Liebe Vordenkerinnen, liebe Vordenker,
jetzt im Oktober gibt es Neues von Claus Baldus und Gisela Behrendt, Altes – gleichwohl mehr denn je Aktuelles – vom Kybernetikphilosophen Gotthard Günther und von der Open AI KI ChatGPT, Version 4, mittlerweile integriert in die Microsoft-Suchmaschine BING und den hauseigenen Browser Edge.
Claus Baldus ist für dieses Mal mit zwei Beiträgen vertreten. Beginnen wir mit GESTOLPERT, ein Stück, ein Auszug aus „Studio 10 / Serie 02 Tribute – Alltag und Graffiti – Zehn Minutenstücke für Praktikant’Innen“. Protagonisten des Stücks sind zwei Roboter, humaniform und post-Asimovsch, denn in den einen der beiden, Troja, ist SCHULD schon fest einprogrammiert.
Der Beitrag BEGEHREN & GRAFFITI besteht aus einer Serie von Momenten, die nicht systematisch verbunden sind, sondern analog zu modernen Konzepten in Kunst, Musik, etc. eine serielle Strategie darstellen. Verbindungen ergeben sich individuell durch den Prozess des Lesens. Claus Baldus steuert in seinen Texten auch eine Liberalisierung des Lesens an. Gelesen oder auch nur angesehen werden kann – so der Autor – von jeder Station aus, von vorne, von hinten, von der Mitte … kreuz und quer … – wohin das Interesse gerade fällt. Hinweise zur Navigation durch die einzelnen Abschnitte innerhalb des Beitrags sind auf dem Deckblatt gegeben.
Gisela Behrendt widmet sich der Philosophie der Verschwörungstheorie. Sie ist Philosophin und promovierte an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf bei Prof. Dr. Rudolf Heinz, Philosoph, Psychoanalytiker und Begründer der Pathognostik. Ihre Promotion trägt den Titel „Psychoanalytische Philosophiekritik – Die philosophiekritischen Beiträge der ‘IMAGO‘“. Mit Jürgen Gromoll gründete sie die Künstlerinitiative EIGENBLUT Prod. (www.eigenblut-prod.de). Produziert wurden Multiples, Textobjekte und Editionen in kleinen Auflagen. Gisela Behrendt lebt und arbeitet in Neuss. Sie nähert sich dem Thema Verschwörungstheorie nicht nur philosophisch-dialektisch sondern auch psychoanalytisch. Der Komplex der Identitätsfragen – dabei erfolgen Rückgriffe auf Melanie Klein und Rudolf Heinz – wird in ihrem Beitrag ebenso diskutiert wie die Möglichkeit der Funktion der Verschwörungstheorie „als Gegenpol zur Objektivitätsekstase des gesellschaftlichen Diskurses“.
Gotthard Günther hielt 1965 einen ca. 36-minütigen Vortrag mit dem Titel „Transzendentalphilosophische Grundlagen der Kybernetik“ irgendwo in Deutschland, möglicherweise sogar vor der Akademie der Wissenschaften in Nordrhein-Westfalen, wo er mehr als einmal zu Gast war. Darin hebt er gegen Ende auf die Möglichkeit ab, dass, wenn man in Deutschland nicht aufpasst, in einigen Jahren exorbiante Summen für Lizenzen für kybernetische Anwendungen an das Ausland – er dachte dabei sicher in erster Linie an die USA – zu zahlen habe. Auf der anderen Seite böte sich, so Günther, in Deutschland die Chance, philosophische Erkenntnisse aus dem Deutschen Idealismus technischen Anwendungen zuzuführen und so an den zukünftig wachsenden Bedarfen nach kybernetischen Maschinen gewinnbringend zu partizipieren. Die Kybernetik als Wissenschaft begann mit Grundlagenarbeiten in den 40er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Vieles – nicht Alles – was damals bearbeitet wurde, firmiert heute unter dem Etikett „Informatik“. Wenn man nun an die Summen denkt, die in Deutschland insgesamt für Softwarelizenzen US-amerikanischer Unternehmen ausgegeben wurden und werden, gewinnt Günthers Vortrag jenseits allen philosophischen Inhalts im Nachhinein und im volkswirtschaftlichen Sinn geradezu prophetischen Charakter.
