Postprivacy: Filtersouveränität schon am Ende?

Das Vorgehen der Spackeria ist schon bewundernswert, keine Frage. Minimaler Inhalt, maximaler Effekt. Schließlich geht es ja um die Entleerung menschlicher Subjektivität in die Maschine … irgendwie. 😀 – Es ist alles im Netz und ich bin so leer …
Jedoch kann ebensowenig Zweifel daran bestehen, dass die kulturellen Konzepte von Privatsphären und Öffentlichkeiten diskutiert werden müssen im Hinblick auf mögliche Transformationen – oder spackeresk postmodern transpopulistisch – im Hinblick auf die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Hinweg-Dekonstruktion im Framework des Überstiegs zum Transhumanen. Allein das Wie ist die Frage, denn der argumentative Boden, auf dem sowohl die Postprivacy-Apologeten als auch die Datenschützer stehen, weist so einige Löcher und Stolperfallen auf.

Das Konzept der Privatsphäre als Strukturelement unserer Kultur oder als strukturelles Kulturem – und hier machen sowohl die Spackeria mit ihrer Idee der Postprivacy als auch der klassische Datenschutz keine Ausnahme – wird landläufig meist diskutiert als bestimmter Bereich des Individuums und seines Beziehungsfeldes, aus dem Informationen nicht an die  Öffentlichkeit(en) gelangen sollen. Demgegenüber steht jedoch auch das Strömen von Informationen in den Bereich des Privaten hinein. Die Membranen des Privaten sind bezogen auf den Informationsfluss bidirektional durchlässig – das waren sie schon immer – und eine Frage, die sich dazu ergibt, ist die nach der Kontrolle der Informationsflüsse. Dabei tat man bisher und in erster Näherung so, als sei die Privatperson zu aller und jeder Zeit der Souverän ihres Informations-Inputs, als sei sie also in der Lage, über ihren Informations-Input die Kontrolle zu bewahren.
Aus der Biologie wissen wir, je komplexer die Struktur eines Lebewesens, umso komplexer sind auch dessen Filter zum Prozessieren der Signale der Welt beschaffen. Das liegt in der Natur der Sache. Und es besteht kein Grund, diese allgemein akzeptierte Tatsache nicht auch auf kulturelle Wesen wie uns zu beziehen. Auf der kulturellen Ebene arbeitet das Bewusstsein als Informationsraffer, eine Erkenntnis, die in dieser Formulierung auf die frühen Kybernetiker wie W. Ross Ashby und Gotthard Günther zurückgeht.

Für den kulturstiftenden Bereich in Bezug auf Medien fasst dies Stefan Münker noch einmal gut zusammen, wenn er unter Rekurs auf Rösler und Habermas sagt:

„Das Begriffspaar „öffentlich“ und „privat“ ist seither in einer engen Konstellation verbunden; und es ist in seiner Differenz für die Entwicklung des modernen Individuums ebenso wie für die Entwicklung der modernen Gesellschaft konstitutiv. So wichtig gerade in der modernen Gesellschaft der Schutz des Privaten für die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens ist, so entscheidend ist die Möglichkeit der Transzendierung des privaten Raumes für die Konstruktion einer kollektiv bestimmten öffentlichen Sphäre. Die Konstruktion von Öffentlichkeit wiederum ist anders als medial nicht zu haben – und Veränderungen der medialen Konstellationen haben nicht nur immer schon ihre Spuren in der public sphere, sondern damit eben immer auch zugleich im Verhältnis zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten hinterlassen.“ [Stefan Münker: Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0., Frankfurt 2009, S.115]

Darüber hinaus wäre der Informationsbegriff und das damit verbundene Modell mit den vier Komponenten Sender, Empfänger, Information und Rauschen selbst zu hinterfragen. Schon Heinz von Foerster, einer der Mitbegründer des radikalen Konstruktivismus, kritisiert ihn als von Shannon und Weaver verursachte erkenntnistheoretische Katastrophe, es hätte besser Signaltheorie als Informationstheorie geheißen. Das ist eine andere Geschichte. Im Moment soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden.

