Das Totalversagen des Neoliberalismus
…. besser spät als nie – hier nun die Replik auf einen Beitrag von Christian Lindner aus der FAZ vom 14. August 2013, S. 25 – Wahlkämpfe sind sehr gute Gelegenheiten, deutlich zu werden ….
Zeitlich eingerahmt von Grünen, die uns dieser Tage mit nervigem Ökocalvinismus und vegetarischem Genuss per Dekret das Real-Life freudloser gestalten und die Selbstbestimmung darüber, wann wir fleischlos essen, einschränken wollen, und britischen Geheimdienstmitarbeitern, die in einem schlecht inszenierten post-dadaistischen Pseudo-Kunstevent im Keller der Redaktionsräume des Guardian Journalisten dazu nötigen, irgendwelche Festplatten zu zerstören – und flankiert durch den eigentlichen Skandal, nämlich den des Nicht-Aufschreis der freien Journalisten dieser Welt – macht sich Christian Lindner (FDP) Gedanken zu einer „Ordnung für den Datenmarkt“ (FAZ, 14.08.2013, S. 25).
Mit den ihm eigenen flotten Sprüchen bedient er stramm auf der Oberfläche surfend das latente gesellschaftliche Unbehagen über Datensammlung, Datenschnüffelei und Datenmissbrauch staatlicher und kommerzieller Stellen, um seine Partei in das Image einer Pole-Position beim Kampf um Bürgerrechte und Netzpolitik zu hieven. Dabei verharrt er jedoch analytisch in den Positionen eines Liberalismus, der sich kognitiv immun gegenüber den letzten 150 Jahren moderner Gesellschaftsanalyse und -kritik gezeigt hat.
Völlig korrekt nimmt er zunächst Bezug auf die Metapher der Bundeskanzlerin, unterschlägt oder übersieht jedoch die tiefere Implikation des Begriffs vom Neuland, nämlich das versteckte Eingeständnis der Politik, dass die politische Sphäre der technisch-ökonomischen hoffnungslos hinterher läuft – und das bereits seit Jahrzehnten. Passend dazu bleibt das neoliberale Freiheits- und Wettbewerbs-Credo in der Verdinglichung einer standortgebundenen Wahrnehmung stecken.
Indem Lindner den Strukturwandel der Gesellschaft an der „Digitalisierung aller Lebensbereiche“ festmacht, legt er eben nicht den Fokus der Betrachtung auf die zentraleren Änderungen: den Trend von einer Real-Wirtschaft zu einer virtuellen Ökonomie des sog. Finanzmarktkapitalismus, der durch seine Anlagestrategien und Profitraten-Erwartungen die Aushöhlung des realwirtschaftlichen Bereichs verursacht und befeuert. Wertschöpfung findet nach wie vor in der (realen) Wirtschaft statt, diese hat die Anlagenerwartungen gefälligst zu erfüllen, die Abschöpfung jedoch erfolgt im Bankenbereich.
Dieser Trend beginnt in den USA nicht mit dem wirtschaftlichen Durchbruch des Internet, sondern bereits ein Jahrzehnt zuvor mit der aggressiven Steuersenkungspolitik der „Reaganomics“ 1981. Der erste große sog. Netscape-Aktienpeak folgte erst 1994.
Bevor Lindner in den betriebswirtschaftlichen Bezügen seines Denkens die Ökonomisierung aller Lebensbereiche mit „Digitalisierung“ glaubt beschreiben zu müssen, sollte er besser der Frage nachgehen, wie bei einer umgekippten Pyramide globaler Liquidität, in der der Derivatemarkt 855% des Weltsozialproduktes ausmacht, auch nur ein Prozent Rendite als Kostenanteil auf das reale Weltsozialprodukt durchschlägt.