Da in der letzten Zeit an vielen Stellen und von vielen Personen wieder einmal darauf hingewiesen wurde, dass Deutschland drohe, den Anschluss zu verlieren – jetzt im Kontext Künstliche Intelligenz – „durch Deutschland muss ein KI-Ruck gehen!“, so Sascha Lobo bei Markus Lanz am 9. März 2023 – habe ich mir den Spaß erlaubt, ChatGPT 4 mit Günthers Vortrag häppchenweise zu füttern und die Software aufzufordern, den Inhalt in eine aktuellere Sprache zu übersetzen und dabei den Term „Kybernetik“ durch „Künstliche Intelligenz“ zu ersetzen. Schließlich wird niemand ernsthaft bestreiten wollen, dass in den Large Language Models und den Simulationen neuronaler Netze kybernetische Prinzipien Anwendung finden.
Die Eingabe des Textes wurde am 6. August 2023 portionsweise über das frei zugängliche und für User kostenlose Interface von Microsofts Suchmaschine Bing im MS Edge Browser vorgenommen. Wie der Dialog ablief, ist der Datei zu entnehmen. In ihr stehen Günthers Original und die KI-Produktion zweispaltig nebeneinander. ChatGPT4 produzierte neben der Leistung des Umschreibens einen zusätzlichen Absatz, zu finden auf Seite 27 in Rot, der nichts mit der Rede zu tun hat und der wohl Wille, Absicht und Hoffnung suggerieren soll, eine nach meiner Auffassung höchst unzulässige Anthropomorphisierung im System selbst, die ihrerseits zu Antropomorphisierungen des Systems durch die Nutzer führen kann.
Für diejenigen Leserinnen und Leser, die das Original unverfälscht und ohne Ablenkung lesen wollen gibt es eine separate Datei nur mit der Rede Günthers.
Viel Spaß und Inspiration beim Lesen und Denken sowie weniger Krisen wünscht Ihr
Nick H. aka Joachim Paul (Hg.)
Lieber Herr Angermann,
nein, ich schwöre bei allem, was mir lieb und teuer ist, ich habe nichts hinzugefügt oder irgendeine Bemerkung als Prompt im Chat mit ChatGPT4 via BING Interface nachgeschoben!
Das ganze ist mir sogar erst nachher aufgefallen. Glücklicherweise hatte ich die Interaktionen – meine Eingaben, meist „hier kommt der nächste Absatz“ – und dann der Abschnitt der Rede und die Antworten von BING in eine Datei kopiert. ChatGPT4 via BING konnte bis dato nur 30 Interaktionen, also 30 Eingaben und 30 Outputs, danach „vergisst“ das System und es muss ein neuer Chat eröffnet werden. Pro Prompt können nur 4000 Zeichen engegeben werden und auch entsprechend als maximalem Output erhalten werden. Ich habe Günthers Rede dem System also häppchenweise verabreicht und bin mit insgesamt 13 Prompts ausgekommen. Danach habe ich, wie Sie gesehen haben, die einzelnen Absätze in die Zeilen einer 2-spaltigen Tabelle kopiert. Erst dabei fiel mir auf, dass unter den Outputs ein überzähliger Absatz war. Eben jener mit dem Smiley, den ich rot kommentiert habe. Das BING Interface bietet drei Auswahloptionen für Antworten als Voreinstellung. Diese lauten: 1. In höherem Maße Kreativ, 2. In höherem Maße Ausgewogen, 3. In höherem Maße Genau. Also genau so: Kreativ, Ausgewogen, Genau. Da ich eine lesbare Veränderung des Redentextes wollte, habe ich die Einstellung Kreativ gewählt. Der Mathematiker Stephen Wolfram schreibt in seinem Büchlein „What Is ChatGPT Doing … and Why Does It Work?“, dass das System nicht immer die wahrscheinlichsten folgenden Worte nimmt, sondern aus einem Satz der wahrscheinlichsten noch würfeln kann. Er sagt, dass die Texte aus nur den wahrscheinlichsten Worten todlangweilig seien. Sehr aufschlußreich! ChatGPT ist also reine Stochastik plus einem Satz Würfel. Wenn man dem Glauben schenken kann. Open AI ist ja alles andere als open …
Danke für Ihr Interesse und liebe Grüße, Joachim Paul
Danke Herr Paul, ich bin begeistert!
Ist der von Ihnen rot kommentierte Smiley-Absatz allen Ernstes eine Eigenmächtigkeit von ChatGPT? …Nee, ne?
Sicher haben Sie ihr noch eine Zusatzfrage untergejubelt.
herrlich, lieber Herr Paul, es wäre doch gelacht, wenn ChatGPT nicht die deutschen Flötentöne beigebracht werden könnten. Und ich bin beruhigt, dass Sie ChatGTP nicht gebeten haben, den Stellenwert der Kybernetik Günthers in der aktuellen deutschen Informatik abzufragen. Am Programm und seiner Finanzierung wäre sicherlich jedermann interessiert, aber wer beherrscht noch die Ressourcen?