Unschärferelation, hätten den eleatischen Philosophen vor Begeisterung laut jubeln lassen und vielleicht hätte er Herrn Schnädelbach erklärt: „Hier irren Sie, Herr Schnädelbach, denn die Heisenberg’sche Unschärferelation zeigt ja gerade einen unauflöslichen Widerspruch auf, nämlich die Dichotomie von Kontinuität und Diskontinuität der Bewegung von Materie im Raum.“
Aber auch die Aussage des Titels steht im krassen Widerspruch zu den Texten der vorliegenden Sommer-Edition. Die Überschrift dieses Interviews leitet sich aus einer Passage des Gesprächs ab, welches zwischen dem Autor von Telepolis (TP) und dem Philosophen Schnädelbach (HS) geführt wird:
TP: …. Die formale Logik kann alles, was sich bewegt und eine Dynamik in sich birgt, alles, was real ist und außer dem Kopf existiert (wie die Zenon’schen Paradoxien[…] zeigen), begrifflich nicht abbilden. Mit den (argumentativ richtigen) Widersprüchen geht also die Philosophie also erst richtig los, Hugh! Jetzt sind Sie am Zug …
HS: Hier irren Sie gewaltig. Die Logik ist nicht dazu da, Strukturen oder gar Prozesse in der Wirklichkeit abzubilden, sondern sie betrifft nur die formalen Bedingungen des Wahrseinkönnens unserer Aussagen über Strukturen oder Prozesse. Alles Übrige ist Mathematik und Erfahrungswissenschaft. (Zenon ist passé)
So etwas kann man jedoch nur dann behaupten, wenn man rein monokontextural denkt und/oder sich weigert darüber nachzudenken, wie man seine Denkwerkzeuge – zu denen die Logik sowie die darauf basierende Mathematik gehören – adäquat erweitert werden können, um beispielsweise Denkprozesse (aus denen der Denkinhalt erst folgt!!) formal zu modellieren, um sie gegebenenfalls auch zu implementieren. Mit den Denkwerkzeugen der klassischen (monokontexturalen) Logik und Mathematik geht das nicht – in diesem Punkt hat Herbert Schnädelbach sogar Recht, allerdings wird von ihm nirgends der Begriff „mono- “ bzw. „polykontextural“ erwähnt und damit ist seine Aussage nicht sehr viel wert.
Eine logische Analyse im Kontext der Polykontexturalitätstheorie gibt es – wenn auch nur latent, denn der Begriff „polykontextural“ wurde erst sehr viel später von Günther in die Wissenschaft eingeführt – in der Science-Fiction-Story „Achilles and the Tortoise“ von Gotthard Günther aus dem Jahr 1954, die dankenswerterweise (wie schon „The Seetee Mind„) von Rajko Aust ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Übersetzung war und ist der Anlass für die Sommer-Edition 2013.
In den Anmerkungen zu „Achilles…“, die unter dem Titel „Warum das Unendliche im Endlichen … und das Endliche im Unendlichen liegt“ wird der Versuch unternommen, aufzuzeigen, warum die Science-Fiction-Story von Gotthard Günther eigentlich eine „Science-Fiction-Geschichte“ – also eine eher wissenschaftlich fundierte Erzählung – ist. In der „Story“ steckt mehr als nur Science-Fiction. Das aufzuzeigen war und ist der Sinn der Anmerkungen zu dem Thema der Zenon’schen Paradoxien, die heute ein fast schon desaströs-virulentes Unwesen in der modernen Physik betreiben – ein Unwesen, dessen Ursachen ganz offensichtlich völlig unerkannt bleiben und damit weder diagnostiziert noch therapiert werden, wie u.a. auch das Interview mit Schnädelbach sehr deutlich zeigt. Diese Paradoxien sind und bleiben ein wissenschaftslogisches Problem und sind daher alles andere als „passé“.
Neben der „Science-Fiction-Geschichte“ und den Anmerkungen dazu haben wir noch eine Arbeit von Engelbert Kronthaler „Gänsemarsch und Seitensprünge oder: Die Addition von Kirchen und Krokodilen — Zur Dialektik Gotthard Günthers anlässlich seines fünften Todestages“ aus dem Jahr 1989 in die Sommer-Edition aufgenommen – eine Arbeit, die man entweder als eine Ergänzung zu den Anmerkungen „Das Unendliche….“ oder umgekehrt die Anmerkungen als Ergänzung zu Engelbert Kronthalers Beitrag ansehen kann.
