Gotthard Günther

Dieser Substanzverlust des Menschen.

Unveröffentlichtes Manuskript ohne Überschrift und Datum, jedoch nach 1950 (Fragment).
(Im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Berlin; in: Akz.Nr.: 303-1986, Nachlaß 196, Kasten 25, Mappe 240-243D)

Hrsg. Dr. Rudolf Kaehr, die Textkopie ist in privatem Besitz und darf nur als Interna des ICS benutzt werden.

Dieser Substanzverlust des Menschen, der die Wahrheit seiner Seele zur Wahrscheinlichkeit degradiert und die moralische Entscheidung unserer wesentlichsten Handlungen dem verantwortungslosen Einsatz im Glücksspiel gleichstellt, hat nichtsdestoweniger eine befreiende Wirkung. Er erlöst das Ich von dem Gewicht der historischen Tradition und von der Verpflichtung gegenüber aller bisherigen Geschichte. Das Leben verliert den erschütternden Ernst, den es in allen regionalen Hochkulturen gehabt hat, da es nirgends mehr in transzendente Hintergründe hinüberweist. Alle Spiritualität, von der der Mensch bis dato gezehrt hat, hat sich endgültig in der irdischen Existenz niedergelassen. Sie ist greifbar und erreichbar, weil sie sich nicht mehr als Wahrheit offenbart - und Offenbarung setzt ein Verborgenes voraus - sondern als Wahrscheinlichkeit zu empirischen Möglichkeit hinuntersinkt.

Auf dem Boden eines sich in Wahrscheinlichkeitschancen verlierenden Lebens wird zum ersten Mal die Frage möglich, und sehr bald emotional notwendig: ist es möglich, die bisher in der Geschichte erarbeitete Wahrheit in ihrer Existentialität so zu sichern, daß sie fortbesteht, ohne den Individuen Verpflichtungen aufzuerlegen. Mit einer Wahrheit, die in seiner Geschichte lebendig ist, muß der historische Mensch sich identifizieren. Er kann gar nicht anders. Entzieht er sich dieser existentiellen Verpflichtung, so scheidet er damit als Subjekt aus der Geschichte aus und nimmt an ihrer Bewegung nicht mehr teil. Das gilt für jene historischen Stadien, die Spengler unter der Bezeichnung "Kultur" zusammengefaßt hat. Die spirituellen Existenzbedingungen des Menschen aber ändern sich radikal, sobald die jeweilige Kultur in das Stadium der abschließenden und liquidierenden Zivilisation übergeht. Die begrenzten seelischen Möglichkeiten, die der historische Mensch auf einer jeweiligen Kulturstufe hat, sind jetzt erschöpft und das Individuum besitzt keine spirituellen Reserven mehr, die ihm erlauben, sich mit dem Fortgang der gegenwärtigen Geschichte zu identifizieren. Diese seelische Lage des Menschen äußert sich in einem ambivalenten Zustand, der in allen späten Zivilisationen zu beobachten ist. Einerseits wird die Weiterarbeit an den eigenen historischen Problemen aufgegeben. Man produziert nichts Neues mehr. Andererseits aber hält man an dem einmal erreichten existentiellen Zustand mit verzweifelter Zähigkeit fest. Gegen den Geist, der in einer gegebenen historischen Institution lebt, ist man gleichgültig geworden. Weder ist der Wille noch die Kraft vorhanden, sich noch länger mit ihm zu identifizieren und ihn in solchen immer erneuten Identifikationsprozessen weiter zu treiben. Man hat den eigenen objektiv gewordenen Geist im negativsten Sinn des Wortes aufgegeben. Aber diese müde Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen spirituellen Essenz, die sich in der symbolischen Formenwelt der eigenen Geschichte abgesetzt und objektiviert hat, geht Hand in Hand mit einer zähen Beharrlichkeit, diese mehr und mehr sinnlos werdenden Formen und Institutionen eines abgeschiedenen Lebens zu bewahren und sie in ihrem erstarrten Zustand auf ewig zu erhalten.

Alle späten Zivilisationen haben deshalb eine nihilistische und eine extrem konservative Seite. Das indische Kastensystem, das in der Bewegung der antiken indischen Kultur in stetem Fluß war, ist schon seit mehr als einem Jahrtausend vollkommen erstarrt. Erst heute beginnt es unter bolschewistischen Einflüssen, die die Tendenz haben, die gesamte Formenwelt des Menschen des zweiten weltgeschichtlichen Zeitalters zu liquidieren, langsam abzubröckeln. Derselbe rabiate Konservatismus gegenüber einem erloschenen Daseinsstil ist in China seit dem Ende der spätklassischen Epoche zu bemerken. Die nihilistische Seite dieses historischen Lebensstadiums wird durch die große Bücherverbrennung Shi-hoang-tis (212 v. Chr.) und durch die amtliche Bevorzugung des Taoismus [1] illustriert. In Indien wird das unbewegliche Festhalten an einem erstarrten Existenzmodus durch die negativistischen Theorien der "Leere" (sunyata), in denen sich der späte Buddhismus und die letzten philosophischen Spekulationen der orthodoxen Brahmanismus begegnen, nihilistisch kontrapunktiert.

Keine dieser regionalen Hochkulturen der östlichen Hemisphäre - unter Ausnahme der abenländischen Kultur - aber hat je die letzten und äußersten historischen Existenzzustände erreicht, die auf dem spirituellen Niveau der zweiten weltgeschichtlichen Epoche des Menschen möglich sind. Der entmutigte oder trotzige Rückzug ins Private [2], die Abkehr von der Politik, der Skeptizismus, die melancholische Grundstimmung aller späten Lyrik, das sind alles untrügliche Zeichen einer tiefgefühlten Lebensunsicherheit. Man ahnt - die hellsichtigsten Köpfe wissen es sogar - , daß das gesetzte Ziel: die objektive und definitiv gesicherte Realisation des eigenen Seelentums darstellen, mit solcher konservativen Zähigkeit festhält und warum man andererseits sich der nihilistischen Verzweiflung überläßt, weil es unmöglich ist, die Viertel- und Halbrealisationen des eigenen Ichs, die sich als Sitte, Verfassung, Tradition usw. zu geschichtlicher Wirklichkeit gekommen sind, länger festzuhalten.

Das Sterben der individuellen regionalen Hochkulturen, das wir modernen Menschen als historisches Faktum im Erlöschen der ägyptischen, der indischen, der chinesischen, der magischen und klassisch-antiken Tradition des Menschen vor uns sehen und das Spengler so eindrücklich beschrieben hat, ist die unvermeidliche und unerbittliche Folge des Versagens des jeweilig historischen Menschen sich mit seiner Aufgabe voll zu identifizieren. Wenn man die frühen regionalen Hochkulturen mit dem Auge des Metaphysikers betrachtet, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich der Mensch in keinem dieser Geschichtsabläufe voll in seine Aufgabe wirft. Er behält stets etwas zurück, was angeblich nicht fähig zu einer objektiven Realisierung in der Welt ist. Der konzentrierteste geschichtliche Ausdruck dieses subjektiven Vorbehalts des Menschen auf der Stufe der regionalen Hochkulturen ist die Mystik. Es ist als ob der Mensch, der sich kürzlich erst aus der einwertigen Existenzform der primitiven Kultur - die dieses Problem nicht als Bewußtseinsproblem kennt - losgelöst hat, jetzt nicht den Mut findet, die neue Aufgabe, die ihn auf der nächsten geschichtlichen Daseinsebene erwartet, Konsequent und ohne innere Reservationen durchzuführen.

Wir haben diese Aufgabe schon des öfteren beschrieben: das Ich, das sich auf der zweiwertigen Bewußtseinsstufe der neuen weltgeschichtlichen Epoche als grundverschieden von der Welt erlebt und sich als das fremde erfährt, das aller irdischen Realität entgegengesetzt ist, kann sich (und Gott) nicht anders als das reine Nichts begreifen. Als solches ist es gestaltlos, unaussprechbar, leer und machtlos. erst wenn es seine bloße Möglichkeit in die objektive Wirklichkeit einbildet und die letztere nach dem eigenen Bilde formt, verliert das Ich seine Anonymität, gewinnt positive Gestalt, Existenz und Macht ... und Freiheit. Auf dem primitiven Niveau ist das Ich unreflektiert in seine Umwelt versunken. Es ist unfrei, denn die Gesetze der Umwelt sind auch seine Gesetze. erst nachdem es sich selbst als das absolut Andere ( ) erkannt und sich von der Umwelt abgetrennt hat, kann es beginnen der letzteren seine eigenen Gesetze aufzuzwingen und die bloße Natur nach dem eigenen Bilde zu verändern.

Es scheint aber, wie bereits betont, daß den ersten regionalen Hochkulturen der volle Wille und die historische Fähigkeit abgeht, ihr eigenes Seelentum ohne letzte Reservationen auf die physische Wirklichkeit abzubilden. Die dominierende Rolle der Religion in diesen Geschichtsabläufen ist ein untrügliches Zeichen dafür. Jedes dieser Religionssysteme, sei es der Buddhismus, der Brahmanismus, das Christentum oder der Islam, hat einen mystischen Kern, der die volle Säkularisierung des menschlichen Willens zu einer emotionellen Unmöglichkeit macht. Der Gläubige (und jeder ist in diesem Sinne gläubig) kann "diese Welt" nur halb wollen, weil das Heil der Seele in ihr nicht zu finden ist. Das gewichtige Christuswort: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" setz dem Ich und seinem Willen eine unpassende Schranke. Jenseits derselben kann es sich nicht mehr mit der Welt identifizieren und sich in dieselbe substantiell einbilden. Der Wille, der diese Schranke dennoch übersteigt, hat sich dem Teufel überschrieben und das Heil seiner Seele preisgegeben.

Auf der Ebene der zweiten weltgeschichtlichen Periode des Menschen weiß das Bewußtsein zwar, daß es seine existentielle Aufgabe ist, sich in Gestalt einer objektiven Tradition, eines Systems von Institutionen usw. derart in die empirische Realität der historischen Existenz einzubilden, daß es sich dort jederzeit wiederfinden kann. Es macht aber andererseits die Erfahrung, daß es sein eigenes historisches Ziel nur halb wollen kann. Ein Restbestand des eigenen Willens läßt sich nicht objektivieren. Er geht auf ein absolut Anderes". Diesen Bruch in der geschichtlichen Situation illustriert ein anderes Wort aus dem Neuen Testament: "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist." Es gehört zur Existentialität des Menschen, der mehr als bloße Natur ist, daß sein Wille in sich gespalten und doppelt determiniert ist.

An diesem Zwiespalt gehen alle regionalen Hochkulturen frühzeitig zugrunde. Da der Wille seine Freibeweglichkeit gegenüber dieser ambivalenten Situation in der Geschichte nicht aufgeben kann, projiziert er nur den Teil der historischen Subjektivität des jeweiligen Ichs in die konkrete Realität der Institutionen, der seiner Entscheidung bereits enthoben ist. Das ist die theoretisch-kontemplative Seite des Ichs. Kirche, Kunst, Wissenschaft, Sitte, Wirtschaft sind in der Tat Abbilder eines Seelentums, das sich in ihnen symbolischen Ausdruck und objektive Realität gibt. Sie bilden aber dieses Seelentum oder historische Ich nur nach einer Seite hin ab, nämlich soweit dasselbe sich als Kontemplation oder gefallene Entscheidung realisiert [3]. Seele als noch in der Entscheidung schwebend und handelnde Subjektivität kommt in der einzelnen kulturellen Institution nicht zum Ausdruck. Eine Kirche z.B. ist so und nicht anders. Sie besitzt ihr System von positiven Dogmen, in denen eine seelische Haltung fixiert ist. Daß das Seelentum, das sich seinen religiösen Ausdruck in jener Kirche gegeben hat, selbst nicht fixiert ist, kommt in der Kirche nicht direkt zum Ausdruck. Es ist nur indirekt erschließbar, insofern zu jeder Kirche notwendig die Häresie gehört. Die Institution kann aber, ohne ihren Charakter als objektiver Geist aufzugeben, die Häresie nicht anerkennen. die letztere bleibt un-institutionlisiert und subjektiv. Sie ist der lebendige Ausdruck der Tatsache, daß sich das Ich nur mit wesentlichem Vorbehalt symbolisch in seinen geschichtlichen Schöpfungen ausdrückt.

Dies führt, wenn alle objektiven Reflexions- und Abbildungsmöglichkeiten für eine gegebene Hochkultur regionalen Charakters erschöpft sind, zu einer historischen Krise, die schließlich in jenem Zustand suspendierten Seelentums endet, den Spengler als Zivilisation bezeichnet. Das historische Postulat einer jeden Hochkultur, daß sich der ihr zugehörige Mensch mit den symbolhaften Institutionen seiner geschichtlichen Existenz voll identifiziert, hört mit dem Eintritt des Stadiums der Zivilisation nicht auf. Es besteht in voller Kraft weiter. Die seelische Haltung, die dies anerkennt, erscheint als konservative Reaktion, die für alle diese Spätzeiten charakteristisch ist. Andererseits ist die Forderung voller Identifikation beim besten Willen nicht mehr realisierbar. Der subjektive Wille läßt sich nämlich nur solange an die empirische Realität des Daseins binden, als er realitätsorientierte Entscheidungen treffen und dann das Entschiedene in die objektive Ebene der physischen Existenz projizieren kann. Die Tragik der Zivilisation aber ist, daß alle relevanten Entscheidungen bereits getroffen sind. So ist z.B. in unserer Kultur die dogmatische Geschichte des Logochristentums längst abgeschlossen. Jedes auf diesem Boden überhaupt mögliche Glaubensmotiv hat seine positive Formulierung gefunden. Das Spektrum der möglichen Glaubensbekenntnisse geht vom radikalsten Spiritualismus bis zum ebenso extremen Materialismus (Kommunismus). Der echte Häretiker, der außerhalb des positiven Glaubens steht und die historisch absolut ungebundene Subjektivität repräsentiert, existiert nicht mehr. Man kann nur noch Pseudohäretiker sein, d. h. ein Dogma innerhalb des spirituellen Spektrums zugunsten eines anderen verleugnen.

Es ist beides, Reife und Tod, in dem letzten zivilisatorischen Stadium einer Hochkultur, daß sie geistig so umfassend geworden ist, daß sie alle auf ihrem historischen Boden überhaupt möglichen materialen Erlebnismotive in sich begreift und dem subjektiven Erleben, das sich ihr entgegensetzt, keine spirituelle Substanz mehr übrig läßt, in der das protestierende Ich sich verschanzen kann. Die Häresie Meister Eckharts war noch legitim. Seine Mystik enthält alle jene transzendentalen Elemente von Bewußtsein überhaupt, die in der thomistisch-scotistischen Antithese von Intellekt und Wille um 1300 noch nicht historisch thematisch geworden waren und die erst in der geschichtlichen Entwicklung, die mit dem Abschluß der Aufklärung einsetzt, in die Substanz der abendländischen Kultur übernommen wurden. Gewisse Lehren Eckharts waren, historisch betrachtet, um 1300 oder 1400 herum zweifellos häretisch. Sie waren es aber ebenso zweifellos nicht mehr, seit der "Faust", die "Kritik der reinen Vernunft" und die "Phänomenologie des Geistes" erschienen sind. In diesen letztgenannten Werken hat sich das Bewußtsein des historischen Menschen der abendländischen Kultur derart ausgedehnt, daß die spekulativen Themen der mittelalterlichen Mystik, die zur Zeit der thomistisch-scotistischen Kontroverse noch jenseits der konkret historischen Realität des europäischen Menschen liegen (und deshalb ganz legitim als Häresie bewertet werden) jetzt seelisch voll assimiliert sind und zu echten Handlungsmotiven innerhalb des geschichtlichen Prozesses geworden sind. Eckharts Begriff des Subjekts war häretisch - zu seiner Zeit. Derselbe Subjektbegriff aber muß vorausgesetzt werden, wenn die Relativitätstheorie Naturgesetze so zu generalisieren sucht, daß ihre Formulierung invariant gegenüber den Standpunkten verschiedener beobachtender Subjekte bleibt. Niemand aber, der ernst zu nehmen ist, denkt daran, nach Häresien in der mathematischen Physik zu suchen. Materiale Erlebnispotentialitäten des Ichs, die um 1300 noch völlig außerhalb der konkret geschichtlichen Existenz des europäischen Menschen lagen, sind durch die in jeder regionalen Hochkultur sich vollziehenden Ausdehnung des spirituellen Realisationsbereiches des Menschen allmählich in das aktuelle Dasein des Individuums hineingesogen worden. Dieser Prozeß geht solange fort, solange noch unausgeschöpfte Erlebnis- und Realisierungsmöglichkeiten des spezifischen Seelentums, das die Kultur trägt, zur Verfügung stehen. Sind sie einmal erschöpft, dann hat der produktive Wille kein materiales Ziel mehr, in dem er sich erfüllen kann. Anstatt auf neue unorthodoxe und häretische Inhalte gerichtet zu sein, stößt er ins Leere und wird nihilistisch. Da aber das Bewußtsein die nihilistische Haltung nicht erträgt, schlägt es partiell um und entwickelt reaktionär-konservative Tendenzen, geleitet von dem verzweifelten Bemühen die alten Werte zu bewahren.

Damit entsteht aber im historischen "Mechanismus" der Kultur eine neuartige, bisher nicht dagewesene Situation. Man will die alten Werte erhalten ohne sich mit der in ihnen implizierten geschichtlichen Tradition zu identifizieren. Mehr noch, es fehlt nicht nur der Wille zu dieser Identifikation, es fehlt erst recht die Fähigkeit. Es ist an diesem kritischen Zeitpunkt längst unmöglich geworden, die Tradition weiterzuentwickeln, wie dies in der Identifikation gefordert ist. Eine Weiterentwicklung ist völlig außer Frage, weil dem Bewußtsein keine materialen Motive mehr zur Verfügung stehen, die einer solchen Fortsetzung der Tradition die notwendigen Erlebniskategorien liefern könnten. Hinter der in Zivilisation übergehenden Kultur steht ein aller substantieller Ziele beraubter blinder Wille, der nur noch nihilistisch sich selbst und nichts außer sich wollen kann. Genau wie an der kritischen Schwelle der primitiven Kultur bleibt auch hier ein Reflexionsüberschuß von ungeheurer Macht, der sich innerhalb der Formen der eigenen historischen Existenz nicht mehr bändigen läßt. Der römische Cäsarismus, die indische Despotie von der Maurya-Dynastie bis zu den Mogulkaisern, die”kämpfenden Staaten" Chinas sind lebendige Beispiele davon.

Keine dieser regionalen Hochkulturen aber erreicht die kritische Schwelle, wo ihre historische Existenzform vorbereitend und die Wege ebnend in das Medium einer dritten weltgeschichtlichen Epoche des Menschen übergeht - keine außer der faustisch abendländischen Kultur. Was diese letzte hohe Geschichtsepoche in der zweiten historischen Periode des menschlichen Bewußtseins von allen ihren Vorgängerinnen unterscheidet, ist der erstmalig ernsthaft unternommene Versuch, nicht nur die materiale Substanz ihrer geschichtlichen Subjekte symbolisch in Religion, Kunst, Wissenschaft, Sitte usw. zu übertragen, sondern darüber hinaus den bisher ungebändigten Reflexionsüberschuß, nämlich das leere Handlungsschema des tätigen Ichs aus der subjektiven Erfahrung in die physisch reelle Wirklichkeit zu übertragen.

Alle vorausgegangenen regionalen Hochkulturen gingen daran zugrunde, daß sie das gesetzte Ziel, ihr eigenes Seelentum ohne reflexiven Restbestand in symbolischen Formen auf die konkrete Existenz zu übertragen, nicht erreichten. Sie interpretierten ihre metaphysische Aufgabe mehr oder weniger dahingehend, daß das Ziel in dem Augenblick erreicht sei, wo alle mögliche inhaltliche Bewußtseinsthematik in das historische Dasein übertragen sei und übersahen die auf diesem Boden realisierbare letzte und extremste Aufgabe: das aller Inhalte beraubte und leer handelnde Subjekt selbst in einer eigenen symbolischen Gestalt in der geschichtlichen Existenz des Menschen zu wiederholen. Erst die faustische Kultur hat diese Aufgabe begriffen und durchgeführt. Das Resultat dieser letzten schöpferischen Konzeption des Menschen auf dem Boden der zweiten historischen Bewußtseinsepopche ist die archimedische Maschine. Dieser Maschinentyp (der einzige, den die regionalen Hochkulturen hervorgebracht haben) ist die symbolische Wiederholung des schlechthin wollenden, resp. des handelnden Subjekts.

Während alle anderen regionalen Hochkulturen sich darauf beschränkten, die inhaltlichen Reflexionen der sie tragenden Subjektivität symbolisch abzubilden, worauf ihre historische Triebkraft langsam erlischt, treibt die abendländische Kultur ihre geschichtlichen Prozesse um einen entscheidenden Schritt weiter. Auch sie beginnt damit, die inhaltlichen Erlebnismotive des faustischen Seelentums in parallelen Perioden mit den übrigen hohen Geschichtsabläufen auf die Wirklichkeit zu projizieren. Sie bleibt aber dabei nicht stehen und fügt einen weiteren Projektionsschritt hinzu, indem sie jetzt das entleerte und aller inhaltlichen Ziele beraubte Subjekt, das anonyme Tätigkeit ohne Gegenstand ist, in einer neuen, bisher nicht dagewesenen Symbolgestalt auf die geschichtliche Wirklichkeit überträgt. Diese letzte mögliche historische Schöpfung auf der Bewußtseinsebene der regionalen Hochkulturen ist die klassische Maschine, die in ihrem Arbeitsvorgang das abstrakte Handlungsschema des tätigen Subjekts wiederholt. In der Konzeption der Maschine als eines Wirklichkeitsfragments, das selbsttätig arbeitet, hat der Mensch das Erlebnis seiner eigenen subjektiven Spontaneität zum ersten Mal auf die physische Realität übertragen. Es scheint, als ob damit das alte primordiale Motiv, das aller geschichtlichen Existenz zugrunde liegt, nämlich die Spirituelle in das Physische einzubilden und den Logos Fleisch werden zu lassen, nun endlich erfüllt ist. Es scheint, als ob in der Konzeption der Maschine die Subjektivität ohne weitertreibende Reflexionsreste hinter sich zu lassen voll in die konkrete Realität der Welt aufgegangen ist.

Wir werden später sehen, daß diese Annahme nur in einem äußerst beschränkten Sinn richtig ist. Es ist hier in der Tat ein metaphysischer Abschluß erreicht, der Geschichte in der spezifischen Bedeutung, die sie im Bereich der regionalen Hochkulturen gehabt hat, langsam vom Boden unseres Planeten verschwinden läßt, so wie die primitive Kultur als Geschichte in dem Übergang von der ersten welthistorischen Periode des Menschen zur zweiten endgültig verschwunden ist. Bevor wir jedoch uns den sehr limitierten Charakter dieses provisorischen Abschlusses vor die Augen führen und erfahren, wieviel er unbeantwortet läßt, ist es notwendig, sich die positiven Gehalte dieser letzten und liquidierenden Realisationsstufe des Menschen im Raum der Weltgeschichte zweiter Ordnung [4] genau zu vergegenwärtigen.

Metaphysisch betrachtet haben alle regionalen Hochkulturen, die je in der östlichen Hemisphäre entstanden sind, das gleiche existentielle Ziel. Es ist Abbildung der neuen zweiwertigen Bewußtseinsstufe des Menschen auf die ihn umgebende Umwelt. Dies wird in allen individuellen Geschichtsabläufen im Euphrat und Tigris-Becken, in Ägypten, in Indien, China, in der Antike und schließlich in Westeuropa mit den verschiedenen Mittel und differenten Symbolsystemen versucht. Ein Vergleich der verschiedenen Hochkulturen zeigt dabei sehr deutlich, daß dieser Prozeß der symbolische Selbstrealisation des Menschen nicht überall gleich weit vorgetrieben wird. In vorsichtiger Approximation an die geschichtliche Wahrheit läßt sich sagen, daß er im Euphrat und Tigris-Tal am weitesten zurückbleibt, in Indien und China ein erheblich fortgeschrittenes Stadium zeigt. in der Antike und der magischen Kultur selbst darüber hinausgeht und im Abendland schließlich einen Stand erreicht, der in keinem der früheren Geschichtsabläufe verwirklicht worden ist.

Da aber in der Entwicklung der Maschine die faustische Kultur eine Intensität der Selbstrealisation erreicht hat, die von den vorausgehenden Stufen nicht mehr gradweise sondern metaphysisch essentiell verschieden ist, wollen wir der Vereinfachung halber, und um das transzendentale Problem, das in der Schöpfung der Maschine involviert ist, deutlicher auszusparen annehmen, daß alle früheren Hochkulturen relativ zur abendländischen die gleiche Realisationsstufe erreichen. Es besteht dann zwischen der faustischen Kultur und allen ihren Vorgängern ein historische Verhältnis, das die folgende Zeichnung vielleicht etwas anschaulicher machen kann:

D.h. alle Hochkulturen treiben von dem im primitiven Dasein erreichten historischen Existenzverhältnis der Menschen solange vorwärts, bis jede einzelne dieser Kulturseelen "die volle Summe ihrer Möglichkeiten in der Gestalt von Völkern, Sprachen, Glaubenslehren, Künsten, Staaten, Wissenschaften verwirklicht hat..." Dann kehrt sie (nach Spengler!) ins "Urseelentum zurück. [5] Wir wollen diese äußerst fragliche Rückkehr ins Urseelentum fürs erste beiseite lassen und nur den ersten, essentiell vermutlich richtigen Teil der Spenglerschen These akzeptieren. Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß die Summe jener Möglichkeiten "individuelle" Potenzen jeder jeweilig gegebenen Kulturseele sind, die nur ihr und keiner anderen historischen Subjektivität zukommen. Sie repräsentieren die (materiale) Art und Weise, wie nur eine, und keine andere Seele sich mit der Umwelt auseinandersetzt. Zwar stellen sie jederzeit die generelle Relation dar, in der sich zweiwertiges Bewußtsein überhaupt mit der gegebenen Wirklichkeit auseinandersetzt; aber der subjektive Standpunkt, von dem aus die generelle Relation sich entwickelt, ist jedesmal materialiter verschieden. Er ist in Ägypten ein ganz anderer als in China und nirgends übertragbar, weil er historisch individuelle Aprioris einschließt. Soweit gesehen ist der historische Ablauf der abendländischen Kultur mit dem der anderen regionalen Hochkulturen strukturell identisch. Unsere Zeichnung deutet das dadurch an, daß beide horizontale Linien bis zum vertikalen Mittelstrich parallel verlaufen. Dort aber, d.h. an der kritischen Grenze, wo alle inneren materialen Möglichkeiten erschöpft sind, bricht für alle nicht-abendländischen Geschichtsbildungen die Entwicklung ab und die Totenstarre der Zivilisation setzt ein. Die einzige Ausname ist hier die faustische Kultur; dank verschiedener sehr spezifischer Umstände - einer davon ist, daß ihr eigenes Apriori ihr erlaubt, aus den ihr vorangehenden magischen und klassisch-antiken Kulturzyklen formalisierte Traditionen zu übernehmen - bricht für diese letzte der regionalen Geschichtsepochen die historische Selbstbewegung des Bewußtseins nicht ab. Sie geht vielmehr in ein neues, in den anderen regionalen Entwicklungen nicht vertretenes Stadium über.

In der faustischen Kultur wird nämlich zum ersten Mal begriffen, daß das historische Programm des Menschen durch die in den anderen Hochkulturen hervorgebrachten Projektionen der materialen Gestalt des Bewußtseins auf die Umwelt noch nicht endgültig abgespielt ist. Der in diesen Projektionen nicht aufgegangene und bisher in Reserve gehaltene Reflexionsrest des Bewußtseins wird als solcher erlebt, und es beginnen ernsthafte Versuche, denselben ebenfalls in die physische Realität einzubilden. Man weiß auf einmal, daß das Bewußtsein nicht nur Erlebtes, erfahrener Inhalt, stilles Bild der Objektivität und passive Kontemplation, also materiale Erfüllung der Subjektivität ist. Man entdeckt darüber hinaus, daß das Bewußtsein aktives Erleben, Spontaneität, Kraft und Motorik ist, die die inhaltlichen Gestalten der Subjektivität in Bewegung setzt und in den lebendigen "Strom" der Reflexion verwandelt. Dieser "Strom" als beherrschbare Motorik war bereits einmal in der indischen Kultur, in der Yogatheorie entdeckt worden, ohne daß man dort die historische Verpflichtung entdeckt hätte, die Gesetze dieser Motorik in der physischen Realität noch einmal zu wiederholen. Bezeichnenderweise ist es die Arbeit der Yogatechnik diese Bewegung, die das Bewußtsein an seinen materialen Inhalten vollzieht zu einem vollkommenen Stillstand zu bringen. [6] D.h. die indische Kultur macht wie alle anderen Hochkulturen der östlichen Hemisphäre genau dort halt, wo die inhaltlichen Bestimmungen des Bewußtseins objektiv realisiert sind und nur die Formale, entleerte Dynamik der Subjektivität übrig geblieben ist. Man empfindet dunkel, daß der eigene geschichtliche Prozeß nicht abgeschlossen ist, ehe man zu dieser Bewußtseinsmechanik nicht ebenfalls historisch Stellung genommen hat und man tut dies überraschenderweise damit, daß man den bisherigen Realisationsprozeß abbricht und die leere Motorik des Ichs im Yoga zum Stillstand bringt. Man flieht also aus seiner eigenen Geschichte, ehe man sie beendigt hat.

Die zweite hohe Kultur, die den Prozesscharakter der Subjektivität erkennt, ist die abendländische Geschichte. Hier aber verhält man sich demselben Problem gegenüber genau umgekehrt. Man such nicht nach einem Mittel, diese Motorik zu unterdrücken - weil sie wie der Inder richtig begreift, die Kontemplation stört - man versucht im Gegenteil dieselbe zu amplifizieren, und man findet das Mittel dieser Amplifikation darin, daß man den bisher von keiner anderen Kultur gewagten Versuch macht, den formalen Mechanismus, in dem sich das Ich betätigt, als Arbeitsschematismus in die Materie einzubauen. Das Resultat dieser Bestrebungen ist die Maschine im engeren und präziseren Sinn des Wortes, d.h. der Mechanismus mit eingebauter Kraftquelle.

Die erste (und vorläufige) metaphysische Theorie der Maschine wird selbst in der abendländischen Kultur erstaunlich spät konzipiert. Ihr Schöpfer ist Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716). Das Ich als Monade ist nach ihm nicht mehr Substanz sondern Kraft. Und diese Kraft ist genau dieselbe, die "sich in der mechanischen Ordnung der Bewegungen" betätigt. [7] Mit dieser neuen Auffassung aber wird die ganze bisherige Geschichte des Abendlandes in einem sehr bestimmten Sinn entwertet. Denn wenn es die Absicht der Geschichte ist, das Wesen des Subjekt im Objekt zu wiederholen, dann mußte sich eine Epoche, die sich die Idee der Leibnizschen Monade zu eigen machte, unvermeidlich die Erkenntnis aufdrängen, daß in der bisherigen Entwicklung der abendländischen Seele nur die "stillen" Inhalte des eigenen Bewußtseins historisch realisiert worden waren, nicht aber die wesentliche Essenz dieser Seele, ihre lebendige Kraft. War diese Erkenntnis aber erst einmal konzipiert, dann konnte sich der von ihr betroffene historische Mensch auf keine Weise mehr der Aufgabe entziehen, den ernsthaften Versuch zu machen, auch diese "Kraft" der eigenen Subjektivität von sich auf die objektive Umwelt zu übertragen. Die objektive Gestalt aber, in der die Welt vom Ich diktierte Kraft entwickelt, ist die Maschine mit interner Kraftquelle.

Ein schüchterner Versuch nach dieser Richtung war bereits von Hero von Alexandrien im zweiten vorchristlichen Jahrhundert gemacht worden, aber sowohl diesem wie anderen vor-faustischen technischen Versuchen, in China z.B., fehlt die innere metaphysische Konsequenz und Durchschlagskraft. Die erste motorische Maschine im modernen Sinn ist erst von Thomas Savery und Thomas Newcomer (England) konstruiert worden. es war ein primitives Dampfmaschinenmodell Saverys (1648), dem aber noch die automatische Arbeitsweise fehlte, die der Maschine dann durch Newcomers Verbesserungen gegeben wurde (1711). Man hat bisher selten bemerkt - und jedenfalls keine geschichtsmetaphysischen Konsequenzen daraus gezogen -, daß die moderne Maschine ein technisches Selbstbild des Menschen ist. [8] Sie ist ein in der Welt befindlicher Körper mit beweglichen Teilen, dem eine "lebendige" Aktionsquelle innewohnt. Im Fall der ersten Maschinen war diese Aktionsquelle der Dampf. Nun ist die Grundeigenschaft aller lebendigen Subjektivität ihre Freibeweglichkeit, die physische und intellektuelle Fähigkeit, der Umwelt gegenüber den eigenen Standpunkt zu verändern. Es ist deshalb sehr bezeichnend, daß man unmittelbar nach der Erfindung der modernen Maschine sofort daran ging, sie "locomotiv" zu machen und ohne Verzug vom stationären Typ zu einem solchen überging, der auf Fortbewegung konstruiert war. Die bisherige Geschichte der Technik ist in der Hinsicht tief bezeichnend. Der Motor wurde in erster Linie als Fortbewegungsmittel konstruiert. Er repräsentiert damit tiefere subjektive Kategorien; der stationäre Motor erinnert vielmehr an pflanzliche Subjektivität. Er ist ortsverhaftet wie ein Baum in der Landschaft.

Die metaphysische Bedeutung der bisherigen Maschinentypen als Projektionen der Subjektivität in die physische Existenz ist allerdings sehr beschränkt. Es sieht zwar richtig, daß der Mensch in der motorischen Maschine den Aktivitäts- und Bewegungscharakter seiner Subjektivität in die tote Materie projiziert, aber nur soweit als sich diese Subjektivität in seinem Körper ausdrückt und ihm dort empirisch gegeben ist Die spirituelle Bewegung des Bewußtseins ist in dem klassischen Typ der Maschine nicht repräsentiert. Der Verfasser wurde kürzlich von einem amerikanischen Ingenieur drauf aufmerksam gemacht, daß man in der bisherigen technischen Entwicklung zwei scharf geschiedenen "anthroplogische" [9] Stufen unterscheiden könne. Die erste sei die, in der man mittels mechanisch-kinetischer und chemischer Prinzipien den Arbeitsschematismus des menschlichen Körpers in der Maschine nachzuahmen versucht, soweit er von den Muskeln durchgeführt würde. Mit der Elektronentechnik aber begännen sich Verfahrensweisen zu entwickeln, deren subjektives Modell nicht das muskelbewegte Glied sondern das Nervensystem und seine Arbeitsweise sei. In den "cybernetics" sei diese Analogie mit Händen zu greifen.

Wir wollen an dieser Stelle von dem sehr wesentlichen Umstand absehen, daß der faustische Mensch in dem Versuch den aktiven Reflexionscharakter seiner Subjektivität auf die Wirklichkeit abzubilden, dies nur soweit technisch zustande bringt, als ihm seine eigene Lebendigkeit in seinem menschlichen Körper zur direkten und objektiven Erfahrung wird. Dieser Umstand hat, wie hier nur im Vorübergehen bemerkt werden soll, seine tieferen Wurzeln darin, daß die faustische Technik im genauesten Sinn des Wortes primitiv ist. Wir verstanden unter geschichtlicher Primitivität des Menschen eine Zustand, in dem es dem Ich nicht gelingt, sich aus seiner Umwelt Abzulösen und in der es seine eigenen Wesenskategorien nur soweit verstehen kann, als sie sich ihm direkt aus der objektiven Gegenstandswelt ins Bewußtsein zurückreflektieren. Seine eigenen seelischen Bestimmungen erscheinen ihm deshalb als Götter, Geister und Gespenster mit unbegreiflichen magischen Beziehungen zu seiner privaten Emotionalität und willensmäßigen Existenz. Soweit die inhaltlichen Bestimmungen des menschlichen Ichs in Frage kommen - also soweit sich die historische Verwandlung des Menschen nur darauf erstreckt, was erlebt und was gewollt wird und das formale Wie des Erlebens nicht zum Thema des geschichtlichen Prozesses wird - ist dieser Zustand mit dem Eintritt in die zweite Geschichtsepoche, die die regionalen Hochkulturen aus sich entläßt, prinzipiell überwunden. [10] Das schließt nicht aus, daß das einzelne Individuum auch weiterhin primitive Erlebnisrestbestände mit sich führt, die in dem neuen Bewußtsseinszusammenhang als "Aberglauben" erscheinen. Die primitive Bewußtseinseinstufe existiert jedoch weiter, soweit der anonyme Reflexionsrest, d.h. die positive Reflexionskraft in Frage steht; jene formale Tätigkeit des Erlebens, die die inhaltlichen Bestimmungen als Bewußtseinstätigkeit aktiviert und durch den Erlebnisraum des Ichs bewegt.

Während also der Mensch auf seiner zweiten Geschichtsstufe sein Ich, soweit es inhaltlich bestimmt ist, als absoluten Gegensatz zur Welt erlebt (und damit die primitive Existenzstufe verlassen hat) erlebt er sich, soweit die Reflexion als Prozeß, also als Tätigkeit statt als Inhalt, in Betracht kommt, noch als ein Stück Außenwelt. Er bleibt in dieser Hinsicht unbeschränkt primitiv und verfügt über keinerlei Erlebniskategorie, die formale Spontaneität seines erlebenden Selbstes anders als in Bestimmungen der seiner Subjektivität entgegenstehenden physischen Realität zu begreifen. Der Teil der Außenwelt, an den sich sein Begreifen anklammert, ist in diesem Fall sein eigener materieller Körper. Er kann die Tatsache, daß er als Subjektivität aktiv lebt, nur insofern verstehen, als er atmet, als sein Herz schlägt, seine Glieder sich bewegen und sein Nervensystem Sinnesempfindungen produziert. Hier konstituiert sich ein intensiver Widerspruch in seiner historischen Existenz, der dem vollprimitiven Menschen noch nicht begegnet ist. Einerseits weiß er sich im Bewußtsein, d.h. vermittels der inhaltlichen Bestimmungen desselben als der radikale Gegensatz zur ganzen Welt. Andererseits aber findet er die subjektive Kraft, die diese Bewußtseinsinhalte bewegt und betätigt nirgends anders in der Außenwelt der eigenen organisch-physischen Realität seines Leibes.

Die Anerkennung dieses Widerspruchs führt in der klassischen Version der Metaphysik, der Ontologie, zu dem platonischen Identitätstheorem, gemäß dem Subjekt und Objekt zwar in der empirischen Welt, die unsere Erlebnisinhalte beschreiben, radikal verschieden seien, daß im Absoluten aber beide wieder zusammenfallen. Man kann unter diesen Umständen nur fragen, warum dann überhaupt die Entzweiung, wenn sie lediglich eine Angelegenheit subalterner Bewußtseinsinhalte ist und durchweg den Charakter moralisch unverbindlicher Vorläufigkeit hat, die nirgends die Essenz berührt. Eine solche Betrachtungsweise entwertet die Geschichte des zweiwertigen Bewußtseins, die durch unsere Hochkulturen repräsentiert wird, völlig. Diese Geschichte hat die Entzweiung eingeleitet, aber da der Subjekt-Objekt-Gegensatz ein Trug ist, der nur unsere irdischen Augen blendet, siegt die einwertige Ewigkeit des Absoluten wieder über historische Zeit und der Mensch kehrt nach seiner melancholischen Odyssee des Geistes mit einem: "Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände" wieder ins All-Eine zurück. Diese Religiosität ist der Ausdruck der Tatsache, daß die historische Ablösung des Ichs aus dem primitiven Bewußtseinsstadium bisher nur partiell erreicht ist. Dieser partielle Erfolg zählt aber historisch überhaupt nicht, weil er keinen gesicherten und unwiderruflich erworbenen Zustand darstellt und für ewig mit einer transzendentalen Zweideutigkeit behaftet ist, die das Ich in den präzisen und gedrängten Geschichtsabläufen der individuellen Hochkulturen gehetzt von Stufe zu Stufe treibt. Schließlich flüchtet es sich ermüdet und an nicht erreichten Zielen zerbrochen in die "zweite Religiosität", die alle diese Geschichtsabläufe abschließt. Diese Religiosität - eine subtile Rückkehr zur Primitivität - ist ein letzter Versuch, der radikalen Unstabilität einer zweiwertigen Bewußtseinsexistenz zu entgehen.

Die faustisch-abendländische Kultur aber wird keine Periode einer zweiten Religiosität besitzen. Spengler, der eine solche voraussagt, verkennt die Rolle, die die Maschinentechnik in dieser letzten und abschließenden der regionalen Hochkulturen spielt. Die zweite Religiosität ist ein unmittelbares Resultat der seelischen Unstabilität, die alle diese Geschichtsabläufe von China bis Westeuropa produzieren. In der faustischen Kultur schließlich kristallisiert sich das zu sich selbst kommende Bewußtsein dieser Unstabilität einer seelischen Existenz in einem Ich, das sich teils aus der Umwelt gelöst hat und teils in ihr verhaftet bleibt, zu einem positiven Willen diesen unvermeidbaren Widerspruch stabil zu machen, indem man ihn aus dem Gegensatz von Subjekt und Objekt, wo er unauflösbar ist, heraus und in ein Drittes zu transferieren sucht. Dieses Dritte ist die letzte historische Schöpfung der Weltepoche des zweiwertigen Bewußtseins. Der motorische Automat oder die klassische Maschine. in dieser technischen Leistung liefert der Mensch die ihm auf dieser geschichtlichen Stufe mögliche Lösung des Problems der aktiven Subjektivität (des Reflexionsrestes), die an der Ablösung des bewußten Ichs aus der primitiven einwertigen Erlebnissituation nicht teilgenommen hat, und die deshalb für diese gesamte Geschichtsepoche unweigerlich der Umwelt verhaftet bleibt. Die Lösung, die der faustische Mensch hier findet und in der er den letzten großen Akt seiner historischen Freiheit vollzieht, besteht darin, daß er das was ist anerkennt und wiederholend bestätigt. [11]

Was schon ist, ist die Tatsache, daß er sich auf der zweiwertigen Existenzebene der Geschichte nur im Bewußtsein, d.h. in seinen Bewußtseinsinhalten aus der Welt zurückgezogen hat. Der Gegensatz von Subjekt und Objekt ist ein gedachter. Das tätige Subjekt aber, das ihn denkt, bleibt als Leben, als einwertige Bewegung und als Form seiner Gedanken der objektiven Realität zugehörig. Angesichts dieser Situation bestätigt sich die produktive Freiheit des Menschen in dieser letzten schöpferischen Periode der zweiten weltgeschichtlichen Epoche darin, daß er keinen fruchtlosen Versuch macht, die eigene Subjektivität aus dieser ontologischen Umklammerung zu lösen. Er bestätigt sie vielmehr ausdrücklich dadurch, daß er seine eigene Spontaneität und reflexive Handlungsfähigkeit, die für ihn ontologisch relativ "nahe" in der Außenwelt, nämlich in seinem lebendigen Leibe lokalisiert ist, aus demselben heraus und in die größere Distanz der "seelenlosen" Maschine projiziert.

Dieses neue Gebilde, die Maschine, wiederholt in transzendentaler Gestalt durch ihre physische Konstruktion den menschlichen Körper und durch ihren Funktionscharakter seine Seele oder subjektive Spontaneität. Das letzte metaphysische Motiv für diese Ich-Introjektion der menschlichen Existenz in die Maschine ist der intensive Wille, die im Wesen der regionalen Hochkulturen implizierte Instabilität des historischen Daseins des Menschen zu überwinden. in den tiefgefühlten Legenden vom "Goldenen Zeitalter" und seinem längst entschwundenen Frieden sind nicht nur abstrakt mythologische Konzepte verarbeitet. Diese Legenden weisen vielmehr - zum Teil wenigstens - auf nüchterne historische Fakten zurück. In ihnen lebt eine vage Erinnerung, daß die geschichtliche Struktur der primitiven Kultur eine ganz unvergleichlich höhere temporale Stabilität hat als die rapiden Geschichtsabläufe auf der zweiten Stufe der historischen Existenz des Menschen. Die ganze intensive Symbolik seiner Vergänglichkeit, die dem höheren Menschen in der Reflexion begegnet, ist dem Naturmenschen unbekannt. Für das einwertige Bewußtseinsniveau des Menschen ist der Tod ein Ereignis in der Welt. Sein absoluter Charakter wird nur im Grauen und Terror erfahren. Der spezifische Charakter dieser Emotionen aber beweist, daß das Erleben als Grenzerlaubnis unbewältigt bleibt. Grauen und Terror sind amorphe Panikzustände der Psyche. Erst in den Hochkulturen tritt der Tod als absoluter Horizont des Daseins für den Menschen auf. Man ist ihm in der Welt jetzt seelisch gewachsen. Der menschliche Körper wird künstlerisches Symbol der Vergänglichkeit. Das Unbewältigte am Tode ist aus der Welt (vorläufig!) hinausgedrängt. Es lauert von jetzt ab hinter den äußersten Horizonten zeitlicher Existenz.

Die Sublimierung des Todes in der Kunst aber bedeutet, daß der Tod nur als Bewußtseinsinhalt in reflexiver Distanz gehalten werden kann. Das Ich als Spontaneität, als Handlung, als treibender Motor aller inhaltlichen Reflexion bleibt ihm weiterhin ausgeliefert. Ist erst einmal im letzten Stadium einer Hochkultur die ganze innerliche Fülle eines Seelentums in Form von Sprachen, Kunst, Sitte, Wissenschaft usw. in die historische Realität überführt worden, so daß dem Subjekt nichts weiter für sich selbst bleibt als die leere Tätigkeit, als das Wollen, das kein Ziel mehr hat, dann fällt es dem Terror des Todes und der distanzlosen Drohung des Endes widerstandslos anheim. Aber für den reinen Willen gibt es keine Ergebung in den Tod. Eine solche Ergebung ist Sache der inhaltlichen Reflexion, die den Willen betrügt. Der Wille (objektiv bestätigt als Lust) will Ewigkeit, wie Nietzsche mit metaphysischem Tiefblick gesehen hat. Dies äußert sich in allen regionalen Hochkulturen - mit Ausnahme der abendländischen - in der Verewigung des letzten Zivilisationsstadiums, an dem mit konservativer Zähigkeit festgehalten wird. In der faustischen Kultur aber wird zum ersten Mal begriffen, daß die späte weltstädtische Zivilisation eine historische Form des Scheintodes ist, mit dem der Mensch, der durch diese überstürzten Geschichtsabläufe hindurchgegangen ist, sich des endgültigen Todes zu erwehren sucht. Auch hier hat Nietzsche richtig gesehen. Zivilisation ist ein Zustand historicher "suspended animation"; und es ist einer der gewichtigsten Irrtümer der Spenglerschen Geschichtsphilosophie, daß im "Untergang des Abendlandes" vorausgesetzt wird, daß in der späten Zivilisation die Geschichte unwiderruflich stirbt. Das macht es Spengler unmöglich, die Perspektiven der Fortsetzung der Geschichte des Menschen über das historische Niveau der regionalen Hochkulturen hinaus zu sehen.

Solange sich eine Hochkultur ihrer eigenen inneren Symbolik bewußt ist, hält diese Symbolik in Religion, Kunst und Sitte und anderen Formen des objektiven Geistes die Erfahrung der Vergänglichkeit und das stete Bewußtsein des in diesen rapiden Geschichtsabläufen induzierten tödlichen Endes vor dem Willen zurück. Der objektive Geist einer Kultur ist ein existentieller Dämpfer, der den schöpferischen Willen vor dem direkten (natürlichen) Kontakt mit der Wirklichkeit bewahrt. Alle schöpferische Subjektivität bedient sich indirekter Kontakte. Ist aber erst einmal der Zustand der Zivilisation erreicht, in dem Religion nicht mehr geglaubt, Kunst nicht mehr empfunden und das erworbene Wissen nicht mehr verstanden wird und man den überlieferten Gestalten des objektiven Geistes nur noch fetischhaft und mit abergläubischen Instinkten anhängt, dann dämpft nichts mehr den Kontakt des Willens mit der natürlichen Realität ab. Das entleerte Subjekt fühlt, daß ihm seine Schöpfungen keine Zukunft sichern, weil es den Kontakt mit denselben verloren hat und hinter diesem Verlust die Fratze des Todes lauert, der in jeder Hochkultur bis in das Reich des primordialen natürlichen Daseins zurückgedrängt worden ist.

