Gotthard Günther

Der Tod des Idealismus
und
die letzte Mythologie

Unveröffentlichtes Manuskript (Fragment).

(im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Berlin)

Hrsg. Dr. Rudolf Kaehr; die Textkopie befindet sich in privatem Besitz und darf nur als Interna des ICS benutzt werden.

In Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte findet sich, etwas beiläufig, die Bemerkung, daß erhebliche weltgeschichtliche Veränderungen sich zweimal ereignen müßten. Nur durch ihre Wiederholung würden sie endgültig und gewönnen historische Dauer. Es scheint, als ob dieser Gedanke durch die Entwicklung der Philosophie der Gegenwart in einer eigenartigen Weise bestätigt wird. Nirgendwo hat die Philosophie in ihrer langen Entwicklung seit den Griechen eine solche weltumfassende Tiefe erreicht wie in der deutschen idealistischen Transzendentalphilosophie von Kant bis Hegel und Schelling. Seit dem Erscheinen der Kritik der Reinen Vernunft weiß man, daß man nicht mehr voridealistisch im Sinne aller Philosophie vor 1/81 philosophieren kann. Aber der strahlende Glanz dieser Philosophie war nicht von langer Dauer. Unter der rapiden Einwirkung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert sprach man sehr bald von einem Zusammenbruch des Idealismus, und die Entwicklung des Denkens seit dem Tode Schellings hat deutlich gezeigt, daß jedenfalls die logische Grundlage dieser großen Philosophie nicht ausreichte um die nach-idealistischen Entwicklungen abzusichern. Das Jahr 1854 hat eine symbolische Bedeutung. In ihm starb Schelling in Bad Ragaz und in ihm veröffentlichte George Boole sein berühmtes Werk An Analysis of the Laws of Thought. Zwischen diesem Werk und Schellings Philosophie der Mythologie und der Offenbarung klaffen Abgründe.

Es scheint aber, als sollte der transzendentale Idealismus eine Wiederholung erleben, die ihn bestätigen und seine Dauer sichern sollte. Das Phänomen des Neu-Kantanismus ist bekannt und seit 1900 begann Wilhelm Windelband von einer "Hegel Renaissance" zu sprechen. Man muß dem Neu-Hegelianismus, der sich jetzt entwickelte, zubilligen, daß er tiefer griff als der Neu-Kantianismus, weshalb sich ihm die besseren Köpfe in der Philosophie im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts und noch etwas darüber hinaus zuwandten. Aber dieser Versuch eine Erneuerung Hegels und mit ihm des klassischen deutschen Idealismus krankte an derselben Schwäche, an der diese Philosophie schon im ersten Stadium der Naturwissenschaft gegenüber ihre Herrschaft verloren hatte.

Das systematische Problem, um das herum sich die philosophischen Bemühungen der Hegel Renaissance kristallisierten, wurde als der Versuch der Entwicklung einer Logik der Geisteswissenschaften formuliert. Diese angebliche Logik der Geisteswissenschaften sollte in ausdrücklichem Gegensatz zu der gängigen Logik der Mathematik und der Naturwissenschaften entwickelt werden. Man postulierte in Anlehnung an Kants Unterscheidung von formaler und transzendentaler Logik, daß die Logik der Kulturwissenschaften nicht formal sein dürfe und nahm damit in die Erneuerungsbemühungen jenen tödlichen Keim auf, der schon die erste Phase des deutschen Idealismus zum Siechtum und zur Kraftlosigkeit gegenüber der störrischen Entwicklung der Naturwissenschaften verurteilt hatte. Zwar hatten die Erneuerer Hegels als große wissenschaftliche Aufgabe der Zukunft die Interpretation der Hegelschen Logik auf ihre Fahnen geschrieben, aber der Ernst dieser Aufgabe wurde allenthalben unterschätzt. Eine unabdingliche Voraussetzung einer solchen Aufgabe wäre eine historische Analyse der Tradition der Dialektik gewesen. Dabei hätte es sich herausgestellt, mit wieviel Reserve und Skepsis Hegels Aussagen zur Dialektik betrachtet werden müssen und wie speziell der im deutschen Idealismus so tief eingewurzelte Haß gegen den logischen Formalismus, der bei Hegel geradezu groteske Formen erreicht, in Rechnung gezogen werden muß um eine ausreichend kritische Haltung gegenüber der Art und Weise einzunehmen, wie Hegel die dialektische Tradition fortsetzt.

Ein auch nur einigermaßen ausreichendes Studium der Philosophie Platos und speziell seiner Zahlenlehre sollte den Neu-Hegelianismus darüber belehrt haben, wie wenig Hegels Tiraden gegen die philosophische Substanzlosigkeit des Mathematischen berechtigt sind und wie die mangelnde Weiterentwicklung des logischen Formbegriffs der Entwicklung der Dialektik geschadet hat. Diese Schwächen und Schäden haben sich bis heute weiter fortgepflanzt und haben dazu geführt, daß in dem mit dem Marxismus alliierten dialektischen Materialismus wir zwar dauernd hören, daß etwa das Verhältnis von Korpuskel und Welle in der Physik dialektisch sei oder daß das Verhältnis von Qualität zur Quantität dialektisch sei und neuerdings angesichts der Kybernetik, daß das Verhältnis von Mensch und Maschine ebenfalls dialektischen Charakter habe. Das wird uns hoch und heilig versichert, begleitet von einer phänomenologischen Beschreibung des Tatbestandes, dem die Dialektik inhärent sein soll, aber in welcher Weise diese Inhärenz einer dialektischen Struktur in so verschiedenen Tatbeständen wie etwa dem Verhältnis von Quantität und Qualität oder zwischen dem Menschen und der Maschine sich von Tatbestand verändert darüber erfahren wir kein Wort.

Diese fundamentale Schwäche der dialektischen Theorie kann dem dialektischen Materialismus kaum zur Last gelegt werden. Sie geht zurück bis auf Hegel selbst und sein borniertes Verhältnis zum Formalismus. Es ist heute um die Frage einer spezifischen Logik der Geisteswissenschaften schon relativ still geworden, und die Entwicklung ist im Begriff über diesen verfehlten Ansatz ganz hinwegzugehen. Das zeigt nur an, daß die Wiederholung des deutschen Idealismus zur Bestätigung seiner historischen Dauer in diesen naiv direkten Versuchen, wie sie Neu-Kantianismus und Hegel Renaissance darstellen, nicht geglückt ist. Man hat nicht tief genug gegraben, und so wird nirgends im Neu-Kantianismus sowohl wie im Neu-Hegelianismus das Janusgesicht dieser großen abschließenden deutschen Philosophie deutlich. Einerseits ist sie ein Rückblick auf eine vergangene Philosophie, die hinter ihr liegt und der sie innerlich schon nicht mehr angehört, andererseits können sich die neuen Denkansätze, mit denen ihr zweites Gesicht in die Zukunft blickt, noch nicht voll durchsetzen. Und weil die Abrechnung mit der Vergangenheit noch nicht vollständig ist, schleppt sie sich mit den Fesseln toter Denkformen in eine dunkle Zukunft, die ihr das dialektische Licht nicht erleuchten kann.

Wir wollen die unzureichende Abrechnung der Hegelschen Philosophie - die repräsentativ für den ganzen transzendental-dialektischen Idealismus steht - an einem grundsätzlichen Beispiel erläutern. Der Höhepunkt der klassischen Metaphysik des Abendlandes ist wohl in der einfachen Formel der coincidentia oppositorum des christlichen Kardinals Nicolaus von Kues zu suchen. Diese irdische Welt ist das Schlachtfeld der Unversöhnlichkeit der Gegensätze im Endlichen. In der ewigen Ruhe des unendlichen jenseitigen Gottes aber fallen alle dialektischen Gegensätze zusammen. Lassen wir etwa den Durchmesser eines Kreises bis ins Unendliche wachsen, so ist die Kreislinie nicht mehr von einer Geraden zu unterscheiden. Und dehnt sich eine Seite eines Dreiecks ins Unendliche aus, so verlängern sich auch die beiden andern derart, daß sie im Absoluten mit der Geraden zusammenfallen. Der Widerspruch zwischen ihnen ist aufgehoben. Er ist ein Index des Endlichen. Im Unendlichen sind alle Widersprüche verschwunden.

Diese Metaphysik ist unverträglich mit der Hegelschen Philosophie. Denn das Wesentliche der Dialektik, wie sie von Hegel verstanden wird, ist daß sie nicht ein Vordergrundsphänomen der Welt ist, das mit der Entwicklung zum Absoluten hin graduell und schließlich ganz verschwindet, sondern der dialektische Widerspruch ist vielmehr ein Kennzeichen des Absoluten, das sich erst dort in seiner vollen Stärke und ganzen Endgültigkeit zeigt. Es ist höchst bezeichnend, daß in der ganzen Hegelschen Philosophie der Kusaner überhaupt nicht erwähnt wird und daß weder die Große Logik noch andere zum Dialektikthema relevante Schriften eine Auseinandersetzung mit der coincidentia oppositiorum enthalten. Das Eins oder die Einheit ist zwar nach Hegel eine Kategorie des qualitativen Seins aber da er nirgends auf die coincidentia oppositorum bezug nimmt, kann er an ihr auch nicht kritisieren, daß sie totale Qualitätslosigkeit ist, weil jede Qualität den Geruch des Irdischen an sich hat, das in dem Feuer des Absoluten zu Asche verbrennt.

Indirekt freilich nimmt Hegel gegen diese Metaphysik Partei, denn im Anschluß an den Neuplatoniker Proklos betont er ausdrücklich, daß ein Denken, das Einheit zum Ziel sich setzt, das nicht durch "Abnahme" seine Bestimmungen erreicht, sondern indem es das einmal "Hervorgebrachte auch in sich erhält". In andern Worten: das absolute Wesen ist die ewige dialektische Spannung zwischen der Einheit und der Vielheit.

Liest man Hegels Kommentar zu Proklos in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, so wird wenigstens psychologisch verständlich, warum Hegel über den Kusaner zur Tagesordnung übergeht. Für ihn hat die Metaphysik in der griechischen Philosophie bereits eine Subtilität erreicht, der gegenüber die Formulierungen, die die coincidentia oppositorum betreffen, primitiv und dilettantisch wirken mußten. Und trotzdem ist die Ignorierung des Kusaners Ausdruck jener formal logischen Blindheit, die den ganzen transzendental spekulativen deutschen Idealismus auszeichnete. Selbstverständlich ist in der Idee der coincidentia oppositorum die ganze Dialektik des Absoluten verloren gegangen. Das Wesen Gottes wird von dem christlichen Kardinal ausschließlich in undialektischen Kategorien gesehen. Aber gerade das hätte Hegel stutzig machen sollen. Die Frage hätte nahe gelegen, warum hier das Denken von den reicheren Kategorien einer früheren Zeit sich in gedanklich Ärmere zurückgezogen hat. Jedermann, der das Mittelalter kennt, weiß, daß dieser Reichtum dort nicht verloren gegangen war; aber während die Griechen ihn begrifflich zu fassen suchten, hat er sich in dem spirituellen Zusammenfluß von Griechentum und Christentum mehr und mehr in das Religiöse zurückgezogen. Was für das geschärfte formal logische Empfinden des Mittelalters dann übrig bleibt, waren die radikalen Konsequenzen der zweiwertigen aristotelischen Logik. In die aber ging die dialektische Triade, die zwischen dem Einen, der Einheit und der Vielheit spielt, nicht ein. Hier ist das Absolute schon von vornherein ein Kreis, in dem ein Anfang nicht zu finden ist und dessen Selbstentwicklung nirgends ein Ende gesetzt ist. "Nur die undialektische Betrachtung der Geschichte will ihr ein unüberholbares Ziel oder ein jüngstes Gericht setzen".

Hier klafft ein unerträglicher Widerspruch zwischen Hegel und der christlichen Tradition und man kann nur jenen Theologen recht geben, die den deutschen Idealismus immer mit tiefem Mißtrauen betrachtet haben. Jene Betrachtungsweise, die der Geschichte ein unerbittliches eschatologisches Ende setzt, ist nämlich die unausweichliche Konsequenz einer theoretischen Reflexion, die ausschließlich durch die zweiwertige Logik gelenkt wird. In ihr ist das Verhältnis von der Einheit zur Vielheit ein undialektisches Ordnungsverhältnis, in dem die unterschiedslose Einheit des Ewigen Lichtes hoch über allem Irdischen schwebt und in dessen dunkle Schächte die Strahlen des Logos nur eine rasche Dämmerung verbreiten. Aus dem Gesetz dieser Hierarchie ergibt sich dann auch das Ziel der Geschichte. Es ist die Rückkehr des Lichts in seine ewige Heimat. Diese hierarchische Ordnung von Einheit und Vielheit, die dem naiven Bewußtsein so einleuchtend und selbstverständlich ist, hat aber eine gefährliche Konsequenz, die schon auf der Höhe der griechischen Philosophie ausgesprochen worden ist. Der Weg nach oben und der Weg nach unten ist derselbe.

Wenn der Kusaner von Gott als der coincidentia oppositorum spricht, so ist das nur ein anderer Ausdruck für den Sachverhalt, daß der Weg vom Allgemeinen zur vereinzelten Sonderheit genau der gleiche ist, wie vom Besonderen zum Allgemeinen. Die bekannte platonische Begriffspyramide illustriert das ganz deutlich:

Tafel I

1

2 3

4 5 6 7

8 9 10 11 12 13 14 15

Wenn wir von der mit 1. bezeichneten Spitze zu, sagen wir 13 herabsteigen wollen, so führt nur ein einziger Weg dahin, nämlich über 3 und 6; oder wenn wir 9 erreichen wollen, so sind die einzig möglichen Verbindungsstücke 2 und 4. Betrachten wir die mit den Zahlen von 8 bis 15 bezeichneten Endpunkte relativ zu 1 als das Maximum der erreichbaren Individualität, so muß unter Individualität das verstanden werden, was eine einzigartige, ihm allein zugehörige Abstammung aus dem Absoluten hat. Das ist der metaphysische Sinn von Individualität gegenüber dem Allgemeinen auf dem Boden der klassischen Tradition. Setzt man für den weiteren Begriff der Individualität, der auch die Individualität jedes einzelnen Sandkorns am Meer umfassen kann, den engeren Begriff von Seele, dann läßt sich das Schema auch theologisch deuten und man darf sagen, jede Seele hat ihre einzigartige Abkunft von Gott. Das ist für den religiös Denkenden, der um sein eigenes ihm höchst privates Verhältnis zum Göttlichen besorgt ist, befriedigend. Nicht nur seine einzigartige Abkunft von Gott ist ihm sicher, sondern auch seine eigene nur ihm zugehörige Rückkehr ins Absolute.

Es ist kein Wunder, daß dieses Platonische Schema des Denkens die Entwicklung der religiösen Dogmatik ungeheuer befördert hat. Die ganze individualistische Kraft des Luthertums leitet sich aus ihm ab. De facto, die ganze Geistigkeit des Abendlandes, einschließlich von Wissenschaft und Technik, wird von ihr getragen. Es hat eine mehr als zweitausendjährige Entwicklung gekostet, bis endlich ein Denker vom Range Platos - Hegel - kam, der die Einseitigkeit dieses Weltschemas begriff und nach einem neuen Weg suchte.

Aus der Tatsache, daß der Weg vom Absoluten zum Einzelnen hinab und vom Einzelnen zum Absoluten hinauf immer derselbe ist, ergibt sich, daß für die Erlösung der Welt und der Einzelseele der Pfad von der höchsten Heiligkeit zur vollendeten Sündhaftigkeit wieder rückwärts beschritten werden muß. Alles bisher Geschehene muß wieder ausgelöscht werden und Individualität und innigste Privatheit ist nur ein vornehmer Ausdruck für Verworfenheit. Die Entfaltung des Absoluten in der Geschichte ist ein metaphysischer Irrtum, der wieder rückgängig gemacht werden muß. Ihr Anfang ist der Aufruhr Luzifers, der den Frieden des Ewigen zerstört. Ein Ausbruch aus der Tiefe, der immer weitere Wellenkreise zieht. Aber je weiter desto langsamer und zuletzt liegt der Seespiegel des Absoluten wieder still. In philosophischer Sprache: soweit die klassische Metaphysik von der zweiwertigen Logik des Aristoteles diktiert wird, führt sie von der doincidentia oppositorum als Anfangszustand des Absoluten zurück zur cioncidentia oppositorum als dem Endzustand des Absoluten. Nicht nur, daß damit die Geschichte metaphysisch entwertet wird, ihre innere Struktur wird dadurch bis zu einem Grade unverständlich, der faktisch nicht bestehen kann, weil er das zentrale Phänomen des historischen Daseins überhaupt nicht hätte entstehen lassen können, nämlich das Faktum dessen, was Hegel den objektiven Geist nennt. Wenn Hegel aber von einer Theorie des objektiven Geistes spricht, so meint er, daß das historische Geschehen eine spirituelle Durchsichtigkeit besitzt, eine Durchsichtigkeit, die die klassische Logik nicht zu durchleuchten imstande ist.

Um diesen Umstand an einem ganz elementaren Sachverhalt zu demonstrieren, wollen wir uns noch einmal dem Schema der Platonischen Diairesis in Tafel I. zuwenden. Wir stipulieren wieder, daß 1 das Absolute bedeuten soll und die Zahlen an der Basis die extremste Form der Individualität, die in sich selbst einzigartige Seele. Diesmal wollen wir uns nicht begnügen nur festzustellen, daß jede Individualität eine nur ihr eigene Beziehung zum Absoluten hat, die reversibel ist, sondern wir wollen ganz pedantisch alle in der Tafel demonstrierten Beziehungen zwischen dem Individuellen und dem Allgemeinen miteinander vergleichen. Das Resultat dieses Vergleichs wird vorerst trivial erscheinen, unsere Überlegungen aber werden zeigen, daß das nicht so ist.

Tafel II

1 1 1 1 1 1 1 1

2 2 2 2 3 3 3 3

4 4 5 5 6 6 7 7

8 9 10 11 12 13 14 15

Trotzdem auch nicht ein Weg in Tafel II. mit einem andern identisch ist, so sehen wir ohne weiteres, daß trotzdem gewisse Gemeinsamkeiten bestehen. Die Individualitäten 8 und 9 sind sich sehr nahe, denn sie haben die Strecke 1,2,4, also bis zum nächsten genus proximum gemeinsam. Analoges läßt sich für die Geschwisterpaare 10 und 11, 12 und 13, und 14 und 15 sagen. Konfrontiert man aber etwa 8 mit 10, so geht die genetische Gemeinsamkeit über beide hier dargestellte Zwischenstufen zwischen Allgemeinheit und Besonderheit nur noch über eine, nämlich 2. D.h. es ist hier schon ein gewisser Grad einer 'historischen' Entfremdung festzustellen. Vergleicht man aber eine beliebige Individualität der Gruppe 8 bis 11 mit einer Individualität der Gruppe 12 bis 15, so besteht überhaupt keine Gemeinsamkeit der Verbindung zwischen dem Individuellen und dem Allgemeinen mehr.

Wenn aber als letzter Bezugspunkt, der alle Individualität einschließt, nur noch jenes farblose Absolute der coincidentia oppositorum übrig bleibt, so existiert überhaupt keine Möglichkeit eine Theorie des objektiven Geistes zu entwickeln. Eine solche würde Querverbindungen zwischen den Individualitäten fordern derart, daß die Maxime des...................ungültig wird. An diesem Grundsatz scheidet sich klassisches und transklassisches Denken.

Nun könnte man zwar einwenden, daß doch eine bescheidene Form von Querverbindung existiert. Wenn wir etwa 8 und 9 als gesonderte Subjekte, also als ein Ich-und-Du Verhältnis auffassen, so ist in beiden Fällen die Herkunft bis zum genus proximum die gleiche. Es ist irrelevant, ob 8 seinen Weg zum Absoluten über die Zahlenfolge 4, 2, 1, die direkt über ihm steht, sucht oder über die gleiche Zahlenfolge die sich über 9 aufbaut. Und das gleiche gilt für 9. Aber diese Gemeinsamkeit deutet nur darauf hin, daß das isolierte Ich und das isolierte Du in einem einfachen Umtauschverhältnis miteinander stehen. Solche Umtauschverhältnisse gelten ferner für das isolierte Paar 10 und 11, 12 und 13, und 14 und 15. Es gilt aber schon nicht mehr für 8 und 10. In andern Worten: die klassische Logik berücksichtigt zwar daß einzelnes Ich und einzelnes Du miteinander in einem formalen Umtauchverhältnis stehen, ohne dadurch etwas von ihrer Einzigheit und Privatheit aufgeben zu müssen, aber schon das Verhältnis von 3 Individualitäten zueinander bedeutet, wenn man es logisch zu fassen versucht, eine relative Preisgabe der Individualität. In unserm Beispiel einer Querverbindung müssen wir schon bis zur Stufe 2 zurückgehen. Und wollen wir grundsätzlich die unbegrenzte Vielheit aller Du-Zentren einschließen, so ist dieser Einschluß eben nur in der undifferenzierten Einheit des Absoluten gegeben, d.h. alle persönliche Privatheit ist in jener Weltseele eingeebnet, als die uns die coincidentia oppositorum erscheinen soll. Wenn das fromme religiöse Gefühl trotzdem von einem Leben der Seele in Gott spricht, so widerspricht das zwar aller logischen Extrapolation aber der Glaube fühlt sich dadurch nicht im geringsten entkräftet und spricht von einem Mysterium. Und dazu besteht auch einiger Grund, insofern der Theologe darauf hinweisen kann, daß mit den Denkmitteln, die die klassische Logik liefert, zwar die Relation von isoliertem Ich und isoliertem Du als Umtauschverhältnis verstanden werden kann, daß aber die einfache Kategorie des Umtauschverhältnisses versagt, weil in der Welt dem sich jeweils als einzig erlebenden Ich die unbegrenzte Vielheit der Du's gegenüber steht. Für das private Ich ist jeweils die Niveau-Ebene des Umtauschverhältnisses festgelegt. Nur das Du, das sich auf gleicher Umtauschebene befindet, kann zu ihm in einem Wechselverhältnis stehen. In unserem, der Tafel II entnommenen Beispiel steht 8 in einem solchen Umtauschverhältnis zu 9, aber schon nicht mehr zu 10. Wer möchte ernsthaft behaupten, daß sein Ich in einem Umtauschverhältnis mit der Subjektivität einer Ameise steht? - obwohl auch letztere ein Du ist. Das Gleiche gilt für Mariä Verkündung, wenn man bedenkt, daß die Subjektivität des Engels des Herren zwar die im Absoluten nähere, aber notwendigerweise auch die undifferenziertere sein muß.

Mit alledem wiederholen wir nur dem klassischen Metaphysiker altbekanntes. Und unsere gegenwärtige Absicht bescheidet sich damit darauf hinzuweisen, daß mit dem Prinzip ????????????????? die Behandlung des Problems der Subjektivität aus jeder Wirklichkeitstheorie ausgeschlossen ist. Deshalb liefert diese Logik keine wissenschaftliche Basis für ein sachgemäßes Traktieren der Probleme der Geschichte.

Man hat lange und vergeblich daran herumgerätselt, um welchen logischen Sachverhalt es sich eigentlich handelt, wenn Hegel von 'Vermittlung' spricht. Wir vertreten hier die Auffassung, daß unter diesem Terminus in seiner allgemeinsten Form nichts weiter verstanden zu werden braucht als die Ausdrückliche Verleugnung des ??????????. Das freilich die Durchführung dieser Hegelschen Idee zu enorm komplexen Konsequenzen führt, ist eine andere Sache.

Vorläufig sind wir noch lange nicht in der Lage uns mit dem Problem der Vermittlung zu befassen, weil die klassische Position keineswegs so schwach ist, daß sie sich mit den bisher angeführten Argumenten erledigen läßt. Dagegen daß wir den Apex der Platonischen Pyramide als den Ort der Allgemeinheit und ihre Basis als das Feld der Besonderheit bezeichnet haben, wird wohl niemand ernsthaft etwas einwenden können. Wir sind aber noch weiter gegangen und haben die Spitze der Pyramide als Repräsentation eines universalen Subjekts und die Basis als den Bereich der vielen privaten Einzelsubjektivitäten bezeichnet. Wer hierin eine Willkür sieht, dem muß sein Vorwurf bereitwillig konzediert werden. Wir können ebenso gut sagen - und es ist die gleiche Willkür - daß die Spitze der Pyramide, das Sein des Seienden radikale und ununterschiedslose Objektivität darstellt, also Materie im landläufigen Sinne und daß wir an der Basis der Pyramide dem Seienden in der Gestalt der korpuskularen Struktur des Physischen begegnen. Setzen wir einmal voraus, es 'gibt' so etwas wie allerletzte nicht weiter reduzierbare Elementarteilchen im Weltall, so können sie keine Eigenschaften mehr haben, die sie von dem berühmten Eckartschen Seelenfünckchen unterscheiden. Also ist dieses Weltall doch Seele, sagt begeistert der Idealist, aber das Argument ist janusköpfig. Mit gleichem Recht können wir, wenn wir in der Mystik vom dem Seelenfünckchen sprechen, ihm keine andern Eigenschaften zuschreiben als diejenigen, zu denen der Physiker bei Extrapolation seiner Theorien kommt. Seht Ihr, wird der Materialist daraufhin ausrufen, ich habe recht! Auf dem Boden der klassischen Logik ausgetragen ist der Streit so lächerlich, wie wenn man sich darüber zankte, ob die rechte oder die linke Straßenseite die 'wahre' für das Autofahren sei.

So lächerlich das Niveau ist, auf dem der Idealismus/Materialismus-Streit bisher geführt worden ist, die Möglichkeit seiner Entstehung sollte zu denken geben. Sie ergibt sich aus der eigenartigen Struktur der klassischen Logik und ist deshalb ein systemimmanentes Phänomen. Da die Gegenwart in ihren philosophischen Vertretern fast jeden Sinn für den ontologischen Charakter der Logik (als formalisierte Metaphysik) verloren hat und Logik nicht mehr als Lehre vom Sein sondern nur als Lehre vom Denken und schließlich in ihrer degeneriertesten Form als Sprachtheorie betreibt, müssen zum Verständnis des Weiteren einige alte philosophische Wahrheiten wieder ins Bewußtsein zurückgerufen werden. Die klassische Logik hat als exakte Theorie des Weltverständnisses kein anderes Mittel den urphänomenalen Gegensatz zwischen Objekt und Subjekt, d.h. zwischen Ding und Seele, auszudrücken als die einfache Entgegensetzung von Affirmation und Negation. Traditionsgemäss wird dabei die Affirmation der Objektivität zugeordnet, wodurch die Negation als diejenige Dimension erscheint, in der die Seele nistet. Aber diese Zuordnung ist zweideutig. Nicht umsonst heißt es bei Spionza: Omnis determinatio est negatio. Da aber unter Determination ein affirmatives Verhältnis des Bewußtseins zur Welt verstanden werden muß, sagt der Spinozistische Satz, daß es in Wahrheit die Negation ist, in der sich der objektive Gehalt der Wirklichkeit feststellt. Wir stoßen hier auf jene fundamentale Eigenschaft der klassisch zweiwertigen Logik, daß sie ein Isomorphiesystem ist, das in seiner Anwendung zwei logisch Äquivalente und weltanschaulich völlig gleichberechtigte Wirklichkeitsdeutungen erlaubt, die inhaltlich verschiedenes zu sagen scheinen, in Wirklichkeit aber nur inverse Darstellungen eines identischen ontologischen Sachverhalts sind. Anders ausgedrückt: Idealismus und (dialektischer) Materialismus sagen im Sinne einer fundamentalen Wirklichkeitslehre genau daßelbe. Sie müssen genau daßelbe sagen, weil die klassische Logik auf Grund ihres symmetrischen Aufbaus es völlig unmöglich macht zu sagen, welcher ihrer beiden Werte, der positive oder der negative, letztlich Ding und welcher Seele vertreten soll. Das Einzige, was darüber definitiv zu sagen ist, läuft darauf hinaus, daß - wenn man die Affirmation der Objektivität zurechnet, - damit automatisch der Negation die Rolle zufällt das subjektive Element der Wirklichkeit zu vertreten. Was die Interpretation des deutschen Idealismus und speziell Hegels angeht, ist dieser Sachverhalt schon vor mehr als 40 Jahren von dem Mathematiker Rainhold Baer in seinem Vortrag auf dem II. Hegel Kongreß 1931 festgestellt worden, in welchem er mit Hinblick auf das Isormorphieproblem der klassischen Logik bemerkte, daß bei inhaltsreicher Interpretation des Aussagenkalküls das folgende anerkennt werden muß: "Jede Aussage ist zwar von ihrer Negation verschieden, aber es besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen positiven und negativen Aussagen, sogar schärfer zwischen einer Aussage und ihrer Negation." Genau in diesem Baer'schen Sinne sind die philosophischen Aussagen des transzendentalen Idealismus und des dialektischen Materialismus voneinander 'verschieden', und man kann nicht umhin auf dieser Stufe unserer Analyse der gegenwärtigen Erkenntnissituation den Idealisten zu sagen, daß wenn sie für das Absolute das Wort Gott einsetzen, sie das ruhig mit dem Terminus Materie im nach-Hegelschen Sinne vertauschen könnten. Und ebenso könnte man einem Marxisten und Leninisten sagen, daß wenn er in dem von ihm intendierten Sinn von Materie spräche, er logisch gar nichts anderes meinen könne als das, was seine idealistischen Gegner als Bedeutungsgehalt in das Wörtchen 'Gott' investiert haben.

Da es wahrscheinlich ist, daß nach diesen Zeilen sowohl die idealistische wie die materialistische Partei gleich bereitwillig sind dem gegenwärtigen Autor Strychnin oder Cyankali einzugeben, wollen wir vorweg nehmen, daß damit über den Materialismus- und Idealismus-Streit noch längst nicht das letzte Wort gesagt ist. Es muß aber mit noch größerem Nachdruck betont werden, daß weitere Worte zum Thema gar nicht gesagt werden können und an verständnislosen Ohren abprallen müssen, solange nicht die weltanschaulichen Konsequenzen aus heute schon erreichten logischen Einsichten gezogen werden. Das oben angeführte Baer'sche Zitat stellt eine Reflexion auf den Gesamtcharakter der klassischen Logik dar. Diese Reflexion bestätigt, was der Dialektiker schon immer wußte, daß die Geschichte der abendländischen Philosophie mit ihrem grandiosen Festzug immer neuer philosophischer Systeme nichts weiter als einen Kompensationsprozess antithetischer Motive darstellt, die sich auf dem Boden dieser Isomorphie abspielen. Man hat die Hegelsche Behauptung, daß in seiner Philosophie das Absolute zu sich selbst gekommen ist und daß damit die Geschichte des Geistes ihr Ende erreicht habe, nie sehr ernst genommen. Aber es steckt in ihr doch ein größerer Kern von Wahrheit, als man gemeinhin meint. Diese Geschichte der Philosophie, die ihren Antrieb aus dem Irrtum ableitet, es ließe sich eine philosophische Darstellung der Welt finden, die die alleinige Gültigkeit besäße und in der die antithetische eben falsch und endgültig widerlegbar sei, ist in der Tat durch das Reflexionsniveau, das in der Hegelschen Philosophie erstmalig erreicht ist, unwiderruflich abgeschlossen. Auf diesem Boden geht es nicht mehr weiter. Aber diese Auszeichnung des spekulativen Idealismus als weltgeschichtlichen Liquidators einer Epoche des Geistes kommt auch dem dialektischen Materialismus zu, wenn er in einer auf Grund des Isomorphieprinzips völlig legitimen logischen Operation die Hegelsche Philosophie übernimmt, sie invertiert und in einer totalen Negation nach einem bestimmten Wort von Marx, Hegel auf seine Füße stellt.

Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn nicht beide philosophischen Positionen nicht doch wieder in den Fehler verfielen, der in ihnen essentiell schon überwunden ist, und zwar im dialektischen Materialismus noch eindringlicher als im Idealismus. Dieser Fehler besteht darin, daß die Vertreter beider Positionen in ihren Philosophemen eine Antithese sehen, in der höchst undialektisch jede Seite die alleinige und endgültige Wahrheit zu besitzen glaubte. Die Tradition übt noch einmal, ehe sie sich selbst aufgibt, alle diejenige Macht aus, die die Vergangenheit von jeher über die Gegenwart besessen hat.

Wir haben am Eingang dieser Betrachtung bemerkt, daß eine weltgeschichtliche Wandlung erst dadurch endgültig wird und sich ihr Dauerrecht erwirbt, daß sie sich noch einmal wiederholt. Was hier zu wiederholen ist, ist jener kritische Rückblick auf die abendländische Geistesgeschichte, in dem sich der transzendental-spekulative Idealismus sowohl wie der dialektische Materialismus von der Vergangenheit kritisch absetzen und erstmalig den dialektischen Automatismus der bisherigen Geistesgeschichte wenigstens einigermaßen durchschauen. Dieser Rückblick steht selbst noch - in diesem seinem ersten Stadium - unter dem ausschließlichen Gesetz der klassisch zweiwertigen Logik der Isomorphie und produziert damit zum letzten Mal die universal-symmetrische Antithetik von Objekt und Subjekt, aus der die abendländische Geistesgeschichte hervorgewachsen ist. Aber was aus diesem Abschied von einer altgewordenen Gestalt des Lebens vorerst noch nicht mit vollzogen ist, ist die philosophische Reflexion auf diesen Abschied selbst und das neue philosophische Gesetz, unter dem er steht. Beide philosophischen Systeme, der Idealismus sowohl wie der dialektische Materialismus, haben diesen Abschied genommen; beiden ist diese Tatsache bekannt; aber damit ist sie - um Hegels Worte aus der Phänomenologie des Geistes zu paraphrasieren - noch lange nicht erkannt.

Hier entdecken wir zum ersten Mal einen subtilen aber folgenschweren Unterschied in der geistesgeschichtlichen Position von Idealismus und dialektischem Materialismus. Wir haben beide bisher, immer im Hinblick auf das Isomorphieproblem, als philosophisch gleichwertig betrachtet und angedeutet, daß zwischen ihnen ein Streit darum, wer die Wahrheit besitzt, lächerlich ist, weil beide in unterschiedlicher Terminologie daßelbe sagen. Wir können nicht oft genug daran erinnern, daß auf dem Boden der klassischen Logik ontologisch betrachtet kein wesentlicher Unterschied besteht zwischen einer Aussage und ihrer Negation. Ihrer ontologischen Bedeutung nach bleibt die Negation, was sie ist, gleichgültig ob sie uns in nicht-negierter oder in negierter Form gegenüber tritt. Die Negation selber hat keine positive Bedeutung insofern, als sie nichts ontologisch Neues hinzufügt. Sie ist nichts weiter als der Index für die spiegelbildliche Umkehrung ihrer selbst. Sie deutet (im zweiwertigen System) nur an, daß in dem Gegensatz von Urbild und Abbild (immer noch zweiwertig) nicht entschieden werden kann, was Urbild und was Abbild ist. Diese Einsicht ist in blassen kalkültheoretischen Termini der mathematischen Logik längst bekannt, aber die heutige Logik ist derartig zum seelenlosen Mechanismus derjenigen geworden, die ihre Wurzeln in der Ontologie nicht sehr begreifen, daß auch heute noch eine philosophische Auswertung der Isomorphie-Eigenschaften fehlt. Bedauerlicherweise ist explizit darüber auch in der älteren Philosophie nur wenig zu finden; dort redete man nicht viel darüber, weil man über Selbstverständlichkeiten nicht viel Worte zu verlieren braucht, nämlich im flachen philosophischen Raisonnement hatte man die dialektische Antithetik, die in jedem theoretischen Moment des Denkens liegt, ja ohnehin nie begriffen.

Im transzendental-dialektischen Idealismus und seinem Übergang in den dialektischen Materialismus ist diese Doppelfunktion des Begriffs, daß man mit ihm zweimal daßelbe sagen kann, wobei man beide Satzmengen durch den Negationsindex voneinander unterscheidet, soweit in die philosophische Systematik eingedrungen, daß sie von jetzt ab nicht mehr ein privates Privileg der wenigen tiefen Denker der Menschheit ist sondern, daß sie als öffentliches Allgemeingut wirkt, das von jetzt ab nicht mehr ignoriert werden kann. Der subtile Unterschied zwischen dialektischem Idealismus und dialektischem Materialismus, den wir bereits erwähnt haben, besteht nun darin, daß die philosophische Reflexion auf den Abschied von der klassisch Platonisch-Aristotelischen Tradition des Denkens vom Idealismus auf Grund seiner geschichtlichen Stellung nicht mehr vollzogen werden kann. Er befindet sich an einem historischen Ort, in dem er qua Idealismus ein endgültiges Ende darstellt. Von jetzt ab kann er nur weiter leben in seiner eigenen Negation als dialektischer Materialismus. In einem abstrakt formalen Sinne west diese Erkenntnis bereits in der Hegelschen Logik; aber sie wird ausgesprochen in einer Form, in der das idealistische Denken sich gezwungen sieht sich ein Weiterschreiten selbst zu verbieten. Die Große Logik Hegels stellt die totale Reflexion des zu sich selbst gekommenen Seins dar und damit geht der Kreis der Hegelschen Logik von ihrem Ende wieder an den Anfang zurück. Denn dem Sein steht als seine totale Negation nur das ebenso totale Nichts gegenüber, und bei dem Übergehen aus dem Sein in das Nichts erlischt das Denken. Im Nichts kann man beides nicht; man kann nicht denken und man kann nichts denken. D.h. sowohl der Prozeß des Denkens als auch sein Inhalt ist verschwunden.

Zwei Denker haben diese Grenze und ihre Überschreitung als neues Thema der Philosophie gesehen und ausdrücklich benannt. Der erste ist Schelling, dessen heute noch absurd unterschätzte geistesgeschichtliche Bedeutung darin besteht, daß in dem Philosophieren seiner Altersperiode der Idealismus auf einen Punkt kommt, an dem er beginnt sich von innen heraus selbst zu überwinden. Und das noch ehe er in Hegel seine endgültige Form erhalten hatte. Schon in der 1809 erschienenen Schrift Über das Wesen der menschlichen Freiheit lesen wir: "Bis zur Entdeckung des Idealismus fehlt der eigentliche Begriff der Freiheit in allen neueren Systemen...". Wenn man aber jetzt erwartet, daß Schelling im Idealismus die eigentliche Philosophie der Freiheit sieht, so erfahren wir zu unserer Überraschung "daß die tiefsten Schwierigkeiten, die in dem Begriff der Freiheit liegen, durch den Idealismus für sich genommen so wenig auflösbar sein werden als durch irgend ein anderes partielles System. Der Idealismus gibt nämlich einerseits nur den allgemeinsten, andererseits den bloß formellen Begriff der Freiheit." Selbstverständlich hat Schelling sich selbst bis zum Ende seines Lebens als Idealist gefühlt und sich auch dort noch als solcher selbst interpretiert, wo er dialektischer Materialist ist. Aber er unterscheidet ganz deutlich und bewußt zwei Idealismen, nämlich den Idealismus als negative Philosophie und seinen eigenen "Idealismus" der positiven Philosophie in der Alterperiode. Er wirft Kant vor, daß er sich letzten Endes nicht über den Standpunkt der negativen Philosophie erhoben hätte, "die der Charakter seiner theoretischen Philosophie ist". Auch die Hegelsche Methode des Denkens endet für Schelling in einer rein negativen Philosophie. Sie liefert nur ein passives Reflexionsbild des Seins, das sich in der Dimension der Zeit entwickelt. Aber, so sagt Schelling: "Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Sein als Wollen. Wollen ist Ursein und auf dieses allein passen alle Prädikate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung. Die ganze Philosophie strebt nur dahin, diesen höchsten Ausdruck zu finden". In der Hegelschen Philosophie löst sich nach Schelling das Wollen als sekundäres metaphysisches Moment in jenem Sein auf, das sich selbst sich so völlig im Denken angeeignet hat, daß das Wollen im Denken erloschen ist. Dem setzt Schelling seine positive Philosophie gegenüber, die in ihrem tiefsten Intentionen längst über den Idealismus hinweggekommen ist. Trotzdem kommt Schelling von idealistischen Formulierungen nicht los. Die Verbalsuggestion des Wortes 'Gott' ist für ihn zu stark. Aber solche Sätze wie: "Alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ans Licht," oder etwa "ohne dies vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Kreatur; Finsternis ist ihr notwendiges Erbteil" sind keine idealistischen Formulierungen mehr, obwohl sie bei Schelling immer wieder in einen idealistischen Wortzusammenhang hineingezwungen werden. Aber wenn Gott nach Schelling einen Grund hat, der vor der göttlichen Existenz liegt und so die letztere sekundär erst begründet, und wir dann bei Schelling lesen: "Der Mensch hat dadurch, daß er aus dem Grunde entspringt (kreatürlich ist), ein relativ auf Gott unabhängiges Prinzip in sich ...", so ist in einem solchen Satz die philosophische Grenze des deutschen Idealismus endgültig überschritten. Die Relativität dieses Prinzips menschlicher Unabhängigkeit von Gott ruht darauf, daß beide - Gott sowohl wie Mensch - eine parallele Beziehung zum Grunde haben. Gott selbst, damit er sein kann, bedarf eines Grundes, der also seiner eigenen Existenz vorausgeht. Der Mensch aber kann ein freies Wesen nur dann sein und die Fähigkeit zum Bösen haben, wenn er eine ihm eigene Beziehung zum Grunde hat, die nicht identisch ist mit der des Grundes als Existenzbedingung Gottes. Die Unabhängigkeit des Menschen von Gott ist also nicht absolut. Der Mensch mag zwar von Gott geschaffen sein, aber das Material aus dem er geschaffen ist, stammt aus einer Urregion, die der Existenz Gottes selber vorausgeht. Es ist empfehlenswert an dieser Stelle an die zweite Version der Schöpfungsgeschichte des Menschen I. Mose 2, Vers 7 zu erinnern: "Und Gott, der Herr, machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele." Die Schöpfung des Menschen ist also eine partielle; der Erdenkloß ist schon da; der Mensch allerdings nicht; er kommt erst dadurch zustande, daß Gott ihm seinen lebendigen Odem einbläst. Aber im Erdenkloß west jener Grund, der auch der Grund der Existenz Gottes selber ist. Es ist kein Zweifel, daß Schelling mit solchen Überlegungen sich bereits in transidealistischen Regionen befindet. Aber da er sich der Konsequenzen seines Denkens nicht bewußt ist, versucht er immer wieder seine Reflexionen in die idealistische Heimat seiner frühen Identitätsphilosophie zurückzuführen. Er bemerkt: "Da Nichts vor oder außer Gott ist, so muß er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophien; aber sie reden von diesem Grund als einem bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirklichen zu machen. Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d.h. sofern er existiert; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz, Er ist die Natur - in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiedenes Wesen."

