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DIE ENTDECKUNG AMERIKAS
UND DIE SACHE MIT DER WELTRAUM-LITERATUR
von Gotthard Günther
Erstveröffentlichung als Vorwort des
Herausgebers Gotthard Günther zu einer deutschsprachigen SF-Edition im
Verlag Karl Rauch, Düsseldorf 1952
AMERIKA wurde im Jahre 1492 entdeckt. Betrachten wir
dieses Datum vom Standpunkt der Weltgeschichte aus, so liegt es
erstaunlich spät. Warum ist dies eigentlich so? Die Antwort auf diese
Frage weist auf eines der interessantesten Rätsel menschlicher
Zivilisation hin. In Wirklichkeit wurde Amerika mindestens fünfmal
entdeckt, und manche Forscher finden sogar eine noch höhere Zahl. Alle
diese Entdeckungen liegen natürlich in der Zeit vor Kolumbus, und sie
alle wurden fast augenblicklich wieder vergessen. Eine ganze Zeit lang
schien es, als wollte gar niemand diesen neuen Kontinent entdecken. Und
wieder erhebt sich die Frage: Warum ist das eigentlich so? In den
folgenden Seiten soll versucht werden, eine Antwort auf diese Fragen zu
finden. Ist diese Antwort auch nur annähernd richtig, so wird sie ein
interessantes Licht auf die literarischen Aspekte und die tiefste
Bedeutung der amerikanischen sogenannten Science-Fiction-Literatur werfen.
Wir wollen damit beginnen, zunächst einige präliminarische
historische Konzeptionen einzuführen. Es ist allgemein bekannt, daß man
Geschichte grob in zwei große Epochen einteilen kann. Die erste ist die
Ära primitiver Kultur (Zivilisation), während die zweite die Entwicklung
verschiedener Hochkulturen umfaßt, unter welchen die chinesische, die
indische, die griechisch-romanische und die westliche die bedeutendsten
sind.
Der wesentlichste Charakterzug einer primitiven Kultur ist der, daß
diese Kultur keineswegs geographisch auf eine Gegend oder eine Landschaft,
ja nicht einmal auf einen ganzen Kontinent begrenzt ist. Sie erstreckt
sich über unsere ganze Erdkugel und hat daher eine wirklich planetarische
Ausdehnung. Grundsätzlich ist eine primitive Kultur die gleiche über den
ganzen Erdball hinweg. Diese alles umfassende Tendenz trifft jedoch auf
die Gruppe der Hochkulturen nicht zu. Diese sind auf ein ganz bestimmtes
geographisch abgeschlossenes Gebiet beschränkt (zum Beispiel auf den
indischen Subkontinent, auf das Mittelmeerbecken usw.). Sie wurzeln dort,
um einen häufig angeführten Ausdruck Oswald Spenglers zu gebrauchen, in
ihrem "Mutterboden". Dies ist einer der Gründe, warum es
angebracht ist, über primitive Kultur in der Einzahl zu sprechen,
während wir stets den Plural verwenden müssen, wenn wir im allgemeinen
über "Hochkulturen" reden wollen.
Alle diese Hochkulturen sind in verschiedenen Teilen der östlichen
Hemisphäre unseres Globus beheimatet. Die Tatsache, daß die westliche
Halbkugel außer zwei fehlgeschlagenen Versuchen einer höheren Form der
Existenz (der Maya? und der Inka-Zivilisationen) niemals eine Hochkultur
im wahren Sinn des Wortes hervorgebracht hat, ist von tiefster Bedeutung.
Diese Bedeutung kann hinsichtlich der Bewertung der historischen Zukunft
des amerikanischen Kontinentes kaum überschätzt werden. Mehr davon
später.
Nun zeigen diese Hochkulturen der östlichen Hemisphäre alle einen
gemeinsamen Zug. Sie sind zentripetal orientiert. Liegen sie in den
westlichen Gegenden jener Halbkugel, so blicken sie sowohl
gefühlsmäßig, als auch metaphysisch nach Osten, liegen sie aber im
Osten, so wird der Retter bestimmt aus dem Westen kommen. Im
Mahayana?Buddhismus wird uns erzählt, daß Surkhavati?vyuha, das
Paradies, im Westen sei. Noch weiter östlich haben sich die mongolischen
Eroberer stets nach Westen in Bewegung gesetzt. Im Westen andererseits ist
es der Ruf "Ex Oriente Lux", der die Richtung der europäischen
Zivilisation durch mehr als ein ganzes Jahrtausend bestimmt.
Es mag lohnend sein, sich jenen rätselhaften Zug nach Osten genauer
zu betrachten - jene Blickrichtung, die die westliche Zivilisation nicht
nur bis 1500 (oder vielleicht sogar noch länger?) beherrschte, sondern
die bereits in Zeiten griechisch-römischer Kulturanfänge eine Tatsache
war. Unser heutiges geographisches Konzept ist lediglich ein paar
Jahrhunderte alt und war in früheren Geschichtsperioden völlig
unbekannt. In jenen fernen Zeiten war Geographie etwas Metaphysisches. Der
Erdball war fast völlig unerforscht und der Gedanke geographischer
Entfernungen rief magische und mythologische Assoziationen wach. Hinter
dem vertrauten Horizont erstreckten sich Wunderwelten. Dort befanden sich
die Schlupfwinkel der Dämonen oder die gesegneten Triften des Paradieses.
Nur in fernen Ländern konnte man möglicherweise den Brunnen Ewiger
Jugend entdecken oder aber am tückischen Felsen der Sirenen Schiffbruch
erleiden.
Die Welt war nach allen Richtungen hin offen. Jedem Seemann der
Antike aber wurde gesagt: "Segle ostwärts! Im Osten wirst du
unermeßliche Schätze von Gold und Silber finden. Nur die Wellen des
östlichen Ozeans spülen um den Fuß des Diamantberges. Der Osten ist
voller Wunder. Seine Frauen sind die herrlichsten der Erde. Aus dem Osten
kommt alle Weisheit, und dort kannst du vielleicht sogar von der
Himmlischen Manna essen." So stark war der Drang nach Osten, daß
schon Darius Hystaspes, der persische Eroberer Ägyptens, einen Kanal
zwischen dem Nil und dem Roten Meere anlegen ließ und dadurch das
Mittelmeer mit dem Indischen Ozean verband (Herodot 460 v.Chr.). Dieser
Kanal war noch zur Zeit der römischen Kaiser Marcus Aurelius und Septimus
Severus schiffbar. Die Insel Java wurde bereits von dem griechischen
Seefahrer Jambolos entdeckt, und es existieren glaubhafte Geschichten,
nach denen arabische Schiffe schon den Pazifischen Ozean um die
chinesische Küste herum befuhren (Abu Zeyd von Siraf).
Alle Träume und Sehnsüchte jener frühen Hochkulturen wandten sich
nach Osten und nie nach dem Westen. Hüte dich vor dem Westen, sagte man
dem Seefahrer. Namenlose Gefahren lauern in den Tiefen der westlichen
Meere. Ewige Nacht hängt über ihren Wellen, und wer immer sich dort
hinauswagt, wird niemals wiederkehren. Diese höllischen Gewässer, so
ging die Sage, hatten sogar eine ganze Zivilisation verschlungen:
Atlantis.