Da rafft sich, um dieser Begegnung mit dem Tode zu entgehen, der Wille zu einer letzten Schöpfung auf. er entwirft in der Maschine einen Körper, der den Handlungsrythmus seines leiblichen Körpers wiederholt und der in seiner internen motorischen Kraftquelle ein Reflexionsbild der lebendig tätigen Seele ist. Diese Geschichte des Maschinenzeitalters aber hat in den anderen Hochkulturen keine Entsprechung. Wir haben deshalb in unserem Diagramm (auf Seite ...) nur die horizontale Linie, die der abendländischen Kultur entspricht, über den vertikalen Teilstrich hinaus fortgesetzt. Diese letzte radikale Projektion des historischen Menschen in die Realität, die Überantwortung seiner selbst an die Maschine, wird in keiner anderen Hochkultur mehr vollzogen. Sie alle bleiben in dem Rennen nach dem Ziel, das in der zweiten Periode der Weltgeschichte dem Menschen gesteckt ist, auf halber Strecke liegen.

Die faustische Absicht ist klar. In der Maschinentechnik soll der Tod überwunden werden. Anstelle des organischen Leibes, mit dem der Mensch sich bisher identifiziert hat, tritt der maschinelle Körper, der dem Tode nicht mehr unterworfen ist. Und an die Stelle der spirituellen Gesetzlichkeit des objektiven Geistes, mit der der Wille in der Zivilisation mehr und mehr den Kontakt verliert, treten die unveränderten Gesetze der Maschinenarbeit, mit denen die willensmäßige Identifikation jederzeit möglich ist. Ein Leben, das sich mit der von ihm selbst geschaffenen Maschinenwelt identifiziert, mag (fürs Erste) wohl emotional arm sein und seine spirituelle Tiefe ist zu einer bloßen Potentialität reduziert; es besitzt dafür aber eine Stabilität und naive Sicherheit, wie sie nicht mehr dagewesen ist, seit der Mensch das "goldene Zeitalter" der einwertigen Subjektivität verlassen und sich in das reißende Stromsystem der regionalen Hochkulturen gestürzt hat.

Die Projektion der rationalen Konstanten des menschlichen Willens in die Maschine bewirkt nämlich etwas, wozu keine vorausgehende Geschichtsepoche bisher fähig gewesen ist. Sie etabliert eine unwiderrufliche Trennung zwischen der Subjektivität als privater Willkür, also dem sterblichen Teil des menschlichen Ichs, und derjenigen Subjektivität, die die innere Allgemeinheit von menschlichem Bewußtsein überhaupt repräsentiert. Es gibt zwar private ästhetische und moralische Systeme persönlichen Lebens. Aber kein Maschinenentwurf hat die intime Gültigkeit subjektiv privater Existenz. Das Ich, das sich in der Maschine reflektiert, ist streng allgemein. Es ist das kantische Bewußtsein überhaupt, das in allen lebenden Seelen das gleiche ist und das die intersubjektive Verbindlichkeit alles thematischen Erlebens sichert.

Sobald eine Hochkultur in das ihr folgende Zivilisationsstadium übergeht, beginnt das Bewußtsein den existentiellen Kontakt mit den von ihm selbst geschaffenen Formen des objektiven Geistes zu verlieren, weil ihm die innere Affinität zu diesen historischen Gestalten mehr und mehr verloren geht. Der Grund dafür ist evident. Der objektive Geist ist eine materiale, inhaltliche Bestimmung, die das Bewußtsein sich selbst gegeben und die es in die physische Realität projiziert hat. Je mehr nun der geschichtliche Prozeß fortschreitet und je intensiver das historische Ich seine inneren Bestimmungen aus sich entläßt und als objektiven Geist in Form von Sprachen, Religionen, Sitten und Willensentscheidungen in die Welt einbildet, desto mehr entleert es sich selbst. Je bestimmter und historisch konkreter seine Umwelt wird, desto menschlich unbestimmter und formaler wird es selbst. Damit aber weitet sich der Abstand zwischen ihm selbst und der von ihm geschaffenen geschichtlichen Tradition. Schließlich ist die Tradition inhaltlich erfüllt und eindeutig bestimmt, das ihr gegenüberstehende Ich aber leer, unbestimmt und anarchisch frei. Es entdeckt, daß es diese letzte Freiheit, die ihm geblieben ist, nicht mehr in jener Tradition realisieren kann, die seiner formalen Freiheit ihre konkrete Bestimmtheit entgegensetzt. Die Subjektivität erlebt sich am Ende des geschichtlichen Prozesses als reine bewegliche Form und erfährt zugleich ihr reflektives Abbild in der Welt des objektiven Geistes als die unbewegliche Bestimmtheit des materialen Inhalts gewesener Freiheit.

Das bedeutet aber, daß sich das Ich in seinen Schöpfungen nicht mehr wiedererkennt. Die konservative Dauer dieser seiner Selbstprojektionen, denen es nun endgültig entfremdet ist, gibt ihm keine Garantie der permanenten Existenz seiner Subjektivität, die, seit sie alle Inhalte an die Welt aufgegeben hat, nur noch als leere und unbestimmte Handlungsmöglichkeit erscheint. Da es sich als reine Form und unbestimmte Möglichkeit der Handlung nicht mehr mit der Tradition des objektiven Geistes identifizieren kann, weil jene Tradition das genaue Gegenteil dessen ist, was das Ich selbst in seiner Geschichte geworden ist, geht es nun daran, sich als reine Tätigkeit und innere Bestimmungslosigkeit in die Welt zu projizieren. Das Resultat dieser Projektion ist die Maschine. In ihr ist die Anarchie und bestimmungslose Tätigkeit der entleerten Subjektivität ins Objektive geworfen und dort impersonal allgemeingültig verankert. Der Arbeitsrythmus der Maschine ist das physische Äquivalent einer Subjektivität, die tätig ist ohne inhaltliche Bestimmungen und Ziele ihrer Tätigkeit zu besitzen.

Damit aber ist eine historische Situation geschaffen, die zwar von höchster seelischer Armut ist, zugleich aber eine solche menschliche Allgemeinheit produziert, wie sie keine der vorangehenden Hochkulturen je hervorzubringen fähig sind. die einzelnen regionalen Hochkulturen, die bisher entstanden sind, waren deshalb seelisch voneinander isoliert und unfähig, sich über die ganze östliche Hemisphäre auszubreiten, weil jede ein inhaltlich gebundenes und subjektiv eindeutig bestimmtes Seelentum in ihrem jeweiligen geschichtlichen Ablauf realisierte. Jede besaß ihr eigenes, nicht mittelbares materiales historisches Apriori. D.h. keine dieser Hochkulturen repräsentiert menschliche zweiwertige Subjektivität überhaupt und schlechthin, sondern stets eine individuell bestimmte und exklusive Variante dieses nicht-primitiven Bewußtseins. Aus diesem Grunde haben diese Hochkulturen keine gemeinsame Geschichte, wie Spengler richtig gesehen hat. Was sie voneinander übernehmen können, ist unwesentlich und bedarf, wie der Fall der Antike im europäischen Humanismus oder die Übertragung des Mahayana Buddhismus nach China beweist, einer radikalen Reinterpretation, ehe das transferierte Material seelisch assimiliert werden kann. Die Tatsache, daß ein historisches Seelentum inhaltlich in einem positiven Sinn bestimmt ist, schließt andere, widersprechende Bestimmungen von gleichem metaphysischen Rang aus. Aus diesem Grund ist nur die generelle Struktur des historischen Ablaufs in Ägypten, Indien, China und Europa dieselbe. Es ist der überall identische Rhythmus, den Geschichte in der Erlebniswelt eines zweiwertigen Bewußtseins hat. Die seelische Inhaltsqualität dieser regional limitierten Abläufe aber ist überall verschieden und auf keinen gemeinsamen Nenner reduzierbar.

Das hier Gesagte gilt nicht nur für Indien, China, die Antike usw., es gilt auch für die abendländische Kultur, soweit die letztere parallele Stadien mit ihren Vorläuferinnen entwickelt. Die Faustische Geschichte aber unterscheidet sich grad-, nicht artweise von den übrigen regionalen Kulturen dadurch, daß das Thema eines zweiwertigen, sich von der Welt distanzierenden Bewußtseins hier mit einer Intensität und rücksichtslosen Konsequenz durchgeführt worden ist, wie sonst nirgendwo. Keine der übrigen Kulturen hat den unbarmherzigen Dualismus erreicht, der in den Schöpfungen des abendländischen Menschen zum Durchbruch kommt; und keine hat deshalb dieselbe bewußte Klarheit über das Wesen des Subjekts erreicht, wie sie in der "Kritik der reinen Vernunft", der "Phänomenologie des Geistes" und in den Briefen "über die ästhetische Erziehung des Menschen" zu beredtem Ausdruck kommt. Dieser metaphysische Radikalismus, den die anderen Hochkulturen, speziell die magische und antike Geschichte nur vorbereiten konnten, treibt die historische Entwicklung im Abendland weit über die anderswo erreichten Realisationsstufen des zweiwertigen Bewußtseins hinaus. Alle anderen historischen Abläufe bleiben dabei stehen, daß sie ihr inhaltliches Apriori als individuelles, nicht wiederholbares Seelentum in der Wirklichkeit realisieren. Dann stagniert ihr geschichtlicher Prozeß. Die abendländische Kultur hingegen treibt sich selbst über den Konkretionsprozeß ihrer spezifisch faustischen Phsysiognomik hinaus und fügt den letzten auf dieser Geschichtsebene möglichen Realisationsschritt hinzu, die Einbildung der formalen, unbestimmten zweiwertigen Subjektivität überhaupt in die Wirklichkeit.

Damit aber ist das Ende klar. Die verschiedenen Weltintrojektionen des zweiwertigen Ichs, die in den vorausgehenden Geschichtsabläufen vollzogen wird, konnten deshalb nicht von einer Kultur in die andere transferiert werden, weil sie inhaltlich traditionsbestimmt und deshalb nur lokal repräsentativ und verstehbar waren. Die letzte "technische" Abbildung der faustischen Seele auf die physische Realität der Umwelt ist nicht mehr inhaltlich bestimmt. Was hier in die objektive Dimension projiziert wird, ist nicht ein spezifisches, inhaltliches Apriori des faustischen Seelentums, sondern jene anonyme generelle Kraft, die sich aus der inneren Spannung des zweiwertigen Bewußtseinszustandes entwickelt, die als solche allen regionalen Hochkulturen gemeinsam ist und die ihrerseits die inhaltlichen lokalen Apriori als historische Symbolik sekundären Ranges erst hervortreibt. Alle individuellen Symboliken der verschiedenen Hochkulturen sind von hier aus gesehen nur verschiedene Mittel und nebengeordnete Ausdrucksformen, die alle ein und demselben historischen Ziel dienen, den generellen Erlebniszustand der zweiwertigen Bewußtsseinssituation des Menschen in einer endgültigen Projektion in die physische Außenwelt zu realisieren und historisch konkret zu machen.

An dieser letzten Aufgabe sind alle regionalen Geschichtsabläufe mit Ausnahme des abendländischen Versuches gescheitert. Aus dem Charakter dieser letzten Ich-Introjektion in die Maschine aber ergibt sich, daß dieses "technische" Abbildungsverhältnis der Subjektivität in die Maschine bedingungslos von einer Hochkultur zur anderen transferiert ist, sobald beide Transferpartner das Stadium der Zivilisation erreicht haben. Die Geschichte dieser Übertragung der Maschinentechnik des Abendlandes auf die übrigen Hochkulturen tritt in der faustischen Geschichte an die Stelle der "zweiten Religiosität". In allen nicht-abendländischen Geschichtszuständen der zweiten Periode der Weltgeschichte zieht sich die Seele, sobald sie sich in ihren Schöpfungen des objektiven Geistes aller inneren Bestimmungen entledigt hat, ganz in ihre innerste Subjektivität zurück. Sie hat mit der Welt, in der sie ihre säkulare Aufgabe erfüllt hat, nichts mehr zu tun und um dem Tode und der Vergänglichkeit eines irdischen Zustands, der keine Zukunft mehr hat, zu entgehen, flüchtet sie sich in die zeitlose Einheit mit dem Absoluten.

Dieser mystische Ausweg aus der Geschichte aber ist der faustischen Seele versagt. Mit dem letzten Schritt, in dem sie ihre reine und unbestimmte Subjektivität aus sich heraus und in die Maschine verlegt hat, ist ihr die Rückkehr in die für sich seiende Subjektivität und in die "zweite Religiosität" abgeschnitten. Von hier aus kann der Weg nur noch vorwärts in tiefere und radikalere Seinsprojektionen, aber nicht mehr rückwärts in die Bewußtsseinsverfassung der radikalen Introszendentalität gehen, die die Welt und ihr Objektsein von sich ablöst. An Stelle dieses geschichtsfeindlichen Zustandes der "zweiten Religiosität" tritt im Abendland eine weitere äußerst lebendige Geschichtsepoche, deren Thema der Transfer der abendländischen Technik auf die übrigen regionalen Hochkulturen ist. Wir stehen heute in den Anfängen dieser Periode.

Wir erachten es als eine bloße Angelegenheit der geschichtsphilosophischen Terminologie, ob man diese Ära des Transfers als die letzte geschichtliche Bewegung der abendländisch faustischen Seele betrachten will, oder ob man vorzieht, sie als generelle Integrationsperiode zu definieren, deren historische Subjekte alle regionalen Hochkulturen zugleich sind, und in der die gesonderten Entwicklungsstränge der zweiten Weltgeschichte des Menschen sich zum Schluß in einer einheitlichen historischen Bewegung versammelte. Obwohl unter anderen Gesichtspunkten es möglich und zulässig ist, die technische Integrationsperiode der ganzen östlichen Hemisphäre als den Schlußabschnitt der faustischen Geschichte zu betrachten, möchten wir in den gegenwärtigen Erörterungen den zweiten Standpunkt vorziehen. Zweierlei Gründe sprechen dafür. Erstens spielen die Zivilisationen der vorangegangenen Hochkulturen in diesen neuen Entwicklungen keineswegs die Rolle passiver Objekte, mit denen die abenländische Technokratie nach Belieben schaltet und waltet. Ein solches mehr oder weniger indifferentes Abhängigkeitsverhältnis existierte in der kolonialen Zeit, die heute fraglos zu Ende ist. Die gegenwärtige Transferperiode aber ist durch sehr entgegengesetzte Eigenschaften ausgezeichnet. Wir haben bereits weiter oben angemerkt, daß Spengler im Irrtum ist, wenn er die Zivilisationsperioden der Hochkulturen als geschlechtslose Zustände auffaßt, in denen die individuelle Kulturseele erloschen und gestorben ist. Die Toten stehen in der Tat nicht auf und haben keine Zukunft. Im Gegensatz zu dieser im "Untergang des Abendlandes" vorgetragenen Auffassung betrachten wir die Zivilisationen als historisch suspendierte Lebensumstände, die unter bestimmten Umständen in die aktive Bewegung der Geschichte zurückkehren können.

Diese Umstände sind dort gegeben, wo einer Zivilisation von außen her ein Lebensmotiv gegeben wird, das in ihrer eigenen Entwicklungsrichtung präzis impliziert ist, daß sie also von selber erreicht haben würde, hätte sie ursprünglich die Kraft besessen, den einmalig gewählten Weg konsequent zu Ende zu gehen. Alle vor-faustischen Hochkulturen aber sind vorzeitig erlahmt und auf ihrem Weg zusammengebrochen, ehe sie das in der Weltgeschichte des zweiwertigen Bewußtseins intendierte Ziel erreicht hatten. Dieser vorzeitige Zusammenbruch ist nicht ein Symptom einer historischen Schwäche oder Minderwertigkeit angesichts der Maßstäbe, die die abendländische Kultur schließlich gesetzt hat. Jede der anderen regionalen Hochkulturen besaß ebenso viel historische Stoßkraft und Lebensenergie wie die letzte, die schließlich das Ziel erreicht hat. Was sich hier in Wirklichkeit abgespielt hat, und warum die abendländische Kultur einen temporären historischen Vorsprung vor den anderen gewonnen hat, kann am besten durch ein einfaches Beispiel erläutert werden. Wenn wir mehrere Autos auf verschiedenen Straßen nach einem 100 km entfernten Bestimmungsort schicken und jedem Wagen nur soviel Betriebsstoff mitgeben, um das Ziel auf dem kürzesten Weg zu erreichen, dann wird nur ein Wagen ankommen. Nämlich der, der die kürzeste Straße gewählt hat. Die übrigen werden auf ihren Wegen unterwegs liegen bleiben. In der Tat ist von allen regionalen Hochkulturen nur die faustische direkt auf das metaphysische Ziel ihrer Geschichte, die zweiwertige Struktur des subjektiven Bewußtseins der physischen Realität aufzuzwingen, zugegangen. Alle anderen haben Umwege zu diesem Ziel gewählt und sind dabei auf der Strecke geblieben. Das heißt, daß diese Umwege umsonst gewesen sind. Im Gegenteil! An metaphysischer Tiefe ist die indische Kultur der europäischen unvergleichlich überlegen. in der Ausbildung der ästhetischen Form hat der Abendländer den Chinesen nie erreicht. Im juristischen Denken sind wir auch heute noch subalterne Schüler des Römertums, und unsere Geschichtsphilosophie fußt selbst bei Schelling und Hegel noch auf dem magischen Denken St. Augustins.

Auch die mächtige Todessymbolik Ägyptens, der gegenüber die analogen Ausdrucksmittel Europas flach und schwächlich wirken, war ein freilich äußerst langer Weg zu diesem gemeinsamen Ziel aller regionalen Hochkulturen, ihre zweiwertige Subjektivität in der objektiven Dimension des Seins abzubilden. In der Rezeption der Technik als dem letzten möglichen Abbildungsschritt wird den außereuropäischen Kulturen also nichts wesensfremdes infiltriert, dessen metaphysische Hintergründe für sie unassimilierbar sind. Was hier aus der faustischen Kultur transferiert und von den übrigen Geschichtstraditionen der östlichen Hemisphäre rezipiert wird, ist das allen gemeinsame metaphysische Ziel. Die seit Jahrhunderten oder noch länger erstarrten Zivilisationen beginnen deshalb aus ihrem Schlaf der suspendierten historischen Existenz aufzuwachen und sich der westlichen Technik zu bemächtigen. Dieser Prozeß, obwohl noch in seinen Anfängen, ist heute bereits soweit vorgeschritten, daß man deutlich beobachten kann, daß das historische Subjekt dieser neuen geschichtlichen Bewegung nicht die faustische Seele mit ihrem noch lokal beschränkten inhaltlichen Apriori ist, sondern daß hier das generelle formale zweiwertige Bewußtsein, das allen diesen Kulturen zugrunde liegt, endlich zu eigenen historischen Ausdruck kommt. Denn erst in der Maschine und der ihr zugehörigen Technik findet es eine symbolische Realisation seiner selbst, die indifferent gegenüber den materialen symbolischen Motiven ist, die die regionalen Hochkulturen bisher voneinander getrennt haben. Es ist aus diesem Grunde besser, diese letzte Ära nicht mehr als einen Teil der faustischen Geschichte zu betrachten, obwohl zweifellos Europa allein zu ihr den Anstoß gegeben hat. Zwar ist richtig, daß nur in der faustischen Kultur jene äußerste Realisationsform des zweiwertigen Bewußtseins entdeckt worden ist, in der das inhaltlich bestimmt individuelle Seelentum einer lokalen Hochkultur in die formale und absolut allgemeine zweiwertige Bewußtseinsstruktur, die allen Hochkulturen eigen ist, übergeht. Aber sobald dieser Übergang einmal gemacht ist, kann von einem spezifischen indischen, chinesischen, magischen, antiken usw. Seelentum nicht mehr die Rede sein. Von nun an ist das Subjekt der verbleibenden historischen Entwicklungen der östlichen Hemisphäre ausschließlich das allgemeine zweiwertige Seelentum des Menschen in der ontologisch-klassischen Periode der Weltgeschichte.

Es existiert überdies noch ein zweiter Grund, warum man die Rezeption der abenländischen Maschinentechnik in den Gebieten der anderen lokalen Hochkulturen nicht als einen Vorgang einer spezifisch faustischen Geschichte betrachten soll. Für den faustischen Menschen ist die Maschine zu stark mit der eigenen Metaphysik beladen. Er ist nicht in der Lage sie sozial in einer so generellen Weise zu interpretieren, daß seine eigenen nur für ihn gültigen metaphysischen Voraussetzungen dabei verschwinden. Der Apostel der abendländischen Technik muß deshalb ein Menschentyp sein, der die spezifischen inhaltlichen Bestimmungen des faustischen Seelentums in sich überwunden hat, resp. sie nicht mehr anerkennt, der aber andererseits den technischen Lebensstil und die Maschine als Symbol des gegenwärtigen historischen Prozesses empfindet. Kurz gesagt: dieser Apostel muß ein "Nachzügler" der bisherigen Hochkulturen sein und charakteristisch durch eine völlige seelische Indifferenz gegenüber den inhaltlichen Tiefendimensionen der großen zweiwertigen Hochkulturen.

Das Bild eines solchen "Nachzüglers" hat Spengler im zweiten Band seines großen geschichtsphilosophischen Werkes treffend beschrieben. [12] Wir lesen dort. "Den unermeßlichen Unterschied der faustischen und der russischen Seele verraten einige Wortklänge. Das russische Wort für Himmel ist Njebo, eine Verneinung (n). Der Mensch des Abendlandes blickt hinauf, der Russe blickt zum Horizont ins Weite. Man muß den Tiefendrang beider also dahin unterscheiden, daß er dort die Leidenschaft des Vordringens nach allen Seiten in den unendlichen Raum ist, hier ein Sichentäußern, bis das "Es" im Menschen mit der endlosen Ebene eins geworden ist. So versteht der Russe die Worte Mensch und Bruder: er sieht auch das Menschentum als Ebene. Der Gedanke, daß ein Russe Astronom ist? Er sieht die Sterne gar nicht; er sieht nur den Horizont. Statt Himmelsdom sagt er Himmelsabhang. Es ist das, was mit der Ebene irgendwo in der Ferne den Horizont bildet. Das kopernikanische System ist seelisch für ihn etwas Lächerliches, mag es mathematisch sein, was es will.

"Schicksal" klingt wie eine Fanfare, `ssudjba'knickt ein. Es gibt kein Ich unter diesem niedrigen Himmel. `Alle sind an allem schuldig', das `Es' in dieser endlos gedehnten Ebene - das ist das metaphysische Grundgefühl aller Schöpfungen Dostojewskis. Deshalb muß Iwan Karamasoff sich den Mörder nennen, obwohl ein anderer den Mord begangen hat. Der Verbrecher ist der Unglückliche - das ist die vollkommene Verneinung faustischer persönlicher Verantwortlichkeit. Russische Mystik besitzt nichts von jener hinaufschwebenden Inbrunst der Gotik, Rembrandts, Beethovens, die bis zum himmelstürmenden Jubel anwachsen kann. Gott ist hier nicht die azurne Tiefe dort oben. Die mystischen russische Liebe ist die der Ebene, die zu den Brüdern unter gleichem Drucke, immer längs der Erde - längs der Erde; die zu den armen gequälten Tieren, die auf ihr wandern, zu den Pflanzen, niemals zu den Vögeln, Wolken und Sternen. Das russische Wolja, unsere Wille, bedeutet vor allem Nicht-müssen, Freisein - nicht für, sondern von etwas, vor allem von der Verpflichtung zu persönlicher Tat. Willensfreiheit erscheint als ein Zustand, in dem kein anderes "Es" befiehlt und man sich also der Laune hingeben kann. Geist, esprit, spirit ist , das russische duch ist . Was für ein Christentum wird aus diesem Weltgefühl einst hervorgehen?" [13]

Wir haben diese Bemerkungen Spenglers ausführlich zitiert, einerseits weil es notwendig ist, einer Fehlinterpretation des Russentums, in die Spengler und seine Anhänger verfallen sind, zu begegnen; andererseits weil uns die russische Seele hier phänomenologisch richtig beschrieben scheint und wir auf die von Spengler beschriebene grundsätzliche Erlebnissituation des russischen Menschen noch öfters zurückkommen werden. Vorerst allerdings wollen wir mit der Fehlinterpretation beginnen. Das obige Zitat schließt mit der Frage nach der Gestalt eines hypothetischen, zukünftigen russischen Christentums. "Das Russentum der Tiefe läßt heute eine noch priesterlose, auf dem Johannesevangelium aufgebaute dritte Art des Christentums entstehen, die der magischen unendlich viel näher steht als der faustischen, die deshalb auf einer neuen Symbolik der Taufe beruhend und, weit entfernt von Rom und Wittenberg, in einer Vorahnung künftiger Kreuzzüge über Byzanz hinweg nach Jerusalem blicht", hieß es an anderer Stelle. [14]

Dazu ist von vornherein zu bemerken: für eine neue, dritte Konzeption des Christentums, die die bisherigen magischen und abendländischen Formen überbietet, ist die russische Seele metaphysisch zu schwach. Eine neue Weltreligion setzt eine Kultur und ein Seelentum voraus, das stärker und innerlich mächtiger als die vorangehenden inhaltlichen Varianten des historischen Bewußtseins ist, die sich auf der jeweiligen generellen Geschichtsstufe entwickelt haben. Nur ein Ich, das durch die Entdeckung einer neuen bisher nicht erlebten und erlebbaren Realitätsdimension überwältigt worden ist, ist imstande seine Innerlichkeit in noch nicht dagewesenen Kategorien der religiösen Erfahrung zu übersetzen. Die russische Seele aber repräsentiert keine dimensionale Erweiterung der Erlebniskapazität des menschlichen Ichs, sondern eher eine Verengung und Konzentration auf ein bis dato Erreichtes unter resignierten Verzicht auf ungewisse und ungesicherte metaphysische Perspektiven. Die Dogmengeschichte der griechischen Kirche hat bereits seit einem Jahrtausend ihr Ende gefunden, "und eine Wiederbelebung dieser Geschichte ist nicht leicht denkbar." [15] Das christliche Dogma verliert in der griechischen Orthodoxie rapide seine Tiefendimension, die sich durch gestufte Reflexionsschichten erstreckt. Es gleicht sich der seelischen "Ebene" des russischen Welterlebnisses an. Es ist tief bezeichnend, daß nach dem Ikonoklastenstreit plastische Abbildungen von der griechischen Kirche fast ganz ausgeschlossen worden sind. Die plastische Kunstausübung ist unter dem Einfluß der Orthodoxie und der Theorie des "authentischen Bildes" hier nicht mehr aus der Verkümmerung herausgekommen. [16] Das ist kein Zufall, denn wenn nach der Auffassung des Theodrus Studita das Verhältnis des Abbildes zum Urbild eine notwendiges ist - und auf diesem notwendigen Zusammenhang, der bis zur spirituellen Identität geht, beruht die Bilderverehrung - dann ist die plastische Figur kein adäquates Abbild. Das Bild, das sie dem Beschauer bietet, wechselt mit dem Standpunkt des Beobachters seinen optischen Charakter. Die Statur löst sich für den Betrachter, der um sie herumgeht, in eine unendliche Folge von Abbildgestalten auf. Was im, gegebenen Fall gesehen wird, hängt vom perspektivischen Blickort des Beschauers ab. D.h. das jeweilige Bild ist nicht absolut objektiv sondern "subjektiv" gefärbt. Die subjektive Ikon aber ist keine Ikon mehr. Was das ikonische Bild repräsentiert, ist die endgültige Abbildung des Geistes auf das Sein. Eine solche Abbildung verträgt nicht mehr die perspektivische Veränderlichkeit der plastischen Figur. Die dreidimensionale Abbildung im Körper, der schließlich immer subtiler begriffen wird, bis er in der abendländischen Kunst als Klangkörper und mathematischen Zahlenkörper auftritt, ist ein symbolischer Ausdruck des Wissens, daß der Logos nur im Unendlichen, in einer unendlichen Serie sich hintereinanderlegender Perspektiven auf das materielle Sein abgebildet werden kann. Von dieser inneren Gewißheit gibt die dämmernde Tiefe gotischer Dome ebenso Zeugnis wie die faustische Auflösung des aristotelischen Urteils in die unendliche Stufenhierarchie des Funktionenkalküls in der symbolischen Logik. Alle menschliche Metaphysik beruht auf jenem Distanzerlebnis einer absoluten, nicht auslotbaren Tiefe. Die wahre, endgültige, perspektivenlos Abbildung des Geistes Gottes auf die materielle Realität findet erst im Absoluten statt. Die coindidentia oppsitorum ist nicht von dieser Welt. Ein eineindeutiges (umkehrbar eindeutiges) Abbild des Heiligen auf das Irdische gibt es nicht.

Gerade das aber behauptet Theodor von Studion, einer der geistigen Väter der griechisch-byzantinischen Tradition der orthodoxen Kirche. Das das Verhältnis des Abbildes ( ) zum Urbild ein notwendiges ist, [17] existiert zwischen beiden eine Relation der spirituellen Identität. "Theodor behauptet, daß die Materie gleichgültig sein, daß man aber in der Form der authentischen Bilder den wirklichen Christus, die wirkliche Maria und die wirklichen Heiligen habe. Sie alle haben ihr in sich getragen, und dieses ist unabhängig von der personellen Ausprägung; es prägt sich weiter aus von Bild zu Bild, erst selbsttätig ... dann durch Künstlerhand, wenn sie treu den Typus wiedergibt". [18] Man besitzt also in der Ikon die Essenz des Göttlichen direkt, und die coincidentia oppositorum, die für den Cusaner ein unerreichbares, im Absoluten gelegenes Ziel war, ist in jedem kleinen Heiligenbildchen vollzogen.

Damit ist die Voraussetzung gegeben, warum die Ikon keine Plastik sein darf und nur das zweidimensionale Bild eine angemessene Darstellung ist. Die aristotelische Logik des zweiwertigen Bewußtseins postuliert, daß der unversöhnliche Gegensatz von Ich (Position) und Welt (Negation) nur unter dem Ausschluß einer dritten Dimension in ein endgültiges Identitätsverhältnis aufgelöst werden kann. Aber für jede irdische Bejahung und Verneinung gibt es ein dahinterliegendes Drittes. Die Alternative: die Rose ist rot oder nicht-rot schließt die unendliche Perspektive fernerer Alternativen, die nichts mit Farbe zu tun haben, nicht aus. Die Disjunktion: der Angeklagte ist schuldig oder nicht-schuldig schließt nicht aus, daß er gut oder böse, blond oder brünett, wohlgenährt oder hungrig ist. Das archetypische Verhältnis zwischen subjektivem Geist und objektiver Existenz ist in der platonischen Ideenpyramide ausgedrückt:

Wenn der Geist seine spirituelle Identität mit sich selbst auf die Materie projiziert, so kann das nur in einer unendlichen Serie von zweiwertigen Approximationen geschehen. Wenn die Basis A' - B' die Alternative rot - nicht-rot repräsentiert, dann liegt unter ihr die tiefere Alternative A'' - B'', Farbe - nicht-Farbe und unter der letzteren eine weitere A''' - B''', die sich in einem neuen Dualismus eines weiteren Prädikats auseinanderspannt. Und wie sehr wir auch unsere Alternativen verallgemeinern und dadurch C der absoluten Realitätsbasis A - B annähern, wir erreichen die letztere nie. Bei Sequenz C C' C'' C'''... ist unendlich. Solange das Ich sich selbst Ich ist und als Subjektivität der Welt gegenüber steht, solange schwebt C als Reflexionsdistanz über der absoluten Ebene A-B. Die Abbildung des Geistes auf das Sein kann nur in einer unendlichen Reihe von immer neuen Realitätsprojektionen vollzogen werden, und solange C Höhendistanz über A - B hat, ebensolang existiert relativ zu A und B das vom endgültigen Sein ausgeschlossene Dritte, und die coincidentia oppositorum der Gegensätze A und B bleibt unvollzogen, weil sie von C auseinander gehalten werden. Dies ist die faktische Bewußtseinssituation des historischen Menschen, der dank seiner "Kreatürlichkeit" ewig im Abstand vom Absolut bleibt und seinen eschatologisch-utopischen Endzustand in der Geschichte niemals erreichen kann. Das "Dritte", die sich aus dem faktischen Gegensatz von A und B heraushaltende Reflexion C, die sich auf diese Weise ihre Subjektivität bewahrt, bleibt in der konkreten Existenz des Menschen stets eingeschlossen.

Die aristotelische Logik aber, die in ihrer Zweiwertigkeit den Sinn des Denkens und Erlebens definiert, der auf dieser Geschichtsstufe sich aktiv realisiert, fordert in ihrem Satz vom ausgeschlossenen Dritten, daß das Bewußtsein erst dann seine eigene Wahrheit und objektive Realisation gefunden hat, wenn jene sich aus der Wirklichkeit zurückhaltende Reflexion vollkommen verschwunden ist und die Alternative a - B keine Tiefendimension mehr besitzt, in der sie fraglich und vorläufig erscheinen kann. [19] D.h. diese Logik fordert als Ziel des Selbstbewußtseins, daß dasselbe seine Erlebniskategorien derart formulieren soll, daß alle logischen Bestimmungen, in denen es sich und die Welt als ko-existent versteht, präzis in dieselbe Systemebene fallen sollen, wie etwa die Ziffern eines Zahlensystems, die nicht-quantitative Begriffe (wie "süß", "blond", "traurig") als irrelevant ausscheiden.

Wer auch nur das geringste Flair für metaphysisches Denken hat, wird sagen, daß der Satz vom ausgeschlossenen Dritten eine Forderung aufstellt, deren Erfüllung dem Denken Gottes vorbehalten ist. Denn logische Prädikate, die diesem Axiom materialiter genügen, sind mit der Wirklichkeit, die sie indizieren, identisch. Sie konstituieren also einen Zustand, in dem Denken und Sein durch keinen Reflexionsabstand mehr getrennt und deshalb vollkommen identisch sind. Ein "Denken", das sich in solchen Prädikaten bewegt, schafft die Wirklichkeit dadurch, daß es sie denkt. Ein solches Denken ist von praktischer Handlung ununterscheidbar.

Wie gesagt: der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist im menschlichen Bewußtsein unrealisierbar. er bleibt logisches Postulat einer unerreichbaren Wahrheit. In dem unendlichen Grade seiner Nichterfüllung beschriebt er die spirituelle Distanz, die den Menschen von Gott trennt. Andererseits aber ist dieses klassische Axiom ein grundlegendes Gesetz des zweiwertigen, irdischen Bewußtseins. D.h. es treibt den Menschen in seiner Geschichte (der regionalen Hochkulturen) in Richtung seiner vorläufigen und partiellen Erfüllung. Dies führt zu jener von uns beschriebenen existentiellen Bewegung des historischen Individuums in der zweiten Etappe der Weltgeschichte, in der das selbe, nachdem es einmal seine prinzipielle Verschiedenheit vom objektiven Sein erkannt hat, versucht, durch die Formenwelt des objektiven Geistes seine Subjektivität in die Ebene faktischer Existenz einzubauen.

Diese prinzipielle Verschiedenheit besteht darin, daß das Subjekt als solches nur Reflexionstiefe besitzt, aber keine Reflexionsbreite. Das Objekt dagegen ist metaphysisch "flächenhaft", es besitzt nur Reflexionsbreite, aber keine Tiefe. Das Faktische, nur Natürliche, ist bloße Oberfläche, es ist nichts "dahinter". Subjektivität, reine Reflexion, andererseits ist ungreifbare Perspektive der Distanz, des formlosen Inhalts; hier ist allerdings viel "dahinter", aber nichts "vorn" und hat tastbare Gestalt, die verpflichtende Kontakte erlaubt. Was wir Menschen des Zeitalters der regionalen Hochkulturen unter Geschichte verstehen, ist ein Versuch, diese formlose und ungebändigte Tiefe samt ihren vieldeutigen Perspektiven auf die eindeutige Fläche des faktischen Seins abzubilden. Dem Übernatürlichen in der Ebene der Natur Form zu geben und es in diesen Formen zu verstehen.

Es ist der Fluch der Geschichte, daß ein solcher Versuch nur mit grundsätzlich unzureichenden Mitteln unternommen werden kann und daß der absolute Gewinn, der in ihm nichtsdestoweniger zu Tage tritt, dem Menschen, der ihn erarbeitet hat, nicht mehr zugute kommt. "Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks", sagt Hegel. [20] Sie ist vielmehr "die Schlachtbank ... auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden ist". [21] Das Opfer, das hier gebracht wird, ist unvermeidlich und es berührt das Wesentlichste im Menschen, insofern es spirituell ist. Je mehr nämlich der Mensch in den regionalen Hochkulturen seine innerliche Reflexionstiefe auf die objektive Reflexionsbreite abbildet und sie in der eindeutigen Ebene des Seins zur Form und zu allgemeinverbindlichem Ausdruck bringt, desto flacher wird er selbst und desto mehr verarmt er seelisch. Die Serie der sich folgenden Reflexionsstandpunkte C, C', C'', C'''... ist zwar theoretisch, resp. formal unendlich und kann nicht ausgeschöpft werden. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß der Mensch in jeder einzelnen Hochkultur ja nicht die zweiwertige Seele der unendlichen Tiefenperspektiven überhaupt in die objektive Realität des Seins wirft, sondern seine spezifische, inhaltlich bestimmte Variante, die in China eine andere ist als in Indien und Ägypten; und die in der Antike, der magischen Kultur und im Abendlande wieder verschiedene, jedes Mal andere Züge besitzt. Dieses inhaltliche Apriori, in dem sich die Reihe der C, C', C'', C'''... Standpunkte jedesmal neu und in bisher nicht dagewesener Weise bestimmt, ist aber endlich. D.h. es besteht nur eine endliche Anzahl der Reflexionsstandpunkte C. Hat aber die jeweilige Kulturseele diese Besetzungen erst einmal aus der eigenen Tiefe hinaus und auf die Seinsebene projiziert, dann hat sie sich selber innerlich entleert. Sie ist von ihrer Geschichte seelisch ausgesogen und wandert von nun an als ein substanzloser seelischer Mechanismus durch eine ihr fremder und fremder werdende historische Landschaft. der letzte "Inhalt", der ihr geblieben ist, ist die eintönige Wiederholung ihres Reflexionsmechanismus (C), in dem sich jetzt C nicht mehr von C', C'' usw. unterscheiden kann, weil die Unterscheidungsmale, nämlich die inhaltlichen Bestimmungen der einzelnen Reflexionspunkte der freien Reflexion und ihren Tiefenperspektiven nicht mehr angehören. Sie sind längst fixiert in der flachen Existenzebene der Reflexionsbreite, die sich als faktische Welt jenseits des - eine autonomen - Bewußtseins dehnt.

Hier enden alle regionalen Hochkulturen ihre spirituelle Sondergeschichte. Nur die letzte in ihrem Kreis, die abendländische Kultur als Projektion des faustischen Weltgefühls, treibt ihren Weg noch um einen einzigen, den letztmöglichen Schritt weiter: sie setzt auch diesen leeren klappernden Reflexionsmechanismus, der den generellen Restbestand alles menschlichen Seelentums auf dieser weltgeschichtlichen Stufe umfaßt, aus sich hinaus und placiert ihn als Maschine in die tiefenlose Ebene faktischer Existenz. Damit ist das in der aristotelischen Logik vorgeschriebene Ziel des Bewußtseins scheinbar erreicht. Jedenfalls ist es soweit verwirklicht, als das im kreatürlichen Bereich und historisch empirisch überhaupt möglich ist. Damit aber setzt eine spirituelle Krise ohnegleichen ein. Die Seele, der es geglückt ist, sich selbst in Gestalt der Maschine in die Wirklichkeit zu projizieren, ist ja nicht der heiße göttliche Funken, durch den das Ich am göttlichen Leben teil hat. Es ist nur die kalte Asche eines ausgebrannten Feuers. Mehr noch! Die Seele hat sich hier selbst verhökert. Für ihre der Zeit und der Vergänglichkeit unterworfene Tiefe hat sie das Linsengericht der flachen zeitlosen Dauer in der mechanischen Existenz eingetauscht. Subjekt und Objekt sind in einer teuflischen Union zusammengeschmolzen und nur das böse Gewissen als letzte Beziehung des Menschen zu seinem eigensten introszendenten Ursprung schwebt schuldbewußt über diesem metaphysisch eingeebneten Dasein.

Jetzt sollte es deutlich sein, daß das Symbol der endlosen Ebene, das Spengler dem Russentum als historisches Apriori zuschreibt, nicht der Ausdruck eines neuen nachfaustischen Seelentums ist, das die zweite Stufe der Weltgeschichte um eine weitere regionale Kultur individueller Prägung bereichern und eine eigene Religion, Kunst, Wissenschaft usw., kurz eine spezifische historische Symbolik der "Ebene" hervorbringen wird. Die slavische Melancholie, die über den weiten Steppen Osteuropas liegt, ist nicht das ahnungsschwere Dämmern einer erwachenden Seele, die ihre Geschichte noch vor sich hat. Jenes schuldhafte Lebensgefühl spricht im Gegenteil von einer langen historischen Tradition, die endlich gebüßt werden muß; von einer verlorenen Seele, die sich dem Teufel verkauft hat; von einem hochmütigen Bewußtsein, das sich zu sterben weigerte und deshalb die eigene Kraft und Spontaneität der zeitleeren Dauer des Mechanismus und der selbsttätigen Maschine überantwortete. Gewiß hat man die Maschine, kaum daß sie geschaffen war, auch in ihrem westeuropäischen Erfindungsbereich als teuflisch empfunden [22], man fühlte aber nichtsdestoweniger das eigene Gewissen nicht beschwert und empfand keine besondere Verantwortlichkeit für das eigene Produkt. Was i der westlichen Welt je gegen die Maschine gesagt worden ist, hat wenig Konsequenz. der faustische Mensch vergaß nie ganz den religiösen Ursprung alles technischen Denkens, das in den christlichen Klosterzellen des Mittelalters beginnt. "Diese inbrünstigen Erfinder in ihren Klosterzellen, die unter Beten und Fasten Gott sein Geheimnis abrangen, empfanden das als einen Gottesdienst. Hier ist die Gestalt Fausts entstanden, das große Sinnbild einer echten Erfinderkultur. Die scientia experimentalis, wie zuerst Roger Bacon die Naturforschung definiert hatte, die gewaltsame Befragung der Natur mit Hebeln und Schrauben beginnt, das als Ergebnis in den mit Fabrikschloten und Fördertürmen übersäten Ebenen der Gegenwart vor unseren Augen liegt. [23]

Nicht das Wissen, resp. das Resultat des Wissens (die Maschine) ist in der Faustsage das Teuflische, sondern die Aufgabe des eigenen Seelenheils als Preis für die technische Macht. In sekularer Terminologie: die geschichtliche Aufgabe des Menschen war, sein eigenes Bewußtsein und seine eigene schöpferische Kraft auf die Maschine zu übertragen. Aber dieses Bewußtsein ist eng und diese Kraft ist beschränkt; deshalb liegt die Versuchung nah, die Maschine nicht als Bild seiner selbst sondern als Bild des "ganz Anderen", der personifizierten Natur, zu bauen. Das ist Heidentum und Götzendienst. Der Mensch, der eine Maschine entwirft, steht vor der spirituellen Entscheidung, in seinen Entwurf die Subjektivität als Natur oder als Geist hineinzuprojizieren. Aber seine Subjektivität als Geist ist nur jener winzige mystische Funke, von dem die Mystiker sprechen. Seine Subjektivität als Natur aber ist der triebhaft beherrschte Körper in der Übermacht seines animalischen Dranges. Hier erliegt schließlich der homo faber dem Angebot des Teufels. Die Maschine, die der faustische Mensch in seiner Geschichte produziert, ist nicht ein Abbild seiner spirituellen Subjektivität sondern eine potenzierte Wiederholung der blinden Subjektivität seines natürlich lebendigen Leibes. Theologisch-metaphysisch liegt hier eine Schuld vor. Geschichtlich-sekular betrachtet ist dieser Pakt mit dem "Teufel" unvermeidlich. Auch die Technik muß, wie wir bereits weiter oben bemerkten, mit einem primitiven, resp. Naturstadium beginnen. In diesem primitiven Stadium identifiziert der Mensch seine innere Subjektivität mit der Umwelt, in die er sich geworfen sieht. Die nächste Umwelt seines Willens ist sein eigener Körper. Eine neue Maschinentechnik mit einer nicht-primitiven Idee der Maschine wird dann beginnen, wenn der homo faber begreift, daß die erste Identifikation des Mechanismus mit dem Arbeitsrhythmus seines eigenen Körpers nur eine vorläufige Projektion seiner formalen Subjektivität (als Tätigkeit) ist, und daß der Mensch, der sich damit begnügt, seine Seele dem ganz Anderen, also dem Teufel überantwortet hat. Dieses Begreifen des "unmenschlichen" Charakters der klassischen Maschine ist heute in Amerika in langsamem Entstehen. in der Theorie des "Cybernetics" kündigt sich ein transklassischer Maschinentyp an, der ein adäquates Abbild menschlicher Subjektivität sein will.

Von diesen künftigen Perspektiven, die ein neues metaphysisches Bewußtsein des Menschen einer generell planetarischen Geschichte voraussetzen, sieht der Russe nichts. Er steht nicht über dem Schicksal des klassischen Menschen der zweiten Stufe der Weltgeschichte. Er ist in dieses Schicksal selbst zutiefst hineingezogen, weil es seine Aufgabe ist, diese Epoche der regionalen Hochkulturen endgültig zu liquidieren. Der Bolschewismus, seine eigene historische Form, die er endlich gefunden hat, entwickelt die letzte und radikalste Version des zweiwertigen Bewußtseins, in der das Axiom vom ausgeschlossenen Dritten der freischwebenden Reflexion, die sich von der Faktizität der Seinsebene fernhält, nun endlich erfüllt ist und Bewußtsein und Sein in der gleichen Dimension zu liegen kommen. Die in den Himmel ragende platonische Pyramide der metaphysischen Existenz des Menschen ist immer niedriger geworden, ihre Breite immer dominierender, bis schließlich ihr Scheitelpunkt im Symbol der endlosen Ebene endgültig planiert ist. Aus unserem symbolischen Dreieck auf Seite ... ist

geworden. Das Dritte, die ehemals freie und über der Welt schwebende Subjektivität ist jetzt in der Seinsebene eingefangen und dort unwiderruflich gebunden. Solange das Dritte in der unvollendeten Existenz der zweiwertigen Bewußtseinsverfassung noch als autonom tätiges spirituelles Prinzip über der gewesenen Freiheit der Ebene A - B schwebte, solange lockte es in unerforschte metaphysische Tiefen, in noch ungekannte und unerprobte Realisationsmöglichkeiten einer magischen Distanz. Man schweifte auch räumlich in die Ferne, weil dort das Geheimnis weste. In den unerreichbaren Tiefen des Raums war das Geheimnis gelöst, unter dem das eigene ratlose Dasein litt. Mochte dieser Glaube auch eines Tages zum Sterben verurteilt sein, solange jenes unsagbare Dritte aus der eigenen Realität ausgeschlossen war, durfte man es jenseits des Waldes und hinter den Bergen suchen. Distant meadows are green, sagt ein englisches Sprichwort.