Es ist nun zwar im idealistischen Sinne verständlich und auch legitim, wenn wie Schelling am Anfang des vorangegangenen Zitats selber bemerkt der Grund Gottes als Begriff selber in Gott hinein verlegt wird. Aber Schelling will ja im Gegensatz zu aller bisherigen Philosophie nicht von dem Begriff des Grundes Gottes sprechen sondern von dem Grund als "etwas Reellem und Wirklichen"

Das ist die Idee seiner positiven Philosophie, die sich über die negative Philosophie des Idealismus von Kant bis Hegel hinausheben soll. Wenn er nun trotzdem behauptet, daß der Grund als reeller innerhalb Gottes selbst liegt und Gott derart über sich selbst und den Grund seiner eigenen Existenz übergreift, so verwirrt Schelling damit völlig die Grenze zwischen idealem und realem Grund. Man weiß dann nicht mehr, geht die Realität von Gott aus, der über seinen eigenen Grund übergreift, oder aber vom Grunde aus, der dann jedoch nicht mehr in Gott enthalten sein kann, sondern seinerseits über Gott als Realität übergreifen muß. Eine mögliche Lösung des Problems - und es ist die, die Hegel ergriffen hat - ist die, das Verhältnis vom Grund der Existenz und Existenz als dialektisches Kreisverhältnis zu betrachten. Aber Hegel hat das mit logischen Mitteln getan, die Schelling nie zur Verfügung gestanden haben. Sein Versuch den Grund Gottes in Gott selbst hineinzuverlegen ist ein Resultat seines Bemühens sich auf keinen Fall von der idealistischen Basis zu entfernen. Was er nicht sieht, ist daß er mit diesem Versuch die Idee seiner positiven Philosophie ruiniert. Es ist ihm nicht klar, daß das Totalphänomen des Idealismus eben negative Philosophie ist, d.h. eine Reflexion, die sich ganz im Anschauen ihrer selbst genießt und verliert. Er hat die Vision seiner positiven Philosophie nicht ausführen können, weil er sich nicht zu der Erkenntnis durchringen konnte, daß ein echter Begriff der Handlung und der Freiheit als Philosophie den dialektischen Materialismus voraussetzt. De facto spricht Schelling diese Erkenntnis selber aus, obgleich er sie kaum ausgesprochen wieder zurückzunehmen versucht. So lesen wir um Zusammenhang der Schellingschen Theorie des doppelten Willens die folgenden tiefsinnigen Sätze: "Der Wille der Liebe und der Wille des Grundes sind zwei verschiedene Willen, deren jeder für sich ist; aber der Wille der Liebe kann dem Willen des Grundes nicht widerstehen, noch ihn aufheben, weil er sonst sich selbst widerstreben müßte. Denn der Grund muß wirken, damit die Liebe sein könne, und er muß unabhängig von ihr wirken, damit sie reell existiere. Wollte nun die Liebe den Willen des Grundes zerbrechen, so würde sie gegen sich selbst streiten, mit sich selbst uneins sein, und wäre nicht mehr die Liebe. Dieses Wirkenlassen des Grundes ist der einzig denkbare Begriff der Zulassung, welcher in der gewöhnlichen Beziehung auf den Menschen völlig unstatthaft ist. So kann freilich der Wille des Grundes auch die Liebe nicht zerbrechen, noch verlangt er dieses, ob es gleich so oft scheint; denn er muß, von der Liebe abgewandt, ein eigener und besonderer Wille sein, damit nun die Liebe, wenn sie dennoch durch ihn wie das Licht durch die Finsternis hindurchbricht, in ihre Allmacht erscheinen kann. Der Grund ist nur ein Willen zur Offenbarung, aber eben damit diese sei, muß er die Eigenheit und den Gegensatz hervorrufen. Der Wille der Liebe und der des Grundes werden also gerade dadurch eins, daß sie geschieden sind, und von Anbeginn jeder für sich wirkt. Daher der Wille des Grundes gleich in der ersten Schöpfung den Eigenwillen der Kreatur mit erregt, damit wenn nun der Geist als der Wille der Liebe aufgeht, dieser ein Widerstrebendes finde, darin er sich verwirklichen könne."

Wir haben Schelling hier so ausführlich zitiert, weil sich in diesen Sätzen christlich-idealistische und nachchristlich-materialistische Gedankenmotive fast unlösbar durcheinander schlingen. Die persönliche Sympathie des Autors dieser Zeilen ist unleugbar auf der Seite des Christentums und des Idealismus. Aber die Tiefe und der systematische Ansatz seines Denkens treibt ihn sozusagen wider Willen über seine eigenen metaphysischen Bedingungen hinaus. Nicht nur die Existenz Gottes ist nach Schellings Worten von dem absoluten Grunde abhängig, das Gleiche gilt notwendig auch für die Manifestation seiner Existenz als Liebe. Aber der Wille Gottes, der Liebe ist, ist machtlos gegenüber dem Willen des Grundes. So erklärt Schelling die Zulassung des Bösen in der Welt. Und soweit der Mensch einen freien Willen hat, stammt dieser Wille nicht aus dem Willen Gottes; denn dann könnte der Mensch so wenig wie Gott das Böse wollen. Zwar wurzelt der Mensch, soweit er ein denkendes Wesen ist, in dem ewigen Licht, das Gott ist, und innerhalb dieser Grenze ist er Kreatur. Der Mensch aber ist Wille und verkörperte Freiheit kommt aus einem tieferen Grunde, dem der Wille der Liebe nicht widerstehen kann, wie wir lasen. Die Grenze des Christentums und des Idealismus ist hier insofern überschritten, als für Schelling der Mensch nur noch partiell eine Kreatur Gottes ist. Wenn wir bei Schleiermacher (Glaubenslehre, 1.Kap. #4) lesen: "Das unsere gesamte Selbsttätigkeit, also auch, weil diese niemals null ist, unser ganzes Dasein begleitende schlechthinnige Freiheit verneinende Selbstbewußtsein, ist schon an und für sich ein Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit, denn es ist das Bewußtsein, daß unsere ganze Selbsttätigkeit ebenso von anderwärts her ist, wie derjenige ganz von uns her sein müßte, in bezug worauf wir ein schlechthinniges Freiheitsgefühl haben müßten." - dann tritt uns in diesen Worten des berühmten Theologen dasjenige entgegen was wir bisher als den Kern des religiösen Gefühls speziell im Christentum verstanden haben. Aber dieses Bewußtsein einer schlechthinnigen Abhängigkeit muß trügen, wenn der menschliche Wille einen Grund hat, der der Existenz Gottes vorausgeht. Gerade darin sieht ja Schelling die Möglichkeit des Bösen in einer von Gott regierten Welt. In andern Worten: das Verhältnis des Menschen zu Gott ist ein Ich-Du Verhältnis. Es ist ein Teilhaben des Vernünftchen des Menschen (ratiuncula humana) an der großen göttlichen Vernunft. Aber diese Zweiseitigkeit, die wenigstens in einem beschränkten Grade auf den Boden der Vernunft zwischen Gott und Mensch statthat, weicht dem Mysterium, wenn es um den Willen geht. Gottes Wille hat kein Warum - so sagt ein altes deutsches Wort. Und diese Beziehung auf den unergründlichen Willen führt nach Schelling den Menschen an Gott vorbei; d.h. neben dem Verhältnis zum universalen Du existiert für den Menschen auch noch das Ich-Es Verhältnis. Die Beziehung zu Gott ist hier nur noch indirekt, insofern Gott als Liebe ebenfalls ein Verhältnis zum Es hat und haben muß, weil ja das Es des absoluten Grundes seine eigene Existenz zum Vorschein kommen läßt.

Im absoluten Grunde wird der Wille als Es, also als Trans-Subjektivität begriffen. Das reine Es ist, wie Hegel später treffend bemerkt, Entscheidungslosigkeit. Erst in einer gefällten Entscheidung personalisiert sich der Wille. Und diese erste Entscheidung, die aus der Möglichkeit Wirklichkeit hervorruft, ist daß der Wille sich zur Liebe und zum Guten entscheidet, und das ist Gott. Indem der Mensch aber ein direktes Verhältnis zum Absoluten, noch unentschiedenen Grund, besitzt, vermittelt ihm das Es die Fähigkeit zum Bösen, das sich dann in ihm und seiner Geschichte manifestiert.

Es ist von unendlicher Wichtigkeit festzustellen, daß Schelling, wie wir in unserm obigen Zitat lesen, ausdrücklich bemerkt, daß der Grund "nur ein Wille zur Offenbarung" ist. Und da der Wille als Liebe und der Wille als Urgrund dadurch voneinander getrennt sind, daß der eine als vollzogene Entscheidung, der andere aber als schwebende Unentschiedenheit auftritt, "und von Anbeginn jeder für sich wirkt", hat das zur Folge, daß die Geschichte als Offenbarung partiell und zwar in ihrem tiefsten Gründen an Gott und der Liebe vorbei geht. Wenn der Idealismus sagt, daß in der Geschichte der Geist zu sich kommt und sich selbst realisiert, so ist das nur in einem sehr beschränkten Sinne wahr, nämlich insofern als mit solchen Termini wie Gott, Geist und Liebe nur ein Hinweis auf ein Tieferes gegeben wird, das noch jenseits von ihnen zu suchen ist. Als Wille zur Offenbarung ruft sie der Grund als sekundäre Größen hervor, weil er ein Medium braucht, in dem die Offenbarung vor sich gehen kann. Das aber ist nicht nur eine unidealistische sondern auch eine antichristliche Geschichtsbetrachtung, wie jeder Theologe gerne bestätigen wird. Das impersonale Es spielt hier eine Rolle, wie sie weder mit Christentum noch mit Deutschem Idealismus verträglich ist. Freilich darf dabei nie vergessen werden, daß Schelling subjektiv sich bemüht Idealist zu bleiben, weshalb er in demselben Gedankenzusammenhang von der "Allmacht" der Liebe spricht. Eine Allmacht, die aber gar nicht damit zusammengehen kann, daß es nicht der Wille Gottes sondern der Wille des Grundes ist, der "gleich in der ersten Schöpfung den Eigenwillen der Kreatur mit erregt".

Trotz der Schwierigkeit des so intensiv mythologisierenden Textes von Schelling wird doch wohl deutlich, warum die positive Philosophie als Theorie des Willens und der Handlung über die vom Idealismus gesteckten Grenzen hinausführt. Mit der Idee Gottes als letzter primordialer Voraussetzung läßt sich eine Theorie der Handlung nicht entwickeln. Der Idealismus produziert, wie Schelling richtig gesehen hat, nur eine Theorie des Bildes, wenngleich sich bei Hegel die Dimensionen des Bildes bis ins Absolute zu steigern scheinen.

Generell muß bemerkt werden, daß die Formulierungen Schellings in der Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit im höchsten Grade widerspruchsvoll sind, wobei alle übrigen Widersprüche wohl auf den ursprünglichen zurückgehen, daß Gott für seine Existenz zwar einen Grund haben muß, der aber nicht außer ihm sondern in ihm ist: weshalb er eine Natur besitzt, die von ihm selber verschieden soll. Diese Formulierung ist so paradox - und Schelling muß wohl gewußt haben, wie sehr er damit den intelligenten Leser vor den Kopf stößt - daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, die Widersprüche seines Textes sind weniger Symptome einer logischen Schwäche sondern gewollter Ausdruck der Dialektik, die dieser Denker in den Uranfängen aller Wirklichkeit entdeckt. Sieht man von den mythologischen Formulierungen ab, in denen Schellings Text schwelgt, so läßt sich daraus wohl folgendes rein begriffliches Resultat herauskristallisieren: Der primordiale Ursprung, aus dem sich Ichheit sowohl wie Nicht-Ich herleitet, begegnet dem philosophischen Denken zuerst als ein neutrales - also noch unentschiedenes- Umtauschverhältnis. Schellings "Ursein" ist nichts wie eine schwebende Möglichkeit, eine reine Potenz, die aber entschieden werden muß, damit Wirklichkeit da ist. Für dieses Muß setzt Schelling den Terminus 'Wollen'. Was Schelling hier etwas mißverständlich als Ursein bezeichnet - mißverständlich: denn von 'Sein' kann vorläufig überhaupt noch nicht gesprochen werden - ist nichts weiter als das Zusammensein einer Entscheidungsmöglichkeit, deren Alternativen von sich aus keinen Fingerzeig geben, welche Seite vorzuziehen ist und der Notwendigkeit doch eine Entscheidung zu treffen, wenn etwas entstehen soll. Wenn Schelling die Idee Gottes von der Existenz Gottes unterscheidet, so meint er, daß in der Gestalt des existenten Gottes eine Entscheidung höchster Ordnung vorliegt. D.h. wenn wir Gott sagen, so verbirgt sich unter diesen theologischen Begriff ein Ordnungs- bzw. hierarchisches Verhältnis. Wie wichtig es ist diese mythische Terminologie fallen zu lassen und nur von symmetrischen Umtauschverhältnissen und asymmetrischen Ordnungsverhältnissen (Proportionen) zu sprechen, zeigt sich darin, daß das gleiche auch dann gilt, wenn der dialektische Materialist von Materie als erster Begründung alles Wirklichen spricht. 'Materie' ist ebenfalls ein mythischer Ausdruck für symmetrischen Umtausch und Ordnung und den Übergang von dem einen zum andern.

Was Schelling schon 1809 - also schon vor dem Erscheinen von Hegels Wissenschaft der Logik - in seinen Reflexionen über den Denkbereich der klassischen Logik hinaustreibt, ist die fundamentale, dann auch von Hegel geteilte Einsicht, daß damit, daß das Umtauschverhältnis als primordial vor das Ordnungsverhältnis gesetzt wird und damit Wirklichkeit als Entscheidung eines Umtauschverhältnisses begriffen wird, die Dialektik nicht als etwas erscheint, das nachträglich als Attribut des Wirklichen, als Sekundärwirkung auftritt, sondern daß umgekehrt Wirklichkeit als Manifestation der Dialektik, aus deren Schosse sie emporsteigt, begriffen wird. Der Schellingsche Wille ist das Dialektische per se, das nach Offenbarung strebt. Aber Offenbarung ist Bestimmung als objektiver Geist. Sie ist Ordnung und Autorität, also - um ein anderes Wort Schellings zu gebrauchen - "gewesene Freiheit". Der Akzent liegt dabei auf dem 'gewesen'. Wenn aber von Sein oder Objektivität als gewesener Freiheit gesprochen wird, so heißt das logisch gar nichts anderes, als daß in einem Umtauschverhältnis eine Entscheidung für eine der beiden alternativen Seiten gefallen ist.

Das Hinausgehen über die idealistische Tradition, das bei Schelling damit endgültig vollzogen und bei Hegel im Ansatz seiner Logik zum mindesten formell vorbereitet ist, liegt darin, daß alle bisherige Philosophie, insofern als sie von Gott als dem Urgrund ausgeht, an den Anfang des Denkens ein Ordnungsverhältnis stellt, Das Jenseitige, also das Metaphysische, ist a priori von höherem Rang als das Diesseitige. Das Sein des Seienden ist der höchste nicht mehr zu überbietende Ausdruck dieser philosophischen Attitüde und aus diesem Grunde sagt Schelling, daß die bisherige Philosophie nicht in der Lage gewesen ist eine Philosophie der Freiheit und des Handelns zu entwickeln, denn das Verhältnis von Ursein zu empirischem Dasein ist ganz fraglos für sie ein hierarchisches Verhältnis, d.h. die Entscheidung ist schon gefallen. Daher auch die Formel, daß in der unbefleckten Wirklichkeit Notwendigkeit und Freiheit zusammenfallen. Was kaum bemerkt wird ist, daß dieses Zusammenfallen eine versteckte Unterordnung der Freiheit unter die Notwendigkeit bedeutet. Hier wird die Flucht aus dem Begriff angetreten wofür sich dann bequem das Wort Mysterium einstellt. Damit aber ist endgültig die Überlegenheit des Jenseits als wahre Wirklichkeit über das Diesseits als vergängliche Scheinwirklichkeit deklariert und alles Denken, das sich um die Erklärung der Welt bemüht, hat sich diesem fundamentalen Schema eines absoluten Ordnungsverhältnisses zu beugen.

Es scheint bisher - weder auf der idealistischen Seite noch auf der rationalistischen - nicht bemerkt worden zu sein, daß damit das Phänomen der Dialektik selbst zu einer Eigenschaft dieser Scheinwelt herabgestuft wird und ihre Vergänglichkeit und Vorläufigkeit teilt. Denn man kann weder von Gott noch von seinem Gegenbild der absoluten Materie erwarten, daß sie einen Zustand der Unentschiedenheit darstellen. Damit verlören beide Begriffe völlig ihren ontologischen Sinn. Was speziell das Problem der Materie angeht, so müssen wir, wie schon weiter oben, aufs neue hinzufügen, daß damit noch nicht das letzte Wort gesagt ist. Denn man unterscheidet ja heutzutage ausdrücklich den vulgären undialektischen Begriff der Materie von ihrem dialektischen Verständnis. Wenn wir aber von Gott und Materie als gegenseitigen Spiegelbegriffen sprechen, so ist damit stillschweigend die klassische Logik als rationales Vehikel des philosophischen Denkens vorausgesetzt, und wenn sich daraus ergibt, daß der Materiebegriff, der hier als Komplementärbegriff zum Gottesbegriff angeführt wird der einer dialektischen Materie ist, so ist dagegen in diesem Zusammenhang um so weniger einzuwenden, als es sich ja hier gerade darum handelt die absurd engen Grenzen aufzuzeigen, die diesem Denken gesetzt sind und mit dessen rationaler Armut man sich in einer mehr als zweitausendjährigen Tradition nur deshalb abfinden konnte, weil das Rankenwerk der Mystik einen überreichen Hintergrund zu ihr hinzuzauberte. Aber die Mystik ist kein spiritueller Raum, in dem sich eine Theorie des Willens und der Handlung ausbreiten konnte. Denn auch das mystische Erlebnis hat den Charakter der Überwältigung, in der das einzelne Ich verströmt.

Ob aber Mysterium oder nicht, jedenfalls ist das Verhältnis der empirischen Welt zum Sein-Überhaupt ein Ordnungsverhältnis. Die Dialektik kann deshalb in diesem philosophischen Bereich nur eine untergeordnete Rolle spielen, deren Aufgabe ist das noch Ungeordnete in eine Ordnung zu überführen. Dieser untergeordneten Rolle ist es zuzuschreiben, daß die Dialektik in der Geistesgeschichte des Menschen bisher im Grunde genommen nur dann angerufen wurde, wenn es galt Lücken des Denkens zu verdecken und als Obdachlosenasyl für alle diejenigen Probleme zu dienen, die sich der Behandlung durch logische Zweiwertigkeit prinzipiell widersetzten, deren Konturen andererseits doch zu scharf umrissen waren, um sie im Nebel der Mystik verschwinden zu lassen.

Der Deutsche Idealismus hat hier insofern Neuland betreten, als daß schon in Ansätzen bei Kant und Fichte, ganz ausgeprägt und explizit bei Schelling und Hegel das logische Denken nicht mehr von einem Rangverhältnis als erster Grundlage der Philosophie ausgeht, sondern von einem Untauschverhältnis ebenbürtiger Relationsglieder. Schelling weist, wie wir gesehen haben, auf diesen Tatbestand in der Idee des Grundes hin, die er der Existenz Gottes verordnet, und bei Hegel begegnen wir dieser fundamentalen Positionsänderung in der These, daß das reine Sein gleich dem reinen Nichts ist und umgekehrt das reine Nichts das reine Sein äquivalent vertreten kann. Der Unterschied zwischen den beiden letztgenannten Denkern besteht darin, daß bei Schelling dieser Positionswechsel eine seherische Zukunftsvision bleibt, die über den Idealismus hinausführt und mit der er in der Tat eine Schwäche des idealistischen Denkens und dessen geistesgeschichtliche Vorläufigkeit aufdeckt. Bei Hegel andererseits ist von dem Bewußtsein einer solchen Vorläufigkeit auch nicht ein Hauch zu spüren. Er benutzt seinerseits die Einsicht von der Primordialität des Umtauschverhältnisses gegenüber dem Ordnungsverhältnis dazu, um den Bereich der negativen Philosophie zu erweitern und in bisher nicht dargestellte Region vorzutreiben, aber er sieht noch alles unter dem Gesichtspunkt der Reflexion bzw. des Bildes. Die umkehrbare Relation von Sein und Nichts ist ihm ein reines gegenseitiges Abbildungsverhältnis. Er sieht das Umtauschverhältnis nicht als die primordiale Wurzel des Willens, woraus sich dann ergibt, daß der Wille und das Handlungsproblem in seiner Philosophie auch nirgends grundsätzlich zum Zuge kommt.

So lassen sich paradoxerweise auf diese Philosophie, die ganz und gar das Konkrete im Auge haben wollte, jene Worte Fichtes anwenden: "Es gibt überall kein Dauerndes, weder außer mir, noch in mir, sondern nur einen unaufhörlichen Wechsel. Ich weiß überhaupt von keinem Sinn, auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Sein. - Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das einzige, was da ist, und sie wissen von sich nach Weise der Bilder: - Bilder, die vorüber schweben, ohne daß etwas sein, an dem vorüberschweben: die durch Bilder von den Bildern zusammenhängen, Bilder, ohne etwas in ihnen Abgebildetes ... Ich selbst bin eins dieser Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild von Bildern. - Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, der da träumt; in einem Traum, der in einem Traume von sich selbst zusammenhängt. Das Anschauen ist der Traum; das Denken - die Quelle alles Seins und aller Realität, die ich mir einbilde, meines Seins, meiner Kraft, meiner Zwecke, - ist der Traum von jenem Traum." In diesem Sinne ist von dem Standpunkte Schellings von 1809 her gesehen die Hegelsche Philosophie und speziell seine Logik ein Denken, das von sich selbst träumt und nirgends als Handlung wirklich ist. Aber damit wird man weder Hegel noch Schelling ganz gerecht. Zwar ist es richtig, daß von Schelling her gesehen die positive Philosophie der negativen ontologisch vorausgeht, denn sie redet von einer Urgeschichte des Seins, die dort eigentlich schon zuende ist, wo das Werden bei Hegel erst anfängt. Aber wenn man sich nicht wie Schelling mit Genieblitzen und flüchtigen Intuitionen begnügt, sondern die Tagelöhnerarbeit der Logik übernimmt, der sich Hegel willig unterzogen hat, so muß man sehen, daß das ehrgeizige Programm einer Theorie des Willens, die nicht nur zum Bild des Seins sondern zum Sein selbst kommt, auch nicht im entferntesten mit den logischen Mitteln durchgeführt werden kann, die Schelling zur Verfügung standen. Erst die die Hegelsche Logik und die in ihr durchgeführte Theorie der Dialektik gibt uns heute - bei entsprechender Interpretation der Hegelschen Denkmethode - die Mittel an die Hand uns dem Schellingschen Programm ernsthaft zuzuwenden.

Hegel selbst würde die Notwendigkeit eines solchen Programms noch bestritten haben. Und hier liegt das eigentliche innerste Motiv seines Hasses gegen den Formalismus. Wenn wir nämlich den Anspruch erheben, daß sich eine Logik formalisieren läßt, so meinen wir damit, daß besagte Logik keine Wirklichkeit beschreibt, sondern uns ein Bild der Wirklichkeit gibt. Und zwar ein Strukturbild. Das entspricht aber nicht den mehr oder weniger irrtümlichen Voraussetzungen Hegels. Für ihn ist, grob gesprochen, die Logik nicht der Codex der Gesetze des Denkens, die die rationale Dimension des Bewußtseinsraums eines Ichs beherrsche, sie ist vielmehr die Beschreibung von Realprozessen, die sich in der Objektivität des Seins abspielen und für die der partielle Durchgang durch ein menschliches Bewußtsein nicht unbedingt relevant ist. Wenn ein modernes Beispiel erlaubt ist: in einem in Bewegung befindlichen Auto registriert der Geschwindigkeitsmesser die Bewegung des Fahrzeugs; diese Bewegung findet auch dann statt und hat ein bestimmtes Maß, selbst wenn der Geschwindigkeitsmesser aus irgend einem Grunde ausfällt oder falsch registriert. In der formalen Logik haben wir es wesentlich mit solchen Angaben zu tun, die der Geschwindigkeitsmesser uns anzeigt. Diese können leidlich richtig sein oder aber auch nicht. Dementsprechend enthält die formale Logik, die wir kennen, den Gegensatz von wahr und falsch. Die Hegelsche Logik aber hat es nicht mit Angaben über eine Bewegung zu tun, sondern sie beansprucht die Produktion dieser wirklichen Bewegung selbst zu sein - wenigstens soweit wie sie sich in einem Bewußtsein abspielt. Würde Hegel selbst die Möglichkeit einer Formalisierung seiner Logik konzedieren, so gäbe er damit zu, daß seine Texte nicht die Selbstdarstellung einer Bewegung repräsentieren sondern instrumentenartige Angaben darüber.

Es ist selbstverständlich daß für Hegel die Existenz, die nach Schellingscher Auffassung durch eine Urgeschichte des Seins, die vor der wirklichen Geschichte der Welt liegt, erst erzeugt werden muß, im konkreten Begriff von vornherein gegeben ist. Er braucht also Schelllings Urgeschichte nicht. Nimmt man aber Hegel seinen konkreten Begriff nicht ab - und wir sind so wenig wie Schelling geneigt das zu tun -, dann muß zu dem gegenseitigen Verhältnis von Schelling und Hegel folgendes gesagt werden: Gleichgültig ob die Schellingsche Urgeschichte der Hegelschen Logik vorausgeht oder nicht, besteht nicht die geringste Möglichkeit über sie inhaltlich mehr zu sagen als in den dürftigen und widersprüchlichen Angaben Schellings, speziell in dem Fragment Die Weltalter schon enthalten ist. Die logischen Mittel um die Schellingsche Thematik ausreichend zu behandeln werden erst durch die vollendete Hegelsche Logik geliefert. In diesem Sinne steht die Schellingsche Philosophie der Freiheit und des Willens nicht am Anfang sondern am Ende der Hegelschen Logik. Wissenschaftgeschichtlich behält Hegel damit gegenüber Schelling recht. Die philosophischen Forderungen, die Schelling seit 1809 erhob, waren verfrüht und in keiner Weise durchführbar, bevor die Hegelsche Logik ihre Darstellung gefunden hatte und - wie wir weiterhin sehen werden - das theoretische Denken in einer bestimmten Hinsicht über Hegel hinausgegangen war.

Setzt man nämlich das Schellingsche Programm dahin, wo es hingehört, nämlich in einen nicht unbeträchtlichen Abstand hinter die Hegelsche Logik, so ergibt sich, daß eine Entwicklung stattgefunden haben muß, die uns erlaubt das Verhältnis der transzendental-dialektischen Logik - speziell in der Version Hegels - zu Schellings positiver Philosophie mit neuen Augen zu betrachten. Wird ein solcher Rückblick von den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts her unternommen, so ist auf zweierlei hinzuweisen. Erstens ist es ganz unmöglich, daß die Deutschen Idealisten auch nur im entferntesten richtige Vorstellungen davon gehabt haben können, was heute unter einem logischen Formalismus zu verstehen ist und welche philosophischen Chancen er bietet. Die Entwicklung der symbolischen und mathematisierenden formalen Logik hat seit den Zeiten von Sir William Hamilton, De Morgan, George Boole, W. Stanley Jevons und J. Venn sich in einer Richtung bewegt, durch die das Problem von Form und Inhalt auf eine neue Basis gestellt worden ist, auf der die Vorstellungen der Idealisten darüber als widerlegt gelten können. Zweitens ist durch die relativ kürzliche Entstehung der Kybernetik ein Fragenkomplex entstanden, der das Verhältnis von Denken und Handeln von einer Seite beleuchtet, die den Idealisten ganz unvorstellbar gewesen sein ums. Einem Kant oder Hegel müßte die Behauptung, das man in bestimmten, aber nichtsdestoweniger nach der Zukunft hin offenen Grenzen Erinnerungsfähigkeit in eine Maschine einbauen kann als der helle Wahnsinn erschienen sein. Aus diesem Grunde sind noch so emphatische Versicherungen der Idealisten, die diese Problemkreise betreffen, nicht nur mit äußerster Skepsis aufzunehmen, sondern man ist oft gezwungen sie schlankweg zu ignorieren, wenn man sich bewußt werden will, wie zukunftsträchtig die Gedankenwelt des Idealismus auch dort ist, wo man sie einer abgelaufenen und unwiederbringlich abgeschlossenen Phase der menschlichen Geistesgeschichte zurechnet.

Was wir hier besonders im Auge haben, ist die radikal antiformalistische Tendenz der Hegelschen Logik und der bisherigen Entwicklung der Dialektik überhaupt. Das wird deutlich, wenn wir die Hegelschen Aussagen an der Schellingschen Kritik der negativen Philosophie messen. Die negative Philosophie kommt nicht weiter als bis zu dem kontemplativen, in der Beschauung versunkenen Leben des Geistes, der inneres Licht und nichts weiter ist. In ihr soll das Licht immer leuchtender werden und die Finsternis immer mehr verblassen. Die tiefe metaphysische Schwäche dieser Philosophie liegt darin, das sie sich nirgends aufmacht, die Finsternis als Finsternis zu be-greifen, denn die Wirklichkeit des Geistes west nicht in seinem Licht, sondern in der Finsternis. Der vor-Schellingsche Idealismus vergißt die Doppelsinnigkeit in dem Wort 'Begriff', das nicht nur Erleuchtung und Verstehen meint, sondern auch Zugreifen, Handeln. Zwar finden sich bei Hegel genügend Lippenbekenntnisse, die auf diese Doppeldeutigkeit hinweisen, aber es bleibt bei Lippenbekenntnissen. In der negativen Philosophie geht der Begriff immer tiefer ins Licht, und das Begreifen im Sinne der Handlung wird nur mitgeschleppt wie ein Gefangener auf einem siegreichen Heereszug. Schelling ist der einzige Idealist gewesen, dem es gelegentlich dämmert, das dieser Zug nicht zum Sieg sondern in die Niederlage führt. Es bleibt in der negativen Philosophie auch dort, wo sie angeblich das Absolute erreicht, bei dem Begriff der Realität und die Realität selber ist weiter denn je, denn man hat sie hinter sich in der finstersten Dunkelheit zurückgelassen, in der die Blindheit des zugreifenden Willens wirkt.

Und dort ist philosophisch betrachtet das Reich der Technik, und man darf vielleicht sagen, daß in der positiven Philosophie Schellings die ersten Keime zu einer Transzendentalphilosophie der Technik liegen, also einer Wissenschaft, in der Subjektivität in der technischen Konstruktion objektiviert wird.

Wenn der Zugang zur Realität, also zum Inhaltlichen und Konkreten, nur auf dem Weg über die positive Philosophie verwirklicht werden kann, dann bedeutet das, daß die Hegelsche Logik als ein Organ der negativen Philosophie ihrem innersten Kerne nach durch und durch formal ist. Und daß man alle gegenteiligen Versicherungen ihres Schöpfers einfach vom Tische fegen soll. Zwar mag der Hermeneutiker mit Recht darauf hinweisen, daß schon der Wortlaut der Hegelschen Logik demonstriert, daß die verwendeten Ausdrücke in ihrer überwältigenden Mehrzahl keinen formalen Charakter haben. Aber dieser Einwand, so unbestreitbar er ist, verkennt das Problem. Es geht um etwas ganz anderes. Betrachtet man den Deutschen Idealismus als einen universalen Systemzusammenhang, in den auch die Schellingsche Philosophie der Dunkelheit und des Willens gehört, dann befindet sich die Hegelsche Logik in diesem Zusammenhang an einem systematischen Ort, an dem alles Gesagte grundsätzlich formalisierbar sein muß, auch wenn es in nicht-formalistischer Sprache vorgetragen wird. Das und nichts anderes ist gemeint, wenn behauptet wird, daß die negative Philosophie nur zum Begriff Gottes, aber nicht zu seiner Existenz kommen kann. Ein nicht-formalisierter theoretischer Begriff ist ein Widerspruch in sich selbst.

Das heißt nun allerdings nicht, daß man die Hegelsche Logik und die Dialektik überhaupt auf einen Schlag und in toto formalisieren kann. Sondern es handelt sich hier um einen langsamen Prozeß, in dem man von mythologisierenden Ausdrücken progressiv zu formalen, aller Realitätssugestion entkleideten Konzepten übergeht. Daß z.B. hinter dem Terminus 'Subjekt' ein Mythos steht, darauf ist schon so oft hingewiesen worden, das man sich fast geniert, den Terminus 'Ich-Mythos' zu wiederholen. Viel weniger ist unserm Sprachgefühl geläufig, das sich auch hinter dem Terminus 'Objekt' eine Mythologie verbirgt. Und auch bei einem solchen Terminus wie 'Wille' sollte man vorsichtig sein. Das Scheitern der Vermögenspsychologie sollte eine Warnung dagegen sein sich von solchen Ausdrücken leiten zu lassen, hinter denen eine längst abgelegte Metaphysik noch ihr Wesen treibt. Wir haben bereits weiter oben in unserer Bemühung so formal wie möglich zu sein darauf hingewiesen, das wenn Schelling vom Willen spricht, es sich um eine ontologische Situation handelt, die formal nur als noch nicht entschiedenes Umtauschverhältnis bezeichnet werden kann, und das, wenn er von Existenz spricht, er jene Entscheidung meint, durch die ein symmetrisches Umtauschverhältnis in ein Ordnungs- bzw. Proportionsverhältnis mit hierarchischen Relationen übergeht. Wenn Schelling also von der 'Dunkelheit' spricht, die die Heirat des Urwillens ist, so kann Dunkelheit gar nichts anderes meinen als die völlige Bestimmungslosigkeit, in der sich die Relationsglieder eines Umtauschverhältnisses gegeneinander verhalten. Der Begriff der Bestimmung ist immer mit dem des Lichts assoziiert und wo man schlechterdings nicht sehen kann, da ist eben Dunkelheit.

In den poetischen Formulierungen, mit denen das begriffliche Gerüst der Philosophie oft umkleidet worden ist, ist oft gesagt worden, das wir in einer mittleren Welt leben, die sich zwischen der absoluten Dunkelheit der Tiefe und der Höhe des absoluten reinen von keinem Schatten mehr getrübten Lichtes sich erstreckt. Diese mittlere Welt ist - ganz manichäistisch - der Schauplatz, auf dem die Finsternis und das Licht miteinander kämpfen. Aller Mythologie entkleidet bedeutet eine solche Bildersprache, das unsere irdische Welt ein Strukturzusammenhang einer fast unübersehbaren Fülle von Ordnungs- und Umtauschrelationen ist. Nichts weiter. Schon in den mythologischen Fassungen läßt sich erkennen, das es sich hier um ein strikt zweiwertiges Weltbild handelt und, wenn man diese Welt als ein Ordnungsgefüge zweier Relationstypen betrachtet, so stößt man letzten Endes wieder auf Zweiwertigkeit.

Von hier aus gesehen kann man die welthistorische Wende des Denkens, die sich im Deutschen Idealismus anbahnt, - anbahnt nur und nicht vollendet -, dahin gehend beschreiben, das man feststellt, das die transzendentalen Idealisten begriffen, oder wenigstens geahnt, haben, das die Struktur der Wirklichkeit nicht zureichend beschrieben werden kann, wenn man sich auf die einfache Entgegensetzung von Umtausch- und Ordnungsrelation allein beschränkt. Das Suchen nach einem Dritten ist in dem Schellinschen Fragment Die Weltalter deutlich zu spüren. Und bei Hegel erscheint das Dritte unter dem Titel Werden. Damit ist deutlich genug gesagt, das wenn noch eine zusätzliche Relation neben Ordnung und Umtausch benötigt ist, sie irgendwie im Zeitproblem verborgen sein muß. Hier kommt die Dialektik ins Spiel. Denn die Systematik der Dialektik ist im Grunde nichts anderes als das zeitlose System der klassischen Relationen von Umtausch und Ordnung auf die Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft zu projizieren. Das hier ein präzises logisches Problem besteht, hat schon Aristoteles gesehen, wenn er den Unterschied von Vergangenheit und Zukunft dahingehend definiert, das es sich bei der Vergangenheit um eine Dimension des Denkens handele, in der der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sowohl gültig als auch anwendbar sei. Was die Zukunft betreffe, so führt Aristoteles aus, gehöre sie ebenfalls zum Gültigkeitsbereich des Tertium non datur, aber ungeachtet seiner Gültigkeit sei er dort nicht anwendbar. Man kann diesen Gehalt des IX. Kapitels von Peri Hermeneias auch so ausdrücken, das man sagt: der Begriff der Welt als einer vergangenen ist formalisierbar. Der Begriff der Welt als der Zukunft aber nicht. Begreift man nun mit Schelling die Welt als vergangene, als die Region der gewesenen Freiheit, dann ist sie auch - wieder mit Schelling - die Welt der Toten. Eine solche Erkenntnis ist im vollen Einklang mit der klassischen Tradition der Wissenschaft, die sich stets bemüht hat die Wirklichkeit als ein zeitloses Sein zu beschreiben und Realität physikalisch als subjektloses Universum zu begreifen. Diese seit den Griechen obwaltenden Tendenz die Zeitkoordinate qua Zeit aus den physikalischen Theorien zu eliminieren ist oft von Wissenschaft-Theoretikern angemerkt worden.

Leben ist nur ein anderer Ausdruck dafür, das noch nicht alles Vergangenheit geworden ist. Aber in einer Welt, in der der Satz vom Ausgeschlossenen Dritten nicht nur gilt - und er gilt schlechthin überall - sondern auch anwendbar ist, ist das Leben entweder erschlossen oder man kann mit einem gewissen dialektischen Recht behaupten, das es es nie gegeben habe, weil es eben ja nur 'Vergangenheit' "gibt".

