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Der Otto-Versand der Subkulturaus Kollegengespräche Jens Neumann und A. J. Weigoni |
WEIGONI: 1976 gab der arbeitslose Engländer Mark Perry das Fanzine Sniffin Glue heraus. Danach waren es vor allem Punks, die mit dem Kopierer Fanzines im Format A-6 bis A-4 produzierten. Oder verläuft die Geschichte der Fanzines deinen Recherchen zufolge anders? JENS NEUMANN: Die erste Benennung eines Heftes als Fanzine fand ich in der Science Fiction-Scene der USA, die ihre Magazine aus dem Fan-Dome schon in den 30-er Jahren Fanzines nannte. Musikfanzines haben ihren Ursprung mit der Gründung von Fanclubs der ersten grossen Rock'n'Roll Bands. Die von den Clubs zusammengestellten Zeitschriften sind im Grunde die ersten wirklichen Musik-Fanzines. Unabhängig wurden solche Hefte von Fans sogenannter Kult-Bands wie The Grateful Dead einige Jahre später produziert. Horden von verrückten Fans folgten ihren Stars zu jedem Konzert, lebten mit und für die Band. Logische Folge, dass Hefte ("Fan-Magazine") entstanden, die nur ein Thema kannten: The Grateful Dead. Mit der Studentenbewegung der späten 60-er Jahre wurden die Nutzungsmöglichkeiten des Mediums Fanzine um die als Träger politischer Informationen erweitert. Zusätzlich entstanden im Fahrwasser der Studentenbewegung unabhängige Literatur- und Kunstzeitschriften in denen Massen an JungautorInnen ihre Neue deutsche Weinerlichkeit veröffentlichten und die noch bis Ende der 80-er Jahre langweilig im Layout und nahezu unerträglich vom Inhalt her, vor sich hin existierten. Auch wenn all diese Publikationen noch nicht unter dem Begriff der Fanzines zusammengefasst wurden, so waren sie wohl in ihrem Grundmuster den heutigen Heften sehr ähnlich. Aus der musikalischen Explosion der Punkbewegung heraus entwickelte sich in rasender Geschwindigkeit eine nicht enden wollende Flut von Zines zu jedem nur erdenklichen Thema und Bereich der Jugendsubkultur. Die Punkszene, ihre anfängliche Euphorie, ihre relative Abgeschirmtheit gegenüber dem Rest der Musikszene und der Gesellschaft, ihrem etwas später entstehenden politischen Anspruch und vor allen Dingen ihrer Ideologie vom D.I.Y. dem Mach was du willst, aber mach es, eröffnete unendliche Möglichkeiten. Es war nicht mehr nötig, Gruppen zu vergöttern, der Graben zwischen Star und Fangemeinde wurde, zumindest kurzzeitig, mit dem Müll der kommerziellen Musikszene zugeschüttet. Genau wie jeder in einer Band spielen konnte, konnte auch jeder ein Fanzine machen. Eine Schreibmaschine, ein Kopierer. In Ermangelung grosser Musikmagazine, die kompetent über Punk berichten konnten, wurden Fanzines zu dem Kommunikationsmittel der Szene. Auch wenn die Musikindustrie ein paar Bands einkaufte, konnten die gängigen Zeitschriften die sich immer schneller entwickelnde Szene in ihrer Komplexität nicht auch nur annähernd erfassen. Fanzines standen im direkten Kontakt zu den Bands, ihre Macher waren Teil der Szene, berichteten über Konzerte, neue Bands. WEIGONI: Wie lässt sich dieses Kastensystem durchschauen? NEUMANN: Um es verständlicher zu machen, muss man noch mal näher auf die Themen und damit auf den Versuch einer Typisierung von Fanzines eingehen. Ein Fanzine kann theoretisch von jedem Menschen, egal welchen Alters zu jedem Thema zusammengestellt werden. Es gibt Fanzines, die ausschliesslich