Meine Rede zu TOP 2 am 17.03.2016, Kulturelle Vielfalt als wirtschaftlichen Erfolgsfaktor nutzen – Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/11427
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Menschen mit Migrationshintergrund!
Man muss sich das ab und zu vor Augen führen; denn eigentlich sind wir alle Afrikaner. Vor 7.000 bis 8.000 Jahren – das haben neuere Untersuchungen ergeben; ich verfolge so etwas gern – hatten wir alle noch eine dunkle Hautfarbe. Das möchte ich vorwegschicken.
Wohlstand und Zufriedenheit werden geschaffen, wenn jeder Mensch sein volles Potenzial in die Gesellschaft einbringen kann, egal, ob er oder sie Lisa, Tarek oder Dunja heißt. Ich denke, das ist die gemeinsame Auffassung von uns allen zu diesem Antrag.
Der gesellschaftliche Pluralismus wird auch im 21. Jahrhundert leider noch immer nicht von allen Menschen akzeptiert. Das machen nicht zuletzt die letzten Wahlerfolge deutlich. Ich möchte an der Stelle anfügen: Kulturelle Isolation hat zu keinem Zeitpunkt und nirgendwo auf der Welt zu irgendetwas Sinnvollem geführt.
Innovation hatte immer drei Voraussetzungen. Erstens: Unterschiedliche Identitäten begegnen einander und kommunizieren miteinander. Zweitens: eine relative wirtschaftliche Sicherheit. Und drittens: Bildung.
Darum geht es jetzt auch, denke ich. Ich möchte das zumindest gern aus dem Subtext dieses rot-grünen Antrags herauslesen können. Jeder Jeck ist anders. Diese Einsicht tut weder weh noch ist sie eine Bedrohung der eigenen Identität. Sie kann vielmehr das Leben in einer Gesellschaft kulturell und natürlich auch wirtschaftlich bereichern. Heute gehören Menschen mit Migrationshintergrund zu einer Minderheit. Etwa 25 % sind es in Nordrhein-Westfalen. Nach Angaben des jüngsten Teilhabe- und Integrationsberichts besitzt bei den Ein- bis Zweijährigen aber bereits mehr als jedes zweite Kind in NRW einen Zuwanderungshintergrund. Kulturelle Vielfalt ist also schon heute Realität und wird in Zukunft noch viel selbstverständlicher sein. Und das ist gut so.
Ich frage Sie: Warum sollte der nächste Habermas, der nächste Peter Grünberg oder der nächste Werner von Siemens keinen zunächst fremdländisch klingenden Namen tragen? – Viele junge motivierte Menschen ziehen zu uns nach Deutschland. Lassen Sie uns dieses Potenzial bitte nicht brachliegen. Lassen Sie uns vor allem aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, als man noch von Gastarbeitern sprach, die nur einfache Tätigkeiten in der Industrie ausführten und danach wieder in ihre Heimatländer zurückkehren sollten.
Kulturelle Vielfalt setzt auch Kreativität frei. Das ist wichtiger denn je; denn in der heutigen Wissensökonomie zählen die Köpfe und weniger die Beine. Schon heute studieren an der Universität Duisburg-Essen – um ein Beispiel zu nennen – Menschen aus über 140 Herkunfts-ländern.
Der vorliegende Antrag von Rot-Grün fordert jetzt also die Regierung auf, Förder- und Beratungsangebote aufzubauen, um die Gründungs- und Übergabeaktivitäten von Menschen mit Migrationshintergrund zu erleichtern und ihre Repräsentation in den Kammern zu stärken. Solch ein Programm kann in der Tat dort Erfolge zeigen, wo es wirklich migrantenspezifische Hürden gibt. Dazu haben Sie selbstverständlich unsere Zustimmung.
Ich bin allerdings auch der Auffassung, dass es in vielen Fällen völlig egal ist, ob jemand aus dem Ausland kommt oder nicht, wenn er oder sie vor dem Dickicht aus Vorgaben, Hürden und bürokratischen Abläufen steht, der in Deutschland regelt, wer welche Tätigkeit ausüben oder ein Unternehmen in welchen Bereichen gründen darf.