Für die aktuelle Diskussion aber, die sich an den Grenzlinien zwischen Postprivacy-Idee und Datenschutzbedürfnissen entzündet, ist es sicher sinnvoll, eine kritische Methodenreflexion aufzurufen, die sich schon aus dem Streit um die sog. künstliche Intelligenz ergab, und zwar – wie dies der Mathematiker und Philosoph Rudolf Kaehr ausführt, sowohl als Korrektiv gegen falsche Erwartungen wie auch als Ort der systemtranszendierenden Innovation gegen falsche Einschränkungen sowie im Sinne einer kritischen Wissenschaftlichkeit.
Im Rückgriff auf die Hermeneutik Heideggers kritisiert Hubert Dreyfus in „Cybernetics as the last State of Metaphysics“[Akten des XVI. Int. Kongr. f. Philos., Wien, 1968] Marvin Minskys Statement „There is no reason to suppose machines have any limitations not shared by men“, indem er auf einen „infinite regress“ bzw. einen circulus vitiosus hinweist.
Wenn wir voraussetzen, dass unsere Welt aus einer indefiniten Mannigfaltigkeit von Informationseinheiten (bits) besteht, dann muß eine Entscheidung, bzw. ein Kontext anerkannt werden, der angibt, welche Informationen für eine bestimmte Berechnung relevant sind. Gibt man dies zu, dann besteht die Welt nicht mehr homogen nur aus Informationen, sondern auch aus Kontexten von Informationen, im Widerspruch zur Annahme. Wird jedoch der Kontext selbst zur Information erklärt, so entsteht der Zirkel, dass das, was eine Information bestimmen soll, selbst wieder Information ist. Wir stoßen hier auf das Problem des Verhältnisses von Information und Bedeutung. Nach dem klassischen Paradigma wird Bedeutung auf Information reduziert. Das transklassische Paradigma jedoch insisitiert auf der Irreduzibilität von Information und Bedeutung.

Nun versammeln sich aber Datenschützer sowie Postprivacy-Apologeten in ihrer Auseinandersetzung auf dem Boden des klassischen Paradigmas, d.h. die o.g. prinzipielle Differenz von Information und Bedeutung wird nicht anerkannt. Die Folge kann nur ein Streit um den sprichwörtlichen Bart des Kaisers sein.
Was hier aufscheint, wurde andernorts bereits als Selbstreferenz bezeichnet, eine Selbstrückbezüglichkeit, die auf dem Boden der klassischen Formalismen nicht mehr thematisierbar ist und die nichts mit den aus der Informatik bekannten Selbstfunktionsaufrufen zu tun hat.

Michael Seemann aka mspro wirft nun – recht unausgegoren, wie er anerkennenswerterweise selbst sagt – zwei Begriffe als Spielbälle in die Diskussion, Kontrollverlust und Filtersouveränität.

mspro:

„Der Kontrollverlust führt aber nicht zur totalen Transparenz – das wird oft falsch verstanden. Der Kontrollverlust führt aber zwangsläufig in den Zustand, dass die Grenzen zwischen öffentlich/nichtöffentlich keine selbstbestimmten mehr sein können.“
„Die Query-Öffentlichkeit ist die positive Kehrseite des Kontrollverlusts. Sie ist das Stück Autonomie, dass der Empfänger von Informationen hinzugewinnt, welches der Sender der Information durch den Kontrollverlust verloren hat. Es ist die Invertierung des klassischen Öffentlichkeitsbegriffs und erfordert ein nicht gerade triviales Umdenken.“

Ähem, eine Invertierung ist eine triviale Operation. Immer. Oder was soll gemeint sein?
Hier wird also eine Informationshoheit, die der Sender nie gehabt hat, dem Empfänger zugeschoben. Aber das ist sowas von Sixties! Denn für den klassischen Kommunikationsprozess hatte der radikale Konstruktivismus in der Person Heinz von Foersters schon in den Sechzigern konstatiert: „Nicht der Sager, sondern der Hörer bestimmt die Bedeutung einer Aussage.“
Achso, Information und Bedeutung sind ja dasselbe. Und es geht ja hier um Sender und Empfänger.

mspro: „Ein Umdenken, das aber durchaus beobachtbar bereits stattfindet und – so meine These – sich mit dem Fortschreiten des Kontrollverlusts noch ausweiten wird. Mit diesem Umdenken von Öffentlichkeit kehren sich auch eine ganze Reihe von Wertpräferenzen um und bereiten damit den Weg für eine andere Informationsethik.“

Wieso? Eine Pyramide, die auf dem Kopf steht, ist immer noch eine Pyramide.