über Harley Davidson Motorräder berichten, es gibt Fussballfanzines, rechte wie linke, es gibt faschistische Fanzines, aber der Grossteil der Hefte beschäftigt sich doch mit Musik, Comix, Kunst und Literatur, oder mit allem auf einmal. Die politische Ausrichtung ist dabei auf das gesamte linke Spektrum beschränkt und fängt erst wieder in der rechtsextremistischen Ecke an. Wichtigster Grundsatz: kein Fanzine ohne Politik. Natürlich variiert der politische Gehalt von Fanzine zu Fanzine, aber auch ein Comix ist zumeist politischer Ausdruck und eine Musikgruppenauswahl kann sogar zum Spiegelbild des politischen Ausdrucks eines/einer FanzinerIn werden. Es gibt zwei Grundtypen, ein Fanzine zu gestalten und zwei Grundideologien, ein Fanzine zu finanzieren. Die Grundtypen sind zum einen die reine Berichterstattung, sprich ich schreibe Artikel über die Dinge (Bands, Comix, polit. Ereignisse usw.) die mich interessieren, oder ich veröffentliche sie als Interviews, Zeichnungen, Gedichte, usw. Die Grundideologien sind die der totalen Unabhängigkeit, also, ich finanziere das Produkt nur über den Verkauf, bzw. aus meiner eigenen Tasche, oder ich lasse Anzeigen zu, wobei auch noch einmal eine Abstufung besteht zwischen Anzeigen von Firmen der Szene, Vertriebe, Labels usw. und kommerziellen Anzeigen von ausserhalb. Der Hauptteil der Fanzineszene bewegt sich um die Musik des Hardcore des Heavy Metals und seiner Ab- und Unterarten, des Punk, des Progressive Rock und des Ska. Viele Fanzines, die ausschliesslich Comix, Literatur, Kunst oder politische Themen behandeln, scheinen damit zwar überhaupt nicht in Verbindung zu stehen, sind aber zumeist aus Musikfanzines entstanden, oder die Macherlnnen fühlen sich einer der Musikszenen zugehörig, wobei diese auch nicht mehr klar zur trennen sind. Man könnte insgesamt den Begriff Independent benutzen, oder Underground, aber das trifft es alles nicht so gut, wenn es wohl auch allgemein am verständlichsten ist. WEIGONI: Wie läuft der Vertrieb? NEUMANN: Aktuelle Fanzines werden vor allen Dingen auf Konzerten verkauft und über Tonträger-Vertriebe angeboten. Dieser Weg ist anderen Heften zumeist versperrt, da sie weder sonderlich aktuell sind, noch regelmässig erscheinen. Sie sind auf den Privatverkauf an Bekannte oder auf Konzerten angewiesen. Nur wenige Plattenvertriebe verkaufen über Mailorder auch kleine Fanzines. Nur selten finden sich Vertriebe, die sich auf Fanzines spezialisiert haben und auch solche anbieten die sonst nur sehr schwer zu bekommen sind. Da die Szene untereinander national und international aber eine intensive Korrespondenz führt, hat nichts desto trotz jedes auch noch so kleine Heft eine nationale Verbreitung. WEIGONI: Es geht aber wahrscheinlich nicht nur um Musik? NEUMANN: Königinnen der Fanzines sind die sogenannten Egozines. Hefte, die ganz von einer Person alleine zusammengestellt werden und in denen oft auch nur über Erlebnisse des/der Macherln zu lesen sind. Diese Hefte wissen oft durch ihren immer sehr guten Schreibstil und ihr wirklich liebevolles Layout zu begeistern. Es sind die beliebtesten Hefte in der Szene. Die Sprache der Macherlnnen ist voller Witze, die Einfälle von unglaublicher Kreativität, der Preis sehr niedrig, die Druckqualität sehr hoch. Hier sieht man genau, welche Arbeit und Liebe in solch ein Fanzine gesteckt