Auch bei flüchtiger Vertrautheit mit der Philosophie ums dem Leser an dieser Stelle deutlich sein, das bei dem Gegensatz von Vergangenheit und Zukunft - nur in anderem begrifflichen Gewande - der Gegensatz von Form und Inhalt ins Gesichtsfeld tritt. Man kann deshalb ohne der vergangenen Definition zu widersprechen den Charakter der Dialektik auch dahingehend beschreiben, das man sie als eine Theorie des Übergangs des Inhalts in die Form zugleich mit der rückläufigen Bewegung der Form in den Inhalt versteht. Denn seit dem Aristotelischen System der Entwicklung wissen wir ja längst, das Form und Inhalt nicht absolute Konstanten sondern variable Größen sind. Eine Form ist insofern variabel, als sie gemäß Aristoteles selbst wieder als Stoff (Inhalt) für eine höhere Form angesehen werden ums. Wenn unsere Reflexion etwa die Formlehre der klassischen Logik analysiert und daraufhin untersucht, wie weit sie im System des transzendentalen Idealismus Grenzen aufwies, die ihre unbeschränkte Anwendungsfähigkeit beengen, dann sind in diesem Falle die klassischen Formen zum materiellen Inhalt einer Reflexion geworden, die sich in übergreifenden Formen bewegt. Die Dialektik widerspricht sich selbst in ihrem Anhängern, wenn die letzteren behaupten, das sie nicht zu formalisieren ist. Denn damit wird ganz im Sinne der klassischen Logik (über die schon Aristoteles in seiner eigenen Metaphysik hinaus ist) die absolute Konstanz des Gegensatzes von Form und Inhalt behauptet. Ganz abgesehen davon, das von Schelling her gesehen die positive Philosophie, die zum Begriff die Existenz bringt, ja der dialektischen Logik, so wie sie Hegel entwickelt, nicht vorausgehen kann, sondern die letztere braucht, um ihr eigenes System zu entwickeln. In diesem Sinne ist die Hegelsche Logik ein Gebilde, das noch nicht zur Existenz selbst gekommen ist sondern nur zum Begriff der Existenz. Man ums also die Hegelsche Behauptung, das seine Logik die wirkliche Bewegung des konkreten Begriffs darstelle, dahin einschränken, das man sagt: das was diese Logik effektiv leistet ist die Darstellung des Begriffes der reellen Selbstbewegung des Begriffs. Der Prozeß der Vermittlung ist dann also nicht die Beschreibung eines Weltereignisses selbst sondern die Entwicklung der Kategorien, in denen ein menschliches Gehirn zu begreifen versucht, wie das Universum, von dem es ein winziges aber hochkomplexes Teilstück ist, durch das Neuronensystem dieses Teilstücks hindurch sich zu sich selbst verhält. Dieses Sich-zu-sich-selbst-Verhalten ist das. was ein reales Weltereignis ist - von dem das Gehirn aber nur sekundäre Spiegelbilder liefert. Spiegelbilder, die uns dazu herausfordern Form und Stoff zu trennen. Der Trennungsstrich liegt zwischen den beiden Funktionen, die das Neuronensystem eines hochorganisierten Organismus spielt. Einerseits ist es ein Teil der Außenwelt und nimmt als solcher im klassischen Sinne an den objektiven Weltereignissen teil, andererseits aber ist es auf Grund seines hochkomplexen Reflexionssystems fähig, seine Funktionsweise sowohl als Weltereignis wie auch als "internes Ereignis" eines geschlossenen Systems, das eine Umwelt hat, zu begreifen und dann schließlich beide Reflexionsstituationen in einem übergreifenden System zusammenfassen. Dabei entsteht an einer uns heut noch unbekannten Stelle dieses Gesamtprozesses jenes Phänomen, das wir mit den termini Bewußtsein und Selbstbewußtsein begreifen.

Es ist ganz fraglos, das die Entstehung eines Bewußtseinsraumes die Absonderung eines Teilsystems (Organismus) vom Ganzen der Welt bis zu einem derartigen Grade voraussetzt, das durch diese Absonderung die Welt als Bild wiederholt werden kann. Daraus ergibt sich dann auch die Funktion des übergreifenden Systems, das wir als Selbstbewußtsein vom Bewußtsein der Objekte unterscheiden. Es ist nämlich notwendig, die sogen. wirkliche Welt von der Welt als Bewußtseinsbild zu unterscheiden. Diese Unterscheidung aber provoziert eine dialektische Schwierigkeit. Sie ist kaum vollzogen, als sie als unwahr erkannt werden ums. Der Organismus, in dem der Funke des Selbstbewußtseins aufgeglommen ist, ist mit allen seinen Funktionen und deren Resultaten selbst ein Teil der Außenwelt. Folglich ist das Abbild der Welt, das im Bewußtseinsraum entsteht, gar kein Abbild eines Urbildes - weil es ja selbst Teilstück des Urbildes ist.

Das ist der Standpunkt, von dem aus Hegel seine Logik entwickelt hat. Während die Schullogik von der naiven Trennung einer res extensa und einer res cogitans ausgeht und dann die Gesetze der Logik als Denkgesetze, d.h. als gesonderte Funktionsweise der res cogitans ansieht, ist schon im Ansatz der Hegelschen Logik diese Trennung zwischen res extensa und res cogitans aufgehoben. D.h. die Trennung von Urbild und Abbild ist aufgehoben, weil sich in der Reflexion-in-sich auf die Reflexion-in-sich das angebliche Abbild als ein Fragment des Urbildes enthüllt. Die sogen. Denkgesetze, die die klassische Logik als Formgesetze deklariert, sind also in Wirklichkeit Realgesetze des Universums. Allerdings sind sie das mit einer einschränkenden aber höchst wesentlichen Qualifikation: Der spekulierende Philosoph entdeckt sie in einem sozusagen komprimierten Zustand in seinem eigenen Bewußtseinsraum. In dieser Kompression erscheinen sie als reine Formprinzipien, aber das ist eine Illusion, ein transzendentaler Schein, den die Reflexion auf die Reflexion wieder aufzuheben fähig ist. In diesem Sinne stellt die Entwicklung der Kategorien der Hegelschen Logik nicht ein sich ausbreitendes System von Formprinzipien dar, sondern die materiale Entwicklung der Welt in der Dimension der Zeit.

Damit scheinen die Vorwürfe Schellings gegen den negativen Idealismus widerlegt. Die auf den negativen Idealismus folgende Philosophie müßte also überflüssig sein. Aber Schelling hat tiefer gesehen. Der Hegelsche Begriff der Logik ist nur dann akzeptabel, wenn man dem Autor der Großen Logik eine Voraussetzung zugesteht, die aber bestritten werden kann und die - wie wir bereits wissen - von Schelling faktisch bestritten wird. Sie ist die , das alle Philosophie und somit auch alle Logik mit einem entschiedenen und nicht einem unterschiedenen Umtauschverhältnis beginnt. Wem das in der verklausulierten Sprache des Anfangs der Großen Logik - einen Anfang, auf den wir noch einmal zurückkommen müssen - nicht sofort deutlich wird, sei auf das Ende der Logik verwiesen, wo sich "der Begriff als freie aus der Äußerlichkeit in sich gegangenen Existenz (empor gehoben hat), in der Wissenschaft des Geistes seine Befreiung durch sich vollendet (hat) und den höchsten Begriff seiner selbst in der logischen Wissenschaft als dem sich begreifenden reinen Begriffe gefunden hat." Hier ist die Äußerlichkeit zugunsten einer Innerlichkeit, die sich die Welt angeeignet hat, entwertet. Die Logik endet mit einem Ordnungsverhältnis, weil sie mit einem solchen schon begonnen hat. Der absolute Geist ist wieder der höchste Gott der Religion, der im jüngsten Gericht das Irdische bezwungen hat. Die Geschichte der Welt hat also ein Ziel, auf das sie zustrebt (Utopie) und in dem sie ein Ende finden ums. Sie ums diesem Ziel zustreben, weil alles schon im Voraus entschieden war, ehe es überhaupt begonnen hatte. Der Begriff der Teleologie ist dabei überflüssig. Beginnt die Logik nämlich mit einem Ordnungsverhältnis, dann kann, ja ums, für jede strukturelle Konfiguration, die sich im Ablauf der Zeit entwickelt, angenommen werden, das sie sich zu der ihr folgenden deshalb entwickelt, weil ihre logischen Eigenschaften gar keine andere Möglichkeit zuließen. Die Idee einer teleologischen Zielrichtung, auf die etwas hindringt oder einer göttlichen Vorsehung, die vom Ende her etwas leitet, ist dann überflüssig.

Dieses primordiale Ordnungsverhältnis, das die Entwicklung der Hegelschen Logik dirigiert, liegt auch in dem Gedanken, das das Abbild der Welt im Bewußtsein nur ein vorläufiges ist und in Wahrheit ein Teilmoment am Urbild selbst. Aber gerade aus dieser Formulierung geht hervor, das es der Idealismus eben nur mit Bildern und Bildern von Bildern zu tun hat, weshalb wir weiter oben die relevanten Sätze am Ende des Zweiten Buches aus Fichtes Bestimmung des Menschen zitierten. Auf dieses Buch, das dem Wissen gewidmet ist, folgt bei Fichte dann nur noch der Glaube. Bei Hegel folgt nichts, weil der absolute Geist Wissen ist und der Glaube mit der Äußerlichkeit, an der er hängt, verschwunden ist. Diesen Anspruch Hegels verwirft Schelling. Aber nicht, weil er trotz seiner Philosophie der Mythologie und der Philosophie der Offenbarung den Fichteschen oder auch Kantischen Glauben wiederherstellen will, sondern weil für ihn auf die Hegelsche Logik und den universalen Denkbereich, den die letztere ausgemessen hat, eine systematische Fortsetzung in einer neuen Dimension der Philosophie erfolgen ums. Die letzte Einheit der Philosophie liegt paradoxerweise in der Dualität von negativer und ihr folgender positiver Philosophie.

In den einleitenden Worten zu den Münchener Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie bemerkt Schelling, das die Philosophie eine Entwicklungsstufe erreicht hat, in der es nicht bloß um "eine neue Methode oder veränderte Ansichten in einzelnen Materien, sondern eine Veränderung im Begriff der Philosophie selbst" geht. Bisher umschloß der Begriff der Philosophie allein die denkende Erfassung der Welt derart, das in ihr das Phänomen der Freiheit bzw. Handlung in der metaphysischen Identität von Freiheit und Notwendigkeit aufgelöst war, derart das im vollendeten Absoluten die Freiheit nur noch als Denken erschien. Das ist der innerste Kern des Idealismus und in diesem Sinne ist alle Philosophie höchsten Ranges, wo immer sie bisher auf Erden erschienen ist, Idealismus gewesen. Die Veränderung im Begriff der Philosophie, die jetzt eintreten ums, kann sich also nur darauf beziehen, das dem spekulativen Denken seine Fähigkeit bestritten wird, Freiheit und Notwendigkeit derart zu versöhnen, das die Freiheit in dem blendenden Sonnenlicht der Vernunft verschwindet.

Wir haben weiter oben bemerkt, das die Hegelsche Philosophie als letzter Repräsentant des Idealismus mit einem Ordnungsverhältnis - das Objekt ist im Subjekt aufgezehrt! - enden ums, weil sie mit einem Ordnungsverhältnis beginnt. Die Schellingsche Philosophie aber beginnt mit einem unentschiedenen Umtauschverhältnis, in dem die Relationsglieder noch darauf warten, das sie geordnet werden sollen. Der Akt der Ordnung ist Freiheit, also Handlung, die nicht bestimmt ist, sondern ihrerseits bestimmt. Also ums das Ganze der Philosophie für Schelling auch wieder in einem unentschiedenen Umtauschverhältnis enden. D.h. der Wille wird nicht verzehrt im Begriff und die eschatologischen Perspektiven der Wirklichkeit münden in eine Dunkelheit, so wie alle Existenz aus der Dunklen entsprungen ist. Das ist die systematische Konsequenz der positiven Philosophie, die auf die negative folgt.

Es ist wichtig festzustellen, das Schelling diese Konsequenzen nie gezogen hat. Er hat sie nicht ziehen können, weil es ihm versagt geblieben ist eine Theorie des Willens wirklich zu entwickeln. De facto erscheinen in allen seinen eschatologischen Perspektiven immer wieder idealistische Formulierungen, so sehr sie dem Gedankenansatz auch widersprechen mögen. Wie wenig diese Rückfälle in das idealistische Absolute - Schelling sagt meistens: Gott - legitimiert sind, ergibt sich schon daraus, das, wie auch Jaspers in seinem Schelling-Buch bemerkt, zwischen negativer und positiver Philosophie kein Übergang stattfindet. "Es handelt sich" - so sagt Jaspers - "um einen Wendepunkt oder eine Umkehr oder einen neuen sinnverschiedenen Anfang. Es ist der Sprung von der Möglichkeit zur Wirklichkeit, von der Notwendigkeit zur Freiheit ... Die negative Philosophie kann den Gegenstand der positiven Philosophie nicht als einen existierenden erweisen. Das Ende der einen ist nicht schon der Anfang der anderen." Dieser Darstellung kann man nur zustimmen. Wenn die positive Philosophie trotzdem philosophiegeschichtlich gesehen auf die negative folgt, so tut sie das nur in dem Sinne, das sie sich selbst nicht entwickeln kann, ehe die negative, d.h. der ganze Idealismus abgehandelt worden ist. Dann erst beginnt sie; aber sie nimmt ihren Anfang in der Weise, das sie über die ersten Anfänge des Idealismus zurück auf ihren eigenen Anfang greift, der in jenem Ursein liegt, in dem noch nichts entschieden ist und in dem das Denken sich nicht zur Gestalt formen kann. Die positive Philosophie kommt also nach der negativen Philosophie, indem sie auf ihren Grund zurückgreift, der vor dem idealistischen Denken liegt. In diesem Verhältnis des Vor und Nach bleibt Schelling Dialektiker; aber der neue philosophische Ansatz läßt sich nicht mehr im Rahmen des Idealismus unterbringen, so sehr auch Schelling vor diesem Tatbestand die Augen verschließt. Mit Recht sagt deshalb Jaspers in seiner Gegenüberstellung von positiver und negativer Philosophie: "Wenn der philosophische Idealismus alles als vernünftig und notwendig begreifen will und der Rest für ihn nichtig oder nichts ist, so kann Schellings Denken als Durchbruch durch den Idealismus aufgefaßt werden. Schelling hat den Willen, statt auf das bloß notwendig Einzusehende beschränkt zu sein, von diesem, das kein Erstaunen erregt, fortzuschreiten zu dem, was über aller notwendigen Einsicht liegt." Wir ergänzen hier Jaspers, indem wir Schelling selbst zu Worte kommen lassen. Jaspers bezieht sich auf die 24. Vorlesung der Philosophie der Offenbarung, wo wir lesen: "Es ist ein bekanntes Wort Platons: der Affekt des Philosophen ... ist das Erstaunen ... Ist dieser Ausspruch wahr und tief, so wird die Philosophie anstatt auf das bloß als notwendig Einzusehende beschränkt zu sein, vielmehr den Trieb empfinden, von dem, was sie als notwendig einzusehen imstande ist, und was insofern kein Erstaunen erregt, zu dem fortzuschreiten, was außer und über aller notwendigen Einsicht und Erkenntnis liegt; sie wird sogar keine Ruhe finden, eh' sie zum absolut Erstaunenswerten fortgeschritten ist." Zwischen diesen Worten Schellings und dem selbstgewissen Ausspruch Hegels: "Das philosophische Denken .. ums sich über den Standpunkt der Verwunderung erheben", klafft ein Abgrund. Die Verwunderung entspringt nach Hegel aus der Tatsache, das die subjektive Vernunft nicht umhin kann, "in dem zunächst mit der Form der Unvernunft behafteten Objektes sich selber wiederzufinden". Aber indem das dem Subjekt gegenüberstehende Objekt im konkreten Begriff aufgelöst wird, ist die Ursache der Verwunderung verschwunden. Dem Panlogismus ist nichts mehr erstaunenswert.

Aber alles Denken, auch das, das beim absolut Erstaunenswerten angekommen ist, will zur Ruhe kommen: "Das letzte Ziel des Wissens kann nur sein, etwas zu erreichen, wodurch es selbst in Ruhe gesetzt wird. ... Aller Zweifel hört daher nur bei einem Letzten auf, von dem ich nur noch sagen kann, das es ist. Will man einen solchen Zustand der Ruhe alles Denkens, einer Gewißheit, die eben damit aller Arbeit des Wissens ein Ende macht, Glauben nennen, so mag man es tun, aber man ums alsdann den Glauben als eine selbst unbegründete Erkenntnis ansehen. Das Letzte, in dem alles Wissen ruht, kann nicht ohne Grund sein, dem widerspricht schon, das es das Letzte, insofern also vielmehr das Allerbegründeste ist; nur selbst kann es nicht wieder zum Grund eines Fortschritts werden, denn so wäre kein Ende. Das eben ist die Höhe der Wissenschaft in ihrem Fortschreiten, das wenn sie irgend einen Punkt der ein letzter scheinen kann, erreicht hat (und in jeder fortschreitenden Bewegung ist jeder in der Linie dieses Fortschritts liegende Punkt einmal ein letzter) - das sie dann zwar zuerst ungemein erfreut ist, und einen Augenblick sich vorstellt, da wäre nun ihres Bleibens, indem sie aber das Erlangte oder Gefundene scharf ins Auge faßt, so entdeckt die Dialektik wieder an ihm ein Nichtsein, eine Negation, die nur wieder durch die folgende Position aufzuheben ist, an welcher (der folgenden Position) sie vielleicht wieder dieselbe Entdeckung macht, die Möglichkeit eines neuen Fortgangs, ja eines Umsturzes."

Es ist nicht das einzige Mal, das Schelling vom "Umsturz" spricht. Hat die dialektische Reflexion erst einmal eingesehen, das sie von sich aus nicht zum Stillhalten kommen kann, dann erzwingt der Urgrund, aus dem sie geboren ist, einen Umsturz. Wir haben die obige Passage Schellings zitiert, weil sie die ganze Zwiespältigkeit der Position Schellings aufzeigt. Einerseits nennt er den Umsturz Glaube, und dieses Wort führt ihn zurück in die christliche Heimatwelt seiner Gedanken, andererseits kann beim Umsturz nur vom Abbruch der negativen Philosophie und dem Aufsteigen ihrer positiven Nachfolgerin die Rede sein. Indem der Wille als Nachfolger des Denkens auftritt, ist in der Tat das Denken zur Ruhe gekommen; denn dort, wo wir wollen, denken wir nicht mehr. Unklar bleibt allerdings, wie das Denken von der Bühne des Geistes abtreten und der Handlung Platz machen soll. Es ist selbstverständlich, das hier kein deus ex machina erlaubt ist. D.h. dem Denken darf nicht von außen her halt geboten werden, sondern sein Stillstand ums aus ihm selbst kommen. Nun hat uns Schelling aber oben selbst gesagt, das jedes Letzte in der Dialektik eine Negation ahnt, die es zum Vorletzten degradiert und damit ein neues Letztes setzt. Dieser Widerspruch, das die dialektische Reflexion ihre eigne Ohnmacht erkennt aus ihren eigenen Antrieben heraus haltzumachen, und doch zum Halten kommt, ist in der Schellingschen Philosophie nirgends durchleuchtet. Die Lösung scheint darin zu liegen, das der Übergang der Dialektik der negativen Philosophie in die Dialektik des Positiven voraussetzt, das wir von vornherein zwei Modi des dialektischen Prozesses unterscheiden müssen.

Wir haben das bereits weiter oben angedeutete, ohne dieser Unterscheidung weiter in ihren Konsequenzen zu folgen. Wir führten aus, das es sich bei der Dialektik um einen Realprozeß der Wirklichkeit handle, dessen Erkenntnis aber nicht über die ganze Breite der Realität distribuiert sei, sondern sich an ausgezeichneten ontologischen Orten dieser Wirklichkeit lokalisiere, die von extremer Komplexität seien und die wir als Bewußtseinsräume mit konkomitierenden Ichzentren bezeichnen. Der nicht-distribuierte dialektische Prozeß ist derjenige, dem in der Gestalt der Hegelschen Logik vom Bewußtsein zugeschaut wird. Die distribuierte Dialektik als Weltprozeß weiß nicht, das er als die Selbstbewegung des Begriffs nicht Halt machen kann; und so macht er auch nicht Halt. Die Dialektik des Bewußtseinsraums aber ist über diese Unmöglichkeit des Stillehaltens hinaus insofern als sie um die Unaufhaltsamkeit des dialektischen Stroms weiß. Aber Wissen bedeutet Abstand nehmen, und im Abstand nehmen ist die Gewalt der distribuierten Reflexion in ihrer nicht-distribuierten Form insofern gebrochen, als der eine Modus jetzt durch einen andern abgelöst wird. Der zweite Modus aber ist die Dialektik des Willens.

Die ganze positive Philosophie Schellings setzt voraus, das die Dialektik auf sich selbst reflektieren kann und in dieser (wieder dialektischen) Reflexion die Grenzen ihrer Bewegung als Begriff sieht und damit sich über diese Grenzen selbst hinaustreibt. Der Begriff erkennt in der Reflexion auf seine Selbstbewegung sich als Wille. Wichtig ist an dieser Stelle festzustellen, das der Begriff in dieser Dialektik der Dialektik sich selbst zum Objekt wird. Nicht seine Bewegung als solche wird negiert, sondern der Modus dieser Bewegung als Denken. Die Bewegung selbst bleibt in der Negation erhalten und sie ist die Handlung.

Diese Unterscheidung zweier dialektischer Bewegungen, in der der Modus der einen zum Gegenstand der andern wird, ist aber begrifflich überhaupt nicht durchführbar, wenn man nicht einen Formalismus der Dialektik von der Inhaltsdialektik zu unterscheiden gewillt ist. Die nicht-distribuierte Dialektik des Bewußtseins kann überhaupt nur als Formsystem verstanden werden, denn sie hat ihren Gegenstand ja teilweise außer sich. Wir sagen 'teilweise', weil ja die nicht-distribuierte von der distribuierten Dialektik durchdrungen wird. Ein Bewußtseinsraums mit einem Ichzentrum ist also ein ontologischer Ort, in dem sich zwei Varianten der Dialektik überlagern. Aber die distribuierte geht über die Grenzen des Bewußtseinsraums hinaus. Daraus folgt unerbittlich, das alle Formalisierung der Dialektik, die im Bereich der Nicht-Distribution erfolgt, partiell sein ums. Sie kann zwar ihren Umkreis progressiv erweitern, aber sie kann niemals das Totale der distribuierten Dialektik umfassen.

Trotz dieser Beschränkung aber ist ein Formalismus der Dialektik im Hinblick auf die postitive Philosophie Schellings unbedingt notwendig. Alle Materialität der Dialektik, d.h. ihr ganzer Charakter als Selbstbewegung des Inhalts ist jetzt aus dem Denken in die Handlung übergegangen. Aber wie soll es eine Philosophie der Freiheit geben, wenn es nicht erlaubt ist über das Wesen eines freien Willens nachzudenken? Dem Denken ums die Freiheit als Form erscheinen. Das hat schon Kant in dem Formalismus seines kategorischen Imperativs dargelegt und Fichte wiederholt es auf seine eigene Art. Aber schon Fichte ist über Kant hinausgegangen. Er erkennt, das die Kantische Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft unzulässig sei, da sich einsehen (also theoretisch begreifen) lasse," wie die Vernunft praktisch sein könne und wie diese praktische Vernunft gar nicht das so wunderbare und unbegreifliche Ding sei, für welches sie zuweilen angesehen wird. Gar nicht etwa eine zweite Vernunft sei, sondern dieselbe, die wir als theoretische Vernunft alle gar wohl anerkennen." D.h. die theoretische verhält sich theoretisch nicht nur dem Objekt gegenüber, sondern auch in Hinsicht auf sich selbst, wenn sie frei handelt. Diese Dialektik zwischen der Freiheit und dem theoretischen Gesetz hat Fichte klar ausgesprochen, wenn er sagt: "Wenn Du Dich frei denkst, bist Du genötigt, Deine Freiheit unter ein Gesetz zu denken; und wenn Du dieses Gesetz denkst, bist Du genötigt Dich frei zu denken; denn es wird in ihm Deine Freiheit vorausgesetzt, und daßelbe kündigt sich an als ein Gesetz für die Freiheit. ... Die Freiheit folgt nicht aus dem Gesetz, eben so wenig als das Gesetz aus der Freiheit folgt. Es sind nicht zwei Gedanken, deren einer als abhängig von dem andern gedacht würde, sondern es ist ein und derselbe Gedanke". Wenn Freiheit und Gesetz aber daßelbe sind, wie der transzendentale Idealismus übereinstimmend sagt, dann ums man sich fragen: wo finden wir das Kriterium, das der auf sich selbst reflektierenden Vernunft die Möglichkeit gibt, sich selbst als Gesetz von sich als Freiheit zu unterscheiden? Da oft im spekulativen Idealismus daraufhin gewiesen wird, das sich im Gesetz die Materialität und Objektivität der Welt ausdrückt, und der Kantische Rigorismus darauf besteht, das Freiheit ein Formprinzip der Wirklichkeit ist, liegt es nahe zu der Einsicht zu kommen, das der Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Vernunft nichts anderes ist als der zwischen Inhalt und Form.

Von hier aus wird es auch verständlich, warum das Freiheitsproblem in der Hegelschen Dialektik zu verschwinden bestimmt ist. Bei Hegel läßt sich keine Form von ihrem Inhalt abtrennen. Infolgedessen erscheint die Vernunft als materiales Weltgesetz, das vorwärts rollt, und nirgends nimmt die Bewegung der Dialektik die Gestalt einer Handlung an. Wo immer sie auftritt, ist sie Ereignis und nirgends aus dem Entschluß geborene Tat. Im Hinblick auf das Problem der Freiheit repräsentiert Hegel einen Rückschritt hinter Fichte, für den die Vernunft trotz aller dialektischen Balance im Wesentlichen doch "lauteres, reines Tun" ist. Ihre Tätigkeit besteht darin, das sie sich selbst bestimmt (während sie als theoretische Vernunft durch die Objekte bestimmt wird.) "Aber" - so sagt Fichte - "Bestimmtheit eines reinen Tuns, als solchen, gibt kein Sein, sondern ein Sollen. So ist die Vernunft durch sich selbst bestimmend ihre Tätigkeit; aber - eine Tätigkeit bestimmen, oder praktisch sein, ist ganz daßelbe. In einem gewissen Sinne ist es von jeher der Vernunft zugestanden worden, das sie praktisch sei; in dem Sinne, das sie die Mittel für irgend einen außer ihr, ... gegebenen Zweck finden müsse. In dieser Bedeutung heißt sie technisch-praktisch." Der Unterschied zwischen der Vernunft, die begreift, ist ganz deutlich. Im Begreifen liegt der Akzent auf dem Objekt. Die Vernunft ist das was sie begreift. Aber in diesem Begreifen bleibt die Vernunft sich selber nur ein Bild. Im zweiten Fall ist die Vernunft nur eine formelle Handelsanweisung aus dem Bild durch eine technische Prozedur eine Wirklichkeit zu machen.

Die positive Philosophie, von der Schelling träumt, aber eben nur träumt, ist in ihrem konkreten Kern eine "metaphysische" Theorie der Technik. Wenn wir hier mit Reservation den Terminus 'metaphysisch' gebrauchen, so wollen wir damit andeuten, das wenn im transzendentalen Idealismus der Terminus technisch gebraucht wird, unvergleichlich viel mehr darunter verstanden wird als was die klassische Tradition und die moderne Maschinentheorie darin sehen kann. Stillschweigende Voraussetzung der landläufigen Auffassung ist, das eine Handlung die ein technisches Artifakt darstellt und dadurch die Materialität der Welt an einer gegebenen Stelle formell verändert, eine in diesem Sinne veränderbare Welt als total subjektloses Objekt betrachten ums. Es erscheint als die Höhe der Absurdität, die Seele mit Hammer und Schraubenzieher behandeln zu wollen. Die Handlung als moralischer Akt kann keine technische Relevanz haben. Mit solchen Argumenten bewegt man sich im Reich der Selbstverständlichkeiten und es wäre weise, hier auf dem wohl ausgetretenen Pfad der Trivialitäten zu bleiben. Dabei wird aber nur eins vergessen. Wir wissen heute, das der enge Kreis exakter Wissenschaften, den wir heute besitzen, nur dadurch zustande gekommen ist, das mythische, bzw. religiöse Vorstellungsbilder säkularisiert worden sind, weil man in ihnen einen präzis definierbaren theoretischen Kern entdeckte. Aber wenn es keine Naturwissenschaft ohne einen vorausgegangenen Mythus gibt, so ist erst recht nicht einzusehen, warum es nicht eine exakte Geisteswissenschaft geben sollte für die der Weg der Säkularisierung noch kürzer sein ums. Die Antwort ist: der Mythos und die Religion enthält sowohl theoretische, restlos objektivierbare als auch Handlungselemente, die sicherlich erschöpfend objektivierbar sind und aus diesem Gefühl heraus, das uns hier ein Element reiner Subjektivität begegnet, wird geschlossen, das hier überhaupt nichts objektivierbar ist. An diesem Vorurteil ist der Schellingsche Entwurf einer Philosophie des Willens und der Handlung zerbrochen und Schellings dieser Aufgabe gewidmeten Altersphilosophie verliert sich im Bilderjungle des Mythos. Und doch liegt die Idee einer Theorie der Handlung so nahe, wenn man von der im transzendentalen Idealismus gewonnenen Einsicht ausgeht, das die Handlung natürliches Ereignis ist, das aber seine objektive Form gegen eine andere eingetauscht hat. Der Kern einer Theorie des Willens dreht sich also um das Problem eines Formwechsels. Der Inhalt eines Ereignisses bleibt immer bestehen, und die Ereignisse kommen so wie sie müssen. Das ist ihre natürliche objektive Determination. Aber diese Determination kann überdeterminiert werden, wodurch uns das selbe Ereignis als der Ausdruck eines mehr oder weniger mythologischen Willens erscheint. Im letzten Fall reden wir nicht mehr von einem Ereignis das sich zwischen toten Objekten abspielt sondern von einer Aktivität, in der angeblich eine treibende und dirigierende Kraft steht. Es kommt also zu dem bloßen Ereignis noch etwas hinzu, was das Ereignis zur Handlung macht. Die klassische Vermögenspsychologie begeht hier den Fehler, das sie hinter das Ereignis noch mal ein Objekt setzt, nämlich die Willenskraft, die das Ereignis "beleben" soll. Es ist klar, das es sich hier um eine illegitime Hypostasierung handelt, die wir vom landläufigen Denken abziehen müssen um zur philosophischen Besinnung zu kommen. Die Idee von agierenden Ich-Subjekten, die als Regisseure hinter den blinden Ereignissen stehen und sie mit ihrer privaten Motorik umlenken, ist nichts weiter als eine unzulässige Verdoppelung der Objektwelt.

Niemand hat eindringlicher als Arnold Gehlen in seiner tiefsinnigen Studie über die Willensfreiheit dargestellt, das Freiheit allein die Form eines Ereignisses betrifft und nichts weiter. Damit das wir ein Ereignis als eine Handlung begreifen, kommt zum Ereignismaterial schlechterdings nichts hinzu. Ein echtes Symbol der Freiheit ist deshalb der Amor Fati: die volle Bejahung dessen, was sowieso geschieht. Wir begegnen hier im Bereiche einer wissenschaftlichen Willenstheorie dem exakten Gegenstück zu dem Verhältnis von Assertion und Negation innerhalb des Bereiches der Logik. Wir erwähnten weiter oben die paradoxe Bemerkung von Reinhold Baer, das zwar jede Aussage von ihrer Negation verschieden sei, das aber kein wesentlicher Unterschied zwischen positiven und negativen Aussagen bestünde, "sogar schärfer zwischen einer Aussage und ihrer Negation". Wir fügen jetzt hinzu, das genau daßelbe Verhältnis zwischen einem Ereignis und einer Handlung besteht. Beide sind zwar "verschieden", aber materialiter besteht kein Unterschied zwischen ihnen. Genau wie in der Logik kann die Differenz dann nur in einem Formunterschied bestehen. Relativ zu einem Ereignis, das nichts weiter als Ereignis ist und sich in einer subjektlosen Welt abspielt, ist die Handlung im Hinblick auf ihre Formprinzipien strukturell redundant. Man kann infolgedessen auch umgekehrt sagen, jedes Ereignis ist eine Handlung, in der das Suchen nach Redundanz vergeblich ist. Aus diesem Grunde kann man auch dem Determinismus nicht widersprechen, denn wenn ein Ereignis ohne jegliche mythologische Zutaten beschrieben werden soll, dann ist es notwendig alle redundanten Elemente abzuziehen. Genau hier liegt auch der Unterschied zwischen Schöpfung und Geschaffenem. Die Endlichkeit des Geschaffenen ist gegenüber dem Akt der Schöpfung nur ein Redundanzunterschied, also ein formeller.

Hier tritt die fundamentale Kategorie der Wiederholung in ihr Recht. In Amor Fati tritt nichts Neues zur Welt hinzu; es wird das, was ohnehin schon ist, noch einmal im Bilde wiederholt. Dabei erscheint in Amor Fati die Subjektivität als Bejahung und nicht als Negation, während in der Logik die Negation als die Wiederholung erscheint, die bei der Beschreibung der dinglichen Welt und ihrer Kausalzusammenhänge abgestreift werden kann und ums. Wir stoßen hier wieder auf das Isomorphieverhältnis zwischen Denken und Wollen, in dem sich die beiden als Relationsglieder eines Umtauschverhältnisses erweisen. Nur unter dieser Voraussetzung kann Fichte sagen, "das unsere Freiheit selbst ein theoretisches Bestimmungsprinzip unserer Welt" ist.

Damit ergibt sich das Folgende: Wenn der Unterschied zwischen Gesetz und Freiheit nur ein formeller ist und, soweit die transzendental-idealistische Logik in Frage kommt, der Inhalt von der Form nicht getrennt werden kann, kann die Unterscheidung zwischen Ereignis und Handlung nur darin liegen, das sich in der Handlung jene Trennung von Form und Inhalt vollzieht, die dem Denken nicht erlaubt ist. Es ist unter diesem Gesichtspunkt wissenschaftsgeschichtlich nicht zufällig, das die abendländische Kultur eine technische Bearbeitung der Welt - wenn auch noch in primitiver Form - geleistet hat, weil sie sich wissenschaftstheoretisch ausschließlich einer zweiwertigen Form der Logik bedient hat, die zu einer Trennung von Form und Inhalt zwingt, weil sie keinen Operator entwickeln kann, der den Übergang von der Form zum Inhalt leisten kann.

Von hier aus wird noch einmal deutlich sichtbar, wie sehr die Schellingsche Kritik an Hegel berechtigt ist. Es ums zwei Formen der Philosophie geben derart, das in der ersten die Form vom Inhalt nicht getrennt ist. Aber genau diese Situation stellt ihrerseits die Aufgabe die Form vom Inhalt zu trennen, weil in der ersten Philosophie das Problem der Freiheit gegenüber der Notwendigkeit überhaupt nicht erscheinen kann. Freiheit und Notwendigkeit verhalten sich zueinander wie reine Formgesetzlichkeit zur Inhaltsgesetzlichkeit. Wenn Fichte sagt, das unsere Freiheit ein theoretisches Bestimmungsprinzip unserer Welt ist, so kann dieser Satz auch umgekehrt werden und wir können sagen, das die Welt ein praktisches Bestimmungsprinzip der Freiheit ist. Anders ausgedrückt: die Trennung von Form und Inhalt ist eine Bedingung der Freiheit und umgekehrt liefert die Voraussetzung der Untrennbarkeit von Form und Inhalt die Theorie der Notwendigkeit. Der dialektische Zusammenhang zwischen Freiheit und Notwendigkeit wird hier ganz deutlich. Aber es wird hier auch ersichtlich, das der wissenschaftstheoretische Übergang vom klassischen Formalismus zum transzendentalen Idealismus selbst undialektisch bleibt, wenn man ihn für endgültig hält. Dadurch das der Deutsche Idealismus seine eigene Unfähigkeit enthüllt eine Philosophie der Freiheit zu entwickeln ist er gezwungen die Vorläufigkeit seiner These von der Untrennbarkeit von Form und Inhalt zuzugestehen. Die Handlung braucht ein Material, das außerhalb ihrer selbst ist und das von ihr bearbeitet werden kann. Aber in dieser Trennung von Arbeit und Zu-Bearbeitendem tritt die vorläufig ausgelöschte Unterscheidung von Form und Inhalt wieder auf. Hier entdecken wir das gründende Prinzip der positiven Philosophie Schellings. Wir sehen einerseits wie die negative Philosophie Hegels der Schellingschen Altersphilosophie historisch sowohl wie systematisch vorausgehen ums. Wir sehen andererseits aber auch, das trotz dieser Folgeordnung, was die Thematik der beiden Philosophien anbetrifft, ein thematisches Umtauschverhältnis zwischen beiden besteht. Wollen und Denken stellen gegenseitig vertauschbare Glieder einer symmetrischen Relation dar, zwischen denen es systematisch betrachtet kein eigentliches Prius gibt. Die Situation des Vor- und des Nachher entsteht dann, wenn wir einmal über das Problem des Willens und des Handelns nachzudenken anfangen. Ein solches Bemühen setzt voraus, das wir erst einmal das Denken und seine Gesetze haben, ehe wir etwas über Willen und Handlung erfahren können. Nur in diesem beschränkten Sinne ist es also richtig, wenn wir weiter oben sagten, das die positive Philosophie der zeitliche und der systematische Nachfolger der negativen Philosophie ist. Andererseits aber ums wieder festgestellt werden, das wir ja gar nicht zu denken anfangen können, wenn wir nicht erst einmal denken wollen. Das Faktum des Wollens, ohne das wir über daßelbe auch nur das Geringste aussagen können, ums also seinerseits dem Denken vorausgesetzt werden, oder besser - und mehr nach Schellings Geschmack - es macht erst das Denken zu einem Reellen; oder noch anders: im Schellingschen Schema ist das Denken die erste Selbstrealisation des Willens. Er nennt sie Gott. Sie ist das Licht und selbst-transparent. Und in dieser Transparenz kann der Wille sich später selbst durch das Denken verstehen. Das sollte in der positiven Philosophie später geleistet werden. Dieses Später aber ist, so möchten wir bemerken, auch heute noch nicht gekommen.

Immerhin klären schon heute Schellings Bemühungen die wichtige Frage nach dem systematischen Ort des liberum arbitrium indifferentiae wohl endgültig auf. Diese Formulierung, in der sich ein angeblicher Wille einem Umtauschverhältnis von Motiven gegenüber sieht, die von sich aus keinen Anreiz geben sich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden, die also letzten Endes, weil sich zwischen ihnen keine materialen Unterschiede angeben lassen, identisch sind, versucht den Willen in einem Zustand zu begreifen, in dem er noch nicht gehandelt hat. Wille und die Handlung, in der der Wille real wird, werden hier also getrennt. Der erste steht am Anfang der Schellingschen Philosophie, ist jenes Dunkel, aus dem die Existenz erst hervorsteigt. Die Handlung aber ist das Ende, in dem sich der Wille die erst aus ihm entlassene Existenz wieder aneignet und so für sich selbst wirklich wird. Aber an diesem Punkte greift das Denken wieder ein; es blickt zurück auf den Weg, den es vom Schellingschen Dunkel her gegangen ist und es erkennt, das jener Wille, von dem im liberum arbitrium indifferntiae die Rede ist, sich jetzt als ein "Bild der Reflexion, die nicht zum Handeln kommt", enthüllt. Vor dem angeblich primordialen Willen, aus dem alle Existenz kommt, steht also wieder die bildermachende Reflexion. Und wenn ein jetzt noch nicht desillusioniertes Denken weiter fragte, so wäre es gezwungen vor jenes primordiale Bildermachen wieder einen Willen zu setzen, um den es noch dunkler wäre. Umgekehrt, wollte man den Weg über die positive Philosophie in Zukunft hinaus verfolgen - und dieser Weg darf nicht abgeschlossen werden, - wenn wir nicht wieder bei dem Jüngsten Gericht, bzw. der realisierten Utopie landen wollen - dann ergibt sich dasjenige Wechselspiel von Freiheit und Notwendigkeit, also von Denken und Wollen, sich auch hier in gleicher Weise fortsetzt. Das Denken in einer durch die Handlung veränderten Welt kann nicht mehr das gleiche sein wie das Denken, das sich einmal der "reinen" Natur gegenüber sah. Ein Hinweis auf die Kybernetik sei hier gestattet. Wenn durch die menschliche Handlung als Technik theoretische Fähigkeiten, die die klassische Tradition ausschließlich dem Bewußtseinsraum zuwies, wie etwa Gedächtnis und logische Entscheidungsroutinen, jetzt in der Dimension physisch-natürlicher Objektivität auftreten, dann wird dadurch für die nicht distribuierte, im Bewußtseinsraum eingeschlossene Dialektik eine neue Ausgangssituation erzwungen. -

Wir kommen zum Schluß der bisherigen Betrachtungen, und wir beginnen mit dem Ergebnis, mit dem Schelling den systematischen Durchbruch durch den Idealismus erzwungen hat. Es ist unmöglich, den Willen in der Idee aufzulösen und ihn der letzteren gänzlich untertan zu machen. Diese Tradition begann - wenn nicht eher - sich zu der Zeit zum philosophischen Leitmotiv des klassisch-philosophischen Denkens zu entwickeln, als Sokrates lehrte, das die Tugend lehrbar sei und der Wille dem als wahr Erkannten folgen müsse. Bei Kant ringt sich noch einmal die immer unterschwellig wirkende Gegenmeinung vom Primat der praktischen Vernunft durch, aber er widerlegt sich sofort, indem er im bloßen Formalismus des privaten Gewissens stecken bleibt. Der Grund des sittlichen Weltgesetzes wird in der Sonderexistenz des Menschen gesucht, wo es nur regulative Idee bleibt. Erst bei Schelling bricht der Gedanke mit voller systematische Konsequenz durch, das die Frage nach dem Primat von theoretischer und praktischer Vernunft niemals eine Antwort finden kann, weil sie falsch gestellt ist. Der Autor dieser Betrachtungen sagt dies mit vollem Bewußtsein der Tatsache, das die Majorität der bewußten Formulierungen Schellings noch auf einen Primat der praktischen Vernunft hinzielt. Wäre das nicht der Fall, so dürften bei ihm solche Worte wie Urzufall oder "Wollen ist Ursein" nicht vorkommen. Aber es handelt sich jetzt nicht darum, das Schelling sich mit persönlicher subjektiver Überzeugung für einen Idealisten gehalten hat, sondern das de facto die innere systematische Konsequenz seiner Gedankenführung ihn aus dieser Tradition herausgetrieben hat. Das ist schon anderweitig bezeugt worden. Wir haben schon Karl Jaspers angeführt und wir möchten auch noch auf Helmut Schelsky's Essay Schellings Philosophie des Willens und der Existenz aufmerksam machen, in dessen ersten Zeilen der Autor sofort erklärt: "das Schelling der einzige Idealist war, der den Idealismus überwunden hat, indem er Denkbereiche aufzeigte, die dem sich idealistisch nennenden Denken keinen Zugriff gestatten". Wir haben, soweit Schelling in Frage kommt, das in diesem Stadium der Untersuchung mögliche getan, wenn wir einen systematischen Tatbestand herausschälen, den wir von jetzt ab das Orthogonalitätsprinzip der Umtauschverhältnisse nennen wollen. Mit den andern Idealisten ist Schelling einig, das Denken und Wollen im Gesetzesbegriff daßelbe sind. Und trotzdem schließt diese Formulierung die Möglichkeit nicht aus, das die Identität von Wollen und Intellekt derartig verstanden wird, das das Wollen letzten Endes als untergeordnete Variante des Denkens erscheint. Das ist im Panlogismus Hegels der Fall. Vergegenwärtigt man sich aber den Existenzbegriff Schellings, so ums für diesen Denker diese Interpretation unbedingt ausgeschlossen werden. Für ihn decken sich Wille und Vernunft gegenseitig so, wie sich Sein und Nichts in der Hegelschen Logik gegenseitig abdecken, d.h. eben als reines Umtauschverhältnis zweier ebenbürtiger Relationsglieder.