mspro: „Wenn sich – erstens – Information aufgrund ihrer billigen Speicherbarkeit nicht mehr für ihre Existenz rechtfertigen muss und wir – zweitens – annehmen, dass die Querys, die man auf einen Datensatz anwenden kann, in ihren Möglichkeiten unendlich sind, gibt es plötzlich keine legitime Instanz mehr, die sich anmaßen könnte zu entscheiden, was wichtige, unwichtige, gute oder schlechte Information ist. Das Zusammenstellen von Querys und Präferieren von Filtern wäre das radikale Recht ausschließlich des Empfängers.“

Aber das war es doch schon immer!

mspro: Gleichzeitig befreien diese unvorhersehbaren, weil unendlichen Querys auch den Sender der Information. Sie befreien ihn davon, Erwartungen entsprechen zu müssen. Denn der Andere kann, weil er in unendlichen Quellen mit perfekt konfigurierbaren Werkzeugen hantiert, keinen Anspruch mehr an den Autor stellen – weder einen moralisch-normativen noch einen thematisch-informationellen. Die Freiheit des Anderen, zu lesen oder nicht zu lesen, was er will, ist die Freiheit des Senders, zu sein, wie er will.
„Filtersouveränität“, so habe ich diese neue Informationsethik genannt, ist eine radikale Umkehr in unserem Verhältnis zu Daten.

Nö. Mal etwas weiter gedacht ist vor dem Hintergrund des oben ausgewiesenen Verhältnisses von Information und Kontext, Information über Information, Filtersouveränität also selbst ein Informationskonzept, d.h. über Informationen zu Filtern angebbar. Wenn ich an diese Informationen gelange, also weiß, wie Du filterst, ist es um Deine Filtersouveränität bereits geschehen.

Hat jemand das leise Plopp der Seifenblase gehört? Es gibt auch Leute, die bevorzugen des Sound des Zerbröselns eines trockenen Kekses ….

Der einzige Ausweg, der dem der Souveränität verlustig gegangenen nun scheinbar offen steht, ist, seine Filter zu dynamisieren, sie permanent zu verändern. Aber was nützt dann noch der Filter, wenn er schon morgen neuen Eigenschaften folgt? Der Sinn eines Filters ist ja gerade eine gewisse Konstanz, eine Routine, die für das zu verschiedenen Zeiten Gefilterte Vergleichbarkeit ermöglicht.

Es geht jedoch noch weiter. Die Firmen-Policy von Facebook gegenüber seinen Nutzern läßt sich wie folgt zusammenfassen als Verführung: „Ach, komm, lass mich Deine Filter sein. Du musst Dich um nichts kümmern.“ Das ist sexy.
Facebook empfiehlt sich hier als der Vertraute, der einerseits Filtern offen als Dienstleistung anbietet und andererseits – überspitzt formuliert – sich die Filterhoheit einfach nimmt. „Ich sortiere Deine Welt für Dich, habe Vertrauen. Du wirst glücklich sein.“

Eine alarmierende Botschaft für alle Diejenigen, die bewusst leben möchten und ein Paradies nicht bestellt haben.
Und ein „Zeig mir Deine Filter und ich sag‘ Dir wer Du bist“ führt sehr schnell zu „Ich bin Dein Filter und ich sage Dir wer Du bist, bzw. wie Du zu sein hast.“ Schon der im übrigen recht harmlose Nearest-Neighbor-Algorithmus der Amazon-Kaufempfehlungen kann bei empfindsameren Gemütern zu solchen Assoziationen führen, vor allem dann, wenn Humor als Schild sowie Tool zur Bewusstmachung nicht zu Gebote steht.

Julia Schramm stellt in ihrem Blog fest, sie sei Konstruktivistin.
Nun lautet einer der Grundsätze des radikalen Konstruktivismus, der ethische Imperativ Heinz von Foersters: „Handle stets so, dass die Zahl der Wahlmöglichkeiten größer wird.“ Einem jeden wird auch ohne weitere Erläuterung unmittelbar klar, dass dieser Grundsatz mit einigen Thesen der Spackeria unvereinbar ist.
Doch Vorsicht Falle, es könnte ja auch die These vertreten werden, dass ja gerade durch die Aufhebung von Privatsphäre die Zahl der Wahlmöglichkeiten erhöht werden soll/kann.

Der praktische Aufweis dessen verbleibt als konstruktive Aufgabe der Spackeria.

M.E. führt der o.g. Zusammenfall von Information und Kontext von Information, i.e. der Zusammenfall von Filtern und Gefiltertem, zu einer Implosion in eine Totalität der Gleichbehandlung von Information und Bedeutung, die eben nicht Wahlmöglichkeiten anreichert.