Abgesehen von der Expedition des Numidischen Königs Juba (siehe
Plinius Hist.Natur.Li. VI) und einigen anderen Abenteuern Karthagos, die
zur Entdeckung der Kanarischen Inseln führten, wurde der Atlantische
Ozean im Altertum sich selbst überlassen. Zur Zeit der Römer wurde er
Mare tenebrosum, d.h. Meer der Dunkelheit, genannt (Seneca Liber Suaser I
p.2), und Festus Avienus behauptet, daß dieses Meer von keinem Schiff
jemals befahren wurde (cf. Ora Maritima v. 385?389). Dieses ewige Lied ?
Segle ostwärts, du kannst den westlichen Ozean nicht befahren ? begleitet
wie Hintergrundmusik den ganzen Aufstieg westlicher Zivilisation. Die
Straße von Gibraltar war ein Symbol des Endes der Welt. Massudi, einer
der älteren arabischen Geographen, erzählt uns: "An den Grenzen, wo
diese beiden Meere, das mittelländische und der Ozean, sich treffen, hat
König Hirake (Herkules), der Riese, Säulen aus Kupfer und Stein
errichtet. Auf diesen Säulen befinden sich Inschriften und Gestalten, die
mit ihren Händen zeigen, daß man nicht weitergehen kann" (Meadows
of Gold and Mines of Gems, Ed. A. Sprenger, London 1841)
Der Schrecken wächst, und der westliche Ozean schillert in allen
Farben des Fegefeuers. Wir hören von der märchenhaften Seefahrt des hl.
Brandan (ca. 587 A.D.), der, um für seine Sünden zu büßen, sieben
Jahre lang diese Meere befuhr. Er "entdeckte" ein fernes
Gestade, reich an Früchten, aber bewohnt von Teufeln, wo das Wasser des
Ozeans klebrig war und man kaum vorwärts kam (Mare Pigrum). Dante läßt
seinen Odysseus Höllenqualen erleiden, weil er es wagte, die Säulen des
Herkules zu passieren und hinauszufahren in den Atlantischen Ozean.
...quella foce stretta Oy' Ercole segnò li suoi riguardi,
Acciochè l´uom più oltre nun se metta. Inf. XXVI. 107-110
(... jener schmale Durchlaß, wo Herkules seine Spur hinterließ,
den Menschen nicht durchfahren sollten).
Es gibt eine sehr weitverbreitete Theorie, die besagt, der
Atlantische Ozean sei in frühen geschichtlichen Perioden deshalb nicht
durchfahren worden, weil jenen Seeleuten der Kompaß noch nicht zur
Verfügung gestanden habe. Dies ist ein recht dummes Argument, das sehr
nach materialistischem Denken schmeckt. Darüber hinaus ist es historisch
falsch. In Europa war der Kompaß um 1190 A.D. bekannt. Zu jener Zeit wird
er in einem Gedichte Guyots von Provins erwähnt. Ferner wird über ihn
von Kardinal Jacques de Vitry im Jahre 1218 A.D. gesprochen, welcher
erklärt, daß die magnetische Nadel ein sehr nützliches Instrument für
Seeleute sei (Jacobi de Vitriaco, Host. Hiero sol. cap. LXXXIX). Warum
mußten dann, so fragt man sich, weitere drei Jahrhunderte vergehen, bis
Kolumbus sich schließlich nach den Antillen aufmachte? Darüber hinaus
ist das Kompaßargument auch noch in anderer Beziehung verkehrt. Warum
kann man den Atlantischen Ozean nicht ohne Kompaß durchsegeln? Die Kunst
der Schiffahrt auf offenem Meere, und zwar ohne Hilfe der magnetischen
Nadel, wurde schon in der Antike durch Hippalus, einen griechischen
Seemann, entdeckt, der den Indischen Ozean von Aden direkt nach den Häfen
der Malabar?Küste durchfuhr. Diese Fahrt fand im ersten Jahrhundert
unserer Zeitrechnung statt. Wir wissen ferner mit absoluter Sicherheit,
daß der Kompaß für Navigationszwecke im Indischen Ozean bis zum 13.
Jahrhundert nicht benutzt wurde. Während dieser ganzen Zeit aber wurde
dieser Ozean zwischen der afrikanischen Küste und Java befahren.
Bestimmt ist die Unkenntnis über das Funktionieren der Magnetnadel
keine Erklärung dafür warum die hohe See des Atlantischen Ozeans
während einer erstaunlichen Anzahl von Jahrhunderten der regionalen
Kulturen einsam und verlassen lag. Was die Menschheit in Wirklichkeit
davon abhielt, den westlichen Ozean zu befahren, war ein metaphysischer
Terror, der genährt wurde durch eine intensiv empfundene innere
Überzeugung, daß es moralisch schlecht war, westwärts zu segeln. Der
Glaube, daß ein Mann in jenen Weltgegenden nichts zu suchen hatte, besaß
sozusagen universelle Bedeutung. Wer es dennoch versuchte, setzte sich den
unheimlichsten Formen der Bestrafung aus. So erzählte man sich zum
Beispiel, daß aus den Tiefen des Atlantiks plötzlich eine Riesenhand
auftauchen und das Schiff zu sich hinunterziehen würde.
All dies muß man wissen, um das eigenartige Geschick der
präkolumbianischen Entdeckungen Amerikas zu verstehen. Der erste
Europäer, der wahrscheinlich den amerikanischen Kontinent erblickte, war
Bjarne Herjulfson, der etwa im Jahre 1000 A.D. nach Grönland segelte. Er
verirrte sich und entdeckte weiter gegen Südwesten ein fremdes Gestade.
Leif Erikson, der im nächsten Jahre Herjulfsons Route folgte, landete auf
dem Kontinent. Die Wikinger hausten mehrere Jahre in Vinland, und danach
wurden wiederholt von Grönland aus Fahrten nach dem Festlande
unternommen. Die letzte ging im Jahre 1347 vor sich! (Antiquitates
Americanae. Hafiüae 1845 p.261). Europa aber nahm keine Notiz davon.
Bald nachdem sich die Wikinger dem Kontinent genähert hatten,
segelten einige friesische Schiffe gen Westen. Nach ihren Berichten kann
man leicht die großen Sandbänke vor der Küste Neufundlands
identifizieren. Aber auch dieses Mal nahm niemand in Europa Notiz.
Die dritte Entdeckung erfolgte im Jahre 1390 durch die
venezianischen Brüder Nicolo und Antonio Zeno. Es scheint eine.
authentische historische Tatsache zu sein ? auch wenn dies früher
bestritten wurde ?, daß Antonio Zeno nicht nur in Neufundland gelandet
ist, sondern auch in Neuschottland (cf. W.H. Hobbs, The Fourteenth Century
Discovery of America by Antonio Zeno, Scientific Monthly LXXII, 1, p.
24?31)Die wichtigste Tatsache bezüglich der Entdeckung durch die Brüder
Zeno scheint mir der Umstand zu sein, daß selbst in Venedig, welches
damals einer der führenden Schiffahrtsmittelpunkte der Welt war, von
dieser Reise überhaupt keine Notiz genommen wurde. Ein Bericht über jene
Fahrt wurde zum ersten Male im Jahre 1558 veröffentlicht. Das sind mehr
als 150 Jahre nach ihrer Beendigung!
