Meine Rede zu TOP 2 am 5. April 2017 – 60 Jahre Römische Verträge – Nordrhein-Westfalen würdigt und feiert die Grundsteinlegung für die Europäische Union
Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 16/14652
in Verbindung damit – Die europäische Wertegemeinschaft erhalten, um sie zu verbessern!
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/14663
Entschließungsantrag der Fraktion der PIRATEN – Drucksache 16/14758
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP – Drucksache 16/14762
Aus dem Plenarprotokoll: Vizepräsident Oliver Keymis: Als nächster Redner spricht für die Fraktion der Piraten Herr Dr. Paul.
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, lieber Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! – 2017 markiert das Jubiläumsjahr der Römischen Verträge, das Fundament der heute so viel gescholtenen Europäischen Union. Schon damals, 1957 – übrigens mein Geburtsjahr –, wurde der Grundstein für das Europäische Parlament, einer weltweit einmaligen Institution der Demokratie, gelegt. Das sollte man nicht vergessen.
Auch nicht vergessen darf man – bei aller angebrachten Kritik an den europäischen Institutionen –, dass die EU weltweit als eines der erfolgreichsten Demokratie- und Freiheitsprojekte der jüngeren Geschichte angesehen wird. Doch trotz ihrer Verdienste haben die Verantwortlichen in der Kommission, im EU-Parlament und vor allem die Staats- und Regierungschefs das Einlösen zahlreicher zentraler Versprechen sträflich vernachlässigt, und das viel zu häufig einzig und allein aufgrund mangelnden politischen Willens, dem undemokratischsten aller möglichen Gründe.
Der wohl gravierendste Konstruktionsfehler der EU ist ihr Defizit an demokratischer Legitimation. Das besteht seit ihrer Gründung. Der Einigungsprozess konzentrierte sich vornehmlich auf wirtschaftliche Integration mit guten, aber teils auch verheerenden Resultaten, wie die Finanzkrise 2007/2008 zeigte. Politischen Entscheidungen auf europäischer Ebene müssen europaweite öffentliche Debatten vorausgehen, an denen sich alle Menschen angemessen beteiligen können. Ohne eine gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Kommunikation ist das unmöglich.
Mit dem Internet steht uns heute ein Werkzeug zur Verfügung, das den Menschen in der EU politische Entfaltungschancen eröffnen kann. Wir Piraten wissen das: Zur Überwindung des Demokratiedefizits brauchen wir eine echte europäische Öffentlichkeit auf der Basis eines freien Internets. Daran arbeiten wir jeden Tag.
(Beifall von den PIRATEN)
Auch die EU muss hier einen eigenen Beitrag leisten. Im Zuge der digitalen Revolution muss beispielsweise ein Recht auf digitale Teilhabe an der Gesellschaft in der europäischen Grundrechtecharta verankert werden.
Ich möchte aber auch auf die tagesaktuellen und dringenden Herausforderungen Europas zu sprechen kommen – weg von den wichtigen und teilweise sehr abstrakten Langzeitproblemen.
Der Brexit ist die Mutter aller Lose-lose-Situationen. Die verantwortlichen politischen Entscheider müssen nun Antworten auf diesen bedauernswerten Zustand finden – das wurde hier schon mehrfach erwähnt –, unter anderem Antworten in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung, Handel und Arbeitnehmermobilität, Wahlrecht und Medien. Das sind nicht nur Landesinteressen, sondern das betrifft auch Kompetenzen. Deshalb war es richtig, dass sich der Bundesrat im März in einer Entschließung für eine enge Einbeziehung der Länder in die Brexit-verhandlungen ausgesprochen hat. Warum Nordrhein-Westfalen nicht auch Mitantragsteller der Entschließung war, wird uns sicherlich Herr Minister Lersch-Mense erklären können.
