vordenker news – September 2016 – 20 Jahre www.vordenker.de

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Das Online-Journal www.vordenker.de wird im September 2016 zwanzig Jahre alt.

Nochmal: ZWANZIG!! Echt. Keine übermäßig lange Zeitspanne, oder?

Aber im turbobeschleunigten und im immer noch weiter beschleunigenden Internet und seinen WWW-Portalen und Mobile-Apps sind das Äonen!

Im September 1996 ging das Journal online, gedacht als „Webforum für Innovatives in Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur“, wann genau, das lässt sich nicht mehr scharf angeben. Der Prozess war gewissermaßen fließend.

Die Cover-Seite war am 01.09. fertig, damals noch mit Wallpaper-Rauhfasertapeten-Hintergrund, mit Times New Roman als Haupttypo und ohne Stylesheets natürlich. (Einige Seiten sind immer noch so. Retro lebt. Nein im Ernst, wir sind einfach zu faul.)

Am 09.09. ging die von Larry Steindler verfasste und von mir als verantwortlichem Herausgeber mitunterzeichnete Erklärung online. In ihr wird deutlich gemacht, dass es bei www.vordenker.de wesentlich um die Tätigkeit des Vordenkens und die Einladung dazu an Leser und Autoren, neudeutsch User, geht. VOR wird also zeitlich, als in die Zukunft hinein verstanden.

Die ersten Beiträge, dass waren die Rezension eines Buches von Sherry Turkle, Life on the Screen, von Larry Steindler, Steffen Kirchners eindrucksvolle Darstellung der virtuellen Rekonstruktion eines Tempels der Kuschitenkultur aus dem heutigen Sudan, Günter Schulz steuerte einen langen heute fast schon prophetisch zu nennenden Aufsatz „Das Ende der Industriegesellschaft und ihre Wiedererschaffung als Literatur“ bei, Wilhelm Schäfers-Rüden erging sich als literarischer Nachdenker im Vordenker 😉 und der Herausgeber „meditierte“ über das Wort MultiMedia.

Nicht vergessen werden darf auch Zarathustra, ein Einpersonen-Theaterstück von H.K.J. Fritsche, geschrieben für Hans-Peter Minetti.

Der erste große „Kracher“ aber, der erste Beitrag eines namhaften und international bekannten „Stars“ aus der Wissenschaftsszene, der kam am 27.09. mit dem Exklusivbeitrag „Metaphysics of an Experimental Epistemologist“ von Heinz von Foerster, einer Laudatio auf Warren S. McCulloch, die „uncle Heinz“ ein Jahr zuvor auf Teneriffa als Rede gehalten hatte. Er erkannte sehr früh das Potential des WWW gerade für wissenschaftliches Publizieren und Open Access und steuerte seinen Redetext nur allzu gern bei. Näheres zur Entstehung dieser Kooperation gibt es im Aufsatz „Begegnungen mit Heinz von Foerster„.

Es folgten eine ganze Reihe bildende Künstler und Literaten. Mit der Dokumentation der Aufsätze des Philosophen Gotthard Günther (1900 – 1984) zum amerikanischen Phänomen der Science Fiction durchlief das eJournal eine erste Wandlung, es mutierte gewissermaßen zum Archiv.

Und das ist es bis heute geblieben, es gibt zwar immer wieder journalartige Präsentationen neu hinzugekommenen Materials, jene werden jedoch direkt ins Archiv gepackt und von dort heraus präsentiert. Zudem stellen Neuigkeiten keinen Zwang dar. Der Newsletter erscheint in unregelmäßigen Abständen, jedoch nicht häufiger als 6 mal im Jahr.

Den Zugriff per Autorennamen stellt die WebSite gerade noch bereit, für Stichwortsuchen jedoch bedient man sich externer Suchwerkzeuge wie der Suchmaschine mit den vielen o‘s oder der anonym suchenden Ente.

Einzigartig ist die vollständige Publikationsliste des Logikers und Philosophen der Technik und Kybernetik, Gotthard Günther, die sowohl den Printbereich als auch online Verfügbares chronologisch listet. Ein Archiv des jüngst verstorbenen Denkers und Ausnahme-Wissenschaftlers Rudolf Kaehr befindet sich in Vorbereitung.

Mal ein paar Zahlen: Die WebSite umfasst z.Z. eine Datenmenge von ca. 5 GByte, etwa 800 Textbeiträge von über 100 Autoren, 400 Bilder, 110 Audiobeiträge und einige duzend Videos. Sie verzeichnet konstant zwischen 100.000 und 150.000 Seitenaufrufe (Pageviews) pro Monat und aktuell laut Seokicks über 15.000 Backlinks von 440 Domains.

