Nachdenkliches und Spekulatives zum Thema 'MultiMedia' Ein Dekalog von Joachim Paul |
|
MultiMedia 1 : | |
'MultiMedia' ist ein Witz. Mit diesem Begriff verhält es sich m. E. ähnlich wie mit dem Wort 'Bürgernähe' im Zusammenhang mit der Politik. Seine schiere Existenz scheint mehr Ausdruck eines Wunsches zu sein und deutet eher darauf hin, daß das zu Bezeichnende gar nicht vorhanden ist. |
|
MultiMedia 2 : Versuch einer Definition | |
MultiMedia ist der Versuch der Zusammenführung optischer und akustischer Reizumwelten, gepaart mit der Möglichkeit des Eingreifens in diese Reizumwelten, genannt Interaktivität. Die Vermittlung der Reize und Interaktionen geschieht hierbei über das elektromagnetische Feld und entbindet uns Menschen von unserer biologisch bedingten optischen und akustischen Reichweite. |
|
MultiMedia 3 : | |
Aus Untersuchungen an Naturvölkern, - hier verstanden als Menschengruppen, die nur un(ver)mittelbare Reizumwelten kennen -, glauben wir zu wissen, daß deren Wahrnehmung (und Erinnerung) von Raum und Zeit direkt an die in der RaumZeit stattfindenden Ereignisse gekoppelt ist, und nicht etwa an abstrakte Vorstellungen. Für diese Menschen definieren Ereignisse gewissermaßen die RaumZeit(en). Eine Trennung der Sinne, so wie wir sie kennen, findet nicht statt. Diese Völker sind multimedial. |
|
MultiMedia 4 : | |
Wenn 3) als
spekulative Aussage akzeptiert werden kann, - eine andere Möglichkeit haben wir nicht,
wir stecken ja nicht 'drin' in den Menschen aus 3) -, muß die Frage erlaubt sein, warum
so zahlreiche Definitionsversuche wie in 2) unternommen werden. |
|
MultiMedia 5 : | |
Aus der
Geschichte wissen wir: Gutenbergs Kunst wurde vom Vatikan befürwortet als Mittel zur
umfassenderen Verbreitung des Glaubens und zur Zementierung Roms und des deutschen Kaisers
als zentrale spirituelle und weltliche Instanzen. Der historische Effekt von Gutenbergs
Kunst war allerdings das genaue Gegenteil: Das neue Medium, - flächendeckend genutzt -,
wurde zur Triebkraft von Protestantismus und politischer Dezentralisierung. Seine ihm
innewohnenden normativen Kräfte schufen Regelsysteme und Hochsprachen, Verfassungen und
Nationalstaaten; und letztendlich den Boden für das formalsprachliche System der
Mathematik, |
|
MultiMedia 6 : | |
Bücher, Bilder, Filme, - hier als materielle Träger von 'Information' verstanden -, haben einen raumzeitlich-physikalischen Ort. Die Allgegenwärtigkeit und Durchdringungskraft des elektromagnetischen Feldes, in "Gestalt" des weltweiten Datenverbundes, ent-ortet 'Information' und ent-bindet sie von speziellen materiellen Trägermedien. Bücher hingegen sind im wahrsten Sinne des Wortes gebunden! Ist das Hauptelement des Buchdrucks die Kopie, so ist das Hauptelement des Internet die Ent-Ortung. |
|
MultiMedia 7 : | |
Menschen wollen sichere Aussagen über die Zukunft. Aber ein Vergleich der Auswirkungen von MultiMedia und Internet auf die sozialen Systeme und unsere Kulturen mit den Auswirkungen von Gutenbergs Kunst ist mit Vorsicht zu genießen. Obwohl: Es ist der einzig machbare. Die Erfindungen von Sprache und Schrift liegen schon zu weit zurück, als daß wir dort sinnvolle Vergleiche anstellen könnten. Am Interessantesten ist vielleicht die Frage : Welche normativen Kräfte wohnen MultiMedia und Internet inne ? |
|
MultiMedia 8 (eine Hoffnung, persönlich) : | |
MultiMedia in seiner ultimativsten Form als weltweites multimediales Datennetz ist eine babylonische Säkularisierungsmaschine und wird uns uns selbst und einander näher bringen, der (schmerzhafte) Königsweg zu einer planetarischen Zivilisation. Die normative Kraft liegt im entnormierenden. |
|
MultiMedia 9 : | |
MultiMedia ist eine Chance für auditive, nicht-alphabetische Kulturen. Es heißt 'gehorchen' und nicht 'gesehen', obwohl das Sehen 'von Angesicht zu Angesicht' aptisch für Dominanz und Insubordination essentiell ist. Eine Vermittlung von Autorität über das elektromagnetische Feld wirkt relativierend. |
|
MultiMedia 10 (Hemmschuhe, leider) : | |
Die bisherige elektromagnetische Welt von Radio und Fernsehen kennt, - aus technischen Gründen -, wenige Sender und viele Empfänger. Wir sind zu Empfängern erzogen und müssen das Senden erst lernen (lehren). Bilder sind Positionen. Der Ausdruck einer Negation ist mit Bildern unmöglich. Geschriebene Sprache und formale Systeme sind zum Ausdruck von Negationen unverzichtbar. |
|
jpaul@xpertnet.deContact
webmaster@vordenker.de
|