Wir haben bereits darauf hingewiesen, das die Schellingsche Altersphilosophie beim Willen anfängt, der das Denken begründet, das seinerseits der Lehre vom Handeln vorausgesetzt werden ums, die aber nicht das Letzte sein kann, denn aus der durchgeführten Handlung ergibt sich eine neue Denkposition, die ihrerseits zu neuen Handlungskapazitäten führen ums. Und wendet man sich statt vorwärts in die Zukunft in den Bereich des Vergangenen, so taucht hinter dem angeblichen Urwillen ein Sein von noch stärkerer Hintergründigkeit auf - u.s.w. Gleichgültig aber, ob der ontologische Ort, an dem wir uns ansiedeln wollen, Wille oder Notwendigkeit genannt werden soll, immer läuft "rechtwinklig" zu der Wechselfolge von Freiheit und Notwendig und wieder Freiheit u.s.w. das zweiwertige Alternativverhältnis, das sowohl in der Willensentscheidung als auch in der theoretischen Alternative von Affirmation und Negation auftritt. Und so wie das gegenseitige Sich-folgen eine unendliche Linie bildet, so ist auch die Spannweite zwischen Negation und Affirmation mit einer Endlichkeit von Bestimmungen nicht ausmessbar.

Wenn wir die Folge, in der sich Freiheit und Notwendigkeit gegenseitig endlos abwechseln, und die Distanz zwischen Negation und Affirmation auf der sich eine unendliche Folge von Wahrscheinlichkeitswerten anordnen läßt, orthogonal aufeinander stehen lassen, so wie wir das in Tafel III bildlich dargestellt haben, so wollen wir damit ausdrücken, das sich bei Schelling im ersten noch

Tafel III

Freiheit

Affirmativ Negativ

Notwendigkeit

undeutlichen Umrissen die folgende logische Situation abzeichnet. Wir begegnen erstens einem "auf- und absteigenden Umtauschverhältnis" zwischen Freiheit und Notwendigkeit und zweitens einem Umtauschverhältnis von Affirmation und Negation im theoretischen sowohl wie im voluntativen Bereich. Da aber in unserm Schema des Kreuzes keiner Richtung vor der andern der Vorzug gegeben werden kann - wir können ebenso was oben ist unten nennen und was rechts links, und wir können unser Kreuz auch so drehen, das die Linie von Affirmation zur Negation den Gegensatz von oben und unten darstellt - bildet das Umtauschverhältnis von Freiheit und Notwendigkeit seinerseits ein Umtauschverhältnis mit dem Umtauschverhältnis von Affirmation und Negation. Wir haben also erstens zwei "einfache" Umtauschverhältnisse mit den Relationsgliedern Freiheit und Notwendigkeit und Affirmation und Negation und wir haben ein weiteres Umtauschverhältnis von höherer Komplexität, dessen Relationsglieder ihrerseits selber Umtauschverhältnisse mit eigenen Relationsgliedern sind.

Wir haben uns bisher mit der Aufdeckung von Ordnungsverhältnissen geflissentlich zurückgehalten. Es war unvermeidlich sie zu erwähnen, wenn wir z.B. von Gott und der Welt sprachen und darauf hinwiesen, das Existenz nur als Entscheidung eines Umtauschverhältnisses verstanden werden kann. An dem gegenwärtigen Punkt unserer Überlegungen tritt die Idee der Ordnungsrelation unvermeidlich auf; denn das Umtauschverhältnis, dessen Verhältnisglieder selbst Umtauschverhältnisse sind, ist offenkundig von höherer Ordnung als der bloße Wechsel von Gesetz und Notwendigkeit oder der isolierte Wechsel im gegenseitigen Negationsverhältnis von Affirmation und Negation. Später wird über dieses Ordnungsverhältnis mehr zu sagen sein. Vorläufig sind wir mit dem Thema des Umtausches gleichberechtigter Positionen noch nicht am Ende. Und zwar deshalb nicht, weil die eigentümliche Natur des Umtauschverhältnisses nicht nur Schelling den ersten Ausbruch aus dem idealistischen Denken gestattete, sondern weil ein zweiter Denker diesen Ausbruch mit Unverhältnis größerer historischer Wirkung noch einmal vollzog. Wir sprechen hier von Karl Marx, dem die folgenden Ausführungen gewidmet sein sollen.

II.

Um Mißverständnissen vorzubeugen soll das neue Thema sofort eng umgrenzt werden. Es ist hier ganz und gar nicht vom Marxismus als Ganzem die Rede, sondern nur von der Notwendigkeit, das die idealistische Philosophie unvermeidlich in den dialektischen Materialismus überschlagen ums und zwar aus inneren systematischen Gründen, die in der zu engen logischen Theorie des Idealismus selber liegen. Die Ironie der Sache ist, das bei diesem zweiten Ausbruch logische Motive die geringste Rolle spielen. Ja, man kann sogar sagen, das ihre geringe Beachtung die volle Entwicklung der dialektischen Theorie des Materialismus bis heute verhindert hat. Schellings - man möchte sagen unfreiwilliger Ausbruch aus dem Idealismus war ausschließlich theoretisch motiviert. Die Vernachlässigung des Existenzproblems im Idealismus trieb das sich selbst durchführende Denken zu einer nach-idealistischen Position, in der zum ersten Mal durch eine sich gegen die bisherige Tradition betont absondernde Theorie, das Problem des Handelns als Vermittler der Realität an das bei Hegel neu erarbeitete dialektische Bild der Wirklichkeit angeschlossen werden sollte. Mit gleicher transzendentaler Zielrichtung, aber von einem andern Ausgangspunkt her als Schelling, entwickelt sich das Problem bei Marx. Er schneidet die idealistische Reflexion, die sich bereits in der Wirklichkeit glaubt, mit der viel zitierten elften These über Feuerbach ab, jene These, die die Überzeugung ausspricht, das die Philosophen die Welt (bisher) nur verschieden interpretiert haben, das es aber darauf ankommt, sie jetzt zu verändern. Und Marx kommt ganz nahe an Schelling heran, wenn er in der ersten These über Feuerbach richtig bemerkt, das der Idealismus "die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt". Und noch einmal, wiederum im Sinne Schellings in der zweiten These: "Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie sondern eine praktische Frage. In der Praxis ums der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen". Es ist dieselbe gedankliche Atmosphäre, die sich hier entwickelt, die wir schon bei Schelling, freilich unter ganz anderem Gesichtswinkel betrachtet haben. Was beide Denker aber zu Verbündeten macht, ist die Abwendung von der idealistischen Tradition. Sie beide sehen die Grenzen der letzteren, und sie sehen die Grenzlinie an derselben Stelle.

Damit genug über eine gewisse geistige Affinität zwischen Schelling und Marx. Unvergleichlich wichtiger allerdings ist, das herauszuheben, was sie trennt und wodurch der dialektische Materialismus eine historische sowohl wie systematische Position erreicht hat, die ihn über den Schellingschen Ansatz heraushebt und ihm Entwicklungsmöglichkeiten gibt, die der positiven Philosophie in der Schellingschen Version versagt zu sein scheinen. Womit sich eine enorme Distanz zwischen Schelling und Marx legt, ist der Umstand, das das Schellingsche Apostatentum ein absolut unfreiwilliges ist. Das ist seiner Altersproduktion deutlich anzumerken, und es hat viel zu der Verwirrung in seinen letzten Schriften beigetragen. Schelling glaubte bis zum Ende, die idealistische Position nirgends verlassen und sie nur beträchtlich erweitert zu haben. Aber diese seine Reflexionssituation machte es unmöglich für ihn zu sehen, welche Rolle das am Anfang dieser Betrachtungen von uns kurz berührte Isomorphieproblem in der Entwicklung der Philosophie über den Hegelschen Standpunkt hinaus spielen ums. Zwar ist seine Philosophie der Positivität in der Anlage eine Umkehrung der Hegelschen Systematik; aber diese Umkehrung, soweit sie sich überhaupt in seinen Formulierungen äußert, ist höchst dürftig und überhaupt nicht auf eine Intention seinerseits zurückzuführen sondern eine Folgerung, die sich aus dem Gesetz der Sache selbst ergibt. Wenn wir sagen, das Schelling niemals weiter als bis auf ein unklares Spiegelbild der Hegelschen Logik hinausgekommen ist, so meinen wir damit, das wenn es Hegel nur zu einem Bilde des Seins gebracht hat, dann ist das Schellingsche Denken auch nur bis zu einem Bilde der Handlung gekommen und nicht zur wirklichen Handlung, denn die ist eben von der idealistischen Grundlage aus schlechterdings nicht zu erreichen. Hier unterliegt die Schellingsche Philosophie einer grandiosen Selbsttäuschung, der Marx und seine Nachfolger nicht mehr zum Opfer gefallen sind. Wie Moses das Gelobte Land nur aus der Ferne sehen durfte, so liefert die positive Philosophie nur eine Fata Morgana, zu der keine Schritte hinführen. Wieder lag es im Gesetz der Sache, das das System der positiven Philosophie nie geschrieben worden ist. Genau das gleiche Problem erhält aber bei Marx dadurch eine grundverschiedene Gestalt, das dieser Denker sich während seiner Entwicklung relativ schnell und bewußt vom Idealismus absetzt. Die neue Philosophie geht von der bewußt ergriffenen Gegenthese aus, das nicht das Bewußtsein seinen Inhalt, also Materialität umgreift sondern umgekehrt Subjektsein aus dem Objekt abzuleiten ist. Das ist in einer Vielfalt von Formulierungen schon so oft und so gedankenlos gesagt worden, das es schwer abzuleugnen ist, das man sich hier in dem üppig wuchernden Garten der Trivialitäten aufhält, die qua Trivialitäten zwar als irgendwie richtig zu gelten haben und doch in einem tieferen philosophischen Sinne mehr Unwahrheit als Wahrheit enthalten. Wesentlich für uns ist nur, das wir in der einfachen Entgegensetzung von Materialität und Idealität eine Ausgangsposition berührt haben, die eben als solche wichtig ist. Wir lassen deshalb zusätzlich ein philosophisches Wörterbuch des dialektischen Materialismus aus dem Jahre 1969 sprechen, wo über Materie vorerst das Folgende gesagt wird: "die Kategorie 'Materie' widerspiegelt die objektive Realität, die außerhalb und unabhängig vom menschlichen Bewußtsein existiert. Der philosophische Materiebegriff wird somit durch das gegenseitige Verhältnis von Materie und Bewußtsein bestimmt: die Materie ist das Ursprüngliche, Primäre, das unabhängig vom Bewußtsein existierende; das Bewußtsein dagegen ist das Abgeleitete, Senkundäre. Da die Materie die einzige objektive Realität außerhalb des Bewußtseins ist, gibt es keine umfassendere erkenntnistheoretische Kategorie, auf die Materie und Bewußtsein gemeinsam zurückgeführt werden könnten. Es ist deshalb dem Wesen der Sache nach unmöglich ..., eine andere Definition der beiden letzten erkenntnistheoretischen Begriffe zu geben als die Feststellung, welcher von beiden für das Primäre genommen wird (Lenin, 14, 141)."

Mit dem Leninschen Zitat haben wir nun allerdings den Garten des Trivialen verlassen. Trotzdem aber wollen wir auf daßelbe an dieser Stelle nun soweit eingehen, als es sich mit dem Schellingschen Ansatz berührt. Wir erinnern uns, das dort das Ursein oder Urwollen, das (idealistisch) vor aller Realität lag, als Umtauschverhältnis auftrat, von dem man durch die Entscheidung dieser schwebenden Relation zum Begriff der Existenz kam. Dem Begriff der Entscheidung entspricht bei Lenin jene Feststellung, die angeben ums, welcher von den beiden Begriffen 'Materie' und 'Bewußtsein' als der primäre anerkannt werden soll. Das Materie und Bewußtsein hier als Umtauschverhältnis genommen werden müssen, geht daraus hervor, das ausdrücklich festgestellt wird, das es keine umfassendere erkenntnistheoretische Kategorie gibt - und wir setzen hinzu: geben kann - auf die die beiden Größen, Materie und Bewußtsein, zurückführbar sind. Es gehört sowohl zum Begriff der Materie als auch dem des Bewußtsein, das an ihnen das Denken sein Ende findet. Die Materie ist das Faktum brutum, an dem die Selbstbewegung des Denkens zum Stillstand gebracht wird, weil hier die Grenze erreicht ist, von der her das Denken bewegt wird. Am Bewußtsein andererseits bricht sich die Welle des Denkens, weil seine Bewegung am Bewußtseinsinhalt geschieht, der seine Grenze am Bewußtsein selber als Form des Inhalts hat. Es ist wichtig auf die Komplementarität dieser Situation aufmerksam zu machen. Gegenüber der Materie wird der Reflexionsprozeß arretiert, weil er reine Form ist und gegenüber dem Bewußtsein, weil er sich dort als Materialität gibt (Inhalt), die auf ihre eigene Form stößt. Beide philosophische Positionen, die idealistische sowohl wie die materialistische, sind sich einig darüber, das an den beiden Orten, wo das Denken erlischt, das Problem der Handlung seinen Ursprung hat. Dieser Ursprung ist bei Lenin in dem obigen Zitat in der Feststellung kaschiert, das der Materie der Primat gegenüber dem Bewußtsein zukommt.

Hier könnte eingewandt werden, das die Anerkennung eines solchen Primats selber noch ein Denkinhalt ist, der als solcher nicht über das Denken hinaus führen kann. Das ist vollkommen richtig. Aber ein Bewußtsein, das an dieser Stelle nicht weiter will, und das aus Angst vor dem absoluten Objekt sich in sich selbst zurückzieht, ums die Entdeckung machen, das es von der Reflexionsbewegung zwischen den beiden Alternativen von Formgrenze und Inhaltsgrenze ewig hin und her geworfen wird. Es ums nach einem Mittel suchen diese Unruhe - den permanenten Zweifel - aufzuhalten, und es kommt dabei zu dem Ergebnis, das es ein solches Mittel dem Bewußtsein gegenüber nicht gibt, weil seine Subjektivität vor jedem Zugriff in immer größere Tiefen der Selbstiteration zurückweicht, und der philosophische Gedanke zu dem unvermeidlichen Schluß kommen ums, das die Subjektivität eine "metaphysische" Größe ist, die sich nicht festhalten kann und vor jedem Zugriff in eine leere Unendlichkeit entflieht. Aber dieser hin-und herschwingende Reflexionsprozeß macht auch die Erfahrung, das es der Materie gegenüber ein Mittel gibt endlich vor Anker zu gehen. Solange die theoretische Reflexion in ihrer Unruhe begriffen ist, hat sie nichts als ein Bild der Materie, und ob diesem Bilde eine objektive reflexionsunabhängige Realität entspricht, bleibt fraglich, und die Reflexion kann in sich kein Mittel entdecken diesen Zweifel auszulöschen. Wir begreifen aber die Wirklichkeit dadurch, das wir, wie die Sprache tiefsinnig sagt, nach ihr greifen. Für das handelnde Bewußtsein ist die Frage nach der bewußtseinsunabhängigen Realität der Außenwelt überhaupt nicht mehr vorhanden. Sie ist schon beantwortet, bevor nach ihr überhaupt gefragt werden kann.

Das alles ist längst bekannt und in dieser allgemeinen Form oft genug gesagt worden. Und insofern haben wir den Leser um Nachsicht für die nochmalige Wiederholung dieser transzendentalen Einsicht zu bitten. Worum man sich aber weniger Gedanken gemacht hat, ist der Umstand, das wir hier auf ein transklassisches Formproblem stoßen. Wenn wir davon sprachen, das der Primat der Materie über das Bewußtsein einer Feststellung unterliegt, so bedeutet das, daß das Bewußtsein, bevor es diese Feststellung macht, sich auf die logische Fundamentalkategorie des symmetrischen Umtauschverhältnisses stützt. Die Feststellung selber aber bedeutet für ein Bewußtsein, das sie vollzieht, den Übergang von der Umtausch- zur asymmetrischen Ordnungsrelation. Das Verhältnis von Bewußtsein und objektivem Sein ist jetzt derartig geordnet, daß in dieser Ordnung die Wirklichkeit des Inhaltlich-Objektivem per se garantiert ist, das wir aber, wenn wir nach der Wirklichkeit der Subjektivität fragen, uns vom Objektivem die notwendigen Kategorien borgen müssen. Subjektivität ist nicht aus sich heraus zu verstehen, weil wir auf sie hin nicht handeln können. Denn selbst wenn wir die sogen. Meditationstechnik des Yoga anwenden, wendet sich unsere Tätigkeit immer nur auf unsern Körper, der die auf ihn ausgeübten Wirkungen auf eine hypothetische Seele transmittieren soll. Von einer Handlung auf die Seele selbst, ohne das objektive Zwischenglied des Körpers, der diszipliniert oder kasteit werden soll, ist in keiner Religion die Rede. Zwecks besserem Verständnis des Grundsätzlichen, von dem hier die Rede ist, ist es vielleicht nützlich hinzuzufügen, das auch in der modernen sekularisierten Form der Seelenbehandlung, der Psychotherapie, davon nicht abgegangen werden kann, das die Psyche der Handlung nur indirekt zugänglich ist. Nur ist in dieser verfeinerten Form nicht mehr das biologische Körpersystem der Vermittler sonder die Gedankenwelt des Subjekts. (Wir ignorieren dabei das Faktum, das sich auch die Psychotherapie der Drogen und anderer technischer Mittel bedient.) Denn auch der Gedanke als Bewußtseinsinhalt ist Objektivität gegenüber jenem Ichbewußtsein, das sich ausdrücklich von seinen Gedanken als einer Objektivität absondert, die es zwar tragen, aber niemals mit ihm identisch sind. Handlung ist also primar immer Handlung auf Objektivitäten zu, und nur durch die Objektivität hindurch kann indirekt weiter auf das Subjekt gehandelt werden. Ja, bei genauer Analyse stellt sich überdies heraus, das auch diese Formulierung noch zu liberal ist, denn das was wir im präzisen transzendentalen Sinn unter Handlung verstehen, ums ja aufhören, sobald die objektive Realität erreicht ist. Was sich daran anschließt sind Ereignisse, die sich eben als Ereignisse und nicht als Handlung fortpflanzen. In diesem Sinne kann gesagt werden: es ist schlechthin unmöglich, das eine Handlung je das Ich qua Ich berührt. Man kann höchstens sagen, soweit das Ich überhaupt berührt werden kann, so geschieht das durch das Denken, denn das Ich kann nicht leben ohne sich ein Bild von sich selbst zu machen; das Bild aber ist das Medium der theoretischen und nicht der praktischen Reflexion.

An diesem Punkt tritt die Dialektik in ihr Recht, insofern als wir, einmal beim Primat der Materie angelangt, entdecken, das wir uns in einer zweideutigen Situation befinden. Wenn es nämlich keinen übergeordneten theoretischen Bestimmungsgesichtspunkt gibt, der Materie und Bewußtsein dichotomisch umfaßt, dann hat die Feststellung, von der Lenin spricht, keine theoretische Bedeutung. Es kann ja kein logischer Grund für sie angegeben werden. Der Feststellung kommt als deutlich der Charakter einer Entscheidung zu, und wir sind damit aus dem Gebiete des Denkens in das des Willens getreten. Andererseits aber gehört es zum Wesen der theoretischen Reflexion, das sie sich bei keiner Willensentscheidung beruhigen kann und das sie im Rücken der Handlung unablässig darauf wartet von neuem anzufangen. Ihr Argument für einen Neuanfang ist dasjenige, das auch im tiefsten Grund den dialektischen Prozeß rechtfertigt, nämlich das die Handlung eben nur insofern Freiheit ist, als sie sich als ein den Begriff bewegendes Denken begreift. In diesem Sinne ums die Feststellung des Primats der Materie über das Bewußtsein eben letzten Endes doch einen theoretischen Sinn haben, der die Feststellung qua Handlung rechtfertigt. Hier liegt die Crux des ganzen Idealismus/Materialismus-Streits. Der Idealist weist darauf hin, das jede noch so weit gespannte und beliebig tief gegründete philosophische Theorie immer wieder in die theoretische Reflexion zurückgenommen und von ihr aufgelöst werden kann. Das beweise die Überlegenheit den Primat des Bewußtseins über das Objekt. Gegen dieses Argument ist gar nichts einzuwenden und man sollte seine Richtigkeit ruhig zugeben. Aber derjenige, der sich mit ihm beruhigen will, vergißt völlig, das der Wille und zwar gerade aufgrund idealistischer Voraussetzungen dieselbe Macht hat. Er kann die ganze Bewegung des Denkens abschneiden und annullieren und zwar in solcher Weise, das wenn das Denken von neuem beginnen will - und das kann ihm nach dem oben gesagten ja niemand verwehren - es nicht mehr auf dieselbe Weise denken kann wie auf der vom Willen abgebrochenen Stufe. Bedient man sich solcher Argumente, dann kann das Schaukelspiel zwischen Idealismus und Materialismus bis in alle Ewigkeit weitergehen und keine Seite wird dabei etwas gewinnen. Es lohnt sich für den Idealisten also gar nicht mit einer solchen Verteidigungsstrategie anzufangen. Was er bestenfalls gewinnt, - und das ist ja viel zu wenig für seine Absichten - ist die Anerkenntnis, das Idealismus und Materialismus ebenbürtige, gleichwertige, aber mit einander unvereinbare Weltanschauungen sind. Aber darüber ist an dieser Stelle kein Wort mehr zu verlieren, denn wir haben ja bereits eingangs dieser Untersuchung ausdrücklich darauf hingewiesen, das es auf Grund des Isomorphieprinzips der klassischen Logik zwei logisch äquivalente und gleich notwendige Begriffssysteme für die Analyse der Wirklichkeit gibt, die sich ebensowenig miteinander vereinigen können wie wir eine Straßenseite zugleich rechts und links zu nennen vermögen. Das dieser Streit aus der Rumpelkammer der Philosophie heute noch immer weiter geht und gar keine Aussicht darauf besteht ihn zu beenden liegt auf seiten des Idealismus daran, das man sich nicht zugestehen will, das die klassische Periode der Philosophie, in der der Idealismus souverän dominierte und der Materialismus eine bescheidene Domestikenrolle spielte, unwiderruflich vorbei ist. Er ist vorbei, weil die in ihm liegenden wahren und tiefen Erkenntnisprinzipien in ihrer Funktionsmöglichkeit ausgeschöpft sind. Man hat mit ihnen Fragen gestellt, die, soweit sie überhaupt beantwortbar waren, auch beantwortet worden sind. Es ist nicht ein immanenter Mangel dieser Prinzipien, wenn heute Fragen gestellt werden, auf deren Beantwortung hin sie nicht konstruiert wurden.

Was den dialektischen Materialismus anbetrifft, so ums ihm auf seiner gegenwärtigen Stufe ein anderes Versäumnis vorgeworfen werden. Zwar verkörpert er bereits die philosophische Einsicht, das der Idealismus am Ende ist und für die Zukunft keine tragfähige Weltanschauung mehr liefern kann, aber es bleibt von verstreuten Einzeleinsichten abgesehen bei dieser generellen Erkenntnis, die für ihn nur insofern ein Plus ist, als er sich mit ihr ausdrücklich schon in seiner jetzigen Gestalt als historisch notwendiges Durchgangsstadium für einen noch zu entwickelnden neuen Weltbegriff legitimiert hat. Daß das jetzige materialistische Denken wohl keinen endgültigen Zustand darstellt, wird wohl von seinen Vertretern selbst gesehen, denn wir lesen in dem bereits zitierten Philosophischen Wörterbuch: "Der dialektische und historische Materialismus ist ein in sich geschlossenes System d.h. eine systematische und logisch folgerichtige Weltanschauung, aber er ist kein abgeschlossenes System, das keiner Weiterentwicklung fähig wäre." Allerdings wird dieses Zugeständnis in seiner möglichen prinzipiellen Bedeutung dann doch dadurch wieder eingeschränkt, das darauf hingewiesen wird, das neue Entdeckungen in den Naturwissenschaften geeignet sein können, die Form dieses philosophischen Systems weiterzuentwickeln. Das mag so sein oder auch nicht. Was wir hier im Auge haben, ist etwas viel grundsätzlicheres. Wir behaupten hier, das der dialektische Materialismus in seiner durchgeführten Form zwei strukturtheoretische Stufen haben wird und das - von einzelnen Vorstößen abgesehen - das Denken des dialektischen Materialismus noch an die erste Stufe gebunden ist.

Darunter ist folgendes zu verstehen: Im Materialismus ist der Idealismus "aufgehoben". Der idealistische Denker weiß noch nichts davon, daß das System, das er entwickelt hat, auch spiegelverkehrt (auf Grund des Isomorphieprinzips) entwickelt werden kann. Das ist einer der Gründe, warum Schelling, der dieses Wissen nicht besaß, verzweifelt danach strebte, Idealist zu bleiben. Bei Marx aber ist dieses Wissen vorhanden und aus ihm resultiert im wesentlichen das, was wir hier als die erste Stufe des dialektischen Materialismus bezeichnet haben. Das diese Stufe nicht endgültig sein kann geht daraus hervor, das der dialektische Materialismus sich hier aus Gründen, die in diesem Buche nicht erörtert werden sollen, in eine Pseudo-Antithese zum Idealismus begeben hat, die den intendierten Zielen dieses Denkens überhaupt nicht entspricht. Wäre diese Antithese echt, so müsset eine übergreifende Synthese folgen können. Aber eben die ist nicht möglich, weil wie wir im Anschluß an Lenin erinnern wollen, es keinen übergeordneten Bestimmungsgesichtspunkt gibt, durch den Materie und Bewußtsein und in dem sich Idealismus und Materialismus als differentiae specificae einem genus proximum gegenüber verhalten. Das Denkschema der Platonischen Diairesis gilt hier also nicht mehr. Trotzdem gibt sich der dialektische Materialismus in seiner geistesgeschichtlichen Entwicklung als Antithese zum Idealismus, obschon er das schon in seinem ersten Stadium nicht ist. Er ist es nicht, weil zu ihm nicht nur die faktische Umkehrung des Idealismus sondern auch das Bewußtsein dieser Umkehrung gehört, das der Idealismus auf Grund der Tatsache, das er dem Materialismus vorausgeht, selbstverständlich nicht haben kann. Aber obwohl die Umkehrung im Materialismus da ist und auch gewußt wird, wird dieses Wissen vorerst nicht in das System hineingearbeitet. Es bleibt im Kopfe des Dialektikers. Strukturtheoretisch ist die neue Gedankenwelt immer noch eine bloße Spiegelverkehrung der Hegelschen Logik. D.h. in den heutigen Aussagen dialektischer Denker widersprechen sich die beiden Thesen: das Bewußtsein hat den Primat gegenüber der Materie, und die andere: Die Materie hat den Primat gegenüber dem Bewußtsein, immer noch genau so, wie sich p und nicht-p in der Aussagenlogik gegenseitig widerlegen. Selbstverständlich wird gerade das in der zuständigen Literatur bestritten. Es kommt aber nicht darauf an, was ein Denker sagen will, sondern was er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln tatsächlich sagen kann. Wenn sich jemand in einen Rolls Royce setzt mit der Absicht sich auf den Mond zu begeben, so wird sein Vehikel trotz aller Absichten des Insassen das nicht leisten.

Damit diese Kritik nicht als Ausdruck einer erheblichen Ignoranz über das Wesen des dialektischen Materialismus oder gar als Böswilligkeit bewertet wird (was vermutlich doch geschehen wird), wollen wir hier ausdrücklich feststellen, das es zur immanenten Idee dieser Philosophie und zu ihrem ausdrücklichen Programm gehört, sich der idealistischen Tradition von Plato bis Hegel und Schelling gegenüber auf dreierlei Weise zu verhalten. Sie soll im Hegelschen Sinne des Wortes "aufgehoben" werden. D.h. erstens soll sie als autonomes philosophisches Prinzip widerlegt und zerstört werden. Zweitens soll sie als Sub-System und unentbehrliche philosophische Voraussetzung im Rahmen des dialektischen Materialismus integrativ bewahrt werden, und drittens soll sie eine neue Bedeutung erhalten insofern, als gezeigt werden soll, das sich die Tiefe des Idealismus auf einer neuen Stufe des Denkens als die Tiefe der Materie und ihrer Diesseitigkeit selbst enthüllt. Ansätze zur Erfüllung dieser Vision finden sich zwar schon auf der ersten antithetischen Stufe des dialektischen Materialismus, die auf eine zweite Entwicklungstufe dieser Philosophie hinweisen. Vorerst aber ist das Leitmotiv dieser philosophischen Musik immer noch das Thema der Antithetik; nämlich, das der Idealismus "falsch" und der dialektische Materialismus "richtig" ist. Wen dieser Streit heute noch ernsthaft interessiert, dem ums gesagt werden, das er noch nicht ein mal das historische Niveau von Schelling erreicht hat.

Das die bisherige Entwicklung des dialektischen Materialismus ihrem eigenen Grundbegriff noch nicht im entferntesten gerecht wird, ums wissenschaftsgeschichtlich dem Faktum angelastet werden, das seit Hegel das Studium der philosophischen Logik hoffnungslos verlottert ist. Wir sprechen hier ausdrücklich von der Logik als philosophischer Disziplin. Das die Logik als technischer Schlossereibetrieb seither enorme Fortschritte gemacht hat, soll nicht nur nicht bestritten, sondern mit größtem Beifall vermerkt werden. Es wird sich nämlich zeigen, das die geforderte Weiterentwicklung des dialektischen Materialismus überhaupt nicht möglich ist ohne ein logisches Arsenal, das in seinen wesentlichen Grundzügen erst in nachidealistischer Zeit produziert worden ist. Man ums sich nur hüten diese Produktion für Philosophie zu halten und ihre gelegentlichen diesbezüglichen Pronunziamentos ernst zu nehmen. Was zu diesem Thema anzumerken ist, ist schon ausreichend in der Günther Jacobyschen Monographie Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtsschreibung gesagt worden. Logistik behauptet, Logik zu sein. Aber Jacoby stellt fest: "Logistik ist Mathematik. Logik ist Philosophie. Beide gehören zu artverschiedenen Wissenschaften. Sie stehen nach Basis, Fragestellung, Ziel, Aufbau und Methode so zueinander wie Einzelwissenschaft und ihre philosophische Grundlegung." Dem ist nur beizustimmen, und so weit die Darstellung Jacobys geht, hat sie wohltuende Klärung gebracht. Aber diese wertvolle Darstellung hat Grenzen, die weder dem transzendentalen Idealismus noch dem dialektischen Materialismus gerecht werden. Das Thema der Dialektik wird überhaupt nicht behandelt. "Keiner nennt das heute Logik" heißt es. Der Standpunkt des Verfassers ist ausgesprochen klassisch-Aristotelisch, weshalb er auch dem Problem der Mehrwertigkeit nicht gerecht werden kann. Zwar kann die Logistik evt. mehrwertig sein, aber "logisch" kann ein mehrwertiger Kalkül, gemäß Jacoby, nur zweiwertig arbeiten. Damit ist nichts Neues gesagt; aber wer auch nur halbwegs mit Mehrwertigkeit Bescheid weiß, sieht sich gezwungen zurückzufragen, von welcher Mehrwertigkeit eigentlich die Rede ist. Die klassische Tradition kennt bestenfalls drei fundamentale Begriffe von Zweiwertigkeit, nämlich wahr/falsch, positiv/negativ und designativ/nicht-designativ. Da diese Alternativen klassisch in einem bestimmten Sinne zusammenfallen, denn der positive Wert ist auch der Wahre, und der wahre ist auch der designative, kann man ohne viel Verwirrung schlechthin von Zweiwertigkeit reden. Aber erstens findet diese Koinzidenz von Wahrheit, Positivität und Designation in einem transklassisch-mehrwertigen Kalkül nicht mehr statt. Die drei genannten Wertalternativen müssen also sorgfältig unterschieden werden. Und zweitens stoßen wir in mehrwertigen Systemen auf die viel fundamentalere Dichotomie von Reflektions- und Akzeptionswert, die uns direkt in die philosophische Fragestellung hineinführt, die die Dialektik entwickelt.

Generell läßt sich sagen: bei der Überführung des transzendentalen Idealismus in den dialektischen Materialismus durften die an dieser Aufgabe engagierten Denker wenig oder gar keine Hilfe von der bisherigen philosophischen Logik erwarten. Und die Logistik, d.h. das Schlosserwerk mit mehr oder weniger sinnbezogenen Symbolen konnte bis dato schlechterdings nichts beitragen, weil die Logistik in ihrer bisherigen Form ausgesprochen anti-dialektisch ist, soweit man dort überhaupt weiß, wozu Dialektik eigentlich gut sein soll. Die Folge ist, das die theoretische Logik, unter deren Auspizien der nach-idealistische Materialismus entstanden ist, bestenfalls auf dem logischen Niveau steht, das prinzipiell schon im Deutschen Idealismus erreicht worden ist; d.h. auch nach Hegel wird noch mit Denkmitteln gearbeitet, die gerade gut genug waren die gesamte Epoche des Idealismus zu ihrem Abschluß zu führen. Alles, was darüber hinaus philosophisches seither neu gesagt worden ist, fußt auf assoziativem Kombinieren, Fingerspitzengefühl und einer oft erstaunlich treffsicheren Intuition. Das gilt besonders von der Dialektik, an deren "Wissenschaftlichkeit" beim heutigen Stande der Logik schwere Zweifel erlaubt sein müssen. Ihr krasses Unverständnis aber beweisen diejenigen Logiker, bzw. Logistiker, die Dialektik in toto als Unsinn abtun. Es handelt sich hier im Gegenteil um ein Phänomen, das höchst ernst zu nehmen ist, weil alle Anzeichen darauf hindeuten, das sich die Dialektik einmal in eine zuverlässige wissenschaftliche Methode entwickeln wird - was sie bei Hegel nicht war und im dialektischen Materialismus trotz aller gegenteiligen Beteuerungen auch noch nicht geworden ist. Man soll aber nicht vergessen, die Chemie hat auch einmal als Alchemie angefangen und die Astronomie als Astrologie.

Man kann vielleicht noch weiter gehen und behaupten, das eine künftige fruchtbare Weiterentwicklung der Philosophie ganz davon abhängen wird, ob man den Sinn der Dialektik einmal besser versteht als heute. Der Autor dieser Zeilen ist jedenfalls überzeugt davon und, um sich nicht mit einer leeren Behauptung zu begnügen, wird er versuchen kurz darzustellen, wo seiner Ansicht nach der logische Kern der Dialektik zu suchen ist. Der erste Denker, der die Dialektik als methodisches Prinzip des Philosophierens entdeckt hat, ist wohl Plato gewesen. Ihre keimhaften Anfänge in der Eleatik lassen wir dabei außer acht, weil das Problem dort nicht im entferntesten so grundsätzlich anvisiert wird wie bei Plato. In den Platonischen Dialogen ist ganz deutlich, das unter Dialektik die Kunst des wissenschaftlichen Gespräche zwecks Wahrheitsfindung zu verstehen ist. Es wird angenommen, das im Gespräch sich gegenteilige Meinungen widersprechen und das es die Absicht der Dialogpartner ist, diese Widersprüche aufzulösen und so zur Übereinkunft in der Wahrheit zu kommen. Wir wollen nicht bestreiten, daß das die subjektive Absicht der Gesprächsteilnehmer sein mag. Aber Plato zeigt schon in einem seiner relativ frühen Dialoge, nämlich dem Protagoras, das es auf die Wahrheitsfindung zwischen zwei Gesprächspartnern letzten Endes gar nicht ankommt und das im Gegenteil die Dialektik mit den Dialogteilnehmern etwas vorhat, das ihre Wünsche souverän ignoriert und auf eine Tiefendimension der Wirklichkeit hinweist, die unerreichbar jenseits des Gespräches liegt und das letzere nur als Oberflächenspiel am Grundbestand der Dialektik als Weltgesetz erscheinen läßt. In dem eben genannten Dialog erreichen die Partner nämlich schlechterdings gar nichts. Sie kommen zu keiner Übereinkunft und, als sie das Gespräch abschließen, ist die Wahrheit so fern wie je. Nur ein Possenspiel ist auf der Bühne des Gesprächs vor sich gegangen. Wir wollen in kürzester Form berichten, was sich ereignet hat. Protagoras und Sokrates beginnen ein Gespräch über die Frage, ob die Tugend lehrbar sei. Protagoras jedenfalls behauptet das, aber Sokrates bestreitet die Ansicht seines Gegners. Für ihn ist die Tugend nicht lehrbar. Es ist nun im Hinblick auf die Platonischen Dialoge viel von der Sokratischen Ironie geredet worden, und die Mehrzahl der Plato-Interpreten wird wohl diesen Dialog auch heute noch so deuten, das Sokrates auch am Anfang des Gesprächs sehr wohl weiß, das die Tugend lehrbar ist, aber das diese Lehrbarkeit in tieferen Regionen zu suchen ist, als wo sie Protagoras zu finden glaubt. Eine solche Interpretation mag ihre relative Berechtigung haben, aber sie verdeckt das eigentliche Problem der Dialektik. Und diese Zuflucht zur Sokratischen Ironie mag viel dazu beigetragen haben, daß das Geheimnis der Dialektik auch bei Hegel noch nicht völlig gelüftet ist.

Wir wollen also hier einmal annehmen, das Sokrates am Anfang des Dialoges ganz aufrichtig davon überzeugt ist, das die Protagoreische These von der Lehrbarkeit der Tugend falsch ist. Der Dialog endet bekanntlich damit, das Protagoras und Sokrates ihre Positionen vertauscht haben und das Sokrates jetzt behauptet, die Tugend sei lehrbar und Protagoras diese Auffassung bestreitet. Was ist geschehen? Der Dialog vereint ein Ich und Du, also zwei Denkprozesse, die sich in zwei einander absolut unzulänglichen Bewußtseinsräumen abspielen. Protagoras kann niemals die Sokratischen Gedanken als seine eigenen wissen und das Gleiche gilt für Sokrates. Auch für ihn sind die Denkerlebnisse des Protagoras als eigene Bewußtseinserlebnisse unzugänglich. Ich und Du negieren sich also in dem Sinne, das jeder für sich Subjekt und für den anderen Objekt ist. Sie stehen sich also gegenseitig in totaler Negation gegenüber. Mithin wäre eine Verständigung zwischen beiden Gesprächspartnern überhaupt unmöglich, wenn es nicht ein Drittes gäbe, dem gegenüber sie beide in der gleichen Situation sind. Beide Subjektivitäten haben nämlich einen Objektumkreis, der - wie man im modernen Sprachgebrauch zu sagen pflegt - als Kommunikationskanal für die Dialogpartner dient. Dieser objektiven Umwelt gegenüber sind nun Protagoras und Sokrates insofern in der gleichen logischen Situation, als beide qua Subjektivität nicht in der Lage sind sich mit diesem Objektbereich zu identifizieren. Dieser Objektbereich übernimmt, Hegelisch gesprochen, die Vermittlung zwischen zwei Bewußtseinsräumen, die ewig voneinander durch den Gegensatz von Ich und Du getrennt sind. Eine weitere strukturanalytische Voraussetzung für die Dialogsituation ist, das jede der beiden dialogisierenden Subjektivitäten die andere seiner ihm selbst objektiven Umwelt zurechnen kann. Für Sokrates also ist Protagoras als Du-Phänomen ein Teil der Sokratischen Umwelt und gehört somit fraglos für ihn zum Objektbestand der Welt, von dem er durch den Abgrund der sich überall zwischen Ich und Nicht-Ich auftut, bedingungslos getrennt ist. Für Protagoras andererseits ist die Situation genau umgekehrt. Er ist sich selbst Subjekt - formt also um sein Ich einen Bewußtseinsraum und Sokrates gehört als Du-Objekt zur Protagoräischen Umwelt. Die folgende Tafel IV ist geeignet das gegenseitig Verhältnis der Dialogpartner zu illustrieren.