wurden. Oft wird in diesen Egozines die Szene auf den Arm genommen, berechtigte Kritik an Verbohrtheit und sich ausbreitender Intoleranz satirisch verpackt dargeboten, oder es werden einfach selbst uninteressante Erlebnisse des Herausgebers, der Herausgeberin interessant erzählt. WEIGONI: Sonstige Publikationen sind? NEUMANN: Die Comic-Szene ist schon immer gut organisiert gewesen, aber auch hier gab und gibt es leider einen Hang dazu, bekannten Zeichnern den Ruf eines Stars anzuhängen. Jeder Schmierzettel mit einem Strich vom Meister kann auf den entsprechenden Messen und zu hohen Preisen erstanden werden. Vor allem dagegen begehrten die ersten Comic-Fanzines auf. Wie Ende der 70-er in der Musik, drohte die Comicszene in der Verehrung der Altmeister zu verstauben und zu erlahmen. Dies nutzten junge Zeichner, um ihre eigenen, zu Beginn natürlich noch etwas unbeholfenen Stories und Cartoons in eigener Regie zu veröffentlichen. Mittlerweile haben diese Zeichner, einen eigenen neuen Stil kreiert und drängen in die etablierten Comicverlage und Messen. Der Humor ist frischer, die Stories näher an den Lebensumständen und den Erfahrungen des jungen Publikums. Die Bereitschaft, Experimente zu wagen ist viel grösser und so entstehen immer mehr überraschende und interessante Comicheftchen, Fanzines und vermehrt Alben der neuen ZeichnerInnen. Aus dem Zusammenwirken der Einflüsse und Möglichkeiten der Fanzineszene, der Comic- und der Literaturszene hat sich eine ganz neue Art der Kunst bzw. der Kunstpräsentation entwickelt: Artcore-Fanzines. Das sind zumeist Zusammenstellungen von eigenwillig illustrierten Gedichten, Kurzgeschichten, sogenannten Onepagern, ganzseitige Horror- oder Science-Fiction beeinflusste Zeichnungen, die mehr als nur Illustrationen sind und sich als Endpunkt, Finale einer Geschichte verstehen, Collagen, Comix, Fotos und Graphiken. Wichtigstes Merkmal dieser Hefte, welche noch mehr als andere Fanzines grossen Wert auf einen eigenen Stil der Präsentation und hohe Druckqualität legen, ist die Internationalität der KünstlerInnen und der Verbreitung. Texte und Kommentare sind oft in englischer Sprache, oder zweisprachig abgefasst. WEIGONI: Aber man spricht doch auch Deutsch? Oder hat diese Szene einen ganz anderen Ausdruck? NEUMANN: Die eigene Sprache ist Existenzgrundlage der Literaturfanzines. Fanzines eröffnen die Möglichkeit, relativ einfach eine kleine Öffentlichkeit zu erreichen. Sie sind Selbsthilfe für die MacherInnen, die zumeist auch schreiben, und Hilfe für andere, die sie vom ständigen Gefühl der Erfolglosigkeit befreien. Die Möglichkeit, trotz, oder gerade wegen, eines unkonventionellen Schreibstils, neuer Themen, ungewöhnlicher Stories veröffentlicht zu werden, ist doch weitaus höher. Und wenn man selbst dort immer wieder auf die Nase fällt, gibt es immer noch die Möglichkeit, seine Texte in eigener Regie zu veröffentlichen. Der zumeist noch unausgereifte Schreibstil, die oft schlechten, nicht ausgearbeiteten Plots der Kurzgeschichten, oder einfach formale Fehler sind gleichzeitig Reiz und Abschreckung dieser Fanzines. WEIGONI: Eine Spielwiese also? NEUMANN: Natürlich wird man in einem Fanzine keine grosse Literatur finden, keine bekannten Namen lesen können, natürlich ist es oft anstrengend und ermüdend, die sehr persönlichen Texte zu lesen. Aber immer wieder gibt es