2010 kam der Blog hinzu, der diesen Beitrag eingerechnet mittlerweile zusätzliche 150 Beiträge und Gastbeiträge zählt.

Und: Das eJournal ist 100% werbefrei und wird es aller Voraussicht nach auch bleiben. (Trotz so einiger Anfragen.)


Und jetzt die News zum Jubiläum.

Im Jahr 1957 erschien Gotthard Günthers „Das Bewusstsein der Maschinen“, Untertitel „Eine Metaphysik der Kybernetik“ erstmals im Agis-Verlag Baden-Baden. 1962 erschien eine erweiterte 2. Auflage.

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Cover der 3. Auflage

Eine 3. nochmals erweiterte Auflage haben wir – Eberhard von Goldammer und Joachim Paul – anlässlich des 100. Geburtstages von Gotthard Günther (1900-1984) im Jahr 2000 zusammengestellt, die dann im Jahr 2002 wiederum im Agis-Verlag Baden-Baden erschien.

Den Verlag gibt es nicht mehr, selbst die 3. Auflage ist nur noch antiquarisch verfügbar. So entschlossen wir uns, das gesamte Werk, zugrunde liegt dabei der Text der zweiten Auflage, anlässlich des Jubiläums hier bereitzustellen. Mit den hier bereits veröffentlichten Texten ist damit auch der gesamte Inhalt der 3. Auflage online verfügbar.

Eberhard von Goldammer arbeitet in seinen Anmerkungen zu Gotthard Günther, „Das Bewusstsein der Maschinen“, „Der blinde Fleck der Physik … The Dead-End Street of Artificial Intelligence“ noch einmal die Bedeutung des Güntherschen Werkes heraus, das übrigens hervorragend geeignet ist, der aktuell komplett aus dem Ruder laufenden hysterischen Debatte um die sogenannte Künstliche Intelligenz und der Angst vor der Superintelligenz – siehe hierzu beispielsweise Nick Bostrom, Superintelligenz – erneut wesentliche Substanz beizusteuern. Es lässt sich im Grunde schnell verstehen, dass ein Homunkulus alchimistischem Gedankengut entspringt, wohingegen ein Robot etwas völlig anderes ist, aber ich greife vor ….

Hier nochmal kompakt alle Links …

Gotthard Günthers Das Bewusstsein der Maschinen in der 2. Auflage, Baden-Baden 1962

Einführung und Vorwort der Herausgeber E. v. Goldammer und J. Paul zur 3. Auflage, Badan-Baden 2002

Erweiterter Anhang der 3. Auflage, Gotthard Günther, Cognition and Volition – A Contribution to a Theory of Subjectivity. Der Deutsche Titel dieses Textes lautet „Erkennen und Wollen – Cognition and Volition„.

Eberhard von Goldammer, Anmerkungen zu Gotthard Günther, Das Bewusstsein der Maschinen, Der blinde Fleck der Physik … The Dead-End Street of Artificial Intelligence

Ebenfalls hilfreich zur Einführung ist der Artikel zu Gotthard Günther in der deutschen Wikipedia sowie Engelbert Kronthaler, Anmerkungen zu Gotthard Günther ‚Das Bewusstsein der Maschinen‘, vordenker 2014

Das ist jedoch längst nicht alles, Wir freuen uns außerordentlich, einen weiteren Wissenschaftler und Vordenker im Vordenker erneut begrüßen zu dürfen:

Prof. Dr. Alfred Toth, Promotion in Mathematik (1988), in Philosophie (1990 bei Prof. Dr. Max Bense), Habilitation in Mathematik (1995), leitet seit 2001 das Semiotisch-Technische Laboratorium (STL) in Tucson, Arizona. Seine Hauptarbeitsgebiete sind Topologie, Kategorietheorie, Zeichentheorie (Semiotik) und Objekttheorie (Ontik).

Er ist der Überzeugung, dass ein Großteil der Fragen, welche die Kybernetik der 1960er Jahre aufgeworfen hat, heute noch nicht einmal ansatzweise beantwortet sind und dass es eine sehr große Anzahl weiterer Fragen gibt, deren Wurzeln in die gleiche Zeit zurückreichen und die von größter Bedeutung für die Gegenwart sind.

Diesem kräftigen Statement schließen wir uns vorbehaltlos an …

Prof. Dr. Toth stellt gleich drei Aufsätze aus eigenem Schaffen bereit:

1. Komplexe semiotische Zahlen
2. Ein 5-kontexturales Stellenwertsystem für die triadisch-trichotomische Semiotik
3. Semiotische Core- und Frame-Klassen

Alle drei Arbeiten sind hier erstveröffentlicht und stehen in direktem Bezug zur Arbeit des jüngst verstorbenen Rudolf Kaehr.