Tafel IV

S1

U1 U U2

S2

In dieser Zeichnung vertritt U die Stelle des Universums, das zwei Subjekten S1 und S2, die sich wie Ich und Du zueinander verhalten, gemeinsam ist. Beide Subjektivitäten erhalten Informationen von dem ihnen gemeinsamen Universum U. Diese Information ist symmetrisch, was wir durch Doppelpfeile dargestellt haben, die sowohl S1 als auch S2 mit U verbinden. Sprechen S1 und S2 also "selbstvergessen" über U, so können sie sich ohne Schwierigkeiten verständigen, denn U stellt ja eine reine Objektivität, ein subjektloses Universum dar, aus dem sich jede lebendige Subjektivität mit dem Satz 'Das bin ich nicht' unbedingt ausschließt. Da die Subjektivitätsdifferenz zwischen S1 und S2 hier überhaupt nicht ins Spiel kommt, ist für S1 und S2 die Möglichkeit gegeben allgemein gültige Aussagen über U zu machen. Im Fall das ihre Aussagen nicht übereinstimmen, dann ums wenigstens eine der beiden (evt. auch beide) falsch sein. Soweit haben wir es mit der undialektischen naiven Erkenntnissituation des Naturwissenschaftlers zu tun, der sich Gedanken um eine unbelebte Dingwelt macht.

Im Protagoras Dialog aber ist eine wesentlich kompliziertere Reflexionssituation vorausgesetzt. Beide Subjektivitätssysteme, Protagoras sowohl wie Sokrates, sehen das sie umgebende Universum wenigstens mit einem andern S-system bevölkert, das zusätzlich zu den natürlichen Ereignissen der reinen Objektivität einen andern Ereignistypus produziert, der als Dialogargument empfangen wird. So produziert S1 (also sagen wir in unserm Falle Protagoras) die Argumentfolge U1, die S2 (in diesem Falle Sokrates) als Informationsgabe empfängt. Umgekehrt produziert Sokrates seine Argumentfolge U2, die Protagoras als Eingabe empfängt. Ausgabe und Eingabe sind wieder durch Pfeile bezeichnet, die aber diesmal alle in eine Richtung weisen und, wie man sieht, eine zirkuläre Relation, einen Hegelschen 'Kreis' produzieren. Damit aber wird das naive Bild des Wissens, in dem es S1 und S2 ausschließlich mit U zu tun haben, in einen dialektischen Wirbel gezogen. Das Verhältnis zwischen S1 und S2, das ursprünglich ganz undialektisch zu sein schien, kompliziert sich jetzt nämlich dadurch, das S1 ein Universum besitzt, das von demjenigen, dem sich S2 zugehörig fühlt, verschieden ist. Das Universum von S1 ist U plus U2, denn von dort her erhält es Eingaben. Für S2 aber besteht das Universum gemäß seiner Eingaben aus U und U1. Wir müssen uns also mit dem Resultat abfinden, das obwohl S1 und S2 in daßelbe Universum eingebettet sind, insofern als die reine Objektivität U in frage kommt, leben beide Subjektivitäten in einem partiell differenten Universum, wenn wir in dem Sein, das jede Subjektivität umgibt, nicht mehr subjektlose Objektivität sondern einen 'belebten' Zusammenhang, als unlösliche Synthese von Subjektivität und Objektivität betrachten. Es ist von H. von Foerster bereits darauf hingewiesen worden, das die Bewußtseins- und Erkenntnissituation bei Einbezug von U1 und U2 asymmetrisch ist. Sie schließt nur eine symmetrische Komponente ein, nämlich das gemeinsame Verhältnis von S1 und S2 zu U. Überschreitet man den Bereich dieser Beziehungen, dann betritt man die Welt der Dialektik. Wir nehmen an, das die von S1 und S2 produzierten Dialogereignisse U1 und U2 in irgend einer Form als Repräsentationen von Eigenschaften aufgefaßt werden müssen, die letzten Endes (man weiß nicht wie) zu U gehören sollen. D.h. Protagoras sagt etwas, womit er einen objektiven Sachverhalt konstatieren will. In unserm Falle ist es der Tatbestand, das die Tugend lehrbar ist. Und dieser Sachverhalt soll ganz unabhängig davon gelten, ob Protagoras oder Sokrates fähig sind sie zu lehren. Auch Sokrates sagt etwas; nur behauptet er die Negation dessen was Protagoras für richtig hält. Es ist ganz deutlich, das wir hier ein Verständigungsproblem haben. Wir, die wir diese Dialogsituation analysieren, können nicht umhin uns zu fragen: wie können S1 und S2 sich darüber einigen, das sie über dieselbe Sache reden? Und was ist eigentlich 'dieselbe Sache'? Die gewünschte Verständigung kann, wie wir seit den Griechen und speziell seit Plato und Aristoteles wissen, nur dadurch geschehen, das es S1 und S2 gelingt gleiche begriffliche Repräsentationen für gleiche Wirklichkeitseigenschaften zu finden. Folglich ist zu fordern, das die Repräsentationswerte von U1 und U2 konvergieren. Tafel V stellt das anschaulich auf die folgende Weise dar:

Tafel V

U1 U2

U0

Die auf U0 hinweisenden Pfeile sollen den Konvergenzprozess bedeuten, und U0 ist jene mythische Ursprache, in der Gott selbst redete, als er befahl: Es werde Licht. Es ist jene Sprache, in der die Wirklichkeit selber spricht und in der, wie uns alte Märchen erzählen, Sprechen auch Machen bedeutet. Wir müssen hier aber nüchterner reden und beschränken uns deshalb darauf festzustellen, daß das Vehikel der Konvergenz die zweiwertige Logik sein ums, denn U1 und U2 sind differentiae specificae in bezug auf U0 als das letzte genus proximum. Es erübrigt sich darzulegen, das U0, wo Wort und Sache sich vereinigen, niemals erreicht werden kann. Nachdem wir das anerkannt haben, können wir keinen Schaden anrichten, wenn wir trotzdem weiter fragen, was es für die Reflexion bedeuten würde, wenn U0 erreicht werden könnte. Unsere Antwort kann nur lauten: die ursprüngliche Asymmetrie, die S1 und S2 auseinander hält, wäre verschwunden und die Dialogsituation als philosophisches und spezifisch logisches Problem existierte nicht mehr. Mehr noch: die Dialektik wäre kein Weltgesetz sondern eine elende Sammlung von Tricks, mit denen ein Redner seinen Gesprächspartnern das Leben schwer machen könnte.

Wir kehren zu Platos Dialog zurück, und versuchen ihn geleitet durch das Schema der Tafel IV zu betrachten. Das Gespräch zwischen Protagoras und Sokrates wird uns jetzt in einem neuen Lichte erscheinen. In diesem Dialog handelt es sich überhaupt nicht um die Frage, ob es ein objektives Faktum ist, das die Tugend lehrbar ist oder ob sie es nicht ist. Platos private Meinung, das die Frage bejaht werden ums, wird uns nur dadurch indirekt mitgeteilt, das es seine Lieblingsgestalt Sokrates ist, die am Ende des Dialogs die Überzeugung von der Lehrbarkeit der Tugend vertritt. Der Dialog selber aber entwickelt ein anderes Problem. Er demonstriert, das unabhängige Arbeiten ein und desselben (zweiwertigen) Logikmechanismus in zwei autonomen Bewußtseinsräumen, die das Icherlebnis qua Ich nicht überschreiten kann. Das Ich kann niemals die Direktion der Gedankenfolge eines anderen Ichs übernehmen, das ihm als Du ein Dialogpartner ist. Es erübrigt sich eigentlich zu sagen, daß das was wir für das Ich bemerkt haben auch für das Du gilt. Auf diese operative Unabhängigkeit der Dialogegener kommt es hier in allererster Linie an. Zu dieser operativen Unabhängigkeit gehört es auch, das jeder der Dialogsprecher den Versuch machen kann durch Argumente auf die Vorgänge im Bewußtseinsraum des Anderen Einfluß zu nehmen. Plato versucht dabei den Idealfall darzustellen, in welchem beide Seiten ihr Vorhaben mit gleicher Wirkung gelingt. Der Erfolg ist vorauszusagen. Jeder der beiden Gesprächspartner transferiert seine Überzeugung von der Lehrbarkeit bzw. der Nicht-Lehrbarkeit der Tugend in den ihm qua Subjektivität total unzugänglichen Bewußtseinsraum des Opponenten. Dies geschieht je nach dem durch die Vermittlung von entweder U1 oder U2. Im Schema unserer Tafel IV sieht das so aus: Es findet eine Kreisbewegung statt, die wir (willkürlich) bei S1 beginnen lassen wollen und die, angezeigt durch die einfachen Pfeile, über U1 nach S2 läuft und von dort als Gegenargument über U2 nach S1. Damit das Argument auf beiden Seiten angenommen wird und wirklich zu einem gegenseitigen Überzeugungswechsel führen kann, ist folgendes notwendig, was - wie wir glauben - Plato stillschweigend voraussetzt. Die Argumente, die auf beiden Seiten gebraucht werden, müssen einander logisch äquivalent und somit von gleicher Evidenzkraft sein. Nur unter dieser Voraussetzung wird jeder Dialogpartner für die Widerlegung der gegnerischen Ansicht mit dem Verlust seiner eigenen Ausgangsposititon zahlen müssen. Das ist natürlich ein Idealfall und man kann zweifeln, das es Plato faktisch geglückt ist, die Dialogsituation so zu konstruieren, das sich die Argumente auf beiden Seiten wirklich genau die Wage halten. Solche evt. auftretenden praktischen Mängel aber sind irrelevant. Wir zweifeln ja auch nicht an der Richtigkeit geometrische Sätze, weil die Kreise und Dreiecke, die wir mit Zirkel und Lineal zeichnen, niemals echte Dreiecke und Kreise im idealen mathematischen Sinne sind.

Worauf es Plato offensichtlich hier ankommt, ist die elementare antithetischen Bedingungen der Dialogstruktur aufzuhellen. In dem Falle, das der eine Partner von vornherein die überlegene Einsicht und die stärkeren Argumente auf seiner Seite hat, besteht immer die Möglichkeit den andern zu belehren ohne die eigene Überzeugung aufgeben zu müssen. In diesem Falle liegt aber überhaupt kein echter Dialog vor, sondern eine mehr oder weniger erfolgreiche Unterrichtsstunde, in der die Unversöhnlichkeit des echten dialektischen Gegensatzes nicht demonstriert werden kann. Wir erinnern hier wieder an den Isomorphiecharakter der klassischen Logik, demzufolge es zwei gleichwertige und gleich notwendige Beschreibungen der Wirklichkeit geben ums. Diese Isomorphie ist Voraussetzung für den dialektischen Mechanismus, den Plato vermutlich demonstrieren will. Aber jetzt müssen wir weiter denken. Jedes Ich kommt zu seiner Selbstheit nur durch seine Bewußtseinsinhalt. Es kann keine Subjektivität mit einem inhaltsleeren Bewußtseinsraum geben. Mit dem Schwinden der Inhalte verschwindet auch die Subjektivität selbst, was aber nicht in dem Sinne verstanden werden darf, das die Subjektivität mit ihren jeweiligen Inhalten vollidentisch ist. Bewußtseinsinhalte sind notwendige, aber nicht zureichende Bedingungen des sich-selbst-erlebenden Ichs.

Die Art und Weise, wie sich das Ich zu seinen Bewußtseinsinhalten verhält ist die, das es sie entweder affimiert oder negiert. In der Affirmation zeigt das Ich, das es ohne Inhalte nicht leben kann; in der Negation aber zeigt es an, das es nicht mit denselben identisch ist sondern sich von ihnen distanzieren kann und ums, wenn überhaupt es ein Selbst sein soll. Dieser freie Zusammenhang zwischen Bewußtsein und Bewußtseinsinhalt aber könnte nicht existieren, wenn das Verhältnis der Bewußtseinsinhalte zueinander nicht eben jenen Isomorphiecharakter aufwiese. Das Negierte kann ja seinerseits negiert werden, und so kommen wir zurück zur Affirmation. Wenn wir also die Negativität als Rückzug des Ichs aus seinen eigenen Bewußtseinsinhalten betrachten, so kann dieser Rückzug also auch aus einem negierten Tatbestand erfolgen. Damit aber im zweiten Fall der Rückzug auch die Kontinuität des Subjekts gewährleistet, ums der negative Bewußtseinsinhalt daßelbe sein wie der positive. Hier stoßen wir auf die transzendentale Bedeutung der Isomorphie der klassischen Logik. Und wenn wir in diesem Zusammenhang zwischen der Subjektivität und dem ihr zugehörigen Bewußtseinsraum von Negation gesprochen haben, so war immer das "erste Negative" Hegels gemeint. Aber zur Dialektik gehört, noch das "zweite Negative", wie wir am Ende der Großen Logik nachlesen können.

Bisher haben wir uns in unserer Diskussion des Platonischen Dialogs fast ausschließlich damit beschäftigt, das der eine Dialogpartner die strittige Frage thetisch und der andere antithetisch vertritt. Die dabei involvierte Negation betraf also nur Bewußtseins- bzw. Denkinhalte, und der immanente Mechanismus des Negierens wurde überhaupt nicht davon berührt, in welchem Bewußtseinsraum sich der Negationsprozeß abspielt. Mehr noch: es mußte selbstverständlich angenommen werden, das zwei logische Prozesse immer denselben Denkregeln folgen, ganz gleich in wessen Bewßtseinsumkreis sie sich abspielen. Diese Annahme ist mit Recht als eine Selbstverständlichkeit betrachtet worden, denn wie könnte sich sonst rationale Verständigung zwischen verschiedenen Individuen abspielen? Diese Auffassung der Negation ist uns seit mehr als 2000 Jahren geläufig und sie ist die unabdingbare Voraussetzung der abendländischen Wissenschaftsgeschichte.

Wenn aber die Gesetze des logischen Denkens für alle möglichen Ichzentren in gleicher Weise gelten, besteht gar keine Veranlassung bei der Entwicklung der Logik auf mehr als ein Individuum Rücksicht zu nehmen. Es ist ja - wie wir nun zur Genüge gesagt haben - bei allen andern ebenso. Darum ist auch nicht verwunderlich, das unsere bisherigen Theorien des Denkens und der Erkenntnis einen eigentümlichen monologischen Charakter gehabt haben. Zwar ist schon bei Plato das Gefühl lebendig, das damit tiefere oder weitere Perspektiven der Reflexion verbaut werden. Aber dort wo die abendländische Wissenschaftsgeschichte ihre größten Tiefen erreicht hat, ist sie immer das Resultat des einsamen Denkers gewesen, der die Menge weit hinter sich gelassen hat. Der Dialog hat als exaktes, also genau formulierbares begriffliches Motiv in der bisherigen Geschichte der abendländischen Gedankensysteme nur eine geringe Rolle gespielt. Höchster Ausdruck dieser Monologstruktur ist die Idee des Monotheismus; d.h. jener universalen Subjektivität, die kein anderes Ich neben sich dulden kann. Die höchste Form dieses Monologes ist die Offenbarung Gottes und ihre absolute Autorität leitet sich aus dem Faktum her, das kein anderes Ich der Subjektivität, die aus ihr spricht, widersprechen kann, weil gar kein möglicher Dialogpartner da ist oder auch nur da sein kann. Es ist kein Zufall, das in allen großen Weltreligionen die Bedeutung der Idee des Teufels, je mehr die Religion sich entwickelt, immer stärker an Gewicht verliert. Es gibt heute noch allerhand Leute, deren Glauben an die transzendente Realität Gottes unerschüttert ist, die es aber nicht mehr zustande bringen dem Herrn mit dem Bocksfuß die gleiche Realität zuzubilligen. Damit aber entfällt der Partner der "das Wort" zum Produkt eines Dialoges machen könnte. Genau dort, wo das Platonische Denken wissenschaftstheoretisch in der Geistesgeschichte relevant geworden ist, ist es monologisch. Das System der Diairesis, d.h. die Platonische Pyramide der Begriffe, beschreibt das Verhältnis vom Allgemeinen zum Besonderen so wie es sich gestaltet, wenn es auf einen einzigen Bewußtseinsraum beschränkt ist. Was die andern Subjektivitäten angeht, so gilt für sie, daß sie bloß zuhören. Wir haben weiter oben, als wir von Schelling sprachen, diese Form der Rationalität als nicht-distribuiert bezeichnet. Sie ist rigoros beschränkt durch die Grenzen eines Bewußtseinsraums, der durch die ihn beherrschende Subjektivität als innere strukturelle Einheit zusammengefaßt ist. Die Subjektivität, die diesen Vorzugsplatz jeweils inne hat, kann aus dieser Situation heraus nur predigen, verkünden und rational belehren. Und das ist, was die großen Denker bis dato getan haben. Was diese diairetisch denkende Subjektivität aber nicht kann, ist: sie ist unfähig zu dialogisieren. Sie kann es nicht, weil ihr "die zweite Negation" unbekannt ist.

In jedem Dialog aber ist die zweite Negation im Spiel insofern, als das Ich mit einem dialogischen Du konfrontiert ist und den Gang des Gedankens nicht solipsistisch aus sich allein heraus spinnt. Das System des Denkens ist hier über zwei Reflexionsbereiche distribuiert, die sich scharf voneinander abheben. Und genau so wie die klassische oder erste Negation eine Unverträglichkeit von Gegensätzen konstituiert, so tut das auch die zweite Negation. Ich und Du negieren sich gegenseitig als Subjektivitäten, aber genau so wie die klassische Negation ein gegenseitiges Umtauschverhältnis formte, so tut das die zweite. Was jetzt Ich ist, kann in die Stelle des Du zurücktreten, wenn das Du die Position der Ichsubjektivität einnimmt. Es ist unmöglich, das zwei Subjektivitätszentren zugleich und in demselben Sinne für einander Ich sind. Für jedes Ich ist das andere notwendig ein Du. D.h. auch die zweite Negation ist a limine ein Umtauschverhältnis. Dabei sind wir gezwungen die Ichsubjektivität als die zu bezeichnen, die sich als das Zentrum des Denkens weiß. Unter Dusubjektivität aber verstehen wir notwendigerweise diejenige, in deren Bewußtseinsraum wir das Denken als Sinnzusammenhang nicht erleben können. Mit anderen Worten: wir erfahren das Denken der Dusubjektivität nur "von außen", als ein Ereignis, das sich für uns in der Objektivität abspielt und trotzdem sich aus der Objektivität heraushebt insofern, als wir das Denken des Du als eine Handlung interpretieren können, hinter der unsichtbar und unerreichbar ein lebendiges Subjekt steht. Die Ereignisse der Welt werden also unter zwei Kategorien begriffen: erst einmal das impersonale Ereignis, das Objekte verbindet, die nichts als tote Objekte sind, und dann der andere Ereignistypus - die Handlung -, angesichts derer ein Denkzwang von uns die Introjektion einer Dusubjektivität fordert.

Es ist eine Trivialität zu sagen, das die Dialogsituation eine Dusubjektivität fordert, die sich zur Ichsubjektivität als Negation unter dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten verhält. Aber wir haben eben gesehen, das die zweite Negation, obgleich sie formal betrachtet genau so ein Umtauschverhältnis ist wie die erste, doch eine höhere logische Mächtigkeit besitzt. Wir hatten bereits weiter oben bemerkt, das die beiden Subjektivitäten gar nicht miteinander kommunizieren könnten, da sie in die unüberschreitbaren Grenzen ihres jeweiligen Ichbewußtseins eingeschlossen sind, wenn sie nicht ein ihnen gemeinsames Medium der Kommunikation besäßen, nämlich die ihnen gemeinsame Umwelt. Und von dieser Umwelt trennt eine ebenso unüberschreitbare Schranke das ich sowohl wie das Du. Hier handelt es sich noch einmal um ein Negationsverhältnis. Ein Ich ist kein Ding; und ein Ding ist kein ich. Da aber ich und Du in einem gegenseitigen Umtauschverhältnis sind, gilt dieselbe Negationsrelation, auch zwischen dem Du und dem Ding. Gleichgültig ob unsere zweiwertige Logik die nicht die ausreichende logische Unterscheidungskraft besitzt, immer wieder dazu verführen will, das Du als Objekt zu denken: es bleibt dabei; ein Du ist nicht etwas, was mit Dinglichkeitskategorien zu begreifen ist.

Bei unserem Übergang von der Idee des monologischen zu der des dialogischen Denkens haben wir vorerst das folgende gelernt: Der Unterschied zwischen ich und Du ist im Wesentlichen der, das die Subjektivität einmal als Denken, also als theoretisches Sinnerlebnis und das andere Mal als objektive Handlung, d.h. als Wille begriffen wird. Der Deutsche Idealismus hat also recht, wenn er später immer darauf hinweist, das Freiheit (Handlung) und Notwendigkeit (Denken) metaphysisch betrachtet daßelbe sind. Es ist allerdings höchst bezeichnend, das er diesen Gedanken nirgends mit dem Du-Problem in Verbindung bringt. Daßelbe existiert für ihn schlechterdings nicht. Für den Idealismus kann, eben weil er Idealismus ist, die Idee des Du keine prinzipielle Bedeutung haben. Idealist sein heißt letzten Endes monologisch denken. Wir sagen das mit vollem Bewußtsein der Tatsache, das Hegel bis dato der größte dialektische Denker der Geistesgeschichte gewesen ist. Aber wenn die Dialektik in der absoluten Idee gipfelt, dann ist der Weltgeist nur ein Ich-Subjekt. Es ist nicht zufällig, das John Dewey in einer fast vergessenen Schrift vom "Egotismus" in der Philosophie des Deutschen Idealismus spricht.

Das zweite, was wir bei der Analyse der Platonischen Dialogsituation gelernt haben, ist die Tatsache, daß das Du nicht als die Negation des Ichs aufgefaßt werden kann, wenn wir nicht zu gleicher Zeit die Umwelt der beiden Gesprächspartner als eine vermittelnde Dimension einführen und feststellen, das Ich- und Du-Subjektivität nicht nur in einem gegenseitigen Umtauschverhältnis stehen, sondern das sowohl das Ich als auch das Du sich jeweilig in einem weiteren Umtauschverhältnis zur Objektivität verhalten. Das einzelne Du, das dem erlebenden Ich gegenüber steht, gehört zur Objektivität des Weltbestandes. Aber da die Du's grundsätzlich als Vielheit auftreten, kann diejenige Subjektivität, die mir als Du gegenüber steht, zu gleicher Zeit die Rolle eines Ichs gegenüber einer dritten Subjektivität übernehmen, die sowohl mir als ihm gegenüber ein Du ist. Es vollzieht sich also auch innerhalb der Dimension, die für mich Objektivität ist, ein Umtauschverhältnis zwischen Ich und Du, an dem ich unbeteiligt bin. Es ist erstaunlich, daß das Ich sein subjektives Denken nicht als Resultat in den objektivierenden Kommunikationskanal, der dialogisierende Subjekte verbindet eingeben kann, wenn das Du die ihm übermittelte Information auf Grund eines anderen Umtauschverhältnisses nicht in der Lage wäre dieselbe aus dem Bereich der Objektivität in seine Subjektivität zurückzunehmen. Dieser Kommunikationskanal gehört ausschließlich zu U, und wir haben ihn in Tafel IV durch die Doppelpfeile angedeutet, die S1 und S2 symmetrisch mit U verbinden.

Kehren wir zum Protagoras-Dialog zurück. Die Struktur des Dialoges zeigt in ihrer Kreisbewegung die relative Ohnmacht jener nicht-distribuierten Rationalität, die im Kopfe des Einzelindividuums eingeschlossen ist. Sie ist auf Grund ihrer Isoliertheit ganz undialektisch, und sie ist in dieser Verengung der dialektischen Situation nicht gewachsen. Die von ihr intendierte Überzeugung, die sie beim Dialogpartner durchsetzt, wird um einen Preis erkauft, der unerträglich ist. Die Macht dieses Denkens über die Wirklichkeit hat also sehr enge Grenzen. (Als Seitenbemerkung können wir hinzufügen, das sich hier schon die außerordentlich engen Grenzen der klassischen zweiwertigen Technik zeigen, die die Kybernetik heute zu sprengen beabsichtigt.) Worum es aber hier im Wesentlichen geht ist die Tatsache, das der Dialogvollzug durch drei logische Umtauschverhältnisse hindurchgeht, die alle an seinem Zustandekommen mitwirken. Wir rekapitulieren: Erstens das Umtauschverhältnis zwischen Ich und Du, in dem jede Subjektivität einmal Ich und einmal Du sein kann; zweitens das Umtauschverhältnis zwischen Ich und Umwelt; und drittens das Umtauschverhältnis zwischen Du und Umwelt. Mögliche zusätzliche Umtauschverhältnisse, die zwischen den vielen Du's hin-und hergehen, haben wir nur als Problemhintergrund hier angemerkt. Wir wollen sie im weiteren Verlauf unserer Diskussion des Platonischen Dialoges ignorieren, weil sie zu seiner Interpretation wenig oder nichts beitragen können.

Angesichts des Endresultates, demgemäß Sokrates jetzt die Ausgangsposition des Protagoras einnimmt, und Protagoras sich zu der Ausgangsposition von Sokrates bekennt, läßt Plato Sokrates sagen: "Ich nun, Protagoras, indem ich sehe, wie schrecklich uns dieses alles durcheinander geschüttelt wird, das unterste zu oberst, bin voll Eifers die Sache zur Klarheit zu bringen, und ich wünschte, nachdem wir dies durchgegangen, könnten wir auch weiter zurückgehen auf die Tugend selbst, was sie wohl ist ..." Protagoras aber lehnt diesen Vorschlag mit einigen Elogen, die an Sokrates' Scharfsinn adressiert sind, ab. Dieser Schluß ist des öfteren in dem Sinne interpretiert worden, das Protagoras nicht weiter diskutieren möchte, weil er die Überlegenheit des Sokrates gespürt hat und fürchtet im weiteren Laufe des Gesprächs eine wenig rühmliche Rolle zu spielen. Eine solche Interpretation des Dialoges soll jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Sie ist aber nicht sehr ergiebig. Fruchtbarer ist eine andere. Da Plato den Sokrates vorschlagen läßt das Gespräch fortzusetzen, gibt er damit wohl zu verstehen, daß das Problem noch nicht erledigt ist. Aus der Frage, ob die Tugend lehrbar oder nicht lehrbar ist, hat sich jetzt die andere ontologische entwickelt, was Tugend eigentlich überhaupt ist und es scheint, das die letztere erst beantwortet werden ums, ehe man zum Originalthema zurückkehren kann.

Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt noch einmal Tafel IV, so läßt sich sagen, das nur die zyklische Bewegung der Begriffe bisher abgehandelt worden ist, aber nicht die, die durch die Doppelpfleile sich bewegen soll. Denn nur in diesem direkten Verhältnis von S1 und S2 zu U kann die Frage auftreten, was eine Sache an sich ist. Man kann nun die Weigerung von Protagoras das Gespräch fortzusetzen auch so verstehen, das er der Meinung ist, die Frage was die Tugend an sich sei hätte zuerst abgehandelt werden müssen, ehe man sich an die sekundäre Frage ihrer Lehrbarkeit mache. Auch dann würde sich nämlich an der bereits festgestellten Kreisbewegung der Begriffe nichts ändern, weil mit dem Thema der Lehrbarkeit (gleichgültig, ob man es vorträglich oder nachträglich ins Auge faßt) ein Element mitspricht, das bei der Frage nach dem An-sich der Tugend ignoriert werden kann und jedenfalls ignoriert wird. Es ist die Frage des objektiven Sachverhaltes in seiner Relation zur Subjektivität, die belehrbar sein soll. Bei dieser Frage werden logische Dimensionen mobilisiert, die bei der bloßen An-sich-Frage stille liegen. Es ist kaum wahrscheinlich, das die engere logische Frage einen Fingerzeig geben kann, wie die umfangreichere zu lösen ist. Kurz, man würde trotz diesem Rückzieher den Sokrates zu machen beabsichtigt, doch wieder bei dem Karussell der Begriffe landen. Es ist ausgeschlossen anzunehmen, das der Sophist kraft seiner spezifischen Begabung diese Situation besser übersieht und Sokrates deshalb auf ein ander Mal vertröstet.

Wichtiger ist das Sokrates an der Stelle, wo das Gespräch abbricht zugibt: "Wie schrecklich (in diesem Dialog) alles durcheinandergeschüttelt wird, das unterste zu oberst". Ein auch nur flüchtiges Lesen des Dialogs kann uns davon überzeugen, das die dem Gespräch zugrunde liegende effektive Logik die zweiwertige Logik des Aristoteles ist, die sich ausschließlich der ersten Negation bedient. Es ist offensichtlich, das eine Argumentationsweise, die die zweite Negation noch nicht kennt, einer solchen Fragestellung, wie sie der Protagoras-Dialog aufrührt, nicht gewachsen sein kann. Ebenso begreiflich ist, daß das Denken jetzt auf eine Perspektive, der es gewachsen ist, nämlich der Frage nach dem An-sich der Tugend, auszuweichen versucht. Das Problem ist auch andern Platonischen Dialogen inhärent, aber selten profiliert es sich so eindrücklich wie in diesem. Platos Größe zeigt sich darin, das er sich von der klassisch-aristotelischen Logik, als deren Mitschöpfer er zu gelten hat, seine Problemweite nicht vorschreiben läßt. Die klassische Theorie ist eine Lehre vom monologischen Denken. Die theoretische Kernstruktur des Dialoges aber liegt außerhalb ihres Gesichtskreises und es kommt Plato noch nicht zum Bewußtsein, das hier auch fixierbare Formen des Denkens zu entdecken sind. Darum endet der Dialog auch dort, wo es gerade am interessantesten ist. Platos Vorbild hat durch die ganze abendländische Geistesgeschichte hindurch gewirkt und heute gilt es geradezu als Sakrileg nach einer kalkültheoretisch exakten Form des Denkens zu suchen, die nicht mehr monologisch ist, sondern den Bedürfnissen des Dialogs gerecht wird.

Im Deutschen Idealismus wird zwar die Dialektik endlich auf den ihr gebührenden Platz gestellt, aber an dem Glauben, daß das exakte berechenbare Denken mit der klassisch-Aristotelischen Logik aufhört, daran wird auch im Deutschen Idealismus mit dem Fanatismus eines religiösen Glaubensbekenntnisses festgehalten. Und von Hegel hat es der dialektische Materialismus übernommen. Man fragt sich, warum das so ist, da es doch der dialektische Materialismus auf andern Gebieten an revolutionärem Elan nicht fehlen läßt. Hier kommen wir wieder auf jene Einsicht zurück, die der Schlüssel zum Übergang in eine neue Dimension des philosophischen Denkens ist. Nämlich die Einsicht, das der Isomorphiecharakter der klassischen Logik, der aus der Symmetrie der klassischen Negation entspringt, zwei sich gegenseitig fordernde komplementäre Weltbetrachtungen erzwingt. Es ist ein Faktum, das die Geschichte der Philosophie von Thales bis heute dieser Komplementarität nie gerecht geworden ist. Seit Plato hat die idealistische Version der Weltbetrachtung das Denken überzeugend beherrscht. Denker von Weltrang und Idealist zu sein war praktisch synonym. Was sich an materialistischen Gedankengut in dieser Epoche findet, kam über kümmerliche und flache Ansätze nicht hinaus.

Es ist auf unserem heutigen Standpunkt des Wissens noch schwer zu sagen, woher diese - man möchte fast sagen: hemmungslose Bevorzugung des Idealismus - kam. Es ist möglich, das es systematische Gründe gibt, nach denen die idealistische Periode des Denkens der materialistischen vorausgehen ums, weil der dialektische Materialismus seine eigene Tiefe überhaupt erst durch die Widerlegung des Idealismus entdecken kann. Der gegenwärtige Autor ist jedenfalls geneigt, diese Vermutung für richtig zu halten. Aber unbeschadet der Richtigkeit oder Falschheit einer solchen Hypothese wollen wir noch auf einen weit umfassenderen Gesichtspunkt hinweisen. Ein Blick auf die großen Weltreligionen: die indische Erlösungsreligion einerseits und Christentum und Islam andererseits, zeigt uns einen metaphysischen Gegensatz, der mit dem Gegensatz von Idealismus und Materialismus innerlich kommuniziert. Auf beiden Seiten wird gefragt; was ist das letzte Ziel der Welt? In der welthistorischen Fehde, die über diese Frage entbrannt ist, spricht die asiatische Seite vom Absoluten als dem Nirvana in dem alle Persönlichkeit und alle Bewußtseinsqual erlischt. Die andere Seite hingegen proklamiert die absolute Persönlichkeit und die überirdische Helle des Bewußtseins als das letzte Ziel, dem alle Wirklichkeit zustrebt. Es ist kein Zufall, das der Materialismus soweit er sich in früheren Epochen überhaupt entwickeln konnte, dies in einer klügeren und subtileren Weise im Osten getan hat. Im Bannkreis der westlichen Entwicklung hatte er keine Chance, denn alles drängte hier auf die Idee Gottes als Ausdruck höchster Bewußtseinsintensität und übermächtiger Willensentfaltung hin. Das der Materialismus es im fernen Osten nicht weiter gebracht hat, darf man wohl darauf zurückführen, das der indische Glaube auf dem Weg zum Nirvana nirgends einen Anlaß fand sich der Außenwelt zu bemächtigen. Sie war ja nur Maja, ein wesenloser Schein, an dem sich ein Wille das Äußere zu behalten nie entwickeln konnte.

Die gegenwärtige Situation ist also die: Es besteht ein enormer Nachholbedarf diejenigen Keime des Denkens, die im Idealismus zu kurz kommen mußten, jetzt ihrerseits zu entwickeln und zu vertiefen. Die unmittelbare Reaktion dem Idealismus gegenüber mußte also die Stellung des Widerspruchs und der Feindseligkeit sein. In dieser Atmosphäre hat sich der dialektische Materialismus bis dato tatsächlich entwickelt, und es ist gar kein Zweifel, das diese Tendenz noch sehr viel länger andauern wird. Dem widerspricht gar nicht, das diejenigen Denker auf der trans-idealistischen Seite, die ihren Hegel wirklich kennen, sich aller Konsequenzen des Hegelschen "Aufhebens" bewußt sind. Wir wollen nur ein Buch herausheben, das unter dem Titel Der Anspruch der Vernunft vor nicht all zu langer Zeit (1968) unter der Autorenschaft von Manfred Buhr und Gerd Irrlitz erschienen ist. In diesem Buch "wird von dem durch die Werke und das Wirken von Marx, Engels und Lenin erhärteten Tatbestand ausgegangen, das die Kenntnis der klassischen bürgerlichen deutschen Philosophie für die Abneigung, das Verständnis und die schöpferische Weiterentwicklung des dialektischen und historischen Materialismus unerläßlich ist. Das trifft für die gesamte klassische bürgerliche deutsche Philosophie zu, nicht nur für Hegel." Der dialektische Materialismus sieht sich in den beiden genannten Autoren, zu denen sich noch viele andere Namen gesellen ließen, ausdrücklich als eine Weiterentwicklung der vorangehenden Philosophie, wenn auch selbstverständlich in diesem Entwicklungsprozeß das Motiv der Überwindung des idealistischen Standpunktes ganz unmißverständlich betont ist.

Wir haben diese Beobachtung ausdrücklich vorangestellt, weil wir jetzt Weiteres über die dialektisch-materialistische Position zu sagen haben in der von "Aufheben" nur im Sinne der Widerlegung und feindlicher Antithetik die Rede sein kann. Die Hegelsche Philosophie, die seiner eigenen Aussage nach das Denken auf dem Kopfe stehend betreibt, soll auf seine Füße gestellt werden. Das bedeutet, das die idealistische Ausrichtung seiner Dialektik auf ihren Gegenpol, den Materialismus, hin abgestimmt werden soll. Diese Umkehrung scheint sehr radikal zu sein, aber sie ist es viel weniger als ihre Befürworter glauben. Die Crux ist die Logik. Zwar wird heute viel Aufhebens davon gemacht, das die Logik sich mindestens seit 1879 in einem großen Aufschwung befindet, aber die so reden, verwechseln Logik und Logistik. Wurde die Logik in der Antike und im Mittelalter bis in ihre letzten metaphysischen Tiefen zurückverfolgt, so ist sie in der modernen Welt total verfallen oder subjektivistisch verwüstet. Schon bei Kant ist die exakte Logik - und wenn wir von dieser sprechen, meinen wir formale Logik - auf eine ganz subalterne Rolle heruntergedrückt. Und bei Hegel ist sie zugunsten einer inhaltlich orientierten Dialektik aufgegeben. Aber das Hegel die formale Logik aufgegeben hat, bedeutet nicht, das die Logik ihn aufgegeben hat. In anderen Worten: die traditionelle Logik wirkt nolens volens auf seine Dialektik einen Einfluß aus, der gar nicht zu überschätzen ist. Dieser Einfluß ist deshalb so enorm, weil er sich desselben nicht bewußt ist und ihm deshalb die Mittel fehlen ihn zu kontrollieren. Es war unter diesen Umständen unvermeidlich, das die Umkehrung, die das materialistische Denken mit dem Idealismus vollzog, erstens die klassische Logik in derselben naiv unkritischen Weise in sein System aufnahm wie jener; zweitens aber wurde abgesehen von diesen system-immanenten Bezügen auch das äußere historische Nachfolgeverhältnis von Idealismus und Materialismus mit den Kategorien der klassischen Logik interpretiert. Der Materialismus erschien damit in erster Linie als eine Widerlegung des Idealismus, statt das er als ein begrenzter Sektor in einem jetzt viel weiter gespannten Weltbild auftreten konnte. Es erschien viel nötiger eine alte und abgelebte Philosophie zu widerlegen - die aus Mangel an neuen metaphysischen Motiven ohnehin schon an Auszehrung litt - als das eigene Weltbild um solche Dimensionen zu bereichern, die nicht aus den Gegenthesen zum Idealismus entwickelt werden konnten.

Nur eine Konzeption stieß in wirklich neuer Richtung vor. Aber es blieb bei einer ersten Erkundungsfahrt, die aber keine wesentlichen Konsequenzen hatte, weil ihr das logische Rüstzeug fehlte das Neue, was am geistigen Horizonte des Materialismus auftauchte, als dauernden Besitz zu sichern und zu nützen. Wir werden über jenes Neue noch ausführlich zu sprechen haben, wenn es an der Zeit ist. Aber es gehört zu einer zweiten Entwicklungsstufe des dialektischen Materialismus, die jenseits der Antithetik liegt, in der sich dieses Denken dem Idealismus gegenüber auch heute noch befindet.

Eins ist jedenfalls vorläufig festzuhalten: Die Ablösung des dialektischen Materialismus von der deutschen idealistischen Philosophie stand noch völlig im Zeichen der klassischen Logik. D.h. sie lieferte einen undialektischen Widerspruch, der keine Synthese auf einer höheren Ebene erlaubte. Denn, wie wir bereits gehört haben, es gibt keine umfassendere erkenntnistheoretische Kategorie, auf die Materie und Bewußtsein gemeinsam zurückgeführt werden können. Das ist auch heute noch die philosophische Position des dialektischen Materialismus. Sie ist, so darf man wohl sagen, historisch notwendig und unvermeidlich gewesen und hat somit ihre immanenten Berechtigung. Sie ist aber, wie wir noch zeigen wollen, nicht das letzte Wort in dieser Philosophie. Es ist heute schon eine zweite Stufe der dialektischen Materie-Theorie vorauszusehen, über die aber schlechterdings nicht geredet werden kann, bevor Klarheit darüber geschaffen ist, was diese Philosophie noch auf der Stufe des Widerspruchs festhält. Das ist unser unmittelbares nächstes Thema.

III.

Bei dem allerbesten Willen jenseits des transzendental-dialektischen Idealismus einen neuen Anfang zu finden hält auch der Materialismus starr an dem idealistischen Glauben fest, das die Transzendentallogik keine neuen Motive für die Weiterentwicklung der formalen Logik liefert. Schon bei Kant wird die klassische Logik eingefroren. Man möchte fast sagen, sie darf sich nicht weiterentwickeln, weil die Transzendentallogik ihr die eigene Legitimation entnimmt. Man hat darin bisher meistenteils eine Entwertung der klassisch-formalen Logik gesehen. Sie scheint nicht mehr wichtig zu sein, weil die logische Thematik mit Kant in eine neue Sphäre übergegangen ist, in der Form und Inhalt nicht mehr getrennt werden soll. Bei Hegel könnte der Ton, mit dem abschätzig über die formale Logik gesprochen wird, kaum mehr größere Lautstärke haben. Aber sowohl die Idealisten wie ihre Nachfolger vergaßen, das andererseits durch die Stellung, die Kant der Aristotelischen Logik einräumt, derselben damit ein Gewicht gegeben wird, wie es gar nicht größer sein könnte. Ohne die klassisch formale Logik wäre die Transzendentalphilosophie überhaupt nicht möglich. Und ohne die letztere keinen Hegel. Aber ohne Hegel wäre auch dem dialektischen Materialismus der Platz für seinen Absprung genommen. Es ist also für die ganze Entwicklung seit Kant lebenswichtig, das an diesem elementarsten Fundament nicht gerüttelt wird, so unzureichend es auch scheint. Der Begriff der Form, so wie ihn Aristoteles konzipiert hatte, ist auch dem dialektischen Materialismus noch heilig.