Wie es scheint, erfolgte mindestens noch eine Entdeckung von Osten
her. Es ist dies die Expedition der "Hyitramannaland". Die
Berichte hierüber sind äußerst unbestimmt. Eine alte und bald
vergessene irische Überlieferung spricht von einem großen Kontinent im
Westen, der manchmal "Groß Irland" genannt wurde (cf. Antiq.
Amer. p. 161).
Es ist eine nicht zu erschütternde Tatsache, daß Amerika
verschiedene Male vor Kolumbus entdeckt wurde und daß Europa von dieser
Entdeckung hätte Kenntnis haben können, wenn es diese Kenntnis gewollt
hätte. Ein unbewußter Drang aber gebot es, alle Nachrichten über jene
schaurige Weltgegend zu überhören. Dieser Gefühlszwang dauerte bis tief
in die Zeiten Kolumbus und kam sogar leicht in die folgenden Jahrhunderte
hinein verfolgt werden. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet ist es
lohnend, sich der allgemeinen Hintergründe der ersten Reise des Christoph
Kolumbus zu erinnern. Weder er selbst noch irgendeiner seiner Zeitgenossen
gab sich dem Glauben hin, daß man einen neuen Kontinent entdecken würde.
Seine Absicht bestand darin, einen kürzeren und billigeren Weg nach
Indien zu finden. Dies bedeutet; daß auch seine Reise unter dem Motto
stand: Ex Oriente Lux. Es ist recht amüsant, wenn man sich überlegt,
daß von diesem Gesichtspunkte aus die Entdeckung der westlichen
Hemisphäre als ein Irrtum der europäischen Zivilisation erscheint. Wie
schon bemerkt, hörte die metaphysische Ablehnung des Westens auch nach
der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus nicht auf. Sie wurde lediglich in
andere und neue Kanäle gelenkt. Symptomatisch für diese Tatsache ist
u.a. die heftige Debatte in kirchlichen Kreisen, ob man die Eingeborenen
des amerikanischen Kontinents als Menschen oder als Tiere zu betrachten
habe. Niemand, der von Aden aus ostwärts in See ging, hatte jemals den
geringsten Zweifel daran, daß die Bewohner von Java oder von Kanfa
(China) menschliche Wesen seien.
Um es kurz zu machen: Das Wissen um die Existenz der westlichen
Hemisphäre wurde in Europa, solange dies überhaupt möglich war,
unterdrückt. Genau die gleiche Geschichte kann man über die pazifische
Seite Amerikas erzählen. Alte japanische Seekarten zeigen die Umrisse
eines Kontinents, der nur Amerika sein kann; und aus präkolumbianischen
Zeiten stammt eine Weltkarte, gezeichnet von einem indischen Kartographen,
die das Bild eines langgezogenen Festlandes zeigt, welches von der Arktis
bis zur Antarktis reicht. Dieser Kontinent trägt den Namen Suvama Bhumi.
Aber auch hier scheint es nach der Epoche der primitiven Kultur über den
Pazifischen Ozean hinweg keinerlei Berührung gegeben zu haben. In
Übereinstimmung mit deren zentripetalem Orientierungssinn wandten sich
die in den östlichen Gegenden der östlichen Halbkugel gelegenen
Zivilisationen westwärts. Zu Anfang des fünften Jahrhunderts A.D. finden
wir chinesische Handelsschiffe in den Häfen Ceylons und in der Mündung
des Euphrat (berichtet von Massudi). Obgleich der Kompaß im Gelben Meer
seit den Zeiten der Tsin?Dynastie (265?416 A.D.) von der Schiffahrt
benutzt wurde, versuchten die Chinesen niemals, den Pazifischen Ozean zu
überqueren.
Um es in ganz wenigen Worten darzustellen: die primitive Kultur
hatte sich über den ganzen Erdball ausgebreitet. Sie hatte auch den
amerikanischen Kontinent mit eingeschlossen.
Seit dem Aufstieg lokalisierter Hochkulturen aber war die westliche
Hemisphäre bis zu jenem späten Zeitpunkt 1492 vollkommen isoliert
worden.
Es bleibt eines der großen Rätsel der Weltgeschichte, daß
während einer bestimmten historischen Entwicklung des Menschen der
amerikanische Kontinent unerwünscht schien. Die westliche Hemisphäre hat
keinen Anteil an der Epoche regionaler Zivilisationen und der damit
zusammenhängenden Garstigkeit.
Im folgenden soll ein Versuch unternommen werden, dieses Rätsel zu
lösen. Der Verfasser hofft, daß die dargelegte Theorie etwas Licht auf
das zukünftige historische Schicksal Amerikas werfen und gleichzeitig
unserem Verständnis die ursprünglichste amerikanische Geistesproduktion,
die Literatur von Science Fiction, klarer machen wird (Science Fiction
übersetzt: etwa Romanliteratur aus Gebieten der Wissenschaft und
Technik).
ERINNERN wir uns von neuem des Unterschiedes zwischen primitiver
Kultur und der Gruppe von Hochkulturen. Erstere besitzt wirklich globale
Ausdehnung. Sie kennt weder klimatische noch rassische, noch geographische
Schranken, und sie hat sich über alle Kontinente unseres Planeten
ausgebreitet. Außerdem scheint sie keine zeitliche Begrenzung zu
besitzen. Seit Tausenden von Jahren hat sie existiert. Jede Hochkultur
anderseits beginnt, wie Oswald Spengler uns gezeigt hat, mit einer tief
eingewurzelten Angst vor Raum und Zeit. Daraus resultieren geschichtliche
Lebensformen von streng begrenzter Dauer sowie ein fast verzweifeltes
Sichanklammern an bestimmte geographische Regionen. "Sie blüht auf
dem Boden einer genau bestimmbaren Landschaft, an die sie pflanzenartig
gebunden bleibt." (Spengler 1, p.106.) Hieraus folgt logischerweise,
daß eine Hochkultur nicht ohne weiteres in eine andere Landschaft
verpflanzt werden kann, gar nicht zu sprechen von einem anderen Kontinent.
Daher kommt es, daß Hochkulturen, bis sie einmal fest verwurzelt
sind, streng in ihrem eigenen Kreise bleiben. Im weiteren Sinne ist jedoch
die ganze östliche Halbkugel die Heimat regionaler Hochkulturen. Die
gefühlsmäßigen Hemmungen, die Seeleute davon abhielten, den
Atlantischen oder den Pazifischen Ozean zu überqueren, hatten mit Bezug
auf die östliche Hemisphäre keinerlei Bedeutung. Daß Afrika nur sehr
kärglich in den Zauberkreis nördlicher Zivilisationen einbezogen wurde,
ist mehr zufälliger Natur. Der Grund dafür war, daß letztere viel zu
sehr damit beschäftigt waren, ihre westöstlichen Verbindungen
auszubauen. Ein Tabu gegen Ausdehnung nach Süden bestand jedoch nicht.
Afrika gehörte mit dazu. Darüber konnte es keinen Zweifel geben. Man
darf nicht vergessen, daß die Juden während des ersten Jahrhunderts v.