Auch ein ganz eigenes Anliegen Nordrhein-Westfalens ist vom Brexit betroffen: Die heute in London ansässige Europäische Arzneimittel-Agentur EMA braucht demnächst einen neuen Standort innerhalb der EU. Hier muss die Bundesstadt Bonn positioniert werden, um die EU-Agentur nach Nordrhein-Westfalen zu holen – ein idealer Standort sowohl für NRW als auch für die EU.
Ein weiteres Thema, das endlich konsequent angegangen werden muss, ist die Situation der Geflüchteten in der EU. Die europäische Flüchtlingspolitik muss endlich auf ein nachhaltiges, humanes und dezentrales System umgestellt werden. Was für den landespolitischen Integrationsplan gilt, gilt auch für die europäische Flüchtlingspolitik: Wir müssen weg von der Abwehrhaltung und dem Aussitzen der Flüchtlingssituation.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte zusammenfassend einen Blick auf die Zukunft der EU werfen, denn die Frage lautet ja – das wurde von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern bestätigt –: Wo wollen wir als Europäische Union eigentlich hin? Die Antwort der Piraten ist eindeutig: Wir brauchen ein Update des politischen Systems der EU und eine grundlegende Reform der Beziehungen zu den Mitgliedstaaten und Regionen – kurzum: eine demokratischere Basis.
Der Dialog mit den Menschen muss unmittelbar in den Regionen, Gemeinden und Kommunen passieren, in den Town-hall-Meetings und Bürgermeistersprechstunden, in den Landesforen und Landtagsausschüssen. Hier kommt Nordrhein-Westfalen als einem aktiven europapolitischen Player eine ganz besondere Verantwortung zu. Dies drückt sich auch in der Fortführung der wichtigen Arbeit des Europaausschusses des Landtags von Nordrhein-Westfalen aus.
Meine Damen und Herren, ich hatte es bereits in einer der letzten Europadebatten gesagt: Wir brauchen eine positive Vision für unseren Kontinent. – Diese Vision beleuchten wir in unserem Entschließungsantrag. Denn oftmals bedeutet die EU für die junge Generation nur noch einen leblosen Binnenmarkt oder ein chancenvernichtendes Spardiktat. Was wir brau-chen, ist ein Europa des sozialen Ausgleichs, der politischen Transparenz, der Bildung in der digitalen Welt und der fairen Unternehmensbesteuerung. Ein Systemupdate für Europa ist verfügbar. Lassen Sie uns das bitte gemeinsam installieren.
Herr Wolf, Sie haben gerade die Globalisierung und den Wettbewerb in Europa angesprochen. Ich glaube, man darf an der Stelle nicht vernachlässigen, dass Europa eigentlich als Mannschaft auftreten sollte, und dann muss man gucken, dass die Mannschaft insgesamt und nicht nur einige wenige gut aufgestellt sind. Das ist meiner Meinung nach wesentlich.
Die vier Anträge der Fraktionen legen eigentlich so etwas wie einen gemeinsamen Antrag nahe. Ich möchte allerdings auch zum Ausdruck bringen, dass die vier Anträge zeigen, dass man sich dem Thema „Europa“ auf unterschiedlichste Weise nähern kann, aber trotzdem ist das grundsätzliche Bekenntnis zu Europa dabei nicht infrage gestellt. Das ist eben auch Element einer klaren Haltung aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen und dem Europaausschuss.
Lassen Sie mich abschließend den scheidenden Kolleginnen und Kollegen auch noch persönlich danken. Liebe Ilka, lieber Markus, lieber Ingo, bei allem Streit, den wir im Ausschuss – manchmal auch recht heftig – geführt haben, denke ich, dass ich als Jungparlamentarier (Vereinzelt Heiterkeit)
ein bisschen von euch gelernt habe. Das war gut. Ich sage jetzt noch nicht „Auf Wiedersehen!“; denn ich kandidiere noch einmal, und da halte ich es mit Katja Ebstein: Wunder gibt es immer wieder. – Vielen Dank.
(Heiterkeit – Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Paul für die Piratenfraktion. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Lersch-Mense, der zuständige Europaminister.