Das hatte eine katastrophale Folge. Die Theorie der Negation mußte so wie sie der Aristotelismus geliefert hatte unter allen Umständen in der materialistischen Hegeldeutung aufrechterhalten werden. Die Aufgabe war nicht allzu schwierig. Gerade bei der Theorie der Negation der Negation war die idealistische "Mystifikation" besonders groß, und es war schwer festzustellen was Hegel eigentlich gemeint hatte.

An dieser Stelle können wir endlich unsern Rückblick auf die Platonische Dialogsituation im vorangegangenen Kapitel rechtfertigen. Wir bemerkten, das der Dialog zwei gänzlich verschiedene Typen von Negation involviert. Erstens liefern sich die Gesprächspartner Gedanken in Form von Aussagesätzen, die von ihnen jeweilig bejaht oder auch negiert werden können. Diese Negation haben wir bereits die erste Negation genannt. Sie ist uns von Plato und Aristoteles her überkommen und an ihr hat sich bis heute nichts geändert. Sie ist ein unveräußerlicher Bestandteil unseres Denkens. An ihrer Formalität besteht kein Zweifel und, da sich alle übrigen logischen Operationen aus ihr ableiten lassen, ist sie der erste und fundamentale Operator, auf dem sich das ganze tradierte System der Logik aufbaut, das seinerseits auf Grund seiner Ableitung ebenfalls rein formal sein ums. Bleibt das Denken monologisch, werden nur Inhalte gegen Inhalte in einem konstanten Bewußtseinsraum vertauscht. Die erste Negation genügt also für alle Zwecke einer monologisch aufgebauten Theorie.

Aber im Dialog ist das Denken eben nicht monologisch - oder sollte es jedenfalls nicht sein. Der Ich-gebundene Denkprozeß wird einem Du kommuniziert und dieser Transfer involviert eine zweite Negation, die in einer Hinsicht der ersten Negation völlig gleicht, in einer anderen aber von ihr grundverschieden ist. Sie ist der ersten genau gleich - und damit mit ihr leicht verwechselbar - weil sie ebenfalls ein Umtauschverhältnis konstituiert. Andererseits aber ist sie grundverschieden von der ersten, insofern sie nicht mehr Bewußtseinsinhalte in einem durch das Ich-Bewußtsein geschlossenen Innenraum negiert sondern solche Bewußtseinsräume selbst in ein Umtauschverhältnis setzt. Denn Ich und Du negieren sich gegenseitig im Sinne eines Umtauschverhältnisses. Das Ich wird im Dialog zum Du, wenn das Argument an den Partner abgegeben wird, und das Du rückt damit in die Stelle des Ich ein. An dieser Situation ändert sich auch dann grundsätzlich nicht, wenn an dem Gespräch mehr als zwei Partner teilnehmen. Die zweite Negation ums dann wieder und wieder angewandt werden, und wir greifen hier einem Resultat einer transklassischen Logik voraus, wenn wir den Leser informieren, das die beliebig vermehrbaren Umtauschverhältnisse der zweiten Negation sich zu Permutationssystemen zusammenschließen lassen.

Der entscheidende Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Negation besteht also darin, das die erste Negation Bewußtseinsinhalte in einem solitären Bewußtseinsraum manipuliert, der selber durch die Operationen, die an seinen Inhalten vorgenommen werden, in keiner Weise affiziert wird. Umgekehrt arbeitet die zweite Negation ausdrücklich mit solchen logischen Leeräumen, die aus einer Ich-Position in eine Du-Position übergeführt werden und im Falle von mehr Partnern auch zwischen Wir- und Ihr-Positionen wechseln. Diese Umtauschverhältnisse zweiter Ordnung sind so formal wie überhaupt nur möglich und stehen der ersten Negation in diesem Bezug nicht im geringsten nach. Denn ob eine Subjektivität als Ich- oder als Du-Subjektivität angesehen werden soll, hat für ihre Eigenschaft qua reine Subjektivität überhaupt keine Bedeutung. In klassischer Terminologie: alle Seelen sind vor Gott gleich. Obwohl sich genügend Ansätze für die Unterscheidung dieser beiden Negationen in der klassischen Tradition finden, ist sie für die Logik selbst nie durchgeführt worden. Dafür sprachen tiefe weltanschauliche Gründe. Es wird sich nämlich im Lauf unserer weiteren Untersuchung zeigen, das die zweite Negation die Philosophie unvermeidlich aus ihrer idealistischen Grundposition hinausführt. Eine kurze Überlegung wird das deutlich machen. Wenn die Philosophie auch bisher mit zwei Negationen - und damit mit zwei grundverschiedenen Typen von Zweiwertigkeit - gearbeitet hat, so meinen wir damit den uns allen vertrauten Tatbestand, das einerseits die Aristotelische Logik mit der ihr zugeordneten Negation in der empirischen Welt des Diesseits die Dingeigenschaften auseinanderhält und so die Identität der Dinge selbst sichert. Eine grüne Wiese ist nicht rot; und ein Dreieck kann nicht viereckig sein. Von dieser Negation, die die Inhalte unserer Welt betrifft, ums aber jene zweite unterschieden werden, die die ganze Welt als Diesseits negiert und ihr in dieser Negation ein Jenseits gegenüber setzt. Bei Plato heißt diese Gegenübersetzung das Reich der Ideen und in christlicher Terminologie heißt es der Himmel oder das Reich Gottes. An diesen beiden Beispielen zeigt sich sofort, welche fast unüberwindlichen Widerstände dem Bemühen entgegenstehen eine transklassische formale Logik zu entwickeln, die zwei prinzipielle verschiedene Negationen besitzt. Sowohl bei Plato als auch in dem christlichen Beispiel von Diesseits und Jenseits sind wir davon überzeugt, das es sich hier um materiale Rangverhältnisse und nicht um Umtauschverhältnisse ebenbürtiger Seiten handelt. Bei Plato ist es die höchste Idee des Guten, die zu gleicher Zeit das alleinig Wahre ist, welche uns von vornherein nicht von der Vorstellung loskommen läßt, das hier ein Höherwertiges über die niedere Welt der Schatten emporsteigt. Ebenso deutlich ist es im Christentum, wo uns das Johannes-Evangelium belehrt, "das der Fürst dieser Welt gerichtet ist". Solche Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Sie reichen aber aus zu zeigen, das hier weltanschauliche Vorurteile die Entwicklung der Logik über ihre klassischen Grenzen hinaus verhindert haben. - Und auch heute noch verhindern.

Erst Hegel hat sich der Einsicht um Haaresbreite genähert, das es sich hier um ein symmetrisches Umtausch- und nicht um ein Rang-Verhältnis handelt. Wenn wir am Anfang der Großen Logik lesen, daß das Sein das Nichts und umgekehrt das Nichts das Sein ist, so läßt sich das was er sagen will nur voll verstehen, wenn wir aus unsern Gedanken völlig die Idee verbannt haben, das Sein "mehr" als Nichts ist. Wer daran zweifelt, was Hegel meint, lese noch einmal sorgfältig, was er über den Gegensatz von Sein und Nichts sagt. Beides sind ununterscheidbare aber gegenseitig austauschbare Leerräume ohne jegliche Inhaltsbestimmungen, die nur deshalb verschiedene Namen haben, damit man sie trotz ihrer Ununterscheidbarkeit nicht zusammenfallen läßt, sondern als zwei auseinander hält.

Übrigens hat sich der fundamentale Charakter des Gegensatzes von Sein und Nichts als ein gegenseitiges Umtauschverhältnis nie völlig unterdrücken lassen. In der negativen Theologie, in der Mystik und etwa im Buddhismus wird - um nur einige wenige Beispiele zu nennen - das Nichts als der ontologische Ort des Höheren angegeben. Rationalistische Denker bevorzugen ihrerseits eher vom Sein zu reden, wenn sie in den Urgrund der Welt herabsteigen wollen. Es ist offensichtlich, das hier statt von einem einfachen Umtauschverhältnis zu reden gleich mit der komplizierteren Situation eines Umtauschverhältnisses von zwei Rangverhältnissen hantiert wird. In jedem Fall blockiert man aber auf diese Weise eine Weiterentwicklung des exakten theoretischen Denkens, für welches Diesseits und Jenseits nichts weiter als leere ontologische Orte sind, die - um mit Hegel zu reden - sich gleichgültig gegen ihren Inhalt verhalten. Und wir halten fest: nur auf jene Leerräume bezieht sich die zweite Negation.

Zu dieser Einsicht aber hat sich der dialektische Materialismus noch nicht durchringen können, weil er sich auf seiner ersten Stufe noch ganz als Widerspruch zum Idealismus im Sinne eines Rangverhältnisses interpretiert. Es ist selbstverständlich, das er dabei für sich den höheren Rang beansprucht und den gleichen Anspruch des Idealismus als irrig zurückweist. Es ist ihm unmöglich auf diesen Anspruch zu verzichten, weil er in einem Sinne jedenfalls unbestreitbar ist. Man kann zum dialektischen Materialismus erst dann kommen, wenn man den Idealismus als vollendet und damit als zukunftslos begriffen hat. Aber Noblesse oblige! Dem Materialismus liegt jetzt die Verpflichtung auf sich aus seiner Anfangsposition, die im Wesentlichen Absetzung und Distanzierung vom Idealismus ist, weiterzuentwickeln. Für eine solche Weiterentwicklung aber hat sich der Materialismus vorläufig den Weg verbaut, weil er gerade in einem Punkte sich mit dem Idealismus einig glaubt, der unseres Erachtens ein Abschluß- und Dekadenz-Symptom des idealistischen Transzendentalismus ist. Wir meinen den vorschnellen Verzicht auf eine Trennung von Form- und Inhaltsproblem in der dialektischen Logik. Der heutige dialektische Materialismus interpretiert nämlich die zweite Negation in Anlehnung an bestimmte Stellen bei Hegel (denen aber andere widersprechen) als eine Operation, in der Inhalt und Form nicht getrennt sind und angeblich auch nicht trennbar sein sollen. Die dialektische Einheit von Form und Inhalt hat sich mit Hegel zu einem Dogma ausgewachsen, das anzutasten Sakrileg zu sein scheint. Das materialistische Denken wird zu dem Festhalten an diesem Dogma durch eine verfrühte Betonung des objektiven Charakters der Negation der Negation hingeleitet. Man entnimmt den ursprünglichen Negationsbegriff der klassischen Logik, an deren formellen Charakter ja nicht einmal Hegel zweifelte, und negiert dann ganz im traditionellen Sinn von p zu p. Negiert man diesen Sachverhalt noch einmal, dann erhält man bekanntlich p. Damit ist die ursprüngliche Negation widerrufen worden und wir sind zurück an unserm Ausgangspunkt p. Dieser Widerruf ist es jedenfalls aber nicht, was Hegel im Auge hat, wenn er von einer zweiten Negation redet. Es handelt sich hier immer um die erste Negation, die aber zweimal, nämlich in nicht-iterierter und iterierter Form auftritt. Wenn der dialektische Materialismus aber von der zweiten Negation spricht, dann geht er von dem Gedanken aus, das sich in jeder Entwicklung "eine dialektische Negation bestehender Qualitäten vollzieht, wobei die neue Qualität alles Positive der alten in sich aufbewahrt." Das trifft formell auch für die klassische Negation zu, denn p selbst wird durch den Negationsprozess nicht angetastet; weder in der nicht-iterierten noch in der iterierten Prozedur der Negierung. Als Resultat der zweiten Negation, also der Negation der Negation, soll gemäß dem dialektischen Materialismus eine neue Qualität entstehen, "die - logisch gesehen - mit der ursprünglichen, der Position, identisch sein müsset, die aber ... nur eine formale Ähnlichkeit mit dem Ausgangsstadium aufweist."

Worum es uns hier in erster Linie geht ist die Feststellung, das auch der dialektische Materialismus den formellen Begriff der Negation nicht erweitert. Im Gegenteil, er gibt ausdrücklich zu, das die zweite Negation - logisch gesehen - mit der ursprünglichen Position identisch sein müsset. Da der dialektische Materialismus es als seine theoretische Aufgabe ansieht die Hegelsche Logik von ihrer idealistischen "Mystifikation" zu befreien und im Sinne des Primats der Objektivität umzudeuten, kommt ihm gar nicht der Gedanke, das es eine formelle zweite Negation geben könne, die nichts mit der Selbstitierierung der ersten Negation in allen ihren unzähligen Varianten zu tun hat, sondern die eine andere Art von Negation ist, die der ersten nur insofern gleicht, als sie ebenfalls als ein Umtauschverhältnis arbeitet. Wir haben diese zweite Negation bei der Analyse der Platonischen Dialogstruktur schon kennen gelernt, wo sie in dreierlei Formen auftrat. Erstens als Umtauschverhältnis zwischen Ich und Du; zweitens als Umtauschverhältnis zwischen Ich und Es, und drittens als Umtauschverhältnis zwischen Du und Es. Aus dieser Formulierung von uns geht schon hervor, das sie nur solange als rein formal betrachtet werden kann, als man sie genau wie die klassische Negation als Umtauschverhältnis definiert. Ein inhaltliches Moment aber kommt sofort herein, wenn man konstatiert, das die zweite Negation von vornherein in den drei eben beschriebenen Varianten auftaucht. Diese Varianten involvieren zweifellos Qualtitätsveränderungen.

Insofern hat der dialektische Materialismus recht, wenn er die Idee der Negation mit der von Qualitätsdifferenz zusammenbringt. Aber er tut dabei den zweiten Schritt ohne den ersten getan zu haben. Damit aber hat er sich - vorläufig wenigstens - den Weg zu einer Formalisierung der Dialektik verbaut, und wir wagen nicht zu viel, wenn wir prophezeien, das er an dieser Stelle seine Haltung wird revidieren müssen. Diese Revision wird sich als ein unbeugsamer Zwang herausstellen, wenn der dialektische Materialismus einmal zu der folgenden Einsicht gelangen wird. Die abendländische Technik der Naturbeherrschung ist aus den tiefsten metaphysischen Motiven der klassisch-idealistischen Weltanschauung entwachsen. Sie ist die letzte und endgültigste Objektivierung dieses Weltgefühls. Soweit materialistische Tendenzen in ihr auftreten, so tun sie das nur in subsidiärer praktischer Form, wie das unvermeidlich ist. Eine weltanschaulich-thematische Bedeutung hat der Materialismus auf dem Boden der klassischen Technik nie gehabt. Durch die spirituelle Leitung der abendländischen Technik durch idealistische Bewußtseinsmotive hat sich aber unvermeidlich ein zu enges technisches Bewußtsein entwickelt. Gewisse Probleme galten von vornherein und ohne weitere kritische Untersuchung als tabu gegenüber dem technischen Zugriff. Es ist noch gar nicht so lange her, das die ultra stabile Maschine von Ross Ashby als eine Phantasie bezeichnet wurde, die mechanisch nicht verwirklicht werden könnte. Generell bahnt sich hier ein Wandel an. Noch um 1900 hätte man Komputerkonstruktionen, die heute zur Selbstverständlichkeit geworden sind, als Ausgeburten eines kranken Gehirns bezeichnet. Es ist nicht zufällig, das nach einer Periode des Zögerns und des Mißtrauens, die aber erstaunlich kurz war, die Kybernetik trotz ihres westlichen Ursprungs in den Materialismus einbezogen worden ist. Im Hinblick auf das was noch geschehen wird ist das aber erst ein schüchterner Anfang, in dem die Technik der weltanschaulichen Entwicklung zögernd und höchst unzulänglich vorzugreifen versucht. Die heutige Kybernetik ist - um einen Ausdruck Spenglers zu entleihen - eine Pseudomorphose, in der die Idee dieser innersten Intentionen nach transklassischen Wissenschaft ihrer technisch-klassischen Durchführung kraß widerspricht.

Der Grund dafür ist darin zu suchen, das die Wissenschaftstheoretiker der ganzen Welt - der ganzen, wiederholen wir - noch nicht gelernt haben auf dem Gebiete der Dialektik technisch zu denken. Technisch Denken bedeutet aber in dem hier erörterten Zusammenhang diejenigen Elemente der Dialektik, die im maschinentheoretischen Sinne angewandt werden sollen, aus dem Gesamtzusammenhang der Dialektik durch Formalisierung herauszuheben. Dem widerstreitet aber ein weltanschauliches Vorurteil des Idealismus, dem der dialektische Materialismus auf seiner ersten Stufe noch willig folgt. Wenn wir etwa Platos Phaidon lesen, so werden wir unter anderem darüber belehrt, daß das Subjekt des Willens und der Erkenntnis, die unsterbliche Seele, nicht ein Bürger dieser Welt ist, sondern ihre Heimat in jenem Jenseits hat, in dem sie einstmals die ewigen Ideen schauen durfte, an die sie sich im Diesseits nur noch dunkel erinnert. Der Dialog geht mit den letzten Worten von Sokrates zuende: "Mein Kriton, wir sind dem Askepios einen Hahn schuldig ..." denn das Erdenleben der Seele ist nur eine Krankheit, von der sie der Tod befreit. Angesichts dieser idealistischen Auffassung der Subjektivität ist die Idee einer logischen Operation, die Ich- und Du-Zentren manipulieren soll, völlig undenkbar. Transzendentes ist eben transzendent, weil es jedem begrifflichem Zugriff und jeder logischen Operation absolut entzogen ist. Ein Negationsoperator, wie wir ihn in unserer Interpretation der zweiten Negativität vorgeschlagen haben, der sich nicht auf passive Bewußtseinsinhalte sondern auf jenes seelische Leben bezieht, das in oder jenseits jener Inhalte west, ist idealistisch gesehen eine Blasphemie. Mehr noch. Es kann zwischen Ich und Du gar kein echtes ontologisches Umtauschverhältnis existieren, weil die Subjektivität, die in ihnen sich betätigt, ja die Subjektivität des universalen Subjekts, d.h. des absoluten Selbst ist.

Das idealistische Denken wird sich also immer wieder bemühen die zweite Negation als eine durch inhaltliche Komponenten "bereicherte" erste Negation darzustellen. Man geht aber fehl, wenn man bei Hegel hier nach einer eindeutigen Stellungnahme sucht. Sein Text ist so undeutlich, das man fast alles aus ihm herauslesen kann. In stärkster Verdichtung ist das Problem der Negation der Negation auf den letzten Seiten der Großen Logik in dem Kapitel über die absolute Idee dargestellt. Hegel zählt dort (allerdings mit der Reservation "wenn man überhaupt zählen will") beginnend mit einem allgemeinen Ersten, welches "das zuerst Unmittelbare" ist, welches durch die erste Negation in das "Zweite" übergeht. Das Zweite ist also "das Andere des Ersten, das Negative das Unmittelbaren". Zu dieser zweiten Bestimmung, in der dem ersten Unmittelbaren widersprochen wird, tritt jetzt eine dritte Bestimmung, die aus dem zweiten Negativen, dem Negativen des Negativen resultiert. Was in diesem zweiten Negationsprozess gedacht und denkend negiert werden soll, ist der Widerspruch (die erste Negation selbst). Hegel ist wenigstens an dieser Stelle ganz unmißverständlich. Diese zweite "Negativität macht nun den Wendungspunkt der Bewegung des Begriffes aus. Sie ist der einfache Punkt der negativen Beziehung auf sich, der innerste Quell aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist; denn auf dieser Subjektivität allein ruht das Aufheben des Gegensatzes zwischen Begriff und Realität und die Einheit, welche die Wahrheit ist. - Das zweite Negative, das Negative des Negativen, zu dem wir gekommen, ist jenes Aufheben des Widerspruchs, aber ist so wenig als der Widerspruch ein tun einer äußerlichen Reflexion, sondern das innerste, objektivste Moment des Lebens und Geistes, wodurch ein Subjekt, Person, Freies ist". Da Hegel jenes zweite Negative ausdrücklich als "die Beziehung des Negativen auf sich selbst" bezeichnet, kann über den eigentlichen Sinn der zweiten Negativität nur wenig Zweifel bestehen. Die erste Negation negiert ein anderes. Wir hatten da in konventioneller Weise in der folgenden Form angeschrieben. Wir setzten zuerst p und dann wiederholten wir p mit vorgesetztem Negationzeichen ~p. Das Andere in diesem Fall, also das erste Unmittelbare, das in der Negation vermittelt ist, ist p. Das Negationszeichen vertritt nichts Unmittelbares (also naiv gesprochen ein Ding), es steht statt dessen für einen Bewußtseinsprozess. Und auf diesen, nur diesen allein, richtet sich die zweite Negation. Die zweite Negation kann also auch formell unter keinen Umständen durch ~(~p) bezeichnet werden. Denn bei einer solchen Schreibung müßten wir ja meinen, das wieder p, aber diesmal iterativ verneint ist. Wir müßten, wenn eine solche Schreibung erlaubt und sinnvoll wäre, das zweite Negationszeichen ausschließlich vor dem ersten ansetzen und p selbst ganz weglassen. Das gibt selbstverständlich keinen logisch sinnvollen Ausdruck, aber es würde, wenn auch ungeschickt, verdeutlicht das mit der zweiten Negation keine Sache (Bewußtseinsinhalt) sondern der psychische Prozeß des Verneinens verneint wird. Der zweite Prozeß des Verneinens richtet sich also klipp und klar auf die Subjektivität, die (als Ich) entweder zugunsten des Du oder zugunsten des Es verneint werden kann.

Die enorme, geradezu übermenschliche Schwierigkeit des Hegelschen Textes ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, das es Hegel nicht gelingt die drei Varianten der zweiten Negation, nämlich die Umtauschverhältnisse Ich/Du, Ich/Es und Du/Es, auseinanderzuhalten. An einer Stelle scheint ihr Unterschied durch die Hülle des Textes doch etwas durchzubrechen, nämlich dort, wo er bei dem Versuch die Grundmotive seines Denkens auseinanderzuhalten zwischen einer Triplizität und einer Quadruplizität schwankt. Nachdem Hegel bemerkt hat, das in der zweiten Negativität der Verlauf des Erkennens in sich selbst zurückkehrt, fährt er fort: "Diese Negativität ist als der sich aufhebende Widerspruch die Herstellung der ersten Unmittelbarkeit, der einfachen Allgemeinheit; denn unmittelbar ist das Andere des Anderen, das Negative des Negativen, das Positive, Identische, Allgemeine. Dies zweite Unmittelbare ist im ganzen Verlaufe, wenn man überhaupt zählen will, das Dritte zum ersten Unmittelbaren und Vermittelten. Es ist aber auch das Dritte zum ersten oder formellen Negativen und zur absoluten Negativität oder dem zweiten negativen; insofern nun jenes erste Negative schon der zweite Terminus ist, so kann das als Dritte gezählte auch als Viertes gezählt, und statt der Triplizität die abstrakte Form als eine Quadruplizität genommen werden; das Negative oder der Unterschied ist auf diese Weise als eine Zweiheit gezählt."

Es ist leidlich deutlich, was hier gemeint ist. Der Unterschied im Zählen leitet sich daraus her, wie man die Negativität zählt, - nämlich entweder als Einheit oder als Zweiheit. Wählt man die übliche Interpretation, an der auch der dialektische Materialismus in Abhängigkeit von Hegel festhält, dann wird die Negation nur einmal gezählt. Qua reine Negativität, d.h. als Umkehrung, sind beide Negationsoperationen identisch. Die erste Negation, die vom (ersten) unmittelbaren, dem reflexionslosen Sein, ausgeht, ist formeller Gegensatz. Die "zweite" Negation, die zum Unmittelbaren zurückkehrt, ist genau dieselbe Operation wie die erste, aber sie ist bei der Rückkehr beladen mit aller Inhaltlichkeit, die sie in der Abkehr vom Unmittelbaren aufgesammelt hat. Diese Auffassung der Negativität findet sich in der Tat bei Hegel, und der dialektische Materialismus hat sie sich auf seiner ersten anti-idealistischen Stufe mit Recht angeeignet. Aber in unserem obigen Hegelzitat, wo von Triplizität und Quadruplizität die Rede ist, sind offenbar zwei Negativitäten angemerkt. Unmittelbar vor unserm Zitat wird die erste Negation "das vermittelnde Formelle" genannt. Und als Vermittlung wird das erste Negative deshalb angesehen, "weil es sich selbst und das Unmittelbare in sich schließt, dessen Negation es ist". Dann aber ist von der absoluten Negativität die Rede und sie "ist das negative Moment der absoluten Vermittlung die Einheit, welche die Subjektivität und Seele ist". Es ist schwer diese Negativität noch als dieselbe ansehen zu wollen, die uns als das "vermittelnde Formelle" entgegentrat. Denn selbst wenn sie bei ihrer Iterierung als inhaltliches zum Unmittelbaren zurückkommt, so garantiert doch nichts, das diese Inhaltlichkeit mehr als tote Objektivität ist. Die bloße Umkehrung dieser Negationsbewegung kann weder "absolut" sein, noch garantiert sie jene "Einheit, welche die Subjektivität und Seele ist". Man kann nicht von dem Eindruck hinweg, das Hegel selbst gesehen hat, daß das einfache Schema von erster Unmittelbarkeit, Vermittlung und zweiter Unmittelbarkeit dem Sachverhalt irgendwie nicht gerecht wird. Deshalb erscheint in seinem Text jene doppelte Zählung, die wir unten in schematischer Ordnung wiedergeben.

1) I Erste Unmittelbarkeit ...........................

2) II Vermittlung I Erste Negation

3) III Zweite Unmittelbarkeit II Zweite Negation

4) .......................... III Absolutes Subjekt

Auch Lenin ist auf diese Textstelle aufmerksam geworden und er gesteht seine Unsicherheit über die beiden Hegelschen Negationsbegriffe ein. Mit bezug auf die Quadruplizität und die Unterscheidung von formeller und absoluter Negation bemerkt er: "Der Unterschied ist mir nicht klar, ist die absolute nicht gleich der konkreteren?" Charakteristisch ist, das Lenin hier im Komparativ von der "konkreteren" spricht. Das impliziert eine graduelle Steigerung, durch die die ursprünglich rein formelle Negation in immer neuen Iterationen in Spiralen zum Absoluten hochsteigt. Aber es bleibt bei Lenin hier bei einer Vermutung, wie es scheint.

Wir haben bereits anläßlich unserer Diskussion der Platonischen Dialogstruktur eine andere Lösung angedeutet. Das klassische Denken, dessen Wissenschaftsbegriff sich auf das Bild eines subjektlosen Universums begründet - Subjektivität ist nur die Quelle des Irrtums und der Sünde - konnte sich mit einer Negation begnügen, nämlich der, die sich auf jene Unmittelbarkeit richtete, die bei Hegel die erste heißt. Aber der Idealismus und der dialektische Materialismus sind sich völlig darin einig, das Wirklichkeit nur dadurch Wirklichkeit ist, das an ihr zwei Komponenten, Objektivität sowohl wie Subjektivität, teilhaben. Daraus ergibt sich als selbständige Forderung: das Denken braucht einen zusätzlichen Operator, der für es Subjektivität operieren kann. Aber in der Entwicklung dieses Operators hat sich sowohl beim Deutschen Idealismus wie beim dialektischen Materialismus ein eigentümliches Zögern bemerkbar gemacht. Für den Idealismus haben wir das weltanschauliche Motiv, das das Denken an dieser Stelle hemmt, bereits dargelegt. Subjektivität ist reine Transzendenz und kann logisch nicht manipulierbar werden; sie manifestiert sich im Diesseits nur im Mysterium und der aller Rationalität enthobenen Offenbarung.

Eine andere Frage ist, was den Materialismus daran verhindert auf die Idee einer zweiten artverschiedenen Negation zu kommen. Die Idee eines logischen Manipulators der Subjektivität müsset für ihn eigentlich eine große Anziehungskraft haben, weil nichts besser demonstriert, das man mit einem Weltbild arbeitet, in dem die Subjektivität gänzlich ins Diesseits hineingezogen ist und aufgehört hat eine Heimat im Jenseits für sich zu beanspruchen. Aber wenn auch hier die weltanschaulichen Akzente gewechselt haben, so bleibt der dialektische Materialismus auf seiner ersten antithetischen Stufe immer noch an die logischen Strukturen gebunden, die der Idealismus entwickelt hat, wenn man sie jetzt auch invers objektivistisch statt subjektivistisch interpretiert. Trotz verschiedener ontologischer Auslegung des klassisch-zweiwertigen Formalismus hängen beide Parteien mit einer Zähigkeit, die einer besseren Sache würdig wäre, an dem Platonisch-Aristotelischen Typ der Logik fest, der nur eine Negation von ontologischem Rang kennt und eine Vertiefung der Idee reiner begrifflicher Form nicht zuläßt. So erleben wir das groteske Schauspiel, das je erbitterter sich die beiden Weltanschauungen an der Oberfläche der Argumentation befehden, desto einiger sind sie über die entfernteren ontologischen Tiefen, über denen sich das Possenspiel abwickelt.

Dafür das der Materialismus seinen Gegner heute noch so ernst nimmt, kann er bestenfalls eine Entschuldigung anführen. Die Vorstellung der Dialektik, die die philosophische Tradition von den Platonischen Dialogen hergeleitet hat, führt in die Irre, wenn sie an der letztlich mythologischen Vorstellung von argumentierenden Subjekten, die einander ihre logischen Gründe entgegenwerfen, hängen bleibt. Zwecks einer allerersten Orientierung und Einführung in das Problem der Dialektik ist es der Anschaulichkeit halber und aus pädagogischen Gründen empfehlenswert, wenn man sich solcher leichtfaßlichen Vorstellungen bedient. Aber von ihnen zu der reinen Begrifflichkeit der Hegelschen Logik ist ein weiter Weg, den wir zwecks näherer Aufklärung jener Vagheit die sich über das Problem der zweiten Negation wie eine Nebeldecke breitet, jetzt zu beschreiten haben.

Wenn wir von Protagoras und Sokrates als Ich- und Du-Zentren sprachen, in deren reziproken Bewußtseinsräumen die objektive Außenwelt sich als Bewußtseinsinhalt widerspiegelt, so haben wir ganz unkritisch die Begriffe 'Objekt', 'Subjekt' und 'Bewußtseinsprozess' vorausgesetzt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, das hinter diesen Termini hochkomplex Strukturzusammenhänge stehen, die je nach unsern wechselnden interpretativen Bedürfnissen die verschiedensten Seinsbedeutungen annehmen konnten und auch angenommen haben. Und zwar wurde in solchem Bedeutungswandel eine Tiefe sichtbar, die sonst verborgen geblieben wäre. Aber die bloße Sichtbarkeit einer Tiefe erlaubt uns noch nicht in sie herabzusteigen und sie zu erschließen. Hegel ist Meister in dieser Methode mit der Mehrdeutigkeit eines Wortes oder Begriffes zu spielen um derart die dialektischen Facetten des Denkens sich klar zu machen. Aber wir werden vergeblich versuchen die Rätsel, die uns die Hegelsche Logik heute wie je aufgibt zu lösen, wenn wir den Lockungen dieser Methode folgen. Solches Denken ist in seinem tiefsten Grunde mythologisch; aber die Mythologie kann zwar mit der trügerischen Eindringlichkeit des Anschaulichen Probleme präsentieren, aber sie weiß keinen Weg sie zu bewältigen. Der Begriff der Mythologie wird heute noch viel zu eng gefaßt. Nicht nur der einäugige Odin und der seine Kinder fressende Kronos sind Mythologeme; wir haben den Bereich des Mythologischen auch dann noch nicht verlassen, wenn wir vom Subjekt, vom Objekt oder vom Denken und vom Willen sprechen. Schon als wir Schellings Spätphilosophie diskutierten, haben wir darauf hingewiesen, das wir statt vom Willen besser von Umtausch- und Rangverhältnissen sprechen sollten. Und es wird sich empfehlen diese Methode auch gegenüber der Frage nach der zweiten Negation anzuwenden und uns Rechenschaft darüber zu geben, was strukturtheoretisch und formallogisch eigentlich übrig bleibt, wenn wir von den mythologischen Realitätssuggestionen von solchen Begriffen wie Ich und Du oder Subjekt und Objekt eigentlich übrig bleibt. Es stellt sich dann heraus, das sich unter dem Gegensatz von Subjekt und Objekt zwar allerhand anschauliche Vorstellungen in das Bewußtsein einschleichen, das sich aber unter diesen Termini noch nie jemand etwas anderes gedacht hat als die Differenz zwischen Unterscheidung und Unterschiedenem. Ich bin Ich insofern als ich mich von der Welt, d.h. von schlechthin Allem unterscheide. Die ganze Welt aber ist immer das Unterschiedene. Es geht mich als Ich-Subjektivität dabei vorerst gar nicht an, das in diesem Unterschiedenen wieder Unterscheidungen (Du-Subjektivitäten) auftreten. Für mich gehören sie zum Bereich des Unterschiedenen. Schon hier, nämlich an der Beziehung zwischen Ich und Du, wird ein eminenter logischer Tatbestand deutlich, nämlich das Unterscheidung und Unterschiedenes in einem logischen Umtauschverhältnis stehen. Was Unterscheidung ist, kann in den Bereich des Unterschiedenen dekouvrieren. Wenn Schelling davon spricht, das Sein gewesene Freiheit ist, so bedeutet das, das eine Unterscheidung in den Zustand des Unterschiedenen eingetreten ist.

Es ist von ganz besonderer Wichtigkeit auf dies Verhältnis von Unterscheidung und Unterschiedenem aufmerksam zu machen, weil wir hier an das Zentralproblem der Dialektik rühren, nämlich den Übergang von Form in Inhalt und von Inhalt in Form. Denn wieder müssen wir feststellen, das sich unter Unterschiedenem noch niemand hat etwas anderes denken können als einen Inhalt. Eine Unterscheidung aber ist jedes Mal eine Relation zwischen Inhalten und damit immer eine Form. Wenn wir schließlich vom Denken reden und der eigentümlichen Distanz in der es sich von der Wirklichkeit zu halten scheint, so beruht das darauf, daß das Denken ein Relationszusammenhang ist, der Unterscheidung und Unterschiedenes seinerseits unterscheidet. Wir stoßen hier auf eine altbekannte Triadik, die wir mit den Termini Relator (Subjekt), Relation (Denken ) und Relatum (Objekt) bezeichnen wollen. Wir weisen auf diese Dreiteilung ausdrücklich hin denn im gewöhnlichen Denken differenzieren wir meist nur zwischen Relation und Relationsgliedern. Trotzdem ist es bezeichnend das auch heute schon ohne spezielle Rücksicht auf das dialektische Problem die Relationslogik als der am weitesten entwickelte Zweig der Logik gilt. Als einfachste Relation gilt traditionell die binäre. D.h. um überhaupt von einer Relation zu sprechen, ums man mindestens zwei Relationsglieder haben, die in irgend einer Beziehung zueinander stehen. Wenn wir etwa die triviale Relation anschreiben a = a, so sind a als Vorderglied und a als Hinterglied die Relationselemente und das Zeichen = fungiert als Relator. Aber man darf nicht vergessen, das der Relator nicht selbst die Relation ist. Er zeigt sie nur an. Die Relation selbst 'existiert' nur zwischen den Relationsgliedern. In dem obigen Fall ist die angezeigte Relation ein Umtauschverhältnis, an dem sich nichts ändert, wenn wir Vorderglied und Hinterglied miteinander vertauschen. Das ist die elementarste und erste (von uns schon so oft zitierte) Grundrelation. Negieren wir diese Relation, d.h. verneinen wir die Behauptung, das sich bei der Vertauschung von Vorderglied und Hinterglied nichts ändert, so erhalten wir die zweite elementare Relation, nämlich das Rangverhältnis oder die hierarchische Relation. Eine solche ist zum Beispiel der rationale Bruch 1/2. Der Vertausch der Relationsglieder 2/1 ergibt etwas ganz anderes. Verneint man die hierarchische Relation ihrerseits, so erhält man wieder das Umtauschverhältnis. Insofern als sich Umtauschverhältnis und Rangverhältnis gegenseitig verneinen, stehen sie wieder miteinander in einem Umtauschverhältnis. Die Frage ist jetzt: läßt sich die Negation die man gewöhnlich in der folgenden Form anschreibt:

Tafel VI

p ~p

~p p

auch als Relation bedeutet. D.h. ist es sinnvoll zu fragen, ob eine Relation auch ein einziges Relationsglied haben kann. Wir geben zu, das im normalen Sprachgebrauch die einfachste Relation die binäre ist, aber es ist in der Mathematik ja üblich auch Grenzfälle einzubeziehen, die oft als solche logische Eigenschaften demonstrieren, die anderweitig nicht mehr so drastisch sichtbar werden. Schreiben wir also die Negation als eine Relation mit einem Relationsglied.

R(x)

als relationalen Minimalfall an, der sich durch Vermehrung der Relationsglieder beim nächsten Fall zu

R(x, y)

erweitert, dann richtet sich im zweiten Fall das logische Interesse ganz automatisch auf das gegenseitige Verhältnis von x und y, zwischen denen eine Relation existiert. Soweit bewegen wir uns im Selbstverständlichen. Wie aber sollen wir den Ausdruck R(x) deuten? Wenn es sich dabei um die Negation handeln soll, so wollen wir damit sagen, das x eine Variable ist, die die beiden Werte positiv oder negativ annehmen kann. Das ist nur in anderer Sprache, wovon bei Hegel die Rede ist, wenn die erste Negation ein Verhältnis des unmittelbaren Seins zu sich selbst ausdrückt. In dialektischer Formulierung: diese Unmittelbarkeit ist "das Andere eines Anderen". Was Hegel damit sagen will, ist das die Relation hier nicht zwischen unterscheidbaren Relationsgliedern liegt (weshalb eben die Negation als Relation nur ein Verhältnisglied hat) sondern das sie eine Beziehung darstellt die sozusagen von außen her auf das Andere zukommt. Denn um Anderes festzustellen ums etwas 'da sein', relativ zu dem es Anderes ist. Der Ausdruck "das Andere des Anderen" aber impliziert, das es sich dabei nicht um die erste Negation des Anderen handeln kann, denn das ist ja auch eben Anderes.

Will man diesen Gedanken der dialektischen Spekulation irgend einen Sinn entnehmen, der sich evt. formalisieren läßt, so läßt sich nur sagen, das man unterscheiden ums zwischen der Relation, die Relationsglieder direkt (unmittelbar) verbindet, - und in diesem Falle benötigen wir ein Minimum von zwei Relationsgliedern - und jener relationalen Beziehung, die zwischen dem Relator und einem beliebigen Relationsglied überhaupt besteht. Auf diese Relation zweiter Ordnung zwischen Relation und beliebigem Relationsglied kann unser Ausdruck R(x) einigermaßen hinweisen insofern, als kein y da ist, zu dem das x eine Beziehung haben kann. Es drängt sich dann ganz natürlich die Frage auf, was für eine Beziehung zwischen R und x besteht, die x zu einer Variablen macht, die zwischen zwei Werten oszilliert. Um diese Frage zu beantworten gehen wir nach Hegel'schem Beispiel von dem elementaren Negationsverhältnis aus, das R nicht x ist und x nicht R. Es ums also irgendwie und irgendwo ein Umtauschverhältnis zwischen beiden zu konstatieren sein, in welchem der Relator die Stelle eines Relationsgliedes einnimmt und ein Relationsglied in die Position eines Relators aufrückt.

