Meine Rede zu TOP 1 am 16. September 2016 – aktuelle Stunde im Landtag NRW – Die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen – Pleite für Nordrhein-Westfalen bei der Vergabe von Breitbandmitteln des Bundes und Kritik der NRW-Wirtschaft an Politik der Landesregierung – Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/12903
Aus dem Plenarprotokoll:
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! G8 – das ist ungefähr so wie 50 MBit/s, und G9 entspräche einer Gigabit-Strategie. Aber Blaukraut bleibt Blaukraut, und Breitband bleibt Breitband.
(Beifall von den PIRATEN)
Am 6. September, Dienstag letzter Woche, war es dann so weit: Über 900 Millionen € Fördergelder wurden in Berlin für den Breitbandausbau ausgeschüttet – Fördergelder, die wir hier in Nordrhein-Westfalen wirklich gut brauchen könnten.
Doch ähnlich wie Mönchengladbach vorgestern Abend gegen Man City mit 0:4 unterging, war auch die zweite Förderrunde in Berlin eine herbe Niederlage für Nordrhein-Westfalen. Nicht einmal 3 % der Bundesfördersumme konnte nach NRW geholt werden.
(Dietmar Brockes [FDP]: Mönchengladbach holt das aber wieder auf!)
– Das hoffe ich.
(Michael Hübner [SPD]: Schalke hat gestern gewonnen!)
Nach diesem Hinspiel, der ersten Förderrunde im April dieses Jahres, gab es nun auch im Rückspiel eine Klatsche. Nach jeder Niederlage wird natürlich gefragt: Was ging schief? Wer trägt die Schuld?
An dieser Stelle möchte ich die Antragsteller, nämlich die Kommunen, ausdrücklich in Schutz nehmen. Denn was der Bund nicht schafft, was das Land NRW nicht schafft, wozu Telekommunikationsfirmen keine Lust haben, nämlich schnelles Internet in unterversorgte Regionen zu bringen, sollen nun die Kommunen organisieren. Ich sage Ihnen: Dafür benötigen unsere Kommunen in NRW noch viel mehr Unterstützung von dieser Landesregierung, als sie bis jetzt bekommen haben.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Aber auch mit mehr Unterstützung kann selbst die fleißigste Kommune nur so gut sein, wie es die Förderprogramme erlauben. Herr Vogt hat es angesprochen: Beim Bundesförderprogramm gab es von Anfang an beträchtliche Zweifel, ob NRW überhaupt eine Chance hat, davon zu profitieren.
(Ralph Bombis [FDP]: So ist es!)
Diese Zweifel wurden Ihnen, Herr Minister Duin, ins Stammbuch geschrieben, und zwar von Verbänden, von Kommunen und auch von uns. Grund dafür ist die Art und Weise, wie das Bundesförderprogramm aufgelegt wurde.
Deswegen war es auch fahrlässig von Ihnen, die Finanzierungsgrundlage Ihrer Breitbandpläne auf die Spekulation – und das Wort benutze ich hier ausdrücklich – zu gründen, Nordrhein-Westfalen würde nach dem Königsteiner Schlüssel etwa 22 % der Bundesmittel nach Hause holen können.
Denn im Gegensatz zu anderen Regionen Deutschlands gibt es in NRW meist einen Flickenteppich der Unterversorgung, aber eben nicht große, zusammenhängende weiße Flecken, und dafür gibt es in nun einmal in dem sogenannten Scoring des Bundesprogramms weniger Punkte für ein Ausbauprojekt. Resultat: Es wird nicht gefördert.
Die von der Landesregierung stolz nach außen kommunizierten angeblichen 500 Millionen € Fördermittel für den Breitbandausbau wird es deshalb nicht geben. Die Finanzierungsgrundlage ist auf Treibsand gebaut. Im Grunde ist das Instrumentarium der rot-grünen Breitbandpolitik damit schon erschöpft. Der Breitbandpolitik wurde die finanzielle Grundlage entzogen. Sie ist damit gescheitert.
Es gibt noch weitere massive Probleme mit der Förderlandschaft. Dass viele Projekte kurzfristig ausgerichtet sind, haben wir schon oft kritisiert.
Laut Patrick Helmes, Vorstandsmitglied des Glasfaserverbandes BUGLAS, habe die Telekom 80 % der Förderung in Bayern abgegriffen. Herr Minister Duin, stimmt die Größenordnung auch für NRW? Es kann doch nicht sein, dass der Magenta-Riese nach dem Geschenk, Vectoring-Monopole zu betreiben, nun auch noch das Monopol auf Fördergelder bekommt.
(Beifall von den PIRATEN)
Und wenn keine wirksamen Instrumente mehr zur Verfügung stehen, dann muss Rhetorik die Leere ausfüllen, und das haben wir gerade besonders beim Kollegen Bolte erlebt.
Meine Damen und Herren, so wie sich früher Wohlstand und Arbeitsteilung entlang der Flüsse und Handelsstraßen ausgebreitet haben, sind es heute die Datenströme, die zählen. Aber bislang durchziehen nur kleine, extrem zähfließende Datenadern das Land. Das muss sich ändern, und das können wir auch ändern.
Wir Piraten sind eine progressive Bewegung. Wir wollen die Zukunft mitgestalten. Doch manchmal lohnt sich eben auch ein Blick in die Vergangenheit, und da erscheint es wie ein Wunder, dass früher die Infrastruktur, die wir heute für selbstverständlich halten, tatsächlich aufgebaut wurde; ich rede hier von Wasserleitungen, Kanälen, Stromleitungen, Eisenbahnschienen usw. Ich frage Sie: Wie war das früher möglich? Konnten die Leute zaubern? – Das glaube ich nicht.