Chr. Missionare ins Herz Afrikas entsandten. Später dann erstreckte sich
die Magianische Zivilisation in ihrer späten arabischen Periode noch
über mehrere Breitengrade südlich des Äquators. Marco Polo berichtet,
daß Kublai Khan, Kaiser der Mongolen, chinesische Dschunken südlich bis
nach Madagaskar hinauf entsandt habe. Die symbolische und wichtigste
Tatsache ehemaliger Geographie bleibt jedoch die Idee der östlichen Tore
des Herkules als Gegenstück zu den westlichen Toren (Gibraltar). Diesen
Gedanken können wir mindestens bis zur Weltkarte des Geographen
Ptolemäus (ungefähr 150 A.D.) zurückverfolgen. Manchmal wurden die
östlichen Tore mit dem Namen Alexanders des Großen in Verbindung
gebracht. So geschieht dies zum Beispiel in den Schriften Roger Bacons,
der von den "Gades Herculi et Gades Alexandri" spricht. Hinter
diesen Namen verbarg sich eine sehr eigenartige geographische Konzeption.
Man glaubte in der Antike, der Indische Ozean sei genau wie das
Mittelländische Meer ein Binnenmeer. Eine geographische Hypothese des
griechischen Gelehrten Hipparch setzte auseinander, daß der südlichste
Teil des afrikanischen Festlandes sich biegen und nach Osten erstrecken
müsse. Man nahm an, daß Südafrika den Indischen Ozean völlig
umschlösse, wodurch dieser zu einem schmalen Wasserkanal zwischen Afrika
und dem asiatischen Kontinent würde. In Übereinstimmung mit dieser
Überlieferung zeigen daher alle älteren Weltkarten in der Zeit von
Edrisi (1154 A.D.) bis Vasco da Gama jene östliche Ausbuchtung des
afrikanischen Kontinentes. Noch die Weltkarte des Alliacus von 1480
erwähnt die "östlichen" und die "westlichen" Tore.
Auch jene östlichen Tore erhielten schließlich in Übereinstimmung mit
den westlichen ihre "Indischen Säulen des Herkules" und auch
sie sollte keiner ungestraft passieren.
Man kann ganz klar erkennen, daß die östliche Hemisphäre ein sich
geschlossenes Gebiet historischer Entwicklung darstellte, von dem der
amerikanische Kontinent streng abgeschlossen war. Aber warum? so fragen
wir wieder. Die einzige mögliche Antwort liegt in der Annahme, daß
lediglich die östliche Hemisphäre fähig war, regionale Hochkulturen wie
die ägyptische, die chinesische, die magianische und die europäische
hervorzubringen. Zwischen der geographischen Gegend und dem
geschichtlichen Leben, das sich dort vollzieht, besteht eine
schöpferische Beziehung. Wie es scheint, ist die westliche Hemisphäre
nicht dazu geeignet, Hochkulturen des regionalen Typus zu schaffen, wie
die andere Halbkugel dies getan hat. Es stimmt schon, daß es zwei
amerikanische Versuche gibt, lokale Formen eines höheren Kulturniveaus zu
produzieren. Es sind dies die Maya? und die Inka?Zivilisationen.
Verglichen aber mit der kulturellen Struktur der Hochkulturen des
eurasischen Kontinents erscheinen die amerikanischen Ansätze primitiv. Es
fehlt ihnen unbedingt die feinverästelte Entwicklung sowie die Tiefe
ihrer Auswirkung und Rückstrahlung, die das Wahrzeichen einer wirklichen
Hochkultur sind.
Menschliche Wesen, die geistig zu irgendeiner Form höherer
Zivilisation gehören, spüren, daß ihre Leben von tiefen, aber
unerklärlichen metaphysischen Instinkten gelenkt werden. Ein derartiger
Instinkt muß es gewesen sein, der historisches Leben während der Epoche
regionaler Zivilisationen vor der Aussicht auf ein Verlassen jener
mythisch geheiligten Hemisphäre zurückschrecken ließ, der diese
Menschen daran hinderte, sich widerrechtlich in Gegenden zu begeben, die
nicht dazu geeignet waren, die spezifische Form ihres geistigen Lebens zu
erhalten.
Betrachten wir von diesem Gesichtspunkt aus die Entwicklung der
europäischen Zivilisation und ihre schicksalsschwangere Überquerung des
Atlantischen Ozeans, so können wir einige schreckliche Schlußfolgerungen
nicht vermeiden. Kulturell gesprochen war es ein Fehler der europäischen
Tradition, wenn sie versuchte, sich selbst in eine mit tiefer symbolischer
Bedeutung sogenannte "Neue Welt" zu versetzen. Alle nicht
primitiven Lebensformen, welche die europäische Zivilisation entwickelt
hatte, waren dazu bestimmt, in einem Boden, der ihnen zutiefst feindlich
war, zu verdorren und zu verderben. Dies geschieht tatsächlich, und die
Symptome dieses Herganges sind dem geübten Auge des professionellen
Metaphysikers der Geschichte leicht erkennbar. Der Prozeß selbst hat sich
aber außerordentlich verlangsamt. Der Grund dafür liegt in den sich
fortlaufend folgenden Wellen europäischer Einwanderung, welche die alten
geistigen Züge, die langsam aber sicher zerfaserten, vorübergehend immer
wieder erneuerten und stärkten.
Angenommen, die vorausgegangenen Schlußfolgerungen wären korrekt,
bedeutet das, daß der amerikanische Kontinent durch unergründlichen
göttlichen Ratschluß dazu bestimmt ist, lediglich primitive Lebensformen
zu beherbergen? Ist jeder höhere metaphysische Ausdruck historischer
Existenz dazu bestimmt, von den Gestaden der westlichen Hemisphäre
verbannt zu bleiben? Es sieht bestimmt so aus. Die andauernde Ablehnung
des wirklichen Grundstoffes europäischer Kultur, nämlich seiner
Metaphysik, bestärkt einen in diesem Glauben. Was Amerika bereit ist, von
Europa anzunehmen, sind lediglich und ausschließlich die rein nützlichen
Aspekte westlicher Zivilisation, seine Technik sowie die praktischen
Auswirkungen angewandter Wissenschaft. Das aber sind gerade die Dinge, die
ein wirklich gebildeter Europäer (leider gibt es davon nur noch sehr
wenige) als den Bodensatz der Zivilisation betrachten würde. Goethe, eine
der symbolischsten Gestalten europäischer Kultur, sieht gegen den
Hintergrund amerikanischen Lebens fast lächerlich aus.
Dennoch hieße es vorschnelle Schlüsse ziehen, wenn man behauptete,
daß die westliche Hemisphäre eine angeborene Unfähigkeit, eine eigene
Hochkultur zu produzieren, besitzt. Es scheint den Tatsachen zu
entsprechen, daß der amerikanische Kontinent das Wesentliche aller
Hochkulturen der anderen Halbkugel zurückweist. Die Ursache hierfür
liegt jedoch nicht darin, daß Amerika sich etwa dagegen sträubt, sich
von einem primitiven geschichtlichen Niveau auf ein höheres hinaufheben
zu lassen, oder daß es schicksalhaftere Formen des kulturellen Lebens
ablehnt. Wogegen es sich tatsächlich wehrt, ist die Annahme der Idee
regionaler Kulturen, die begrenzt sind auf einen bestimmten Teil unseres
Erdballs und die die Menschheit in zwei Klassen teilen: die Mitglieder der
Hochkulturen und die "Barbaren" draußen auf der anderen Seite
des Zaunes. Diese Zweiteilung der Menschheit ist aber typisch für alle
regionalen Hochkulturen, welche jemals von der östlichen Hemisphäre
hervorgebracht worden sind, und es gibt keine Ausnahme.