Anders aber die russische Seele "... es ist keine pantheistische Raumtiefe um sie, keine bewaldete Weltkugel ..." [24] Für sie gibt es kein verborgenes Geheimnis mehr außer der Schuld. Und diese ist hier in der eigenen Brust. Aber weil man ganz die Schuld hat, hat man auch die Wahrheit. Deshalb die Weltmission des Bolschewismus. "Alle Menschen müssen russischen werden, als Erstes und vor allen Dingen russisch..." verkündet Dostojewski in seinen politischen Schriften. Der Russe ist aber der "neue Mensch", in dem sich die Geschichte erfüllt hat. In der Tat hat kein Inder, kein Chinese und kein Westeuropäer jemals in seinem Bewußtsein eine so intensive verzweifelte Zweiwertigkeit realisiert, wie eine solche in der russischen Emotionalität sowohl wie in dem politischen des Bolschewismus zutage tritt. Der Dualismus der Existenz, der alle regionalen Hochkulturen von dem primitiven Dasein abhebt, ist hier am schließlichen Ende dieser weltgeschichtlichen Epoche zu einem derartigen Grad der Unerträglichkeit gesteigert, daß der innere seelische Verband des Menschen auseinanderzureißen beginnt. Die russische Seele ist das zweiwertige Bewußtsein in seiner endgültigen Dekomposition begriffen. [25]

Dieser Dekompositionsprozess ist leicht zu begreifen und ein unvermeidliches Resultat der historischen Entwicklung. Was dem Seelentum des Menschen in dem regionalen Hochkulturen seine innere Form und unzerreißbare innere Einheit gibt, ist die unendliche Distanz des Ichs vom faktischen Sein. Es erfährt sich der Wirklichkeit gegenüber als das absolut Verschiedene, als totale Negation der in die unermeßliche Vielheit der Objekte aufgebrochenen Welt, als innere Konsequenz gegenüber der anarchistischen Brutalität der bloßen Fakten; kurz, als zu-sich-selbst-gehörige Ich-identität des geordneten und gegen das Draußen abgeriegelten Systems des Selbstseins. Nur der eine Pol der zweiwertigen Existenz ist mit dem eigenen intimen Bewußtsein identifiziert. Der andere liegt sternenfern in einer kalten Transzendenz. Diese transzendentale Distanz wird in den historisch arretierten regionalen Hochkulturen schließlich wenigstens für das entleerte Ich bewahrt, das sich, weil durch keine innerlichen Bestimmungen seiner selbst mehr mit der Welt verbunden ist, von der letzteren abwendet und durch seine Hingabe an die "zweite Religiosität" diese Distanz für die formale Subjektivität aufrecht erhält. Die faustische Kultur hingegen, die dieser Arretierung nicht unterliegt, verringert diese Distanz schließlich soweit, daß die für das theoretische Bewußtsein aufgehoben ist. Dies geschieht durch die Projektion der eigenen formalen Subjektivität in die Maschine. Die Seele ist von der toten Objektwelt aufgesaugt worden. So sehen sich die Dinge für den historischen Betrachter an, der diese Entwicklung kühl und unbeteiligt von außen her registriert. Subjektiv gesehen, vom Standpunkt des leidenden Bewußtseins betrachtet, tritt der zweite anarchische, negative Wert, den das mit sich selbst identische Ich bisher kraftvoll von sich fern gehalten hat, jetzt in das Bewußtsein ein. Das Ich, das bisher die Welt, resp. den Umfang seiner Bewußtseinsinhalte als zweiwertig erlebte - eine Zweiwertigkeit, von der es sich als Einzigkeit, als persönliche unteilbare Identität radikal abhob - wird jetzt von dieser Zweiwertigkeit selbst überwältigt. Es beginnt, statt die Welt, sich selbst verzweifelt zu bekämpfen, s nimmt neurotische schizophrene Züge an. Es identifiziert sich bald mit dem einen und bald mit dem anderen Wert. Indem es sich dem Mechanismus des "dialektischen" Standpunktwechsels übergibt, verleugnet es seine spirituelle Autonomie und kann von nun an Schicksal und Geschichte nur noch durch die Kategorien des "historischen Materialismus" verstehen. Die restlose Identifikation mit der Seinsebene ist vollzogen.

Damit aber fließt das Ich auseinander. Was es bisher zusammenhielt, war die unüberschreitbare Kluft zwischen Subjekt und Objekt, die ein Ineinanderfließen der Werte verhinderte und der Subjektwelt sowohl wie dem Objektbereich seine eigenen, nicht transferablen Gesetze gab. Von jetzt ab geht die Zweiwertigkeit, die bisher auf den Subjekt-Objekt-Gegensatz verteilt war, auf das Subjekt sowohl wie auf das Objekt über, so daß wir von jetzt ab mit einem zweiwertigen Subjekt und seiner inneren Zerrissenheit und außerdem mit einen zweiwertigen Objekt und seiner teuflischen Doppeldeutigkeit zu rechnen haben. Im klassischen China schrieb man an Steine: der Stein kann's aushalten, um den erzürnten Geistern ein indifferentes Objekt zu geben, an dem sie ihre Wut auslassen sollten. Wir können auch hier sagen: die objektive Realität kann es aushalten, wenn sie auf einmal zweiwertige Charakterzüge annimmt. Die Subjektivität aber ist diesem Schicksal nicht gewachsen. Sie geht in Dekomposition über und verliert sich an das Gesetz des Objekts.

Die larmoyante Seele des russischen Mystizismus in ihrer allbrüderlichen Disintegration und die brutale Objektseele des kommunistischen Kommissars, der einen Stein als Herzmuskel benutzt, sind nur zwei verschiedene Seiten desselben Sachverhalts. Sie resultieren beide aus demselben "metaphysischen" Glauben, daß das Spirituelle im Materiellen vollkommen abgebildet sei. [26] Der Bolschewismus ist die säkulare Konsequenz des Ikonenkults. Es ist unwesentlich, daß an Stelle des Christus - oder der Heiligenbilder - die Bilder Lenins, Stalins und anderer Treten. Auch die Unfehlbarkeit des durch die Ikon vermittelten Glaubens geht auf alte byzantinische Tradition zurück. "Nur die Sünde hat kein Abbild" (Theodoret). Das ist ein grundlegendes Theorem und die legitime Konsequenz des Ikonenkults. Die nicht zur Ruhe kommende Reflexion, die sich der Positivität entziehende Vieldeutigkeit der Negation, das ist das Dritte, das in dem endlich zum Ende und zur Deckung kommenden Identitätsverhältnis von Seele und Sein endgültig ausgeschlossen ist. Diese Unruhe und diese Negation aber sind die Sünde und die Schuld.

Damit ist die Schuld völlig aus der Welt in das (ohnehin disintegrierende) Subjekt zurückverlegt. Das Ich als Ich ist eo ipso schuldig, weil es als sich aus dem Objektzusammenhang zurückhaltende Subjektivität und Reservation intimer Privatheit überhaupt kein historisches Daseinsrecht mehr hat. Das in die Existenz eingeebnete Ich entscheidet infolgedessen auch nicht mehr, was wahr und falsch, was recht unrecht ist. Denn nur das aus dem Sein sich abhebende, sich von ihm distanzierende Subjekt, weiß was Wahrheit ist und bedarf derselben. Die klassische Logik drückt diese Forderung der ontologischen Distanz durch ihren Satz vom zureichenden Grunde aus. Was Wahrheit selber ist, wird strukturell durch die klassisch-trinitarische Axiomatik von Identität, verbotenem Widerspruch und ausgeschlossenem Dritten definiert. Diese drei Axiome bestimmen den Begriff der Wahrheit als formal geschlossenes (aber inhaltlich unendliches ) System. Dieses System reflektiert die Struktur des erlebenden Bewußtseins, das sich der Welt gegenüber sieht. Wäre die Welt und das Ich eins, ohne daß ein Negationsgefälle zwischen ihnen existierte, so würde diese axiomatische Trinität genügen. Kein weiteres logisches Prinzip wäre notwendig. Tatsächlich besitzt die zweiwertige klassische Logik noch ein viertes transzendentales Motiv axiomatischer Natur, das jenseits des trinitarischen Formalismus steht. Es ist dies der Satz vom zureichenden Grunde. Dieser Satz drückt, wie wir im ersten Band ausgeführt haben [27], aus, daß das Wahrheit erfahrende Ich sich in metaphysischer Distanz von seinen Gegenständen befindet; dieselben also im Denken nicht direkt besitzt. Wenn aber das Bewußtsein seine Gegenstände nicht selbst hat, resp. sie im Prozeß des Denkens schafft, dann braucht es einen zureichenden Grund für seine Begriffe, der die Wahrheit der letzteren dem objektiven Sein gegenüber sicher stellt.

Je mehr sich nun das Ich der objektiven Dimension des Seins nähert und je geringer die Distanz zwischen der Subjektivität als reinem sich selbst reflektierenden Sinn und der Welt als kontingentem Faktum wird, desto mehr fließt von der Wahrheit aus dem protestierenden, für sich seienden Selbst in das Objekt ab. Das Motiv des zureichenden Grundes wird immer schwächer, weil die notwendigen Evidenzforderungen der Subjektivität ihre Strenge verlieren. Je größer die Distanz des Ichs von der Welt ist, je höher also die platonische Ideenpyramide sich über ihre Basis erhebt, desto stärker und zureichender müssen die Gründe sein, die diese spirituelle Architektur aufrecht erhalten. Das absolut von der Welt getrennte Ich würde einen absoluten Grund verlangen, um die Wahrheit, die es erlebte, sicher zu stellen. Umgekehrte aber braucht die Subjektivität, die sich ganz mit ihrer Gegenständlichkeit identifiziert, überhaupt keinen zureichenden Grund mehr. Die Distanz ist vollständig aufgehoben, und damit entfällt für das Ich das transzendentale Erlebnismotiv, das einstmals den Abstand von Ich und Nicht-ich überbrückte. [28] Es existiert kein zureichender Grund mehr und er wird auch nicht mehr benötigt. Sein Vorhandensein und seine theoretische Notwendigkeit ist der logische Index dafür, daß das Bewußtsein den Satz vom ausgeschlossenen Dritten in sich nicht erfüllt hat und immer auch in Kategorien denkt, die den Eintritt der Dritten erlauben. Ist dieses trinitarische Axiom aber erst einmal erfüllt und die erlebende Subjektivität in das Dies und das des sich nicht weiter reflektierenden Seins eingeebnet, dann ist das Verlangen nach zureichenden Gründen Häresie. Denn es beweist, daß sich das Ich gegen die absolute Ebene der Existenz wehrt, daß es weiter in der Symbolik der Tiefe zu leben gewillt ist, und daß es seine Subjektivität nicht der Ikon überantwortet hat. Denn in der Ikon ist der Geist ganz in sein Abbild übergegangen. Man kann sich ihm ganz im Abbild unterwerfen, denn er hat in seinem Abbildungsprozess nichts Wahres zurückbehalten und vor der Zeit reserviert. Was zurückbehalten worden ist, ist leere Negation und Sünde. Denn die Sünde hat kein Abbild im Ikon. In der totalen Abbildung der Tiefe des Bewußtseins auf die reflexionslose Seinsbreite verschwindet das Falsche und die Kraft der echten Substanz repräsentierenden Verneinung. Hier stimmt die formale Logik der ikonographischen Metaphysik präzis zu. Positivität und Negation sind in einer zweiwertigen Logik isomorphe Strukturprinzipien, die eineindeutig aufeinander abbildbar sind. Ist die Abbildung durchgeführt, so bleibt auf keiner Seite etwas übrig. Weder hat das Sein ein Reservat, das der Negation nicht zugänglich wäre, noch gibt es echte Negationsverhältnisse, die nicht im Sein abbildbar wären. Das Subjekt, das sich auf dieser Stufe noch in die private Negation zurückzieht und gegen die Umwelt protestiert, ist selber unecht - und schuldig.

Dies erklärt die merkwürdigen Rechts- und Schuldbegriffe, die sich im Bolschewismus herausgebildet haben und die den Diametralen Gegensatz zu dem Habeas Corpus Prinzip der angelsächsischen Länder darstellen. In der angelsächsischen Rechts- und Schuldtheorie ist die individuelle Person absolut privat. Die Privatheit erstreckt sich auch auf den Körper. [29] Im Bolschewismus ist nicht einmal mehr die Seele privat. Ein eigenes Ich zu haben konstituiert hier bereits den Tatbestand des Hochverrats.

Die politische Einebnung des Subjekts in den Sozialkörper ist nichts als die ökologische Parallele des faustischen Willens, seine ganze Subjektivität und spontane Tätigkeit in die Maschine zu projizieren. Der Übergang von der Konzeption der psychischen Motorik zum mechanischen Arbeitsprinzip der Maschine kann in der englischen Sprache am Bedeutungswandel des Wortes "engine" ableitbar. Es hat dementsprechend ursprünglich im Englischen die Bedeutung einer psychischen Fähigkeit.

Man hath sapiencess three

Memory, engine, an intellect [30]

dichtet Chaucer. "Engine" dürfte in diesem Zusammenhang vielleicht mit Einbildungskraft übersetzt werden. Jedenfalls ist es dasjenige, das neben Erinnerung und Intellekt die meiste Motorik besitzt.

All the engines of her wit ...

sagt Edmund Spenser (?1555-1599). Einen ähnlichen Gebrauch des Wortes finden wir bei Th. Churchyard [31] und Puttenham [32]

Um 1600 aber vollzieht sich allmählich ein Bedeutungswandel des Wortes, in dem der Zusammenhang mit dem lateinischen ingenium allmählich verloren geht. Shakespeare benutzt das Wort "engine" in zwei verschiedenen Bedeutungen. In "All's well that ends well" findet sich die Wendung: [33]

promises, enticements, oaths, tokens,

and all the engines of lust.

Und in "Titus Andronicus" ruft Marcus aus: [34]

O, that delightful engine of her throughts,

That blabb'd them with such pleasing eloquence

Is torn from forth that pretty hollow cage,

Where, like a sweet melodious bilrd, it sund

Sweet varied notes, enchanting every ear!

Wie wir sehen, bedeutet "engine" im ersten Fall "Versprechungen, Verlockungen, Schwüre und Zeichen", die einen physischen Zustand "Lust" heraufführen sollen. In "Titus Andronicus" aber bedeutet "engine" bereits einen physischen Teil des Körpers, in diesem Fall die Zunge, die dem unglücklichen Mädchen ausgerissen worden ist.

Fügen wir die gegenwärtige Bedeutung der Vokabel hinzu, so können wir vier Bedeutungsstufen im Gebrauch des Wortes unterscheiden. Diese Stufen gehen von einer extrem subjektiven Bedeutung bei Chaucer, wo "engine" eine innere subjektive Kapazität der Person bedeutet, zu einem ebenso extrem objektiven Sinn des Terminus über. "Verlockungen, Schwüre ..." sind nicht mehr reine Subjektivität per se, aber sie gehören als Gehalte immer noch eindeutig dem psychischen Bereich an. In der dritten Bedeutungsstufe aber wird der Übergang zum Physischen gemacht. Die Zunge ist selbst kein subjektives "engine" mehr, aber sie produziert auf physischer Basis psychischen Ausdruck (thoughts). Ein subjektives Minimum ist in der Wortbedeutung insofern noch vorhanden, als die Zunge zum Körper der lebendigen Person gehört. Aber selbst dieser Rest an Ichhaftigkeit verschwindet in der modernen Bedeutung des Wortes als Maschine oder Motor. Das Automobil hat einen "engine", die Dampfspritze der Feuerwehr ist ein "fire engine" und eine Lokomotive wird in den USA ein "steam engine" oder "Diesel engine" (je nach Konstruktion) genannt.

Es ist übrigens interessant - und für künftige Entwicklungen wesentlich - festzustellen, daß in Amerika der ursprüngliche Sinn des Wortes unter neuen Gesichtspunkten in die Gebrauchssprache zurückzukehren beginnt. Man spricht von "social engineering" als dem Problem einer rational technischen Bewältigung von Gesellschaftsproblemen und in Verbindung mit cybernetitschen Theorien taucht auch gelegentlich der Ausdruck "human engineering" oder "mental engineering" auf. Diese Termini deuten an, daß Gesellschafts- und anthropologische und sogar Bewußtseinstheorien in der westlichen Hemisphäre mehr und mehr als technische Maschinenprobleme aufgefaßt werden. Diese neue Wendung in der Geschichte des Wortes "engine" aber setzt das radikal objektive Konzept der Maschine, wie es im Endstadium der abenländischen Kultur erreicht worden ist, als abgeschlossen und definitiv geworden voraus. Es gehört der klassischen Maschinenidee der östlichen Welthälfte nicht mehr an. Wir werden auf es später zurückkommen. Im Zusammenhang unserer gegenwärtigen Ausführungen kann der neueste Gebrauch des Wortes in Amerika ignoriert werden.

Soweit die spirituellen Resultate der klassisch-zweiwertigen Bewußtseinsgeschichte des Menschen im geographischen Bereich der regionalen Hochkulturen in Frage kommen, so laufen sie alle in den Begriff der objektiven Maschine aus, in die der Mensch seine Subjektivität und seine Freiheit projiziert hat. Diese allmähliche Delegierung der subjektiven Spontaneität an objektiv mechanische Gesetzlichkeiten kommt auch sprachlich zum Ausdruck. Das vormaschinelle Werkzeug wird noch "gehandhabt". Der existentielle Schwerpunkt liegt noch im Leib der das Handwerkzeug "führt". Die Maschine aber wird "bedient"; ihr Arbeitsrhythmus ist von dem des belebten (subjektiv dirigierten) Körper abgelöst und autonom geworden. Der bedienende Mensch hat diesem Arbeitsrhythmus zu "folgen". Von Führung kann hier nirgends mehr die Rede sein. Jeder gute Autofahrer weiß, daß es seine Aufgabe ist, sich in den mechanischen Rhythmus seines Motors einzufühlen und instinktiv auf das variante Verhältnis von Drehzahl und Belastung zu reagieren.

Der faustische Mensch projiziert sich unbewußt in die Maschine. Seit Roger Bacon weiß er nicht, was er tut, wenn er von der Natur ihr Geheimnis mit Hebeln und Schrauben zu erpressen sucht. Er ahnt nicht, daß die Gewalttätigkeit, mit der er hier vorgeht, zwangsläufig auf ihn selbst zurückfallen muß; daß das Geheimnis, das er der Natur entreißen will, zugleich sein eigenes Geheimnis ist. Alle europäische Naturwissenschaft wird von dem letzten Glauben des zweiwertigen Bewußtseins dominiert, daß die Natur das ganz Andere, das Fremde und absolut Seelenferne ist. Deshalb lebt man in der Gewißheit, daß das, was man der Natur, d.h. dem radikal objektiven Objekt antut, nicht auf die Seele zurückfallen kann. Die sachliche, auf das Objekt gerichtete Tätigkeit ist ethisch indifferent. Man kann am Du einen Mord begehen, aber nicht an der Maschine. Diese Einstellung ist richtig, solange wir uns in denjenigen Stadien einer Hochkultur bewegen, in denen ein inhaltlich erfülltes Ich mit einem individuellen spirituellen Apriori der Welt gegenübersteht. Hier gelten die Verse, die Carl Spitteler dem Prometheus in den Mund legt: [35]

Uns ficht des Schicksals Feindschaft bloß von außen an.

Anankes Machtspruch selbst, trotz seiner Allgewalt,

Vor unserm Körper macht er notgedrungen Halt.

Er kann uns nicht in unsre ewige Seele langen,

In Glück und Unglück bleibt mein Geist zusammenhangen.

Solange das zweiwertige Ich inhaltlich bestimmt ist, und die ewigen Ideen, von denen es motiviert ist, in die Materie einbaut, solange ist es unverletztbar und unangreifbar. Es ist Herr über die Welt und die Schicksalskategorie, die sein Leben konstituiert ist mächtiger als der sulbalterne kausale Zwang.

Der letzte Panzer dieser Unangreifbarkeit aber zerbricht in dem Augenblick, in dem das Ich sich seiner letzten positiven Inhalte und spirituellen Bestimmungen entäußert hat und als leere subjektive Tätigkeit, als indifferente seelische Motorik in den Mahlstrom der Kausalität hineingerissen wird. Alle vorausgehenden regionalen Hochkulturen schützen sich gegen diesen kritischen Umschlag ihrer Geschichte dadurch, daß sie in den Zustand spiritueller Suspension übergehen, in dem ihr historischer Zeitablauf arretiert wird. Der abendländischen Kultur ist diese Flucht aus der eigenen Geschichte nicht erlaubt gewesen. Sie hat sich von Früh an am Objekt mit einer solchen Leidenschaft und Rücksichtslosigkeit engagiert, daß keine Möglichkeit bestand, den historischen Prozeß der Projektion des zweiwertigen Ichs auf die Welt abzubremsen, ehe er in seinen letzten selbstmörderischen Konsequenzen durchgeführt worden war. Wäre es der faustischen Geschichte gelungen, sich selbst an der gleichen kritischen Schwelle abzufangen, wie dies den anderen regionalen Geschichtsabläufen geglückt ist, so hätten wir auf dieser zweiten weltgeschichtlichen Stufe des Menschen noch eine weitere Hochkultur nach-faustischer Provenienz zu erwarten, die diese notwendige historische Mission (in der die zweite Stufe abschließt) zu erfüllen hätte. Wir würden dann aber auch das Phänomen des Bolschewismus als Liquidationsprozess des zweiwertigen Bewußtseins nicht kennen. Die Nachzüglerkultur des Russentums würde dann noch ca. ein Jahrtausend in der Zukunft liegen.

Schon einem sehr oberflächlichen Blick auf die europäische Geschichte müssen die Gründe deutlich sein, warum es der faustische Kultur nicht möglich war, sich an der kritischen Schwelle der eigenen Entwicklung, wo die Projektion von Bewußtseinsinhalten in die Welt in die Selbstprojektion der leeren Bewußtseinstätigkeit übergeht, selbst zu arretieren und in einen statischen Zustand permanenter Zivilisation überzugehen, wie wir einen solchen in China und anderswo beobachten konnten. Die chinesische Gesellschaft, das indische Kastenwesen haben sich für Jahrtausende in suspendierter Existenz erhalten. Die soziale Struktur Westeuropas in Frankreich, England, Italien und Deutschland ist heute schon fast völlig zerstört. Die elenden Reste, die noch vorhanden sind, werden das Jahr 2000 nicht überleben. Warum mußte dies ausgerechnet der vitalsten und geschichtlich kräftigsten aller regionalen Hochkulturen passieren? Aber eben diese Vitalität ist es, die der abendländischen Geschichte nicht erlaubt, sich als beschaulicher Weltgeist pensionieren zu lassen. Die metaphysische Tendenz, das Bewußtsein nicht nur als Inhalt, sondern auch als Kraft und Spontaneität auf die Seinsebene zu projizieren, ist schon in den frühesten Stadien dieser Kultur sichtbar. Eine repräsentative Gestalt allerfrühester naturwissenschaftlicher und technischer Tendenzen ist Gerbert von Aurillac (der spätere Papst Sylvester II. gest. 1003). In der von Gerberts Schüler Fulbert gegründeten Schule von Chartres (Theoderich und Bernhard von Chartres) setzt sich diese Entwicklung unter platonischen Gesichtspunkten fort. Sie hat seitdem nie wieder aufgehört. Von hier erfuhr Wilhelm von Conches [36] Einflüsse, die ihn in die gleiche Richtung wiesen. Die Unvermeidlichkeit der weiteren auf die extrem objektive Existenz zugehenden historischen Progression aber läßt sich besonders daraus ersehen, daß der moderne Maschinenbegriff um 1700 bereits vollkommen arriviert war, andererseits aber die Periode der Entwicklung der inneren Symbolik des Menschen mindestens bis zum Tode Goethes und Hegels - wenn nicht noch länger - fortwährt. Der Kampf Goethes gegen die Newtonsche Farbenlehre und Hegels Attacken gegen den mathematischen und logischen Formalismus sind unbewußte Arretierungsversuche der abendländischen Geschichte. in beiden lebte ein instinktiver, aber angesichts der Situation hilfloser Haß gegen den Mechanismus und die unvermeidliche Übertragung des Geistes auf mechanische Existensformen. Goethes Natur ist Subjekt durch und durch. Als objektive, dem Ich entgegengesetzte brutale Kontingents der Welt will und kann er sie nicht sehen. Für Hegel ist das Objekt indifferentes Durchgangsstadium des Geistes. Es ist für den Verfasser der "Phänomenologie des Geistes" einfach unfaßlich, daß das Ding, das sich nicht weiterreflektierende Sein das Grab sein könnte, das den Geist der Weltgeschichte (so wie ihn Hegel verstand) zu verschlingen bestimmt ist. Nichts ist mehr bezeichnend in Hegels Theorie des objektiven Geistes, als daß die Maschine überhaupt nicht erwähnt ist. Die Hegelsche Philosophie und Denktechnik versagt hilflos vor dem Phänomen des homo faber und seiner technischen Welt der Mechanismen und maschinellen Kräfte. Beide, Goethe wie Hegel, besitzen eine seelische Breite und vollendete Erinnerungskraft, die ein sicheres Anzeichen dafür ist, daß in ihnen der geschichtliche Strom der faustischen Seele als Innerlichkeit schließlich zu Stillstand gekommen ist. Erst am Ende ist die Erinnerung vollkommen und umfassend. Von der Subjektivität des Ichs als lebendigem Zukunftsmotiv ist speziell bei Hegel nichts weiter übrig geblieben als der klappernde, sich eintönig wiederholende Mechanismus der Dialektik. Eine sinnlose Maschinerie des Absoluten ... die, da sie in den letzten dialektischen Umschlag, der ins Absolute leitet, erst produzieren muß, selbst nicht ins Absolute eingeschlossen sein kann. Hegels Absolutes ist das Resultat dieses zweiwertigen Mechanismus, der ewig zwischen These und Antithese oszilliert. Nachdem das Resultat einmal erreicht ist, bleibt der leere Mechanismus zurück wie eine rostende Maschine, die nicht mehr läuft, weil ihr der Betriebsstoff fehlt.

Daß dieser Mechanismus das entleerte Subjekt repräsentiert und daß diese anonyme Kraft, die die Geschichte bis in ihren letzten Schritt vorwärts trägt, ebenfalls eine reelle Abbildung fordert, ist weder Goethe noch Hegel in den Sinn gekommen. Ihr geistiger Blick richtet sich nur auf das, was sie beide "Leben" nennen. Der Geist ist das Leben, das den Tod überwindet, "ihn erträgt und in ihm sich erhält" [37] Diese Philosophie des ewigen Lebens, die die Metaphysik aller regionalen Hochkulturen, einschließlich der abendländischen beherrscht, vergißt aber, daß er für ein Leben, das der Tod nicht überwinden kann, auch keine Auferstehung von den Toten gibt. Der Tod ist angeblich der Bruder des Schlafs. Das Leben schlummert in ihm nur und mag jederzeit von neuem erwachen. In diesen Vorstellungen ist nichts vom absoluten Tod zu finden, in dem das Leben als Existenz vernichtet wird, seine wesenseigene Identität verliert und in den anderen Seinsmodus des Todes übergeht. Diese Auffassung ist zwar in den eschatologischen Perspektiven der großen Weltreligionen von ferne her impliziert, sie ist aber niemals theologisch oder metaphysisch thematisch geworden. Sowohl im indischen Nirvana wie in der christlichen Auferstehung von den Toten ist es das ewige Leben, das sich in neuer Gestalt selbst bestätigt. Es sind nicht die Toten, die als Tote auferstehen, weil in ihnen das Leben ganz in die Andersheit des Todes übergegangen ist. In der traditionellen Interpretation dieses eschatologischen Problems fällt in der indischen Erlösung zum Nirvana sowohl wie in der christlichen Idee vom Jüngsten Tag das Totsein wie eine lästige Schale vom Leben ab.

Es ist verständlich, daß eine Metaphysik, die auf dieser Präponderanz des Lebensmotivs über das Todesmotiv im Geiste aufgebaut ist, sich nirgends imstande sieht, die Maschine als transzendentales Problem menschlicher Existenz zu begreifen. Denn die Maschine ist Subjektivität und Leben, das vom Tode vollkommen überwunden ist. Ihr Mechanismus ist ein Reflexionszusammenhang, der in tote Materie übergeführt worden ist und die Kraft, die sie entwickelt, ist ichhafte, sich selbst transparente Vitalität, die man in blinde physische Energie transformiert hat. Eine Maschine ist relativ zur bloßen Natur und gegenüber der faktischen Objektivität des Seins ein ganz Anderes. Das hat sie mit dem Ich gemeinsam. Aber sie ist ein Subjekt, das schon gestorben oder noch nicht zum Leben erwacht ist. Diese existentielle Zweideutigkeit ist ein Weiteres, das die Maschine mit dem lebendigen Subjekt, das sie geschaffen hat, gemeinsam hat. Es ist unmöglich, für das Wesen der Maschine einen transzendentalen Ausdruck zu finden, der eindeutig besagt, ob Leben dem Totsein der Subjektivität in der Maschine vorausgeht oder nachfolgt. Die Idee der Maschine lehrt uns aber auf alle Fälle das Eine: die vorausgegangene Subjektivität schläft in der Maschine nicht und kann deshalb auch aus ihr nicht auferweckt werden. Sie ist endgültig tot. Und wenn es für das Subjekt, das sich ganz in die Objektebene projiziert hat und in ihr seine Subjektivität aufgegeben hat, je eine Auferstehung gibt, dann kann das nur die Auferstehung des Objektes selber, d.h. des Todes sein und nicht die des einstigen Lebens, das in das tote Sein geflossen ist. Der Tod ist unwiderruflich und in ihm erhält sich das Leben nicht, aber es mag wohl sein, daß der Tod vom Tode aufersteht.

Alle regionalen Hochkulturen - mit Ausnahme der faustisch-abendländischen kommen zum geschichtlichen Stillstand, ehe ihr Seelentum den letzten Schritt tut, sich als entleerte reine Subjektivität und beraubt aller metaphysischen Orientation auf das Zukünftige auf den Seinszusammenhang als Maschine abzubilden. Die innere Energie dieser letzten westlichen Hochkultur aber ist stärker als die aller ihrer Vorgängerinnen. Sie will ihre Subjektivität nicht nur als Leben in Sprachen, Sitten, Künsten, Theorien, Staaten usw. abbilden, sie will sie auch in dem andern metaphysischen Modus der Existenz, d.h. als Tod abgebildet wissen. Deshalb schafft sie die Maschine und die aus ihr resultierende geschichtliche Epoche der klassischen Technik. Beide Perioden gehen ineinander über und decken sich wenigstens teilweise. Als die das spirituelle Leben des Abendlandes abschließenden Weltanschauungen Goethes und Hegels formuliert wurden, war die Maschine schon mindestens ein volles Jahrhundert da. Ihre prinzipielle und symbolhafte Bedeutung wurde von keinem der beiden Großen begriffen. Die Idee des selbsttätigen Mechanismus war kein legitimes Thema ihrer Erinnerung. Diese Idee war nicht vergangene sondern zukünftige Geschichte - "im Rücken des Absoluten" [38].

Es ist charakteristisch, daß Goethe sowohl wie Hegel an der Philosophie Leibnizens, des ersten großen Repräsentanten der Theorie des Mechanismus und der Maschine, verständnislos vorübergegangen sind [39]. Das Problem des Mechanismus, das sich durch die gesamte Entwicklung des abendländischen Geistes sieht, geht in die spirituelle Bilanz dieses Geistes, die etwa um 1800 gezogen worden ist, nirgendsein. Es bleibt als nicht erledigtes historische Debet stehen.

Es ist interessant festzustellen, daß sich die Entwicklung des Mechanismus- und Maschinenproblems in der abendländischen Geschichte doppelspurig vollzieht. Gemäß der zweiwertigen Struktur des Bewußtseins, daß sich hier als Tätigkeit auf das Sein zu projizieren sucht, tauchen sehr früh zwei radikal verschiedene Motive für die Konstruktion der Maschine auf. So wie der Tätigkeitsbereich des Menschen eine Physische wie eine geistige Seite hat, - er leistet sowohl Muskel- wie Gehirnarbeit - sucht an nach zwei unterschiedlichen Maschinentypen, von denen der eine typische Energie, der andere geistige Information liefern soll. Der erste Typ wurde schließlich als Dampfmaschine um 1700 erfolgreich konstruiert. Der Prototyp des andern ist die Lullische Kunst, die schließlich in viel bescheidenerer Form als Rechenmaschine erheblich später technisch verwirklicht worden ist. Eine Vereinigung der beiden Typen ist dem faustischen Denken nicht geglückt. Vor allem darum, weil dem technischen Denken des Abendländers zwar eine echte Schöpfung mit dem ersten, physische Energie liefernden Maschinentyp geglückt ist, die lullische Idee aber bis heute ein Betrug geblieben ist. Diese zweite Maschinentyp liefert keine Information, es sei denn, daß man sie vorher in ihn hineingeschmuggelt hat. Das archimedische Hebelprinzip, das alle aus dem klassisch-zweiwertigen Denken hervorgegangen voraussetzen (also auch die modernen Rechenmaschinen) liefert nur leere Arbeitsenergie. Das Einzige, was man damit erreichen kann, ist, daß eine Informationsform durch mechanische Arbeit in eine andere äquivalente Informationsform umgewandelt wird. [40]

In diesem Zusammenhang ist es nicht relevant, daß es dem Menschen auf der zweiten Stufe seiner weltgeschichtlichen Entwicklung nicht geglückt, sein formales _Bewußtsein adäquat in die Materie einzubilden. Die Tatsache, daß die archimedische Maschine in zwei verschiedenen Typen konstruiert werden soll (und muß) ist ein deutliches Zeichen, daß man auf dem erreichten Entwicklungsstadium der Reflexion nicht in der Lage ist, die spirituelle Einheit des Bewußtseins in irgend einer Weise auf die physische Wirklichkeit zu projizieren. Ganz wie auf der ersten, primitiven Stufe menschlicher Historie bleibt auch hier ein unbewältigter Reflexionsrest zurück, der mangels einer eindeutigen Fixierung an das Sein anonym und anarchisch bleibt und der deshalb in ungezügelter und formloser Emotionalität an die historische Oberfläche treibt. Dieses leere Subjektfragment, das sich der Einbildung in den Mechanismus der Maschine entzogen hat, entwickelt eine bisher nicht dagewesene Intensität der Ambivalenz. Der Anschluß der Erinnerung an die vorangegangene inhaltliche Geschichte des Geistes ist ihm versagt, weil es selbst entleerte Subjektivität, d.h. reine seelische Energie ist, die ihre inhaltliche Identität verloren hat. Der psychische Anschluß nach vorwärts an die Maschine aber gelingt erst recht nicht, weil das heimatlose Subjektfragment die Maschine als eine Fehlprojektion und Karikatur seiner selbst erlebt. Diese Emotionalität lebt haltlos aber hartnäckig weiter als subjektives Subjekt, während die Maschine nur das objektive Subjekt vertritt. Sie ist das Resultat und die konkrete Realisation dessen, was der Mensch in der Geschichte der zweiwertigen Kulturen als objektiv gültig über sein eigenes inneres Wesen erfahren hat.

Angesichts dieses objektiven, aber fragmentarischen Besitzes seiner selbst in der Maschine nimmt der reflexive Restbestand des zweiwertigen Subjekts eine zweideutige Haltung ein. Es schwankt zwischen verbissenem Haß und verzweifelter Liebe fiebrig hin und her. Die Amplitude dieser Schwingungen kann jetzt nicht mehr zu einem ruhigen Leben des objektiven Geistes abgedämpft werden, da jenem Reflexionsrest, der in der historischen Gleichung der zweiten weltgeschichtlichen Stufe nicht aufgegangen ist, die allmähliche Abbildung auf das Sein versagt sein muß. Dies wird als Schuld der geschichtlichen Epoche empfunden und die über dem eingeebneten Seelentum frei und heimatlos schwebende Emotionalität wendet sich mit einem unstillbaren Haß gegen die Seelengeschichten der vorangegangenen Hochkulturen.

Diese abschließende psychische Situation, in die die zweite Stufe der menschlichen Geschichte ausläuft, wird durch den russischen Bolschewismus repräsentiert. Seine Wurzeln aber gehen tief in vorbolschewistische Zeit zurück. Man muß sie mindestens bis zum Typos Edikt Konstanz II. (648) und zum dogmatischen System des Johannes Damascenus zurückverfolgen. Das Edikt verbot den Streit über die Frage, Ob Christus einen (Monotheletismus) oder zwei Willen besessen habe. Dieses dogmatische Problem ist in der Entwicklung der griechisch-orthodoxen Kirche, die die russische Frömmigkeit bis in die Gegenwart beherrscht hat, nicht wieder aufgenommen worden. im Gegensatz dazu bewegt diese Frage das seelische Leben des westlichen Christentums in immer neuen dogmatischen Formen und Verkleidungen ohne aufhören. Selbst der Protestantismus kann noch als eine Revolte gegen das monotheletische Dogma aufgefaßt werden. Die geschichtliche Fortbildung der geistigen Motive, die das orthodox-russische Christentum späterhin beherrscht haben, ist schon mit dem Damascener endgültig abgeschlossen. Für sein dogmatisches System ist charakteristisch, daß die Kirche in ihm keine Rolle spielt. Die Rolle der Kirche wird von der aristotelischen Logik übernommen. Man muß sich einmal genau klar machen, was das bedeutet. Im römischen Katholizismus hat die Institution der Kirche höchste dogmatische Relevanz. Sie präsentiert die geschichtliche Vermittlung des Absoluten und ist das letzte Substrat der Offenbarung. Die Fleischwerdung des Logos ist ein historischer Prozeß und sie vollzieht sich durch das Medium der Kirche. D.h. die Dimension der historischen Zeit ist ein wesentliches Element des Absoluten, und der Mensch hat zum Göttlichen ein Verhältnis nur durch die Zeit. Sie etabliert ein Verhältnis transzendentaler Distanz zwischen dem Geist und dem Fleisch. Die verschiedenen Stufen dieser Distanz sind in der Dogmengeschichte des christlichen Bewußtseins und seiner Interpretation durch die Kirche las Hüterin der Lehre festgelegt.

Indem aber in der griechisch orthodoxen Kirche das System des Johannes Damascenus definitiv wird, einer dogmatischen Konzeption, die der Kirche keinen prinzipiellen Raum läßt, wird die geschichtliche Zeit selbst aus dem Glauben ausgeschlossen. Im Anfang wird sofort das Ende antizipiert und konkret vorweggenommen. Es ist dann nichts von der mühseligen geschichtlichen Arbeit zu spüren, in der der Geist sich seine eigenen Kategorien erarbeitet. Er arrangiert sofort das endgültige und absolute Wissen, weil er die historischen Grenzen seines eigenen Bewußtseins nicht kennt und nicht anerkennen will. Das Schicksal der griechischen Orthodoxie ist von v.Harnack mit den verdammenden Worten beschrieben worden: "Es gibt ein altes Märchen von einem Menschen, der in Unwissenheit, Schmutz und Elend saß und dem der liebe Gott eines Tages sagte, er möge sich wünschen, was er wollte, es werde ihm gewährt werden. Und er begann zu wünschen, immer mehr und immer Höheres, und es wurde ihn gegeben. Endlich wurde er vermessen und wünschte, er möge werden wie der liebe Gott - alsbald saß er wieder in seinem Schmutz und seinem Elend. Die Geschichte der Religion ist dieses Märchen; am genauesten aber ist es zur Wahrheit geworden in der Geschichte der Religion der Griechen und Orientalen. Sie haben sich erst sinnliche Güter gewünscht durch die Religion, dann politische, ästhetische, sittliche, intellektuelle, und sie haben Alles erhalten. Sie sind Christen geworden und haben sich die vollkommene Erkenntnis und ein übersittliches Leben gewünscht. Zuletzt haben sie gewünscht, schon im Diesseits zu werden wie Gott in Erkenntnis, Genuß und Leben - und da fielen sie herab, nicht auf einmal, aber in unaufhaltsamem Sturze, auf die unterste Stufe, in Unwissenheit, Schmutz und Barbarei. Wer heute den Zustand der griechischen Religion bei Orthodoxen und Monophysiten studiert, nicht nur die Religion des rohen Volkes, sondern auch das Kultusritual, die magischen Zeremonien und die Vorstellungen der gemeinen Priester und Mönche, der wird an vielen Stellen den Eindruck erhalten, daß es eine tiefere Stufe der Religion kaum geben kann. Sie ist wirklich "superstitio" geworden, ein Chaos vermischter und ganz verschiedenartiger, aber festgeprägter Sprüche und Formeln, ein undurchsichtiges, geflicktes und weitschweifiges Ritual, das hochgeschätzt wird, weil es das Volk oder den Stamm unter sich und mit der Vergangenheit verbindet, das aber nur in seinen inferiorsten Bestandteilen wirklich noch lebendig ist... Was wir vor uns haben, ist ein nahezu abgestorbenes, häßliches Gebilde, an dem nur einige Glieder, aber nicht die vornehmsten, noch leben, dessen edlere Teile inkrustiert sind und - an und für sich - jeder geschichtlichen Deutung spotten." [41]

Das Grunddogma der orthodoxen Kirche, daß der Gottmensch Jesus Christus die Menschliche Substanz vergottet und demgemäß auch das ganze System sich inkarnierender göttlicher Kräfte an das irdische Sein gebunden habe, hat norme Konsequenzen gehabt. Durch dieses Dogma werden bestimmte Seinsvehikel wie Brot, Wein, Bilder, Kreuze, Amulette, Kleider, Gefäße heilig. [42] Damit wird mehr und mehr von der Distanz zwischen dem Profanen und dem Heiligen aufgehoben, die der Mensch nur auf dem Weg durch die Geschichte zum Jüngsten Gericht verkleinern kann. In der Auslegung, die die Orthodoxe Kirche den theologischen Begriffen des Johannes Damascenus gegeben hat, entwickelt sich mehr und mehr eine mystagogische Theologie, gemäß der das Christentum die Religion sei, die das Göttliche faßbar macht und es zum Besitz und Genuß darbietet. Es ist ersichtlich, daß dabei das Symbol immer mehr hinter sein Vehikel zurücktreten mußte, "und daß schließlich das Vehikel nicht mehr als Hülle oder Träger, sondern als vergottetes Element, als substantiell Göttliches aufgefaßt wurde (Vehikel res ipsa). [43]

Das bedeutet aber, daß zwischen Gott und dem Menschen, resp. der Welt, ein unmittelbares Abbildverhältnis besteht, das der Vermittlung durch die Geschichte und die Dimension der historischen Zeit nicht mehr bedarf. Ist aber der Geist direkt auf das Sein abgebildet und das Sein selbst die "res ipsa" der göttlichen Substanz, dann ist die Verheißung der Schlange aus dem dritten Kapitel der Genesis erfüllt, der Mensch ist geworden "wie Gott", und er weiß, was gut und böse ist.

Die praktische Folge dieser Theologie ist, wie v. Harnack und andere richtig gesehen haben, daß der ihr anhängende Mensch dadurch aus der Geschichte ausgeschlossen worden ist. Das gilt besonders für Rußland, wo der griechisch-orthodoxe Glauben die tiefsten und weitreichendsten Folgen gehabt hat. Während der Westen die gefährliche Theologie der bald überwand und sich durch christliches Mittelalter, Renaissance und Aufklärung hindurch in immer schnellerem historischen Tempo entwickelte und seine Seele in immer intensiveren Formen der Umwelt einbildete, blieb Rußland geschichtslos. "Das ohne Aug und Ohr, ohne Hand und Fuß, ohne Herz und Hirn aber liegt all die Zeit in seiner Seele wie die Rokitnosümpfe da, nichts spiegelt sich in ihm". [44] Die metaphysischen Motive, die von Byzanz übernommen wurden, verkümmern im russsischen Katholizismus vollständig... soweit sie nicht reine Eschatologie waren. Das Eschatologische in ihnen aber lehrte den Menschen auf das Ende der Geschichte zu warten. Dann würde seine Stunde kommen!

"Ende" kann in diesem Zusammenhang selbstverständlich nicht das Ende der Erd- und Menschengeschichte überhaupt, sondern nur das Ende jener Geschichtsstufe bedeuten, deren Seelentum dieser Eschatologie angemessen war. Das bedeutet hier also das Ende der Epoche der regionalen Hochkulturen. Deshalb ist die "Geschichte" Rußlands bis etwa 1900 ein passives und geduldiges Warten auf jenes Ende. Zwar hat es nicht an Versuchen gefehlt, Rußland in die Geschichte der letzten regionalen Hochkultur, also der des Abendlandes, einzugliedern. Die diesbezüglichen Anstrengungen Peters des Großen und seine symbolische Verlegung der Hauptstadt von Moskau nach Petersburg - also in eine größere Entfernung von Byzanz - sind bekannt. Sie sind vergeblich gewesen. Der gewünschte Anschluß war eine innerliche Unmöglichkeit, weil ihm alle seelischen Voraussetzungen fehlten. Endlich um 1850 herum beginnt sich in Westeuropa ein eschatologisches Resultat der Geschichte der regionalen Hochkulturen zu entwickeln. Es ist der historische und metaphysische Materialismus. [45] Das zweiwertige Seelentum dieser weltgeschichtlichen Stufe beginnt zu vergessen, daß es sich in allen seinen Geschichtsabläufen von China bis Westeuropa als den absoluten Gegensatz zum objektiven Sein erlebt hatte. Das intensive Gefühl des Andersseins der Psyche gegenüber der Welt, in die sich die erstere geworfen sieht, war der Motor, der die regionalen Hochkulturen in Bewegung gesetzt und vorwärts getrieben hat. Jetzt ist es erloschen, und die Seele interpretiert sich - auf alle Distanz zur Realität verzichtend - als reflexionsloses, ungeschichtliches, natürliches Sein. Als "Materie", wie die krasse metaphysische Unbildung jener Endzeit behauptet.

Dies ist der entscheidende Zeitpunkt, in der das Russentum endlich den Anschluß findet - mehr noch, in der es die endgültige Liquidation dieser Geschichte der zweiwertigen Seele übernimmt. Befindet es sich doch in der überlegenen Situation des Swinegels in jenem plattdeutschen Märchen, der dem erschöpft am Ziel ankommenden Hasen triumphierend zuruft: "Ich bin allhier." Der Swinegel ist in der Tat "allhier", an beiden Enden der Rennstrecke, da er das historische Rennen nicht auf sich genommen hat und vom Anfang her gleich das Ende antizipierend besetzt hat. [46] Wenn sich in den eschatologischen der Logos nämlich direkt auf das Sein abbildet und dasselbe "vergöttlicht" (v.Harnack), dann besteht gemäß den Prinzipien der klassischen Logik keine Möglichkeit mehr zu sagen, ob das Sein im Geist aufgegangen ist, oder der Geist im Sein. Ob also die absolute Identität beider sich als Sein oder als Geist realisiert. Der absolute Spiritualismus und der radikale Materialismus fallen hier zusammen und sind für das Bewußtsein ununterscheidbar. Nur der Durchgang durch die Geschichte verhindert, daß der Mensch diesem gefährlichen Umtauschverhältnis von Logos und Vehikel restlos verfällt. Alle Geschichte nämlich erfüllt die transzendentale Aufgabe aus jener absoluten eschatologischen Gleichung einen Reflexionsrest herauszudestillieren, der in das unmittelbare Identitätsverhältnis von Ich und Welt in keiner Weise aufgehen will. Da es aber die empirische Aufgabe der Geschichte war, das Subjektive soweit mit dem objektiven Sein zur Deckung zu bringen, wie nur irgend möglich, ist jener Reflexionsrest von nun an von der geschichtlichen Stufe, in der er sich vom Wirklichen abgesetzt hat, ausgeschlossen. Erst auf der nächst höheren weltgeschichtlichen Etappe des Geistes kann er wieder in die Dimension der historischen Zeit eintreten. Jenes dritte Geschichtsniveau der Selbstrealisation des Menschen existiert heute noch nicht. Folglich ist der ausgeschlossene Reflexionsrest des zweiwertigen Bewußtseins in der durch das Russentum diktierten Endphase des gegenwärtigen historischen Prozesses machtlos und historisch nichtexistent.

Die griechisch-katholische russische Orthodoxie aber schlägt in der Übernahme und Liquidierung der regionalen Hochkulturen unmittelbar in den historischen Materialismus um und erscheint als Bolschewismus. Der Bolschewismus ist die Ikonentheologie, die sich selbst als praktische Handlung in der Wirklichkeit wiederholt. Das Göttliche ist ganz in sein eigenes Bild eingegangen und hat damit Substanz und Existenz des Bildes angenommen. Nach der alten Orthodoxie wurde damit das physische Sein vergöttlicht. Nach der neuen Orthodoxie des Bolschewismus ist damit das Göttliche als physisches Sein entlarvt. Beide Formeln sind - wie jeder Kenner des Isomorphieprinzips, das in jedem zweiwertigen Logiktypus gilt, weiß - absolut gleichwertig. Sie besagen dasselbe. Sie sind de facto nur verschiedene Ausdrucksweisen ein und desselben metaphysischen Satzes.