Doch anstatt diese Hürden abzubauen, wollen Sie weitere Fortbildungs- und Informationsprogramme aufbauen und so noch mehr Dickicht im Förderdschungel schaffen. Das ist genau der falsche Weg. Da würde ich mir gerade von Rot-Grün mehr Mut wünschen.
Außerdem möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen. Sie wollen kulturelle Vielfalt als Erfolgsfaktor nutzen. Nur 1,4 % der Migrantinnen und Migranten sind als Beamte tätig, aber 7,2 % der Menschen ohne Migrationshintergrund. Die haben eigentlich auch einen; ich habe das eingangs gesagt. Dieses Missverhältnis war bereits des Öfteren Thema im Landtag. Ein Durchbruch ist aber bislang noch nicht erreicht worden. Also auch hier gibt es im Sinne aller Menschen mit Migrationshintergrund noch viel zu tun.
Zudem kommt eines in Ihrem Antrag leider zu kurz. Bei den Unternehmensgründungen zählt Qualität und nicht Quantität. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann wird ersichtlich, dass der Selbstständigenanteil unter den Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund bei 9,6 % und damit nur geringfügig unter dem von Menschen ohne Migrationshintergrund mit 10,3 % liegt. Das stammt aus dem Teilhabe- und Integrationsbericht 2016. Das brachliegende Potenzial liegt also in erster Linie bei wissens- und technologiebasierten Gründungen und nicht darin, dass die Masse an Gründungen fehlt, wie Ihr Antrag impliziert.
Wir dürfen am Ende nicht vergessen – das ist die traurige Wahrheit –, dass Menschen mit Migrationshintergrund noch immer den Weg in die Selbstständigkeit gehen müssen, weil ihre Qualitäten auf dem Arbeitsmarkt nicht anerkannt werden. Die Selbstständigkeit ist also oft aus der Not heraus geboren. Das liegt zum einen daran, dass die Abschlüsse der Migranten nicht anerkannt werden. So ergeht es – laut Mikrozensus 2014 – 30 % der Migranten, die aus diesem Grund einen anderen als ihren erlernten Beruf ausüben müssen.
Wir leben leider immer noch in einem Land, in dem eben nicht gefragt wird: „Was kannst du?“, sondern: „Welches Zeugnis hast du in der Tasche?“ Das macht es den Migranten besonders schwer und stellt der Integration weitere unnötige Hürden in den Weg.
Aber auch Diskriminierung spielt eine Rolle. Untersuchungen zeigen, dass sich Jugendliche mit Migrationshintergrund sehr viel häufiger bewerben und entsprechend viele Ablehnungen bekommen. Rund 60 % der ausbildenden Betriebe haben noch immer keine Auszubildenden mit Migrationshintergrund. Damit bin ich nicht zufrieden, und damit können auch Sie nicht zufrieden sein. Hier ist noch viel Arbeit zu erledigen.
Wir stimmen der Überweisung in die Fachausschüsse selbstverständlich zu.
Ich möchte Ihnen zum Abschluss noch etwas erzählen, was mich vor einigen Jahren – 2001 war das, glaube ich – sehr beeindruckt hat: ein Essay von Thomas Kleine-Brockhoff mit dem für mich etwas unglücklich klingenden Titel „Wenn Rassenruhe ausbricht“. Er schildert dort eine Vorstadtsiedlung in einer größeren Stadt, in der Menschen aus 177 Herkunftsländern friedlich zusammenleben. Die Fragen sind: Was sind die Voraussetzungen dafür? Was muss passieren, damit so etwas geht?
Ich hatte es gesagt, und ich möchte es noch einmal verstärken: Diesen Menschen gemein sind unterschiedliche Identitäten, die zu Kreativität führen, sowie eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit und Bildung. – Es handelt sich bei dieser Vorstadtsiedlung übrigens um einen Vor-ort von San José im Silicon Valley. Das Silicon Valley kann man aus anderen Gründen sicherlich kritisieren, aber wir können nicht bestreiten, dass dort Innovation entsteht. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.