Ein weiterer Beitrag aus der Reihe „Sternstunden des Parlamentarismus“, Nico Kerns wunderbare Rede zu TOP 13 am 06. April 2017 – Viertes Gesetz zur Änderung der Landeshaushaltsordnung – Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenregel in das nordrhein-westfälische Landesrecht
Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/13315
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 16/14686
Entschließungsantrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/14760 – Neudruck
Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 16/14792
zweite Lesung
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Kern.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden jetzt Zeuge eines äußerst seltenen Vorgangs werden. Ich werde als Pirat die Worte eines CDU-Politikers loben. Das Zitat bezieht sich auf die Einführung der Schuldenbremse in Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz und lautet:
„Die CDU-Fraktion ist mit allen anderen Fraktionen … darin einig, dass ein derartiges Verbot nicht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für die Länder … normiert werden kann. Landtagspräsident … hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Föderalismuskommission verabsäumt wurde, den Ländern eigene steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen.“
Weiter:
„Können die Landtage jedoch bei den Einnahmen nichts bewirken, dann kann der Bund uns auf der Ausgabeseite auch keine restriktiven Vorgaben machen. Alles andere liefe … auf eine Kastration der Landtage hinaus.“
Erst hier endet das Zitat. Dies ist ein Zitat des schleswig-holsteinischen Fraktionsvorsitzenden der CDU aus einer Landtagsdebatte von 2009. Dem stimmte damals auch der Fraktionsvorsitzende der SPD, ein gewisser Ralf Stegner, zu. In derselben Debatte sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Kubicki – Zitat –:
„Erstens darf die Ausgestaltung des Schuldenverbots nicht zu starr sein. Das heißt, eine Verschuldung für Investitionen muss aus der Sicht der FDP-Fraktion möglich sein.“
In der Debatte über den Antrag stimmten übrigens alle Fraktionen, auch die Grünen, darin überein, dass eine im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse unzulässig in die Souveränität des Landes eingreift und daher verfassungswidrig ist.
(Beifall von den PIRATEN)
Alle Argumente gelten auch in der hier und heute stattfindenden Diskussion über die Schuldenbremse in NRW. Doch davon wollen Sie alle nichts wissen. Sie, liebe Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP überlassen ab dem Jahr 2020 wichtige Investitionsentscheidungen lieber den Finanzinvestoren und Renditejägern; denn die durch die Schuldenbremse entstehende Investitionslücke kann doch nur durch renditegetriebene Privatinvestoren gefüllt werden. Die Einführung der Schuldenbremse im Bund und Ländern wirkt somit wie ein Gaspedal für Privatisierungen und ÖPP-Projekte. Dabei machen wir Piraten nicht mit.
(Beifall von den PIRATEN – Stefan Zimkeit [SPD]: Wenn es in der Verfassung steht!)
Was dabei herauskommt, hat der Bundesrechnungshof bereits ausführlich dokumentiert: Der Bürger zahlt immer drauf – immer.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Wir haben einen großen Fehler im Grundgesetz!)
Mit ÖPP wird es immer teurer – teurer, als wenn die öffentliche Hand direkt investiert. Ich sage Ihnen voraus, dass die ÖPP-Projekte das Missmanagement beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW noch in den Schatten stellen werden. Wie beim BLB wird dem Landtag nur noch übrig bleiben, mittels Untersuchungsausschüssen dem Missmanagement hinterherzuräumen. Vom Primat der Politik wird dann nicht mehr viel übrig bleiben.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das gehört dazu!)
Die Schuldenbremse ist daher nichts anderes als parlamentarische Untreue am Staatsvermögen.
(Zuruf von der CDU: So ein Blödsinn!)
Nichtstun ist Machtmissbrauch, sagt die FDP. Ich sage: Selbstentmachtung ist Landesverrat.
(Beifall von den PIRATEN – Stefan Zimkeit [SPD]: Da will einer unbedingt zum Schluss noch in die Zeitung kommen!)
Es wird gerne behauptet, man müsse aufgrund der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse diese auch auf der Landesebene regeln, um noch einen haushaltspolitischen Spielraum in Notsituationen zu haben. Tatsache ist, Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz ist einer der größten verfassungsrechtlichen Fehlgriffe des Bundesgesetzgebers. Die Eigenständigkeit der Länder ist vor Zugriffen des Bundes durch das Prinzip der Bundesstaatlichkeit geschützt. Es kann auch nicht mit einer Zweidrittelmehrheit ausgehebelt werden.
Somit hat die Schuldenbremse im Grundgesetz für NRW auch keine Geltung. Darum ist es den Befürwortern der Schuldenbremse ja auch so immens wichtig, sie in der Landesverfassung zu verankern. Aber keine Sorge: So, wie die politischen Mehrheiten hier sind, wird auch eine einfachgesetzliche Verankerung über Jahre in NRW Bestand haben. Wenn es der SPD tatsächlich um soziale Gerechtigkeit ginge, dann würde sie gegen die Schuldenbremse in Karlsruhe klagen. Aber so landet die soziale Gerechtigkeit mit der SPD und dem Schulz-Zug mal wieder auf dem Abstellgleis.
(Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Ich komme zum Schluss. Mit dem heutigen Beschluss unterschreiben Sie Ihr eigenes Entlassungsschreiben und stellen sich ein politisches Armutszeugnis aus. Wir Piraten lehnen als einzige Fraktion die Schuldenbremse grundsätzlich ab.
(Christian Möbius [CDU]: Die ist aber da!)
Die Begründung können Interessierte gern noch einmal ausführlich in unserem Entschließungsantrag Drucksache 16/14760 nachlesen. Wir werden Ihr Gesetz ablehnen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Nun hat sich der fraktionslose Abgeordnete Herr Schulz gemeldet.