Der Übergang von der einen zur anderen Ausdrucksvariante wird durch die Revolution des Bolschewismus vollzogen. Daraus aber folgt, daß alles, was zwischen diesen extremen Polen liegt und was deshalb mit einem historischen Zeitindex versehen ist, als konterrevolutionär deklariert werden muß. Seien das zum die Upanishaden, Plato, der Stoismus, Thomas von Aquino, Milton, Leibniz oder Kant! D.h. historische Tradition als stärkster und nachhaltigster Ausdruck der Tatsache, daß die Seele nicht in der Welt aufgeht, wird a limine abgelehnt. Nur die russische Geschichte ist akzeptabel; nicht weil sie bessere und adäquatere Geschichte ist, sondern weil sie im Sinn der rasanten Historie der regionalen Hochkulturen überhaupt keine Welthistorie ist. Russisches Dasein vor der Ankunft des Bolschewismus war der Ausdruck des Wartens auf das Ende jener unerträglichen Hybris, die sich als die Geschichte der zweiten weltgeschichtlichen Stufe des Menschen maskiert hat. Diese teuflische Zerdehnung des menschlichen Wesens in der Zeit aber ist mit der Heraufkunft der abendländischen Technik und der Konzeption der Maschine zu Ende. Die archimedische Maschine kann als vertrauenswürdiges Abbild der Seele gelten, denn sie kann keine Geschichte haben, die aus einer reflexiven Tiefendimension in die nächste führt. Eine Maschinenkonstruktion kann zwar technisch verbessert werden, aber solche Veränderungen bleiben in derselben Seins- und Realitätsebene, in der der ursprüngliche Typ entworfen worden ist. Der technische Fortschritt in der Maschine ist eine rein äußerliche Anpassung ihrer Funktion an die zu bewältigenden praktischen Aufgaben, in ihm findet keine Veränderung der Innerlichkeit des Menschen gegenüber seiner Umwelt statt.

Man vergesse nicht: die Maschine ist ein Abbild der historisch entleerten Subjektivität. Es wird nur noch der abstrakte Mechanismus des lebendigen Ichs in ihr auf das objektive Sein übertragen. Ein Ich aber, das sich nicht mehr in materialen Inhalten und Bestimmungen auf seine Umwelt überträgt, hat keine Geschichte mehr. Der indifferente Mechanismus der subjektiven Tätigkeit ist in allen Kulturen und zu allen Zeiten derselbe. [47] Übersetzt man ihn in den Kausalzusammenhang der Objekte, so hat man eine zeitindifferente Schöpfung in die Welt gesetzt. Nimmt man das Wort "Geschichte" im strengsten Sinn, dann besteht zwischen der primitiven Dampfmaschine der Savery und Newcomer und einem modernen Düsenmotor überhaupt keine historische Differenz. Das Prinzip der Spontaneität des Bewußtseins ist in der modernen Maschinerie auch nicht um ein Atom tiefer und reflektierter interpretiert als in den ersten plumpen mit Dampf betriebenen Mechanismen.

Die Technik und die am Mechanismus orientierte Denkweise kann als bloßes Faktum vom Bolschewismus ohne die Gefahr übernommen werden, daß er damit seinem eigenen Wesen und seinen metaphysischen Ursprüngen untreu wird. Mehr noch, sie muß akzeptiert werden, denn die Maschine ist das (soweit) endgültige , in der die einzige Seele von der diese geschichtliche Epoche weiß, "Fleisch" geworden ist. Und das Denken, daß dieser Realitätsprojektion einzig und allein gemäß ist, ist das mechanistisch-materialistische. Darum ist es notwendig, die vergangene Geschichte, die diese endgültige Abbildung der sie bewegenden Subjektivität auf das Sein zustande gebracht hat, nun vermittels "historisch" materialistischer Kategorien zu deuten. Einem Bewußtsein, dem nichts übrig bleibt, als sein Ich mit der Maschine zu identifizieren, kann nicht anders, als die Wahrheit der vergangenen Geschichte ebenfalls als einen Mechanismus zu erleben. Diesen Dienst der Interpretation erfüllt dem Bolschewismus der marxistische Dialekt, in der der subjektive ichhafte Gegensatz von Thesis und Antithesis der "Phänomenologie des Geistes" in einen objektiven, ontologischen Gegensatz faktischer Seinsdaten umgedeutet worden ist. Es ist ein Symptom des hohen Anteils der eschatologischen Komponente in Hegels Begriffsbildung, daß die lebendigen Bewußtseinsmotive seiner Philosophie wie unterkühltes Wasser auf die geringste Provokation hin in das Eis einer zeitlosen absoluten Seinslehre zusammenfrieren. Marxens Interpretation von Hegel ist dumm und flach, aber man darf nicht vergessen: die "Phänomenologie" sowohl wie die Große Logik fordern sie heraus. Es ist der einzig theoretisch noch mögliche Schritt, den das zweiwertige Denken machen kann, wenn es darauf besteht, über das Hegelsche System hinauszugehen. In der Hegelschen Konzeption der Philosophie werden die letzen metaphysischen Möglichkeiten des zweiwertigen Bewußtseins theoretisch restlos ausgeschöpft und bis zu ihren letzten spekulativen Konsequenzen durchgeführt. Wer (wie Marx) hier noch weiter vorstoßen will, verläßt die Philosophie und den geschichtlichen Prozeß der Selbstreflexion des Geistes und geht zu einer prinzipienlosen Lehre vom ewigen Mechanismus des Seins über.

Die Mentalität des russischen Bolschewismus bietet uns das Schauspiel einer Seele, die sich rettungslos im Mechanismus gefangen sieht und die sich nur noch mit einem historisch ganz unverbindlichen Reflexionsrest davon absetzen kann. Soweit das Individuum hier überhaupt noch als geschichtliche Größe auftritt, erscheint es als "der völlig nach außen gerichtete, organisierte Kollektivmensch". Das Kollektiv selbst wird in marxistischer "Philosophie" als ein Mechanismus interpretiert, der ausschließlich Seinsregeln folgt. Die Individualität der einzelnen Person ist unter diesen Umständen ein psychisch und spirituell neutraler Maschinenteil., Liegt doch der Unterschied von Seele und Maschine wesentlich darin, daß in der letzeren die Spiritualität sich säuberlich als Konstruktionsidee von dem physischen Sein des Mechanismus abgesetzt hat. Und gerade darum ist sie mit demselben absolut vertauschbar. Diese Vertauschbarkeit ist in einer seelisch belebten Wirklichkeit unvollziehbar, weil sich dort die beiden metaphysischen Komponenten, Seele und Sein, unentwirrbar durchdringen und nie eindeutig identifizierbar sind. Will man die beiden Komponenten in ein absolutes Umtauschverhältnis bringen und das spekulative Theorem der zweiwertigen Logik, daß Denken und Sein transzendental eindeutig identisch sind, wirklich historisch realisieren, dann muß man erst die Seele aus ihren Nestern im Sein austreiben und beide Komponenten einander reinlich entgegensetzen. Das aber leistet nur der Mechanismus der Maschine. [48] Hier erst plaziert sich die Spiritualität als Konstruktionsidee in genaue Kontraposition zum entseelten Maschinending, das diese Idee abbildet.

Diese kontradiktorische Absetzung der beiden Komponenten gegeneinander aber bringt es paradoxerweise mit sich, daß jetzt eine eindeutige Identifizierung der beiden miteinander möglich ist. Eine endgültige Identifizierung, die im geschichtlichen Prozeß selbst nicht möglich war und die nur als sein (technisches) Resultat erscheinen kann. Als "bloße" Konstruktionsidee hat das Spirituelle jetzt keine Existenz sui generis mehr. Solange die zweiwertige Geschichte noch in innerer Bewegung war und wir "Seele" besaßen, unterschied unser Gefühl sowohl wie unser theoretisches Begreifen zwischen dem Sein der toten Objekte und dem Sein der Seele oder des Ichs. Unser Glaube akzentuierte diesen ontologischen Unterschied der beiden Seinskonzeptionen dadurch, das wir die erstere als "irdisch" und "vergänglich" prädizierten, dem Seinsmodus der "Seele" aber Unsterblichkeit zuschrieben.

In der absoluten Disjunktion von Idee und Ding aber ist alles Sein in das Objekt abgeflossen. Der Seele konnten wir noch ein privates, vom Wesen des Dinges verschiedenes Sein zuschreiben. Der konstruktiven Idee gegenüber ist das nicht mehr möglich. Soweit sie überhaupt Sein hat, besitzt sie dasselbe nur im Objekt. Nur in dem letzteren identifiziert sie sich mit sich selbst. Damit aber gibt sie auch ihre Eigenschaft der "Unsterblichkeit" an das Ding ab. Der menschliche Leib ist sterblich, weil in ihm physische und spirituelle Realität unterschieden werden können. Die Maschine aber kennt den Tod nicht, weil in ihr die Idee sich mit ihrer materiellen Existenz identifiziert. Der Mensch muß sterben, weil er sich weigert, sich mit seinem Leibe zu identifizieren. Deshalb fault der Leib von ihm herunter. Keine körperliche Existenz ist einer solchen Weigerung permanent gewachsen. Die Kraft aber, die diese Weigerung hervorbringt, nennen wir Seele. In der klassischen Maschine ist diese Weigerung (vorläufig!) überwunden. Die Konstruktionsidee identifiziert sich notwendig mit der durchgeführten Konstruktion, weil ihr eine unabhängige Existenz nicht einmal "im Begriff" zukommt. Das ist einerseits ein Fortschritt; es ist aber in späterem Betracht auch ein Mangel.

Der Fortschritt liegt darin, daß der Mensch, der endlich das geschichtliche Stadium erreicht hat, indem er sein eigenes Bild als Maschine entwirft, eine innerliche Uniformität und Allgemeinheit besitzt, wie nie zuvor. Im Mechanismus ist das, was in seiner Spiritualität bis dato allgemeinverbindlich ist, zum ersten Mal objektiv und interindividuelle ablesbar geworden. Das ist der erste Schritt aus der Anarchie der bloßen Subjektivität heraus. Die in der Maschine realisierten Prinzipien seiner Rationalität müssen jetzt von jedermann anerkannt werden. Zum ersten Mal ist in der Geschichte ein spiritueller Raum ausgespart worden, in dem sich das Gewissen nichts, aber auch wirklich nichts, vorbehalten darf. Auch den scheinbar evidentesten moralischen Gesetzen gegenüber, wie: Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht ehebrechen, Du sollst nicht töten, kann das Gewissen noch eine Ausnahmestellung beanspruchen. Dies ist darum der Fall, weil diese Maximen nicht auf die Prinzipien des Mechanismus reduzierbar sind, in denen die Idee im Sein völlig aufgesogen ist. Es gehört zum Wesen der moralischen Maxime, mag dieselbe noch so evident und zwingend sein, daß die private und subjektive Reflexion sich nie völlig mit ihr zu identifizieren vermag. Die letzte und innerste Subjektivität ist aus ihre ausgeschlossen und im Zustand ewigen Protestes. Niemand aber kann Gewissensbedenken gegenüber der Verkehrsordnung haben. Moralischer Vorbehalt ist hier absurd. Die Subjektivität ist in solchen Vorschriften restlos formalisiert und konventionalisiert. Man mag es als paradox empfinden, aber es läßt sich nicht leugnen, die Anweisung: Rechts fahren! bindest das Gewissen stärker als das Gebot: Du sollst nicht täten. Wer dem sechsten Gebot zuwiderhandelt, mag sich auf eine höheres Recht berufen, bei Verletzungen der Verkehrsordnung ist eine solche Berufung absurd. Ob durchführbar oder nicht, allen Utopisten hat von jeher eine Sozialordnung vorgeschwebt, in der das Gewissen restlos gebunden und formalisiert ist. Aus diesem Grund enthält Platons großer Dialog "Der Staat" eine Struktur-Analyse der menschlichen Psyche. Der Staat soll ein genaues Abbild des menschlichen Subjektes überhaupt sein und dadurch das Gewissen binden, so daß es den Widerspruch des Gewissens gegen den Staat zu einem Selbstwiderspruch der Subjektivität gegen ihre eigene Reflexion macht. Aus diesem Grund kommen bei Plato die schöpferischen Künste (mit Ausnahme der Musik) so schlecht weg. Die schöpferische Produktivität des Geistes ist jene Kraft der Subjektivität, die die ein-eindeutige Bindung des Ichs in der Welt auf ewig verwirft.

Was in Plato Antizipation eines Zukünftigen war, wird im Bolschewismus zur Bilanz der vergangenen Geschichte. Plato wird jetzt überholt, insofern man begriffen hat, daß die letzte Seinsprojektion des Menschen nicht der Staat, sondern die Maschine ist. Die bindenden Gesetze des Menschen fließen nicht aus der inhaltlichen Projektion der Psyche auf das Sein, sondern aus der Abbildung der leeren Tätigkeit des Bewußtseinsmechanismus auf den Kausalzusammenhang der Objekte. Bewußtseinsinhalte (die bei Plato noch dominieren) sind jetzt verdächtig. Sie etablieren Unterschiede zwischen den individuellen Subjekten und sie sind, selbst wenn sie noch so allgemein geteilt werden, niemals generell verbindlich. Das Ich kann sie jederzeit abwerfen und sich an ihrer Stelle mit anderen füllen. Diese Beweglichkeit der privaten Reflexion und des protestierenden Gewissens wird aber zum völligen Stillschweigen gebracht, wenn das Subjekt nicht vermittels seiner inneren Bestimmungen, sondern als inhaltsleerer Bewußtsseinsmechanismus auf das Sein übertragen wird und man dann das private Ich mit diesem Abbild seiner selbst - aus dem alle Privatheit entschwunden ist - konfrontiert.

Jeder Protest und jede subjektive Revolte des Gewissens wird in dieser Gegenüberstellung erstickt, denn das Subjekt erblickt in seinem Abbild nicht mehr einzelne positive Bestimmungen, die es zugunsten anderer verwerfen kann. Statt dessen begegnet es jetzt der allen individuellen Bestimmungen gegenüber indifferenten leeren Form von erlebender Subjektivität überhaupt, die für alle möglichen Ichs gleich verbindlich ist, weil in ihr nur der nackte ontologische Tatbestand des Vorhandenseins von Subjektivität in der Welt eine generelle Abbildung gefunden hat. Dieses archetypische Bild, daß das Ich von sich in die Wirklichkeit gesetzt hat, ist von höchst möglicher intersubjektiver Allgemeinheit und Verbindlichkeit, weil es nichts enthält von dem, wodurch sich das "Ich" vom "Du" unterscheidet, und nur die reine Form wiederholt, die beiden als Subjekten aller Existenz gegenüber gemeinsam ist. Die reine Subjektivität und das Gewissen können gegen dieses Abbild nicht mehr protestieren ohne damit sich selbst zu verleugnen. Um überhaupt Protest erheben zu können, müssen sie sich jener Kraft bedienen, die in dem maschinellen Ebenbild ihrer selbst verwirklicht worden ist. Indem das aber geschieht, wird die eigene Weltprojektion bestätigt und dem Protest sein Motiv entzogen.

In diesen beiden Akten der Interpretation der Wirklichkeit als Mechanismus und der Schöpfung der Maschine findet sich das zweiwertige Ich endgültig gebunden. Von jetzt an kann es nur noch eine orthodoxe Weltanschauung geben, ein und dasselbe gültige und für jedermann verbindliche Verhalten. Alle Subjekte sind von nun an nur winzige Rädchen oder Schrauben an einem Alles umfassenden Mechanismus und man lebt nur dafür, im eigenen Leben und der privaten Tätigkeit das primordiale Arbeitsschema der Maschine zu wiederholen. Aus diesem Grunde bindet der Bolschewismus das Gewissen und von seinem Standpunkt aus mit Recht. Das protestierende Gewissen und das "Ich", das sich vom "Du" zu unterscheiden wünscht, sind Rückfälle in eine überwundene Epoche der Geschichte. Alle Subjektivität, die sich nach innen statt nach außen wendet, ist von jetzt ab "reaktionär". Das führt zum progressiven Abbau aller innerlichen Werte des bisherigen Seelentums aller regionalen Hochkulturen. So muß z.B. von jetzt an alle romantische Liebe psychologische Kontrabande sein, einzelt sie noch ein Du als unwiederholbar unter allen anderen heraus und widersetzt sich damit der strengen Nivellierung aller psychischen Substanz. in der "Kreuzersonate" schildert Tolstoi eine Seele, die zu einer subjektiven Potenzierung ihrer Sinnlichkeit vollkommen unfähig geworden ist. Die Dinge sollen nicht nur nicht mehr innerlich bewältigt werden, man kann es auch nicht mehr. Die Kraft zur Sublimierung und zum Distanzhalten ist ausgeronnen. Das Wirkliche hat keine symbolische Bedeutung mehr, sein Sinn erschöpft sich für das Ich in ausschließlich kausalen Relationen. Die erscheinende Vielfalt der Welt ist genau das, was sie als Erscheinung ist. Daß sie auf ein Anderes, dahinter Liegendes zurückweisen könnte, das in ihr nur erscheint und seine endgültige Identität zurückhält, kommt diesem letzten und endgültigen Stadium des zweiwertigen Bewußtseins nicht mehr in den Sinn. Das letzte Lebenssymbol dieser menschlichen Daseinsform ist, wie Spengler richtig gesehen hat, die endlose, monotone Ebene.

Es versteht sich von selbst, daß diese seelische Verfassung einen abgrundtiefen und grenzenlosen Haß gegen alle spirituellen Tiefendimensionen entwickeln muß, die die regionalen Hochkulturen im Verlauf ihrer innerlichen Geschichte ausgelotet und in symbolische Formen übersetzt haben. Diese Formen erscheinen jetzt als Lüge und Betrug und ein Raub an Kostbarsten, an der Wahrheit. In ihren unendlichen introszenten Perspektiven ist nämlich die Wahrheit in eine unerreichbare Distanz gesetzt. Sie zwingen das Leben zu einer unruhigen und ungewissen Bewegung nach jenem fernen Ziele hin, und sie nehmen der Beziehung von Mensch zu Mensch jede temporale Konstanz. Darum gehen die regionalen Hochkulturen in einem reißenden und unaufhaltsamen Ablauf durch die Geschichte und überstürzen sich in ihrem Wettlauf nach dem Tode.

In dieser mangelnden historischen Konstanz der bisherigen Geschichte sieht das abschließende Bewußtsein der "Ebene" alle spirituellen Tiefendimensionen als Betrug entlarvt. Sie rauben dem Ich die Sicherheit und permanente Eindeutigkeit der Existenz. Aus ihnen spricht deshalb ein böser Wille, der den Menschen um sein Erbe zu betrügen sucht. Deshalb ist nur jene Wahrheit ein echter Wert und eine sichere Gewähr der Dauer, die im Hier und Jetzt der physischen Existenz gefunden wird. Dieselbe verspricht zwar nichts anderes als da, was man potentiell schon hat, aber sie trägt in sich die Implikation der Erfüllung. Das muß so sein, denn die Wahrheit als Ganzes ist in das "Fleisch" der Existenz vollkommen eingebildet, und sie kann sich nirgends mehr in jenseitige Perspektiven zurückziehen.

Läßt man einmal alle "westlichen" Vorurteile fallen, so muß man zugeben, daß damit in der Tat ein überlegener historischer Zustand des Menschen erreicht ist. Das Ich, das das Niveau dieses existentiellen Bekenntnisses erreicht hat, mag zwar spirituell arm sein, aber es hat die Schicksalsstürme eines ungewissen Reichtums für eine bescheidene Sicherheit eingetauscht. Der Mitmensch, das "Du", ist aus einer unbekannten und damit gefährlichen Größe zu etwas Bekanntem geworden und man hat - zum ersten Mal in der Gesamtgeschichte des menschlichen Bewußtseins! - das gute Gewissen, daß es die vorderste Pflicht des Subjektes ist, für das leibliche Wohl seiner selbst zu sorgen. Man besitzt den Anspruch und das Recht auf physisches Wohlergehen ... ein Recht, das von den großen Religionen der vorausgegangenen Zeitalter entweder explizit oder implizit verneint worden war. Von nun an lebt man mit einem guten Gewissen in dieser Welt, denn "die Sünde hat kein Abbild" im objektiven Sein und je williger man sich mit demselben identifiziert, desto ferner ist man von ihr. in der im Bolschewismus vollzogenen Identifizierung des Menschen mit dem System der physischen Kausalität wird das Konzept der Erbsünde, der alle Hochkulturen in der einen oder anderen Form belastet, aus der geschichtlichen Wirklichkeit des Menschen ausgewiesen. Er lauert von nun an nur noch in der Privatheit jener anarchischen Reflexion, die sich von dem Bekenntnis zum allgemeinen Glück ausschließt.

Damit wäre der Boden der Utopie erreicht, wenn diesem faktischen Fortschritt des Bewußtseins gegenüber den allgemeinen Forderungen der physischen Koexistenz des Ichs mit dem Du nicht ein ebenso intensiver Nachteil gegenüber stände; ein Nachteil, der deutlich zeigt, daß auch die abgeschlossene und liquidierte Geschichte nicht "der Boden des Glücks" ist. Mit dem Ausschluß der historischen Zeit aus der Existenz des Menschen wird nämlich auch die theoretische Reflexion des Gedankens ausgeschlossen. Gegen den Schluß seiner Einleitung zu den "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" schreibt Hegel: "Die Zeit ist das Negative im Sinnlichen: der Gedanke ist die selbe Negativität, aber die innerste, die unendliche Form selbst, in welcher daher alles Seiende überhaupt aufgelöst wird - zunächst das endliche Sein, die bestimmte Gestalt; aber das Seiende überhaupt ist als Gegenständliches bestimmt, erscheint darum als Gegebenes, Unmittelbares, Autorität und ist entweder dem Inhalt nach als endlich und beschränkt, oder als Schranke für das denkende Subjekt und die unendliche Reflexion desselben in sich." [49]

Die Situation, in der der Mensch sich jetzt sieht, ist die folgende: soweit die Subjektivität und ehemals freie Reflexion nicht in das Sein eingeebnet udn mit demselben identifiziert ist, ist sie von nun an aus der anerkannten Wirklichkeit ausgeschlossen. Sie gilt von nun an als eine äußerste Gefahr, die das Ich in die glücklich überwundene historische Zeit und Geschichte zurückzuziehen droht, weil sie, wie Hegel richtig bemerkt, dazu tendiert, alles Seiende überhaupt aufzulösen. Dieser Zustand äußerst prekärer Seinsstabilität war charakteristisch für alle regionalen Hochkulturen, auf die das Russentum vom Ende der Geschichte her mit den Überlegenheit dessen zurückblickt, der von der Weltgeschichte dazu ausersehen worden ist, ausschließlich die objektiven, entpersönlichten Resultate dieses mächtigen Prozesses zu empfangen. Alle regionalen Varianten dieses die ganze östliche Hemisphäre umspannenden Prozesses sind jetzt abgelaufen und die Subjektivität, die ihn vorwärts trieb, ist, soweit sie nicht in seine physischen Resultate eingegangen ist, aus der ferneren Existenz des Menschen auf dem Liquidationsniveau dieser Geschichtsstufe verbannt. Damit aber erscheint das Sein als letzte Autorität des Gewissens. Und diese Autorität ist unendlich, weil sie die unendliche Reflexion des Ichs in sich selbst abgeschnitten hat und damit jetzt alles das ist, was die Subjektivität einst war. Es erscheint die bedingungslos, autoritäre Lebensform des Bolschewismus, in der die faktische Wirklichkeit die Rolle des Gewissens übernimmt. Subjektives Gewissen impliziert metaphysische Distanz gegenüber dem Sein; aber eben diese Distanz existiert nicht mehr, sobald der Scheitel der platonischen Ideenpyramide bis auf die Basis hinuntergesunken ist.

Solange die Reflexion über der Seinsebene schwebt, ist die unendliche Introszendenz der Subjektivität letzte Quelle und endgültige Instanz des Wahren. Das Ich, das nicht in seinen Trieben hängt, sondern sich auf seine eigene Allgemeinheit besinnt, besitzt dann ein sicheres und eindeutiges Verhältnis zur Wahrheit. Der Mensch mag in diesem intensiven historischen Spannungszustand zwischen Selbst und Welt zwar nicht das Glück besitzen, aber er besitzt unzweifelhaft sich selbst und ist sogar als Sklave niemandem spirituell hörig. [50] Sobald aber das Subjekt als anerkanntes in die Dimension des Seins hineingezogen wird, versickert die introszendente Quelle der Wahrheit. Letzte Instanz des Wahren und des Guten ist von nun an die Objektwelt. D.h. der Mensch erfährt von jetzt ab von außen her was wahr ist. Er besitzt keinen eigenen Maßstab mehr, auf den er sich berufen kann. Da das Sein aber über keine Reflexionstiefe verfügt und sich nur in der endlosen Reflexionsbreite ausdehnt, gibt es von nun an keine Rangordnung der Wahrheitswerte mehr. Alle möglichen Wahrheitsmotive liegen gleichgeordnet auf der selben Existenzebene, und der Übergang von einem zum andern ist bloß faktisch, willkürlich und vom Ich nicht antizipierbar.

Dies führt im Bolschewismus zur absoluten Rechtlosigkeit des Ichs. Es kann nicht mehr aus eigener Kraft gläubig sein. Wenn heute das Wahrheitsmotiv "A" als orthodox und bildend gilt, so kann morgen "nicht-A" zum verpflichtenden Motiv erhoben werden. Dieser Übergang hat keinen Grund, denn Gründe setzen Reflexionsdistanz voraus. Er ist nur faktisch und ein Datum radikaler Kontingenz. Der moderne Historiker hat Gelegenheit gehabt, den erstaunlichen Wechsel der weltanschaulichen Positionen, die der Bolschewismus in seiner Innenpolitik seit 1917 durchgemacht hat, zu beobachten. Dabei geschieht notwendigerweise das Folgende: das Ich, das geistig sich mit dem überwundenen Standpunkt identifiziert hat, gilt jetzt als Verräter und Konterrevolutionär. Seine seelische Substanz gilt jetzt als Ausdruck des Bösen, das sich als subjektive Privatheit aus der Welt zurückgenommen hat. ist das Ich mit dem als häretisch erklärten Standpunkt unveränderlich und unwiderruflich identifiziert, so bleibt nichts übrig als die kompromittierte Person zu liquidieren. Dies Schicksal ist der alten bolschewistischen Garde widerfahren. Für diese Gruppe von Politikern gehörten bestimmte inhaltliche Formulierungen des Programms zum subjektiven Glaubensbekenntnis, d.h. das Bewußtsein dieser Individuen hielt noch eine gewisse, wenn auch minimale Reflexionsdistanz gegenüber dem Sein aufrecht, indem es gewisse inhaltliche Bestimmungen des bolschewistischen Glaubensbekenntnisses gegenüber andern überzeugungsmäßig bevorzugte. [51] Man hat sie deshalb liquidiert. Wo dies durch ein öffentliches Gerichtsverfahren geschah, durfte man die Beobachtung machen, daß der in der Anklagebank so privat gewordenen Subjektivität nur noch das Recht zugestanden wurde, ihrer eigen Austilgung zuzustimmen. Ist das Identifikationsverhältnis der Person mit einem von der jeweiligen Parteilinie abweichenden Wahrheitsmotiv weniger eng, wie man das bei Künstlern oder Wissenschaftlern etwa annehmen kann, so mag man sich mit einem Widerruf des Häretikers begnügen. Jedenfalls aber ist mit der bolschewistischen Konsequenz des Marxismus "die bloße einsame Träumerei und jeder Rest ihrer Zweiweltentheorie ausgeschieden." [52] Nur noch der "solide Traum" ist erlaubt, wie Ernst Bloch schreibt, d.h. jene Subjektivität, die ihr Maß an der Wirklichkeit findet und sich den Gesetzen der letzteren bedingungslos unterwirft.

Damit aber wird es dem Ich schlechthin unmöglich gemacht, sich mit einer subjektiven Überzeugung zu identifizieren. Weiß es doch nie, ob eine Identifizierung, die heute legitim ist, nicht morgen zur abscheulichen Häresie erklärt wird. Somit ist das Subjekt zur absoluten Resignation und zur Preisgabe seiner selbst verurteilt. Die einzige Sicherheit, die noch bleibt, ist der Verzicht auf die subjektive Kritik und das Recht durch Evidenz überzeugt zu werden. Der Wille muß sich dazu verstehen, die Wahrheit als zufällige Folge kontingenter Fakten anerkennen und bejahen zu können. in Arthur Koestlers Roman "Darkness at Noon" bekennt der angeklagte Bolschewist Rubschov: "I plend guilty to having rates the question of guilt and innocence higher than that of utility and hanrfulness. Finally, I plead guilty to having placed the idea of man above the idea of mankind..." [53] Es ist schon Schuld auf dieser Endstufe der zweiwertigen Geschichte noch unschuldig sein zu wollen. Und erst recht macht sich derjenige schuldig, der die Idee des Einzelnen (in der absoluten Privatheit seines Gewissens) über den objektiven (allgemeinverbindlichen) Begriff der Menschheit stellt. Die Privatheit und Einzigkeit der Subjektivität ist ein direktes Resultat ihrer Distanz zur Welt. Sie läßt sich deshalb grundsätzlich nicht in das objektive Sein einbilden. Denn letzteres ist Öffentlichkeit und handgreifliche, jedem zugängliche Vielheit. Die Idee der Menschheit aber fällt mit dem Subjekt nur insoweit zusammen, als dieses leere, innerlich unbestimmte Subjektivität ist und als solche in der Konzeption des Mechanismus auf die objektive Seinsebene projiziert werden kann. Den Menschen mit dem, was an seinem Wesen unbestreitbar objektiv und allgemeinverbindlich ist, in vollen Einklang zu bringen, das ist das Ziel dieses abschließenden Stadiums der regionalen Weltgeschichte der östlichen Hemisphäre. Dies mag eine imponierende Absicht sein und ein sehr spezifischer Menschentyp, der am Ende unserer Geschichte immer häufiger auftritt, mag sich dafür begeistern, aber es hat keinen Zweck sich zu verhehlen, daß die Erreichung dieses Ziels mit dem vollkommenen Ruin der zweiwertigen Subjektivität des Menschen erkauft wird. Das bedeutet vor dem Forum der Weltgeschichte sicherlich nichts. Dieses Ich als historische Subjekt ist ohnehin längst entleert und hat sich selbst an das Sein verloren - soweit die Geschichte als Ganzes in Frage kommt. Aber das einzelne Individuum lebt auch jetzt noch als privates weiter - nur daß diese Privatheit keine substantielle Relevanz mehr hat - und es erhält sich als Sonderexistenz aus jenen archaischen Reflexionsresten, die sich jeder Abbildung eine spirituelle Verkommenheit jene Landstriche überzieht, über die die Geschichte der regionalen Hochkulturen hingegangen ist, ein Elend und eine Verzweiflung des isolierten Subjekts, wie es die Welthistorie des Menschen seit dem Übergang von der primitiven Stufe der Existenz zum Niveau der regionalen Hochkulturen nicht mehr gekannt hat. Von jener anderen Verzweiflung der Seele, die jetzt schon etwa fünftausend Jahre zurückliegt, wissen wir so gut wie nichts. Wir haben nur ihr düsteres Echo, das in den regionalen Hochkulturen in den Tönen der großen Erlösungsreligionen widerhallt. Der Mensch will um jeden Preis aus dieser Existenz erlöst werden. Das Diesseits ist das Reich des Satans und gehört "dem Fürsten dieser Welt". Ein solcher überwältigender Erlösungstrieb kommt nicht von nirgends her. Es müssen ihm spirituelle Erschütterungen vorausgegangen sein, die nirgends formuliert, beschrieben und explizit überliefert worden sind, weil ihre Intensität und ihr Ausmaß über alle menschlichen Mitteilungsformen hinausgewachsen sein muß.

Die regionalen Hochkulturen und ihre rigorosen Jenseitsreligionen sind die geschichtlichen Antworten des Menschen auf jenes Elend. Die primordiale Verzweiflung, die diese strengen und in ihrem innersten Wesen büßend asketischen Gebilde hervorgebracht hat, wird nirgends expressis verbis erwähnt. Es war nie notwendig. Jeder Beteiligte wußte es auch so. Daß das Heil der Seele nicht in dieser Welt gefunden werden kann, wird mit einer naiven Selbstverständlichkeit, die sich auf einen gesicherten Erfahrungsbesitz des Menschen bezieht, verkündet. Die Periode dieser Verzweiflung liegt für uns heutige Menschen so weit zurück, daß es niemandem, seit unsere modernen Studien zur vergleichenden Religionsgeschichte begonnen haben, in den Sinn kam zu fragen, welche speziellen Erschütterungen des menschlichen Bewußtseins es gewesen sind, die die Entstehung der Erlösungsreligionen verursacht haben. Man fühlte kein Bedürfnis zu dieser, weil man den Kontakt mit jenen längst vergangenen spirituellen Umwälzungen nicht mehr besaß. Jene Zusammenhänge aber beginnen heute wichtig zu werden, seit man vage zu fühlen beginnt, daß der Seele ähnliche Erschütterungen unmittelbar bevorstehen und daß die Antworten auf die alte kaum mehr erinnerte Verzweiflung sinnlos zu werden beginnen, seit ein neues und frisches Elend der Seele das Bewußtsein des gegenwärtigen Menschen zu peinigen beginnt.

Der Bolschewismus hat dieses Elend nicht verursacht. Er ist ehe ein Versuch, das Ich mit brutalen Mitteln aus einer ausweglosen Situation zu befreien. Es ist nicht seine "Schuld", daß er dabei - getrieben durch die Dialektik der Geschichte - zum Vehikel jener Verzweiflung wird, die er durch die Entprivatisierung des Subjekts verhindern will. Die endliche spirituelle Katastrophe war unvermeidbar, seit der Mensch in den regionalen Hochkulturen sich das Ziel gesetzt hatte, sein prinzipielles Anderssein (den zweiten Wert) in die Materie einzubilden. Alle vorausgehenden Hochkulturen erreichen dabei die letzte Krisenschwelle nicht, weil sie vorzeitig am Wege haltmachen und in einen Zustand suspendierter Geschichte übergehen, sobald sie die inhaltlichen Bestimmungen ihres Seelentums in die Welt ausgeleert haben. Sie kommen deshalb nirgends zu der Erfahrung, daß die Gleichung Seele - Welt in Wahrheit eine Ungleichung ist und daß das Ende einer Geschichtsepoche notwendig eine spirituelle Krise des Menschen der sie produziert hat, impliziert. In der faustischen Kultur aber wird der geschichtliche Weg des zweiwertigen Bewußtseins konsequent zu Ende gegangen. Nachdem das Ich entleert ist, sucht man jetzt seine abstrakte Form und sinnfreie Tätigkeit auf das Sein abzubilden. Man projiziert also das Subjekt auf das Objekt, man gibt also die Privatheit der Seele preis und tauscht dafür den Vorteil ein, daß die bisher tote, zu rationaler Bewegung unfähige Materie in der Schöpfung der Maschine mit der Eigenschaft rationaler Tätigkeit und sinnvoller Kraftentwicklung begabt wird.

Der Bolschewismus sieht ein, daß der Mensch mit dieser seiner letzten Schöpfung, dem selbsttätigen Mechanismus nicht leben kann, ohne selbst zur allgemeinen Maschine zu werden. Dies ist in seinen Augen kein Nachteil, denn er weiß, daß die metaphysische Quelle aller geschichtlichen wie persönlichen Konflikte des Menschen die unreduzierbare Privatheit des individuellen Gewissens ist, die weder eine eineindeutige Abbildung auf das Objekt noch auf das Du zulassen will. Solange das Subjekt dieselbe nicht aufgegeben hat, ist es nicht aus der Geschichte heraus und in die Dimension der "konkreten Utopie" [54] getreten. Überdies schließt die sich dem Sein vorbehaltene Subjektivität die soziale Anarchie ein und die intersubjektive Gerechtigkeit aus. Ein Anspruch nämlich, der aus dem einzigen und privaten Ich an die vielen Dus gerichtet wird, bleibt solange die Seele, die ihn stellt unprojizierbar in die objektive Allgemeingültigkeit des Seins ist, irrational und ohne ein das Du bindende Motiv. Das Subjekt kann also nur soweit Recht auf Anerkennung fordern, als es sich seiner generellen Gesetzlichkeit nach, die für alle gilt, in die Wirklichkeit projiziert hat. Als einsame Träumerei hat es keinen Anspruch auf Duldung und Existenz. Es muß um der konkreten Utopie willen ausgerottet werden. Die ausschließliche und einzige Projektion aber, in der das Ich und das Du sich in gleicher und ununterscheidbarer Weise auf der Ebene der Objekte abbilden und in der ihre relative Privatheit gegeneinander restlos aufgezehrt wird, ist das Arbeitsschema des maschinellen Mechanismus. [55] Darum hat der Mensch im Bolschewismus nur Anspruch auf Wartung seiner physischen und psychischen Funktionen, aber nicht auf Seelsorge. Es besteht keine Institution, die der Seele ein Asyl dem Staate, resp. der Welt gegenüber gewährt.

Das Individuum, das sich in seiner Existenz freiwillig auf diejenigen Wesenszüge reduziert, die objektiv abbildbar und damit für alle verbindlich sind, ist damit der geschichtlichen und privaten Konfliktsphäre in der Tat enthoben. Es ist weiterhin auch von den seelischen Differenzen befreit, die die geschichtlichen Lebensräume der einzelnen regionalen Hochkulturen voneinander abgrenzen. Das ist leicht einzusehen. Die Unterschiede zwischen ägyptischer, chinesischer, indischer, antiker usw. Geschichte beruhten auf ebenso vielen verschiedenen materialen historischen Aprioris. Das chinesische Seelentum z.B. ist inhaltlich anders bestimmt als das faustische. Was aber in allen Fällen das gleiche ist, ist die leere Form dieses Seelentums und sein genereller zweiwertiger Arbeitsrhythmus. Wird also schließlich diese absolut antithetische Schematik des menschlichen Bewußtseins überhaupt, so wie es sich auf der zweiten Stufe der Weltgeschichte konstituiert hat, in Gestalt der Maschine auf das objektive Sein übertragen, so ist damit ein Resultat geschaffen, das für alle Angehörigen dieser Geschichtsstufe gleich verbindlich ist. Die Maschine hält jeder dieser regionalen Kulturen ein objektives Ziel vor, das in ihrem historischen Verlauf als letzte mögliche Konsequenz angelegt, aber mit Ausnahme der faustischen von keiner anderen erreicht worden ist. Der Chinese kann nicht die Musik Beethovens übernehmen und der Inder ist kein legitimer Schüler Rembrandts, aber sie sind alle qualifizierte Erben der Konzeption der Archimedischen Maschine, mit der die Kultur Westeuropas abgeschlossen hat.

Wenn der Bolschewismus als Repräsentant des ausschließlich nach außen gerichteten und sich mit seiner physischen Existenz identifizierenden Kollektivmenschen von der Weltrevolution redet, dann kann er sinnvoll nur die östliche Erdhälfte meinen, in der die arretierten historischen Entwicklungen jetzt wieder in Bewegung kommen. Die vorzeitig suspendierten Zivilisationen Indiens und Chinas und auch anderswo sind im Erwachen und bereit, sich des letzten und äußersten Resultates der Gesamtgeschichte des Menschen auf der zweiten Stufe seiner historischen Existenz zu bemächtigen. Dieses Endresultat ist die Maschine und die mit ihr verbundene Lebensweise eines ganz in das objektive Sein projektierten Ichs. Da nun die Daseinsebene der Objekte völlig indifferent gegenüber den inhaltlichen Bestimmungen des menschlichen Seelentums ist und in die Materie des Objekts ohnehin nur die generelle Form und der abstrakte Arbeitsrhythmus von zweiwertigem Bewußtsein überhaupt eingehen kann, ist die Maschine als letztes Abbild der abendländischen Seele (die hier ihre inhaltlichen historischen Bestimmungen längst hinter sich gelassen hat) dem Araber ebenso adäquat wie dem Inder oder dem Japaner.

Die Geschichte des Menschen auf der zweiten Stufe seines welthistorischen Daseins hat also noch ein abschließendes Kapitel vor sich. Es handelt sich um die letzte Bewegung des zweiwertigen Bewußtseins, in dem alle an ihm beteiligten Hochkulturen ihre frühzeitig abgebrochene Geschichte wieder aufnehmen und ihr entleertes und erstarrtes Seelentum in die physische Existenz des Mechanismus einbilden und damit einen Lebensstil annehmen, der dem von nun an implizierten materialistischen Denken vollkommen gemäß ist. Der Künder dieses neuen Evangeliums vom Menschen, der sich ganz in den physischen Mechanismus des äußeren Daseins geworfen hat, ist Rußland und der Bolschewismus. In diesem Sinne kann mit Sicherheit vorausgesagt werden, daß in den nächsten Jahrhunderten die Theorie des historischen Materialismus und die ihr zugeordnete Lebensweise, von der uns der Kommunismus ein erstes Beispiel gibt, sich über die ganze östliche Hemisphäre ausbreiten und sie geistig nivellieren wird. [56] Es ist dabei möglich - ja wahrscheinlich - daß der geistige Schwerpunkt dieser Bewegung sich allmählich vom europäischen Rußland nach Asien verlegen wird. Es spielen hier sehr alte Einflüsse mit. Stärker als der westliche Marxismus wirkt im Bolschewismus die asiatische Idee des mongolischen Imperiums, des größten Herrschaftsbereichs, den die Erde bisher gesehen hat. In ihm waren bereits ähnliche Nivellierungstendenzen bemerkbar, wie sie sich heute im Marxismus zeigen. Rußland gehörte zum westlichen Uluss dieses Universalreiches. Es ist auch zu bedenken, daß China, das den am stärksten nach außen gewendeten Menschentypus des Ostens besitzt, schon zur Sung-Zeit seinen eigenen "kommunistischen" Theoretiker in Wang An-shih (1021-1086) besaß. Es sind da unzweifelhaft historische Kompensationsprozesse zu erwarten, denn sowohl der marxistischen Theologie des Bolschewismus wie den analogen Programmen von Wang An-shih haften noch immer gewisse regionale Spuren an, die in einem generellen Ausgleich der Mentalität des Menschen in der östlichen Hemisphäre schließlich verschwinden müssen. [57] Am wichtigsten in diesem Zusammenhang ist aber, daß in der bisherigen Gestalt des Bolschewismus nur das Christentum auf dem Weg über die Ikonentheorie säkularisiert ist. Die parallele Säkularisierung der asiatischen Kernreligion in ihren hinduistischen und buddhistischen Varianten steht heute noch aus. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß der Bolschewismus dieselbe durchführen wird, aber es ist schwer vorauszusagen, wieweit die mechanistischen Theorien des Marxismus selbst dadurch modifiziert und verallgemeinert werden mögen.

Daß sie heute noch einer weiteren Verallgemeinerung bedürfen und keineswegs bereits die letzten Konsequenzen aus den eigenen Prämissen gezogen haben, dürfte außer Frage sein. Es scheint aber ebenso selbstverständlich, daß dies die historische Aufgabe des Bolschewismus ist: die endgültige Liquidation der nur regional gültigen Lebensformen der individuellen Hochkulturen, die seit dem dritten vorchristlichen Jahrtausend auf dem Boden der östlichen Erdhälfte dieses Planeten entstanden sind. Allen diesen Kulturen liegt ein unterster psychischer Generalnenner, die generelle Struktur eines zweiwertigen Bewußtseins zugrunde. Im Bolschewismus wird die objektiv darstellbare Theorie des abstrakten Arbeitsmechanismus dieses Bewußtseinstypus fixiert und der Mensch dazu gezwungen, sich auf jene Arbeitsregeln einzustellen und sein ganzes Leben gemäß ihrem Formalismus auszurichten. Seelische Differenzen inhaltlicher Natur trennen das Ich vom Du und sind deshalb nicht mehr geduldet. Damit wird die Existenz des Menschen zwar arm und formalistisch, aber sind zugleich als ontologisches Minimum absolut verbindlich für jedes denkende und fühlende Wesen, das diesem zweiwertigen Bewußtseinstyp angehört. Man kann sich der (leeren) Allgemeinheit dieser Lebensform nicht mehr entziehen, denn sie ist in ihren Minimalansprüchen echt und wahr. Daß sie zugleich spirituell entleert und von einer unsagbaren Öde ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Kritiker des Bolschewismus, die ihm dies vorwerfen, wissen aber selbst keine Vorschläge zu machen, wie die entseelte Gestalt des Daseins im Mechanismus mit einem neuen inhaltlichen Apriori, das für alle Individuen mit zweiwertiger Bewußtseinsstruktur verbindlich ist, erfüllt werden soll. Diese negative Kritik zieht sich ausnahmslos auf die vergangenen Werte zurück. Man beschwört die Namen von Goethe, St. Thomas, Plato oder Buddha und vergißt ganz, daß die spirituellen Werte, die durch jene Namen repräsentiert werden,

(Anm.: Es fehlen einige Seiten)

Säulenreihen, an denen er vorüberführt, sind, `Länge und Breite', d.h. die bloße Empfindung der Sinne, die das vorwärtsdringende Leben erst zur Welt dehnt ... Deshalb will diese Kunst Flächenwirkung und nicht anderes, auch dort, wo sie sich körperhafter Mittel bedient. Für den Ägypter war die Pyramide über dem Königsgrab ein Dreieck, eine ungeheure, den Weg abschließende, die Landschaft beherrschende Fläche von stärkster Kraft des Ausdrucks, von wo aus auch er sich ihr näherte". Die Pyramide aber war der endgültige unwiderrufliche Abschluß, denn in sich barg sie das Grab.

In diesem Sinn ist die Pyramide der mächtigste architektonische Ausdruck eines Weltgefühls, das einen Lebensweg beschreite, auf dem es aufgehalten wird. Für das Subjekt, das seine Blicke diese Straße vorauswirft, dehnt sich der Weg nicht in unendliche Fernen. Er leitet nicht am fernen Horizont über die Erdwölbung hinweg in Ungesehenes und Unbekanntes. Statt dessen schneidet das Dreieck der Pyramide die Bahn des vorwätsschreitenden Fußes in meßbarer Nähe ab. Die lebendige Subjektivität, die in der Vorwärtsbewegung des frommen Pilgers durch Gänge, Hallen, Arkadenhäfe und Pfeilersäle ihren sich stet verengernden Weg bis zur Totenkammer nimmt, wird von der Dreieckswand der Pyramide abgegrenzt und staut sich auf. Sie hat nur eine Zukunft, und die ist das Grab. Ihre inhaltlichen Bestimmungen hat sie in Gestalt von Reliefs, die flächenhaft den "Weg" an beiden Seiten begleiten, auf ihrer Bahn zurückgelassen. Nun liegt sie im Grabe und liest sich an den weisen Sprüchen und Regeln des Totenbuchs an allen Hindernissen vorbei bis zum zweiten Anfang des Weges, wo Osiris, der Totenrichter, über das Schicksal der Seele entscheiden wird.

Das Bild, das dies ägyptische Weltgefühl von sich selbst entworfen hat, ist das einer zweiwertigen Subjektivität, die von ihrem ichhaften Pol aus sich auf den Weg macht, ihre Essenz in die Welt einzubilden, aber auf halbem Wege aufgehalten wird, sich in unglaublichen Spannungen aufstaut, und dann von der Grabwand der Pyramide her den eignen Weg zurückfließt. Dies Leben wird von einer Fläche spiegelhaft reflektiert und bricht in zwei einander genau entsprechende Hälften auf. Schon Hegel bemerkt über das alte Ägypten: "Das ganze Land ist in ein Reich des Lebens und in ein Reich des Todes eingeteilt." [58] Nach ihm ist die personifizierte Repräsentation dieser Lebensform der Sphinx, "an und für sich ein Rätsel, ein doppelsinniges Gebilde, halb Tier, halb Mensch. Man kann die Sphinx als ein Symbol für den ägyptischen Geist ansehen: der menschliche Kopf, der aus dem tierischen Leibe herausblickt, stellt den Geist vor, wie er anfängt, sich aus dem Natürlichen zu heben, sich diesem zu entreißen, und schon freier um sich zu blicken, ohne sich jedoch ganz von den Fesseln zu befreien." [59] Diese beiden Bemerkungen Hegels enthalten zusammen mit Spenglers Hinweis auf den spezifischen Symbolcharakter der Pyramide den Schlüssel zu der geschichtsmetaphysischen Struktur des ägyptischen Lebens. Man vergesse nicht: die Kultur war eine der ersten tentativen Ausdrucksformen der zweiwertigen Existenz des Menschen. Die Seele empfindet ihre Antithetik gegenüber dem objektiven Sein bereits mit aller Gewalt. Sie erfährt ihr subjektives Aus-gesetzt-sein und ihre formenlos Fülle als eine Aufgabe, und sie macht sich auf den Weg ihrer Berufung genug zu tun und ihre inneren Bestimmungen der Dimension der objektiven Existenz einzubilden. Auf halber Strecke aber stößt sie auf einen undurchdringlichen Widerstand. Die Subjektivität staut sich auf und flutet zurück. Diese in sich zurückkehrende Bewegung erscheint als "das Reich des Lebens" und "das Reich des Todes". [60] Das zweite ein genaues Spiegelbild des ersten. Der Grund für das Auflaufen des Ichs auf eine Wand, die in der Mitte seiner Existenz dem Ägypter den weiteren Weg versperrt, ist die Schwäche seines historischen Aprioris. Die Vielzahl der regionalen Hochkulturen, die schließlich zu der abschließenden Daseinsform in Westeuropa führen, kann nur dadurch sinnvoll erklärt werden, daß wir annehmen, daß es nur einen einzigen Satz innerer Bestimmungen der zweiwertigen Psyche gibt, die der vollkommenen Projektion des Ichs auf die objektive Realität genau adäquat sind. Alle anderen historischen Aprioris sind dieser Abbildung nur partiell äquivalent, und wir haben deshalb die Gesamtgeschichte der Hochkulturen in der östlichen Hemisphäre als die immer wieder von neuem unternommenen Versuche des zweiwertigen Bewußtseins aufzufassen, diese endgültigen inneren Bestimmungen des Ichs, die zugleich dem objektiven Kausalzusammenhang des materiellen Seins gemäß sind, endlich zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen. Alle Mythologeme über Totenreiche und Leben im "Jenseits" sind Beschreibungen einer lebendigen Reflexion des Subjekts, die sich einer Abbildung auf das empirisch-sinnliche Diesseits erfolgreich widersetzt hat. Das zweiwertige Ich aber muß, gemäß den Identitätsprinzipien seiner ontologischen Metaphysik, diese subjektiven Bestimmungen los werden und das es dieselben nicht in der irdischen Objektwelt unterbringen kann, wirft es seinen Reflexionsüberschuß auf ein Spiegelbild des Hier und Jetzt, das als Jenseits und Leben nach dem Tode erscheint. Diese Mythologeme werden ganz unbefangen entwickelt. Man weiß vorläufig noch nicht, daß alle "Transzendenz" nur durch eine Brechung der eigenen Reflexion an einem für die letztere undurchdringlichen Medium hervorgerufen wird. Erst am Ende der Geschichte des zweiwertigen Bewußtseins, mit der beginnenden Reflexion des aristotelischen Denkens auf sich selbst, bricht sich diese Erkenntnis Bahn. Es sind im wesentlichen die materialistischen Theorien der Hegelschen "Linken", in denen der nicht aufgelöste Reflexionscharakter des mythologischen Denkens betont wird. Ludwig Feuerbachs "theologisches Gespenst" beginnt umzugehen. [61] Allerdings wird die präzise logische Natur der mythologischen Inversion der Reflexion hier noch nirgends durchschaut. [62]

Es gibt keine Metaphysik einer Hochkultur, in der diese radikale Brechung der Reflexion, die ihren Gegenstand nicht durchdringen kann und von ihm in voller Stärke zurückgeworfen wird, so deutlich und so selbstverräterisch zum Ausdruck kommt wie in der ägyptischen. Das Leben nach dem Tode und die Sorge für das Grab nimmt in dem spirituellen Dasein dieses Menschentyps fast den gleichen Raum ein wie die Sorge für das Diesseits. Man muß sich ganz deutlich machen: je mehr die Objektwelt sich für eine adäquate Reflexion als durchlässig erweist und je mehr an Subjektivität durch ihre Poren sickert, desto weniger wird zurückgeworfen, desto schwächer also wird das Bild des Jenseits, das sich aus den abgewiesenen Reflexionssituationen "hinter" der Wirklichkeit bildet. Aber die Suggestivität und Eindrücklichkeit des Jenseitserlebnisses kann kaum eindringlicher sein, als sie sich in den ägyptischen Vorstellungen vom Tode manifestiert. Diese Dominanz des Todes- und Jenseitsproblems weist darauf hin, daß die ägyptische Seele die Brechung ihrer Reflexion am Sein mit unerhörter Stärke empfunden haben muß. Ihr entspricht die Wucht und Massivität mit der dieses materielle Sein künstlerisch gestaltet wird. Die Pyramide ist zwar nur die gesehene Fläche, die den weiteren Lebensweg abriegelt; aber welche phantastischen materiellen Mittel hat man gewählt, um diesen Flächeneindruck zu erzeugen. In dieser "Fläche" vereinigt sich das überwältigende Gewicht und die absolute Unbeweglichkeit der Masse um den Menschen halt zu gebieten. Die ungeheure Gewalt der Materie erdrückt ihn und wird sein Grab. Die Grabkammer und das Totenbuch sind die aus dem Sein zurückgeworfenen Reflexionen, in denen der Tote sein Leben in der Erinnerung wiederholt. Alle Totengerichte, vom Gericht des Osiris bis zum christlichen Jüngsten Tag sind solcher Erinnerungen des Gewesenen, in denen die in der Existenz gebrochenen Strahlen der Subjektivität in einem neuen Brennpunkt gesammelt werden.

Ein Zug im ägyptischen Mythos ist in diesem Zusammenhang bezeichnend. Osiris, das lebendige Bewußtsein, das mit sich selbst spielt (Isis) wird vom Set, der undurchdringlichen Dunkelheit, zerstückelt. Seine in alle Winde verstreuten Teile müssen erst wieder gesammelt werden, ehe er auferstehen kann und als sein eigener Sohn, Horus, in die Sonne fliegen darf. In dem Bericht von der Zerstückelung des Osiris ist das Schicksal des ägyptischen Bewußtseins erzählt, das sich in einem konzentrierten Strahl gegen die Materie wirft, aber an ihrem undurchdringlichen Granit abprallt und in unzählige Reflexionen zersplittert, die in der Welt verlorengegangen sind. Das zweite Leben über das Grab hinaus ist die aus der Zerstreuung wieder versammelte Reflexion, die nun als Sonnenfalke einen anderen Weg nimmt.

Ein weiteres Symbol dieser von einem absoluten Widerstand zurückgeworfenen Reflexion ist die mit der Idee des Grabes eng verbundene ägyptische Scheintür. Es war eine blinde Tür, die den Zugang zum Jenseits vermitteln sollte. Aber diese Tür konnte nicht geöffnet werden. Sie hatte nur ein Diesseits. Jenseits war nichts, rep. dasselbe Diesseits. Wer durch die "hindurchschritt", befand sich (transzendental zerstreut "zerstückelt") in der selben Welt, aus der er gekommen war. Die Scheintür warf denjenigen, der durch sie hindurchgehen wollte, dorthin zurück, wo er hergekommen war.

Diese Undurchdringlichkeit des Stoffes, der eine tapfere Seele überwältigt, kommt schon in der Wahl des künstlerischen Materials zum Ausdruck. Granit, Syenit, und Diorit, das härteste Gestein, das zu finden ist. Und selbst dort, wo weicheres oder weichstes Material gewählt wird, wie im Fall der Holzstatue, des sog. "Dorfschulzen", sind Kopf und Rumpf von einer breitflächigen Massivität, die eine unmeßbare Schwere ausdrückt. Der Kopf sitzt auf einem wuchtigen Hals, dessen säulenartiger Tragkraft man es kaum zutrauen will, daß er sich je drehen könnte; und das Gesichtsprofil, obwohl gewichtig in sich selbst, ist relativ klein gegenüber der gesamten Kopfkontur. Diese ägyptischen Statuen sind das ganze Gegenteil der asiatischen Buddhafiguren in der meditierenden Ruhe des Lotussitzes. In diesen Buddhas, Boddhisattvas und Lohans scheint die Innerlichkeit fast widerstandslos durch die Poren der Materie nach außen zu fließen und bildet sich wohl gar in dem dritten Stirnauge oder den überlangen Ohren der Lohans eigene Organe der ihren Zwecken gefügig gewordenen Substanz des Leibes. in den Skulpturen des Niltals dagegen scheint die Subjektivität von der Masse ihres körperlichen Leibes überwältigt. Diese Statuen sind nicht ruhig wie der sitzende Buddha, sie sind reglos. Das Ich ist ihnen eingekapselt als ein nicht offenbar gewordenes Rätsel. Schon der lebendige Leib ist hier das Grab der Seele. Zwischen der Subjektivität, die im Körper auf dem Sprunge liegt, und der klotzigen Massivität des Körpers selbst, scheint keine Vermittlung zu existieren. Auch im schreitenden Relief scheint der Leib in der Schrittstellung festgefroren zu sein. Hinter dieser steinernen Reglosigkeit scheint eine unmeßbare Wildheit zu lauern, und man hat deutlich das Gefühl, daß wenn diese Granitfiguren je in Bewegung gerieten, dies nicht der langsame und schwerfällige Gag sein würde, in dem sich eine plumpe Masse mühselig vom Platze wälzt. Bewegung ist für jene Granit- und Basaltgestalten nur dann möglich, wenn die im Innern geduckt liegende Subjektivität auf einmal so übermächtig wird, daß sie im Raubtiersprung hervorstürzend ihre steinerne Hülle in die geschmeidigen Glieder eines Wildtieres umschmilzt. Schattierende Übergänge zwischen dem Innen und Außen existieren hier noch nicht. Die Wirklichkeit ist in zwei Dimensionen aufgeteilt, die sich mit schärfsten Konturen voneinander abheben. Infolge der Unvermitteltheit mit der sich für dieses Bewußtsein Sein und Reflexion gegenüberstehen, sind sie sich gegenseitig ein vollkommenes Rätsel. [63] Und wenn dieser noch unbegreifliche Gegensatz körperhaft ausgedrückt werden soll, dann schafft der ägyptische Künstler seine tierköpfigen Menschenkörper oder menschenköpfigen Tierkörper, um auszudrücken, daß das Bewußtsein, das in diesen Körpern wohnt, denselben völlig fremd ist. Die ägyptische Kultur ist diejenige in der ersten Gruppe regionaler Geschichtsabläufe, in der dem zweiwertigen Bewußtsein der absolute Gegensatz zwischen Ich und Welt zum ersten Mal mit voller Gewalt und mit letzter Einsicht in seine enormen Konsequenzen in die Erfahrung kommt. Wir begegnen hier einer Seele, die sich nichts verhehlt und die die Größe der Aufgabe in der Vergeblichkeit ihres eigenen Anrennens gegen das Sein zur Kenntnis nimmt. Diese Vergeblichkeit wird darin anerkannt, daß man als Sinn des Lebens die Vorbereitung auf den Tode übernimmt. An der Stärke der Todessymbolik können wir die Intensität des ägyptischen Dranges zur Objektivierung und zur spirituellen Verflüssigung der Materie erkennen. Hegel hat die Bilanz dieser Kultur gezogen, wenn er schreibt: "Diese afrikanische Gedrungenheit mit dem unendlichen Drang der Objektivierung in sich ist, was wir hier finden. Noch aber ist wie ein eisernes Band um die Stirne des Geistes gewunden, daß er nicht zum freien Selbstbewußtsein seines Wesens im Gedanken kommen kann, sondern dies nur als Aufgabe, als das Rätsel seiner selbst herausgebiert." [64]

Die russische Seele im Stadium ihrer konkreten historischen Verwirklichung, d.h. im Bolschewismus, ist das ganze Gegenteil der ägyptischen Seele. Während im Niltal das menschliche Bewußtsein sich in einer Situation sah, in der der erste Angriff der Reflexion auf das Sein zurückgeworfen war und sich das Ich mittels der Scheintür bestenfalls in die alleräußerste Oberfläche der physischen Existenz eingegraben hatte, ist in der russischen Epoche der zweiwertigen Weltgeschichte die Eroberung des Seins vollendet. Vollendet wenigstens soweit wie dieses antithetische Bewußtsein die Wirklichkeit sich überhaupt sichtbar und damit ergreifbar machen kann. Innerhalb dieser Grenzen aber ist die Subjektivität tatsächlich vermittels der technischen Formenwelt in die Materie eingegangen. in diesem welthistorischen Prozeß haben sich beide verwandelt. Das Ich sowohl wie das Objekt. Letzteres ist nicht mehr der Spirituell indifferente Basalt und Granit einer kontingenten Natur sondern die verwandelte Objektsubstanz, die in unserer Tafel der chemischen Elemente katalogisiert ist, und die Lösungen und Legierungen in von der Reflexion vollkommen beherrschten Trennungen und Verbindungen eingeht. Der Naturstoff hat sich dadurch, daß die menschliche Subjektivität in ihn in Gestalt von Arbeit eingegangen ist, allmählich zum Kunststoff verwandelt. Das natürliche Objekt dient mehr und mehr nur noch als psychisch neutrales Rohmaterial, aus dem sich das Subjekt die ihm adäquate zweite Objektwelt schafft, mit der er sich im Willen vollkommen zu identifizieren fähig ist. Die Reflexion wird in diesem Stadium der Geschichte nicht mehr von den Dingen zurückgeworfen und hat deshalb keinen Anlaß mehr, jene Weltdoublette des Jenseits zu produzieren, in der die vom empirischen Sein distanzierte Subjektivität sich einen "bessere" Welt schafft. Sie ist in der Tat "besser" für das im Diesseits enttäuschte Urteil, weil sie - aus bloßen Bewußtseinsprozessen geschaffen - den Wünschen grenzenlos gefügig ist und eine Schmiegsamkeit besitzt, die der faktische Existenzzusammenhang der Natur vermissen läßt.

Diese Willigkeit des Jenseits sich dem subjektiven Begehren widerstandslos zu fügen und ihm sogar dienstwillig entgegenzukommen, beschreibt schon das Märchen in den zahllosen Situationen, in denen schon der Wunsch genügt, um die reale Erfüllung auf dem Fuße folgen zu lassen. Als Prototyp dieser Hinterwelten der nicht durch Kausalität gezügelten Reflexion ist das Schlaraffenland zu nennen. Das Märchen ist aber auch weise genug zu wissen, daß diese Wunschontologien ihren eigenen Widerspruch in sich tragen und daß in ihrem Raum der subjektive Wunsch sich tückisch gegen sich selbst wendet. Im Märchen von König Midas geht der törichte Wunsch in Erfüllung, daß alles, was der Wünschende berührt, zu Gold werden möge. Aber Gold ist eine physische Realität und mit ihm schleicht sich in die ungebundene Welt des Wunschtraums die Logik in Gestalt der Kausalität ein. König Midas müßte jetzt verhungern, denn sein der Realität nicht verantwortlicher Wunsch impliziert, daß auch seine Nahrung zu Gold wird. Die Rettung aus dieser Situation erfolgt nur dadurch, daß der betroffene König im Appell an die Gottheit seine ungebundene Reflexionsfreiheit aufgibt und dafür von seinem eigenen Wunsch erlöst wird.

Zeigt dieses Märchen den Konflikt der Wunschwelt mit der empirischen Realität des Objekts, so illustriert umgekehrt die Erzählung "Von dem Fischer und syner Fru" aus der Grimmschen Sammlung die Feindseligkeit des ungebändigten Wunsches gegen seine eigenste Quelle, die innerste Subjektivität. Jede Reflexionsprojektion ins Nichts wird der Frau des Fischers erfüllt, solange sich diese Projektionen nur nach Außen zu richten scheinen. Sie erhält ein Haus, einen Palast, wird König, Kaiser und schließlich Papst. Da sich ihr Begehren aber nicht auf echte Objekte richtet, in denen die Reflexion durch die Arbeit am Ding festgehalten und am Weiterschweifen verhindert wird, kann sie nicht aufhören zu wünschen; und als schließlich nichts mehr zu wünschen übrig bleibt, ruft sie aus: "Ik will warden as de lewe Gott." Die Subtilität des Märchens zeigt sich nun darin, daß laut ihm die moralische Wertordnung der empirischen Realität in der aus Träumen geschaffenen Hinterwelt eine radikale Inversion erfährt. In "unserer" Welt, so lehrt uns unsere Ethik, sind alle Wünsche nach irdischen Dingen "eitel". Das einzige echte Ziel, daß die Seele haben kann, ist zu werden wie ER. Die imitatio Christi ist der einzige bleibende Sinn des Lebens. Im "Fischer und syne Fru" ist die Wertordnung genau umgekehrt. Solange die Frau sich eine Hütte, einen Palast oder höchste irdische Würden wünscht, verstößt sie nicht gegen die Gesetze der Wunschwelt. Ihre Forderungen werden erfüllt, denn sie sind in dieser Dimension legitim. Sie sind genau das, was gewünscht werden soll und gewünscht werden darf. Ihr Begehren - das im Raum der sinnlichen Dinge höchste Frömmigkeit wäre - wird "eitel" und zerstört sich selbst in dem gleichen Augenblick, in dem es sich von irdischen Dingen ab und auf Gott hinwendet. "Ga man hen", sagt der Butt nach dem letzten Wunsch zu dem Fischer, "se sitt all weder in'n Pissputt."

Die eben erwähnten Märchen illustrieren, daß die ungebundene Reflexion, in der das Ich nicht die Kraft besitzt, sich mit dem empirischen Sein durch eigene Arbeit zu identifizieren und in dasselbe sich - ohne bewußte Vorbehalte - einzubilden, an einem doppelten Widerspruch zugrunde geht. Sie kommt erstens in einen Konflikt mit der Kausalität (Midas) und überdies wird sie durch ihren eigenen Mechanismus gezwungen, sich selbstmörderisch gegen ihre eigensten subjektivsten Ursprünge in der Innerlichkeit zu wenden. Sie kommt nirgends über die geträumte Utopie hinaus. Aus Träumen aber pflegt man aufzuwachen. Wie man es auch dreht und wendet, das freie Reflektieren, das sich jeder Bindung in dieser Existenz verweigert, bleibt eine Angelegenheit des Teufels, und der Mensch hat allemal die Zeche zu bezahlen, wenn ihn nicht die Gnade von oben rettet. Diese Rettung aber ist allemal eine fragwürdige Sache. In den beiden Märchen wird sie dadurch bewirkt, daß dem Wünschenden die Kraft seiner Reflexion genommen wird. Also durch Rückversetzung auf den vorreflexiven Standpunkt. Es ist nichts Positives an dieser Rettung. Der Mensch wird in seiner historischen Zeit auf den primitiven Standpunkt zurückgesetzt. Und da man die Zukunft nicht erinnern kann, bürgt nichts dafür, daß, wenn er sich die Kraft der Reflexion im Abstand von den Objekten neue erarbeitet hat, er nicht den selben Fehler noch einmal macht und seine Reflexionsfähigkeit von neuem mißbraucht. Es ist sogar ganz gewiß, daß dies geschehen wird, denn der "gerettere" Mensch läuft jetzt durch eine wiederholte Zeit und mit derselben wiederholen sich auch ihre inneren Bestimmungen. [65]

Die östlichen Weltreligionen (vor Allem der Buddhismus) haben begriffen, daß der Mensch aus den Gefahren seiner Reflexion nicht von Oben gerettet werden kann. Er muß sich selber retten. [66] Diese asiatischen Religionen treiben deshalb die Theorie der von der Reflexion gesetzten himmlischen (und höllischen) Hinterwelten bis zu ihren letzten Konsequenzen, in denen sie sich selbst überschlägt. Es gibt danach nicht nur ein Jenseits sondern eine unendliche Anzahl solcher jenseitigen Welten und Dimensionen. Um das generelle Bewußtseinsschema kennen zu lernen, das dieser theologischen Idee zugrunde liegt, wollen wir einen vereinfachten Fall aus dem Mahayanabuddhismus betrachten. Zwischen dieser irdischen Welt und der Kausalität (samsara) [67] und dem Absoluten (nirvana) liegt des Westliche Paradies des Amithaba (sukhavati). Es ist das "Reine Land" jenes Buddha, der geschworen hat, nicht eher in sein "parinirvana" einzugehen, ehe nicht die letzte Seele aus der Welt der Kausalität erlöst ist. Das Ziel eines solchen Glaubens ist offenbar die absolute Freiheit der Reflexion (die nur durch den Kausalnexus beschränkt ist). Aber die durch die Yogaschule hindurchgegangenen asiatischen Religionen kennen sehr wohl die tötlichen Gefahren, in die sich eine Reflexion begibt, die mit ihren eigenen Inhalten spielt und aus denselben sich Hinterwelten über Hinterwelten baut. Diese Hinterwelten oder Paradiese unterliegen deshalb einem strengen und durchgängigen Gesetz von negativer Natur. Je weiter sich diese jenseitigen Welten vom Diesseits entfernen und je vollkommener und "paradiesischer" sie sind, desto dünner und schwächer werden ihre inhaltlichen Bestimmungen. Der Grund dafür ist klar. Das Spiel der Reflexion mit sich selbst ist um so lebhafter, je dichter und sinnlicher die Wunschbilder sind, die sie aus sich heraustreibt. Je inhaltsleerer - relativ zu irdischen Maßstäben - aber jene entfernten Himmel sind, desto weniger kann die Reflexion in ihnen ihr verantwortungsloses Wesen treiben. Das Gesetz der abnehmenden Gegenständlichkeit der progressiven Reihe der Jenseitswelten hat offenbar den Zweck, die Willkür des nicht durch die Kausalität in seinen Projektionen gebundenen Bewußtseins langsam "auszuhungern". Die letztmögliche Reflexion im Nirvana hat überhaupt keine Objekte mehr, an denen sie ihre Willkür üben kann. Das bedeutet aber, daß die Reflexion, ehe sie sich (wie im Märchen von des Fischers Frau) gegen sich selber wenden und sich um "pisspott" zurückschicken kann, durch Mangel an selbstgeschaffenen Objekten stillgelegt ist. Man kann sich an der Schwelle des Nirvana nicht mehr wünschen, wie Gott zu werden, denn "Gott" ist hier kein Objekt mehr, das der Wunsch blasphemisch in Besitz nehmen kann.

Das Paradies des Westens nimmt zwischen den beiden Extremen: der Kausalwelt, die die Reflexion vollkommen bindet, (ihr aber die dichteste Substanz liefert) und der Region des Absoluten, die die Reflexion ganz befreit (ihr aber auch das letzte Motiv zum Spielen raubt), eine vermittelnde Stellung ein. Im "Reinen Lande" ist die Reflexion nur halb gebunden. Vom Gesamtkomplex der Kausalität ist die physische Komponente weggefallen und nur die psychische geblieben. Die möglichen Wünsche, die diese Welt der Reflexion erfüllt, sind also beschränkt. Sie gehen nicht über "physisches" Behagen hinaus. D.h. der Wegfall der physischen Kausalität erlaubt der Reflexion mit der sinnlichen Seite des Bewußtseins nach Belieben zu schalten. Die weiterbestehende psychische Bindung aber verhindert die Unterwerfung spiritueller Sachverhalte unter die Willkür der Reflexion. Um in der Terminologie des Grimmschen Märchens zu sprechen: im Paradies des Westens kann man sich wohl - und mit Erfolg! - wünschen, Paläste zu haben oder Kaiser und "Papst" zu werden; man kann sich aber nicht wünschen, wie Gott zu werden. Das Bewußtsein, das in dieser Welt lebt, weiß, daß es eine Grenze hat. [68] Dies drückt die buddhistische Mythologie durch den ausdrücklichen Hinweis aus, daß alle jenseitigen Paradiese der Seele der Vergänglichkeit unterworfen sind und daß die Götter und Menschen, die in ihnen ihre (beschränkte) Glückseligkeit genießen, von Neuem sterben müssen. Dieser Gedanke ist mit einer andern tiefsinnigen Idee verknüpft: es ist den Bewohnern jener Paradiese versagt, von dort aus das Absolute zu erreichen. Wenn jemand ins Nirvana eingehen will, so muß er zuvor als Mensch wiedergeboren werden. Der Zugang zum Endgültigen und Absoluten ist nur dann offen, wenn ihn das Ich sich aus der vollkommen gebundenen Reflexion des Diesseits erkämpft. Denn alle die unendlichen Himmel sind nur Wunschträume; man kann sie nur verlassen, um in einen anderen Wunschtraum einzugehen. Die Flucht aus der Kausalität hilft de Reflexion nichts. Alles was am Ich sterblich ist, ist ihr ohnehin verfallen.

In diesem Sinn bedeutet die Yogatheorie der Erlösung, die diesem so vergeistigten Religionstypus zugrunde liegt, eine rücksichtslose Einbildung der Subjektivität ins Sein. [69] Denn nur im Sein kann sie gezähmt und unter das Arbeitsjoch gezwungen werden. Man vergesse nicht; das englische "yoke" und das deutsche "Joch" gehen auf den Sanskritstamm "yug" "anbinden", "anschirren" zurück. Daß man erst durch die vollkommene Anbindung der Subjektivität an das faktisch gegebene Sein das Nirvana erreicht und das andererseits das Ich dabei nicht im Sein verschwindet, kommt folgendermaßen zustande: die Situation ist hier nicht die gleiche wie in der europäischen Maschinentechnik. Die letztere saugt in der Tat das Ich vollkommen auf, weil in ihr die Subjektivität als Sein auf die Ebene der empirischen Objekte abgebildet wird. Der metaphysische Trieb des faustischen Menschen bemüht sich um die Frage, was sein Ich an sich und wirklich ist. Der Yogatechnik aber liegt genau die entgegengesetzte Intention zugrunde. In Indien und generell in fernasiatischer Philosophie will man das Subjekt als Subjekt, also als was allem Sein ewig entgegengesetzt ist, auf die physische Wirklichkeit abbilden. In andern Worten: der Europäer will wissen, was die Seele objektiv (also als Ding) ist, der Asiate hingegen ist mehr daran interessiert, was sie subjektiv (also als radikaler Gegensatz zu der ganzen Welt der Dinge) ist. Das letzte Ziel der westlichen Bemühungen ist also das Ich restlos zu einem objektiven, in der Welt und im Kausalzusammenhang existierenden Seinsbestand zu machen. Die Absicht des geschichtlichen Wollens im Osten dagegen läuft darauf hinaus, den subjektiven und innerlichen Charakter des Ichs bei seiner Abbildung auf das Sein unbeirrt festzuhalten und auch im allerletzten Introjektionsschritt nicht loszulassen.

Unter dieser Voraussetzung ist evident, daß nur der europäische Versuch das Ich durch das Sein zu befreien programmatisch durchführbar ist. Nur die Seele als Objekt geht ohne thematischen Restbestand [70] in der Seinsdimension auf. Bildet man das Ich aber derart ab, daß man in der Abbildung seine subjektive Innerlichkeit festhält, so glückt die Projektion desselben auf das Sein nur partiell. D.h. es werden in der Abbildung nur die Bewußtseinsinhalte erfaßt; das Bewußtsein als reine Tätigkeit, als Form, wird vom Sein zurückgeworfen und aus der Abbildung ausgeschlossen. Wir haben an dem ägyptischen Beispiel gesehen, was unter diesen Voraussetzungen geschieht. Die vom Bewußtsein auf das Sein geworfene Reflexivität kann unter keinen Umständen mehr zum Ich zurückkehren. Sie muß entweder in die Seinsdimension absorbiert werden oder, wenn ihr diese Rezeption versagt ist, formt sie das Bild einer Hinterwelt, eines transzendenten Jenseits. In dem hier zur Diskussion stehenden Fall asiatischer Metaphysik soll man das ganze Ich auf das Sein abgebildet werden, ohne dabei seinen reinen Subjektscharakter zu verlieren. Die Forderung enthält einen Widerspruch, weshalb das Sein nur die Inhalte des Bewußtseins rezipiert, da dieselben ja schon innerhalb der Subjektivität relativ objektiven Charakter haben. Sie werden deshalb von dem Widerspruch nicht betroffen. Der formale subjektive Prozeß aber, in dem sich jene Inhalte bewegt haben, wird vom Sein abgewiesen, weil er nicht als substantielle Objektivität erscheinen und zugleich substanzlose Innerlichkeit bleiben kann, wie in der Abbildungsintention ausdrücklich postuliert war. Diese leere Innerlichkeit wird also vom Sein zurückgeworfen und formt von nun an (da ihr die Rückkehr in ihre ursprüngliche metaphysische Position versagt ist) eine Weltdoublette. Diese Hinterwelt kennen wir aus den entsprechenden religiösen Texten Zentral- und Ostasiens als das Nirvana. Es ist das Jenseits, dem in seine Projektion nicht die allergeringste innere Bestimmung mitgegeben worden ist, denn alle Bewußtseinsinhalte sind ja vom Sein legitim absorbiert worden. Deshalb ist für die Jenseitsprojektion nur die im eminentesten Sinn meontische Relation zwischen Subjekt und Objekt übrig geblieben, nur die abstrakte Form der Subjektivität ohne ihre innere Positivität. So ist das Nirvana weder Sein noch Nichtsein. "Es gibt", sagt Buddha, mit Hinblick aus jenes Absolute, "eine Stätte, wo es weder Erde noch Wasser, noch Feuer noch Luft gibt. Es ist nicht die Stätte der Raumunendlichkeit, noch die der Bewußtseinsunendlichkeit, noch die des Nichts, noch auch die Stätte, wo es weder ein Vorstellen noch ein Nicht-Vorstellen gibt" [71] Ihren schärfsten und kompromißlosesten Ausdruck findet diese metaphysische Spekulation in der sunyata Lehre (Sunyavada) des Philosophen Nagarjuna (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.) im späteren Sanskritibuddhismus. [72] Sunyata bedeutet "Leerheit" und nach dieser vornehmlich in der Mahayana-Tradition ausgebildeten Lehre ist im Absoluten weder Sein möglich noch Nicht-Sein. Die Konjunktion beider aber ist auch nicht möglich und erst recht nicht das Keins-von-beiden-sein. Konsequent durchgeführt führt diese Auffassung zu der Folgerung, daß es metaphysisch betrachtet weder eine Objekt-Außenwelt noch Subjektivität gibt. Deshalb auch keinen Buddha, keine Lehre, keine Erlösung und - kein Nirvana. [73] Die schwervollziehbare Meditation dieses "Sachverhaltes" der Leerheit aber ist das Parinirvana. [74]

Die hier beschriebene seelische Haltung besitzt, wenn man sie mit den Zielen der abendländischen Metaphysik vergleicht, keine historische Zukunft. Alle Geschichte wird in ihr als endgültig erledigt abgeschrieben. Auf der hier erreichten Bewußtseinsstufe bleibt nämlich auch nicht der geringste anonyme und anarchistische Reflexionsrest übrig, der in der jeweiligen historischen Gleichung nicht aufgeht und deshalb das Ich auf neue geschichtliche Stufen und in weitere Selbstrealisationen treibt. Was nämlich in der asiatischen Begegnung mit der Welt von der empirisch-irdischen Existenz als unannehmbar zurückgeworfen wird und was sich dann in jene absolute Transzendenz des Nirvana als Seinsdoublette projiziert, ist genau jener anonyme Rest der Anarchie der Innerlichkeit, der sich in Europa der metaphysischen Fixierung so beharrlich und erfolgreich entzogen hat. Der Grund, warum dem Inder gelingt, woran alle Metaphysiker anderer Kulturen gescheitert sind, ist darin zu sehen, daß schon seit der Zeit der ältesten Upanishaden darauf verzichtet wird, die Identität des Ichs mit der Innerlichkeit der Subjektivität gleichzusetzen. [75] In einem Gespräch unter Göttern mißfällt Indra die Belehrung durch Prajaparti, daß der ichlose Zustand des Tiefschlafs die metaphysische Kommunion des atman mit dem brahman bedeutete. Indra ruft entrüstet aus: "Aber da kennt doch nun einer in diesem Zustand sich selber nicht und weiß nicht: ich bin dieser, noch auch kennt er die anderen Wesen! In die Vernichtung ist er eingegangen; darin kann ich nichts Tröstliches erblicken!" [76] Trotz diesem göttlichen Protest setzt sich die nihilistische Tendenz aber weiter durch. In der jüngeren Maitrayana Upanisad wird der atman ausdrücklich als "ichlos" (nir atman) bezeichnet. Der Gedanke der Tiefschlafspekulation, " daß der atman seinem reinen Wesen nach ohne Persönlichkeit ist" gewinnt immer mehr die Oberhand. [77] Die Maitrayana Upanisad enthält übrigens den bedeutsamen Satz über den atman: "Vermöge seiner Ichlosigkeit ist er als unermessbar und grundlos zu denken". [78] Der prinzipielle Unterschied zwischen abendländischer und asiatischer Interpretation des Wesens des Menschen ist darin zu suchen, daß der östliche Mensch fast alles, was wir als dem Bereich der Subjektivität zugehörig empfinden, für objektive Weltdata erklärt. Ichhaftigkeit, Selbstsein und Persönlichkeit (auch im ethischen Sinn) sind für den indischen Metaphysiker faktisch-kontingente Bestimmungen der Außenwelt, die mit der subjektiven Innerlichkeit des Menschen wenig oder nichts zu tun haben und bestenfalls Masken sind, durch die die Subjektivität ihr in der Weltsein ankündigt. Sie gelten deshalb in der Yogatechnik als manipulativ, d.h. sie besitzen einen objektiven Mechanismus, dessen man sich bemächtigen und den man willkürlich dirigieren kann. Diese Projektion der Subjektivität in die Maschine des Bewußtseins und des Leibes hat zum Unterschied zur abendländischen Projektion des faustischen Geistes in die archimedische Maschine immer noch den Charakter des Subjekts (wie wir bereits weiter oben angedeutet haben). Der Asiate entwickelt in der Yogatheorie die Idee der Maschine als Ich, der Europäer hingegen konstruiert sie als Ding. Indem nun im Yoga das Ich aus dem Zusammenhang der Subjektivität genommen wird und dem Objektbereich und seiner technischen Struktur zugewiesen wird, nimmt man der zurückbleibenden Subjektivität, die vom Sein abgewiesen und deshalb an die transzendente "Seinsdoublette verwiesen wird, das letzte Prinzip der Ordnung und Identifizierbarkeit. Diese Subjektivität kann sich deshalb nicht in der Welt als Protest gegen die brutale Faktizität der letzteren helfen. Sie ist zwar anarchisch in sich selbst und somit ein potientelles Störungs- und Unruhemotiv der Wirklichkeit, aber selbst die anarchische Subjektivität muß sich, wenn sie sich in der Welt gegen die Welt behaupten will, der Selbstidentifizierung fähig sein. Aber gerade jene Selbstidentifikation ist den reflektiven Restbeständen der Subjektivität, die nicht in das Sein eingehen wollen, unmöglich gemacht, denn sie setzt innere Aufsichselbstbezogenheit und die negativen (weltungültigen) Maßstäbe des protestierenden Ichs voraus. Gerade das aber ist auf dem Boden dieser Metaphysik nicht möglich. Die Maitrayana-Upanisad belehrt uns darüber: Infolge ihrer Ichlosigkeit ist die Subjektivität (des Atmens) als unermeßbar und grundlos zu denken.

Damit aber fließt auch der letzte Rest der nicht im Sein gebundenen Subjektivität ins "Jenseits" ab und produziert dort jenes Abbild ihrer selbst, das Nirvana. Die Erlösung ist in der Tat erreicht. Die Subjektivität ist entweder auf das Sein abgebildet worden und dort mit sich selbst identifiziert, wie das in der Yogatechnik geschieht, oder aber sie ist, weil ihr die Welt des Ichs in der Welt genommen worden ist, unwiderruflich in die negativen Potenzen des Nirvana übergegangen. Dort aber kann sie dank ihrer absoluten Anonymität nicht mehr angerufen und ins Sein zurückbeschworen werden. [79] Die Geschichte des Menschen, deren Fortgang auf dem Vorhandensein frei schwebender und anrufbarer Reflexionskräfte in der Welt beruht, ist im Nirvana zu ihrem Ende gekommen. Die Ende ist nicht der Abschluß einer einzelnen Epoche oder Stufe sondern die generelle Liquidation des Existenzzustandes: Seinsgeschichte überhaupt. Der Mensch ist zwar in diesem Glauben radikal in alle Transzendenz versenkt und damit erlöst.

Aber diese Erlösung ist im intensiven Sinn "privat". Die heilige Legende vom Schwur des Amitabha, der alle erlöst, die an ihn glauben, gehört nicht der esoterischen Religion an. Diese Gottheit des "unermeßlichen Lichtes" (a-mita-abhas) und des unermeßlichen Lebens" (a.mita-ayus) kann und darf angerufen werden, denn sie verkörpert das Prinzip der himmlischen Gnade und des grenzenlosen Erbarmen. Doch Amitabha ist als der "Mittler" des Absoluten selbst noch in der Welt. Deshalb erreicht ihn das Gebet. Das Verhältnis des Gläubigen zu ihm ist, weil er in der Welt ist, öffentlich und allgemein. In ihm ist die Erlösung aller verbürgt. In der "Schulde des Reinen Landes" gilt der Glaube an Amitabha allein als seligmachend. Dieser Glaube kann von Allen geteilt werden, er sit eine öffentliche und objektive Kraft. Es ist aber bezeichnend, daß im Amidakult das "Paradies des Westens" und die ewige Seligkeit in ihm sehr bald als Ziel der Erlösung die Idee des Nirvana verdrängt hat. D.h. auch die populäre Volksreligion gibt implizit zu, daß der öffentliche Glaube und das Gebet nur zum Heil in der Welt führen, aber nicht aus ihr heraus. Das ist alles noch Religion in der Geschichte und die historische Existenzform des Seins ist in diesem Glauben nicht überwunden sondern nur utopisch gehoben und träumerisch verklärt.

Die reelle Erlösung aus der Geschichte erfolgt nur im äußerst intimen und privaten Akt der Meditation (dhyana) und Versenkung (samadhi).Dieser Akt ist im Gegensatz zum psychischen Zustand des Glaubens, dessen Vehikel die Gemeinde ist, vollkommen unmittelbar und muß von jedem Individuum für sich allein erworben werden. Es gibt in ihm keine Stellvertretung [80] und die Tatsache, daß eine Seele das Nirvana erreicht hat, gibt nicht die geringste Bürgschaft, daß einer anderen Seele dasselbe gelingen wird. Die Versenkung und ihr Ziel sind ausschließlich Daten subjektivster, innerlichster Privatheit des bei sich seienden Ichs. Sie haben keine objektive, allgemein bindende Bedeutung. Aus diesem Grunde ist auch die Überwindung der Geschichte im Vollzug der Versenkung kein metaphysisches Ereignis, das für den unbeteiligten Betrachter, den westlichen Menschen z.B., spirituell verpflichtend ist. Die indische Erlösung beruht auf einem feinen und subtilen metaphysischen Egoismus, der die Subjektivität um keinen Preis aufzugeben gewillt ist. Anstatt die Innerlichkeit ohne private Vorbehalte dem Sein und der allgemeinverbindlichen Objektivität auszuliefern, wird die Persönlichkeit und der intelligible Ichcharakter geopfert, indem man ihn - aber wieder privat! - auflöst. Die innerste Subjektivität aber hat man durch dieses Scheinopfer (das der ägyptischen Scheintür entspricht) sich für immer bewahrt, dadurch daß man sie in einen neuen Zustand abfließen läßt, in dem sie unzugänglich für jeden künftigen Anruf wird. Der persönliche Ichcharakter in dem der Welt zugewandten Bewußtsein ist ja nur der Name, durch den die Subjektivität angesprochen und zur Antwort verpflichtet werden kann. Darum belehrt Yaljnavalkya seine Gattin Maitreya, daß dieses der Objektivität verbundene Bewußtsein erlischt, wenn der Mensch den Kontakt mit dem Absoluten erwirbt. Der Buddhismus hat recht: das Nirvana ist der Tempel einer Seele, dessen Mauern nicht mehr von außen berannt werden können. Die Seele aber, die über seine Türschwelle getreten ist, ist damit für ewig in das Innere verbannt. Von diesem Innern führt kein Weg nach außen.

Da aber, wie gar nicht oft genug betont werden kann, das isoliert Subjektive extrem privat und nicht allgemein verpflichtend ist, überzeugt die indische Lösung den nicht engagierten Zuschauer in den anderen Weltregionen nicht. Er wird durch das Spektakulum der Yogatechnik nicht sittlich gebunden. Es ist kein Zufall, daß das Fakirtum in Schlangenbeschwörung und andere Zirkuskunststücke ausgeartet ist. Der partikuläre und begrenzte Charakter der indischen Erlösungstheorie kann an dem Umstand abgelesen werden, daß sie nur für Seelen gültig ist. Nur die Seele als Privatheit kann meditieren. Man mag dabei den Seelenbegriff soweit man will auf Tiere und Pflanzen und schließlich selbst auf die schwärzeste Bewußtseinsnacht der Materie ausdehnen, wie das in der asiatischen Metaphysik tatsächlich geschieht. Die Brücke, die sich von dieser Welt zum Absoluten hinüberspannt, ist für jedwede irdische Gestalt betretbar und die Schritte, die über sie führen, verwandeln jedes Ding im All - auch die lichtlos Nacht der Materie. "Darum, fürwahr, wer diese Brücke überschritten hat als ein Blinder, der wird sehen, als ein Verwundeter, der wird heil, als ein Kranker, der wird gesund. Darum fürwahr, auch die Nacht, wenn sie über diese Brücke geht, wandelt sich in Tag , denn einmal für immer Licht ist diese Brahmanwelt." [81] Die Voraussetzung dieses, wie alles metaphysischen Denkens im Osten, daß das Weltall Seele ist [82], soll zugegeben werden, aber zu ihr gehört auch die dialektische Ergänzung, daß Seele absolutes Sein ist. Wenn nun der Weg zum Absoluten durch die absolute Privatheit und Verborgenheit der innerlichen Subjektivität führt und das Vehikel zum Ziel das nicht zu offenbarende (nicht mittelbare) Geheimnis der Versenkung ist, dann ist es unmöglich, daß durch den Prozeß des Yoga die Öffentlichkeit und Offenbartheit des Seins und seine interobjektive Verbindlichkeit bewahrt und auf das Absolute übertragen wird. In andern Worten: Das Sein kann nicht als Sein, d.h. ohne seine metaphysische Substanz zu verlieren, sich in sich selbst versenken. Es kann dies nur im Gegensatz und lebendigen Widerspruch zu sich selbst - als meditationsfähiges Subjekt in der Welt. Daher auch die richtige Forderung des Buddhismus, daß alle Lebewesen erst als Menschen, und zwar als Männer (auch die Frauen sind von direkter Erlösung ausgeschlossen) wiedergeboren werden müssen, ehe ihnen die erlösenden Zustände der Versenkung zugänglich sind. Hier enthüllt sich unbewußt der privat-exclusive Charakter dieses Heilsweges. Nun mag wohl durch Seelenwanderung schließlich auch das letzte aller Lebewesen in diesen erwünschten menschlichen Zustand kommen, aber der Prozeß der meditativen Ablösung aus dieser Welt setzt unabänderlich voraus, daß auch in der letzten Erlösung ein unerlöstes Sein zurückbleibt, von dem man sich in der Versenkung befreit. Wenn alle Seelen ihre Ruhe und ihren Grund gefunden haben, dann ist in ihnen nur das Weltall als Seele erlöst. Als offenbares Sein aber bleibt es unerlöst wie zuvor. Es ist interessant anzumerken, daß der gegen diese Erlösungstheorie sehr kritische Indra, den wir weiter oben zitierten, eben nicht überzeugt wird. In dem diesbezüglichen Bericht der Chandogya-Upanisad wird Indra von Prajapati zweiunddreißig Jahre lang belehrt. [83] Er verläßt dann seinen Lehrer, aber bald entdeckt er Schwierigkeiten in der Lehre und kehrt für einen weiteren zweiunddreißigjährigen Unterricht zurück. Dies wiederholt sich noch einmal. Doch als er zum dritten Mal zurückkommt, versteht sich Prajapati nur dazu, ihm noch weitere fünf Jahre Belehrung zu gewähren. Der Text gibt nicht den Eindruck, daß die letzte Unterrichtsperiode erfolgreicher war als die früheren. Der Lehrer behält natürlich das abschließende Wort, aber während sonst die Schüler ausdrücklich ihren Dank und ihre Zufriedenheit mit dem Gehörten bestätigen, ist das letzte Wort, das wir von Indra in dieser Upanisad hören: "Ich sehe nichts Gutes in dieser (Lehre)."

Es scheint also, als ob man in den frühen Stadien der indischen Kultur die Einseitigkeit dieses metaphysischen Zuganges zum Absoluten sehr wohl gefühlt hat. Die subjektivistische Tendenz setzt sich aber dann doch gegen diese anfänglichen Widerstände durch. Erst am Ende dieser Kulturentwicklung kommen diese unterdrückten Motive in der Lehre vom "Reinen Land" in neuer Gestalt wieder an die Oberfläche. Jetzt ist aber im esoterischen Zentrum dieser Geschichte bereits alles entschieden, und der auf objektive Gültigkeit ausgerichtete Amitabhakult geht nicht über den populären Vorstellungskreis hinaus.

Immerhin ist in der indischen Geistesgeschichte ein bemerkenswerter metaphysischer Fortschritt des menschlichen Bewußtseins in dem Bemühen, die eigen Kategorien der Materie einzubilden relativ zu der ägyptischen Epoche des zweiwertigen Erlebens festzustellen. Auf dem ägyptischen Niveau wird praktisch die ganze Reflexion vom sein abgewiesen und in das Jenseits deflektiert. Darum nimmt das letztere eine eindeutige Bestimmtheit und sinnliche Eindrücklichkeit an, die in ihrer Massivität den Granitstatuen und Pyramiden wenig oder nichts nachgibt. In Indien aber saugt das Sein die Seele in einem solchen Grade auf, daß der Restbestand der Subjektivität, der hier zurückgeworfen und in das Nirvana projiziert wird, das ungegenständlichste und abstrakteste Destillat des Subjektseins ist, das der Mensch je unter Seele begriffen hat. Das Nirvana ist das in sich selbst verschwindende Jenseits, der transzendente Limes aller möglichen Hinterwelten. Noch weiter in dieser Richtung kann sich das menschliche Bewußtsein nicht mehr projizieren. Jenseits dieses Limes verschwindet auch die letzte Hinterwelt als dünnster Nebelfetzen einer ohnmächtigen Subjektivität, die ein unirdischer Sturm auf der andern, dem Ich abgewandten Seite durch unbekannte metaphysische Dimensionen ins Sein zurücktreibt, - wo dieser Kreislauf der Wirklichkeit aufs Neue beginnen kann. Denn nur vom Standpunkt der privaten indischen Subjektivität her geht das All im Nirwana zur Rüste. Das öffentliche Blickfeld des unbeteiligten Zuschauers im Westen umfaßt mehr. Er begreift, daß nur jenes private Ich der spezifisch zweiwertigen Subjektivität unserer Geschichtsstufe im Nirvana seine ewige Ruhe gefunden hat. Die Erlösung aber betrifft die öffentliche, der Objektivität verbundene Seite des Subjekts überhaupt nicht. Und wir dürfen hinzufügen, daß auch die Privatheit einer zukünftigen mehrwertigen Subjektivität einer höheren noch nicht erreichten historischen Ebene des Menschen in dem Erlösungsprozeß des asiatischen Seelentums nicht eingeschlossen ist. Es gibt so viele spirituelle Zustände der Privatheit und Innerlichkeit im Subjekt, wie es welthistorische Existenzstufen des Menschen gibt. Die primitive Seele hat ihre eigene Privatheit, die, vom Tabu aus der Welt ausgewiesen, in der Furcht untergeht. Das transzendentale Verschwinden der Privatheit auf unserer eigenen Geschichtsstufe haben wir eben kurz skizziert. Wie aber die Privatheit des menschlichen Ichs sich auf einem künftigen dritten weltgeschichtlichen Niveau der irdischen Existenz gestalten und welches Schicksal sie haben wird, davon soll in späteren Kapiteln dieses Buches vorschauend die Rede sein.

Wie partiell und pseudo-absolut alle jeweiligen Erlösungen der Innerlichkeit sind, kann an dem indischen Beispiel gut beobachtet werden. Die kontigente Materie der Welt und das von ihr aufgesaugte und festgehaltene Bewußtsein sind in dieser Potenzmengenbildung unendlicher Transzendenzen mit dem Nirvana als Limes nur vergessen aber nicht vernichtet. Die Erlösung betrifft also nur die sich mehr und mehr von der Kontingenz distanzierende Innerlichkeit und läßt einen undurchdringlichen Bodensatz unbewältigter physischer Existenz auf dieser Seite zurück. Daraus folgt unwidersprechlich, daß die Geschichte des zweiwertigen Bewußtseins mit der in Indien erreichten Selbstrealisation des Menschen noch nicht beendet sein kann und daß weitere historische Anläufe folgen müssen, die ausnahmslos die Absicht haben, diesen in früheren Geschichtsabläufen ignorierten Restbestand der Existenz metaphysisch zu durchdringen. Nach dem Kulminationspunkt abstrakter Spiritualität, den die Seele in Asien erreicht hat, wird der Mensch wieder sinnlich. Die antike, die magische und die faustische Kultur repräsentieren drei Varianten der metaphysischen Rehabilitation der Sinnlichkeit.

Am intimsten und wollüstigsten spiegelt sich die Vertrautheit mit dem Fleisch in den Himmeln des magisch-gnostoschen Christentums und des Islams, die beide von der antiken Liebe zum Körper befeuert sind. Der Körper aber gehört zur Öffentlichkeit des Menschen. Mehr noch, er ist präzis die Gestalt, in der die individuelle Person sich und anderen öffentlich und kommunikabel wird [84]. Im Leiber und durch den Leib erfährt das Ich seine sinnliche Realität sowohl wie die der Welt. Der Griff der Hand nach dem Du oder dem Ding widerlegt im physischen Kontakt alle Zweifel der grübelnden Reflexion an der objektiven Existenz der Außenwelt. In der intimsten körperlichen Berührung "erkennt" der Mann das Weib, wie Luthers Bibelübersetzung das tiefsinnig ausdrückt, und in ihr überzeugt er sich von seiner vom eigenen Ich abgelösten ontischen Eistenz im Kind.

Was alle romantische Reflexion dieser Tatbestände aber immer wieder vergißt, oder in der Furcht, die Privatheit im Sinnenerlebnis zu verlieren unter keinen Umständen wahrhaben will, ist die radikal objektive Natur des Lebens in den Sinnen. Für das Leiden mag das noch zugegeben werden. Die Vorschrift, sich von dem eigenen Schmerz dadurch zu dissoziieren, daß man das Interesse des Bewußtseins konzentrativ auf einen andern Inhalt lenkt und dort gewaltsam festhält, ist alt und erprobt. Der Schmerz ist auch im Fall des Gelingens einer solchen schwierigen, extreme Willenskräfte erfordernden Prozedur weiter "da"; aber man nimmt nicht mehr an ihm teil. Er ist ein Ereignis in der Außenwelt und als solches ausschließlich objektiv-kausalen Mechanismen unterworfen. Das Ich versteht sich zu der Anerkennung dieses Tatbestandes deshalb eher, weil der Innerlichkeit, die sich auf diese Weise vom Leiden distanziert, nichts von ihrer Privatheit verloren geht. Das gerade Gegenteil ist der Fall; dieselbe wird durch den Erfolg des Willens gegenüber der Empfindung direkt bestätigt. Anders aber liegen die Dinge im Falle der Lust. Hier will das romantische Bewußtsein die objektive Seinsgebundenheit des sinnlichen Lebens nicht anerkennen, weil das Ich in diesen ontischen Bindungen sein privates Kleid abstreifen muß. Bejahte Sinnlichkeit ist Selbstgenuß des Ichs im Mechanismus. Der Mechanismus aber ist das Geschehen in der Welt als öffentliches. [85] Alle private Existenz ist Leiden, und das Leiden, das dem Individuum widerfährt, ist um so penetranter, je privater die Gefühlswelt einer Person ist. Deshalb ist es für das Bewußtsein tiefste Lust, wenn ihm die Verantwortung für seine intimste Einzigkeit abgenommen wird und es sich in dem selbsttätigen Mechanismus seiner körperlichen Gefühlswelt verlieren kann. Jetzt verschwindet die quälende Spannung der Distanz, und der Ablauf der psychischen Ereignisse braucht nicht mehr dirigiert und interpretiert (mit latenter Furcht der Fehldeutung) zu werden. Sie dirigieren sich selber und sind ikonisch identisch mit ihrer eigenen Interpretation.

Aber alles sinnliche Leben der Lust leider unter einem Zwiespalt von höchster historischer Relevanz. Die Sinnlichkeit kann sich in dem Objekt, das sie ergreift, nicht halten. Was den Schmerz anbetrifft, so ist dieses essentielle Verhältnis der Subjektivität zum Objekt dort überhaupt gleichgültig, wo man den Schmerz loswerden will. Wo man ihn aber behalten will, resultiert aus ihm die Totenmesse, das Denkmal oder der Friedhof. Diese Institutionen und Gilde aber sind Indizien der Ewigkeit und nicht der Zeit. D.h. der Verlust des Schmerzes aus dem Objekt hat nirgends geschichtliche Relevanz. Überdies stiehlt die Zeit dem Menschen auch den tiefsten Schmerz. Die Tatsache aber, daß sich die Sinnlichkeit des Menschen auch als Lust nicht im Objekt festhalten kann, mobilisiert den historischen Willen des Individuums. Warum? Nietzsche hat es im "Zarathustra" ausgesprochen:

Lust - tiefer noch als Herzeleid:

Weh spricht: Vergeh!

Doch alle Lust will Ewigkeit -

- will tiefe, tiefe Ewigkeit!

Wenn wir von der poetischen Formulierung Nietzsches uns auf eine nüchterne begrifflich Analyse zurückziehen wollen, so heißt das, daß sich der Wille mit dem Verlust des sinnlichen Genusses im Objekt nicht zufrieden geben kann. er muß alle Kräfte aufbieten, diesen Verlust aufzuhalten und, wenn möglich, in einen progressiven Gewinn an sinnlicher Selbstrealisation zu verwandeln. Das ist eine eminent historische Aufgabe, und der Wille, sie zu erfüllen, wächst in der antiken, magischen und faustischen Kultur bis zu einem Grade, in dem ihm endlich eine partielle Realisation seines Ziels gelingt.

In Vorbereitung dieses Ziels wird die phantastische und zügellose Unendlichkeit des indischen Weltbildes in dem klassischen und magischen Ursymbols rücksichtslos reduziert. Das antike Lebensgefühl besitzt seinen Brennpunkt in dem Leibhaft gegenwärtigen Dasein des Einzelkörpers. Die Welt ist der Inbegriff aller Körper und sonst nichts weiter. Der unendliche Raum ist das , das was nicht da ist. Er deckt sich vollkommen mit der Existenz der physischen Körper [86] und existiert nicht als leere Dimension [87]. "Man hat das Pathos dieser Verneinung gar nicht tief genug fassen. Die ganze Leidenschaft der antiken Seele grenzte durch sie symbolisch ab, was sie nicht als wirklich empfinden wollte, was nicht Ausdruck ihres Daseins sein durfte... Die antike Statue in ihrer prachtvollen Lebhaftigkeit, ganz Aufbau und ausdrucksvolle Fläche ohne irgend einen nichtkörperlichen Hintergedanken, enthielt für das antike Auge alles ohne Rest, was Wirklichkeit hieß." [88] Eine analoge Reduktion findet in dem magischen Ursymbol der Welthöhle statt. "Die Welt, wie sie sich vor dem magischen Wachsein ausbreitet, besitzt eine Art von Ausgedehntheit, die höhlenhaft genannt werden darf... In der Antike kennen wir den jedes Wachsein beherrschenden Gegensatz von Stoff und Form, im Abendlands den von Kraft und Masse. Aber die Spannung verliert sich dort im Kleinen und Einzelnen und entlädt sich hier in Wirkungszügen. In der Welthöhle verharrt sie schwebende und im Hin und Her eines ungewissen Ringens und erhebt sich damit zu jenem - "semitischen" - Urdualismus, der tausendgestaltig und doch immer derselbe die magische Welt erfüllt. Das Licht durchschimmert die Höhle und wehrt sich gegen die Finsternis (Joh. 1,5)." [89] Beide Symbole, das antike sowohl wie das magische haben die Eigenschaft gemeinsam, daß sie der Reflexion nicht mehr erlauben, aus der Welt abzufließen. Auch die Jenseitskompositionen dieser Daseinsgefühle reichen nicht über den maximalen Umkreis möglicher irdischer Existenz hinaus. Der antike Hades ist ein wohlbezeichneter Ort mit einem "geographisch" identifizierbaren Eingang. Man konnte in ihn hinuntersteigen und wieder leiblich zurückkehren, wie das die Beispiele des Orpheus und des Odysseus genugsam beweisen. Im Bereich des magischen Bewußtseins ist es nicht anders. "Der Tod ist für den Schöpfer des Johannesevangeliums wie für den strengen Moslem nicht das Ende des Lebens, sondern ein Etwas, eine Kraft neben ihm, und beide streiten um den Besitz des Menschen" in dieser Welthöhle. [90] Das Paradies des Islam ist ein Ausdruck der sinnlichen Kontinuität des menschlichen Bewußtseins über den Tod hinaus. Das sinnliche Kontinuum der Existenz erstreckt sich durch die ganze Welthöhle und umschließt außer dem Menschen auch Dämonen, Engel, das Elixier des Lebens und die Essenz des Todes. Weder in der Antike noch in der arabischen Kultur und erst recht nicht in der späteren Geschichte des Abendlandes besitzt der Mensch die Kräfte einer Entrückung, die seine Seele in anonyme und unanrufbare, weltlose Regionen der reinen Subjektivität versetzen könnte.

In diesen beiden das abendländische Weltgefühl einleitenden Geschichtsabläufen sind Diesseits und Jenseits nur attributive Varianten der substantiellen Kontinuität der Welt. (Spinoza: Deus sive omnia eius attributa!) Man vergesse nicht, wo immer die Substanz vergöttlicht wird, dort ist auch die Sinnlichkeit als absolut gesetzt... und der durchgängige Determinismus die unvermeidliche logische Konsequenz. Auf dieser Basis entstehen die magischen Wissenschaften der Astrologie und Alchemie. Beides sind durchaus legitime theoretische Disziplinen - wenigstens der Idee nach - solange man nur zuzugeben gewillt ist, daß ein substantiell sinnlicher Zusammenhang zwischen der physischen und der pneumatischen Seite der Wirklichkeit besteht, in welchem Kausalketten in umkehrbar eindeutigen Wirkungsreihen von der einen Seite auf die andere spielen. Unter diesen Voraussatzungen ist die faktische Macht des Pneumatischen in der Tat "chynisch" beherrschbar und die Bestimmung des Individuums aus kosmischen Zusammenhängen ablesbar.

In der Idee der abendländischen Wissenschaften hat man die Ideen keineswegs aufgegeben, [91] man hat sie nur in einem Punkte methodisch begrenzt, indem man die Annahme fallen ließ, daß der Übergang der Kausalität von der objektiven auf die subjektive Seite der Wirklichkeit in umkehrbar eindeutigen Ereignisserien erfolgen müsse. Diese Reduktion des Gesetzesbegriffs hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen. Durch die entwickelt sich Alchemie zur Chemie, und sie ist auch verantwortlich für den Umstand, daß wir heute den Himmel der Astronomie von jenem Himmel zu trennen wissen, von dem in dem einfachen Gebet des Kinder: "Lieber Gott, mach mich fromm, daß ich in den Himmel komm", die Rede ist. Trotzdem aber bleibt die tiefere metaphysische Legitimität "astrologischer" Perspektiven bestehen. Wir finden sie ganz ausgeprägt bei Kant. In seinem Werk von 1755, "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels..." fügt er an die beiden naturwissenschaftlichen Teile der Schrift einen dritten Teil an, in dem das "astrologische" Motiv nur dünn verhüllt ist und das mit den folgenden bezeichnenden Verszeilen von Pope eingeleitet wird:

Wer das Verhältnis aller Welten von einem Teil zum andern weiß

Wer aller Sonnen Menge kennet und jeglichen Planetenkreis;

Wer die verschiedenen Bewohner von einem jeden Stern erkennet,

Dem ist allein, warum die Dinge so sind, als wie sie sind, vergönnet

Zu fassen und uns zu erklären. [92]

Es ist nicht mißzuverstehen, warum die Zeilen des englischen Dichters angeführt werden. Die metaphysische Gesetzlichkeit des Himmels ist erst dann zu verstehen, wenn in sie die Bestimmung des Menschen ebenfalls eingeschlossen ist. Jenseits der Theorien der mathematisch-physikalischen Betrachtungsweise der modernen Astronomie webt eine tiefere Gesetzlichkeit, deren Begriffe noch "unausgewickelt" sind. Darum lassen wir auf der letzten Seite von Kants astronomischem Traktat, wo sogar die Möglichkeit einer Wiedergeburt des Menschen auf anderen Planeten angedeutet wird, die Sätze: "In der Tat, wenn man mit solchen Betrachtungen sein Gemüt erfüllt hat, so gibt der Anblick des bestirnten Himmels bei einer heiteren Nacht eine Art des Vergnügens, welches nur edle Seelen empfinden. Bei der allgemeinen Stille der Natur und der Ruhe der Sinne redet das verborgen Erkenntnisvermögen des unsterblichen Geistes eine unnennbare Sprache und gibt unausgewickelte Begriffe, die sich wohl empfinden, aber nicht beschreiben lassen." [93]

In dieser kantischen Vision des gestirnte Himmels setzt sich die Konzeption der Welthöhle fort, d.h. eines in sich geschlossenen Wirklichkeitsbereiches, aus dem die Subjektivität nicht mehr abfließen kann. Beide Subjekt sowohl wie Objekt, sind in dieser Welthöhle unentrinnbar eingeschlossen und deshalb gezwungen, sich in alle Ewigkeit aufeinander zu beziehen. Es ist deshalb unmöglich, daß in diesem Weltbild die Abbildung des Subjekts auf das Objekt auf halbem Wege Arretiert wird und daß ein freier, in seinem Wesen unabbildbarer Reflexionsrest sich von dem gesamten Objektbereich schlechthin abwendet. Wohin sollte er sich in dieser "Höhle" wenden? Ihr ganzer innerer Raum ist sowohl metaphysischer Modus der Objektivität wie auch des subjektiven Lebens. Wohin auch die Reflexion sich immer wendet, dort wo sie auf sich selbst trifft, begegnet sie zugleich dem Objekt. Daher die absolute Sinnlichkeit dieser Weltanschauung. Das Ich kann nirgends in der unsinnlichen Anonymität der absoluten Innerlichkeit verschwinden. Dieser Weg steht nur im fernen Asien offen.

Mit der Beziehung auf Kant aber haben wir den geschichtlichen Schritt, der von dem magischen und antiken Weltgefühl zur faustischen Metaphysik führt, schon weitgehend vorgegriffen. Vorerst stehen wir in der Analyse zweier vorbereitender transzendentaler Situationen des Menschen, die durch die einseitigen Symbole des endlichen Körpers und des begrenzten höhlenhaften Raumes repräsentiert werden. Die relative Vorläufigkeit der beiden durch diese Ursymbole präedizierten Kulturen ergibt sich aus dem Umstande, daß jede eins der beiden möglichen Mittel wählt, durch die die Subjektivität in der sinnlichen Welt festgehalten werden kann. Eine solche Lösung kann nur vorläufig sein. Die Antike bändigt die Subjektivität zwar in der objektiven Körperlichkeit. Aber sie ist machtlos gegen ihr Zerfließen im Unkörperlichen. Deshalb begegnen wir in dieser Geschichte einer spirituellen Dualität in dem Antiken Parallelismus von apollinischen und dionysischem Lebensgefühl. Neben Plato und Phidias steht der Kult des Pan und die eleusinischen Mysterien. Auf magischem Boden ist es nicht anders: Hier ist die Subjektivität zwar im Raum gefangen und gebändigt (die Reception des Aristoteles in der magischen Religiosität, in dessen System die Tiefendimension dieser Seele abgebildet wird, ist ein Beispiel); dafür läuft diese selbe Subjektivität dem Körper gegenüber Amok. Die Arabeske entsteht! "Sie ist, antiplastisch bis zum Äußersten, dem Bilde wie dem Körperhaften gleich feindlich, das eigentlich magische Motiv. Selbst unkörperlich, entkörpert sie den Gegenstand, den sie in endloser Fülle überzieht." [94] Im Bannkreis des magischen Weltbildes läßt sich die Seele durch den Körper nicht binden. Es ist nicht zufällig, daß sich das chemische Denken gerade in dieser Epoche der zweiwertigen Geschichte zu entwickeln beginnt. Im chemischen Prozeß versucht man den Körper dadurch zu beherrschen, daß man ihn in seine letzten sinnlichen Bestandteile auflöst. [95]

In beiden Weltverhältnissen, dem antiken sowohl wie dem magischen, ist die Subjektivität nur partiell in der Welt gebunden, weshalb es ihr unmöglich ist, sich endgültig mit dem Sein zu identifizieren. Wird sie im Körper fixiert, so bricht sie im Raum aus und ist sie im Raum streng systematisiert, so läßt sie ihre Willkür am Körper aus. Immerhin liegt, wenn wir z.B. die antike Statue mit der ägyptischen vergleichen, im Griechentum bereits ein beträchtlicher Fortschritt im Sinn einer generellen Abbildung des zweiwertigen Bewußtseins auf das Sein vor. In der ägyptischen Statue ist eine wilde Subjektivität wie in einer Grabkammer eingeschlossen. Diese Statue besitzt im intensivsten Maße ein Inneres. Es ist aber ein Inneres, zu dem der die Figur beschauende Mensch keinen Zugang hat. Auch wenn wir den Stein zerbrechen, gelangen wir nicht an das Innere, auf das die äußere Form hinweist. Wir wissen das ganz genau. Die Subjektivität lauert im Innern wie der Djinn in der Flasche. Wird das Gefäß der äußeren Form geöffnet, dann entweicht sie sofort und bedroht das sie suchende Ich von Außen. Im Gegensatz dazu hat die griechische Statue überhaupt kein Inneres. Sie ist in einem sehr präzisen Sinn seelenlos. Alles was durch sie ausgedrückt werden soll, ist in ihrer gesehenen Oberfläche enthalten. Unter dieser Oberfläche ist nichts als indifferentes und gleichgültiges Material. Indem aber alles an die Oberfläche, d.h. ins Offenbare verlegt ist, hat man das möglichste Höchstmaß an Deutlichkeit und Eindeutigkeit gewonnen. [96] Alles Seelische, das überhaupt ausgedrückt werden soll, wird dem Beschauer der antiken Statue durch die anatomisch überzeugende Behandlung der Oberfläche des Leibes vermittelt. Sowohl der magische wie der faustische Mensch mag diesem euklidischen Kunstideal gegenüber empfinden, daß hier nicht genug ausgedrückt sei und vielleicht das Wesentliche ungesagt bleibt. Solche Einwände aber sind in diesem Zusammenhang irrelevant. Worauf es ankommt ist, daß wir diese Einbildung eines Bewußtsein in die Materie deshalb als "klassische empfinden, weil sich in ihr Subjekt und Objekt gegenseitig vollkommen beherrschen und ohne unbeteiligte "irrationale" Rostbestände aufeinander abgebildet sind. Es ist eine endgültige Stille um diese Figuren. Sie sprechen von einer gelösten Aufgabe, an der die Arbeit vollendet ist. Demgegenüber fällt nicht ins Gewicht, daß die Subjektivität, die in dem griechischen Marmor eingegangen ist, keine Tiefendimension besitzt und in mehr als einem Sinn "flach" und formal erscheint. Diese Auffassung mag bestritten werden und das ästhetisch genießende Individuum mag behaupten, daß diese Kunst ihm "Alles" sagt. Aber ein solches Kunsturteil ist das der subjektiven Privatheit. Um es aussprechen zu können, addiert die ästhetische Person ihre Arbeit des Genusses zum objektiv gewordenen Ausdruck der Subjektivität im Material. Und gerade diese Addition ist es, die ein solches Urteil privat machen muß, denn diese Arbeit variiert notwendig vom Ich zum Du. Es bleibt dabei, so lange wir jenes "Alles", zu dem das Individuum sich und das Kunstwerk aufaddiert, ignorieren, bleibt die in der griechischen Statue ausgedrückte Geistigkeit flach und perspektivlos. Sie besitzt dafür aber ein Höchstmaß an Ausdruckspräzision und objektiver Verbindlichkeit für jedermann. Der griechische Geist ist überhaupt viel stärker bindend als alles, was in Indien je gedacht und geschaffen worden ist, eben weil er relativ zu den ungeheuren Tiefenperpektiven der Upanishaden, des Vedanta und der beiden Buddhismen flach und auf die Unmittelbarkeit des körperlichen Objekts beschränkt geblieben ist. Diese Beschränktheit tut seinem historischen Ausdruckswert nicht den geringsten Abbruch. Gilt doch für das Material, in dem er sich ausdrückt, genau dasselbe. Es ist ein Minimum an Material (was physische Differentation angeht), das in das Abbildungsverhältnis von Subjekt und Objekt, das die griechische Kultur darstellt, eingegangen ist. Was die griechische Kunst und das griechische Denken klassisch macht und ontologisch begründendes Vorbild für die Zukunft, ist, daß diese Geistigkeit uns lehrt, daß, um aus seiner unverbindlichen Privatheit herauszutreten, das Subjekt nur soviel auf das Objekt abbilden kann, als das Sein jeweilig zu absorbieren imstande ist. Subjekt und Objekt müssen sich in einem solchen Verhältnis vollkommen gegenseitig determinieren. Keiner Seite darf eine Überdetermination erlaubt sein. Die Überdetermination durch das Subjekt resultiert in unverbindlicher und immer auf Anarchie hin drängender Privatheit; überwältigt aber das Objekt seinen Gegensatz im Ich, so enthüllt sich die resultierende Realität als sinnlos brutale Kontingenz. Falls der Mensch ein Mehr an Subjektivität auf das Sein abbilden will, so muß er erst ein korrespondierendes Mehr an objektiver Materialität besitzen. Nur wenn beide sich gleichmäßig determinieren, ist die Gefahr beseitigt, daß anarchisch gewordene Restbestände legitim thematischen Ursprungs die metaphysische Homogenität einer Kultur zerstören. [97] Je tiefer eine Subjektivität ist, die sich dem Sein einbilden will, desto differenzierter muß auch die Objektwelt sein, die von der anderen Seite her in dieses Abbildungsverhältnis eintritt.

Eine solche Tiefenschichtigkeit der Objektwelt, die einer gestuften Subjektivität entspricht, ist nun nicht etwa a priori gegeben. Die Umwelt des primitiven Naturmenschen besitzt praktisch überhaupt keine ontischen Differentiationen in sich selbst. Das Sein als Naturzustand zeigt schlechterdings keine Grade der Existenz. Es ist objektiv vorhanden - oder auch nicht, das ist alles. Das Bewußtsein des Primitiven nennen wir deshalb primitiv, weil es voll-thematisch an diesem einsinnigen Charakter der Welt orientiert ist. Nur sub-thematisch und für die betr. historische Stufe irrelevant schleichen sich hier anonyme und auf Anarchie angelegte Bewußtseinszustände ein, die voraussetzen, daß es mit der Einsinnigkeit des Seins und seinem absoluten Oberflächencharakter eine nur vorläufige Bewandtnis haben könnte. Der generelle Tenor der primitiven Kultur, d.h. das, das ihren spezifischen historischen Charakter ausmacht, schließt eine Tiefenschichtigkeit des Objektseins und intensivere und schwächere Grade der Existenz aus. Es gibt in dieser Welt relativ zum Menschen [98] kein Ding, das mehr Ding ist als ein anderes. Zwischen der Dinglichkeit eines Felsens und der hypostasierten Dinglichkeit der Seele existiert kein prinzipieller Unterschied. Das erst ontologische Gefälle wird im Sein erfahren, sobald das Bewußtsein den Körper und den Raum als verschiedene thematische Varianten seiner Ausrichtung auf die Objektivität erlebt, und auf einmal entdeckt, daß die zweiwertige Spaltung zwischen Ich und Nicht-ich, in der er sich erhält, sich im Nicht-ich noch einmal in den ontologischen Modus von Raum und körperlichem Rauminhalt wiederholt.

Es ist zu vermuten - und wird durch die aktuelle Geschichte der regionalen Hochkulturen bestätigt -, daß die Subjektivität in ihren Versuchen, sich in das objektive Sein einzubilden, dabei zuerst die eine oder andere thematische Variante der generellen Seinsthematik bevorzugen wird. Dies liegt in der Natur der Sache. Wir dürfen nicht vergessen, daß Zweiwertigkeit des Bewußtseins voraussetzt, daß die Werte im Wettbewerb miteinander stehen und ewig um den Vorrang im Ich kämpfen. Diese Kampf bleibt in dem vom Sein sich distanzierenden Ich grundsätzlich unentschieden. Das läßt sich schon aus dem System der formalen aristotelischen Logik ablesen. Dort gelten als theoretische Werte "wahr" und "falsch" - wenn man diese Logik auf die Gegenstandswelt anwendet. Der erste Wert ist hier eindeutig der bevorzugt. Interpretiert man das aristotelische System aber als Darstellung des Reflexionsprozesses, also als formalen Grundriß der Subjektivität, dann heißen die Werte "positiv" und "negativ", und in dieser Deutung gilt der zweite Wert als der überlegene, denn die Negativität ist kraft ihrer Vieldeutigkeit von unendlich höherer Mächtigkeit und Reflexionskraft als das Positive. Das Negative impliziert sich selbst und die Positivität, wogegen das Positive immer nur sich selbst impliziert.

Wenn dies der Fall ist und sich andererseits die Zweiwertigkeit des Bewußtseins in der Struktur des Seins, das durch diese Subjektivität erlebt wird, wiederholt, dann wird dem Menschen dieses wechselnde Wertverhältnis auch in der gegenständlichen Welt entgegentreten. D.h. je nach der reflexiven oder irreflexiven Vororientierung seiner Seinsthematik wird er entweder im Raum oder im Körper das "wahre" Wesen der objektiven Wirklichkeit erblicken. Diese Alternative ist in Asien in dem spirituellen Gegensatz zwischen der indischen und der chinesischen Hochkultur zum ersten Mal in thematisch präziser Form mit nicht mißzuverstehenden Wertakzenten realisiert. [99] In Indien wird der leere Raum als die charakteristische Essenz der Außenwelt empfunden. In China hingegen besteht die Wirklichkeit aus Dingen. Die Frühlingsäste im Leeren der chinesischen Farbenholzschnitte führen uns eindringlich vor Augen, daß die Existenz im Detail wurzelt und daß sich das Leere nur im Ding zur Existenz zusammendrängt. Dasselbe sagen auch die japanischen Tore, die für sich selbst in der Landschaft stehen und aus nichts in nichts eintreten lassen. Die bis zur Absurdität nüchterne Gegenständlichkeit des konfuzianischen Denkens ist bekannt. Das Ideogramm, die symbolischste Schöpfung dieser Kultur, beschreibt jeden Begriff als ein sichtbares Ding im Raum und die Bewegung des Pinsels, der Ideogramme schreibt, läuft nicht in gleicher Distanz an der Schreibebene entlang, sondern nähert und entfernt sich von dem Papier gemäß ästhetischen Regeln, die für den Duktus des Schriftzeichens maßgeblich sind. D.h. man fühlt mit dem Pinsel den Widerstand der Schreibfläche ab. Das Ideogramm ist so ein Gegenstand, der im Druck gegen die Außenwelt entstanden ist.

Im Gegensatz dazu hat die Devanagari-Schrift einen ganz abstrakten Charakter. Ihre Silbenzeichen sind durchweg Variationen eines rechten, nach links offenen Winkels , wobei der Horizontalstrich sich unveränderlich gleich bleibt und die Variation entweder den Vertikalstrich ersetzt oder an ihn innerhalb des Winkels angesetzt ist. Jedes Zeichen kann seine Selbständigkeit und Grundfigur dadurch verlieren, daß es in eine "Ligatur" mit einem anderen eingeht. In diesem Fall wird in den komplizierteren Zeichenkomplex von dem ursprünglichen Zeichen nicht mehr als das genaue Minimum übernommen, durch das das attachierte Zeichen gerade noch identifizierbar ist. Die Silbenzeichen haben also keine objektive Dinggestalt, die ihnen unveränderlich anhängt. Sie treten im Schriftbild sehr häufig nur als kürzeste Andeutungen auf. Es ist, als ob jedes Zeichen im Kontakt mit den anderen die Tendenz zum unmittelbaren Verschwinden, zum sich Auflösen ins Nichts hat. Die Zeichen repräsentieren ein absolutes Minimum an Bildhaftigkeit und an gestalthafter Individualität und stellen damit nicht nur einen krassen Gegensatz zu den chinesischen Ideogrammen, sondern auch zu den Hieroglyphen, der chinesischen oder der gotischen Schrift dar. Derselbe ungegenständliche, den Charakter des Materials auflösende Zug äußert sich in der indischen Architektur. Man betrachte unter diesem Gesichtspunkt einmal die mehr als 500 Tempel von Bhunesvara. "Unmöglich, sich im ganzen wie im einzelnen zurechtzufinden. Das Auge, nirgends festgehalten, an keine Form geheftet, irrt hilflos von Bau zu Bau und bewundert eine wilde Phantastik, ohne sie zu begreifen. Jeder Tempel ist in der Hauptsache ein ungeheurer Turm, der wie ein zuckender Körper ist und dessen Glieder wie lebende Glieder sind. Es sind Stein gewordene Mollusken, Stein gewordene Pflanzen. Der Leib schwillt in Pfeilern aufwärts, schmalen zwischen breiten, jeder wie eine Riesenraupe, der hier wie eine zuckende Qualle wirkt, die versteinerte und doch einmal bereit war, zu atmen und zu leben. So steht ein Turm neben dem anderen, kleinen zwerghafte und riesige, als wiesen sie verschiedene Wachstumsstadien derselben Pflanze und nicht jeder das Heiligtum einer anderen Gottheit." [100] Es ist bezeichnend für diese Kunst, daß sie den Wesenscharakter des gegebenen Materials vollkommen verachtet und den Stein als lebendig wachsende Pflanze behandelt. Der Stein als solcher ist zu sehr objektiver Gegenstand. Die Pflanze viel weniger. In ihren Formen läßt sich die Massivität des Steins wenigstens bis zu einem gewissen Grade auflösen. Nirgends eine glatte, den Charakter des Materials spiegelnde Fläche. Zügellos drängt sich überall die Skulptur hinein und überspinnt die glatten Quadern mit Skulpturen, die tief unterschnitten in einem dunstigen Tanz von Licht und Schatten die Konturen der Bauwerke in das blendende Licht des indischen Tages aufzulösen scheinen. Es ist alles auf Entkörperlichung, aufs Verfließen ins Unbestimmte angelegt. Dazu die Gesichter der Götterfiguren! Nicht nur die Buddhaköpfe zeigen einen von der Welt abgekehrten, nach innen gewendeten Ausdruck, auch der tanzende Shiva, der seine vielen Arme in ekstatischem Wirbel um sich schwingt, hat die Augenlider gesenkt. Nie spiegelt das Antlitz die Bewegung des Körpers. Immer bleibt es die Maske des stillen In-sich-seins der Subjektivität, die dem leidenschaftlichen Drang dieser Welt längst entwachsen ist. Welch ein Unterschied zum Antlitz der antiken Statue, das unbefangen in die Welt hinausschaut. In Indien aber ist die Körperwelt nichts und die Subjektivität verfließt in der Leere des aller Inhalte beraubten unendlichen Raumes. -

Es scheint, als ob sich die regionalen Hochkulturen an dem antithetischen Doppelsymbol von Körper und Raum gemäß ihrer individuellen Weltorientierung zu Paaren ordnen. in diesem Sinn existiert zweifellos eine historische Affinität zwischen der babylonischen und der ägyptischen Kultur. Eine parallele Affinität besteht zwischen der indischen und chinesischen Kultur. Die Rezeption des Buddhismus in Ostasien ist ein sichtbares Zeichen davon. Und schließlich besteht eine analoge apriorische Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit zwischen der antiken und der magischen Geschichte des zweiwertigen Bewußtseins. Sie wird unter anderem durch die Übernahme des Aristoteles auf die arabische Seite bezeugt. Das metaphysische Grundthema aller dieser Geschichtsabläufe ist, die neue zweiwertige Subjektivität des Menschen, in der er sich von der Welt distanziert hat, von sich aus auf das Sein abzubilden und dadurch dem Bewußtsein ein Bürgerrecht in der Welt zu erwerben, das es a limine nicht besitzt.

Jeder dieser Versuch wird auf doppelte Weise unternommen: Man versucht entweder den Subjektscharakter des zweiwertigen Ichs in dieser Abbildung unverändert festzuhalten, oder aber man ist bereit ihn aufzugeben. Im ersten Fall interpretiert man die Essenz der Welt als Raum, d.h. als bestimmungslose Homogenität, und behält sich vor, die eigenen inneren Bestimmungen in diese Dimension der Leerheit (sunyata) fließen zu lassen. Im zweiten Fall jedoch erkennt man das Wesen der Realität im objektiven Körper an und ist willig, die Flüchtigkeit der eigenen subjektiven Bestimmungen für die Sicherheit und Permanenz des substantiell Körperlichen aufzugeben. Die Berichte über Ägypten und Babylon sind zu dürftig, als daß diese regionalen Gebilde als taugliche historische Versuche angesehen werden können. Von Ägypten, wo wir in dieser Hinsicht etwas mehr wissen, können wir nur sagen: diese Subjektivität ist noch so geartet, daß von ihr viel zu viel vom Sein abgewiesen und zurückgeworfen wird. Was von der Innerlichkeit dieser Menschen in ihre Umwelt eindrang, reichte bei weitem nicht aus, um die empirische Existenz zu bewältigen und im Sinne dieser Seele umzuwandeln. Warum aber der weniger innerlich veranlagte Mensch im Zweistromland gegenüber der gleichen Aufgabe versagte, ist heute kaum mehr festzustellen.

Hingegen ist es für Indien und China ganz evident, warum hier die Geschichte der hohen Kultur schließlich in einen Zustand suspendierten Seelentums und die Stagnation einer "ewigen" Zivilisation auslief. Diese beiden viel kräftigeren Vorstöße in die Realität scheitern daran, daß es dieser fern-asiatischen Subjektivität nicht möglich ist, die Wirklichkeit, in die sie sich einbilden will, endlich zu begrenzen. Man bereift weder in Indien noch in China, daß man ja die Unendlichkeit in den grenzenlosen Tiefenperspektiven der eigenen Innerlichkeit besitzt und daß man draußen in der Welt sie nicht zu suchen hat. Im Gegenteil versucht man diese Subjektivität auf eine Welt abzubilden, die auch ihrerseits keine endgültigen Bestimmungen und letzten Marksteine mehr hat, so kann die Innerlichkeit keinen eindeutigen und definitiven Halt in der Realität finden und sie rennt schließlich Amok. Der Amoklauf ist etwas typisch Fernöstliches, dem seelisch nichts im Westen entspricht. Es ist die Explosion eines Bewußtseins, dem nirgends in der Welt endgültige und unüberwindbare Widerstände begegnen. Nachdem die Innerlichkeit sich ihre Welt als Visnu erschaffen hat, zerstört sie dieselbe in ihrer Gestalt als Siva in tobsüchtigen Tanzschritten. Im Nirvana zerfließt die Subjektivität in unendlicher Verdünnung in einem grenzenlosen leeren Raum bis alles in Gestalt- und formloser Anonymität zergangen ist - und zergehen muß, weil diese wesenlose Dimension der Hinterwelt nirgends einen Horizont besitzt; - in China aber verliebt man sich in das unendliche Detail und die grenzenlose Vieldeutigkeit des individuellen Gegenstandes, d.h. man begreift ihn nur ästhetische. Man wird im Umgang mit ihm selber objektiv und extrovertiert, aber zugleich auf dem Weg über das Ästhetische fein, subtil und nervös raffiniert. Das individuelle Objekt besitzt eine unerschöpfliche Fülle von intimen Reizen, und man ist bereit, sich ihnen allen hinzugeben und ist fest gewillt, keinen zu versäumen. Eine solche Haltung aber schließt die Macht über den Gegenstand aus. Es wird nicht ernst genug genommen, und man behält seine Subjektivität im Genuß vor ihm zurück. Man betrachte daraufhin einmal ein Produkt der Höhe chinesischer Malerei, etwa die berühmte dem Tund Yüan zugeschriebene Landschaftsrolle. [101] Aus einem gestaltlosen Nichts wachsen intermittierend und teilweise im Leeren schwebend die Konturen einer Landschaft heraus. Ihre Gegenständlichkeit reicht von nebliger Irrealität der Bergwände bis zu messerscharfen Konturen der Gipfellinien und der Baumstämme im Vordergrund. Individuellstes Detail kontrastiert mit Gestalt- und wesenlosem Nichts, aber man bekommt zu fühlen, daß es dieses Nichts selber ist, das sich hier zu eindeutiger Gestalt und intensivster gegenständlicher Wirklichkeit zusammenballt. Der landschaftliche Gegenstand ist nicht in der Leere als ihr indifferenter Inhalt, sondern er ist die Essenz dieser Leere, ihre geoffenbarte Bedeutung und dingliche Existenz. In Indien verschwindet Sinn sowohl wie Sein im Nichts. In China treten beide aus ihm hervor, weil sich die Subjektivität der objektiven Erscheinung mit genießerischer Subtilität bemächtigt und sie in sich hineinzieht. Der Gegenstand wird hier nur in der Vorstellung besiegt, aber nicht in der groben materiellen Realität seines faktischen Daseins. In Tung Yüans Landschaft ist nicht ein einziger Baumzweig faktisch. Über den Unterschied im Verhalten zu dem als ontologische Existenz empfundenen Gegenstand in China und Europa hat ein europäischer Ästhetiker die folgende den Nagel auf den Kopf treffende Bemerkung gemacht: "Der europäische Künstler verlegt die Durcharbeitung des Bildes in dieses selbst. Die Idee wird auf die Leinwand gebracht und, häufig mit exaktem Studium aller Einzelheiten, in langer Arbeit zur Vollendung geführt. China legt die Durcharbeitung in die Seele des Künstlers. Erst wenn sie ganz voll von Erlebnis ist, schreibt er mit möglichst wenig Strichen alles im Wesentliche - und nur dieses - hin .... Als einmal ein fürstlicher Besteller ungeduldig wird, weil ein Bild nicht fertig wurde und drängte, zeigte ihm der Künstler eine ganze Kammer voller Skizzen und warf dann sofort mit ein paar Strichen das Bild fertig auf die Seide. So sehr war es sein inneres Eigentum geworden, so sehr beherrschte er seine Form. Für diese seelische Essenz ist die chinesische Tusche so das vollkommene Material wie Ölfarbe und Tempera für Europas bemühte Beherrschung des einzelnen. Denn die Seide saugt beim Strich die Tusche ein und duldet keine Korrektur, geschweige denn ein Radieren. Was der Künstler malt, muß gleich vollkommen sein." [102]

Der Unterschied in der seelischen Haltung verglichen mit Europa ist deutlich. der Asiate hält auch in der Identifikation mit dem Gegenstand seine innerliche Subjektivität fest. Er saugt den Gegenstand, um ihn zu beherrschen, in sich hinein und hält ihn dort fest, anstatt sich in ihn unter Aufgabe der eigenen Innerlichkeit zu werfen. Die Landschaften der chinesischen Malerei sind alle Seelenlandschaften aus den Gärten im Paradies des Westens. Sie geben nirgends das Gefühl einer handgreiflichen materiellen Existenz. Der Künstler hat die Idee des Baums, die Idee des Berge gemalt, aber sein Pinsel enthüllt uns nicht das Geheimnis, wie diese Idee sich in Empirie und die Zufälligkeit des physischen Stoffes umsetzt. An innerer ästhetischer Form aller europäischen Kunst unvergleichlich überlegen und in sich vollendeter, fehlt diesen Erzeugnissen doch der Ernst der Überwindung der widerstehenden Negativität der toten Materie. Der Inder flüchtet vor ihr, und der Chinese spielt mit ihr. Beide aber weigern sich, das physische Dasein ernst zu nehmen. Nur die Innerlichkeit ist in Asien absolut, das objektive ist immer nur ein phantastisches Spiel. Deshalb ist in Indien sowohl wie in China die Macht des Bewußtseins über das Ding nur eine scheinbare. Eine solche Macht ist da, aber sie ist ganz privat, ganz ästhetisch und ganz unmittelbar. Dieselbe subjektive Privatheit, die das indische Nirvana auszeichnet, finden wir auch im chinesischen Landschaftsbild. Sein funktioneller Sinn liegt nicht in dem, was es objektiv gegenständlich darstellt, sondern in dem subjektiven Zustand, den es im Betrachter auslöst. Es fordert uns zu einer Arbeit am Ich, aber nirgends zur Tätigkeit am Ding heraus; deshalb ist es so privat wie die indische Erlösung. Die Macht dieser Arbeit aber wirkt nicht auf den physischen Gegenstand zurück. Sie ist nicht Macht über das Ding selbst, sondern nur die Dingvorstellung. [103] In Indien wie in China löst sich die Welt im Ich auf, weil ihre endliche Grenze in der Kontingenz und in ihrer Undurchdringlichkeit der Materialität nicht ernst genommen wird. Sie bietet weniger Widerstand, wenn man sie als nur vorläufiges Medium der eigenen unendlichen Subjektivität versteht, als solches aber ist sie auch unendlich und deshalb nur im Inneren und nicht im Äußeren zu bezwingen. An dieser Fehlinterpretation der Realität gehen diese Kulturen zugrunde, und das zweiwertige Bewußtsein sieht sich wiederum vor die Aufgabe gestellt, sein Wesen unter anderen thematischen Intensionen dem Sein einzubilden.

Diese neuen Weltintrojektionen des Ichs, die uns in der Antike und der magischen Geschichte entgegentreten, tun zum ersten Mal dem gegenständlichen Wesen des Seins Gerechtigkeit an, indem sie zwar noch nicht aussprechen - soweit ist man in der Entwicklung des Realitätssinns noch nicht - wohl aber unmißverständlich implizieren, daß das objektive Sein endlich ist. Wenn die Welt, wie das antike Gefühl glaubt, der Inbegriff aller Körper ist, dann ist die Ordinalzahl jedes Dinges eine endliche Ziffer. Mithin gibt es nur eine endliche Anzahl von Körpern. Und wenn die Welt eine Höhle ist, wie das magischen Gefühl empfindet, dann muß ihr Raum endlich sein. Eine Höhle mit unendlichem Rauminhalt ist ein Widerspruch in sich selbst. In diesen beiden Geschichtsabläufen wird die Endlichkeit zum ersten Mal richtig als die Essenz des objektiven Seins erlebt - und damit dem physisch Wirklichen metaphysischer Rang gegeben.

Hier muß einem alten geistesgeschichtlichen Vorurteil entgegengetreten werden, das zu mindestens bis auf die Ursprünge unserer weltgeschichtlichen Existenzstufe zurück datiert. Es ist das Urteil, daß es zum Wesen der metaphysischen Existenz gehört unendlich zu sein. Nur das Unendliche ist unbegreifbar, ewig und transzendent. Das Endliche hingegen ist empirisch, verstehbar und ganz diesseitig. Diesem Fehlurteil unterliegen noch die metaphysisch sonst so begabten asiatischen Kulturen ... und der durchschnittliche Gebildete bekennt sich auch heute noch zu diesem Glauben. in Wahrheit aber ist Endlichkeit genau so unbegreiflich und metaphysisch wie ihr Gegenteil. Es kann gesagt werden, daß die metaphysischen Kategorien, deren der Mensch fähig ist, sich in die folgende antithetische Tafel aufteilen lassen:

Subjekt Objekt

Introszendenz Transzendenz

Unendlichkeit Endlichkeit

Transparenz Kontingenz

Potenz Aktualität

Privatheit Öffentlichkeit

Reflexionstiefe Reflexionsbreite

Diese beiden Gruppen von Kategorien unterscheiden sich durch die folgenden Eigenschaften: Alle Motive der Subjektivität sind schlechthin unendlich. D.h. sie sind sowohl unendlich relativ zu sich selbst wie relativ zu den Motiven der Objektivität. Die Kategorien auf der Seite des Seins aber sind unendlich nur in der unwesentlichen Relation auf sich selbst (Hegels "schlechte" Unendlichkeit). Sie sind hingegen von dezidierter Endlichkeit gegenüber allen Motiven der Innerlichkeit. Faßt man die kategorialen Eigenschaften des Objekts als unendlich und verliert sich dementsprechend in ihnen, so dringt man nirgends zur metaphysischen Essenz der Gegenständlichkeit vor. Dieselbe offenbart sich unerwarteter Weise nur, wenn man das Sein als Endlichkeit anerkennt und sich ihm ausschließlich in diesem Sinn anvertraut.

Eine erste Ahnung dieses neuen Verhältnisses zum Absoluten in der Gestalt des Objekts schwebt über den Bemühungen der Antike und der magischen Kultur. Hier wird in beiden Fällen die Welt als endlich gefaßt und die Subjektivität, die sich in dieses Sein einbildet, fließt deshalb nicht mehr aus ihr ab. Im antiken und im magischen Bewußtsein ist zum ersten Mal die Innerlichkeit der Welt endgültig verpflichtet und auf Gedeih und Verderb mit ihr verbunden. In beiden Kulturen aber geht die Introszendentalität des Subjekts in inversen Thematiken ein. Für das antike Fühlen liegt die Essenz des Seins im , im Körper, und die unerfüllte Räumlichkeit der Welt ist a-thematisch. ist also der Sinn oder die Innerlichkeit als Gegensatz des Körpers in die Welt gezogen, dann wird sie im weltlichen Gegensatz des Körpers, d.h. im leeren Raum wohnen. Darum definiert Aristoteles die Wahrheit als einen Strukturzusammenhang räumlicher, gesehener Beziehungen. Ihre Gesetze sind die der Lichtstrahlen im Raum, die sich an den Objekten brechen. Die klassische Logik beschreibt die Perspektiven einer objektiv vorgestellten Dimension des Ausgedehntseins, aus dem man die Inhalte fortgedacht hat. (Abstraktion und Formalismus). Damit hat man die Transparenz der Innerlichkeit gewahrt und sie trotzdem auf die Reflexionsbreite der Seinsebene im Bilde des perspektivisch gesehenen Raums abgebildet. Es ist kein Zufall, daß sich alle Relationen des klassischen Wahrheitsbegriffes zweidimensional zeichnen lassen.

Auf der magischen Seite dominiert ein invers thematisches Prinzip. Als Essenz der Objektivität und der Materialität des Seins gilt hier der (höhlenhafte) Raum. Wenn also in diese Welt die Introszendenz der Subjektivität eingebildet werden soll, dann kann sie nicht wie im Griechentum als abstraktes System von als Licht erblickten Raumbeziehungen erscheinen, sondern sie muß diesmal sich als Körper inkarnieren. Die Wahrheit ist für das magische Denken eine körperliche Substanz. [104] Sie befindet sich als eine Substanz neben anderen (z.B. dem Irrtum) in der Welthöhle und läßt von sich physische Wirkungen ausgehen. Nur so erklärt sich die Alchemie des Steins der Weisen. Die Substanz dieses Steins ist das Blut des Erlösers. Und da dieses Blut, indem es vergossen wurde und auf die niedere Seinsform der Welt floß, eben dieses Sein substantiell transformiert und erlöst hat, so kann der Weise, der die Essenz dieses Blutes chymisch destilliert und in der Retorte wieder herstellt, dadurch die Macht über alle Materie erhalten.

Das Gemeinsame, das das antike und magische Weltgefühl von der fern-asiatischen Metaphysik trennt, ist deutlich sichtbar. In Indien und China geht die Introszendenz auf ihrem Wege zur Erlösung nur durch die Welt hindurch. Sie verweilt nicht in ihr. Im griechischen und magischen Logos aber soll sich die Subjektivität im Objekt erlösen und als Objekt. "Das Wort ward Fleisch" heißt es im Evangelium Johannis. Damit ist ein irreversibler metaphysischer Prozeß gemeint, weshalb auch alle konsequente magische Religion die Auferstehung als eine Auferstehung des Fleisches geglaubt hat. [105] Denn der Logos ist in seiner Herabkunft ganz zum objektiven Dasein in der Welt geworden und kann von nun an nicht mehr in seine Introszendenz zurückkehren ohne das "Fleisch" - seine neue Identität - mit sich zu nehmen. Das "Fleisch aber ist der consensus, die Gemeinde. Damit ist angedeutet, daß das, was hier erlöst werden soll, nicht mehr die private, bei-sich-seiende, "in dem Bauch der Welt schmachtende" Innerlichkeit ist, sondern die Objektive Existenz des Menschen als erscheinende Wirklichkeit. Die Schöpfung kann nur im sinnlich konkreten Menschen erlöst werden. Deshalb ist das aus magischen Wurzeln entsprossene Christentum "die einzige Religion der Weltgeschichte, in welcher ein Menschenschicksal der unmittelbaren Gegenwart zum Sinnbild und Mittelpunkt der gesamten Schöpfung geworden ist." [106] Das Christi ist die faktische Existenz des Menschen im Verhältnis von Ich und Du. Deshalb quillt aus den Evangelien oft eine Innigkeit des Gefühls, das der kühle Buddhismus in seiner äußersten Reserviertheit der Subjektivität so ganz vermissen läßt. Im Akzent auf den objektiven, substantiellen Charakter des pneumatischen Logos ist nämlich das Du als Objektivität des Innerlichen impliziert. Von jetzt ab schwingt die Subjektivität zwischen dem Ich und Du hin und her und ist so in der Welt gebunden.

Auf der griechischen Seite aber ist die Innerlichkeit die Wahrheit, die deshalb nicht mehr aus der Welt abfließen kann, weil sie in dem neuen detachierten Bewußtsein des theoretischen Menschen die logische Form des ontologischen Naturgesetzes annimmt und deshalb von jetzt ab für ewig auf experimentelle Bestätigung [107] angewiesen ist. Das Wahre ist von jetzt an das Objektive. Subjektivität als solche ist nur eine Quelle des Irrtums (Anarchie). Was aber das Objektive wirklich ist, das muß erst erfragt werden. Nur der Gegenstand kann auf diese Frage antworten. In seiner ontischen Essenz ist die Wahrheit gebunden, und nur von dort her ist sie offenbarungsfähig. Aus diesem Weltgefühl, das zum ersten Mal den metaphysischen Charakter des Endlichen als sichtbarer Existenz des einzelnen Körpers entdeckt, entsteht jetzt die merkwürdige Doppelsinnigkeit des Wortes "objektiv", das von nun an beides bedeutet: physisch-gegenständlich und allgemein-verbindlich wahr. Die Einsicht, die sich in dieser Ambiguität der Vokabel "objektiv" manifestiert, ist evident. Seit der antiken Kultur beginnt man zu begreifen - was man in den asiatischen Formen der hohen Geschichte noch nicht weiß - daß sich die Subjektivität nicht selbst als private Innerlichkeit festhalten kann, wenn sie sich auf die Wirklichkeit abbilden will. Um aber aus der privaten in die öffentliche Existenz überzugehen, muß sie zugleich auf ihre unendlichen Tiefenperspektiven und die gleichfalls unendliche Vieldeutigkeit ihrer Identität verzichten und endlich, substantiell und eindeutig werden. Das ist der Fortschritt, den die antike und magische Kultur in der Selbstauslegung des zweiwertigen Bewußtseins darstellt, daß hier zum ersten Mal begriffen worden ist, daß der Geist nur im objektiv Endlichen zu seinem eigenen Wesen kommt und nur in dieser konkreten Gestalt eine Garantie für die historische Zukunft des Menschen bietet.

Trotzdem aber stellt weder die klassische noch die magische Geschichtsverfassung des zweiwertigen Bewußtseins den letzten und äußersten Existenzzustand dar, dessen der Mensch auf dieser Stufe fähig ist. Beide eben erwähnte Kulturen sind, wie bereits bemerkt, metaphysisch einseitig, insofern sie ihre Thematik der Beschränkung auf das Endliche nur entweder auf den Körper oder auf den Raum zu richten wissen. D.h. es wird immer nur eine Seite der Welt in dem jeweiligen historischen Apriori als reell bewertet. Die andere bleibt a-thematisch. in Griechenland war das der Raum und in der arabischen Kultur ist es der physische Körper. Das magische Weltgefühl sieht den Körper immer schon transsubstantiiert, ehe es ihn überhaupt als empirische Umweltrealität anerkannt hat. In der Antike hingegen leugnet das Bewußtsein die physische Realität des Raumes hinweg. in beiden Fällen führt das zu dem Resultat, daß die Abbildungsdimension, die der Subjektivität in der Welt zur Verfügung steht, prinzipiell unzureichend ist. In der Antike kann sich das zweiwertige Bewußtsein objektiv nur im Körper interpretieren; soweit es sich im Raum spiegelt, bleibt es subjektiv, d.h. real-thematisch: Nichts. Im magischen Bereich ist es genau umgekehrt. Hier ist es das Physisch-Körperliche, das keine Identität hat und deshalb sich in fortwährender chymischer Umschmelzung befindet. Realität in der "Welthöhle" ist räumliche Identifikation, aber nicht substantielle Beharrung. Das berühmte "alexandrinische Weltschema" (eine echte magische Konzeption!) ist ein metaphysisches Koordinatennetz für beliebige und variable substantielle Inhalte.

Die direkte Folge dieser komplementären Einseitigkeit zweier historischer Apriori ist, daß in beiden Fällen die endliche Objektivität des sich in der Welt realisierenden Geistes zweideutig bleibt. In der Antike muß alle diejenige Subjektivität, die legitimerweise auf den Raum abgebildet werden sollte, thematisch verfehlt dem Körper zugeordnet werden. Das körperliche Objekt symbolisiert damit beide Komponenten des zweiwertigen Bewußtseins, eine, die es orthothematisch, also legitim, vertritt. Und eine zweite, deren Repräsentation es pseudo-thematisch, sozusagen faute de mieux, übernimmt. Die verwirrende Doppelbedeutung des Wortes "objektiv" ist eine direkte Folge der Zweideutigkeit der Dingwelt, die aus dieser metaphysischen Doppelbesetzung des physischen Gegenstandes resultiert.

Dasselbe geschieht auf der magischen Seite mit dem Raum. Der Raum ist die existierende Außenwelt als Nicht-Gegenstand. Ebenso wie sich an der substantiellen Permanenz des Dinges das Bewußtsein bricht und die Undurchdringlichkeit des Gegenstandes anerkennt, der ihm entgegensteht, ebenso selbstverständlich geht dasselbe Bewußtsein durch die Welt als Raum widerstandslos hindurch. Die Welt als Raum hat genau die entgegengesetzte Eigenschaft als die Welt als Inbegriff der Dinge. Das Ding ist träge, dem Bewußtsein undurchleuchtbar und mit unendlichem Widerstand gegen die lebendige Subjektivität geladen. Der Raum ist in strengem ontologischen Sinn genauso Außenwelt wie die dingliche Sache. Aber er ist derjenige Modus der Außenwelt, der vor dem Ich zurückweicht, ihm nirgends eine eigene Gestalt entgegensetzt und durch und durch transparent ist. Trotzdem ist er vollkommen Nicht-Ich und in dieser Eigenschaft legitimes thematisches Leitmotiv für ein Ich, das sich aus sich selbst heraussetzen und in Ihrem objektiven Medium öffentlich allgemein werden will. Aber dieser magischen Weltintrojektion haftet dieselbe Zweideutigkeit an, wie der klassisch-antiken. Nur ist es diesmal der Raum, der neben seiner legitimen die pseudothematische Repräsentation des Bewußtseins übernehmen muß. Da aber der Raum dem frei schweifenden Bewußtsein keinen Widerstand leistet, ist die Welt des magischen Bewußtseins die des Märchens. Im Raum lauern die Djinns, die den Menschen bedrohen und in ihm schweben die Feen, die ihn beschützen. Zuweilen ballt sich die räumliche Essenz zusammen in der Gestalt von zauberkräftigen Amuletten und Talismanen. Sie hat geheimnisvolle Knotenpunkte im Siegel Salomons und im Stein der Weisen, und ihre dreidimensionale Tiefe spiegelt sich in den drei Triaden des Areopagiten, den himmlischen Hierarchien. Die den Raum durchschwebende Subjektivität teilt sich auf in Seraphim, Cherubim, Throni; dann Dominationes, Virtutes, Potestates und auf der untersten Stufe und dem Menschen am nächsten: Principatus, Archangeli und Angeli. [108] Diese Ordnung setzt sich im Menschen in seiner dreifachen Existenz als Hyletikerm Psychiker und Pneumatikers fort. [109] Zwar ist es die Bestimmung der Hyle (der unteren Materialität) schließlich und letztlich transsubstantiiert zu werden [110] - in dem geschlossenen Raum der Welthöhle kann nichts verloren gehen - aber die Unterscheidung von Psychiker und Pneumatiker bleibt. Alle Substantialität ist im gegründet. Das Pleroma ist der ungegenständliche, aber ganz mit Spiritualität erfüllte Raum. Der selbe ist für das pneumatisache Bewußtsein vollkommen durchdringlich im Gegensatz zu der physischen Körperwelt der Antike. Diese Transparenz der Fülle im Pleroma hat aber eine sehr beträchtliche Konsequenz. Da das Bewußtsein in dieser pleromatischen Welt keinen absoluten Widerstand findet, kann es sich nirgends gegen das Nicht-Ich abgrenzen. Es verliert an Identität und wird sich selber zweideutig. Diese Zweideutigkeit der Reflexion im Verhältnis zu sich selbst ist der eigentliche Sinn, der der metaphysischen Unterscheidung der Menschen in Psychiker und Pneumatiker zugrunde liegt.

Wir können sagen, daß in der Antike dem Menschen die erste permanente Abbildung seiner selbst auf das Objekt geglückt ist. Permanent war diese Abbildung deshalb, weil die Welt in ihr als endliche interpretiert wurde und in dieser letzteren Eigenschaft die Kraft besaß, die auf sie geworfene Reflexion festzuhalten. der Preis dieser Ich-Introjektion war allerdings, daß das Objekt in ihr zweideutig wurde. Auf der magischen Seite begegnen wir dem komplementären Vorgang. Wiederum ist die Abbildung erfolgreich, weil auch hier die Welt in der Raumkonzeption der Höhle als endlich erlebt wird, aber wiederum muß der Tribut dafür gezahlt werden, daß das Abbildungsmedium nicht der unendlichen Kapazität des Subjektiven gerecht werden kann. Das Resultat der Introjektion ist auch diesmal zweideutig. Nur ist es diesmal nicht das Objekt, sondern das Subjekt selbst, dem diese Doppeldeutigkeit anhängt. Der Raum vertritt in diesem Weltgefühl nämlich die Rolle der Subjektivität. Die magische Höhlendimension ist wesentlich ein Seelenraum. Seine räumlichen Abstände sind spirituelle Distanzen und seine Durchdringlichkeit entspricht der Transparenz des Bewußtseins. Und genau so wie das Ich vom inneren Licht des Begreifens erleuchtet ist, so wird der Raum in den Lichtstrahlen, die seine Dimension ausmessen, erst dem Auge offenbar. in diesem Gegensatz zwischen bloßer transparenter Dimension und dem Licht, das dieselbe sichtbar macht, wir die Zweideutigkeit des Subjekts reflektiert. Als introjiziert in die absolute Widerstandslosigkeit der ungegenständlichen Räumlichkeit ist das Ich frei und nur mit sich selbst identisch, aber als Teil des Lichtes, das diesen Raum erst offenbar macht, ist es in dem "optischen" Gesetzeszusammenhang der Transparenz gefangen, in dem Licht und Raum sich zusammen als Pleroma konstituieren. Theologisch gesprochen: die Subjektivität ist prädestiniert.

Der unlösbare Gegensatz von Freiheit und Prädestination ist das metaphysische Grundproblem, das den Menschen der magischen Welt bewegt hat, und in ihm erscheint er sich selbst essentiell zweideutig als Pneumatiker oder Psychiker. Als Pneumatiker ist er frei, als Psychiker hingegen ist er vollkommen determiniert. Er steht in der letzteren Eigenschaft genau zwischen der Fülle des und der spirituellen Substanzlosigkeit des und ist von Ewigkeit her für das eine oder das andere prädestiniert. Das Kenoma ist der selbe Raum wie das Pleroma, aber entleert von allen Lichtstrahlen und darum finster und trotz aller Widerstandslosigkeit transparenzlos wie die unterste Materie. Projiziert auf diesen doppelten Aspekt des Raums als bloße widerstandslose Ausdehnung und als System der Sichtbarkeit in Lichtbeziehungen bleibt der Mensch sich in der magischen Kultur ebenso tief zweideutig wie ihn auf der antiken Seite das Objekt seine Identität in der Zweideutigkeit von Sein und Wahrheit verliert. Bei den Griechen resultiert die Abbildung des Ichs auf die Welt in dem paradoxen Satz, daß die Wahrheit (die geheimste subjektive Innerlichkeit) in Wirklichkeit das öffentliche und Objektive ist; beim magischen Menschen hingegen entwickelt sich das Paradox, daß die Identität des Ichs mit sich selbst in Wahrheit Nichtidentität im Fleisch und damit Prädestination sein muß. Dadurch, daß das Subjekt Fleisch wird, d.h. sich nur in der Substanz identifiziert, ist es der Erbsünde, d.h. der Unfreiheit verfallen. Es kann nicht anders als sündigen (non posse non peccare). Angesichts der substantiellen Einheit des ganzen Menschengeschlechts hat in Adam jeder Mensch gesündigt. Deshalb ist jedes Ich der Gnade bedürftig. Aber daß dem Subjekt diese Gnade zuteil wird, hat es nicht verdient. Folglich, meint St. Augustin in Verteidigung der Prädestinationslehre, ist es keine Ungerechtigkeit, wenn Gott diese Gnade, auf die niemand Anspruch erheben darf, nicht allen sondern nur einigen - und es bleibt völlig unbegreiflich, wer im einzelnen Fall von der Gnade erwählt wird - von oben her zuwendet. Dieser Gnadenwahl aber entspricht der Zwang der göttlichen Gerechtigkeit, daß bei einem Teil der Menschheit die Strafe für den Fall Adams und Evas im Paradiese aufrecht erhalten werden muß. (Denn geschieht dies nicht, dann wäre der Fall nachträglich gerechtfertigt und die Erbsünde kein Abfall mehr!). Da aber diejenigen, die erwählt sind, alle gleich sündig und zur Besserung aus eigener Kraft unfähig sind, geschieht die Wahl der Begnadeten nicht nach der individuellen Würdigkeit sondern nach dem unerforschlichen Ratschluß Gottes. [111] Wen er erlösen will, dem wendet er seine erleuchtende Gnade mit der sie begleitenden Kraft zu (gratia irresistibilis); wen er aber verwirft, und wessen Namen er nicht in das Buch des Lebens schreibt, der bleibt auf ewig unerlöst.

Dazu bemerkt W. Windelband in seiner Darstellung der Philosophie St. Augustins: "In der Prädestinationslehre erstickt somit ... die absolute Kausalität Gottes den freien Willen des Individuums. Dem letzteren wird mit der metaphysischen Selbständigkeit auch alle Spontaneität des Tuns abgesprochen: entweder bestimmt ihn seine Natur zu Sünde oder die Gnade zum Guten ... Es wird immer eine erstaunliche Tatsache bleiben, daß der selbe Mann, der seine Philosophie auf die Selbstgewißheit des bewußten Einzelgeistes gründete, der das Senkblei feinster Prüfung in die Tiefen der inneren Erfahrung warf und im Willen den Lebensgrund der geistigen Persönlichkeit entdeckte, sich ... zu einer Ansicht der Heilslehre gedrängt sah, welche die Handlungen des Einzelwillens als unabänderlich bestimmte Folgen entweder einer generellen Verderbnis oder der göttlichen Gnade betrachtete. Individualismus und Universalismus in der Auffassung der seelischen Wirklichkeit ist kaum durch die Vieldeutigkeit des Wortes Freiheit verdeckt, das in der einen Richtung nach seiner psychologischen, in der anderen nach seiner ethisch-religiösen Bedeutung verstanden wird." [112]

Zu der Vieldeutigkeit des Wortes "Objektivität" bei den Griechen tritt jetzt in den magischen Weltbildern die Vieldeutigkeit des Wortes "Freiheit" hinzu, die darauf deutet, da sich in dieser Introjektion des Ichs in die Realität die Seele zu einem unbegreiflichen Rätsel wird. Die vielgerühmte Entdeckung der reinen theoretischen Einstellung des griechischen Menschen gegenüber seiner Umwelt beruht darauf, daß ihm in seiner auf den Körper abgestimmten Introjektion das Sein zu einem Rätsel wird und er beginnt, hier etwas fragwürdiges zu entdecken. Diese Fragwürdigkeit, die seine Verwunderung ( ) anspornt, entspringt aus der Erfahrung, daß ihm die Wirklichkeit zugleich als objektive Gegenständlichkeit im Anderssein und überdies als objektive Wahrheit, als innerliches Selbstsein entgegentritt und sich ihm in einem dauernden Identitätswechsel entzieht. Von nun an strebt sein Wissen danach, das Gesetz dieses Identitätswechsels zu entdecken. Dies ist ein notwendiges Bedürfnis, das von der drängenden Einsicht motiviert wird, daß andernfalls das Bewußtsein sich in der zweideutigen Gestalt seiner Introjektion unweigerlich verlieren muß. Deshalb fragen die ionischen Naturphilosophen zuerst danach, was es ist, das seine Identität dauernd im eigenen Gegensatze aufgibt. Es ist die Frage nach dem Urgrund. Und es tut wenig zur Sache, ob Thales antwortet, daß es das "Wasser" ist oder ob die platonischen Dialoge uns in den subtileren Identitätsbegriff der "Idee" einführen. In beiden Fällen ist es nur eine Name für jenes unbekannte Dritte, in dem die Doppelsinnigkeit der objektiven Welt eine einsinnige Lösung finden soll. Genau die inverse Situation begegnet uns in der magischen Konzeption der Realität. In dieser vom endlichen Körper auf den geschlossenen Raum verlegten Ich-Introjektion wird nicht das Objekt, wohl aber das Subjekt vieldeutig. Während seit den Griechen das Wort "Objektivität" zwischen den Bedeutungen von "Gegenständlichkeit" und "Allgemeingültigkeit" oszilliert, entdecken wir in der Prädestinationstheorie, daß das Wort "Freiheit" zwischen "Vorbestimmung" und "Wahlfreiheit" hin und her schwankt. [113] Je innerlicher und tiefer der Mensch in seinem Selbst lebt und desto freier er dementsprechend ist, desto unausweichlicher ist seine Existenz prädeterminiert. Ein solcher Satz ist für ein Bewußtsein, das sich einseitig auf einen gesonderten Weltaspekt - d.h. die Welt als Raum, und unter thematische Vernachlässigung der Körperhaftigkeit des Daseins - projiziert, von unlösbarer Paradoxie. So wie dem antiken Menschen das objektive Sein zum Rätsel und zur aufstachelnden Frage wird, so wird dem magischen Menschen sein eigener Wille, also seine innerlichste Essenz zu einer rätselhaften Kraft, deren Gesetzlichkeit er in der Projektion in die Welt nicht mehr versteht ... mehr noch: nicht verstehen kann. Das historisch-metaphysische Apriori, unter dem sich seine Geschichte entwickelt, schließt ein solches Verständnis grundsätzlich aus, weshalb die Lösung als Gnade von Oben und als Entscheidung aus "unerforschlichem" Ratschluß erscheint.

Dies ist äußerst wichtig, die Lösung des Paradoxes wird also weder im Ich noch in der Welt gefunden, sondern in einem Dritten, das sowohl für das Objekt wie für das Subjekt gleichmäßig transzendent ist. In anderen Worten: die Lösung liegt jenseits der Geschichte und der konkreten Existenz des Individuums. Das hat zur Folge, daß dem Menschen nichts anderes als passive Ergebung in diese paradoxe Grundbefindlichkeit des Daseins übrig bleibt. Die seelische Konsequenz dieser Situation ist die Religion des Islam. "Islam" bedeutet Ergebung. Aber das Wort ist wieder doppelsinnig! [114] Einmal bedeutet es Preisgabe des Willens mit der daraus resultierenden Passivität, dann aber auch aktivste Übernahme und Durchführung des Willens Gottes. In dieser Situation ist nur eins gewiß: das Individuum kennt in beiden Fällen seinen "eigenen" Willen nicht. Sowie dem antiken Menschen das Sein zum Rätsel wurde, so wird in inverser thematischer Ausrichtung seines Weltbewußtseins dem magischen Typ seine Seele zweideutig und rätselhaft. Dies führt zu der Theorie vom Seelendualismus, denn wenn man das eigene Ich nicht eindeutig identifizieren kann, bleibt nichts anderes übrig als die sich widersprechenden und einander ausschließenden Identifikationsmotive, in denen die Reflexion sich auf sich selbst orientiert, zwei verschiedenen Identitäten der Subjektivität zuzuschreiben. Vorbereitet ist diese Tendenz bereits in der älteren persischen Unterscheidung von "spenta mainyu" und "angra mainyu", d.h. von heiligem und unheiligem Geist. Später klärt sich dieser Gegensatz in die spirituelle Stufendifferenz von Geist und Seele ab. Im Hebräischen haben wir dementsprechend "ruach" und "nephesch", während im Griechischen dieser Unterschied durch die Termini "pneuma" und "psyche" bezeichnet wird. Hinter dieser Differenz verbirgt sich die doppelte Identität der Subjektivität als öffentlich-objektiver und innerlich privater. Sie spiegelt den unterschied der unmittelbaren Erfahrung der subjektiven Innerlichkeit im Ich und ihrer vermittelten Bewegung im objektiven Du der anderen Person.

Es ist wichtig, sich der tiefen metaphysischen Verschiedenheit dieser magischen Auffassung von der indischen Unterscheidung von "atman" und "brahman" und später von "ahamkara" und "buddhi" bewußt zu sein. [115] Bei den indischen Termini handelt es sich um reflexive Tiefenstufen der mit sich selbst identischen Subjektivität. Es ist ein und dieselbe Seele, die sich in Indien gegen die Welt in näheren und entfernteren Reflexionsschichten absetzt. Was den magischen Menschen hingegen innerlich beschäftigt, ist die bis dahin historisch nicht realisierte Erfahrung, daß die Subjektivität zwei sich widersprechende Identitäten (Seelen) besitzt: erstens ihre private Identität, in der sich der Welt vorbehaltenden Innerlichkeit, und zweitens eine öffentliche, anerkennbare Identität als existentielle Person zwischen den Dingen. Die unbezweifelbare Tatsache, daß sich die Selbst-Erfahrung der Subjektivität um zwei verschiedene und von einander unabhängige Brennpunkte der Identität sammelt, ist uns in der ontologischen Differenz zwischen "Ich" und "Du" gegeben. Die Innerlichkeit als Ich ist immer privat, unmittelbar und unanerkennbar. Als "Du" aber ist die selbe Innerlichkeit öffentlich, erzwingt Anerkennung und ist ontisch-allgemein.

Das Sein hat eine einfache Identität mit sich selber. Es ist deshalb, transzendental betrachtet, bloße Natur (natura naturata). Es mag als solche doppeldeutig sein, wie das in der philosophischen Thematik der Ontologie in der Tat der Fall ist, aber diese Doppeldeutigkeit betrifft stets die selbe Identität, oder genauer gesagt, welchen Sinn auch immer das Sein gegenüber dem Bewußtsein annimmt, es verliert in seiner Doppeldeutigkeit als Gegenstand und nicht-gegenständlicher Sinn niemals seine ursprüngliche Qualität der unmittelbaren und unveränderlichen identischen Einheit mit sich selbst. Das der Griechen ist der in sich ewige und ruhende Weltgrund, aus dem sich die Doppelsinnigkeit des und erst nachträglich entfaltet. Je näher etwas diesem absolut einen steht, desto mehr objektive Identität besitzt es und desto eindeutiger bestimmt sich seine Existenz und verschmilzt in sich die relativen Gegensätze des Dies und des Anderen in dem unbeweglichen wahren Sein ( ) des absoluten Wesens ( ). Aber das ist griechisch und der Ausdruck eines Weltgefühls, daß sich von dem absoluten Widerstand des Gegenstandes beugt und ganz in der Öffentlichkeit der Seinsgesetzlichkeit aufgeht. In der klassisch-antiken Einheit von Subjekt und Objekt dominiert die metaphysische Thematik der Objektivität uneingeschränkt, und das Subjekt verschwindet vollkommen in ihr. Was von ihm in dieser radikal seinsthematisch begriffenen unmittelbaren Identität beider nicht aufgehen will, ist bloßer Irrtum einer ontologisch verlorenen Reflexion. Das ist die Bilanz einer Weltanschauung, die den Sinn der Wirklichkeit mit dem des (endlichen) Körpers identifiziert. Subjektivität ist für das antike Bewußtsein nur Prädikat am Sein. Deshalb ist für die antike Philosophie "die Seele im Grunde ein Es, ein Unpersönliches, ein Naturfaktor... Der Gedanke, daß die Seele gerade als einsame Seele vor Gott steht und seinen Blick auf sich ruhen fühlt, ist ... nicht antik. Der Christ, dem großen Beispiel der Propheten und Jesu folgend, spricht zu Gott im Gebet, als Ich zum DU, als umschlossene Persönlichkeit zur anderen, wenn auch unermeßlich erhabenen." [116]

Antik betrachtet hat das Ich nur eine Identität, nämlich im Sein und als Sein. D.h. seine Identität ist objektive Existenz ganz wie die jedes anderen Körpers. Es ist evident, daß dies nur die halbe Wahrheit sein kann, denn diese metaphysische Position läßt völlig unerklärt, woher es kommt, daß die Identität des Ichs fähig ist, auf sich selbst zu reflektieren, während dem bloßen Gegenstand diese Eigenschaft fehlt. Wäre wirklich alle Identität nichts als Seinsidentität, dann müßte nicht nur das Subjekt sondern auch das Objekt Selbstreflexion besitzen. Aber in der antiken Weltanschauung geht die Subjektivität im Objekt unter - und kehrt aus ihr erst in der absolut öffentlichen Gestalt des Geistes, d.h. als (Natur)Wissenschaft zurück.

Die magische Weltintrojektion des Ichs hingegen hat invers Folgen. Die Welt wird hier nicht als Inbegriff aller Körper interpretiert. Folglich wird das Sein des Absoluten nicht mehr in der Undurchdringlichkeit des Gegenstandes und seinem unüberwindlichen Widerstand gegen die Reflexion gesucht. Die Welt, in die sich die magische Subjektivität einbildet, ist nicht starrer Körper sondern transparenter Raum. Somit wirft die Objektivität dem Ich jetzt nicht mehr die gleichgültige und unbewegliche Indifferenz der faktischen Existenz entgegen, eine Indifferenz, an der die Subjektivität sich aufgeben und selber in objektives Sein übergehen muß; die Welt als Raum ist durchdringlich und damit subjektiv erfüllbar. Dominierte in der antiken Existenzform des Bewußtseins die ontologische Seinsthematik und absorbierte alle legitime Subjektivität, so regiert auf der magischen Seite unbestritten die meontische Thematik der Innerlichkeit. Zwar einer Innerlichkeit, die sich in einer endlichen Welt gefangen hat und aus derselben nicht mehr abfließen kann, die aber von der Objektivität nicht mehr überwältigt wird, sondern die die letztere thematisch beherrscht und alle welthafte Existenz in sich auflöst. Deshalb füllt sich die Welt als leere Höhle ( ) mit dem magischen Licht, das sich von oben in sie hinein ergießt und sie allmählich zu einer inhaltlichen Fülle ( ) anwachsen läßt. Aber die Substanz aller dieser Gegenstände, mit denen sich die Höhle füllt, ist metaphysisch betrachtet Subjektivität. Deshalb behält die "objektive" Existenz in dieser Welt einen transparenten Charakter, hat eigene subjektive Beweglichkeit und ist bereit, im gegebenen Augenblick die eigene Gestalt zu verwandeln. Das beginnt bei der Verwandlung der niederen Erdstoffe im alchemistischen Prozeß, setzt sich in der Welt des arabischen Märchens in der Verwandlung der lebendigen Gestalten von Pflanzen, Tieren, Menschen und Dämonen fort und führt schließlich zu der Metamorphose der Identität der Seele in der Prädestination.

Die antike Seele, die in den Körper projiziert worden ist, hat nur eine Identität als primordiales Sein ( ) [117] Das magische Ich hingegen besitzt zwei deutlich geschiedene Identitäten: die eine wird durch den eigen Willen bestimmt, die andere durch die Prädestination. Die Idee des uns heute so anstößigen Prädestinationsbegriffes fließt aus dem Bemühen zwei Identitätszentren der Subjektivität zu etablieren, ohne daß die zweite Identitätsbestimmung aus dem absoluten Objekt herkommt. Man mache sich die transzendentale Situation der magischen Seele einmal voll gegenwärtig. Die Welt ist Raum - in einer lebendigen Spannung vom absolut leeren Kenoma bis zur Fülle des Pleroma. in diesem Raum bestimmt sich die einsame Subjektivität als Psyche durch ihren eigenen Willen. Sie ist aber, da sie sich aus dieser Welt nicht mehr zurückziehen kann (nur eine unendliche Welt hat keine Grenzen und erlaubt der Subjektivität wieder aus ihr abzufließen) nicht nur durch sich selbst sondern auch durch ihre Welthöhle bestimmt. In dieser Bestimmung ist sie Pneuma. Da diese Welt aber innere Transparenz ist, muß jene zweite Bestimmung, die "von Außen" kommt, ebenfalls transparent, d.h. innerlich sein. Sie kann also nicht vom undurchdringlichen Objekt (absolutes Sein) herstammen wie in der Antike. Ihre Quelle muß die Subjektivität selbst sein, aber eine Subjektivität, die relativ zu jedem empirischen Ich im Weltverhältnis steht. Damit ist gemeint, daß jener zweite transzendentale Wille, der die Person "von Außen" her bestimmt, nicht im Umtauschverhältnis von Ich und Du mit dem prädestinierten Subjekt stehen kann. Ein solches Umtauschverhältnis der empirischen Ichs untereinander ist eine symmetrische Relation in der Welt. Das Verhältnis des Individuums zu dem es prädestinierenden göttlichen Willen ist zwar auch eine Ich-Du-Relation. Dieselbe aber ist weder symmetrisch (d.h. sie ist kein Umtauschverhältnis, in dem das Ich an die Stelle des Du treten kann) noch ist sie eine Beziehung, die in der Welt existiert. Sie ist vielmehr der Ausdruck des Grundverhältnisses, in dem das einsame Ich zum Ganzen steht. Wir nannten das das Weltverhältnis der Subjektivität.

Was die Idee der Prädestination der Seele nun impliziert, ist folgendes: dieses Weltverhältnis soll nicht objektiv und - hegelsch gesprochen - "äußerlich" sein, d.h. unter ihm ist keine Relation zu verstehen, die aus der Subjektivität herausführt und sich von ihr aus hin zu einem indifferenten Objekt und zur Undurchdringlichkeit des Seins an sich erstreckt; der prädestinierende Wille Gottes etabliert vielmehr eine Relation, die zwar aus der Innerlichkeit des privaten Willens der einzelnen Person in ein Anderes übergreift. Aber dieses Andere ist ebenso innerlich und von gleicher subjektiver Intensität wie die Psyche des Individuums. Es ist das Pneuma: jene zweite Innerlichkeit des Menschen, in der er sich nicht selbst privat bestimmt, sondern allgemein bestimmt wird. Von diesem Verhältnis spricht der Apostel Paulus, wenn er schreibt:

Ich lebe aber; doch nun nicht ich,

sondern Christus lebet in mir. [118]

in diesen Worten sowohl wie in der allgemeinen Prädestinationslehre des magischen Weltbewußtseins ist der alte spekulative Gedanke ausgesprochen, daß innere Freiheit nicht ein Minus an Determination sondern gerade im Gegenteil ein Mehr an innerlicher Determiniertheit bedeutet. Der Unterschied in der Bestimmung der Innerlichkeit durch den psychischen, den "eigenen" Willen und der Prädestination des Ichs durch den pneumatischen, den göttlichen Willen ist der, daß wie bereits angedeutet, die Selbstbestimmung der Psyche von absoluter, nicht kommunizierbarer Privatheit ist. In ihr ist die Innerlichkeit in sich selbst isoliert und deshalb transzendental impotent. Der Prädestination aber sind alle Seelen in gleicher Weise "ohne Ansehn der Person" und ohne Würdigung des individuellen Verdienstes unterworfen. D.h. nur die Psyche des Menschen ist privat - seine Innerlichkeit im Pneuma aber ist öffentlich. Daß die tiefste Innerlichkeit des Ichs vollkommen öffentlich und unprivat ist, ist die paradoxe Glaubensthematik des magischen Bewußtseins, die sich im Islam schließlich in der Gestalt einer Weltreligion kristallisiert.

Diese Idee der pneumatischen Innerlichkeit, die von gleicher subjektiver Intensität wie die Psyche und doch dabei vollkommen öffentlich und allgemein - verbindlich ist, hat zu der historisch bedeutendsten Schöpfung der arabischen Jurisprudenz, der nicht physischen (pneumatischen) Rechtsperson geführt. Das antike Recht erwirbt seine Allgemeinheit und öffentliche Gültigkeit dadurch, daß es ein Recht ontischer Seinsrelationen, d.h. ein Sachenrecht auch dort ist, wo von Personen die Rede ist. Es ist ein Recht der Körper. Denn nur der Körper (auch des Menschen) ist öffentlich. Im arabischen Recht hingegen wird zum ersten Mal vorausgesetzt, daß auch das Nichtkörperliche, physisch nicht vorhandene eine öffentliche, allgemein verbindliche Geltung hat. Die pneumatische Gemeinde, d.h. der Verband aller derer, die sich dem Willen Gottes ergeben haben, ist eine juristische Person. [119] Was die Gemeinde konstituiert, ist das "idjma" oder der "consensus", d.h. eine in allen beteiligten Individuen identisch realisierte Innerlichkeit, durch die dieselben im Erleben sowohl wie ihm Handeln (die Gebote halten) vollkommen determiniert sind. Eine unbeschreibliche seelische Spannung erfüllt die Gemeinde. In ihr ist der Gläubige als Ich, d.h. in der privaten Innerlichkeit erlöst, aber er ist für den Anderen das Du, also öffentliche Innerlichkeit, und als solche steht er unter dem unerforschlichen Ratschluß des ihn prädestinierenden Gottes, dem alle gleichmäßig unterworfen sind. Das Kismet ist die öffentlich in die Geschichte eingetretene Innerlichkeit, wo sie sich selbst sofort Gestalt in dem nicht körperlichen Rechts- und Handlungssubjekt der juristischen Person gibt. Diese juristische Person vertritt die Rechtsansprücche der psychisch-individuell existierenden empirischen Subjekte, deren Pneuma in der Gemeinde, d.h. im consensus objektive Wirklichkeit erlangt hat. Das arabische Recht ist darum im genauen Gegensatz zum römischen eine öffentliche Anerkenntnis innerlicher Belange. Eine Trennung von weltlichen und religiösen Angelegenheiten ist deshalb in diesem Recht unmöglich und widersinnig. Zwischen weltlichem und geistlichem Recht kann nur dort unterschieden werden, wo dem Einzelnen ein metaphysischer Widerstand gegen den göttlichen Willen verstattet ist, wo also das Heil der Seele nicht durch einen unerforschlichen Ratschluß von oben prädestiniert sein kann. Im magischen Recht aber geht die physische Einzelperson idealiter in der generellen, nicht-körperlichen Person des "consensus" auf. Das Schicksal der Prädestination, das alle gleichmäßig betrifft. ist ein innerliches Schicksal. In ihm ist deshalb die Privatheit zwar bewahrt, aber da diese pneumatische Bestimmung der individuellen Psyche von allen geteilt wird, wird das Innerliche zugleich öffentlich und objektiven Regeln zugänglich, die in den Maximen des magischen Rechts niedergelegt sind. Der Gegensatz von Innerlichkeit und Äußerlichkeit ist damit aufgehoben, weshalb nicht nur der Unterschied von weltlichen und geistlichen Rechtsansprüchen fortfällt, sondern auch der zwischen Privatrecht und Recht der öffentlichen Hand.

Es ist bemerkenswert und des öfteren von Kennern speziell des islamischen Rechtes ausdrücklich anerkannt worden, daß die Einzelperson bei dieser pneumatischen Rechtstheologie keineswegs zu kurz kommt. Alle legitimen Ansprüche des Individuums stammen aus dem Consensus. Sie sind in ihm sowohl begründet wie anerkannt. Es kann also zwischen der Privatperson und der die rechtlich vertretenden Gemeinde keine legitime Rechtsdifferenz geben. Das Pneuma umfaßt beides: den privaten Willen des Einzelichs wie die göttliche Vorbestimmung der Innerlichkeit. Bezeichnend hierfür ist die islamische Willensspekulation, die mit zwei Ichzentren der Innerlichkeit rechnet. Es wurde - speziell bei den Mu'taziliten - die These aufgestellt, daß Gott kraft eines von ihm geschaffenen Willens die Wirklichkeit bestimmt. [120] Vom Menschen her gesehen erscheint dieser Gegensatz als Differenz zwischen dem individuellen psychischen Ich der physischen Einzelperson und dem generellen pneumatischen Ich der unkörperlichen Person, die sich in der Gemeinde der Rechtsgläubigen, der Gemeinschaft der Heiligen, im consensus, im idjma - kurz in einer objektiv gewordenen Innerlichkeit einen allgemeinen bindenden Ausdruck gibt.

Was hier gewollt worden ist, ist leicht zu durchschauen: Beide, die antike wie die magische Seele haben das gemeinsam, daß sie ihre zweiwertige Subjektivität auf eine Umwelt abbilden, die laut ihrem historischen Apriori endlich ist und deshalb imstande die auf sie projizierte Innerlichkeit permanent festzuhalten. Das magische Weltgefühl aber differiert von dem antiken insofern als es sich bemüht, den innerlichen Charakter der Subjektivität in diesem Abbildungsverhältnis festzuhalten, um auf diese Weise den anderweitig unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der absoluten Privatheit der Psyche und der allgemeinen öffentlichen Verbindlichkeit ihrer objektiven Existenz aus der Welt zu schaffen. Das Problem hatte für den griechisch-römischen Geist der antiken Welt nicht existiert. Bei Plato sowohl wie bei allein seinen legitimen Vorgängern und Nachfolgern wird die Innerlichkeit so in das (öffentliche) Sein aufgesogen, daß sie in ihm thematisch verschwindet und nicht mehr fähig ist, legitime Rechtsansprüche subjektiver Herkunft aufzustellen. soweit das Recht des Menschen "göttlich" ist, hat es seine Wurzel in der "Natur", d.h. im gegenständlichen Sein. Es ist Naturrecht, d.h. abstrakte Vernunft in der Kontingenz; deshalb ist es subjektiv betrachtet formal und idealistisch normativ, und objektiv gesehen dringlich und ein Recht der körperlichen Existenz. Im Gegensatz dazu ist das fundamentale Rechtsthema des magischen Bewußtseins die Person, oder besser: ihr spiritueller Kern, die Seele. Deshalb ist die Quelle des antiken Rechtes die Faktizität der objektiven Welt, die des magischen Rechts aber der Wille. Ob man in der antiken Welt zu einer Rechtsgemeinschaft gehörte oder nicht, lag vollständig jenseits des Willensbereiches der Person. Man was Angehöriger eines solchen Verbandes durch des Faktum der Geburt oder anderer ebenso objektiver Daten (administrative Einbürgerung, Freilassung) wie z.B. die constitutio Antoniana des Caracalla [121] , durch die auf dem Erlasswege allen vollfreien Provinzialen das römische Bürgerrecht verliehen wurde.

Worauf es ankommt ist die Tatsache, daß dem Individuum sein Recht aus objektiven Tatsachen, über die der Wille keine Gewalt hat, zufließt. Die Ansprüche der eigenen Innerlichkeit sind machtlos, sie zählen nicht in der Welt, und durch sie kann kein Recht erworben werden. Diese Situation änderte sich radikal, als das magische Bewußtsein das Imperium Romanum überwältigt und Konstantin in instinktivem Begreifen der neuen historischen Situation die imperiale Residenz nach Byzanz verlegt. Das Christentum wurde zur Staatsreligion erhoben und von jetzt ab ist das antike römische Reich ein magischer Staat, dessen Umfang nicht mehr geographisch-physisch definiert werden soll (die alte Limespolitik ist längst in Verfall geraten [122]), sondern der idealiter mit der Zahl aller Rechtsgläubigen zusammenfällt. Johannes Chrysostomos entwirft das Bild eines Christlichen Gottesstaates auf Erden, und für Justinian hängt die Einheit des Reiches von der Einheit der Religion bei den Bewohnern des Imperiums ab. [123] Ganz unantik aber echt magisch wird das metaphysische Problem, Monophysitismus oder Dyophysitismus, zu einem weltlich-politischen. Die Zugehörigkeit zu einer politischen Fraktion ist identisch mit dem Bekenntnis zu einem spezifischen theologischen Dogma. [124] Einem solchen Staatswesen gehört man nicht durch das Faktum der Geburt an und man wird in dasselbe nicht durch einen administrativen Erlaß eingebürgert. Bürger einer magischen Nation wird man durch den Glauben, durch den Anschluß an den pneumatischen Consensus. Die Zugehörigkeit ist also eine innerliche und sie ist ganz von dem personalen Willen abhängig, dessen Quelle - phänomenal betrachtet - die eigene Psyche ist und - transzendental - der Wille Gottes ist. Die Zugehörigkeit zu einem antiken Staat ist faktisch physisch, die zu einer magisch-politischen Gemeinschaft ist nicht-physisch [125] und sie wird durch einen rituellen Eintritt (z.B. die Taufe) vollzogen, in dem das Individuum sein inneres spirituelles Bürgerrecht symbolisch bestätigt bekommt.

Beide Rechtsauffassungen, die antike sowohl wie magische, stehen unvermittelt nebeneinander und haben sich in ihren Konsequenzen auch in der späteren abendländischen Hochkultur erhalten. Ein Ausdruck echt antiken Rechtsgefühls ist das "habeas corpus" aus der entsprechenden Akte Karls II. von 1679. Die Frage der Schuld ist identisch mit der, wer den Körper des Angeschuldigten besitzen soll, der Staat oder der Angeschuldigte selbst. Diese Formel ist ein wesentlicher Bestandteil des angelsächsischen Rechtes, von wo aus sie in das amerikanisch Rechtswesen eingegangen ist. [126] Ein charakteristisches Zusammenwirken magischer und antiker Rechtsmotive in einem "dyaphysitischen " Verfahren ist in der bekannten Prozedur der Inquisition zu sehen, in der dem angeklagten Häretiker kein Verteidiger zugestanden wurde [127] und in der derselbe, wenn zwei glaubwürdige Zeugen ihn beschuldigten, ipso facto als schuldig angesehen wurde. Dies ist von den Kritikern der Inquisition fast immer mißverstanden worden. Hier spielen Motive einer magischen Innerlichkeit hinein. Die Inquisition war kein Gericht, das die Absicht hatte, einen objektiven, von einer Partei bestrittenen und von der anderen behaupteten Tatbestand festzustellen, sie war vielmehr als seelsorgerische Institution gedacht, die sich der Aufgabe widmete, spirituelle Differenzen zu korrigieren. Wenn jemand von zwei glaubwürdigen [128] Zeugen angeklagt war, so galt dies dem Zeitgefühl als zureichender Beweis, daß die betreffende Person aus dem allgemeinen consensus der gläubigen Gemeinde ausgefallen war. Der Inquisitor war keinesfalls genötigt, einer Anzeige nachzugehen, wenn es ihm schien, daß die gegen den Häretiker protestierenden Personen nicht den geistlichen consensus der Gemeinde repräsentierten. Tat er es aber, so galt die zu untersuchende spirituelle Situation als etabliert und ein Verteidiger, wenn ein solcher zugelassen worden wäre, würde sich in der unmöglichen Position befunden haben, gegen den consensus der Kirche Stellung zu nehmen. Überdies ist die Institution der Vertretung durch den Anwalt ein institutionalisierter Ausdruck der Überzeugung, daß nur objektive Tatbestände und Relationen (auch auf der psychologischen Seite) Gegenstand der Verhandlung bilden sollen und daß innere subjektive Belange und private Wertsetzungen von der Diskussion ausgeschlossen bleiben sollen. [129]

Indem der Angeklagte den Anwalt für sich sprechen läßt, zeigt er damit an, daß sein Ich nur als objektives, öffentliches vor Gericht steht, und daß er sich im übrigen eine subjektive Privatheit reserviert, die auch der Gerichtshof nichts antasten kann. Es ist aber gerade diese intimste Privatheit des einsamen Ich, die Gegenstand der Inquisitionsprozedur sein soll. [130] Die Inquisition macht es zur Aufgabe des geistlichen Richters, das private Ich von seiner Abweichung vom consensus zu überzeugen und in den allgemeinen Zusammenhang des Pneuma zurückzuführen. Das setzt eine direkte Ich-Du-Beziehung voraus, aus der jede dritte Person (die in diesem Fall das "Es" der Welt repräsentiert) ausdrücklich ausgeschlossen ist. Zweck der inquisitiven Prozedur war die Wiederherstellung des unterbrochenen consensus zwischen dem häretischen Subjekt und der Kirche, wobei dem untersuchenden Kleriker die Rolle des Mittlers zufiel. Die Strafen, die verhängt wurden, waren deshalb auch nur geistliche Bußprozeduren, die je nach der Schwere des Falls von leichten Übungen ganz privaten Charakters zu den schwereren und demütigenden öffentlichen Bußen (poenae confusibiles) und von da zu leichterer und schwerster Einschließung (murus largus und strictus) fortschritten. Jedenfalls waren sie durchweg als psychische Strafen gemeint, die sich in der Dimension des Subjektiven vollziehen und dort ihre heilsame Wirkung haben sollten. Der murus largus und strictus war schon seit vielen Jahrhunderten in byzantinischen Klöstern in Gebrauch gewesen. [131]

Die Häresie aber war eine Erscheinung, die mitunter sehr intensive weltliche, soziale und politische Folgen hatte. Sie unterlag deshalb nicht nur einem geistlichen Recht, das sich - theoretisch wenigstens - ausschließlich auf spirituelle Daten und Relationen bezog. Sie hatte in den schweren Fällen auch weltliche Rechtsfolgen: den weltlichen Kerker oder die Todesstrafe. Das war aber nicht Sache der Kirche, weshalb in den dafür in Betracht kommenden Prozessen die Prozedur der Inquisition damit endete, daß der hartnäckige Ketzer dem weltlichen Arm übergeben wurde. Die Kirche distanzierte sich von diesem Verfahren. Ecclesia abhorret a sanguine. Die alte magische Tradition der Kirche hatte sich unmißverständlich gegen die Todesstrafe für Ketzer erklärt. Origenes, Cyprianus, Lactantius, Chrysostomus und St. Augustin hatten hier unzweideutig Stellung genommen. Damit, daß der Körper des Ketzers vernichtet wird, ist spirituell weder für ihn noch für andere etwas gewonnen. Aber die antike Haltung ist genau entgegengesetzt. [132] Wir begegnen einem von der Antike beeinflußten Denken in objektiv körperlich thematisierten Begriffen, wenn in der Ekloge Leos III. jenes System infamer Leibesstrafen auftritt, das mit relativ leichten körperlichen Züchtigungen beginnt und von da zum Handabhauen, Abschneiden der Nase oder Zunge oder gar zum Blenden führt. Mit dem thematischen Überwiegen antiker Denkmotive im Abendland verliert die Stellung der Kirche im Hinblick auf die Todesstrafe für Ketzer etwas von ihrer Eindeutigkeit. Das geistliche Gericht verhängt zwar auch jetzt grundsätzlich keine Todesstrafe, aber sie läßt es zu, daß dies durch da weltliche Gericht geschieht. [133] Die Verteidigung dieses Standpunkts durch Innocenz II. hatte allerdings noch sehr apologetisch geklungen. [134] Rechtlich betrachtet geschah in der Übergabe des Ketzers an den weltlichen Arm nichts anderes, als daß die Kirche ihren Schutz von dem Unbußfertigen zurückzog und seinen Körper zur "gebührenden Beachtung" (animadversio debita) den politischen Gewalten abtrat. [135] In diesem Euphemismus distanzierte sich das geistliche Gericht von dem, was dann weiter geschah. [136] Trotzdem muß gesagt werden, daß der Ruf, in den die Inquisition gekommen ist, zumindest für ihre frühere Periode keinesfalls zutrifft. Sie bedeutete mit ihrem Eingehen auf seelisch Motive nicht nur einen Fortschritt über die summarische Justiz der gleichzeitigen weltlichen Gerichte, die Zahl der Opfer, die der säkularen Gerichtsbarkeit übergeben wurden, ist gleichfalls sehr übertrieben worden. Die überwiegende Arbeit des Inquisitors war seelsorgerisch, und seine Strafen beschränkten sich auf geistliche Bußen. Von den 930 Prozessen, denen der berühmte Großinquisitor Bernard Gui vorgesessen hat, endeten nur 43 damit, daß die Opfer dem weltlichen Arm übergeben wurden (relicti curiae seculari). Und auch in diesem äußersten Fall war die letzte Entscheidung über Leben oder Tod ganz in die eigene Hand des Delinquenten gelegt, dem es freistand, noch auf dem Scheiterhaufen zu widerrufen und sich dadurch vor der Verbrennung zu retten. [137] An dem Prinzip, daß die innere Entscheidung der sich dem consensus beugenden Subjektivität den Vorrang der äußeren Entscheidung der weltlichen Macht hat, wurde grundsätzlich festgehalten. Der Gegensatz von Leben und Tode transzendiert hier noch das Recht des säkularen Staates. [138] Und es bleibt dem intimsten privaten Willen der Subjektivität vorbehalten, sich der äußersten Strafe durch die Macht der weltlichen Gewalt zu entziehen.

Trotzdem ist die animadversio debita der bedeutsame Index eines metaphysischen Prozesses, der im Abendland erfolgte und in dem das antike Körperrecht das spirituelle Seelenrecht des magischen Bewußtseins mehr und mehr dominiert.


Footnotes

[1] Der Taoismus predigte bezeichnenderweise die Abkehr von der Geschichte.

[2] Es gibt in dieser Spätzeit nur noch "Privatgeschichte, private Schicksale, privaten Ehrgeiz, von den kümmerlichen Nöten des Fellachen angefangen bis zu den wüsten Fehden der Cäsaren um den Privatbesitz der Welt." O. Spengler, Untergang I, S. 542

[3] Es ist einer der folgenschwersten Irrtümer der Spenglerischen Geschichtsphilosophie, wie überhaupt aller Kulturzyklentheorien, daß hier angenommen wird, daß eine gegebene Kultur voll-repräsentativ für das subjektive Seelentum ist, das sich in ihr symbolisch Realität gibt. Die Konsequenz dieses Irrtums ist, daß Geschichte nicht durch eine solche Kultur hindurch und über sie hinaus gehen kann. Es existiert dann nämlich weder ein historisches Seelentum, das einen geschichtlichen Boden für einen solchen Zyklus vorbereitet, noch darf ein subjektiver Restbestand angenommen werden, der in dem betr. Zyklus nicht realisiert worden ist und der - weil er ebenfalls nach historischer Repräsentation drängt - geschichtlich über den Zyklus hinausführt. Für Spengler ist eine individuelle Hochkultur nicht partial - sondern voll - repräsentativ für ihr Seelentum. Deshalb gibt es weder vor ihr noch nach ihr echte Geschichte für den Menschentyp, der ihr angehört.

[4] Wir betrachten die metaphysische Existenzform des primitiven Menschen als Geschichte erster Ordnung. Die des Menschen auf der zweiwertigen Bewußtseinsebene der regionalen Hochkulturen als Geschichte zweiter Ordnung. Wenn es uns gelingt, die Idee einer menschlichen Bewußtseinsform zu konzipieren, die das Zweiwertigkeitsprinzip des subjektiven Erlebens verleugnet, so müßten wir die Welthistorie, die aus jener neuen Bewußtseinslage resultiert, als Geschichte dritter Ordnung bezeichnen. Aus dem oben im Text gesagten geht hervor, daß relativ zu einem gegebenen geschichtlichen Niveau das vorangehende nicht mehr als Geschichte sondern als Natur erscheint. Wir sprechen bezeichnenderweise von "Naturvölkern", wenn wir von unserer Konzeption der Geschichte her auf die primitive Kultur zurückblicken. Umgekehrt würden für einen zukünftigen Historiker der Geschichte dritter Ordnung der indische, der chinesische, der antike und der faustische Mensch als Repräsentanten der Naturvölker "zweiten Grades" erscheinen. Das was entschieden ist, ist nicht mehr Geschichte. Geschichte als der Boden sich realisierender Freiheit ist diejenige Existenz, die noch in der Entscheidung begriffen ist. Natur aber ist gewesene Freiheit.

[5] O. Spengler: Untergang I, S. 142.

[6] Derjenige, der die Yogatechnik vollkommen beherrscht, ist, wie es im Sanskrit heißt, ein srota panna, d.h. ein "dem Strom Entronnener". Wir begegnen hier also einem ausdrücklichen und systematisch durchgeführten Verzicht, die Reflexion als formale Motorik dadurch in ihrer Existenz zu sichern, daß man sie sorgfältig bewahrt und in die physische Wirklichkeit einbaut.

[7] W. Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen 1928, S. 354

[8] Eine Töpferscheibe, ein Spinnrad, eine Windmühle usw. sind in diesem Sinn keine Maschinen. Es fehlt ihnen die interne Kraftquelle. Sie werden von außen her bewegt und ihr motorisches Prinzip ist nicht in ihren Mechanismus integriert. Es ist gleichgültig, ob die Mühle von Wind, Wasser oder von menschlichen Muskeln bewegt wird. Diese Mechanismen haben keine Bewegungsautonomie.

[9] Dieser Terminus wurde von dem Amerikaner im Verlauf des Gesprächs ausdrücklich angewendet.

[10] Das schließt nicht aus, daß das einzelne Individuum auch weiterhin primitive Erlebnisbestände mit sich führt, die in dem neuen Bewußtseinszusammenhang als "Aberglauben" erscheinen.

[11] Wir verweisen an dieser Stelle auf die ausgezeichneten und unübertroffenen Ausführungen von Arnold Gehlen über menschliche Freiheit. Vgl.

[12] Der Terminus "Nachzügler" stammt nicht aus dem "Untergang des Abendlandes". Wir haben ihn der kleinen Schrift Oswalt Spenglers "Der Mensch und die Technik" (München 1931) entnommen. Wir lesen dort: "Die faustische, westeuropäische Kultur ist vielleicht nicht die letzte, sicherlich aber die gewaltigste, leidenschaftlichste, durch ihren inneren Gegensatz zwischen umfassender Durchgeistigung und tiefster seelischer Zerrissenheit die tragischste von allen. Es ist möglich, daß noch ein matter Nachzügler kommt, etwa irgendwo in der Ebene zwischen Weichsel und Amur und im nächsten Jahrtausend, hier aber ist der Kampf zwischen der Natur und dem Menschen, der sich durch sein historisches Dasein gegen sie aufgelehnt hat, praktisch zu Ende geführt worden." S. 63

[13] Untergang.....II. S. 361 Anm.

[14] Untergang II. S. 618

[15] Adolf v. Harnack: Lehrbuch d. Dogmengeschichte II, Tübingen 1931. S. 511. Anlässe für eine solche Belebung hätten genügend vorgelegen. Z.B. die Lehre der Chlüsten von den sieben Christussen. Die systematische Wurzel dieser Lehre geht wahrscheinlich auf Nummer 7 der 15 Anathamatismen gegen Origines zurück. Nach dieser christologischen Auffassung ist Christus für alle Geisterreiche das geworden, was er für die Menschen durch seine Menschwerdung geworden ist, so daß er verschiedenen Körper angenommen und verschiedene Namen erhalten habe. Reduziert man diese metaphysische Tiefendimension der verschiedenen Inkarnationen auf die seelische "Ebene" des russischen Erlebens, dann treten diese verschiedenen Christusse in einer (unserer) Wirklichkeitsebene, aber nacheinander in der Zeit auf.

[16] Vgl. Hiermit v. Harnack: A.a.O. s. 490. Nach der Theorie des authentischen Bildes ist Christus Gottes, d.h. sein vollkommenes "Abbild".

[17] Zitiert nach v. Harnack.

[18] v. Harneck, A.a.O.II. S. 489f.

[19] Formallogisch läuft dieses Postulat darauf hinaus, daß B äquivalent nicht-A sein soll und daß nichts außer B diese Äquivalenz mit nicht-A besitzt. In anderen Worten: das Bewußtsein besitzt erst dann endgültig wahre Realitätsprädikate, wenn alle seine Seinsbegriffe auf der selben logischen Ebene liegen, die dann zugleich die absolute Realitätsebene ist, in der die Existenz eine invariante Relation zu sich selber hat. Das ist nicht der Fall, solange die Refelexionssequenz C C' C'' C'''... existiert, die diese Relation variabel und relativ macht. Ein Beispiel soll das Postulat der klassischen Logik, daß B äquivalent non-A sein soll, erläutern. Der Satz "die Rose ist rot" wäre logisch absolut in einer Welt, in der es nichts als Farbenprädikate gäbe. "Rotsein" wäre dann ein logischer Ort, positiv A, im komplementären Farbensystem und nicht-A wäre dieses Farbensystem selbst. Ein Drittes, das etwa nicht-A außerdem bedeuten könnte - "die Rose duftet" oder "...hat Dornen", wäre dann vollkommen ausgeschlossen. In der isolierten Farbenwelt hätte B jetzt die Bedeutung: das komplementäre Farbensystem minus Rot (A). Folglich wäre B jederzeit äquivalent nicht-A.

[20] Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Ed. Glockner. Bd. XI, S. 56.

[21] A.a.O. S.49.

[22] "Die Maschine ist des Teufels! so hat der echte Glaube immer wieder empfunden. Untergang. II. S. 623.

[23] O. Spengler: A.a.O. II. S. 622f.

[24] Dieses Zitat ist Sir Galahads (B. Eckstein-Diener) "Idiotenführer durch die russische Literatur" entnommen (S. 27). Dieses äußerst unobjektive Buch gibt einige echte metaphysische Züge des russischen Bewußtseins (freilich bis zur groteskesten Karikatur entstellt!) wieder.

[25] Diese Dekomposition ist nirgends enschiedener und klarer, mit einem deutlichen Wissen um die metaphysischen Hintergründe, von denen sie sich abhebt, betont worden, als in dem in der vorangehenden Anmerkung zitierten "Idiotenführer". Die dort aufgestellten Thesen werden leider durch ein entrüstetes Moralisieren entwertet, das diesem Phänomen gegenüber durchaus nicht am Platze ist. Ein Beispiel eines solchen an sich richtig gesehenen Tatbestandes, der durch den deplacierten moralischen Gesichtswinkel verzerrt wird, ist die Schilderung Dostojewskischer Romantypen: "Vage Bündel zerknitterten Unbehagens liegen sie meist mit offenen Hemdkragen auf dem fleckigen Wachstuch ihres Schlafsofas dahin und treiben Seelenonanie, immer vom Angstschweiß irgend eines Erfürchteten verklebt; gehen dann, verkrampfte Hörige einer boshaften Schimäre, mit ihrem Tage schwanger." S. 26f.

[26] Es muß hier dem weitverbreiteten (auch von Spengler vertretenen) Glauben entgegengetreten werden, daß der Bolschewismus ein Abfallprodukt Europas sein, und der mystischen Seele des östlichen Menschen ganz unkongenial sei. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Bolschewismus ist das eigenste historische In-Form-Kommen der russischen Mentalität.

[27] Vgl. Kap. ... S. ...

[28] In präziser formallogischer Terminologie handelt es sich hier um den folgenden strukturtheoretischen Tatbestand. Je höher die Negationsstufe eines Sinnmotivs ist, desto größere materiale Implikationkraft muß es besitzen. Je schwächer eine Negation ist, desto weniger impliziert sie. Die Implikationskraft der negationsfreien Positivität hat überhaupt keine transzendentale Reichweite mehr. Das Positive impliziert immer nur sich selbst und nie "Anderes". Der Wert "D" impliziert die beiden niederen Werte, abgesehen davon, daß er sich selbst impliziert (und damit "für sich selbst" positiv ist). Wert "R" hingegen impliziert außer sich selbst nur noch "P". Und "P" schließlich reicht mit seiner Implikationskraft überhaupt nicht mehr über seinen eigenen Bereich hinaus.

[29] Wer der Entwicklung des Rechtswesens in den westlichen Ländern gefolgt ist, wird bemerkt haben, daß speziell in der Rechtsprechung des Federal Supreme Court in Washington dieses Prinzip mehr und mehr aufgelockert wird. Einen weiteren gefährlichen Einbruch stellt die kürzlich promulgierte McCarran Legislation in Einwanderungs- und Naturalisationsfragen dar. Auch hier bröckelt die westliche, abendländische Tradition ab. Der Vorgang ist trotzdem ein anderer als in Rußland. Im Bolschewismus wird die Bilanz der abendländischen Kultur gezogen und die in der letzteren repräsentierten metaphysischen Postulate werden mit einem unmenschlichen Radikalismus verwirklicht. In Amerika hingegen zerfallen die Reste der europäischen Tradition in völlig amorpher Weise, um spirituellen Möglichkeiten einer Existenz des Menschen auf einem dritten weltgeschichtlichen Niveau Platz zu machen. Hier ist niemand an einer letzten und konsequenten Durchführung der ontologisch-klassischen Daseinsform der regionalen Hochkulturen interessiert.

[30] Vgl. auch: "But consyderth well, what I ne usurpe not to fouden this werke of my labour or of myne engin." Chauser, Astrolabe, Pref. Zitiert nach The Centure Dictionary 1901. Ed. W.D. Whitney.

[31] Churchyard (1520?-1604) schreibt: "Virgil won the bays and past them all for deep engine, and made them all to gaze upon the books be made." Zitiert nach dems.

[32] Puttenham: Arte of English Poesie. S. 68: "Such also as made most of their works by translation out of the Latine and French tongue and few or nowe of their own engine." Auch B. Jonson sollte hier erwähnt werden mit: "He does't by engine and devices, He!" Devil is an ass. II,1.

[33] Akt II, Szene 5

[34] Akt III, Szene !.

[35] C. Spitteler: Olympischer Frühling I. S. 36.

[36] Magna de Naturis philosophia.

[37] Phänomenologie des Geistes (Meiner) S. 29.

[38] Ein bezeichnender hegelscher Ausdruck!

[39] Vgl. Hegels Kritik der kombinatorischen Analysis von Leibniz, die angeblich "der verrufenen Lullianischen Kunst ... an Sinnlosigkeit gleichkam." Hegel IV. S. 332. In der Monadenlehre aber zeigt Leibniz "nur die gewöhnlichen Vorstellungen, die ohne philosophische Entwicklung gelassen und nicht zu spekulativen Begriffen erhoben sind." IV. S. 168. Vgl. auch die Kritik an der Monade: III, S. 152f.

[40] Dies soll an einem ganz simplen Beispiel illustriert werden: 134 x 256 ist eine Informationsform. Wir wollen sie "a" nennen. 34304 ist eine zweite äquivalente Informationsgestalt "b". Durch die jedermann geläufige Prozedur

134 x 256

804

670.

268..

34304 kann "a" in "b" umgewandelt werden. Es ist nicht notwendig, daß für diese Umwandlung von "a" in "b" geistige Arbeit geleistet wird. Sie kann ebenso gut, de facto noch besser, durch einen Mechanismus besorgt werden, der, von einer physischen Kraftquelle in Bewegung gesetzt, gewöhnliche archimedische Hebelarbeit leistet. Der Grund dafür ist in der Tatsache zu suchen, daß wir berechtigt sind "a" und "b", resp. ihren Unterschied als ein System räumlicher Lageveränderungen physisch existierender Zeichen zu interpretieren. Es ist also hier zum mindesten ein winziges Fragment subjektiver Geistigkeit auf die objektive Seinsebene abgebildet... allerdings mit der sehr wesentlichen Einschränkung, daß das Geistige dabei nicht als Geist und Reflexion, sondern als Tatsache auftritt. Geistig gewonnen wird dabei nichts, da "a" und "b" nur verschiedene objektive Formen derselben Tatsache sind. Die Differenz von "a" und "b" produziert nur in der Reflexion ein geistiges Motiv. Im Physischen erscheint sie als leere Arbeitsenergie, die Hebel, Wellen und Zahnräder und in moderneren Formen Schaltungen aktiviert. Immerhin zeigt auch ein solches primitives Beispiel, wenn wir davon sprechen, daß am Ende der Geschichte des zweiwertigen Bewußtseins dasselbe seinen Mechanismus auf das Sein abzubilden versucht.

[41] v.Harnack, A.a.O. II. S. 437ff.

[42] Vgl. hierzu v. Harnack. A.a.O. II. S. 443.

[43] A.a.O. II. S. 446.

[44] Idiotenführer... S. 22. Dies in vielen Hinsichten so unmögliche Buch hat immerhin das große Verdienst, die Unfähigkeit des Russentums an der Geschichte der zweiwertigen Hochkulturen teilzunehmen deutlich gesehen zu haben.

[45] K. Moleschotts "Kreislauf des Lebens" erschien 1852. L. Büchner, "Kraft und Stoff" 1855. Karl Marx, "Das Kapital" 1867.

[46] So findet "Rußland ... sich stets an den Polen des (historischen) Nichts gelagert ... den beiden Extremen der Sterilität." Idiotenführer, S. 142.

[47] Vorausgesetzt wir bleiben auf derselben weltgeschichtlichen Stufe des Bewußtseins.

[48] Wenn wir in diesem Zusammenhang von "Maschine" sprechen, ist selbstverständlich immer der klassische Typus der archimedischen Maschine als letztes Produkt der zweiten weltgeschichtlichen Stufe des Menschen gemeint. Die obigen Analysen werden wenigstens teilweise falsch, wenn man sie auf den transarchimedischen Maschinentyp des "mechanical brain" anzuwenden sucht.

[49] Hegel, WW. Ed. Glockner XI: S. 117f.

[50] Der unter Domitian in Rom lebende Philosoph Epiktet war ein Sklave, der später von seinem Herrn freigelassen wurde.

[51] Ein praktisches Lehrbeispiel dieser Haltung sind z.B. die Schriften Trotzkys.

[52] Ernst Bloch: Freiheit und Ordnung. New York 1946. S. 188.

[53] Arthur Koestler: Darkness at Noon (Signet ed.) New York 1948. S. 136.

[54] Ernst Bloch, A.a.O. S. 188f.

[55] In dieser Richtung haben sich auch die Gedanken Ernst Jüngers gelegentlich bewegt, wenn er davon spricht, daß der "Automatismus", der die Existenz des (innerlichen) Individuums isoliert, zugleich einem neuen Typus, "dem Arbeiter", "Kraftquellen einer gesteigerten Aktion" liefert. Dieser Arbeitertypus gehört von jetzt an zum "intelligiblen Charakter" des Menschen. Vgl. Ernst Jünger: Der Arbeiter. Hamburg 1932, S. 258.

[56] Die genaue Länge solcher Entwicklungen ist schwer abzuschätzen. Ein einziges Jahrhundert mag ausreichen. Wir sind aber aus verschiedenen Gründen (die Rolle Afrikas in diesem Zusammenhang ist einer von ihnen) geneigt anzunehmen, daß dieser Nivellierungsprozeß erheblich längere Zeit in Anspruch nehmen wird.

[57] So hat z.B. Hubilai, der Begründer der Mongolenherrschaft in China, der persönlich ein eifriger Buddhist war, den Confucius von einem "Heiligen" (sheng-jen) zu einem "Weisen (hsienn-jen) degradiert. (1281) Doch war es um 1300 noch viel zu früh für eine generelle Nivellierung des Menschen in der östlichen Hemisphäre. Bezeichnenderweise sah sich Hubilais Nachfolger Timur gezwungen, das Ansehen des Confucius wieder voll herzustellen.

Eine solche regionale Beschränkung in der Ideenwelt des Bolschewismus ist z.B. die enge - aber durchaus überflüssige Verbindung der mechanistisch-objektiven Theorie des Lebens mit der Antithese gegen den Kapitalismus. Kapital oder nicht Kapital, das ist eine Alternative, die gegenüber dem Aufgehen des Menschen in der von ihm selbst erzeugten maschinellen Existenz ganz irrelevant ist.

[58] Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Ed. Glockner XI. S. 256.

[59] Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Ed. Glockner XI. S. 256. ???? Im Original fehlt eine gesonderte Zuordnung !!!!?????

[60] Es soll hier als genereller geschichtsmetaphysischer Grundsatz angemerkt werden, daß alle Mythologien vom Leben nach dem Tode in sämtlichen Hochkulturen eine Projektion jenes Subjektivitäsüberschusses darstellen, der sich auf das Sein nicht abbilden läßt und von ihm zurückreflektiert wird. Aus diesem Grunde ist der moderne Techniker weitgehend ein "Materialist" mit minimalen Perspektiven auf ein hypothetisches Himmelreich. Er ist so erfolgreich im Übertragen seiner Subjektivität auf die physische Existenz, daß für diese Transzendenzprojektionen kaum irgendwelche Reste seiner Reflexivität übrig bleiben.

[61] Vgl. Feuerbach, Das Wesen des Christentums (1841) und "Theologie" (1857). Auch D.F. Strauss' Das Leben Jesu (1835) gehört bereits in diese Linie (obgleich hier die idealistische These noch festgehalten wird).

[62] Merkwürdigerweise wird die genaue logische Struktur des Mythologems zum ersten Mal in einen mit mathematischer Logik durchsetzten "Kinderbuch" dargestellt. Wir meinen Lewis Carrols "Through the Looking-Glass and what Alice found there." Die Märchenfiguren dieser ungewöhnlichen tiefsinnigen literarischen Produktion sind Reflexionen im Spiegel, die aber als reelle Welt auf die "andere Seite" des Spiegels projiziert sind. Ihr Realitätsanspruch wird dadurch gewährleistet, daß das Kind Alice durch das Spiegelglas steigt und sich auf der "anderen Seite" unter seine eigenen Reflexionen mischt. Es wird am Ende dieses Buches ganz deutlich gesagt, daß die Realität des "Traums" von einem Umtauschverhältnis der Reflexionen im subjektiven Subjekt und im objektiven Subjekt abhängt. "You see, Kitty", sagt das Mädchen Alice zu seiner Katze, "let's consider who it was that dreamed it all ... it must have been either me or the Red King. He was part of my dream, of course - but then I was part of his dream too!" Dies ist die einfachste Darstellung der Relation zwischen Diesseits und Jenseits als Umtauschverhältnis in einem Reflexionszusammenhang mit sich gegenseitig ausschließendem Anspruch auf objektive (absolute) Realität. Das Grundproblem aller Jenseitsreligionen.

[63] Das ist bereits von Hegel richtig gesehen worden. Das Sinnliche und das Geistige sind nach ihm in dieser geschichtlichen Situation Momente, "die sich gegeneinander als gleichgültig verhalten ... Diese widerstrebenden Elemente zu vereinen ist die Aufgabe, und als Aufgabe in Ägypten vorhanden." Vorles. üb. d. Philosophie der Geschichte. Ed. Glockner XI. S. 265.

[64] A.a.O. XI. S. 275.

[65] Dieser Gedanke ist schon bei Leibnitz, zwar noch etwas undeutlich, in der Theodicee angedeutet. Jupiter zeigt dem Sextus seine Zukunft, bietet damit also die Rettung an, aber "Sextus konnte sich nicht entschließen, ein so großes Opfer zu bringen, er ging und überließ sich seiner Bestimmung." Die Theodicee Ed. Meiner. S. 407. Das Problem hat übrigens eine wesentlich schärfere Formulierung in der modernen amerikanischen "science fiction" Literatur gefunden. Wir finden dort eine auffällige Zahl von Kurzgeschichten, in denen der Mensch, der sich selbst in die Vergangenheit zurückversetzt, damit für alle Ewigkeit in einem Zeitzirkel gefangen ist. Es kann von jetzt an in der Zeit nur bis zu dem Punkt vorrücken, an dem ihm seine Handlung zurückversetzte. Sobald er wieder an jenem kritischen Punkt angekommen ist, vollzieht er jene Handlung wieder und wird von neuem rückversetzt. Und so ad infinitum. Vgl. dazu Ralph Milne Forleys Novelette "The Man who met Himself". The Omnibus of Time, Los Angeles 1950, S. 9-58. und die Bemerkungen Forleys zum mathematisch-physikalischen Problem der Zeit am Schluß des Buches. S. 303-315.

[66] Wie dieser Rettung beschaffen ist, wenn sie aus Gnade statt aus eigener Kraft erfolgt, hat Goethe unfreiwillig in den Schlußversen des Faust II enthüllt. Dort bittet Gretchen die Mater glorioses:

"Vergönne mir, ihn zu belehren,

Noch blendet ihn der neue Tag."

Faust ist also spirituell hinter Gretchen zurückgeworfen worden und muß von ihr Belehrung annehmen ... und zwar auf ewig, da im Himmel keine Zeit existiert, in der er ihren Vorsprung aufholen könnte. - So lehrt wenigstens die Logik der Reflexion.

[67] Diese indischen Theorien legen großen Wert darauf, daß das Diesseits als Kausalitätswelt dargestellt wird. Dies ist für den Buddhismus speziell in der Formel der "ursächlichen Entstehung" (pratitya - samutpada) der Nidanatheorie dargestellt. Dieser Begriff der Kausalität unterscheidet sich von dem, was wir im Abendlande "Kausalität" nennen, dadurch daß er physische und psychische ("spirituelle") Kausalität umfaßt. Er ist dementsprechend ungenauer, aber dafür genereller als der korrespondierende Begriff europäischer Wissenschaft.

[68] Die Frau des Fischers weiß das nicht. Mehr noch: sie "hält es nicht aus", bei einem Wunsche stehen zu bleiben: "Ik holl dat nich uut un holl dat nich länger uut ..." Die Märchen der Brüder Grimm I. Lpz. 1910, S.96.

[69] Es ist bezeichnend, daß alle psychologischen Theorien des Yoga kraß materialistisch sind. Die "Seele" ist ein technisch beherrschbarer Mechanismus, dem man maschinelle Arbeit abverlangen kann. Darum ist die "organische Einfügung des Gottesbegriffs in die Metaphysik der yogasutras nicht gelungen." Vgl. O.Strauss: Indische Philosophie, Mün. 1925. Es ist charakteristisch, daß das Yogasystem seine philosophischen Begriffe der offen atheistischen Symkhyphilosophie entnimmt.

[70] Wir machen ausdrücklich darauf aufmerksam, daß wir im Text nicht einfach "ohne Restbestand" sondern "ohne thematischen Restbestand" sagen. Es bleibt nämlich auch hier ein Restbestand zurück, jener Teil der Reflexion, der auf dieser gesamten Geschichtsstufe historisch überhaupt nicht relevant war und nur als irrationale Anarchie und anonymer Trieb zur reflexiven Distanz erschien. Dieser Teil des Ichs existiert überhaupt nicht historisch, er ist nur natürlich vorhanden; und fällt in dieser Eigenschaft überhaupt nicht unter die geschichtliche Aufgabe, auf die erfahrene Seinsrealität dieser Epoche abgebildet zu werden. Dieser Restbestand der Reflexion ist weder einwertig noch zweiwertig. Er erscheint deshalb in der einwertigen und zweiwertigen Epoche des Menschen nur als blinde Kraft der Zerstörung. Aber er ist das spirituelle Rohmaterial, aus dem einstmals die metaphysischen Themata einer mehrwertigen Geschichte des Menschen kommen werden.

[71] Aus dem Udana (VIII). Zitiert nach M. Winternitz: Buddhismus. in: A. Bertholets Religionsgeschichtes Lesebuch (Tübingen 1908), S. 273.

[72] Der Terminus "sunyata" tritt übrigens schon im Palikanon auf. So im Suttapitaka und im Abhidammapitake. Seine volle philosophische Tiefe wird aber erst in der reiferen Theorie der buddhistischen Sanskrittexte entwickelt.

[73] Siehe Max Walleser: Die mittlere Lehre des Nagarjuna. Heidelberg 1911.

[74] Das Parinirvana tritt jetzt direkt an die Stelle des Nirvana, da ja das Sterben nach dieser Lehre auch nicht existiert. Diese Auffassung verdankt der Verf. einer persönlichen Bemerkung Prof. Wallesers im indologischen Seminar der Univ. Heidelberg, 1920.

[75] Diese Tendenz ist sowohl in der Chandogya-Upanisad wie in den Texten der Brhad-aranyka-upanisad sichtbar. Wir weisen in Bezug auf die Letztere besonders auf die Belehrung der Maitreyi durch yajmavalkya über den Schwund des individuellen Bewußtseins hin, der eine direkte Folge der Vereinigung des atman mit dem brahman ist, -

[76] Chandogya-Up. 8,11.

[77] "Auch in den sogenannten Yoga- und Asketen-upanisaden tritt uns immer wieder dieser aus der Tiefschlafspekulation der alten upanisaden ableitbare Gedanke entgegen, daß die Weisheit des Atman erst dann erreicht wird, wenn das ich von ihm abgefallen ist ... Es liegt uns wohl auch in der Leugnung das Ich im buddhistischen Nirvana nur eine Konsequenz dieses ... Gedankens vor." Batty Reimann: Die Tiefschlafspekulation der alten Upanisad. Zeitschrift für Buddhismus 4 (1922), S. 266.

[78] Maitr. Up. 6, 20.

[79] Es gibt im Buddhismus bezeichnenderweise kein Gebet an das Absolute. Nur zu den unteren Göttern kann man in populären (esoterischen) Form der Religion beten.

[80] Christus sowohl wie Amitabha sind Stellvertreter des Menschen in seinem Verhältnis zum Absoluten.

[81] Chandogya - Upanisad 8,4,2.

[82] Vgl. Chand. - Up. 7,25,2.

[83] 1,7,2 - 8,12,5.

[84] Das Philosophieren ist der einzige Versuch des Menschen, in dem er die körperliche Kontingenz der eigenen Person sowohl wie der Welt in seinem Selbstverständnis zu umgehen und in den radikaleren Fällen sogar zu eliminieren versucht. Dies ist einer der Gründe, warum Plato im Phaidon seine Analyse der Unsterblichkeit der Seele in die Sterbestunde des Sokrates verlegt hat. Darum heißt es auch in den einführenden Gesprächen dieses Dialogs: "Diejenigen nämlich, die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen, streben wohl nach gar nichts anderem als zu sterben und tot zu sein; die anderen freilich merken das gar nicht." (Steph. 64) Wird sich deshalb, fragt Sokrates, der Philosoph "nicht gerade darin recht eigentlich offenbaren und von den anderen Menschen scheiden, daß er seine Seele von jeglicher Teilnahme des Leibes entbindet?" (Steph. 64/65).

[85] Darauf ist die jedem Kenner dieses Gebietes bekannte Rolle des Spiegels in der sexuellen Erotik zurückzuführen. Der Anblick des eigenen, sinnlich erregten Körpers tendiert die Lust zu potenzieren. In der Lust projiziert sich das Ich ganz ins Objekt. Wann das Ich nun seinen eigenen Körper im Spiegel, d.h. in der von ihm unabhängigen Außenwelt erblickt, so wird ihm in diesem Anblick seine eigene Lustprojektion in die Dingwelt bestätigt. Diese Bestätigung kann als Erhöhung der Lust erfahren werden. Es ist jedoch ontologisch bemerkenswert, daß er Anblick des Spiegelbilds die Sinne schnell abstumpft. Dies ist ein untrügliches Zeichen, daß die Identifizierung des sich selbst genießenden Ichs mit dem Leibe nicht permanent ist und zu Enttäuschungen führt. Der Leib ist paradoxerweise nicht objektiv genug, um der Aufgabe, die ihm die Sinnlichkeit zuschiebt, ontisch gewachsen zu sein. Die zu subtile Sensation des Spiegelbildes enthüllt dies. Deshalb werden diese und andere raffinierte Praktiken von dem einfältigen Gefühl als unsittlich empfunden. Speziell der Spiegel enthüllt mehr Öffentlichkeit im Ich und seiner Beziehung zum Du als die extasenlose Subjektivität ertragen kann.

[86] Platon: Timaios. Steph. 52

[87] A.a.O. Steph. 58.

[88] Untergang...I. S.229.

[89] A.a.O. VI. S. 282.????? oder A.a.O. II. S. 282?????

[90] A.a.O. II. S. 283. Sperrung von uns.

[91] Noch Kepler hat die innere Legitimität der Astrologie erlebnismäßig gefühlt.

[92] Kant: WW VII, S. 145.

[93] Kant: A.a.O. VII. S. 163. Die Sperrung ist die unsrige.

[94] Untergang I, S. 228 ????? unsicher????

[95] In der Molekularstruktur der Materie besitzen wir die elementare Gesetzmäßigkeit der unmittelbaren sinnlichen Gegebenheit des Objekts. In der atomaren Struktur ist nur noch vermittelt gegeben.

[96] Daher der äußerst unbefriedigende Eindruck, den antike Venusstatuen machen. Soviel Deutlichkeit ist in diesem Falle gar nicht erwünscht.

[97] Wir begegnen hier einem der Gründe, warum die historischen Entwicklungen in Mexiko und im Inkareich es nie zum Rang einer vollgültigen regionalen Hochkultur gebracht haben. Es fehlte der Wille einer sich entwickelnden tieferen Geistigkeit, adäquate materielle Abbildungsebenen zu liefern. Es ist der Reflexion unmöglich, sich in der dürftigen Objektwelt, die ihr geboten wird, reflexiv festzuhalten. Der Abstand zwischen der in diesen Kulturen potentiell gelagerten Spiritualität und den sie vertretenden Schriftsystemen ist einfach enorm. Vgl. hierzu auch Spenglers Bemerkung über den "mangelnden Willen zur Macht in der Technik", der für die Azteken verhängnisvoll wurde. Untergg.II,51. Hand in Hand geht damit der mangelnde Wille zu adäquater Schreibtechnik. Die Schrift, in der Popol Vuh das heilige Buch der Quiche Maya geschrieben hat, waren Zeichen, die man vermutlich auf gewebten weißen Stoff malte. Vgl. dazu Fr. Francisco Ximenez, Las Historias del Origen de los Indios de esta Provincia de Guatemala. Ed.1857. S.161 und Sahagun, Historia general de las cosas de nueva Espana. Ed.1938 I.II. S. 80. Die Inkas hinwiederum benutzten verschiedenfarbige Schnüre. Dies Inkasystem eignete sich ausgezeichnet für die Zwecke einer verwaltungstechnischen Buchhaltung. Platos Dialoge hätte man damit nicht "schreiben" können. - Die Fiskusrindenbücher der Maya-Quiche Region (amatles anahtecs) scheinen sehr späte Erzeugnisse zu sein. Der Inhalt aller dieser Texte ist gegenständlich-primitiv. Man Lese nur einmal das Popol Vuh Buch. Es enthält nicht eine einzige zweiwertige Reflexion.

[98] Dieser Gesichtspunkt muß sorgfältig unterschieden werden von dem, daß für uns die Natur relativ zu sich selbst verschiedene Existenzgrade besitzt. Ein Stein ist viel dinglicher als eine Pflanze. Und eine Pflanze hat eine intensivere ontische Dichte als das Tier. Das letztere zeigt im Naturzusammenhang den höchsten Antil meontischer Komponenten in seiner Existenz. Das aber ist eine Betrachtungsweise, zu der der Primitive nicht fähig ist. Der Mensch kann nur soviel ontische Grade in der Natur entdecken, wie er subjektive Stufen in sich selbst entdeckt hat.

[99] Man hat den Eindruck, daß in dem Unterschied der ägyptischen Kultur von dem babylonischen Kulturkreis diese seinsthematischen Wertakzente noch nicht so stark ausgesprochen sind wie in den anderen reginonalen Geschichtsabläufen. In Ägypten wie in Babylon scheint die Seinsthematik noch unentschieden zwischen Raum und Rauminhalt zu oszillieren. Man kann, mit äußerster Reserve, vielleicht sagen, daß am Nil das Weltgefühl vielleicht eher geneigt war, die Essenz der Objektivität im Raum zu sehen, während sich im Zweistromland eher der Rauminhalt in den Vordergrund zu drängen scheint. Die babylonische Pyramide oder "Turm" war ein Bauwerk, um das man auf steigender Rampe herumwandelte, bis man die Spitze erreicht hatte. Ein Muster dieser Architektur war die Stufenpyramide vor Sargensburg (Chorasabad). eine solche Pyramide war ein Gegenstand, dessen man sich bemächtigte , indem man ihn bestieg. In der Spirale des Anstiegs wurde man seiner Körperhaftigkeit besonders gewahr. Wo man keine Rampen hatte, gab es wenigstens Treppen, die nach oben führten. Dagegen war die viel abstrakter empfundene ägyptische Pyramide nicht zum Besteigen da. Die Stufenpyramide von Sakkara hatte nur fünf Stufen, die viel zu hoch waren, als daß man sich unter ihnen Treppenschritte hätte vorstellen können. Die ägyptische Pyramide war nicht zum Ersteigen gedacht. Sie war kein Ding, dessen man sich bemächtigen konnte.

[100] Ernst Cohn-Wiener: Asia. Bln. 1929. S. 9f. Sperrungen im Zitat von uns.

[101] Jetzt im Museum in Boston.

[102] Ernst Cohn-Wiener, A.a.O. S. 90f.

[103] Hierzu macht Spengler die äußerst treffende Beobachtung mit Rücksicht auf die chinesische Technik: "Der Chinese schmeichelt der Natur etwas ab, er vergewaltigt sie nicht." Untergang. II. S. 622, Anm.

[104] Vgl. Untergang. II. S. 287.

[105] In diesen magischen Gedankengängen wird eine ontologische Identifikation vollzogen. Das "Wort" ist das Fleisch. Es hat sich in seiner Herabkunft selbst transsubstantiiert. Daraus folgt, faß die Seele am Tag des Jüngsten Gerichts als Körper, , auferstehen usw. Spenglers Formulierung, daß das des Menschen "in seinem Leibe Wohnung genommen hat" verschleiert den im magischen Denken konzipierten metaphysischen Tatbestand etwas. (Vgl. Untergang...II. S. 68). Im pneumatischen Menschen - im Gegensatz zum Somatiker und Psychiker - ist das der Leib, der bereits transsubstantiiert und damit auferstehungsfähig ist. Im Gegensatz zur Immaterialität Gottes ist das transparente Substanz, wie die der Himmelsphären (des magischen Raums). Vgl. Sa'adja ben Josef, KItab al Amanat wa'l I'tiquadat. Ed. S. Landauer, Leiden 1960. Nach Saádja ist die Seele substantiell, aber sie ist nicht in dem Sinn substantiell wie Luft und Feuer. Im Christentum kehrt diese Idee der transsubstantiierten Substanz in der Vorstellung vom "verklärten Leibe" wieder.

[106] Untergang ... II. S. 257.

[107] D.h. Bestätigung durch die Handlung.

[108] Historisch faktisch ist hier anzumerken, daß sich in der Theologie des Dionysius Areopagita antike und früh-magische Elemente sehr widerspruchsvoll mischen. Das ist unmagisch. Daß aber die "himmlischen Heerscharen" nicht als successive Emanation einer Klasse aus der anderen erklärt werden, sondern daß jede als unmittelbar aus Gott hervorgegangen betrachtet wird, das wiederum ist unantik. "Emanation" ist ein Begriff, der zur Thematik des Körpers gehört. Der korrespondierende magische Begriff ist "Irradiation".

[109] Charakteristisch dafür ist noch bei Thomas Aquinas das Bemühen "die Reihe der Einzelwesen von den niedersten Formen des materiellen Daseins an über pflanzliches und tierisches Leben hinaus durch die menschliche Seele mit ununterbrochener Kontinuität in die Welt der reinen Intelligenzen, der Engel hinüber und endlich bis zu der absoluten Form, der Gottheit" fortzuführen. Siehe W. Windelband: Lehrbuch d. Gesch. d. Philos. Tüb. 1928. S. 273.

[110] Bereits für Plotin ist die sinnliche Materie wesentlich unkörperlich. Die islamischen Neuplatoniker gehen darüber noch hinaus. sie betrachten die den Körper bildende Materie als ein positives geistiges Prinzip. Alle Körperlichkeit ist damit nur abgeleitete Existenz. Hier wirkt das selbe Weltgefühl, das Irenäus dazu bewegt, gegen die Annahme der Vernichtung der Materie am Jüngsten Tag zu protestieren.

[111] Es ist charakteristisch, daß im magischen Weltgefühl das Undurchdringlichkeitsmotiv, das für den Griechen der Index äußerster Objektivität ist (nur der physische Körper, der Gegenstand, ist undurchdringlich) auf die subjektive Seite überwandert und als "unerforschlicher Ratschluß" Ausdruck der absoluten Unzulänglichkeit subjektivster Innerlichkeit wird.

[112] A.a.O. S. 329.

[113] Zum Prädestinationsmotiv in der Freiheit des Menschen vgl. die subtile Freiheitsnalyse bei Arnold Gehlen, die in der These gipfelt: "Die echte Freiheit aber ist die freiwillige Unfreiheit, die die Selbstsucht von sich abgestoßen hat und nun im freien Bejahen und Wiederholen des Notwendigen lebt." Theorie der Willensfreiheit. (Bln. 1933) S. 163.

[114] Es ist öfters darauf hingewiesen worden - von Syed Amir'Ali und anderen - daß diese Ergebung einen "doppelten Boden" hat. Vgl. The Spirit of Islam. Ed. 1891. S. 226.

[115] Es sind allerdings von Indien zumindestens terminologische Einflüsse nach Persien hinübergegangen. Dem "ahamkara" (dem Ichmacher) entspricht persisch "ahu" in der Antithese von "ahu" und "urvan".

[116] Ernst von Aster: Geschichte der Philosophie. Lpz. 1935. S. 113.

[117] Das " " ist bald mit "essentia" übersetzt worden. Später in der scholastischen Philosophie immer: "quod quid erat esse". In allen diesen Termini geht es um das Sein, das zugleich Wesen relativ zu sich selbst ist. Es ist bezeichnend, daß in der weiteren Entwicklung " " sowohl als "substantia" wie als "essentia" interpretiert worden ist.

[118] Galater 2,20.

[119] Vgl. hierzu Untergang... II. S. 78ff. Auch S. 208ff.

[120] Vgl. hierzu die Formulierung Mu'Ammars, daß der Wille Gottes weder mit Gott noch mit der geschaffenen Welt identisch sei, sondern auf ein unbekanntes Drittes hinweise. in abgeschwächter Form findet sich diese erstaunliche Lehre in der Theorie des Salomo ibn Gabirol, daß der Wille in bestimmter Hinsicht mit Gott identisch, in anderen Beziehungen hingegen von ihm verschieden ist. Dazu S. Horowitz: Die Psychologie der jüdischen Rechtsphilosophen des Mittelalters von Saadia bis Maimuni. Breslau 1898-1912.

[121] Vgl. J. Kromayer: Staat u. Gesellschaft der Römer. Kultur d. Gegenwart II, IV 1 S. 291,330.

[122] Sie wird zwar von Justinian wieder aufgenommen, aber mit wenig Erfolg.

[123] Siehe A. Heisenberg: Staat u. Gesellschaft des Byzantin. Reiches. Ebenda II, IV, 1, S. 368. Nichts aber ist irrtümlicher, als wenn Heisenberg diesen Gedanken als "echt römisch" (also doch wohl "antik") bezeichnet. Trotzdem muß zugegeben werden, daß in der Gesamtbilanz des Regierungswerkes Justinians das antike Motiv dominiert und das magische nur in verzerrten Formen auftritt. Er "zwang die östlichen Provinzen diejenigen Normen des Glaubens als orthodox anzuerkennen, die ihre schärfste Verteidigung im Westen fanden. So entwickelte sich in der syrischen Kirche und unter den Kopten in Ägypten jener Hass gegen das Reich und das herrschende Griechentum, der verhängnisvoll werden sollte, als der Arabersturm das Reich erschütterte." Ebenda. Vgl. auch S. 369.

[124] "In dem Streit ob Christus oder sei, das heißt, von gleicher oder ähnlicher Beschaffenheit mit Gott, hat der eine Buchstabe i vielen Tausenden das Leben gekostet", bemerkt schon Hegel in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Er zitiert auch jene berühmt gewordene Stelle von Gregor von Nazianz: "Diese Stadt (Constantinopel) ist voll von Handwerkern und Sklaven, welche alle tiefe Theologen sind, und in ihren Werkstätten und auf den Straßen predigen. Wenn ihr von einem Mann ein Silberstück gewechselt haben wollt, so belehrt er euch, wodurch der Vater von dem Sohne unterschieden sei; wenn ihr nach dem Preis eines Laibs Brot fragt, so wird euch zur Antwort, daß der Sohn geringer sei als der Vater, und wenn ihr Fragt, ob das Brot fertig sei, so erwidert man euch, daß der Sohn aus Nichts geworden". Hegel, Ed.Glockner, IX, S. 434.

[125] Deshalb gibt der Gläubige im Akt der Beschneidung ein Stück seines physischen Körpers auf, als Ausdruck der nicht-körperlichen Zugehörigkeit zum allgemeinen idjma.

[126] Allgemein kann gesagt werden, daß in der abendländischen Tradition das antike Erbe einen stärkeren Einfluß in den westlichen Ländern der faustischen Kultur ausgeübt hat (Spanien ist hier auch leicht begreiflichen Gründen ausgenommen), während im Osten die magischen Motive bis in den transzendentalen Idealismus Schellings hinein das metaphysische Bewußtsein des faustischen Menschen dominieren. Goethes Faust selbst ist in der "klassischen" Walpurgisnacht sowohl als auch anderswo mehr magisch als antik.

Vernahmst Du nichts von Nebelstreifen,

Die auf Siziliens Küsten schweifen?

Dort, schwankend klar, im Tageslicht,

Erhoben zu den Mittellüften,

Gespiegelt in besondern Düften,

Erscheint ein seltsames Gesicht:

Das schwanken Städte hin und wieder,

Da steigen Gärten auf und nieder,

Wie Bild um Bild den Äther bricht. Faust I,4.

Das ist keine antik-klassische Landschaft. Das in diesen Versen gesehene Naturbild ist vollkommen magisch und der objektiven Bestimmtheit der antiken Wirklichkeit ganz entrückt. Diese Zeilen hätten in dem Frankreich oder England der Aufklärungsperiode schon nicht mehr geschrieben werden können. Geschweige denn unter den amerikanischen Europäern.

[127] Gemäß der Bulle Innicenz III., Sie adversus nos (1205).

[128] Der Begriff der Glaubwürdigkeit differierte allerdings vollkommen von dem im weltlichen Recht üblichen. Während dort gewisse Vergehenskategorien eine Person objektiv von der Zeugenschaft ausschloß, ist er in der Inquisition allmählich so erweitert worden, daß selbst Häretiker gegeneinander zeugen konnten. Das Ermessen der Glaubwürdigkeit war also schließlich nur der subjektive Maßstab des Inquisitors.

[129] Der Eideshelfer der älteren Tradition ist deshalb kein Anwalt. Das geht auch daraus hervor, daß der Eideshelfer später im angelsächsischen Recht in die Figur des "character witness" übergegangen ist.

[130] Das spiegelt sich in den ungewöhnlich rigorosen moralischen und spirituellen Qualifikationen, die in den kirchlichen Vorschriften vom Inqusitor gefordert worden sind.

[131] Siehe A. Heisenberg, A.a.O. S.394 und 398.

[132] Siehe U.v.Wilamowitz-Möllendorf: Staat und Gesellschaft der Griechen. In: P. Hinneberg: Kultur der Gegenwart II, IV,1 S. 95.

[133] "...parceque la justice spirituelle ne doit nul mettre á mort." Establishments der Saint Louis Coutumes de Beauvoisiers (Ed. Société de l'histoire de France, Paris 1842). Dies wurde ausdrücklich festgestellt, nachdem Gregor IX. die Dominikaner mit der Inquisition in Frankreich beauftragt hatte und Robert le Bougre zum ersten Großinquisitor Frankreichs ernannt worden war.

[134] "Cum longe sit gravius aeternam quam temporalem laedere majestatem." Viterbo 1199. Dieser Vergleich ist der eines Politikers und nicht der eines Seelsorgers.

[135] Das geistliche Gericht "never condemned to death but merely withdrew the protection of the Church." H.C. Lea: History of the Inquisition of the Middle Ages. Lo 1888. S. 460.

[136] Diese Distanzierung ist stets aufrecht erhalten worden, obwohl Thomas Aquinas im Gegensatz zu den älteren Kirchenvätern die Todesstrafe in der Summa Theologica ausdrücklich verteidigt.

[137] Die Strafe des Feuertodes wurde in diesem Fall in die des murus strictus umgewandelt.

[138] Dies ist um so wesentlicher, als es hauptsächlich weltliche, politische Erwägungen gewesen sind, die zu der Einführung der Todesstrafe als Appendix zu der geistlichen Gerichtsbarkeit geführt haben. Noch über das Mittelalter hinaus erhält sich das Gefühl, daß die Zerstörung des Körpers (der fleischgewordene Logos) über die Kompetenz aller Gerichtsbarkeit hinausgeht. Ein charakteristischer Ausdruck dieser Haltung ist die noch anläßlich der Hinrichtung Maria Stuarts geübte Sitte, daß der Henker vor der Exekution sein Opfer um Verzeihung bittet für das, was er ihm antun muß.