Meine Rede zu TOP 11 am 16. März 2017, Fortschritt durch Industrie 4.0 für NRW gestalten – Investitionen und Innovation für gute Arbeit fördern
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/12853
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – Drucksache 16/14418
Entschließungsantrag des Abg. Schwerd (fraktionslos) – Drucksache 16/12906
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU – Drucksache 16/14521
Die Sprechblase Industrie 4.0 wird entlarvt.
Aus dem Plenarprotokoll:
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Industrie 4.0, die Idee der webbasierten vernetzten Fabrik feiert in diesem Jahr den fünften Geburtstag. Wir müssen aber leider auf fünf weitgehend verlorene Jahre zurückblicken, in denen weder die Bedeutung des Themas erkannt wurde noch die Zielgruppe von Industrie 4.0, der produzierende Mittelstand, wirklich adressiert worden ist.
Industrie 4.0, diese nur in Deutschland vorhandene Marketingsprechblase – woanders heißt es Internet of Things –, wird vornehmlich von zwei Gruppen vorangetrieben, nämlich den Fabrikausrüstern und der Forschung. Für die Fabrikausrüster ist Industrie 4.0 ein willkommenes Konjunkturprogramm, und die Forschung freut sich über Zuwendungen aus der öffentlichen Hand. Diese Protagonisten treiben in ihrer Rolle als Experten die Politik vor sich her und beeinflussen maßgeblich die Agenda und die Mittelverwendung. Hier liegt ein basaler Konstruktionsfehler der Förderung vor. Die Experten sind auch gleichzeitig die Nutznießer dieser Gelder. Es besteht zweifelsfrei ein Interessenskonflikt.
Fokussiert wird dabei lediglich die Automation. Das erzeugt wenig wirklich Innovatives. So erscheint Industrie 4.0 als eine Fortführung der Automation, die wir bereits seit 70 Jahren haben. Industrie 4.0 kommt aus der Fabrik nicht heraus. Das Denken endet am Werkstor. Dabei wird fast ausschließlich mit Effizienzgewinnen argumentiert. Fragen von Nachhaltigkeit und guter Arbeit werden allenfalls am Rand diskutiert, wobei ich mich über die Rede von Frau Dr. Beisheim gerade wirklich gefreut habe.
Industrie 4.0 spricht nur von Chancen und von Vorteilen. Gegenüber dem Mittelstand wird mit Angst vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit argumentiert und das Gefühl der Alternativlosigkeit vermittelt. Vertrauensbildung geht anders. Deshalb fühlt sich der Mittelstand von Industrie 4.0 nicht so recht angesprochen. Er ist skeptisch und abwartend.
Es ist die Rede davon, dass die Arbeit in den Fabriken hochwertiger wird und der Mitarbeiter zum Dirigenten der Wertschöpfung wird. Das ist nicht richtig. Vielmehr verschiebt sich die Macht in den Fabriken grundlegend und zum Nachteil des Mitarbeiters. Der Mitarbeiter wird seine Anweisungen künftig von Maschinen, Algorithmen oder direkt vom Material erhalten und nur noch einfache Hilfstätigkeiten ausführen. Ein eigenartiges Verständnis von Dirigententum!
Anders als heute sind die Mitarbeiter auch nicht mehr länger eingeladen, dieses System mitzugestalten. Dies wird wieder nur die alleinige Aufgabe der Ingenieure sein und ist damit ein ganz klarer Schritt in die längst überwunden geglaubte Zeit der Massenfertigung. Von guter Arbeit also keine Spur! Die Macht hat derjenige, der sich zwischen Produzent und Kunde schiebt. Dies gelingt den Internetmultis in den Sektoren wie Freizeitverhalten, Handel und Mobilität bereits jetzt hervorragend. Warum sollten sie nicht auch versuchen, die Kontrolle über die industrielle Wertschöpfung zu erlangen? Konzepte, wie dem zu begegnen ist, sucht man bei Industrie 4.0 allerdings vergebens. Stattdessen feiern sich die Protagonisten für Detaillösungen der Fabrikautomation.
Deutschlands Antwort auf diese Herausforderungen besteht im Ertüfteln von technischen Schnittstellen, während man in den USA Geschäftsmodelle entwirft. Deutschland will wissen, wie Industrie 4.0 technisch geht. Die USA will wissen, wie man damit Geld verdient.
Das Internet der Dinge ist eine Technologie, die weit über die Fabrikgrenzen hinaus unsere Welt verändern wird. Industrie 4.0 beschäftigt sich hierzulande aber nur mit der Perfektionierung des Bestehenden. Sie kommt nicht über die fabrikfixierte Nabelschau im Rahmen herkömmlicher Geschäftsmodelle mit dem ausschließlichen Ziel der Effizienzverbesserung hinaus. Es sollte Aufgabe der Industriepolitik sein, dies zu ändern. Es kann nicht darum gehen, die klassische Industrie mittels Automation zu ertüchtigen, sondern es muss darum gehen, Modelle für die Industrie der Zukunft zu entwickeln.
Wir haben mit dem Internet der Dinge eine mächtige Technologie in den Händen. Sie gibt uns die historisch einmalige Chance, zu bestimmen, wie wir zukünftig leben, wirtschaften und arbeiten wollen. Deshalb muss das Thema endlich von den Menschen und der Gesellschaft her gedacht werden. Eine gute Industriepolitik muss genau hier ansetzen.
Der Antrag von Rot-Grün enthält ein paar gute Ansätze. Wir werden uns daher bei der Abstimmung enthalten.
Der Antrag des Kollegen Schwerd enthält viele richtige Beobachtungen im Analyseteil, spricht jedoch vom Erhalt der sozialen Errungenschaften, statt von ihrer Erweiterung, was ein Piratenziel ist. Als Adresse an die Linken: Wir werden den Antrag ablehnen. Ihr springt da immer zu kurz.
Der CDU-Antrag möchte durch die Hintertür wieder einmal in Berufskollegs bestimmte Software und Hardware von Herstellern einführen. Das hatten wir hier schon einmal. Das wollen wir nicht. Auch an die Adresse der CDU: Seid ihr wirklich so schlecht aufgestellt, dass ihr den Kollegen Stein ins Rennen schicken müsst? Der ist nicht einmal im Wirtschaftsausschuss.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich kann nur sagen: Digitale schwarze Null! – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nun spricht der fraktionslose Kollege Herr Schwerd.