Die „digitale Unordnung“ und ihr Wildwuchs können – mindestens ebenso schlüssig – auch als sekundär und dem „Terror der Ökonomie“, der anarchischen Produktionsweise folgend interpretiert werden. Unter Berücksichtigung historischer Kenntnisse kann die gegenwärtige sog. Finanzmarktkrise auch als dritte große Depression eingeordnet werden. Wenn Regierungen in einer Mischung von Dilettantismus und Komplizenschaft sich von Banken haben erpressen lassen („too big to fail“), ist das nur die eine Seite einer sonderbaren Situation, in der inzwischen „die kleinen Leute“ im Verbund mit der Realwirtschaft für die Casino-Schulden von „denen da oben“ zahlen. Und die amerikanische Immobilienpolitik der Nuller-Jahre, „Eigenheim ohne Eigenkapital“, war auch nur der Versuch, die vorgelagerte unbefriedigende Verteilungsfrage zu kaschieren.
Schon an diesem Punkt wird deutlich: Lindner hätte hier aufhören sollen zu googeln, um statt dessen lieber die richtigen Fragen zu stellen. Doch dies setzt noch etwas mehr als die Absolvierung eines ökonomischen Alphabetisierungsprogrammes und die Beherrschung der Grundrechenarten voraus. Es ist vielmehr Ausdruck eines politischen Totalversagens, den Blick genau dann abzuwenden und ebenso wie sein Parteifreund Wirtschaftsminister Rösler ökonomisch-marktautistisch auf die fiktionale technologische Überlegenheit innovativer Start-Ups und den Wettbewerb zu richten. Zugegeben, es ist richtig, dass die kleinen Schnellen den großen Langsamen etwas voraus haben, gar etwas abringen können. Nur sind die Großen im Digital Business, Google, Amazon, Facebook & Co, eben schnelle Große mit zudem wohl gefüllten Kriegskassen. Der vollzogene Kauf von Youtube durch Google ist hier nur ein Beispiel unter vielen. Darüber hinaus steht es den schnellen Großen praktisch frei, jederzeit und je nach Gusto die nationalstaatlichen Grenzen politischer Regelungen zu überschreiten.
Und es ist auch ein Ausdruck einer demokratischen Betriebsblindheit, nicht zu sehen, was eigentlich durch die aktuellen Ereignisse um PRISM und TEMPORA und den Selbstverrat der westlichen Demokratien deutlich wird, nämlich dass wirkliche demokratische Gesellschaften das Moment der Sicherheit als Organisationsstruktur und -inhalt in sich selbst tragen müssen. Die Lektüre von Frantz Fanon, der im letzten Jahrhundert vor den gesellschaftlichen Ursachen des Terrors warnte, oder auch etwa von Gandhi, der darauf hinwies, dass diese Gesellschaft reich genug ist, um die Bedürfnisse aller, aber nicht die Gier vieler zu befriedigen, wäre hier sicher hilfreicher gewesen. Wer den Menschen identitätsstiftende Lebensverhältnisse verwehrt, muss sich nicht über unerwünschte Reaktionen wundern.
Bei Richard Sennett in „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ und „Der flexible Mensch“ finden sich kluge Überlegungen über das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. Lindner und mit ihm die gesamte FDP, die im Bund in Regierungsverantwortung steht, weichen der grundlegenden zentralen Frage aus: „Welche menschlichen Folgen hat die politische Ökonomie, in der wir leben?“ Hier nur die oberflächliche Veränderung im Bereich von Informations-, Transport- und Produktionstechnologien zu sehen, geht am eigentlichen Kern der Sache vorbei: Die tatsächlichen psychologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen zeigen sich vielmehr daran, wie Institutionen organisiert sind und wie die Menschen in ihnen leben. Und wenn Arbeitsplatz, Sozialstaat und Gemeinschaftsleben als Bezugsrahmen einem immer rascheren Wandel unterworfen sind, Ursachen sich kaum noch Wirkungen zuordnen lassen, Absichten und Vorhaben sich in einem Netz von Unwägbarkeiten und Zufälligkeiten verlieren, über die Einzelne und Gruppen immer weniger Kontrolle haben, müssen die Fragen aufgeworfen werden „Wie sozial sind eigentlich soziale Netzwerke, wie demokratisch ist unsere Demokratie?“
Jeder, der den Durchmarsch der Geheimdienste nicht sieht und auch blind ist für neue Gefahren, wie etwa die Schieds- und Geheimgerichte des geplanten Freihandelsabkommens zwischen den USA und Europa („Transatlantic Trade and Investment Partnership“ / TTIP), muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein naiver Lobbyist der Marktgesellschaft zu sein. In einem taz-Interview hat Ulrich Beck jüngst die sich nationalstaatlicher Regelung entziehende globale Bedrohung benannt: „Wir haben eine laufende Revolution der IT-Branche und der Kommunikationsmedien in Kooperation mit dem militärisch-industriellen Komplex, die permanent die Grund- und Freiheitsrechte relativiert, aushöhlt oder aufhebt.“ Politiker, die die Tragweite dieser Entwicklungen nicht erkennen und anerkennen, die stillschweigend zusehen, wie die EU verwanzt und ihre Bürger ausgeforscht werden, können die noch aufwachen?