Wie es scheint, ist es die Bestimmung des amerikanischen
Kontinentes, lediglich solche Formen des geschichtlichen Lebens anzunehmen
und zu ertragen, die wirklich planetarischen Umfanges sind. Bis jetzt
hatte nur eine einzige Epoche der Menschheitsgeschichte diese Eigenschaft:
die primitive Zivilisation. Diese Periode wurde ersetzt durch die
kurzlebigen Hochkulturen der östlichen Hemisphäre. Die letzte dieser Art
befindet sich mitten in ihrem unvermeidbaren Verfall. Es sieht nun so aus,
als habe sich diese ganze Periode ausgelebt und als stehe eine neue
geschichtliche Epoche von globaler Ausdehnung bevor. Trifft dies zu, so
wird die nächste Hochkultur die erste ohne regionale Grenzen sein. Sie
wird sich über die ganze Erde verbreiten und eine dritte Epoche der
Weltgeschichte einführen: die Ära planetarischer Zivilisationen. In
diesem Falle wäre die westliche Hemisphäre der geeigneteste
Ausgangspunkt für eine derartige historische Entwicklung. Dank ihrer
Vergangenheit und geographischen Lage war sie nie in den traditionellen
Widerstreit zwischen Ost und West verwickelt, wie er auf der anderen
Hemisphäre vor sich ging. Dies ist von größter Bedeutung, nachdem die
erste planetarische Zivilisation die Aufgabe haben wird, sich der
westöstlichen Polarität zugunsten einer erdumfassenden Synthese zu
entledigen.
Die erste Vorbereitung für diese welthistorische Mission der
westlichen Hemisphäre würde darin bestehen, sich von allen fremden
Einflüssen zu befreien, ganz gleichgültig, ob diese aus dem Osten kommen
oder aus dem überseeischen Westen. Einer der empfindlichsten Barometer
der geistigen Entwicklung eines Landes ist seine Literatur. Und
tatsächlich können wir auf diesem Gebiet die ersten Vorläufer neuer
Horizonte entdecken. Wenn heutzutage von amerikanischer Literatur
gesprochen wird, so nimmt man im allgemeinen an, daß an Leute wie W.C.
Bryant, H.W. Longfellow, R.W. Emerson, Walt Whitman, T.S. Eliot, Sinclair
Lewis, Theodore Dreiser, Ernest Hemingway und ähnliche gedacht wird. Alle
diese Autoren aber, und praktisch jeder andere, der als Repräsentant
amerikanischer Literatur anerkannt wird, spiegeln nichts anderes wider als
die europäische literarische Überlieferung. Diese Schriftsteller sind
sozusagen nur dem Paß nach Amerikaner. Geistig sind sie Europäer. Mit
ihren Brüdern in Europa teilen sie die literarischen Probleme und glauben
an dieselben ästhetischen Werte. Der Tod von Sinclair Lewis in Florenz
war ein symbolhaftes Ereignis.
IM Schatten dieser anerkannten Literatur wächst aber etwas Neues
heran. Es begann vor etwa 20 oder 30 Jahren in den Kolportagemagazinen und
auf dem Gebiet des Zehncentromans. Aus diesen bescheidenen Anfängen ist
es nun ein wenig herausgewachsen, obgleich es sich ? wenn man seine
Zukunftsmöglichkeiten in Betracht zieht ? noch immer in seiner
allerfrühesten Jugend befindet. Ich spreche von der sogenannten
"Science?Fiction?Literatur", den technisch?wissenschaftlichen
Zukunftsromanen. Man hat die Frage gestellt, was diese Art von Literatur
in Wirklichkeit repräsentiert. Es ist recht bedeutungsvoll, daß ihre
Anhänger, Apostel und Schöpfer hierüber keineswegs einer Meinung sind.
Vom Herausgeber einer Sammlung derartiger Geschichten wurde diese Gattung
beschrieben als "Romanliteratur, die sich ausschließlich mit der
Zukunft befaßt". Von einem anderen als "Romanliteratur der
Prophezeiung, der Philosophie des Abenteuers". Und schließlich wurde
sie beschrieben als "Romanliteratur, aufgebaut auf wissenschaftlichen
Ideen". In all diesen Definitionen ist eine Spur von Wahrheit
enthalten. Im folgenden werden wir versuchen, eine etwas universellere
Erklärung zu finden.
Wenn es wahr ist, daß wir am Ende einer Ära der Weltgeschichte
stehen, und wenn wir annehmen, daß sich vor uns eine neue Epoche
historischer Formen und unerforschter Bewußtseinsdimensionen auftut, dann
muß eine neue geistige Ausrichtung der tatsächlichen Verwirklichung
eines solchen Geschichtsabschnittes vorausgehen. Diese Neuorientierung
muß die neuen Ziele und möglichen Betätigungsfelder sichtbar machen,
aber gleichzeitig muß sie mit den metaphysischen Motiven, die in der
Vergangenheit das historische Leben dirigierten, abrechnen.
"Science?Fiction" ? wir behalten diesen Ausdruck bei, da es
bezeichnenderweise im Deutschen kein entsprechendes Wort dafür gibt ? tut
beides auf radikalste Art und Weise. Zwei Beispiele sollen den Januskopf
dieser Literatur illustrieren. Zunächst die neuen Ziele.
Raumschiffahrt in allen möglichen Formen ist eines der Hauptthemen
der S.?F.?Literatur. Es leuchtet jedoch ein, daß, ganz abgesehen von den
technischen Seiten dieses Problems, die Menschheit weder moralisch noch
geistig auf eine solch gigantische Ausdehnung ihres Lebensraumes
vorbereitet ist. Eine Spritztour auf den Mond? Warum nicht. Eine
Expedition auf die Planeten? Vielleicht. Reisen aber in den wirklichen
Weltraum sind eine völlig andere Sache. Gemäß der Art
wissenschaftlichen Denkens, welche die westliche Hemisphäre von den
regionalen Kulturen auf der anderen Seite unseres Planeten geerbt hat,
sind derartige Unternehmungen eine Unmöglichkeit. Diese Denkungsart kann
sich gar nichts anderes vorstellen als Naturgesetze und technische
Prozesse, für welche eine absolute Geschwindigkeitsgrenze existiert.
Diese Grenze wird durch die berühmte Konstante "c" dargestellt,
mit anderen Worten durch die Geschwindigkeit, mit der das Licht sich
ausbreitet. Eine Reise in die wirklichen Tiefen des Weltraumes setzt also
voraus, daß unsere traditionelle Vorstellung der physikalischen Natur und
die sich mit ihr beschäftigende Wissenschaft durch eine völlig neue
Wissenschaft ersetzt werden muß, die von grundsätzlich anderen
metaphysischen Postulaten ausgeht als die Wissenschaften des Archimedes,
Newtons und Einsteins. Dies aber wiederum bedarf einer neuen Form der
Zivilisation einer neuen Hochkultur, die radikal verschieden sein muß von
jenen, die wir seither kannten. Reisen in den tiefen Weltraum setzen eine
universale planetarische (oder gar solare?) Kultur voraus. Grundsätzlich
ist das jedoch ein moralisches Postulat. Eine neue Kultur wird nicht
geboren, wenn der Mensch ein paar erstaunliche Apparate erfindet, sondern
wenn und sobald er ein tieferes Verständnis seiner selbst und seiner
moralischen Verpflichtungen erreicht.