Glanzpunkte, Stellen, die einen aufhorchen lassen, die das Publikum an der richtigen Stelle treffen. Literaturfanzines sind also Übungsplatz und Auswahlverfahren für junge AutorInnen, Experimentierfeld und Labor für neue Stile und Erscheinungsformen der Literatur. Ihr Einfluss auf die zukünftigen Entwicklungen auf der Bühne der grossen Literatur ist nicht zu unterschätzen. Schon heute ist eine Entwicklung abzusehen, kristallisieren sich neue Stil- und Spielarten der Literatur und deren AutorInnen aus der Masse der schreibenden Nation heraus. Namen, die sich schon lange in der Fanzineszene herumtreiben und wirklich an sich und ihren Texten gearbeitet haben, über deren Werke viele heute vielleicht noch schmunzeln, werden morgen unter Umständen in aller Munde sein. Sie werden nicht von irgendwelchen Kritikern gezüchtet worden sein, sondern durch ihre Qualität und ihre Aufrichtigkeit, die Herzen und Hirne der Menschen erreichen. Man mag von den Texten halten, was man will, aber Social Beat und Slam Poetry und die entsprechenden Veröffentlichungen in etablierten Verlagen sind meiner Ansicht nach eindeutige Hinweise auf den von mir aufgezeichneten Weg. WEIGONI: Es läuft aber wahrscheinlich auf eine Professionalisierung hinaus? NEUMANN: Eine Entwicklung von Fanzines hin zu Kleinstverlagen ist quasi eine logische. Gibt es ein Vertriebssystem und einen Interessentenkreis für Literaturfanzines, ist dieser natürlich auch für weiterführende Produkte nutzbar. So entstanden aus vielen erfolgreicheren Fanzines oft, wieder mit geringsten Mitteln arbeitende, Kleinverlage, die zunächst nur Büchlein der Verleger selbst, oder Anthologien veröffentlichten. Je nach Interessen und Finanzlage entwickelte sich dann ein kleines Verlagsprogramm, das entweder weite Interessengebiete abdeckt, oder aber ein bestimmtes Publikum bedient. WEIGONI: Läuft es weiter? NEUMANN: Die Fanzineszene boomt. Auch wenn viele Hefte ihr Erscheinen oft schon nach ein paar Ausgaben wieder einstellen, werden Spektrum, Qualität, Masse und Themenvielfalt immer gewaltiger, da fast täglich ein neues Heft auf der Bildfläche erscheint, mit neuen Ideen, Ansprüchen und AutorInnen. Dieser Boom ist aber nicht nur im Bereich der Literatur-Fanzines festzustellen, in allen Bereichen, in und zu denen sich Fanzines produzieren lassen entstehen neue Publikationen. In einer Zeit, in der kommerzielle und öffentliche Medien immer mehr auf Einschaltquoten und pure Unterhaltung schielen, wird so der Markt und die Szene der unabhängig produzierten Zeitschriften immer mehr zur Möglichkeit und zum eigentlichen Ort alternativer und eventuell bald auch etablierte Kunst. WEIGONI: Und nach dem Goldrausch? NEUMANN: Es bleibt zu hoffen, dass die Zeitschriften bei steigenden Auflagen und immer besser werdender Qualität der Beiträge und des Erscheinungsbildes die positiven und negativen Seiten ihrer Herkunft aus dem miefigen Sumpf des Undergrounds nicht vergessen und weiter offen bleiben für neue Eindrücke, Ideen, KünstlerInnen, auch wenn sie unbequem, unkonventionell und unbekannt sind. Die Generation der heutigen Subkultur wird die kreativen und gestalterischen Kräfte der Zukunft hervorbringen, die die entsprechenden Stellen der Musik-, Literatur-, Kunst- Medien- und Presseindustrie besetzen oder selbst hervorbringen. |
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