Wenn der Leser hier einen Widerspruch zu entdecken glaubt, so ist sein Eindruck, dialektisch gesprochen, sowohl richtig als auch falsch. Er ist richtig insofern, als in der Negation als Umtauschverhältnis sich keine der umzutauschenden Relationsglieder eine bevorzugte logische Position erwerben kann, - wie das in dem 'Aufrücken' angedeutet zu sein scheint. Andererseits haben wir es ja in den Grundlagen der Logik nicht bloß mit Umtausch sondern auch mit Rangverhältnissen zu tun, und wir sind durchaus berechtigt die Frage zu stellen, was sich ereignet, wenn wir zwei Relationsglieder, die in einem Rangverhältnis miteinander stehen, sich gegenseitig negieren lassen, d.h. wenn sie ihre logischen Positionen miteinander vertauschen. Es dürfte kein Zweifel sein, das ein Relator und ein Relationsglied ein Rangverhältnis zueinander haben und das der Relator höherrangig ist als das Relationsglied. Setzt man also ein Relationsglied in die Stelle eines Relators, so bedeutet das sozusagen eine logische Promotion. Und macht man einen Relator zum Relationsglied, so degradiert man ihn logisch. Trotzdem aber bedeutet die gegenseitige Vertauschung von Funktionen, das wir eine Negationsoperation vorgenommen haben. Wenn wir eine beliebige Relation

Ri+1 (xi, yi)

annehmen und ein Relatum zum Relator aufsteigen lassen, dann ergibt sich

Ri (xi-1, yi-1)

d.h. xi hat jetzt den Charakter eines Relators erhalten und wird mit Ri angeschrieben. Diese Schreibung macht unmittelbar deutlich, das zwar xi seine Stelle vertauscht hat, aber Ri+1 nicht in die frühere Position von x1 eingerückt ist. Wollen wir aber wissen, was mit dem Relator geschieht, wenn er in die Stellung eines Relatums überwechselt, so müssen wir von derselben Formel ausgehend schreiben

Ri+2 (xi+1, yi+1)

D.h. wenn der Relator in die Stelle des Relatum einrückt, dann ist er Relatum mit dem Range von xi+1 und nicht von xi. Vertauschen Relator und Relatum ihre Plätze, so bedeutet das ein Auf- oder ein Absteigen in einer logischen Hierarchie. Tritt ein Relatum in die Stelle eines Relators ein, so bedeutet das zwar, wie wir schon bemerkten, eine Promotion für das Relatum, aber wir sind dabei aus einer komplexeren logischen Situation in eine weniger komplexe abgestiegen. Umgekehrt wird das, was erst Relator war zum Relationsglied, dann bedeutet das eine Bereicherung des logischen Systems. Wir haben hier also eine merkwürdige Verflechtung des Umtausch- und des Rangverhältnisses vor uns. Wenn ein beliebiges Relatum in die Stelle eines Relators eintreten kann und ein Relator seinerseits als Relatum fungieren kann, so liegt hier zweifellos ein Umtauschverhältnis zwischen Relator und Relatum vor; aber durchgeführt kann daßelbe nur werden auf Grund eines Rangverhältnisses, indem wir in der logischen Skala struktureller Komplexität entweder auf- oder absteigen. Wir wollen diese Relation, die nicht zwischen ebenbürtigen Relationsgliedern entweder im Sinne eines Umtausch- oder eines Rangverhältnisses besteht, sondern zwischen solitärem Relationsglied und Relator die proemiale Relation nennen. Sie gibt uns Antwort auf die Frage, welches Verhältnis zwischen Umtausch und Rang existiert. Im Umtausch werden Verhältnisglied und Verhältnis miteinander vertauscht; aber dieser Umtausch geschieht unter einer einschränkenden Bedingung. Das Verhältnisglied kann allerdings selber als eine Relation aufgefaßt werden. Aber nie relativ zu dem Verhältnis, in dem es selbst als Relationsglied enthalten ist, sondern nur relativ zu Verhältnisgliedern, die es selbst zu einer relationalen Einheit zusammenfaßt. Umgekehrt kann durch das Aufsteigen des Relators eine Relation selbst als Relationsglied begriffen werden, aber nicht relativ zu den in ihr selbst verbundenen Relationsgliedern sondern hinsichtlich einer logisch komplexeren Relation, die das ursprüngliche Verhältnis selbst zum Relationglied gegenüber andern Relationsgliedern macht, die auf jener komplexeren logischen Ebene liegen. Der Unterschied von logischen Ebenen größerer oder geringerer logischer Komplexität ums immer ein Rangverhältnis sein. Folglich involviert die Vertauschbarkeit von Relation und Relationsglied immer ein Auf oder ein Absteigen in einer Skala von Rangverhältnissen. Das ist eine alte Wahrheit, die schon dem Aristotelischen System der Entwicklung zugrunde liegt, wo das, was auf einer Ebene als Form begriffen wird, auf der nächst höheren zum Status der Materialität reduziert wird. Dieser fall liegt im proemialen Verhältnis vor, wenn die Relation repräsentiert durch den Relator auf der nächsten Strukturebene als Relationsglied erscheint. Umgekehrt steigen wir in der Aristotelischen Skala abwärts, wenn wir das Relationsglied seine Funktion mit der des Relators vertauschen lassen.

Wir haben hier also gar nichts Neues gesagt und nur die logische Mechanik des Entwicklungssystems auf Beziehungen reduziert, die eine Formalisierung und kalkültheoretische Behandlung des Problems erlauben. Die proemiale Relation, die jedes System der Entwicklung beherrscht, ist also ein Umtauschverhältnis auf der Basis von Rangverhältnissen. Nun entwickeln sich die Rangverhältnisse nur dadurch, das wir im Aufsteigen der Entwicklungsleiter eine Relation zu einem Relationsglied reduzieren oder im Absteigen ein Relationsglied in den Rang einer Relation versetzen. Wir können also unsere Feststellung, daß das proemiale Verhältnis eine Umtauschrelation auf der Basis von Rangverhältnissen ist durch die gleichwertige ersetzen, das wir es hier mit Rangverhältnissen unter der Voraussetzung von Umtauschrelationen zu tun haben. Die proemiale Relation ist generell gesprochen nichts weiter als das Verhältnis von Form und Inhalt, in dem der Relator die Form und das Relationsglied den Inhalt repräsentiert. Sie ist das fundamentale Gesetz der Wirklichkeit, die eine Dauer in der Zeit hat und in dieser Dauer nicht stille stehen kann, sondern sich vorwärts oder rückwärts entwickelt. Sie leitet alles Denken ein - daher der Name, den wir ihr gegeben haben - und in der Reflexion enthüllt sie sich als ein Geflecht von ebenbürtigen Umtausch und Rang.

Wir verstehen jetzt die Feindlichkeit der Hegelschen Logik und generell des transzendental-spekulativen Idealismus gegenüber der abstrakten logischen Form etwas besser. Diese Philosophie versucht ausschließlich auf proemialer Basis zu denken. Aber wenn wir von logischer Form sprechen, so bedeutet das immer, das wir uns bei der theoretischen Verbindung zweier begrifflicher Bestimmungen entweder für das Umtausch- oder für das Rangverhältnis entschieden haben müssen und wir sie somit aus dem Zusammenhang des proemialen Verhältnisses herausgenommen haben. Und doch ist das nötig, wenn wir überhaupt denken wollen, und uns nicht in den vieldeutigen Bildern des Mythologischen bewegen. Die Versuchung zum "konkreten" Denken liegt nahe - denn nicht nur der Unterschied zwischen Form und Stoff, sondern auch zwischen Quantitativem und Qualitativem, zwischen dem nur in Intensitätsgraden meßbaren Willen und dem Denken, zwischen dem Du und dem Ich und dem Es, ist nichts anderes als die Differenz zwischen Relator und Relationsglied.

Die Frage, die sich jetzt von selbst ergibt, ist die: wie verhält sich die proemiale Relation zur Hegelschen zweiten Negativität? Wir haben weiter oben die erste Negation als diejenige bezeichnet, in der Bewußtseinsinhalte in einem gegenseitigen Umtauschverhältnis stehen, d.h. sie können entweder einen positiven oder einen negativen Akzent haben. Der Bewußtseinsraum, in dem sich das abspielt, ist selbst aber an dieser Stelle noch nicht Thema einer logischen Operation. Das sollte unsere etwas unübliche Notation r(x) für das klassische Negationsverhältnis ausdrücken. Die erste Negation ist nichts weiter als der Wertwechsel von x. Das R(...) selbst steht außerhalb dieses Wertwechsels, der "das Andere" und "das Andere eines Andern" einander entgegensetzt. Deshalb können wir das R(...) als den Index der Subjektivität betrachten, die im "reflexionslosen Sein ... wie es unmittelbar nur an ihm selber ist" noch nicht mitgesetzt werden kann.

Die zweite Negation ergab sich jetzt dadurch, das wir ein Umtauschverhältnis zwischen Ich und Du feststellten. Damit aber wurde R(...) thematisch. D.h. aus einem Relator wurde ein Relationsglied; wir stiegen also aus einem Verhältnis geringerer logischer Komplexität, das sich innerhalb eines Bewußtseinsraums abspielte, in ein Verhältnis größerer logischer Mächtigkeit auf, das jetzt die Bewußtseinsräume eines Ichs, eines Du und einen Kommunkationsraum umfaßt. Der letztere ist die Welt, in der sich das Umtauschverhältnis zwischen Ich und Du abspielt. Es ist offensichtlich, das die zweite Negation diejenige Operation ist, die das proemiale Verhältnis in Gang setzt. Trotzdem aber müssen wir vorsichtig sein und sie nicht mit dem letzteren verwechseln. Genau das aber geschieht, wenn bei Hegel von der Selbstbewegung des konkreten Begriffs die Rede ist. Der transzendental-dialektische Idealismus redet einerseits von der traditionellen zweiwertigen Formallogik, die sich in einem jeweilig gesetzten Bewußtseinsraum des isolierten Subjekts abspielt, und unvermittelt darauf von der dialektischen Selbstbewegung des Begriffs. Er bleibt uns aber die Anwort darauf schuldig, wie man von der Formallogik hin zur Dialektik kommt. Es bleibt völlig uneinsichtig, wie das Denken sich aus der Eingeschlossenheit in den Bewußtseinsraum eines Einzelichs befreit und sich die Kenntnis der Logik als Weltgesetz, das Ich, das Du und Es umfaßt, erwirbt. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, das der Weg zur Dialektik hin nicht selbst schon dialektisch sein kann. Es sollte!! Wenn wir aber bei diesem Weg nach Außen vorläufig von Dialektik nicht reden können, dann bleibt nichts anderes übrig als anzunehmen, daß das Grundgesetz des Denkens im Innenraum der Subjektivität, also das gleichwertige Umtauschverhältnis von Affirmation und Negation, gleich formal auch für den Austritt aus dem Bewußtsein gelten ums. Und schließlich ums es ein drittes Mal in dem Jenseits des Bewußtseins in der aus Du und Es bestehenden Objektivität auftreten. Das hat noch niemand widerlegt, um so weniger als die Praxis unseres Denkens es in jedem Augenblick, in dem wir theoretisch aktiv sind, bestätigt. Wo immer wir unser Denken ansetzen, denken wir zweiwertig; und es ist die höchste Ungereimtheit zu behaupten, das die Zweiwertigkeit des Innenraums der Subjektivität und die Zweiwertigkeit der Relation zwischen Subjekt und Objekt und schließlich die Zweiwertigkeit innerhalb der Objektivität sich nicht wieder formal in einem System höherer theoretischer Komplexität, als die die einfache Zweiwertigkeit liefert, zusammenschließen lassen sollten.

Für den Idealismus ist dieser Schluß nicht einfach falsch, sondern schlechterdings unverständlich, weil es ja immer "dieselbe" Zweiwertigkeit ist, die als ein strukturelles Gewebe sich durch den Gegensatz von Ich und Welt hindurchzieht. Man kann also von der zweiwertigen Logik nicht in der Mehrzahl sprechen und behaupten, das sich drei solcher Zweiwertigkeiten formal zu einem dreiwertigen System zusammenschließen lassen. Das Argument ist ebenso geistreich, als wenn behauptet würde, das der Mensch nicht zählen könne, weil, wenn er einmal 'eins' gesagt hat, er den Schritt zu '2' nicht machen könne, denn die '1' die er hinzufügen müsse, sei ja dieselbe Eins, die er schon gezählt habe, und so dürfe er sie nicht wieder zählen. Was hier völlig vergessen wird, ist die Platonische Dialogsituation, in der sich das dialektische Element ja gerade daraus entwickelt, das "dieselbe" Logik an drei verschiedenen ontologischen Orten auftritt, nämlich im Bewußtseinsraum des Protagoras, im Bewußtseinsraum des Sokrates und zusätzlich in dem objektiven Kommunikationskanal, der die beiden subjektiven Operationsbereiche verbindet. Und die Pointe des Dialoges ist ja gerade, das die Logik an mindestens zweien dieser ontologischen Orte eigenwillig arbeitet, denn es gelingt weder Protagoras den Sokrates in seinem Sinne zu lenken, noch hat Sokrates bei dem gleichen Bemühen einen Erfolg. Eine Lehre dieses Dialoges also ist, das wenn die klassische Logik an unterschiedlichen ontologischen Orten auftritt sie zwar in einer Hinsicht dieselbe sein ums insofern, als in jedem ontologischen Ort ihre innere Gesetzlichkeit - d.h. der Satz der Identität, des ausgeschlossenen Dritten und der Satz des Widerspruchs gilt, das aber nichtsdestoweniger die Operationalität dieser Prinzipien an verschiedenen ontologischen Orten voneinander verschieden sein kann und unter gegebenen Bedingungen sich direkt widersprechen wird. In diesem Sinne ist die klassische Logik, wenn sie an mehreren ontologischen Orten auftritt, nicht dieselbe und wir müssen von einer Mehrheit von zweiwertigen Systemen sprechen. Daraus ergibt sich dann ganz natürlich die Frage; in welcher Weise solche Mehrheiten in übergreifenden Strukturzusammenhängen zusammengefaßt werden können. Die Beantwortung dieser Frage aber führt direkt zur Theorie einer mehrwertigen Logik, die mehr als ein bloßer Wahrscheinlichkeitskalkül sein will. Wen die klassische Tradition also zäh an der Einzigkeit der zweiwertigen Logik festhält, so hat sie in dem trivialen Sinne recht, das es nur einen Satz der Identität, nur ein Verbot des Widerspruchs und nur ein Tertium Non Datur gibt. Kein vernünftiger Mensch wird das bestreiten. Ein Anhänger der mehrwertigen Logik und ihrer fundamentalen philosophischen Relevanz wird nur zusätzlich darauf bestehen, das die unqualifizierte Gültigkeit der klassischen Relationen auf den jeweiligen ontologischen Ort beschränkt ist, der gerade als Bezugssystem des logischen Formalismus gilt. In diesem Sinne kann man von drei Formalismen reden, wenn drei solcher Bezugssysteme wie Du, Ich und Es gegeben sind, und es ist absolut nicht einzusehen, welche geheimnisvollen mystischen Kräfte da am Werke sein sollen die uns daran verhindern könnten diese drei ontologischen Varianten des Formalismus zu neuen formellen Strukturen zusammenzuschließen. Da es sich andererseits aber hier um eine dialektische Problemsituation handelt - was ja bisher nie bestritten worden ist - kommen wir auf diese Weise zu einer Formalisation der Dialektik.

Wer sich auch jetzt noch dagegen sträubt, der ist sich offensichtlich überhaupt nicht über die gegenseitigen Rollen von formalem und dialektischem Denken klar und über den Primat des dialektischen über das formale. Das Formale hat seinen Ursprung im Bewußtseinsraum des solitären Ichs, das sich von der ganzen Welt als dem Inbegriff des Nicht-Ichs geschieden sieht. Man kann direkt sagen, das aller logische Formalismus nichts anderes ist als der Index dieser Trennung und der absoluten Einsamkeit des Ichs. Fragen wir aber danach, woher das Ich die Kraft nimmt zu denken, so müssen wir, wie schon Fichte wußte, sagen: der Anfang des Denkens besteht nicht darin, das ich denke, sondern das Es in mir denkt. Wo aber das Es in mir denkt, dort bin ich nicht von der Welt geschieden und das Denken ist Subjekt und Objekt zugleich. Das aber ist nichts anderes als das dialektische Denken, das also aller Formalisierung vorausgehen ums. Daraus aber ergibt sich, das alle Formalisierung grundsätzlich hinter dem Strukturreichtum dessen, was sie formalisiert, zurückbleiben ums. Zwar gehört es zur Kraft der Dialektik, das sie Formalisierungen ihrer selbst aus sich entlassen kann, aber sie hat auch die Kraft jeder Formalisierung vorauszueilen und unerreichbares Ziel des formalen logischen Prozesses zu bleiben. Ein Beispiel soll das etwas anschaulich machen. Eine Formalisierung, die mit drei ontologischen Orten arbeitet, ist z.B. noch völlig unfähig mit dem Umstand zu rechnen, daß das objektive Ich, das Du, ja nicht nur in einem einzigen ontologischen Ort auftritt, sondern in einer prinzipiell unbeschränkten Anzahl solcher Orte zu suchen ist. Das Gleiche gilt übrigens auch für das Es, wie die Qualitätslehre des dialektischen Materialismus ahnen läßt. Das ist in jener Dialektik, aus der sich das formale Denken abspaltet, grundsätzlich schon antizipiert, weshalb der zweiwertige Formalismus auch in seinen in die Mehrwertigkeit hinein entwickelten Gestalten an explizitem berechenbaren Strukturreichtum hinter der implizit gegebenen Strukturfülle des dialektischen Prozesses überall zurückbleiben ums.

Andererseits kann dem formalistischen Denken nicht verwehrt werden, Schritt für Schritt einen ontologischen Ort nach dem anderen in seine Formalisierungstechnik einzubeziehen. Wenn das geschieht, dann werden auf rekursivem Wege Einsichten gewonnen, die sich das dialektische Denken in einer Reflexion auf sich selbst mit hermeneutischen Methoden zunutze machen kann. Die Hegelsche Logik jedenfalls ist unter der Voraussetzung entwickelt, das der dialektische Prozeß sich in seinem Fortgang ein immer steigendes Selbstwissen um seine eigene Gesetzlichkeit erwirbt. Andernfalls ist nicht zu verstehen, warum das Absolute am Ende nicht nur reelles Objekts sondern auch Subjekt sein soll, dessen Grenzenlosigkeit sich mit der Unerschöpflichkeit der Objektivität deckt.

Hier spielt die Differenz von Ansich und Fürsich eine Rolle. Wenn wir weiter oben bemerkten, daß das formale Denken nicht beginnen kann, es sei denn daß das Es-denkt-in-mir vorausgeht, so ist das Letztere nur an sich dialektisch. Es ist noch nicht dialektisch für das sich in seinem Bewußtseinsraum bewegenden solitären Ich. Ist aber dieses Ich auf dem Weg über die einfache Unmittelbarkeit von Du und Es zur Dialektik gekommen, dann kann es diesen Gang im Bewußtseinsraum wiederholen. D.h. der Philosoph als der einsame Denker - in unserm historischen Fall also Hegel - kann seinerseits dialektisch denken. Damit ist die Dialektik im Bewußtsein des Philosophen wenigstens aus ihrem Ansich in ein erstes Für-sich-Stadium übergegangen. Das dieses Fürsich ein vorläufiges und unvollständiges sein ums, ist selbstverständlich. Dieselbe Arbeit ums ja für jedes Du, genauer gesagt für jeden ontologischen Ort, der nicht der des gerade denkenden Subjekts ist, ebenfalls geleistet werden. Darüber braucht kein weiteres Wort verloren zu werden. Was aber weitere Überlegung verdient ist jene eigentümliche Feindseligkeit gegenüber dem formalen Denken, die der transzendental-spekulative Idealismus kultiviert, eine Feindschaft, in die ihm der bisherige dialektische Materialismus mit rührender Treue folgt. Wir kommen auf diese Feindschaft an dieser Stelle zurück, weil sie ein Resultat der ontologischen Spannung zwischen Ansich und Fürsich ist. Ein kurzer Rückblick wird uns helfen die Bedeutung dieser Spannung aufzuklären.

Wir waren davon ausgegangen, das alles Denken als An-sich, also als Weltereignis, objektiv dialektisch ist; das es aber um zu seiner Subjektivität zu kommen durch einen vermittelnden Prozeß hindurchgehen ums. Diese Vermittlung aber fängt, laut Zeugnis Hegels, mit der ersten Negation an. Die letztere aber ist nichts weiter als die von ihrem Inhalt abgezogene Form. Der Weg von objektiven Ansich - also vom Inhalt, der noch frei von Reflexion auf sich selbst ist - zum Inhalt, der sich selbst reflektiert, geht also durch die Form, mithin durch ein Denken, das sich erst einmal vom Inhalt befreien ums um dann freiwillig zu ihm zurückzukehren. Ist diese Rückkehr aber erst einmal vollzogen, dann findet es sich in einer Situation, in der die ursprüngliche Form den Bedürfnissen des Philosophen, der sein Denken weiter treiben will, nicht mehr genügen kann. Es ums hier also eine Abkehr von einer Form erfolgen und es ist nur natürlich, das sich das Denken jetzt dem objektiven Fluß der Dialektik überläßt. Aber der Philosoph, der denkt, bleibt Subjekt, und es gehört zum Wesen der Dialektik selbst, das sich das Subjekt in ihrer Bewegung als lebendiger Widerspruch zu erhalten sucht. Dieser Widerspruch hat sich als historisches Phänomen in dem Übergang vom Idealismus zum dialektischen Materialismus geäußert und seine subjektiven Träger waren - wie jedermann weiß - Marx, Engels, Lenin und andere. Indem aber der dialektische Materialismus den idealistischen Skeptizismus der Form gegenüber in sein eigenes philosophisches Denken übernommen hat, demonstriert er einen überraschenden Mangel an Wissen transzendentaler Natur über das Wesen von Form. Form ist schon für die klassische Logik nicht anderes als der Ausdruck der reinen Subjektivität, mit der sich die letzere vom Gegenstand absetzt. Mag die Dialektik noch so sehr das alles beherrschende Weltgesetz sein, so gehört doch ein menschliches Gehirn dazu als Träger einer davon sich absondernden Subjektivität dieses Gesetz zu registrieren. Und nur im Formalismus kann das theoretische Subjekt diese Absonderung und damit sich selbst realisieren.

Es gehört zu den metaphysischen Voraussetzungen des Idealismus, das diese Absonderung ein einmaliges Weltereignis ist. Der Theologe nennt es den Sündenfall und auf ihn kann nur die Versöhnung und Rechtfertigung folgen. Übersetzen wir das zurück in die säkularisierte Sprache der Logik: diese Absonderung hat sich in dem zweiwertigen Formalismus der klassischen Tradition nicht nur konstituiert, sondern auch vollendet und in dieser Vollendung, die die transzendentale Spekulation geleistet hat, ist der Abfall des Bewußtseins überwunden. Das formalistische Denken und damit überhaupt die Philosophie im alten Sinne gehört somit einer abgelebten Geschichtsperiode an. Die Feindschaft gegen die Form ist somit Ausdruck einer Eschatologie, die einen endlichen Horizont der Geschichte sieht. Diesem Ende hat man verschiedene Namen gegeben. Man spricht vom ersehnten Kommen des Messias, vom Jüngsten Gericht, vom Himmelreich und in modernster Terminologie von Utopie. In jedem Fall aber ist die Entzweiung von Form und Inhalt aufgehoben und selbst die Dialektik ums zu einer fernen Stillung kommen, weil der letzte Widerspruch erloschen ist. So Hegel. Uns so auch der dialektische Materialismus, der nicht recht weiß, was er tut, wenn er an diesem Punkte dem Idealismus folgt. Der letzte Widerspruch ist der eschatologisch unversöhnliche Widerspruch von Form und Inhalt. Aber weder Idealismus noch Materialismus wollen diesen Widerspruch haben und es ist gleichgültig, ob man ihn idealistisch durch die Form der Form, also das absolute göttliche Subjekt, oder materialistisch durch die Vorstellung eines Inhalts des Inhalts erwürgt. Daran ändern auch gegenteilige Beteuerungen des Materialismus nichts. Was allein zählt ist, das beide Seiten sich völlig darüber einig sind, das die Idee der reinen logischen Form durch die klassische Gestalt der zweiwertigen Logik endgültig ausgeschöpft ist und das, ist das dialektische Denken einmal erreicht, es aus ihm keinen zweiten oder etwa gar dritten, vierten usw. Rückzug in die isolierte Subjektivität des philosophischen Denkers mehr geben könne. Denn jeder solche neue Rückzug würde ja durch die Entwicklung einer neuen Formidee, in der sich ein philosophisches Subjekt mit veränderter Bewußtseinslage konstituieren könnte, erst möglich gemacht. Auf der gegenwärtigen Stufe des Materialismus - der Idealismus zählt hier überhaupt nicht mehr mit - kann man also nicht erwarten, das ein zur Erfahrung der Dialektik gekommenes Bewußtsein diese Erfahrungsbasis formalisiert, dann wieder an die Grenzen dieser neuen Formalisierung stößt und über sie hinaus zur Dialektik zurückgeht und dann von neuem die Notwendigkeit einer dritten Formalisierung begreift und diesen Wechsel zwischen Formalität und Dialektik mit dem Bewußtsein fortsetzt, das es für den selben kein Ende geben kann. Erst einem solchen Bewußtsein, das die Notwendigkeit des Wechselverhältnisses zwischen formalen undialektischem Denken und dialektischer Struktur eingesehen hat, kann sich die Illegitimität solcher Endzeit-Begriffe wie Nirwana, Paradies oder Utopie enthüllen.

Aber vorläufig ist der dialektische Materialismus davon noch weit entfernt und reiht sich willig in jene Front mit den Idealisten ein, die das formale Denken als unphilosophisch und subaltern bekämpfen. Aber diese Verachtung des ontologischen Erkenntniswertes der formalen Logik, in der sich die beiden weltanschaulichen Gegner völlig einig sind, (und von der sich der dialektische Materialismus vielleicht schon zu erholen beginnt, wenn vereinzelte Symptome nicht trügen) ist das beste Zeichen dafür, das der Antagonismus der Meinungen, der Idealismus und Materialismus trennt, eine Angelegenheit der Oberfläche ist. Mit dem Tiefgang der Geschichte hat er nichts zu tun. Weshalb die "ideologischen" Kämpfe der Gegenwart unwesentlich und von kaum zu übertreffender Langeweile sind.

Für den Idealismus mit seiner Jenseitsmystik hatte der Kampf gegen den Formalismus noch einen verspäteten philosophischen Sinn. Seine Aufgabe war es, das Denken einer weltgeschichtlichen Periode zu seinem konsequenten Ende zu führen und zu liquidieren. Und zu dieser Liquidation gehörte auch die Form eines abgelebten Denkens. Mit der Idee des absoluten Subjekts war man an jenem ontologischen Ort angelangt, an dem alle Gegensätze versöhnt sind. Das war die coincidentia oppositorum. Und hier mußte auch der Gegensatz von Form und Inhalt, der zu einer noch nicht im Absoluten erlösten Welt gehört, dahinschwinden.

Aber der dialektische Materialismus will ja seinen tiefsten Intentionen nach etwas ganz anderes. Er glaubt nicht mehr an die Erlösung der Welt durch den "Weg nach innen", den die idealistische Dialektik beschreibt. Der im Innern beginnende und seine letzten tiefen auslotende Weg des idealistischen Denkens soll durch den Gegenweg des Handelns - also letzten Endes des Herrschens durch die Technik - ergänzt werden. Im Versponnensein in der Dialektik aber wird das Bewußtsein durch die Eigenbewegung des konkreten Begriffs beherrscht. Im dialektischen Prozeß ereignet sich die Welt; und das Bewußtsein sieht diesem Weltgange zu. Aber Ereignisse sind nicht Handlungen. Handlung fordert Distanz zum Behandelten und Distanz ist Form. Wenn es aber darauf ankommt, die Welt durch ein aus dem Denken sich entlassenden Handeln zu verändern, so ist der erste Schritt dazu, daß das zur Dialektik gekommene Bewußtsein nach den reinen Formen sucht, in denen es Abstand von seiner eigenen Bewußtseinslage sucht. In andern Worten: ist erst einmal eine Stufe des dialektischen Denkens gewonnen, so ums die nächste philosophische Frage sein, wie dieselbe ent-dialektisiert werden kann. Ein dialektisches Handeln ist eine contradicitio in adjecto. Und man bedenke, die objektivste Form der Handlung ist die Konstruktion einer Maschine in der das begriffliche Denken sich in maschinelle Vorgänge umsetzt. Und wer hat schon von einer dialektischen Maschine gehört!

Soweit der Mensch bisher eine Technik entwickelt hat, so ruht sie ausschließlich auf der klassischen Logik des entdialektisierten Ursprungs des Denkens, also auf dem mathematisierbaren Formbegriff des Aristoteles. Das ein zu seinen dialektischen Ursprüngen zurückgekehrtes Denken, in dem die Aristotelisch-Platonische Form aufgehoben und als universale Weltformel widerlegt ist, damit alle Form überhaupt aufgehoben hat, das ist eine Folgerung, zu der nur eine idealistisch orientierte Reflexion sich genötigt sieht. Der dialektische Materialismus wird zu dem gleichen Schluß nur dadurch verführt, das sein Denken auf seiner ersten (vorläufigen) historischen Stufe als Antithetik zum Idealismus jener von uns schon besprochenen Isomorphie zum Opfer fällt und so in allen wesentlichen Bezügen - obwohl in der Attitüde des Widerspruchs - daßelbe denkt wie sein philosophischer Vorgänger. Was in der Theorie des dialektischen Materialismus heute noch fehlt, ist die historische Distanz zu jener Antithese, in der er auf seiner ersten Stufe lebt. Dieser Distanzmangel ist ein Resultat des Umstandes, das Mangels des Entschlusses zu einer Formalisierung der Dialektik das Problem des triadischen Verhältnisses von Form, Inhalt und Zeit im gegenwärtigen Stadium dieses Denkens unaufgehellt bleiben ums, und das trotzdem eine Andeutung seiner Lösung schon im Anfang der Hegelschen Logik zu finden ist.

Dieser Andeutung müssen wir jetzt zwecks Weiterführung unseres Gedankengangs einige Schritte folgen. Wir erinnern uns an die Beschreibung der proemischen Relation als der gegenseitigen Beziehung von Form und Inhalt, bzw. von Subjektivität und Objektivität, die eine merkwürdige Verflechtung von Umtausch- und Rangverhältnis darstellte. Da die proemische Relation demonstriert, das ein Vertausch von Form und Inhalt nur durch ein Auf- und Absteigen auf einer Skala von mehr oder weniger komplexen Systemen durchgeführt werden kann, führt uns das proemische Verhältnis direkt auf das Zeitproblem, da der reelle Übergang von einem Wirklichkeitssystem zu einem andern immer Zeit erfordert. Das ist nichts Neues, denn schon bei Aristoteles führt die Reflexion auf das gegenseitige Verhältnis von Form und Inhalt unmittelbar zum Problem der Zeit. Der Aristotelische und der Hegelsche Ansatz unterscheiden sich nur insofern, als bei Aristoteles trotz dieser Einsicht die Zeit aus der Logik ausgeschlossen bleibt. Für die ganze von ihm und Plato abhängende Tradition bleibt Wahrheit der urphänomenale Index der Zeitlosigkeit. Hegel hingegen sieht hier tiefer und begreift, das die Relation von Form und Inhalt das Mittel ist um die Zeit in die Logik hineinzunehmen. Erst dadurch ergibt sich die konkrete Gestalt des Begriffs, in der der Unterschied von Form und Inhalt hinfällig geworden ist.

Wir werden nicht fehl gehen, wenn wir sagen, das die Zeit in den Augen des Logikers nichts anderes sein kann als das realisierte proemische Verhältnis. Die Zeit ist Verhältnis insofern, als Zukunft und Vergangenheit Relationsglieder sind, als deren Relator die punktuelle Gegenwart auftritt. Nun weiß aber schon jedes Kind, das die Zukunft ewig zur Gegenwart wird und ohne als Zeit in der Gegenwart zu weilen unmittelbar in die Vergangenheit hineinsinkt. Der jeweilige Jetztpunkt, in dem wir leben, ist nicht Zeit, trotz allem Gerede von ewiger Gegenwart. Wenn wir 'jetzt' sagen, so meinen wir nichts anderes als eine Relation zwischen zwei meßbaren Zeitstrecken, und diese Relation hat ganz deutlich die Bedeutung eines Rangverhältnisses, denn die beiden Zeitstrecken, die unter dem Namen Zukunft und Vergangenheit gehen, können nicht beliebig vertauscht werden. Schon Aristoteles hat im neunten Kapitel von Peri Hermeneias auf die logische Ungleichwertigkeit der temporalen Dimensionen Zukunft und Vergangenheit aufmerksam gemacht. Für beide Zeitstrecken - so führt er aus - ist das Tertium Non Datur gültig. Insofern also sind sie rein formal einander äquivalent,. Dann aber kommt der Unterschied: denn Aristoteles setzt hinzu, das für die Vergangenheit der Satz vom ausgeschlossenen Dritten überdies anwendbar ist, für die Zukunft dagegen nicht. Daraus ergibt sich ohne weiteres der Rangcharakter dieses Verhältnisses. Wird aber die Zukunft vermittels des permanenten Durchgangs durch die Gegenwart zur Vergangenheit, so heißt das nichts anderes als das dasjenige, was erst Relationsglied war, bei der Passage durch den Jetztpunkt als Relation auftritt, um beim Eintauchen in die Vergangenheit sofort wieder zum Relationsglied zu werden.

Dieser unaufhörliche Wechsel von Relationsglied zu Relation und von der Relation wieder zum Relationsglied, der keinen Augenblick stille stehen kann, konstituiert unter der Voraussetzung der logischen Asymmetrie der Relationsglieder das proemische Verhältnis, und er ist genau das, was wir als Zeitstrecke erleben. Aus der Asymmetrie der Relationsglieder ergibt sich der Richtungssinn der Zeit. Und aus der Unobjektivierbarkeit der Gegenwart leiten wir unser Recht ab, den Ausdruck

R(x,y)

derart zu deuten, das wir R als Index der Subjektivität und x und y als Zeichen für Objektivität deuten. Der eben angeführte Ausdruck ist natürlich als solcher formal, und so wird ihn das unbefangene Bewußtsein auch werten. Aber es ist für das Verständnis der Hegelschen Logik und für die Aufgabe ihrer Formalisierung unumgänglich notwendig zu wissen, welche Symbole eines beliebigen Symbolzusammenhangs auf die Objektivität hinweisen, die in ihnen zur Darstellung kommt, und welche auf die Subjektivität, die diese Darstellung leistet. Hier tritt die Hermeneutik in ihr Recht, die sich in ihren bisherigen Vertretern ganz unmotiviert von mathematischen und logischen Symbolzusammenhängen distanziert hat. Der Ausdruck R(x,y) sagt per se nichts darüber aus, das es sich hier um ein Rangverhältnis handelt. Hermeneutik ist ja auch nur dort anwendbar, wo es sich um Symbolzusammenhänge handelt, denen verschiedene Bedeutungen unterlegt werden können. Deuten wir also R als das proemielle Verhältnis und x und y als verschiedenen Zeitstrecken, die sich im Sinne von Zukunft und Vergangenheit voneinander unterscheiden, dann ergibt sich die Asymmetrie von R daraus, das der Objektivitätscharakter von x und y doppeldeutig ist. Die Zukunft ist (pseudo)objektiv im Bewußtseinsraum eines erlebenden Subjekts. Die Vergangenheit aber hat bona fide Objektivität in einem Jenseits des Bewußtseins. Die Pseudo-Objektivität ist die Domäne jener Möglichkeiten, von denen einige real werden sollen. Die bona fide Objektivität umschreibt den Bereich jener Möglichkeiten, die durch die Entscheidung eines Umtauschverhältnisses sich schon zu Wirklichkeiten auskristallisiert haben.

Wird ein Verhältnisglied zum Verhältnis, so bedeutet das eine begriffliche Verengung insofern, als aus dem Modalbereich die Kategorie der Möglichkeit wegfällt, d.h. die Zukunft hat damit ihren Zukunftscharakter als Phantasiebereich der noch offenen Möglichkeiten verloren. Soweit das Denken in Frage kommt, ändert sich also sein Designationscharakter. Bisher zielte die Designation auf den Innenraum des Bewußtseins, indem die Gedanken leicht beieinander wohnen; indem aber dieser Wechsel vom Relationsglied zur Relation eine unlösbare Einheit mit dem andern bildet, in der die durch die Relationalität hindurch gegangene Zukunft in der Gestalt der Vergangenheit wieder als Relationsglied aufsteigt, hat sich für das theoretische Bewußtsein der Designationwechsel vollzogen. Der Begriff ist aus dem Bewußtseinsraum hinausgegangen und zielt jetzt auf die Außenwelt und die Wirklichkeitsdichte gefallener Entscheidungen, in denen der Satz vom ausgeschlossenen Dritten endlich anwendbar ist.

Wie man sieht, kann das Zeitproblem ohne überhaupt von Zeit zu sprechen als ein logisches Problem, nämlich als die Frage des Designationswechsels von Pseudo-Objektivität zur Domäne der bona fide Objekte gedeutet werden. Anders gesagt: das Zeitproblem ist auf das engste verknüpft mit der proemischen Bewegung zwischen Form und Inhalt, bzw. zwischen Subjektivität und Objektivität. Die Zeit ist diejenige Kraft, in der das Ich sich der Welt gegenüber behauptet. Redet man also vom Ende aller Zeiten, so redet man auch vom Ende des sich gegen das Du erhaltenden Ichs. Dem Idealismus bleibt dann bloß die Flucht in das universale Ich, von dem man ja ungestraft alles behaupten kann, weil die Logik vor ihm aufhört. Wir haben bereits darauf hingewiesen, das sich Spuren der proemischen Relation bei Hegel finden, und wir wollen diesen jetzt nach unsern vorbereitenden Bemerkungen am Hegelschen Text selber nachgehen. Wie es sich gehört und wie der Name unserer Relation sagt, treffen wir auf diese Andeutungen gleich am Anfang der Großen Logik. Diese beginnt, wie schwer zu bestreiten ist, mit einem reinen Umtauschverhältnis: "Das Sein, das unbestimmte Unmittelbare, ist ... Nichts, und nicht mehr noch weniger als Nichts". Und im nächsten Absatz geht es weiter: "Nichts ist somit dieselbe Bestimmung oder vielmehr Bestimmungslosigkeit und damit überhaupt daßelbe, was das reine Sein ist". Zwischen Sein und Nichts existiert also eine Beziehung, die uns erlaubt die Beziehungsglieder beliebig zu vertauschen. Beides sind Leerformen - Hegel redet von "Leerheit" - die sich in nichts voneinander unterscheiden, abgesehen davon, das darauf bestanden werden ums, das es zwei sind. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, das die Logik bei Hegel ontologisch gesehen nicht mit einer Ursubstanz beginnt (Monismus) und auch nicht mit zweien (Dualismus); denn es ist schwer dem Nichts gegenüber von Substanz zu reden; sondern diese Logik beginnt mit einer Relation zwischen zwei ontologischen Orten. Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit das festzustellen, damit man sich bewußt ist, das zum mindesten dieser Anfang der Großen Logik neutral gegenüber seiner späteren idealistischen oder materialistischen Ausdeutung ist. Nachdem Hegel so erst einmal das gegenseitige Verhältnis von Sein und Nichts festgestellt hat und sie als zwei Qualitäten unterscheidet, deren Qual aber nicht angegeben werden kann, lesen wir am Anfang des Absatzes über das Werden ganz lapidar: "Das reine Sein und das reine Nichts ist ... daßelbe." D.h. das Umtauschverhältnis zwischen zwei Relationsgliedern, die sich eben gerade dadurch und nur dadurch unterschieden, das sie zwei waren, ist aufgehoben. Dieser Übergang von der Dualität zur Einheit ist aber in unserer Sprache nichts anderes als der Wechsel von den Relationsgliedern zum Relator, durch den sich die Glieder zueinander verhalten. Aber Hegel ist besorgt zu betonen, das beides konstituierendes Moment am Wahren ist - sowohl die Ununterschiedenheit von Sein und Nichts als auch, das sie absolut unterschieden sind. "Ihre Wahrheit ist also diese Bewegung des unmittelbaren Verschwindens des Einen in dem Andern: das Werden; eine Bewegung, worin beide unterschieden sind, aber durch einen Unterschied, der sich ebenso unmittelbar aufgelöst hat."

Es ist schwer unter diesem Oszillieren zwischen Einheit und Dualität etwas anderes zu verstehen als den gegenseitigen Wechsel von Relationsglied zu Relation und von Relation zu Relationsglied. Denn außer den beiden Relationsgliedern Sein und Nichts und der zwischen ihnen bestehenden Relation ist am Anfang der Logik ja schlechterdings kein anderes Material vorhanden, mit dem eine Deutung arbeiten kann. Und wenn von Zweiheit die Rede ist, kann ja von nichts anderem die Rede sein als von den beiden Relationsgliedern. Ist aber von Einheit die Rede, dann scheinen allerdings zwei Deutungen offen zu stehen. Das einzelne Relationsglied könnte als aus der Relation herausgehoben betrachtet werden und als absolute Einheit gelten, die das Andere - sagen wir das Nichts - nicht mehr als sein Gegenteil kennt und dadurch seine ontologische Gegenexistenz a limine ausschließt. Aber in diesem Sinne kann Einheit keinesfalls gemeint sein, denn in dieser Einheit kann es ja keine Bewegung geben, also kann die Dialektik weder vom Sein noch vom Nichts zum Werden kommen. Wenn also von Einheit die Rede ist, kann es sich um nichts anderes handeln als um den Relator, der die Dualität von Sein und Nichts zusammenschließt.

Die Hegelsche Logik fängt also in der Tat - wenn auch in einer das eigentliche Problem verschleiernden Formulierung - damit an, das zuerst eine Umtauschrelation gesetzt wird und als nächster Schritt sich das Denken einer zweiten Relation zuwendet, die in der ersten schon mitgesetzt ist, nämlich dem Verhältnis von Relator zum Relationsglied. In diesem von uns proömisch genannten Verhältnis handelt es sich nur um die Relation von relationalem Operator zum Relationsglied überhaupt; folglich ist die Unterscheidung von Sein und Nichts völlig irrelevant geworden. Wir könnten statt zwei auch beliebig viele Relationsglieder haben, das wäre gleichgültig. Jede solche Pluralität ums in der Antithese Relator und Relationsglied ignoriert werden. Für die Hegelsche Logik handelt es sich nur um das dialektische Faktum, das in dem Umtauschverhältnis durch die proömische Relation zu gleicher Zeit ein Rangverhältnis, bzw. eine Ordnungsrelation mitgesetzt ist, die hinter dem Terminus Werden auftritt. Das Werden legt sich aber seinerseits auseinander in eine Umtauschrelation seiner inversen Momente: Entstehen und Vergehen.