Wir haben uns daran gewöhnt, seit die Statistik in unseren Alltag quasi flächendeckend eingeführt worden ist, unser kausales Denken durch die Beobachtung von Korrelationen zu ersetzen. Die Ursachen für diese entdeckten Wahrscheinlichkeiten sind dabei von sekundärem Interesse. Dieser „Logik“ haben sich Geheimdienste mit ihrer Rasterfahndung und Datensammelwut verschrieben. Peter Moeschl hat in einem Standard-Beitrag „Die schöne, neue Verschwörungswelt der NSA“ auf die Folgen einer von Kausalitätsvorstellungen „entlasteten“, statistischen Weltsicht aufmerksam gemacht: „die computergestützte Projektion eines Weltbildes, in der es nur gute Konformisten und böse (konspirative) Nonkonformisten gibt … ein neues, ein institutionalisiertes Verschwörungsdenken der höheren Art, das vorauseilend die Welt beurteilt und bewertet.“
In der aktuellen Auseinandersetzung um informationelle Selbstbestimmung und eine demokratische Datenpolitik erweist sich der Parteiliberalismus der Bundesrepublik – sieht man von singulären Erscheinungen einer Frau Leuthäuser-Schnarrenberger oder eines Herrn Baum einmal ab – nicht als Lobby für Aufklärung und Mündigkeit. Der von Herrn Lindner als Lösung ins Feld geführte Neoliberalismus kann daher nicht die Antwort auf Big Money und Big Data sein, er ist vielmehr Teil des Problems, eines Problems, das nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene gelöst werden kann und wird.
Joachim Paul ist Fraktionsvorsitzender der Piratenfraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen.
ps.: Mehr und Tieferes zur Krise des Denkens, auch jenseits der Politik findet sich hier.
ARTE: „Der große Reibach“
„Mit dem Wahlsieg Margaret Thatchers in Großbritannien 1979 und der US- Präsidentschaft Ronald Reagans ab 1981 begann eine ’neoliberale Revolution‘, die den Kapitalismus tiefgreifend verändert hat. Diese Ära ging 2007 mit einer Immobilienkrise zu Ende, die die westliche Welt in ein Wirtschaftstief stürzte – mit unabsehbaren Folgen.“
http://www.arte.tv/guide/de/046522-001/der-grosse-reibach?autoplay=1
@John der Nachdenker
zunächst besten Dank für Ihre differenzierten Anmerkungen.
Sie sagen: „Lindner belabelt seine Vorstellungen als “neoliberal” – meint aber ordoliberal, bzw. einen längst untergegangenen “Neoliberalismus”, der bis in die 70er Jahr noch existierte – und sich in einem teils sogar fundamentalen Gegensatz zu den heutigen “Neoliberalen” befindet.
Wussten Sie das, Vordenker Paul? Interessiert es Sie überhaupt?“
Ja, das weiß ich und es interessiert mich auch. Es interessiert mich sogar soweit, dass ich im Plenum des Landtages von NRW schon Ordoliberale wie Flach und Rüstow in Reden zitiert habe. Keine Reaktion. Aber offensichtlich trägt Herr Lindner mit der Nichterwähnung oder des lediglich vorsichtigen Anspielens ordoliberaler Positionen dem Zeitgeist in der FDP Rechnung. Sonnst könnte er es doch deutlich sagen, oder? Bei allem Respekt, aber das ist dann nicht mein Problem.