In der Diskussion wird nicht erst seit gestern immer wieder die Agora-Öffentlichkeit, die altgriechische Polis bemüht als Urmuster des Demokratischen, aus dem die Ökonomie ausgeklammert war. Es wird Zeit, einmal festzuhalten, dass diese historische Form der Demokratie die Bezeichnung „Demokratie der Wenigen“ vollumfänglich verdient. Denn neben den Frauen wird auch die Ökonomie immer aus der Betrachtung ausgeklammert, weil das eben jene Ökonomie bestellende Heer von Leibeigenen, Sklavinnen und Sklaven als basale Ermöglichungsbedingung der Agora-Freiheit der Gleichen unter Gleichen ebenfalls ausgeklammert ist. Sie spielen im politischen Fokus der Selbstbetrachtung der griechischen Freimänner im wahrsten Sinne des Wortes keine Rolle. Ungleichheit, so wird argumentiert, sei eine Eigenschaft der Privaträume, folglich seien diese zu dekonstruieren.

Wir sollten heute darüber hinaus sein. Die neuzeitlichen Menschenrechte stellen zumindest ein Konzept der Abwesenheit von Skaverei dar, in dem jedem Einzelnen auch ein Recht auf Privatsphäre zugestanden wird. Allein die Realität des Planeten sieht – wie wir alle nur zu gut und für viele schmerzhaft! wissen – anders aus.
Die Membranen und Informationsflüsse zwischen „privat“ und „öffentlich“ sind es, die unter Zuhilfenahme des Netzes transformiert werden können. Fruchtbar mag hier eine Verschiebung des eigenen Koordinatensystems in Bezug auf das Problem sein, um eine Vielheit der Blickwinkel (Kontexte) zu ermöglichen.

Nick H.

11 Gedanken zu „Postprivacy: Filtersouveränität schon am Ende?

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  • 6. Mai 2011 um 11:18 Uhr
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    @Nick_Haflinger „Ergo musst Du damit leben, dass die Empfänger Deiner Botschaften jetzt damit “weiterspielen”.“
    Das ist der springende Punkt und sein Blinder Fleck: Selbstreferenz. Denn tatsächlich wäre Selbstreferenz als reine Selbstreferenz nichts anderes als Beliebigkeit, die allerdings keine empirische Möglichkeit ist, allenfalls eine metaphysische, nämlich die eines Weltbeobachters, der sich mit der Welt immer zugleich auch selbst beobachtet. Dieser Weltbeobachter wäre souverän, er macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt, aber er wäre empirisch nicht anschlussfähig, weil alle Anschlussfindung Selektion voraussetzt. Und man kann an @mspro ’s Einwand, die Goldwaage nicht zu bemühen, gut merken, wie der Beobachter nun versucht, aus seiner Selbstwidersprüchlichkeit klug zu werden. Wahlweise versucht er, seine Erkläungstheorie in eine Rechtfertigungstheorie (und andersherum) umzuändern. Er versucht, Beliebigkeit auszuprobieren.

  • 6. Mai 2011 um 10:16 Uhr
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    Hallo mspro,

    die sprichwörtliche Goldwaage steht nicht gerade für Zurückhaltung während des Gebrauchs ;-).
    Du hast diese Begriffe ins Spiel gebracht, recht unausgegoren, wie Du selbst eingeräumt hast und was ich im Ausgangspost auch anerkannt habe. Allerdings hast Du dies in mehreren Blogs und Vorträgen – recht wenig zurückhaltend – getan. Ergo musst Du damit leben, dass die Empfänger Deiner Botschaften jetzt damit „weiterspielen“.

    Ich habe u.a. versucht zu zeigen, dass in einer monokontexturalen Welt Filtersouveränität ebenfalls als Information aufgefasst wird/werden kann und damit in einen infiniten Regress führt, der, wie mein Dreyfus-Argument belegt, selbst schon eine Tradition im Diskurs hat. Im Übrigen und zusammen mit der Einlassung zum RK eine Diskurs-Isomorphie und ein Seitenhieb gegen Julias Eighties-Bemerkung. Das alles ist schon älter. Viel älter.