Diese paar Bemerkungen bezüglich der Idee der Reise in den tiefen
Weltraum sollten genügen, um die zwei Gesichter der S.?F.?Literatur zu
demonstrieren. Sie zeigen sich, wie bereits gesagt, in ihren technischen
Darstellungen der Probleme und in der Aufzeigung der geistigen
(moralischen) Perspektiven.
Wissenschaftlich?technische Romanliteratur richtet einen
prophetischen Blick in die Zukunft und betrachtet gleichzeitig mit ernster
Kritik die Vergangenheit. Das, was diese Geschichten von den orthodoxen
Schöpfungen Emersons, Thoreaus, Hemingways und anderer unterscheidet, ist
ihre radikale Ablehnung aller Tradition der östlichen Hemisphäre. Es
gibt ja doch einige sehr einfache Ideen und Glaubenssätze, welche die
inneren strukturellen Elemente jeder regionalen Hochkultur sind und dieser
sozusagen als unterstes Fundament dienen. Diese Ideen besitzen
metaphysische Würde und entziehen sich daher insoweit allen
verstandesmäßigen Prüfungen. Wenn S.?F.?Literatur den allerersten
tastenden Versuch einer neuen Kulturepoche darstellt, so muß sie eine
philosophische Haltung zeigen, die ganz radikal die traditionellen
Vorstellungen, auf welchen sich alle früheren Formen kulturellen Lebens
aufbauten, beseitigt. Lassen Sie mich ein paar davon untersuchen. Wir
wollen sehen, was sie bedeuten und wie S.?F.?Literatur sie behandelt.
Zunächst ist da die Vorstellung von Materie. Für alle regionalen
Kulturen bedeutet Materie eine absolute Komponente im Aufbau der Welt. Das
bedeutet, daß man sich Materie entweder als ungeschöpft (ewig) oder als
von Gott geschaffen vorstellen muß. Mit anderen Worten ist die Existenz
von Materie eine metaphysische Voraussetzung menschlicher Kultur. Materie
kommt vor der menschlichen Existenz und ist "größer" als der
menschliche Geist. Nur Gott kann Materie erschaffen und somit das
Universum. In John W. Campbells "Der Unglaubliche Planet" aber,
dem tiefgründigsten Werk, das die S.?F.?Literatur bisher hervorgebracht
hat, finden wir die Konzeption eines "geplanten" Universums,
eines Universums, das von lebendiger Intelligenz bewußt als Feld ihrer
eigenen Verwirklichung geschaffen und "eingerichtet wurde als eine
Illustration" des Systems reiner Vernunft. In der östlichen
Hemisphäre gibt es nicht ein einziges literarisches Werk, das gewagt
hätte, menschliches Denken so weit zu treiben. In der alten Welt hätte
man etwas Derartiges als Blasphemie betrachtet. Hier aber ist es als der
erste winzige Funke eines neuen Glaubens zu betrachten. Zeit ist eine
andere absolute Komponente der Welt und kann daher von menschlicher
Technik niemals manipuliert werden. Es kommt uns vor, als wäre Zeit
nichts anderes als eine der Seiten der Ewigkeit, mit anderen Worten eine
Erscheinung im Reiche Gottes, und daher für immer und ewig außerhalb
menschlicher Reichweite. Wenn ein Mensch auf Grund seiner geistigen
Verfassung der Tradition der Kulturen der alten Welt angehört, so ist er
tiefinnerlich außerstande, die Wahrheit obiger Feststellung zu leugnen.
Diese Zeitidee ist ein integrierender Bestandteil seiner Wahrheitsidee.
Anderseits erscheinen in der S.?F.?Literatur immer mehr Geschichten, in
denen mit der Idee der Zeit experimentiert und die logischen
Möglichkeiten von "Reisen in der Zeit" untersucht werden. Die
Analyse der Zeit hat in diesen Geschichten bei weitem nicht das Niveau von
Zeittheorien in der indischen oder europäischen Kultur erreicht. Es wurde
jedoch in striktem Gegensatz zur alten metaphysischen Tradition eine neue
philosophische Auffassung von Zeit geschaffen, und zwar dadurch, daß man
Zeit als etwas interpretiert, das im Prinzip menschlichem Verstand
zugänglich ist und dem man sich mit Hilfe technischer Prozesse nähern
kann. Derartige Annahmen sind natürlich vollkommen unvereinbar mit der
Idee, daß Zeit etwas Gottgegebenes sei.
Eine weitere grundlegende Vorstellung, die zur Ausrüstung jeglicher
regionaler Kultur gehört, ist der Glaube, der Mensch sei eine absolut
identifizierbare Form der Existenz und stelle die Grenzlinie zwischen
unserer empirischen Welt und der geistigen Welt des jenseits oder des
Himmels dar. Das Grenzlinienproblem wird ausgedrückt in jenem indischen
Glauben, daß selbst die Götter erst als Menschen reinkarniert werden
müssen, ehe sie im Nirvana Eingang finden. Nur der Mensch, und sonst
niemand und nichts, ist befähigt, den Schritt von den endlosen Reihen des
Karma, die sozusagen das Gewebe der Welt darstellen, hinüber in die
unvorstellbaren Gefilde des Nirvana zu tun. Eine andere Abwandlung dieses
Glaubens ist das christliche Dogma, daß Gott in der Erscheinung Christi
Mensch werden mußte, um die Welt zu, erlösen. Das Gegenstück zu diesem
Glauben ist die Vorstellung des Menschen als einer absolut
identifizierbaren Form der Existenz. in der alten Mythologie ist dies
durch den Glauben, daß Satan niemals ganz und gar die Form eines
menschlichen Wesens annehmen kann, ausgedrückt ... wie es Christus getan
hat, als er der geschichtliche Jesus von Nazareth wurde. Satan kann, wenn
er körperlich sichtbar wird, lediglich die menschliche Gestalt imitieren.
Die Nachahmung ist nur bis zu einem gewissen Grade möglich, nicht aber
darüber hinaus. Daher kommt es, daß Satan, wenn er als menschliches
Wesen erscheint, zwei Hörner und einen Schwanz auf seiner sonst
menschlichen Gestalt trägt. Eine andere, etwas aufgeklärtere Vorstellung
entledigt sich der Hörner und des Schwanzes. An deren Stelle tritt das
Hinken und zwar aus ganz klaren und sehr peinlichen Gründen. Selbst von
dem Pferdefuß mag er sich befreien, aber innerer bleiben dann noch die
bösen, nach oben gezogenen Augenbrauen. Sehen Sie sich, wenn Sie es nicht
glauben, eine Vorstellung von Gounods Faust an! Das Wesentliche ist, daß
Satan niemals ganz menschlich aussehen kann, weil er eben nicht menschlich
ist. Menschsein bedeutet eben eine klar identifizierbare Form der
Existenz. So weit die Alte Welt. Wie steht es nun hier mit dem Menschsein?