Erlauben Sie mir noch eine kleine Anmerkung zum Begriff „vordenker“. Was auf dieser seit 1996 eistierenden WebSite darunter verstanden wird, finden Sie hier: http://www.vordenker.de/vwdeutsch.htm
In erster Linie sind also die Leser gemeint.
Natürlich kann man historisch immer weit zurück gehen. Für mich, wie für viele andere auch hat die aktuelle 2007er-Krise allerdings ihre direkten Wurzeln in den „Reaganomics“.
Das Sie auch auf die Rüstngsinvestitionen anspielen, ist nur ein weiteres Plus Ihrer Anmerkungen.
Unbestreitbar dürfte m.E. auch sein, dass zuviele Gewinne eben nicht direkt in die Realwirtschaft investiert wurden, sondern in Finanzprodukte, was letztlich zur Blasenbildung geführt hatte. Ein Trend, der in den 80ern begann.
Mit freundlchen Grüßen,
Joachim Paul
Ich mag Starksprech nicht.
Wer sich bevorzugt – oder auch nur häufig – in Formen des Maximalismus ausdrück, der mag nach außen hin „schneidig“ wirken – aber sein Denken wird liederlich.
Neoliberalismus hat sicher viele Probleme verursacht – und andere Probleme – anders als versprochen – eher vergrößert, denn verringert. Ein „Totalversagen“ halte ich dennoch für ein zu großes Wort, zumal wenn man bedenkt, welche Alternativen es zum Neoliberalismus gab. Halbsozialistische Ausgabenprogramme von Leuten, die Keynes zwar nie begriffen haben, sich aber trotzdem auf ihn berufen?
Wie lächerlich.
Lezten Endes muss mensch auch sehen, dass „der“ Neoliberalismus (jedenfalls ab ca. den 80er Jahren) auch eine Interessenideologie ist, mithin die Interessen der wirtschaftlich Starken vertrittt – durchaus zu Lasten der Normalbürger und sehr zu Lasten derjenigen, die als Konsumenten und Arbeitnehmer auf Schutz angewiesen sind – Schutz eben vor den wirtschaftlich Starken.
Nur wird mensch einer Interessenideologie nicht gerecht, wenn er sie in Bausch und Bogen verdammt, oder als das Werk von Dummköpfen einschätzt. Teils formulieren sich in diesen Interessen auch berechtigte Anliegen – und dies zu übersehen, halte ich für einen Kardinalfehler jeglicher verantwortlichen Politik.
Pollitik hier verstanden als: Fairer Interessenausgleich – und eben nicht als Negation der Interessen des weltanschaulichen oder politischen Gegners.
Es wäre schön gewesen, wenn Vordenker Paul über genug Grips und Wissen verfügen würde, um zu erkennen, dass der Herr Lindner von der FDP kein reinrassiger Neoliberaler ist. Genau da, wo Lindner in seinem Aufsatz von „Neoliberalismus“ spricht, da verteidigt er – gegen angebotspolitisch oder marktlibertär eingestellte Politiker der eigenen Partei – die Eingriffe des Staates in das Marktgeschehen. Lindner belabelt seine Vorstellungen als „neoliberal“ – meint aber ordoliberal, bzw. einen längst untergegangenen „Neoliberalismus“, der bis in die 70er Jahr noch existierte – und sich in einem teils sogar fundamentalen Gegensatz zu den heutigen „Neoliberalen“ befindet.
Wussten Sie das, Vordenker Paul? Interessiert es Sie überhaupt?
So, wie Lindner das Abwägen digitaler Bürgerrechte mit seinem Pladoyer für eine ordoliberal gestaltete Wirtschaftspolitik verbindet, wirkt das auf mich eher gewillkürt, denn denkscharf. Schließlich sind Bürgerrechte Schutzrechte gegen den Staat – und nicht bloß Freiheitsgrade ökonomischer Marktordnungen. Aber immerhin wendet sich Lindner als FDP-Politiker sehr fundamental gegen „staatliche und kommerzielle Datensammler“, und deutet an, dass hier der Staat zur Verteidigung der Rechte seiner Bürger aufgerufen ist.