    Eine hübsche Liste an Namen, die Du da anführst 😉 und die jeder von uns zweifelsohne noch verlängern könnte. Deine Abschlussbemerkung suggeriert, dass es mal zu gewesen sein muss, das „Fass“, das war es aber nie.
    Und wenn doch, dann hast Du selbst es geöffnet durch Deine Anführungen von Hannah Arendt, Niklas Luhman, Jorge Luis Borges in Blogs und Vorträgen sowie die des ehrenwerten Herrn Derrida, und zwar in Julias Blog.
    Nun lebe damit 😉 Es gibt eine ganze Reihe netter Zeitgenossen, für die immer noch gilt: „Hurra, ich lese noch“.

    LG, Nick H.

    P.S.: Pierce? Ambrose Bierce oder C.S. Peirce? Ok, ich bin mir sicher, Letzterer, obwohl Bierce als Autor von „The Devil’s Dictionary“ dazu sicher auch was zu sagen gehabt hätte ….

  • 6. Mai 2011 um 09:01 Uhr
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    @mspro „wollen wir dieses Fass wirklich aufmachen?“ ja, das wollen wir um mal zu schauen, was du so drauf hast. Leider ist man in einem Diskurs, der sich hinsichtlich der Zukunft auf Wahrheit festlegen will, völlig machtlos mit Argumenten. Oder was möchtest du andeuten mit der Bemerkung: „Kann natürlich immer noch sein, dass ich mich irre.“ Tatsächlich? Nur erbringen kann den Beweis des Irrtums niemand, weil Irrtum nicht nachweisbar ist, wenn man immer schon eine Meinung hat. Meinungproduktion ist nicht mit anders gearteten Argumenten belehrbar. Also: statt auf sich meinungsmäßige Wahrheit zu konzentrieren, die sich beeilen muss, ihre Irrtumsfähigkeit zu annoncieren, ohne sich zum Irrtum bekennen zu können, wäre vielleicht Lernbereitschaft der geeignete Ausweg. Denn siehe: Hinsichtlich der Zukunft sind wir alle auf dem gleichen Stand der Dinge: wir alle wissen darüber gleichviel, nämlich nichts.
    Wer lernen will zeigt ist belehrbar. Filtersouveränität? „Hier wird also eine Informationshoheit, die der Sender nie gehabt hat, dem Empfänger zugeschoben.“ Stimmt’s? Aber sag bitte nicht, du meinst etwas anderes… 🙂

  • 6. Mai 2011 um 08:44 Uhr
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    Hallo Klaus,

    Deinen Einlassungen kann ich nur in vollem Umfang zustimmen. Allein mich treibt die Hoffnung um, dass in den hier ausgetauschten Argumenten und Statements wenn überhaupt, dann eine vielleicht etwas technoide Maskierung der Argumente ein wenig mehr Durchschlagskraft besitzt. In diesem Sinne werde ich es weiter versuchen, das stellt Dein Willkür-Argument zur Filtersouveränität und Deine Ausführungen zu Erklärung und Rechtfertigung natürlich nicht in Frage.

    LG, Nick H.

  • Pingback: Linkschau, die Fünfte. | Die datenschutzkritische Spackeria

  • 4. Mai 2011 um 21:23 Uhr
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    Vielleicht hilft es, meine Worte wie Kontrollverlust und Filtersouveränität etwas zurückhaltender auf die Goldwaage zu legen.

    Niemand hat behauptet, dass es vor dem Kontrollverlust eine absolute Kontrolle von Information gab.

    Niemand hat behauptet, dass eine absolute Filtersouveränität jemals existieren wird.

    Was ich – und ich dachte, das habe ich klar gemacht – beschreibe, sind Tendenzen und Trends, wie sich die Betrachtungsweisen und Wertkontellationen durch die Digitalisierung verschieben. Richtungen, keine ontischen Entitäten.

    Kann natürlich immer noch sein, dass ich mich irre. Aber dafür habe ich in deinem Text leider keinen Hinweis gefunden.

    Ach ja, und deine Ausführungen zur Differenz Information/Bedeutung … herrje, Platon, Saussure, Husserl, Claude Livi-Strauss, Heidegger, Pierce, Eco, Derrida … wollen wir dieses Fass wirklich aufmachen?