Auch die literarische Seite soll bei einem solchen Jubiläum nicht zu kurz kommen.

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Cover der Anthologie

Matthias Hagedorn widmet sich einer jüngst erschienenen Anthologie, Twitteratur, Genese einer Literaturgattung, und arbeitet jenseits kulturpessimistischer Haltungen mögliche Bereicherungen heraus:

Technische Neuerungen sind immer auch eine Chance für scheinbar überholte literarische Formen. Bisher bilden die kleinen Formen in jeder Systematik der Literaturwissenschaft neben Epik, Lyrik und Dramatik mit unterschiedlichen Bezeichnungen eine Randgruppe: Epigramm, Sprichwort, Prosagedicht, Kürzestgeschichte und selbstverständlich der Aphorismus. Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist der althergebrachte Aphorismus in Form des Mikroblogging eine auflebende Form. Bestand die Modernität dieser Notate bisher in ihrer Operativität, so entspricht diese literarische Form im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Denkgenauigkeit der Spätmoderne. -> weiterlesen

 

 

 

kroetzenbroda-cover-250Last but not least dürfen wir einen Roman ankündigen, der sich womöglich anschickt, Kultstatus zu erlangen. In ihm lassen die Autoren Dr. Erich M und Erich X die alte DDR und den Turboneoliberalismus humoristisch aufeinanderprallen. Was mag daraus Neues entstehen?

Das kleine gallische Dorf, das im Comic dem römischen Imperium hartnäckig Widerstand entgegensetzt, kennt jeder. Es liegt in Frankreich und es ist weltbekannt. Bald dürfte in Deutschland ein weiteres Dorf sprichwörtlich hinzukommen, in dem die DDR fiktiv weiterexistiert und das auf realsozialistische Weise der heutigen neoliberal formierten Welt listig die Stirn bietet: Die Rede ist von Krötzenbroda, wie das kleine, ebenso verschrobene sächsische Dorf in dem gleichnamigen Roman heißt, der soeben unter Pseudonym erschienen ist. Darin wird auf höchst komische Weise der Zusammenprall zweier Welten beschrieben. Man lacht Tränen darüber, was in dem Roman aus Clemens v. Schmaedeke, einen an der  Holger-Börner-Business School Schwetzingen ausgebildeten Jungmanager wird, der von der Firma IDOPSA International den Auftrag erhält, im sächsischen Krötzenbroda ein Callcenter zu errichten und dafür Minijobber und HARTZ-IV Bezieher zu rekrutieren. Dass er bei seiner Mission Impossible auf eine junge Physikerin und Kulturfunktionärin namens Angela Kastner trifft, deren Vorbild die heutige Bundeskanzlerin sein dürfte, ist nur ein Aspekt der vielschichtigen Handlung des Romans. Schmaedeke, der in Krötzenbroda jede Orientierung verliert, werden bei seinen Bemühungen von den Dorfbewohnern immer wieder Steine in den Weg gelegt. Auch die Stasi schaltet sich gierig nach der von ihm mitgeführten neuesten Technik aus dem Westen ein und umspinnt ihn. Schließlich gerät der Jungmanager in den Strudel einer Anschlagsserie, die von einer westlichen Untergrundorganisation in Krötzenbroda gesteuert wird. Im Mittelpunkt der humorvollen Geschichte jedoch steht die durchaus ernstliche Frage danach, welche der beiden sich gegenüberstehenden Welten die lebenswertere ist, worauf am Ende augenzwinkernd eine Antwort gegeben wird. Ein Roman, der in seinem anarchischen Witz das Zeug dazu hat, zu einem Kultwerk zu werden.

Spaß und Anstrengung beim Lesen und Stöbern wünscht,

Ihr vordenker team,
stellvertretend Joachim Paul (Hrsg.)

 

 

2 Gedanken zu „vordenker news – September 2016 – 20 Jahre www.vordenker.de

  • 21. September 2016 um 23:09 Uhr
    Permalink

    „Das Bewusstsein der Maschinen“ als pdf im Netz – Klasse!

  • 21. September 2016 um 12:04 Uhr
    Permalink

    Die Bibliographie von GG ist vollständig?
    Prima. Habe mir nämlich letztens das komplette BCL-Archiv besorgt,
    dann kann ich ja mal gezielt nach GG’s Artikeln suchen und muss nicht
    das gesamte Archiv durchkämmen…

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