Eine der klassischen Geschichten der "Science?Fiction" ist
John W. Campbells "Wer da?" Ein Mensch oder ... ? Ein fremdes
Ungeheuer ist aus einem äußeren Weltraum erschienen. Ganz im Gegensatz
zu Satan ist es fähig, sich vollkommen zu maskieren. Die Nachahmung der
menschlichen Gestalt ist vollständig und läßt nichts zu wünschen
übrig. Darüber hinaus ist dieses Monstrum nicht nur eine Nachahmung der
äußeren, leiblichen Gestalt. Es geht bedeutend tiefer. Nachdem
schließlich die Nachahmungen vernichtet sind, läßt Campbell eine der
Personen in seiner Geschichte sagen: "Irgendwie wünschte ich, wir
hätten die Nachahmungen sogar wieder unter uns." Hinter dieser
erstaunlichen Geschichte liegt etwas viel Tieferes. Was uns an ihr
interessiert, ist die Tatsache, daß auch sie einen Bruch mit der
metaphysischen Tradition der östlichen Hemisphäre darstellt.
Wir wollen zwei weitere fundamentale Glaubenssätze, die wesentliche
Bestandteile der Alten Weit sind, zur Sprache bringen. Der erste ist das
philosophische Axiom der Einzigkeit der Wirklichkeit. Mag es auch eine
unbegrenzte Vielzahl von Wesen geben, es gibt nur ein einziges Sein. Jede
Metaphysik und jeder transzendentale Glaube aller regionalen Kulturen ist
aufgebaut auf der Idee, daß das absolute Sein eins und unteilbar ist.
Allein die Idee der Wirklichkeit schließt es aus, daß es davon eine
Mehrzahl geben könnte. Es ist absurd und sich selbst widersprechend, im
Plural von Wirklichkeiten zu reden, obgleich wir im allgemeinen die
verschiedenen Seiten einer Wirklichkeit akzeptieren. Diese verschiedenen
Seiten werden dann im Alltagsleben "Realitäten" genannt.
Auch hier entledigt sich die S.?R?Literatur der metaphysischen
Tradition der regionalen Kulturen. Die Vorstellung einer einzigen,
absoluten und einzig dastehenden Wirklichkeit unterstellt eine
unüberbrückbare Verschiedenheit wirklicher und eingebildeter
Existenzformen. So weit die existenzmäßigen Eigenschaften der beiden im
Spiel sind, gibt es für Tatsache und Vorstellung keinen gemeinsamen
Nenner. Keines kann sich je ins andere verwandeln. Es wäre Wahnsinn,
derartiges zu leugnen. Lassen Sie uns nun dem Fragment eines Dialoges aus
Fredric Browns "Welch wahnsinniges Universum" lauschen:
"... Es gibt eine unendliche Anzahl von Universen." ?
"Dimension ist nichts weiter als eine Eigenschaft des
Universums" , sagte Mekky, "und nur gültig innerhalb dieses
besonderen Universums. Von anderswo gesehen ist ein Universum, in sich
selbst eine Unendlichkeit von Raum, nichts als ein Punkt, ein
dimensionsloser Punkt."
Nun hat aber ein "dimensionsloser Punkt" keine
physikalische Realität. Er ist nichts als reine mathematische Fiktion.
Diese aber steht, wenn wir Frederic Brown glauben wollen, in einer
austauschbaren Beziehung mit der Wirklichkeit. Das einfachste Beispiel
austauschbarer Beziehung ist die Beziehung zwischen den Ausdrücken
"links" und "rechts". Ist die Ostseite von Manhattan
links oder rechts von der Fünften Avenue? Jeder weiß, daß die Antwort
auf diese Frage einzig und allein davon abhängt, ob wir stadtaufwärts
oder stadtabwärts blicken. Genau so hängt in Browns Geschichte die
Antwort auf die Frage, was ist nun erdichtet, von solch einer
Standpunktänderung ab. Wenn man annimmt, die Welt "A" habe
räumliche Ausdehnung und besitze daher Realität, dann erscheint vom
Blickpunkt dieser Welt "A" aus die Welt "B" als nichts
als eine mathematische Fiktion. Nehmen wir aber den umgekehrten Fall an,
so schrumpft die Welt "A" zu einem physischen Nichts zusammen.
Dies bedeutet, daß die klassische Differenz zwischen Vorstellung und
Wirklichkeit auf metaphysischer Ebene aufgehoben ist. Genau diese
Schlußfolgerung wird auch in "Welch wahnsinniges Universum"
erreicht. Ich zitiere nochmals. Keith sagt nachdenklich: "Wenn es
eine unendliche Anzahl von Universen gibt, dann müssen auch alle
überhaupt möglichen Kombinationen existieren. Dann muß irgendwo alles
wahr sein. Ich will damit sagen, es würde unmöglich sein, eine erfundene
Geschichte zu schreiben ? denn ganz gleichgültig, wie wahnsinnig sie
klingen würden, irgendwo müßten sich die geschilderten Ereignisse
abspielen. Stimmt das ?" "Natürlich stimmt das. Es gibt ein
Universum, wo Huckleberry Finn eine wirkliche Person ist und wo er genau
die Dinge tut, die Mark Twain beschrieben hat. In der Tat gibt es sogar
eine unendliche Anzahl von Universen, in denen Huckleberry Finn jede
mögliche Variante dessen tut, was Mark Twain schilderte. Ganz
gleichgültig aber, welche Variante Mark Twain in seiner Beschreibung
gewählt hat, sie wäre immer wahr und wirklich gewesen". Akzeptieren
wir diese Interpretation der Wirklichkeit, so sind die Folgen ungeheuer.
Wir müssen dann zum Beispiel unsere Vorstellungen von Seele,
Persönlichkeit, Selbst oder Ich oder wie man sonst jene geheimnisvolle
Qualität nennen mag, die hinter jedem Sichselbstbewußtsein steht,
völlig aufgeben. Dem schon einmal genannten Keith wird mitgeteilt, daß
es ein anderes Universum gebe, wo er genau so wie hier existiert, nur daß
er dort "einen leichten Kratzer am linken Zeigefinger habe", und
daß überdies noch ein Universum vorhanden sei, wo er so ist wie hier,
wenn man davon absieht, "daß er dort braune Schuhe trägt und hier
schwarze". Keith stellt sofort die Kardinalfrage: "Und sie alle
sind ich?" Die ziemlich überraschende, aber doch logische Antwort
ist: "Nein, keiner von ihnen. Sie sind getrennte individuelle
Wesen." Natürlich würde es töricht sein, sich einzubilden, daß
der Unterschied zwischen zwei identischen Keith?Persönlichkeiten einfach
nur durch den Unterschied in der Farbe der Schuhe begründet wird.
Wirklich gemeint damit ist vielmehr, daß diese beiden Persönlichkeiten,
die, was ihre physische Existenz betrifft, sich nur durch die Farbe ihrer
Schuhe unterscheiden, eine austauschbare Beziehung darstellen. Keith in
Welt "A" kann an Keith in Welt "B" denken. Tut er das,
so wird Keith in Welt "B" zum Inhalt seines Bewußtseins. Keith
in Welt "B" kann aber genau das gleiche tun, und dann wird die
Welt "A" und in ihr Keith nichts als der Bewußtseinsinhalt, der
in Welt "B" existiert.
Nun wollen wir diese Lage verallgemeinern. Indem wir dies tun,
stellen wir Folgendes fest: Eine Seele oder ein Selbst ist ein Etwas, das
in einer austauschbaren Beziehung mit seinem eigenen Inhalt steht. Diese
Idee ist nicht wirklich neu. Sie kommt in der östlichen Hemisphäre in
dem Gedanken zum Ausdruck, daß jedes menschliche Wesen seinen
Doppelgänger habe. Die bekannteste derartige Geschichte ist die vom
Golem. Triffst du den Golem, dann triffst du dich selbst. In "Welch
wahnsinniges Universum" aber wird angenommen, daß eine unendliche
Anzahl von Welten in austauschbarer Beziehung mit jedwedem Selbst stehen,
weil "alle vorstellbaren Universen existieren". Dies macht die
Schlußfolgerung, daß jede Persönlichkeit eine unendliche Anzahl von
Doppelgängern habe, unvermeidlich. Dieser Gedanke ist dem europäischen
Denken äußerst fremd. In der Tat ist er in der östlichen Hemisphäre
niemals aufgetaucht. Der Golem ist eine absolut einzigartige Gestalt. Für
jeden einzelnen existiert ein und derselbe Golem. Er verwandelt sich in
dich, wenn er dich trifft, und er verwandelt sich in mich, trifft er mich.
Es ist nicht schwierig, hieraus zu schließen, daß die Vorstellung,
welche die östliche Hemisphäre von der Seele hat ? in Übereinstimmung
mit ihrer regional begrenzten Vorstellung von Kultur ? enger ist als jene,
die uns das zitierte S.?F.?Buch bietet. Und so muß es sein. Eine
allgemeine planetarische Kultur setzt ein breiteres Menschheitsbild
voraus.
Vielleicht die bedeutungsvollste Geschichte, welche den Bruch mit
der kulturellen Tradition der östlichen Hemisphäre am besten
illustriert, ist Isaac Asimovs "Nightfall". Der Mensch, als
geistiges Wesen, lebt kraft gewisser symbolischer Einstellungen. Eine von
diesen ? und zwar eine, die der ganzen östlichen Halbkugel gemeinsam ist
? besteht in der Ehrfurcht des Menschen vor den Sternen. Für alle
regionalen Hochkulturen sind die Sterne Boten aus dem Reich der
Göttlichkeit. Die Milchstraße ist der "Himmlische Ganges" des
Mahayana Buddhismus. Die Sternengruppe Orion wird mit dem Gott Marduk
identifiziert. Jeder weiß, daß als Belohnung für ihre Taten Castor und
Pollux unter die Sterne versetzt wurden. Eines der mächtigsten Symbole
des religiösen Lebens der Alten Welt ist der Stern von Bethlehem, der
himmlische Bote, der die Geburt des Retters anzeigte. Weiterhin spielt das
Sternenmotiv in Grimms Märchen eine wichtige Rolle. Da ist z. B. die
Geschichte "Sterntaler", die Erzählung des kleinen Mädchens,
das alles was es besaß, den Armen gab. Schließlich sogar die Kleider,
die es auf dem Leibe trug. Und so stand es da in der beißenden Kälte des
Winters mit nichts als mit seinem Hemd bekleidet. Dann aber begannen die
Stern sanft auf es herunterzuregnen, und wann immer ein Stern sein Hemd
berührte, verwandelte er sich in eine silberne oder goldene Münze. So
wurde das Kind reich. Eine andere sehr rührende Geschichte ist die von
der Mutter, deren geliebtes Kind starb. Sie weinte und weinte, bis sie
schließlich gar keine Augen mehr hatte. Dann aber wurden zwei Sterne in
ihre Augenhöhlen gesetzt, und nun konnte sie wieder sehen.
Die ewige Melodie all dieser Geschichten ist die, daß der Mensch
keine besseren Freunde als die Sterne hat. Sie bringen ihm himmlische
Botschaften, beschützen ihn, und selbst wenn der feurige Schweif eines
Kometen drohend am Himmel, erscheint, so geschieht das nur, um die
Menschheit in ihrem eigenen Interesse zu warnen.
Und nun kommt die Asimov-Geschichte. Sie beginnt mit einem Motto
Emersons:
"Erschienen uns die Sterne am Himmel alle tausend Jahre nur
einmal, wie würden die Menschen die Erinnerung an die Stadt Gottes in
sich bewahren, wie innig würden sie daran glauben und sie
anbeten!"
Dies ist Metaphysik der Alten Welt, geschrieben von einem geistigen
Bürger der östlichen Hemisphäre, und Asimov verdreht in seiner
Geschichte dieses Motto in das Gegenteil seiner Bedeutung. Er erzählt die
Geschichte eines Planeten, wo die Sonne Tag und "Nacht" scheint
und es nur ein einziges Mal in tausend Jahren dunkel wird. Einmal alle
2049 Jahre verdunkelt sich der Himmel, und man kann die Sterne in all
ihrem Glanze sehen. Die Bewohner des Planeten aber können den Anblick der
Sterne nicht ertragen. So folgen jener Nacht Chaos, Schrecken und
Wahnsinn.
Hier haben wir nun die genaue Umkehr jener Haltung, die für die
Geistigkeit der östlichen Hemisphäre symbolisch ist. Dies zeigt an, daß
die westliche Hemisphäre der Erde nicht dem Beispiel ihrer östlichen
Schwester folgt. In anderen Worten wird die kommende Kultur der Neuen Welt
nicht, nur verschieden sein von irgendeiner einzelnen Hochkultur, die ihr
vorangegangen ist, sie wird sich auch typenmäßig von allen Hochkulturen
unterscheiden, die zuvor auf diesem Planeten. existiert haben.
Asimovs Umkehrung entspringt nicht der persönlichen Laune eines
Schriftstellers. Hinter ihr stehen zwingende Gründe. Die Sterne können
nur so lange in ihrer göttlichen Erhabenheit verbleiben und als
metaphysische Wesenheit gelten, so lange man sich ihnen nicht nähern kann
und so lange sie (scheinbar wenigstens) für immer außerhalb menschlicher
Reichweite hegen. Was Menschen nicht mit ihren Händen berühren können
ist entweder teuflisch oder göttlich. Dieses geistige Klima muß sich
ändern, sobald Raumschiffahrt zu einer vorhersehbaren Wirklichkeit wird.
Ein Stern, auf den man seinen Fuß setzen kann, wird zu einer nackten
Tatsache. Vor allem lauert dort die Gefahr, und die Stürme, die über ihn
hinwegbrausen, tragen die Unterweltsgerüche des Andersseins mit sich. Der
Titel von Campbells neuem Buch "Der Mond ist die Hölle"
bedeutet mehr als der Leser vielleicht denken mag. Jeder Stern wird,
sobald man ihn erreicht zur Hölle und jedes sich nähernde Raumschiff
verwandelt ein Elysium in einen Schlupfwinkel verlorener Seelen.
Das Raumschiff tötet den Symbolismus klassischer Metaphysik und
damit zerstört es die klassische Lebensform.
Der Versuch, das kürzlich erst entdeckte Amerika als Kolonie in die
Epoche regionaler Kulturen der östlichen Hemisphäre mit einzubeziehen,
ist fehlgeschlagen. Der Prozeß geistiger Emanzipation, der sich in der
S.?F.?Literatur so bedeutungsvoll offenbart, geht weiter. Die Visionen des
Weltraums, wie diese in den besten unserer S.-F.-Bücher hervorgezaubert
werden, setzen eine universelle planetarische Kultur voraus und bedingen
eine neue nichtklassische Vorstellung von der Wirklichkeit. Diese
Vorstellung geht weit hinaus über die Weite aller metaphysischen
Vorstellungen, welche jemals von der östlichen Hemisphäre hervorgebracht
worden sind.
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