Wäre ja schön gewesen, wenn das so einem Riesen-„Vizekanzler“ wie Rösler vor der Wahl eingefallen wäre – oder wenn die FDP aus den diversen Skandalen rund um die VÖs von E.Snowden überhaupt irgendwelche Schlüsse gezogen hätte. Stattdessen hat sie sich als Regierungspartei daran beteiligt, diesen Riesenskandal klein zu reden – und die Konsequenzen für die Tätigkeit der eigenen Geheimdienste nicht einmal in Erwägung zu ziehen.
Tja: Wer so versagt als „liberale Bürgerrechtspartei“, darf sich kaum wundern, wenn der Zuspruch seitens der Bevölkerung doch eher mau ausfällt. Es hätte den Liberalen generell ganz gut getan, wenn sie an geeigneten Stellen (z.B. bei der Bekämpfung prekärer Beschäftigungsverhältnisse) auf den Ordnungsfaktor Staat – und zwar im Sinne der Garantierung eines fairen Wettbewerbs – gesetzt hätten.
Mit Lindner hat die FDP (bald) einen Vorsitzenden, mit dem derartige Fragestellungen immerhin erörtert werden können – die Röslerclique hingegen, deren Ideal ist im Prinzip ein Nachtwächterstaat in spezieller Form, nämlich als Schutzpatron der eigenen Klientel. So hat sich diese FDP dann eben doch politisch engagiert in der Regierungsperiode: Nicht für die Bürger, schon gar nicht für die Schutzbedürftigen unter den Bürgern – dafür umso mehr aber für spezielle Klientelinteressen.
Und auch diese Diagnose, durchaus sanfter formuliert, hat Lindner immerhin vorgenommen. Ob das nun die FDP als Ganzes bewegen wird, da bin ich persönlich skeptisch. Ich finde es aber weder fair, noch sonderlich von denkerischer Leistung gekennzeichnet, wenn „Vordenker Paul“ diese Unterschiede weder erkennt, noch benennt.
Darüber hinaus:
zu: „Wertschöpfung findet nach wie vor in der realen Wirtschaft statt (…) die Abschöpfung jedoch erfolgt im Bankenbereich.“
Das ist Bullshit. Natürlich erfolgen im „Bankenbereich“ „Abschöpfungen“ von Gewinnen, aber die Mehrzahl aller wirtschaftlichen Gewinne werden außerhalb des Bankensektores erzielt. Und deren „Abschöpfung“ (d.h. zum Beispiel Auszahlung an private Eigner) hat mit dem „Bankenbereich“ so rein garnichts zu tun, wenn man einmal von der Funktion des Zahlungssystems absieht.
zu: „Lindner in den betriebswirtschaftlichen Bezügen seines Denkens“
Das ist Bullshit. Der Artikel von Lindner macht ja genau eben volkswirtschaftliches (ordoliberales) Denken deutlich. Das ist etwas fundamental anderes als „betriebswirtschaftliche Bezüge“.
Tatsächlich ziemlich mau, und auf eine zudem etwas dusslige Weise angebotspolitisch orientiert wirken dann zum Schluss seines Artikels die Vorschläge, die Lindner zur Überwindung von ökonomischen Machtpositionen und Machtmissbrauch in der digitalen Welt macht: Er will einfach die Gründungsbedingungen verbessern (ohne zu sagen, wie er sich das denkt) – und meint, auf dem schlichten Wege zusätzlicher Konkurrenz (an Stelle staatlicher Regulation) ließe sich die Datensammelwut zu Lasten der Freiheitsrecht der Bürger wirksam eindämmen.
Das ist zwar im Groben noch ordoliberal gedacht, aber geht doch ziemlich stark an den tatsächlichen Problemen – Stichwort „Totalüberwachung“ – vorbei.
zu „Reagonomics“
Dieser historische Bezug ist Bullshit. Angebotsökonomische Wirtschaftspolitik mit marktlibertären Zügen gab es schon deutlich vor Reagan. Er hat zwar die Nachfahren der „Chicago Boys“ sehr gefördert – aber diese existierten eben schon deutlich vor Reagan. Nämlich ab ca. 1956 (und in ihrer Blütezeit bis ca. 1970).
Die Besonderheit von Reagan war auch eher die Verbindung einer Art „Rüstungskeynesianismus“, eine irrsinnige Ausgabensteigerung im Bereich der Rüstungskosten – und die Verbindung mit angebotspolitischer Wirtschaftspolitik. Was ja tatsächlich etwas schizo ist, denn die Reagansche Polemik vom „Big government“ (das er ablehnte) wurde durch die Reagansche Politik deutlich konterkariert. Reagan baute Sozialstaat ab, um Rüstungsstaat aufzubauen – und ließe die Staatsverschuldung der USA geradezu explodieren.
Mit den heutigen Angebotsökonomen (z.B. des IWF) hat das so rein garnichts zu tun – die könnte mensch eher auf einer Linie mit Brüning sehen. Insofern ist der historische Bezug auf Reagan schlicht falsch bzw. unpassend.
zu: „Wie sozial sind eigentlich soziale Netzwerke, wie demokratisch ist unsere Demokratie?“ (ggf. besser: „unsere moderne Gesellschaft“)
Richtige Frage. Genau das ist auch in meinen Augen eine Stelle, wo Lindner stark schwächelt. Er traut sich, quasi in „stolzer FDP-Tradition“ nicht, die staatliche Regulierung von Facebook (zu Gunsten seiner auf Privatheit wert legenden Nutzer) überhaupt in Erwägung zu ziehen. Das ist die typische, staatsferne Denke der FDP halt. An der Stelle könnte mensch fast schon fragen, warum ein Verein, der mit staatlicher Regelsetzung und aktivem Regieren so rein garnicht klar kommt, – und auch nicht zur Verteidigung der Freheitsrechte und Bürgerrechte seiner Bürger – sich ausgerechnet in eine Institution (Parlament) wählen lassen möchte, in der es in erster Linie um das Verfassen und Aushandeln von Gesetzen geht…
Nunja: Die Bürger haben diese Frage ja soeben beantwortet.
zu: „ein naiver Lobbyist der Marktgesellschaft“
Treffer. Allerdings nicht, wie von Vordenker Paul formuliert, in Bezug auf die Geheimdienste. Naiv zwar schon – aber dann eben auch noch zusätzlich naiv in Bezug auf die eigenen Regierungsinstitutionen.
zu „Der von Herrn Lindner als Lösung ins Feld geführte Neoliberalismus kann daher nicht die Antwort auf Big Money und Big Data sein, er ist vielmehr Teil des Problems“
Erneut: Lindner führt tatsächlich Ordoliberalismus als Lösungsidee in die Diskussion ein. Lindner bleibt dabei allerdings sehr weit unterhalb der Möglichkeiten, die in ordoliberalen Denkfiguren stecken. Tatsächlich können mit ordoliberalen Regelungen (zum Beispiel: Auskunftsrechte der Bürger, Marktordnungen im Bereich digitaler Güter etc) auch gute Teilantworten auf die inzwischen überdeutlichen Probleme von „Big Data“ gegeben werden.
Also: Ordoliberalismus (aber sicher nicht so, wie ihn die FDP versteht) kann wichtige Teil-Antworten zur Regelung der Probleme geben – und ist mitnichten „Teil des Problems“. Teil des Problems ist vielmehr eine FDP, die in den letzten Jahrzehnten jegliche Lust verloren hat, die Probleme der Normalbürger zu lösen. Mit Ausnahme vielleicht von – und hier eher rein rhetorischer Art – steuerlichen Fragestellungen.
Hier zeigt sich im Grunde genommen ein Zerfallsprozess des deutschen Liberalismus (sofern in der FDP organisiert), der von Westerwelle eingeleitet und betrieben wurde. Die schmalbrüstigen Nachfolger von Westerwelle wirkten folgerichtig auch leer und wenig gewichtig – und wurden von den Wahlbürgern auch als „zu leicht“ befunden, als schlichtweg unnötig.
Unnötig auch, um Bürgerrechte effektiv zu verteidigen, unnötig, um missbräuchliche Praktiken gegenüber Arbeitnehmern und Konsumenten zu unterbinden, unnötig überhaupt für fast jedes politische Problem, das einen Normalbürger umtreibt.
Abgewählt weil: der „Liberalismus“ der FDP leer und stumpf geworden ist bzw. zu einem reinen Klientelmechanismus verkam.
mit freundlichen Grüßen
John, der Nachdenker
alias Lothar Lammfromm
Hey, es hat tatsächlich funktioniert ;-), es war aber auch überfällig: die FDP ist abgewählt! (siehe Eintrag vom 12.09.2013)
Gerhard Militzer
Chapeau, erstklassiger Artikel!
Dass Herr Lindner den Neoliberalismus als Lösung und nicht als Ursache der Weltwirtschafts- und Finanzmarktkrise präsentiert, ist ein derbes Schelmenstück, wie wir es allerdings von der FDP gewohnt sind. Da hilft bekanntlich nur eins: Am 22.09. abwählen!!!
Gerhard Militzer
Hallo,
ich bedanke mich noch einmal für die Anregungen bezüglich anderer
Autoren, ich werde mich diesen hoffentlich bald widmen können.
Es ist immer gut den eigenen Horizont zu erweitern.
LG
Sven
Hallo Sven,
danke für Ihre Anregung. Das Buch von Lessig habe ich bereits vor einiger Zeit gelesen. Hier ging es mir zunächst um eine Antwort auf Herrn Lindner.
Ich stimme Ihnen zu, allerdings geht mir auch Lessigs Ansatz nicht weit genug, da er sich vorwiegend im juristisch-technischen Rahmen bewegt. Mehr und Tieferes zum Verhältnis Mensch – Technik – Gemeinschaft findet man bei Philosophen und Kulturwissenschaftlern, etwa Günther, Flusser uva. oder auch Sennett, um mal einen Soziologen hinzuzunehmen.
LG, Nick H. aka JP
Interessanter Kommentar,
ich lese gerade Code 2.0 von Lawrence Lessig.
Der Text ist erschreckend aktuell wenn man sich die aktuellen Entwicklungen vor Augen hält.
Ich empfehle die (erneute?) Lektüre! Ich denke Herrn Lessigs Ansatz
der Erklärung geht über Ihren hinaus und bietet eine sehr gute Erklärung
der Vorkommnisse der letzten 10 Jahre.
Es ist natürlich nur ein Faktor und bietet keine ultimativen Antworten, außer vielleicht der einen, dass Zivilcourage gerade von Ingenieuren
und Programmierern heute wesentlich wichtiger ist, als viele annehmen.
„Code is law“.
Mit vielen Grüßen
Sven
Hallo Herr Beckmann!
Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen den Text nicht mundgerecht servieren konnte und Sie womöglich die wikipedia zu Hilfe nehmen mussten. Vielleicht gehören Sie ja gar nicht zur Zielgruppe für solche Blogs? Und die Schwelle wurde extra eingebaut, damit Sie solche Blogs „umfahren“? Wer weiß?
Beste Grüße, Nick H.
Lieber SC,
darfst Du. Hoffentlich nicht als Beispiel dafür wie man es nicht macht 😉
LG, Hick H. aka JP
Lieber Nick Haflinger,
ich würde mich freuen, wenn ich Deinen Text, und/oder Teile davon, bei Schulungen verwenden dürfte.
Viele Grüße
sc
Wem soll man denn blos glauben?
Unsere Regierung will uns erzählen, dass wir Bürger immer noch gut dran sind. Dabei werden Billionen von Euro benötigt, um deutsche Banken zu retten! Die namlich haben das Geld in der EU verpulvert!
Ist es wirklich soooo schwer, einen Blog, in einfacher, verständlicher, deutscher Sprache zu Verfassen.
Wenn ich ständig ein Fremdwörterlexikon zur Hand haben muss Frustriert mich das als Leser und ich werde zukünftig solche Blog weiträumig Umfahren. (Uuuups fast wäre Klugscheißerblog daraus geworden)
das P:
Habe ich da ein Argument übersehen?
LG, JP
Wissenschaft – Politik – Kultur …und dann erstmal Springer in der Einleitung nachäffen.
Wie soll man euch Piraten nur ernst nehmen? Egal wie sehr man es gerne würde…