  • Pingback: Das Rechtfertigungsproblem der #Spackeria « Differentia

  • 3. Mai 2011 um 11:20 Uhr
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    Eine schöne Abhandlung, die sich redlich, aber vergeblich bemüht, zu erklären, was nicht eigentlich erklärungsbedürftig ist. Filtersouveränität? Gemeint ist damit ja nur ein Willkür-Element beim Prozess der Selektion von Information, das heisst: lass die anderen denken und machen was sie wollen. Schon zurück liegend hatte ich versucht mspro den Gedanken zu erklären, dass ein Ich immer der Andere des Anderen ist, wobei sich durch eine Alter-Ego-Analyse ergibt, dass der glauben an eine Filtersouveränität nur die eigene Willkür rechtfertigt. Empirsch ist Willkür aber gar nicht möglich, aufgrund des Voraussetzungsreichtums aller sozialen Realität. Das Argument ist bei ihm abgeblitzt; und es hat auch keinen weiteren Zweck es wieder zu versuchen. Egal.
    Vielleicht käme man mit einer anderen Unterscheidung weiter. Nämlich mit der Unterscheidung von Rechtfertigungs- und Erklärungstheorien. In diesem Sinne beruhen die halbgaren Diskussionen der Spackeria nur auf Rechtfertigungstheorien. Eine Rechtfertigungstheorie kann den Prozess der Urteils- und Erfahrungsbildung nicht erklären, kann die Bedingungen nicht auflösen, die die Erfahrung begleiten, sondern kann nur ihre Ergebnisse in Hinsicht auf ein Für-und-Wider beurteilen. Eine Erklärungstheorie würde dagegegen auf die Analyse der Bedingungen und Voraussetzung abstellen und sich in bezug auf die Plausibiltät der eigenen Argumente kontingent verhalten. Eine Erklärungstheorie würde andere Betrachtungsweisen nicht ablehnen, sondern mit diesen rechnen um zu schauen, was man mit ihnen sonst noch erklären kann.
    Dass diese Rechtfertigungsversuche der Spackeria so viel Aufmerksamkeit erzeugen, scheint mit daher zu kommen, dass das Internet dafür sehr geeignet ist, um Für-und-Wider.Diskussion noch schneller zu führen als vorher. Seine Benutzung setzt voraus, das viele Nutzer überall und schnell Informationen beisteuern, was sich auch auf ein doppelt kontingentes Rezeptionsverhalten auswirkt, welches, sofern man mit schneller Bewegung von Diskussionsverläufen rechnen muss, immer nur auf Schnelligkeit der Argumente regiert. Dadurch entsteht eine Selektivität, die Plausibilität und Evidenz an der Schnelligkeit misst, mit der dieses oder jenes zu Bewusstsein kommen kann. Alles, was länger dauert, wenn etwa kompliziertere Sätze in einem etwas antiquiertem Deutsch zu lesen sind, wird schnell aussortiert. So würde sich dann auch eine spezielle Prosa erklären, wie man sie insbesondere bei mspro findet, die viele Anglizismen verwendet, weil damit immer mehr gemeint sein könnte, ohne es schreiben zu müssen, weil das Schreiben Zeit in Anspruch nimmt. Beobachtbar sind aber auch verkürzte Sätze, Auslassungen, semantische Komprimierungen, die immer wieder Vorausgesetztes beobachtbar machen, das selbst nicht erläutert werden muss, weil die Zeit zu schnell vergeht. Die Diskussion um Rechtfertigungstheorien ist deshalb anspruchsvoller, weil die Bedingungen der Internetkommunikation gleichsam eine Schriftlichkeit erforderen, die etwa an die Geschwindigkeit der mündlichen Kommunikation heran kommt, ohne diese gleichwohl erreichen zu können. Anspruchsvoll insofern damit natürlich die Schriftlichkeit praktisch über ihre Möglichkeiten hinaus geschoben wird. Denn früher war Schriftlichkeit verbunden mit Besinnung, Muße, Konzentration, Dauer, Geduld, Korrigierbarkeit, Disziplin, Sitzfleisch usw. Seitdem nun im Internet keine Schriftdokumente mehr produziert werden, sondern Textsimulationen, wird die Kommunikation in der schriftlichen Kommunikation interaktiv zwischen Abwesenden geregelt. Und eben dies erfordert eine spezifische Rechtfertigungstheorie, deren Merkmal es übrigen auch ist, sich gegen sich selbst irreflexiv zu verhalten, was deshalb geht, weil man ja irgendeine Meinung immer schon hat und diese schnell mit wenigen Worten niederschreiben kann. Rechtfertigungstheorien sorgen auf diese Weise für die Inkommunikbalität derjenigen Bedingungen, die maßgeblich strukturbildend wirken: in dem Fall das Internet. Die Spackeria redet, sie schreibt darüber, aber sie versteht es nicht.

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