Und heute verzweifelt die Politik daran, ein nur wenige Zentimeter dickes Glasfaserkabel – offiziell heißt es Lichtwellenleiter – in die Häuser zu legen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
Was ist der Grund für diese Misere? Ich kann es Ihnen sagen: Die Politik denkt nur noch in Legislaturperioden, also bestenfalls in Jahreszeiträumen von fünf Jahren, und auch Unternehmen wollen allerspätestens nach fünf Jahren ihren Return on Invest.
Doch in diesen Zeiträumen lassen sich eben keine Infrastrukturaufgaben lösen. Denn beim Glasfaserausbau reden wir von einer Infrastruktur mit Amortisationszeiträumen von bis zu 20 Jahren. Da passen die Logiken einfach nicht zueinander.
Eine Studie der NRW.BANK hat die Kosten für ein flächendeckendes Lichtwellenleiternetz in NRW auf 8,6 Milliarden € beziffert. Das hört sich nach riesig viel an, wenn man in kurzen Zeiträumen denkt. In einem Abschreibungszeitraum von 20 Jahren sind das 2 € je Bürger pro Monat. Das ist also machbar.
Und was ist zu tun? Herr Minister Duin, wir brauchen einen Neustart in der Breitbandpolitik. Glasfaseranbindung ist öffentliche Daseinsvorsorge, und im digitalen Zeitalter darf es einfach keine unterversorgten Gebiete mehr geben.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir denken – und da haben Sie auch unsere Unterstützung, wenn Sie das machen –, eine bessere Politik ist machbar. Wir Piraten wollen, dass Nordrhein-Westfalen in der digitalen Champions League spielt und dort gewinnt.
(Beifall von den PIRATEN)
Der Bürger muss sich aber fragen, warum die Landesregierung noch immer als Amateurtanzgruppe mit Hoolaring und Medizinball auftritt. It’s time for a change! Packen wir es an!
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Jetzt spricht der fraktionslose Abgeordnete Schwerd.
Teil 2:
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Piratenfraktion Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer! Herr Bombis hat es gerade gesagt – wir sind ja heute bei den Kalauern und Fußballmetaphern –: Platz vier der Champions League ist ein Relegationsplatz. Da müsste man noch mal zulangen.
Aber ganz im Ernst: Dieses Bundesland Nordrhein-Westfalen, dessen Name ja mittlerweile ein Synonym für den Begriff „Strukturwandel“ ist, kann einen anderen Platz als Platz 1 nicht akzeptieren.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Herr Minister, ich glaube Ihnen: Sie haben vorhin eindrucksvoll und glaubwürdig erzählt, dass Sie – obwohl in Ihrer Rede der Begriff „50 Mbit“ ungefähr zehnmal so häufig wie „Gigabit“ auftauchte; ich habe mir mal den Spaß gemacht, die Worte zu zählen – bei der Beratung Ihrer Kommunen keine Fragen offen gelassen haben. Das ist gut so. Das ist löblich.
Ich erwarte von einer Landesregierung und dem zuständigen Ministerium, dass sie bei der Beratung der Kommunen antizipieren und den Menschen die Fragen beantworten, von denen sie noch gar nicht wissen, dass sie sie morgen haben werden, die sie aber heute stellen müssten. Das wäre essenziell.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie haben das richtig gesagt: 8,6 Milliarden € Landeshaushalt usw. Ich glaube – so viel Verbindendes wir bei dem Breitbandausbau auch haben –, dass es da schon eine Trennung gibt. Schauen wir uns an, wie die Infrastruktur im Energiebereich finanziert ist. Es gibt im Prinzip grob zwei mögliche Modelle:
Die Kommunen haben Anteil an den Unternehmen – wir wissen, wie das gerade bei den Energieversorgern schief gegangen ist. In meiner Partei ist ein Spruch sehr populär: Daten sind das neue Öl. – Ich finde den einerseits richtig, aber andererseits hängt er ein bisschen schief, denn, wenn man Öl verbrennt, ist es weg. Bei Daten gibt es Mehrfachnutzung.
Könnte man nicht in einem anderen Modell diese 8,6 Milliarden € in einer Weise aufbringen, dass die Kommunen Eigner der Glasfasernetze sind – Netze in Bürgerhand! –, dass die Kommunen dann an Telekommunikationsunternehmen, Dienstleister und Anbieter diese Glasfaserlichtwellenleiterstraßen vermieten und damit ihre Allmende ein Stück weit refinanzieren können? Das wäre unserer Auffassung nach ein herrliches, wunderbares dezentrales Modell für die Wissensgesellschaft der Zukunft – Netze in Bürgerhand!
(Beifall von den PIRATEN)
Vielleicht zum Schluss noch ein abgrenzendes Wort zu dem Kollegen der FDP, dem ich ja heute in vielen Fällen zugestimmt habe. Herr Bombis, im Wirtschaftsausschuss wird demnächst eine Anhörung zu einem Antrag von Ihnen veranstaltet, mit fünf Förderpunkten, die – nicht wortwörtlich, so klug sind Sie ja – aus fünf Piratenanträgen stammen. Unter anderem fordern Sie für das Land ein „Ministerium für Digitales“. Wir persönlich sprechen uns dafür aus. Das Original ist allemal besser als die neoliberal perforierte Kopie. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege.