Meine Rede zu TOP 5 am 12. Mai 2016, Nach den TTIP-Leaks ist das öffentliche Vertrauen in das transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen vollkommen zerstört: TTIP muss ausgesetzt werden!
Antrag der Fraktion der PIRATEN – Drucksache 16/11888
Präsidentin Carina Gödecke- Ich rufe auf:
5. Nach den TTIP-Leaks ist das öffentliche Vertrauen in das transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen vollkommen zerstört: TTIP muss ausgesetzt werden!
Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/11888
Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der Piraten Herr Dr. Paul das Wort.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Vor etwa vier Jahren ist das hinter verschlossenen Türen ausgehandelte ACTA-Abkommen am zivilen Widerstand in ganz Europa gescheitert.
Aber ACTA war gestern – TTIP, CETA und TiSA sind heute. Die transnational operierenden Großunternehmen und ihre Buddies versprechen bedeutende Arbeitsplatzgewinne und Wachstum. Wir Kritiker hingegen warnen vor der Aushöhlung von demokratischer Entschei-dungsfindung, vor dem Absenken von Daten-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzstandards.
(Beifall von den PIRATEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Zu Recht!)
Über die Gefahren, die von TTIP für Demokratie und Rechtsstaat ausgehen, haben wir im Landtag auf unsere Initiative hin schon mehrmals debattiert.
Aus landespolitischer Sicht kann man TTIP nur ablehnen. Es muss davon ausgegangen wer-den, dass TTIP schwerwiegende Folgen für die nordrhein-westfälische Demokratie, regionale Unternehmen und die kommunale Familie hätte. Die Piraten lehnen TTIP ab – basta!
(Beifall von den PIRATEN)
Jetzt ist es mit den veröffentlichten Verhandlungsinhalten, den sogenannten TTIP Leaks, wieder zivilgesellschaftlicher Courage zu verdanken, dass wir endlich Klarheit haben. Es wurde, wie befürchtet, die ganze Zeit am Gemeinwohl der Europäer vorbeiverhandelt. Und wieder braucht es den beeindruckenden Einsatz von Whistleblowern, damit die Öffentlichkeit erfährt, wie ihre Interessen in Hinterzimmerverhandlungen verkauft werden.
(Zuruf von der FDP: Mein Gott!)
Wir Piraten fordern deshalb seit Langem einen gesetzlichen Whistleblowerschutz, idealerweise auf EU-Ebene, notfalls auch auf Landesebene. Doch die EU bewegt sich gerade in die entgegengesetzte Richtung. Die jüngst beschlossene Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist eine versteckte Whistleblower-Kriminalisierungsrichtlinie.
Die EU-Richtlinie verschärft das bereits bestehende gewaltige Machtgefälle zwischen Whistleblowern und Großunternehmen. Dieses Vorgehen vernichtet weiteres Vertrauen in die Europäische Union und ihre Institutionen. Denn die Qualität unserer Demokratie misst sich nicht zuletzt daran, wie wir diejenigen behandeln, die unter Gefahr für das öffentliche Interesse eintreten.
Auch wenn die SPD-Fraktion im Europaparlament der genannten Richtlinie zugestimmt hat, darf man einem SPD-Kollegen auch einmal Anerkennung zollen. Lieber Herr Kollege Töns, eine der kritischen Stimmen in der SPD, hat nun auch offen gegen die von oben verordnete Pro-TTIP-Linie rebelliert und von „überschrittenen roten Linien“ gesprochen.
Lieber Markus Töns, das ist dein Applaus von den Piraten!
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der FDP: Da freut er sich aber!)
Das begrüßen wir also. Ein gesamtparteiliches Umdenken wird in der SPD hoffentlich bald einsetzen.
Das Vertrauen der Menschen in die eigenen Verhandlungsführer, also in die EU-Kommission, ist zerstört. Das ist das Ergebnis der Politik der Intransparenz. An dieser Stelle sollten wir auch berücksichtigen, dass dieser Vertrauensverlust Verwesungsprodukte am politischen rechten Rand hervorruft, die wir alle nicht wollen.
Auf dieser Basis kann es also keine weiteren Verhandlungen geben. Wir Piraten bleiben da-bei: Die TTIP-Verhandlungen müssen beendet werden – ohne Wenn und Aber. Ein Aber gibt es aber doch: Es braucht einen kompletten Reset, einen Neustart, transparent, demokratisch legitimiert und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft. Wenn das nicht geht, dann darf es kein Handelsabkommen mit den USA geben.
Zum Schluss noch ein Signal an die ganz offensichtlich gammaverstrahlten Alphawölfe aus der FDP:
(Zurufe von der FDP: Oh je!)
Bei TTIP gibt es keinen Betatest!
(Zuruf von der FDP: Wir werden es vermissen!)
Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Töns das Wort.
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Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Höne. Sie haben es vielleicht gemerkt: Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention, und zwar von Herrn Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin, verehrter Herr Kollege Höne! Der Kern unseres Antrags zielte eigentlich auf den Vertrauensverlust und die Verhandlungs-führung durch die EU ab. Dankenswerterweise hat der Kollege Töns von Leitplanken für Frei-handelsabkommen gesprochen, und Herr Kollege Engstfeld hat noch mal deutlich auf die Differenz zwischen Risiko- und Vorsorgeprinzip hingewiesen.
Sie haben selber den alten Ricardo erwähnt. Bei den Freihandelstheorien ist die generelle Kritik ja die, dass man eigentlich anfängt – ich bin nicht dagegen; das sage ich ausdrücklich – Nationalökonomien als Betriebswirtschaften zu behandeln, um Angleiche voranzuführen.
Ich sage mal: Um dafür zu sorgen, dass eine amerikanische Mutter auf eine deutsche Schraube passt, brauche ich kein Freihandelsabkommen. Was ist die Position, was ist Ihre Sichtweise auf den Vorwurf, Nationalökonomien würden wie Betriebswirtschaften behandelt. Wo bleibt da für die FDP, für die Freie Demokratische Partei Deutschlands das demokratische Selbstbestimmungsprinzip?
Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Also, Herr Kollege Dr. Paul, Sie vermischen ja jetzt wieder den altbekannten Vorwurf, Demokratie würde mit solchen Freihandelsabkommen ausgehebelt, alles ginge den Bach herunter, es gäbe demnächst keinen Umweltschutz und keinen Verbraucherschutz mehr in Europa, und die ganzen Errungenschaften gingen verloren.
Dem stelle ich mich erst mal komplett entgegen. Das geben übrigens auch die Zwischenergebnisse so nicht her. Es gibt viele, viele keine Beispiele, über die zu verhandeln sich lohnt. Ich habe im letzten Jahr – das ist ein Praxisbeispiel – ein Unternehmen bei mir im Kreis Co-esfeld besucht, die Firma Jöst, die Rüttelmaschinen zum Weitertransport von entsprechenden Schüttgütern produziert. Die haben eine Standardmaschine, Kostenpunkt circa 5.000 €. Die Zulassungsgebühren für einen Einzelexport in die USA liegen ähnlich hoch, nämlich bei 5.000 bis 7.000 €. Verkaufte Maschinen trotz Interesses in die USA: Null.
Es ist ein kleiner mittelständischer Betrieb mitten in Westfalen, mitten im Kreis Coesfeld, dem gemeinsame Standards, die Anerkennung eines Zulassungsverfahrens für eine solche Maschine, helfen könnte, Arbeitsplätze zu sichern oder sogar auszubauen. Das hat in dem Moment überhaupt nichts mit der Aushebelung von Demokratie und ähnlichen Dingen zu tun.
(Beifall von der FDP – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das kann man anders regeln!)
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas. Aktuell, Herr Kollege Dr. Paul, werden ja verschiedenste Freihandelsabkommen im Moment noch ausgehandelt, oder es laufen schon welche. Mehrere hundert solcher Abkommen hat Deutschland ja abgeschlossen. Gegen keines von denen haben Sie Kampagnen geführt. Das ist übrigens entlarvend: Es geht Ihnen gar nicht um TTIP, es geht Ihnen auch gar nicht um Freihandel an dieser Stelle. Es geht um Antiamerikanismus,
(Widerspruch von den PIRATEN)
es geht um Globalisierungskritik,
(Beifall von der FDP – Gelächter bei den PIRATEN)
und es geht um die Sehnsucht nach der guten alten überschaubaren Zeit.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Henning Höne (FDP): Damit – das hat der Kollege Hovenjürgen eben schon angesprochen; Herr Kollege Schmalenbach, hören Sie gut zu! – sind Sie zusammen, Hand in Hand: Piratenpartei mit Linkspartei, mit AfD und mit Donald Trump. Für diese unheilige Allianz sind wir nicht zu haben.
(Lebhafter Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Duin das Wort.
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Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Für die Piraten hat jetzt noch einmal Herr Dr. Paul das Wort.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, liebe Frau Präsidentin. – Ich möchte mich bei Markus Töns und Stefan Engstfeld für die sehr sachlichen Beiträge und die deutlichen Hinweise bedanken – trotz aller Kritik an unserem Antrag.
Aber, Herr Höne, mit Ihrem Antiamerikanismus haben Sie ein sehr eingeschränktes Amerikabild gezeichnet. Denn es gibt auch ein Amerika eines Joseph Stiglitz, der auch vor diesem Freihandelsabkommen warnt. Es gibt das Amerika eines Noam Chomsky, eines Philip Mirowski, eines Philip Pettit. Wenn Sie heute etwas über Marx lernen wollen, müssen Sie schon nach Havard gehen. In Deutschland ist das nicht mehr möglich. Also ein Hoch auf Amerika. – Das ist die eine Seite.
(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)
Die andere Seite ist die, dass viele der regulatorischen Bedürfnisse im Zusammenspiel der Unternehmen und dem Welthandel keines Freihandelsabkommens bedürfen. Ansonsten – der Herr Minister hat es selber gesagt – ist nicht mehr von den völlig freien Schiedsgerichten die Rede, sondern man diskutiert mittlerweile auch Gerichtshöfe oder was auch immer, um die Entscheidungen über Streitfälle in nationalstaatliche Souveränität zurückzuverlegen. Aber allein die Tatsache des Versuchs, außerstaatliche Regulierungen angedacht zu haben, … Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): … spricht doch für einen Schariageist im Neoliberalismus. – Das musste ich noch loswerden.
(Beifall von den PIRATEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Ja!)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Dr. Paul. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.