Im Hintergrund, d.h. nicht in der Bibliografie von Gotthard Günther explizit angeführt, gibt es eine Datei mit drei Texten, die man unter das Thema „Homunkulus versus Robot“ zusammenfassen könnte – so ist die Datei dann auch benannt worden. Hierbei handelt es sich um eine Sammlung kleinerer Texte zum Thema Robotik – Texte, die an verschiedenen Stellen von Gotthard Günther publiziert wurden u.a. auch in dem Buch das „Bewusstsein der Maschinen – Eine Metaphysik der Kybernetik“, das es beim Agis Verlag (Baden-Baden) in der erweiterten 3. Auflage von 2002 zu kaufen gibt.
Aus den 50er und 60er Jahren – eine Epoche, in der der Begriff „Kybernetik“ noch ein gewisses Ansehen sogar in der BRD hatte, in der dieser Begriff, im Gegensatz zur DDR, eher negativ belegt war – aus dieser Zeit stammt auch Norbert Wieners Text „God & Golem, Inc.„, der (in deutscher Übersetzung) in der vorliegenden Sommer-Edition 2013 ebenfalls präsentiert wird.
Alle Texte der Sommer-Edition 2013 auf einen Blick:
1) Gotthard Günther: „Achilles and the Tortoise“ (Englische & deutsche Version)
2) Eberhard von Goldammer: „Warum das Unendliche im Endlichen … und das Endliche im Unendlichen liegt – Anmerkungen zu Gotthard Günthers ›Achilles und die Schildkröte‹„
3) Engelbert Kronthaler: „Gänsemarsch und Seitensprünge oder die Addition von Kirchen und Krokodilen — Zur Dialektik Gotthard Günthers anlässlich seines fünften Todestages„, Erstveröffentlichung in: Spuren in Kunst und Gesellschaft, Nr. 33, 1989, S. 56-62.
4) Gotthard Günther: „Seele und Maschine – Homunkulus und Robot – Die „zweite“ Maschine„
Hier handelt es sich um eine Sammlung kleinerer Text zum Thema Robotik – Texte, die an verschiedenen Stellen von Gotthard Günther publiziert wurden u.a. auch in dem Buch das „Bewusstsein der Maschinen – Eine Metaphysik der Kybernetik“, das es beim Agis Verlag (Baden-Baden) in der erweiterten 3. Auflage von 2002 zu kaufen gibt.
5) Norbert Wiener: „God & Golem, Inc.“ (StudienSeminarText – deutsche Version)
6) John W. Campbell: „A Place for the Subconcious“ in deutscher Übersetzung. John W. Campbell – mit dem Gotthard Günther in jener Zeit viel diskutiert hat – war der Herausgeber einiger in den 50er Jahren sehr bekannten Science-Fiction-Magazinen. Die Übersetzungen stammen von Rajko Aust, der auch den „Science-Fiction“-Text „The Seetee Mind“ und „Achilles and the Tortoise“ übersetzt hat.
Die Reihe Metaphon liefert im September den Beitrag GhostTraXXX, ein akustisches Werk zur Metapher der Reise.
Viel Spaß,
Ihr vordenker team,
Joachim Paul (Hrsg.)
@otla
Ohne Philosophie dringt man niemals auf den Grund der Mathematik.
Ohne Mathematik dringt man niemals auf den Grund der Philosophie.
Ohne beide kommt man auf den Grund von gar nichts.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)
Der Link ist korrigiert 😉
Hey,
das sind ja viele Texte auf einmal.
Prima, danke. 🙂
Zu Wiener gabs gerade kürzlich einen Artikel, Anlaß dazu gab eine Wiender-Biographie:
http://www.nybooks.com/articles/archives/2005/jul/14/the-tragic-tale-of-a-genius/?page=1
Der Link geht zwar zu Telepolis, aber zu Flusser, nicht zu Schnädelbach.
Bitte den Schnädelbach noch nachlegen, danke.
Das seht Ihr imho ein bisschen zu einfach.
„Die Logik ist nicht dazu da, Strukturen oder gar Prozesse in der Wirklichkeit abzubilden, sondern sie betrifft nur die formalen Bedingungen des Wahrseinkönnens unserer Aussagen über Strukturen oder Prozesse“
Selbstverständlich ist die Logik dazu nicht da – wobei freilich die Aussage, sie sei überhaupt zu etwas da, zu kritisieren ist.
Worauf Schnädelbach hier anspielt, ist natürlich die Abbildtheorie Wittgensteins, die von ihm selbst wieder als falsch verworfen wurde.
„sich weigert darüber nachzudenken, wie man seine Denkwerkzeuge – zu denen die Logik sowie die darauf basierende Mathematik gehören – adäquat erweitert werden können“
Damit aber befasst sich der zuerst zitierte Satz gar nicht. Was Ihr hier anführt, gehört zum Bereich „formale Bedingungen des Wahrseinkönnens“. Eine Auseinandersetzung zwischen Schnädelbach und Günther müsste aber geführt werden, BEVOR dieser Bereich erreicht wird. Nämlich im metaphysisch-ontologischen.