Wenn wir weiter oben darauf bestanden, das, wenn von der Einheit von Sein und Nichts die Rede war, es sich um keinen dieser beiden statischen Begriffe handeln könnte derart, das entweder die Statik des Seins das Nichts in sich aufsaugt noch daß das unbewegliche Nichts das Sein verzehrt, sondern das diese Einheit in der Relation zu suchen ist, so bestätigt Hegel diese Auffassung am Anfang des Abschnitts über Entstehen und Vergehen. Dort lesen wir: "Das Werden, Entstehen und Vergehen, ist die Ungetrenntheit von Sein und Nichts, nicht die Einheit, welche vom Sein und Nichts abstrahiert; sondern als Einheit des Seins und Nichts ist es diese bestimmte Einheit, oder in welcher sowohl Sein als Nichts ist. Aber indem Sein und Nichts, jedes ungetrennt von seinem andern ist, ist es nicht. Sie sind also in dieser Einheit, aber als Verschwindende, nur als Aufgehobene." Man sieht wie Hegel hier mit Begriffszusammenhängen ringt, die seiner Zeit noch nicht geläufig waren und die wir heute in der Theorie der Relationen faßlicher verstehen können. Es ist den Dialektikern des transzendentalen Idealismus, und nicht nur allein Hegel, keineswegs klar, das die Dialektik eine Form der Relationslogik ist, in der Relationsglieder und Relatoren ihre Stellenwerte austauschen können. Wenn von der Einheit von Sein und Nichts die Rede ist, kann nichts anderes als die Relation selbst gemeint sein. Denn die Relationsglieder sind ja nur das, was hier vereint werden soll. Nur der Relator selbst als Repräsentant der Relation weist auf eine Bewegung zwischen ihnen hin; er ist also der Keim des Werdens. Der Gedankengang kompliziert sich für Hegel aber weiterhin dadurch, das ihm dunkel die Einsicht vorschwebt, das ein Umtauschverhältnis , das in doppelter Richtung durchlaufen werden kann, eine neue Einheit von höherer Komplexität produziert. Die Bewegung des sich selbst gegenläufigen Werdens (Entstehen und Vergehen) ums sich zu einer neuen Einheit konsolidieren. Drum heißt es auch in dem Abschnitt 'Aufheben des Werdens': "Das Werden ist eine haltungslose Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt". Wenn aber eine Bewegung in ein statisches Resultat übergeht, ums ein solches Resultat unvermeidlich Relationsglied in einer Relation von höherer logischer Mächtigkeit sein. Der Text deutet hier, wie uns scheint, ziemlich deutlich an, das hier ein Relator relationales Element wird, und damit seine ursprünglichen Relationsglieder verschwunden sind. Dieses Verschwinden begründet Hegel auf die folgende Weise: "Das Werden ist das Verschwinden von Sein in Nichts und von Nichts in Sein und das Verschwinden von Sein und Nichts überhaupt; aber es beruht zugleich auf dem Unterschiede derselben. Es widerspricht sich also in sich selbst, weil es solches in sich vereint, das sich entgegensetzt ist; eine solche Vereinigung aber zerstört sich." Mit diesen Sätzen ist der einfache Tatbestand vernebelt, das wenn eine Relation in den Stellenwert eines Relationsgliedes eintritt, sie ihre eigenen Relationsglieder selbstverständlich verloren haben ums, weil sie ihre Rolle als Relator ausgespielt hat und weil sie nicht zu gleicher Zeit und in demselben Sinne Relator und Relationsglied sein kann.

Es ist ganz deutlich, das der Umtausch einer Relation in ein Relationsglied ein Rangverhältnis und kein Umtauschverhältnis darstellt. Denn das Resultat dieses Abwanderns des Relators in die Rolle der Relation ist die "zur ruhigen Einfachheit gewordene Einheit des Seins und Nichts. Die ruhige Einfachheit aber ist Sein, jedoch ebenso, nicht mehr für sich, sondern als Bestimmung des Ganzen". Sein und Nichts als ebenbürtige Gegensätze eines Umtauschverhältnisses existieren also nicht mehr, denn das Sein ist hier als die übergeordnete Instanz deklariert, in der das Nichts zugrunde gegangen, d.h. in seinen Grund zurückgegangen ist. Diese neue und höhere Einheit nennt Hegel das Dasein.

Was die Interpretation des Hegelschen Anfangs der Logik so schwierig macht ist, das er zwei unterschiedliche Ziele in einem einzigen intensionalen Gedankengang, d.h. durch eine Sinnanalyse seiner Begriffe zu erreichen sucht. Dabei verwischt er den gerade für seinen Zweck so wichtigen Unterschied von Form und Gehalt der Form. Er will erstens zeigen, daß das Problem der Geschichte (Werden) sich als das Gefälle zwischen Sein und Nichts darstellt, das dies Gefälle aber in der unmittelbaren Entgegensetzung von Sein und Nichts noch nicht gegeben ist. Zweitens will er zeigen, das nur durch die Vermittlung des Werdens (Zeitproblem) man vom reinen Sein zum Dasein kommt. Vom Dasein aber heißt es klar und bündig: "Dasein ist bestimmtes Sein; seine Bestimmtheit ist seiende Bestimmtheit, Qualität. Durch seine Qualität ist Etwas gegen ein Anderes, ist veränderlich und endlich, nicht nur gegen ein Anderes, sondern an ihm schlechthin negativ bestimmt. Diese seine Negation dem endlichen Etwas zunächst gegenüber ist das Unendliche; der abstrakte Gegensatz, in welchem diese Bestimmungen erscheinen, löst sich in die gegensatzlose Unendlichkeit, in das Fürsichsein auf".

An dem Unterschied von Sein und Dasein ist also nicht zu deuteln. Unter Sein (im unmittelbaren Gegensatz zum Nichts) ist ein Leerbereich zu verstehen, der im Dasein mit inhaltlichen Bestimmungen, Qualitäten, gefüllt ist. Die einzelne Bestimmung und Qualität ist endlich und deshalb auch veränderlich. Der ontologische Rahmen, in dem sich die Qualitäten ausbreiten (das reine Sein), aber ist das Unendliche in einem sehr definitiven Sinn. Es ist unendlich insofern als seiner Anfüllung mit Qualitäten kein Ende gesetzt ist. Diese Beziehung der Leerform auf ihren Inhalt nennt Hegel das Fürsichsein. Es ist anzumerken, das mit diesem letzten Terminus angedeutet ist, das diese Unendlichkeit, von der hier die Rede ist, andere Unendlichkeiten als Leerformen keineswegs ausschließt. Eine zweite solche Unendlichkeit steht uns bereits zur Verfügung: es ist die unendliche Leerform des Nichts.

Überblickt man den Weg, den der Hegelsche Gedanke vom Sein bis zum Dasein gegangen ist, so ums man sich gestehen, das der Übergang von der Form zum Inhalt noch immer sehr dunkel bleibt. Am Anfang haben wir die beiden Leerformen von unbestimmten Sein und unbestimmtem Nichts und am Anfang des zweiten Kapitels begegnen wir einer Leerform (das Dasein), die aber jetzt mit qualitativen Bestimmungen gefüllt sein soll. Wir wissen nur, das an dieser Füllung das Nichts teil hat, insofern als es im Dasein verschwunden ist; andererseits ist auch das Werden daran beteiligt. Es heißt im zweiten Kapitel ja ausdrücklich: "Aus dem Werden geht das Dasein hervor". Dieses Sinnanalyse von Begriffen und ihren Beziehungen überzeugt aber nicht, wenn es sich darum handelt den kolossalen Sprung von der Form zum Inhalt zu machen. Wir haben deshalb versucht diese Distanz durch die Unterscheidung von Relator, Relation und Relationsglied zu überbrücken. Eine Relation ist ein subjektiver Prozeß, in dem ein Bewußtsein (Relator) die im Bewußtseinsraum auftauchenden Inhalte miteinander verbindet. Es wird niemand bestreiten, das ein Bewußtsein die von ihm solcher Art hergestellten Relationen seinerseits wieder zu Inhalten auf einer höheren Reflexionsebene machen kann. Die Relation - zuerst eine reine Formangelegenheit - tritt damit als inhaltliche Bestimmung auf, die mit andern Bestimmungen von gleichem ontologischem Gewicht relational verbunden ist. Die Subjektivität hat sich damit aus ihrer ursprünglichen Position zurückgezogen. Der Relator, das lebendige Prinzip, das die Relationsglieder verbindet, ist jetzt passiver Inhalt, der sich nicht selbst bewegt, sondern bewegt wird.

Die völlige begriffliche Durchleuchtung dieser Situation ist deshalb so schwierig, weil wir in einer gewissen Hinsicht den Gegensatz von Form und Inhalt mit der Antithese von Subjekt und Objekt identifizieren können; in einer andern Hinsicht uns aber diese Identifikation verboten ist, insofern als Objektivität uns ja zweimal begegnet. Einmal als das Objektivitätsein innerhalb des Bewußtseinsraums (Pseudo-Objekt) und dann wieder als die handfestere Objektivität im Jenseits des Bewußtseins (bona fide Objekt). Der Durchblick dieser Situation wir uns nicht erleichtert, insofern als die Unterscheidung zwischen Innenwelt und Außenwelt eine Parallele innerhalb der Innenwelt entspricht. Die Pseudo-Objektivität kommt ja überhaupt nur dadurch zustande, das innerhalb des Subjektivitätsbereiches das sich selbst iterierende Subjekt sich selbst aus seinen eigenen Vollzügen zurückzieht und dieselben zu einer fragilen psychischen Vorstellungswelt macht.

Es kann kein Einwand erhoben werden, wenn man im Hinblick auf diesen Tatbestand zu hören bekommt, daß das Verhältnis von Subjekt und Objekt ein dialektisches sei. Niemand, der Plato und Hegel gelesen hat, sollte dagegen etwas einzuwenden haben. Wir müssen aber energisch protestieren, wenn sich das Denken mit dieser Versicherung behaglich aufs Lotterbett legt in dem beruhigenden Gefühl, das der Herr es den Seinen im Schlafe gibt. Die Elemente, aus denen das Subjekt-Objekt-Verhältnis zusammengesetzt ist, sind keine anderen als die bereits erwähnten; Umtauschverhältnis, Rangverhältnis, pröomische Relation, Wiederholung, Relationsglied und selbstverständlich Identität und Andersheit. Das ist alles!

Dem Idealismus ist es nicht geglückt das intrikate Geflecht dieser Elemente zu entwirren. Hegel hat sich auf die fragwürdige Methode beschränkt mit den Mitteln einer begrifflichen Sinnanalyse zahllose dialektische Situationen aufzudecken, sie phänomenologisch zu beschreiben und wieder sinnanalytisch zu zeigen, wie eine dialektische Konstellation der Begriffe zur nächsten führt. Und da der dialektische Materialismus - wenn auch antithetisch - mit denselben logischen Werkzeugen arbeitet wie Hegel, finden wir bei ihm analoge Beschreibungen und begegnen derselben unbefriedigenden dialektischen Darstellungstechnik, die uns schon aus Hegels Schriften bekannt ist.

Wir haben in der Aufzählung vom Umtauschverhältnis bis zur Andersheit sieben Elementarbestandteile erwähnt, die am Aufbau der dialektischen Struktur beteiligt sind. Alle diese Bestandteile sind formal definierbar, und es ist kein Grund einzusehen, warum sich mit ihnen formalisierte Systeme bilden lassen, die in aufsteigender Skalla immer komplexeren dialektischen Situationen genügen und eine technische Bewältigung derselben sichern. Wir wollen nur ein Beispiel geben, wie sehr hier die bisherige dialektische Theorie versagt hat. Es ist von materialistischer Seite mit unbestreitbarem Recht darauf hingewiesen worden, das auch die traditionelle Mathematik dialektische Elemente enthält. Man braucht nur an die Triade Eins, das Eine und die Einheit zu denken oder an die Verbindung von Begriff und Zahl in der Platonischen Ideenlehre. Aber schon in der Aristotelischen Kritik der Zahlenlehre der Akademie macht sich ein deutlicher Zug zur Entdialektisierung des Zahlbegriffs bemerkbar. Dieser Entdialektisierung verdanken wir die ungehinderte Entwicklung der Mathematik als einer Disziplin, die für uns die Struktur eines subjektlosen und undialektisch begriffenen Universums aufgedeckt hat. Diese Entdialektisierung bedeutet, das die mathematischen Begriffe zwar per se dialektisch bleiben, das aber das antithetische Oszillieren der Bedeutungen in ihnen unterdrückt und mathematisiert wurde. Die Geschichte der Mathematik des Abendlandes hat sich deshalb streng auf dem Boden der klassischen zweiwertigen Logik entwickelt, deren Operationscharakter ja wirklich über allen dialektischen Verdacht erhaben ist. Es ist selbstverständlich das die mathematischen sowohl wie die logischen Begriffe per se dialektisch bleiben; was man auch immer mit ihnen tut. Was undialektisch ist, ist die Technik ihrer Verwendung. Man kann also über ihren dialektischen Gehalt nur philosophisch sprechen und diese Gehalte phänomenologisch beschreiben. Man kann sie nicht als mathematische Formalismen entwickeln.

Trotzdem ist die dialektische Essenz des Mathematischen im 19. Jahrhundert auf eine überraschende und man möchte fast sagen ärgerliche Weise an die Oberfläche getreten. Wir sprechen hier von der sogen. mathematischen Grundlagenkrise, die sich aus der folgenden philosophisch-logischen Problemstellung entwickelt hat. Man hat sich nämlich die Frage gestellt: worauf beruht die Gültigkeit und logische Stringenz des mathematischen Beweises? Der Versuch diese Frage zu beantworten aber hat die Mathematik und mit ihr die Logik in eine solche Verwirrung gestürzt, das ein angesehener amerikanischer Mathematiker noch im Jahre 1965 schreiben konnte: "The present state of mathematics as a distinct subject is indeed anomalous. Its claim to truth has been abandoned. Its efforts to eliminate the paradoxes and establish the consistency of its reasoning have ... not only failed but also have even produced controversy as to what correct reasoning in mathematics is and as to what the proper foundations of mathematics are. The claim therefore to impeccable reasoning must ... be abondoned. .... What is needed is a new evalution of the nature of mathematics".

Dazu ist zu sagen, das der tiefere Grund für die noch andauernde Grundlagenkrisis der Mathematik in folgendem Tatbestand zu suchen ist. Diese Mathematik ist entwickelt worden als eine strukturelle Theorie der bona fide Objektivität, die zu der technischen Beherrschung der letzteren führen sollte. Dieses Ziel ist, wie jedermann weiß, erreicht worden. Die methodische Entdialektisierung des mathematischen Denkens und die damit Hand in Hand gehende Formalisierung haben das bewirkt. Für die traditionelle Mathematik ist die Welt der Inbegriff aller Dinge und der registrierbaren Ereignisse, die sich zwischen ihnen abspielen. Für den Begriff einer solchen toten Welt ist sie gut und für nichts weiter. Es war nun eine unglaubliche Gedankenlosigkeit, Methoden, die für einen solchen Zweck entwickelt worden waren, auf Grund ihrer imponierenden Bewährung in der undialektischen Objektivität auf das mathematische Subjekt und seine Evidenzzwänge - wofür sie ausdrücklich nicht entwickelt waren - anzuwenden. Mehr noch: diese Methode war für die Thematik der selbstreferierenden Subjektivität nicht nur nicht vorgeformt, es bestand vielmehr seit den Griechen eine emphatische Tendenz, eine solche Thematik positiv auszuschließen. Es gehörte schon ein gehöriges Maß an philosophischer Naivität dazu, wenn man überrascht war, das ein sich selbst kritisch betrachtendes mathematisch-logisches Denken bei der Rückwendung auf den eigenen Reflexionsprozeß und den dadurch indizierten Themawechsel sich in Paradoxieen und andere Schwierigkeiten verwickelte. Und das nachdem ein gewisser Kant schon eine ganze Weile vorher von "dem Elendwerke einer Erweiterung des reinen Verstandes" gesprochen hatte, welches bewirkt" ... das die subjektiven Gründe des Urteils mit den objektiven zusammenfließen und diese von ihrer Bestimmung abweichen machen ...". Wird nach der Legitimität der Mathematik gefragt und versucht man diese Frage mit den Mitteln zu beantworten, die die befragte Mathematik selbst zur Verfügung stellt, dann werden jene Mittel ihrem eigenen Zweck entfremdet. Und wie man weiß, hat schon bei Kant jene Entfremdung die Antinomien der reinen Vernunft erzeugt. In der klassischen Mathematik bleibt das rechnende Subjekt anonym. Es ist eine transzendente Größe (Seele), nach deren inneren Tätigkeitsgründen nicht gefragt werden kann. Wird diese Frage doch gestellt, wie das zum mindestens seit Frege in ganz prinzipieller Weise der Fall ist, so erweitert sich der thematische Bereich des Mathematischen von der exklusiven Objektivität auf die umfassende Synthetik von Objekt und Subjekt. Damit aber wird das Thema des Rechnens dialektisch. Bis heute jedoch ist noch nicht einmal ernsthaft die Frage gestellt worden, wie eigentlich ein Bewußtsein rechnen soll, wenn sich seine Rechenobjekte in dauerndem dialektischen Fluß befinden. Stellt man sich diesem Problem, so führt es sofort zu dem generellen: wie und wie weit die Dialektik bei dem Übergang von der Qualität zur Quantität formalisiert werden kann. Denn nur so läßt sich die dialektische Lebendigkeit des Konkreten so weit bändigen, das sie auch dem rechnerischen Zugriff.

In der Geschichte der klassischen Mathematik haben ihre dialektischen Bestandteile eine Art Krypto-Existenz geführt, die aber durch die mathematische Grundlagenforschung heute aufgedeckt worden ist. Diese Freilegung des Dialektischen in der Krise der Mathematik ist aber ihrem essentiellen Charakter noch nicht wirksam in dem Sinne einer Entwicklung einer präzisen dialektischen Methodenlehre gewesen. Und das darf nicht der Mathematik zur Last gelegt werden. Hier hat die Theorie der Dialektik bis dato total versagt, und die Mathematik ist nur das Beispiel par excellence für jenes Versagen. Den Grund für jenes Scheitern kennen wir längst. Er liegt in der Geringschätzung des Formalismus. Sklavisch dem Beispiele Hegels folgend bestanden die Vertreter der Dialektik aller weltanschaulicher Observanzen darauf, das die Dialektik immer "konkret" sein müsse, und das es eine Todsünde gegen ihren Geist sei, sie in fixierte Formeln einfangen zu wollen. Also begnügen sich Idealisten sowohl wie Materialisten in brüderlicher Einigkeit zu versichern, das auch die Mathematik dialektisch sein müsse, weil eben alles, was ist, dem Gesetze des affirmierenden (und nicht negierenden) Widerspruchs unterliegt. Aber nirgends wäre es leichter das Dialektische in präzisen Formulierungen zu isolieren, wenn nicht auf dem Gebiete der natürlichen Zahl. Die Folge dieser Anti-Formulierungspsychose, an der Idealisten und Materialisten gleichmäßig kranken, ist, daß das Problem der Mathematik lebender (biologischer) Systeme in einer höchst unzureichenden Weise angegangen wird. Man reduziert die synthetische Einheit eines lebendigen Systems mit zentraler Selbstreferenz zu einem Haufen hetero-referierender, nur äußerlich miteinander verbundener Subsysteme und glaubt, wenn der Haufen nur einmal groß genug ist und damit eine enorme Kompliziertheit sich eingestellt hat, auch die Selbstreferenz sich von ganz allein melden wird. Man verwechselt dabei die Kompliziertheit eines Systems mit seiner Komplexität, da man noch nicht gelernt hat, beide genau voneinander zu unterscheiden. Daher wimmelt es in der kybernetischen Literatur von Versuchen, denen jegliche Ahnung abgeht, das zwar Bewußsein-begabtes-Leben höchster Ausdruck der dialektischen Realität ist, das aber Bewußtsein selbst unbedingt festgehaltene und in immer neuen Transfigurationen nie vergehende Form ist. Verläßt die Form den belebten Körper, dann bleibt nur noch der biblische Erdenkloß (1.Mos.II,7) übrig.

Da wir das bisherige Versagen des dialektischen Denkens in der Theorie biologischer Systeme auf den Mangel auf genauer Unterscheidung von Komplikation und Komplexität zurückgeführt haben, wollen wir diesen Unterschied hier näher definieren. Unsere klassische Logik, an der man so zähe festhält, bedient sich nur zweier Fundamentalwerte. Diese Beschränkung setzt dem Struktur-Reichtum, der mit ihr dargestellt werden kann, sehr enge Grenzen. Dieser Mangel macht sich aber kaum fühlbar, weil auch komplizierteste Gebilde mit ihr abbildbar sind, da es erlaubt ist die Zahl der Variablen, die durch die beiden Werte besetzt werden können, unbeschränkt zu vermehren. Eine solche Vermehrung läßt nur die Kompliziertheit eines Systems wachsen, weil die logischen Motive, die in ihm verwendbar sind, bereits mit zwei Variablen erschöpfend dargestellt werden können. Die Vermehrung der Variablen also erzeugt nur eine Wiederholung logischer Strukturmotive, die schon mit zwei Variablen darstellbar sind. In Tafel VII ist der Begriff 'und' auf der Basis der Aussagenlogik dargestellt. Die Werte sind durch die Zahlen 1 (positiv) und 2 (negativ) bezeichnet und p und q haben die Rolle von Variablen übernommen.

Tafel VII

p q p q

1 1 1

2 1 2

1 2 2

2 2 2

In der folgenden Tafel VIII ist die Zahl der Variablen um eine (r) vermehrt worden. Man kann sich leicht überzeugen, das in der neuen Tafel, deren horizontale Linien unter dem Strich von 4 auf 8 vermehrt worden sind, kein neues logisches Motiv auftaucht. Wir haben es nur noch einmal, aber jetzt in erweiterter Form, mit der Konjunktion zu tun, für die charakteristisch ist, das sie nur in dem einen Falle einen positiven Wert ergibt, wenn alle Variablen mit dem Werte 1 besetzt sind. Das war schon in dem Fall, das wir es nur mit zwei Variablen zu tun hatten, so und daran kann sich auch nichts ändern, wenn wir die Zahl der Variablen beliebig vermehren. Vergleichen wir die Tafeln VII und VIII noch einmal, so mag uns weiterhin auffallen (was allerdings schon Tafel VII allein zu beobachten ist), das bei der Hinzufügung einer neuen Variabel, deren Wert für einen Wertwechsel der vorausgehenden Variablen konstant bleibt. Wenn in Tafel VIII der Wert in den ersten beiden Horizontallinien

Tafel VIII

p q r p q r

1 1 1 1

2 1 1 2

1 2 1 2

2 2 1 2

1 1 2 2

2 1 2 2

1 2 2 2

2 2 2 2

für p von 1 auf 2 übergeht, bleibt er für q konstant, und wenn q in der oberen Hälfte der Tafel erst mit dem Werte 1 und dann mit dem Werte 2 erscheint, dann benimmt sich r, als ob es eine Konstante wäre. Daßelbe wiederholt sich in der zweiten Hälfte der Tafel, obgleich dieselbe jetzt erkennen läßt, das auch r eine Variable ist. Geht man zu genügend großen Systemen über, für die mehr Variable eingeführt werden als unbedingt notwendig ist, dann kann leicht der Eindruck entstehen, daß das System Konstanten besitzt, die in Wirklichkeit gar keine sind. Der Übergang an Variablen mag dann den täuschenden Eindruck erzeugen, das die Zufügung von Variablen neue logische Motive in das System einführt, während in Wirklichkeit die logische Struktur durch das ausbalancierte Verhältnis von Wert und Variablen bestimmt ist. D.h. für jeden Wert ums eine Variable zur Verfügung stehen, ohne das durch das Auftreten eines Wertes ein anderer Wert aus seiner Variablenbesetzung verdrängt wird. Hier liegt der Unterschied zwischen der Negation und solchen Funktionen wie Konjunktion, Disjunktion, Implikation usw. Die Negation ist eine Operation, für die bei beliebig vielen Werten ein Wertwechsel nur dann stattfinden kann, wenn ein Wert, der die Variable besetzt hält, aus seiner Position verdrängt wird. Das sind Eigentümlichkeiten, die jedem logischen System anhaften und aus ihnen ergibt sich, das eine bloße Vermehrung der Variablen die logische Charakteristik eines Systems nicht verändern kann. Aus ihm geht aber auch hervor, das ein System durch Hinzufügung von neuen Variablen bei gleichbleibender Zahl der Werte immer komplizierter werden kann, ohne das sich der logische Charakter des Systems im geringsten ändert.

Eine logische Änderung eines Systems und ein Auftreten noch nicht dagewesener Struktureigenschaften wird erst dann bewirkt, wenn man die Zahl der Werte erhöht. Erst dann haben wir ein Recht, von einem erhöhten Komplexitätsgrad zu sprechen. Wir sind bei unserm Vergleich vom zweiwertigen System ausgegangen. Aber wir können eine Differenz an Komplexität selbstverständlich schon feststellen, wenn wir den Schritt vom einwertigen zum zweiwertigen System machen. Der Formalismus des einwertigen Systems benötigt nur eine Variable, die den Wert trägt. In einem solchen System (wenn wir hier überhaupt schon System reden wollen) kann sich schlechterdings nichts ereignen. Von ihm kann nur gesagt werden, das es ist. Fügt man aber einen zweiten Wert dazu, so ergibt sich das Negationsverhältnis. Und in der Negation verhält sich gemäß Hegelscher Denkweise das Sein zu sich selbst. Das aber ist genau, was wir unter dem Komplexitätsgrad eines Systems verstehen; nämlich das, insofern es ist, es sich in diesem Sein nicht erschöpft, sondern auch von seinem Sein weiß.

Für dieses Sich-zu-sich-selbst-Verhalten ist die klassische Negation notwendige Bedingung. Folglich sind wir gezwungen von der Einwertigkeit zum zweiwertigen System überzugehen. Aber wenn diese Negation auch notwendige Bedingung ist und insofern den Anfang aller Reflexivität darstellt, ist sie deshalb noch lange nicht zureichende Bedingung. Das ist eine der großen Entdeckungen des transzendentalen Idealismus und deshalb spricht Hegel von einer zweiten Negativität. Will man nun diese zweite Negativität in ihren ersten Anfängen in derselben Weise darstellen, wie wir das für die Zweiwertigkeit getan haben, so ergibt sich eine neue Tafel. Aber während wir uns in Tafel VIII zu Demonstrationszwecken mit einer Funktion, nämlich der konjunktiven Wertfolge, begnügt haben, benötigen wir jetzt mindestens zwei um den Unterschied zwischen Kompliziertheit und Komplexität, wenigstens in seinen Anfängen sichtbar zu machen.

Die folgende Tafel IX gehört dem System einer dreiwertigen Logik an, und es ist selbstverständlich, das durch die Hinzufügung einer neuen Negation die logischen Konstanten, die wir schon aus der klassischen zweiwertigen Logik kennen, jetzt in einer weniger durchsichtigen Form erscheinen als wir sie bis dato gewöhnt waren. Aber die Veränderungen, die sie erleiden und die nicht durch die Zufügung einer neuen Variablen sondern durch die Addition eines weiteren Wertes bestimmt sind, sind unzureichend um durch sie die Idee der Komplexität ausreichend zu charakterisieren. Wir haben aus diesem Grunde neben die Konjunktion (K) noch zwei weitere Funktionen gestellt, von denen die zweite uns ebenfalls aus der klassischen Logik als Disjunktion (D) bekannt ist. Die dritte aber, die wir von den vorausgehenden durch eine vertikale gestrichelte Linie getrennt haben, hat in der klassischen Logik kein Vorbild. Wir nennen sie Transjunktion, weil, wie wir sehen werden, sie die Wertspanne von Konjunktion und Disjunktion transzendiert.

Tafel IX

p q p K q p D q p T q

1 1 1 1 1

2 1 2 1 3

3 1 3 1 2

1 2 2 1 3

2 2 2 2 2

3 2 3 2 1

1 3 3 1 2

2 3 3 2 1

3 3 3 3 3

Betrachtet man Konjunktion und Disjunktion zusammen, so bemerkt man, das sie einem bestimmten logischen Typ angehören; denn in jedem Falle, in dem die beiden Variablen p und q einen unterschiedlichen Wert anbieten, also entweder 1 und 2 oder 2 und 3 oder 1 und 3, verhalten sich beide Funktionen insofern gleich, als sie aus der gebotenen Alternative den einen oder den andern Wert für ihre eigene Wertfolge akzeptieren. Ihre Differenz besteht nur darin, das die Konjunktion in unsern Beispiel konsequent den zahlenmäßig höchsten Wert in sich aufnimmt und die Disjunktion ebenso konsequent immer den niedersten von den durch die Variablen an einer gegebenen Stelle offerierten Werten annimmt. Ignorieren wir die Differenz zwischen Konjunktion und Disjunktion und erinnern wir uns nur an ihre Gemeinsamkeit, dann fällt uns, wenn wir zur Transjunktion übergehen auf, das dieselbe einen neuen logischen Typ angehört. Für sie ist gleichgültig, welche bestimmten Alternativen der Wertwahl die Variablen an den sechs Stellen anbieten, an denen eine Wertwahl überhaupt möglich ist (an drei Stellen ist überhaupt keine Wahl möglich); wo immer eine solche Wahlmöglichkeit auftritt, wird sie eo ipso verworfen.

Man kann also schon in dieser primitivsten Demonstration einer Situation aus einer mehrwertigen Logik zeigen, das sich in derselben die Werte ihrer Funktionalität nach in zwei Klassen teilen lassen. D.h. jeder Wert kann entweder die Rolle eines Akzeptionswertes oder die eines Rejektionswertes annehmen. Diese Unterscheidung existiert für die klassische Logik nicht, und sie kann in einem zweiwertigen System auch gar nicht auftreten, weil eine Funktion sich in ihrer Wertfolge an jeder Stelle entweder für den einen oder für den anderen Wert entscheiden ums, soweit überhaupt eine Wahlmöglichkeit besteht. Erst in einem dreiwertigen System kann ein neuer Wert derart auftreten, das er nicht einen einzelnen Wert sondern ein ganzes zweiwertiges System durch eine gebotene Wertalternative verwirft.

Es ist zwar heute - in einer, wie wir glauben, katastrophalen Fehlentwicklung der formalen Logik - Mode geworden, die ontologischen Urbezüge des Logikkalküls zu ignorieren. Wir wollen uns aber dran nicht kehren und an das eben gesagte eine "metaphysische" Interpretation anschließen. Gemäß der Schulauffassung vollzieht sich in einer zweiwertigen Theorie des Denkens eine Beschreibung des Seins als des Ansichs, d.h. der reflexionslosen Objektivität. Treffen wir also auf eine Funktion, in der eine solche reflexionslose Objektivität, also ein zweiwertiger Strukturzusammenhang in jeglicher Form, in der er sich bietet, verworfen wird, wo also die Funktion mit dem jeweilig gegebenen Wert davon Abstand nimmt, so ist das ins Ontologische übersetzt nichts anderes als jene Grundhaltung der Seele, die zur ganzen Welt sagt: das bin ich nicht. Die Seele oder die Ichheit - falls jemand diesen Ausdruck vorzieht - ist nichts anderes als das totale und bedingungslose Abstandnehmen von allem, was "da" ist. Und man täusche sich nicht: zu diesem Da gehört wirklich alles, nicht nur die bona fide Objektivität, sondern auch die Pseudo-Objekte, die das Ich als seine Bewußtseinsinhalte erlebt. Der Kluft zwischen Seele und Ding entspricht demgemäß in der mehrwertigen Logik eine neue transzendentale Zweiwertigkeit von Akzeptions- und Rejektionswert. Diese Zweiwertigkeit geht durch alle transklassischen (mehrwertigen) Systeme hindurch, und sie nimmt, wenn man von Trinitätssystem zur Hegelschen Quadruplizität oder noch weiter geht, immer neue und subtilere Züge an. Wem diese Überlegungen verständlich geworden sind, der weiß, worum es sich bei der Unterscheidung von Kompliziertheit und Komplexität handelt. Wir mögen ein zweiwertiges System über noch so viele Variable ausbreiten, wir werden dabei nie auf die komplexere Zweiwertigkeit von Akzeption und Rejektion treffen. Erst die Einführung neuer Werte garantiert den Eintritt in höhere Komplexitäten.

Trotzdem existiert eine innere Verbindung zwischen Kompliziertheit und Komplexität. Es stellt sich nämlich schon bei einem dreiwertigen System heraus, das es seine volle Komplexität nicht zum Ausdruck bringen kann, wenn man seine Darstellung auf zwei Variable beschränkt. Stellen wir das klassische System mit zwei Variablen dar, so gibt das eine Balance zwischen Wert und Variablen. Führen wir jetzt einen dritten Wert ein ohne Erhöhung der Zahl der Variablen, so ist das neue System überbalanciert. Das hat zur Folge, das für gewisse Situationen im klassischen System kein Analog in der Dreiwertigkeit zu finden ist. Wenn in der zweiwertigen Logik jede Variable (von zweien) einen andern Wert trägt und die Funktion einen der beiden Werte sich einverleibt, so bezieht sich die Wertwahl auf den Inbegriff aller Werte, die im System vorhanden sind. Betrachten wir daraufhin das dreiwertige System, dargestellt mit nur zwei Variablen, so kann niemals eine Wertwahl stattfinden, an der die Gesamtzahl aller Werte des Systems zur Auswahl steht. Um eine solche Situation herzustellen müssen in den Wertbesetzungen der Variablen an gegebener Stelle alle drei Werte vertreten sein. Das erst entspricht genau der Situation, die im klassischen System existiert, wenn p mit dem einen und q mit dem andern Wert besetzt ist. Stellen wir mit der Einführung einer dritten Variablen im dreiwertigen System den analogen Fall dar, so ist für denselben die Plazierung eines Rejektionswertes an die betreffende Stelle der Funktion selbstverständlich ausgeschlossen, da dem dreiwertigen System in diesem Falle ja kein weiterer Wert zur Verfügung steht. Solche Wertkonstellationen können erst dann wieder der Rejektion verfallen, wenn das dreiwertige System als Sub-System eines vier- oder noch mehr-wertigen Zusammenhanges auftritt.

Da es sich an dieser Stelle nur darum handelt, die Unterscheidung von Kompliziertheit und Komplexität eines Systems sicher zu stellen, wollen wir auf die tiefere Problematik der Rejektionswerte und ihrer relativen Abhängigkeit von der Zahl der Variablen nicht eingehen. Es sei nur noch am Rande bemerkt, das wenn wir das dreiwertige System als balanciertes System, d.h. mit gleicher Anzahl von Variablen und Werten darstellen die innere Verflechtung der dreiwertigen Komplexität ganz phantastisch wächst. Im überbalancierten dreiwertigen System, in dem uns also eine Variable fehlt, beträgt die Anzahl der logischen Funktionen, wie Konjunktion, Disjunktion, Implikation und Transjunktion genau 19 683. Fügt man die fehlende Variable hinzu, steigt die Zahl auf 7625597484987. Wir wollen uns aus diesem Grunde um bei den etwas vorläufigen Bemerkungen über Mehrwertigkeit die Übersicht nicht zu verlieren wenn irgendwie möglich auf das dreiwertige System mit nur zwei Variablen beschränken.

Wir haben darauf hingewiesen, das die Unterscheidung zwischen Akzeptions- und Rejektionswert interpretativ für uns mit der von Objekt und Subjekt zusammenfällt. Damit scheinen wir dem Idealismus einen enormen Auftrieb gegeben zu haben. Denn unterteilt man im dreiwertig überbalancierten System die Wertabläufe der Funktionen nach dem Gesichtspunkt, ob sie rejektionsfrei sind oder nicht, dann stellt es sich heraus, das von den 19683 vorhandenen Funktionen nur 1728 völlig ohne Rejektionswerte sind. Die überwältigende Mehrheit von 17855 Funktionen enthält solche Rejektionen, angefangen von einer Rejektion in einem einzigen Platz bis zu dem Maximum von 6 Plätzen, wie es in unserer Transjunktion in Tafel IX dargestellt ist. Damit scheint die idealistische These sichergestellt zu sein, das die Subjektivität von höherer logischer Mächtigkeit ist als die Objektivität. Dieser flüchtige erste Eindruck aber trügt, denn die Rejektion ist eine höchst relative Angelegenheit. Betrachten wir daraufhin die Transjunktion. Der Wert, der der zweiwertigen Alternative 1/2 gegenüber als Rejektion, also als Subjektivität auftritt, ist in dem Wertverhältnis 2/3 Ausdruck von Objektivität, weil die Rejektionsfunktion diesmal von 1 übernommen ist. Aber 1 kehrt wieder in der Wertalternative 1/3 in die Dimension der Objektivität zurück, weil jetzt der Wert 2 sich als Fixationspunkt für die Subjektivität erweist. Mit anderen Worten: man kann die Werte nicht in diesem Sinne in einer Akzeptions- und Rejektions-Funktion aufteilen, das ein bestimmter Wert für ewig und allen Zusammenhängen als der Index der Subjektivität zu gelten hat. Überdies müssen wir darauf aufmerksam machen, das in unserm Beispiel jeder Wert zweimal im Objektivitätszusammenhang aber nur einmal in einer rejektiven Position auftritt.

Mit diesen Andeutungen müssen wir uns hier begnügen. Wir werden auf das Thema ohnehin einmal am Schluß zu unserer endgültigen Konfrontation von Idealismus und Materialismus zurückkommen müssen. Von dem hier angedeuteten ist im dialektischen Materialismus, soweit er sich in antithetischer Position zu der im vorausgehenden Weltanschauung befindet, nur wenig zu spüren und dort, wo er in Erkenntnisbestände übergreift, die jenseits dieser Antithetik liegen, - und das solche in beträchtlichem Masse vorhanden sind, soll ausdrücklich zugegeben werden - versagt die logische Beherrschung des Materials, weil Idealismus sowohl wie dialektischer Materialismus an dem gleichen Formbegriff und der gleichen Logik hängen, die paradoxerweise eine ihnen beiden gemeinsame Fundamentalontologie voraussetzt. Die Weiterentwicklung des dialektischen Materialismus hängt davon ab, ob er verstehen kann, das nur seine erste - heute wohl abgeschlossene Entwicklungsstufe - an dieser Fundamentalontologie orientiert ist und das sein nächstes Stadium in der Konzipierung einer transklassischen zweiten Ontologie beschlossen ist, in der die bisherige Antithese von Seele und Welt zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken ist. Mit diesem Thema wird sich unser nächster Abschnitt beschäftigen müssen.

IV.

Wir haben in unserer bisherigen Darstellung diese Fundamentalontologie des öfteren, aber immer nur mehr oder weniger im Vorübergehen berührt. Es geht jetzt darum sich genauer damit zu beschäftigen. Sie hat bis dato eine ungeheure Macht ausgeübt, die um so größer ist, als sie uns Heutigen fast aus dem Bewußtsein entschwunden ist und deshalb kaum noch der kritischen Reflexion (die ihre Wirksamkeit schwächen würde) unterliegt. Wir können ihren Spuren in gewissen Denkgewohnheiten und Vorurteilen nachgehen, an denen man rücken darf, wenn man nicht selbst für verrückt gehalten werden will. Unsere erste und alles beherrschende Denkgewohnheit beruht auf dem unerschütterlichen Glauben an den nicht überbrückbaren Abgrund zwischen Form und Inhalt, soweit derselbe diese Welt angeht. Denn wenn auch Aristoteles von einem hierarchischen Wechsel von Form und Stoff spricht, so handelt es sich doch dabei um metaphysische Zusammenhänge, die diese Welt letztlich nichts angehen. Die zweite Überzeugung, die wir als nicht mehr befragte Selbstverständlichkeit annehmen, läßt sich etwa wie folgt formulieren: Es gibt Grenzen der Rationalität, die nie überschritten werden können, und wir haben diese Grenzen im wesentlichen erreicht. Sie sind prinzipiell in der Kodifikation der klassischen Logik niedergelegt und alle angeblichen modernen Fortschritte beziehen sich nur auf Korrekturen und Verfeinerungen innerhalb dieser Grenzen. Das dritte Vorurteil, an dem wir mit verzweifelter Zähigkeit festhalten, bezieht sich auf unsere Überzeugung von der Wesensverschiedenheit von Zahl und Begriff. Wenn die Pythagoräer von einer Wesensverwandtschaft zwischen den beiden gesprochen haben, so tut man das als unkritische und zu belächelnde Phantasie aus der Kinderstube der Philosophie ab. Man tut dabei zwar sehr vornehm und spricht gelehrt von Platos Verbindung von Idee und Zahl, aber man beruhigt sich dabei, das solche Beziehungen in den metaphysischen Hintergründen des Daseins statthaben. Wenn es aber darauf ankommt sie in den konkreten Situationen des Diesseits anzuwenden, so will man davon schlechterdings nichts wissen. Wer sich getraute vorzuschlagen, die modere Hermeneutik innerhalb der Geisteswissenschaften mit Arithmetik zu behandeln, der darf sicher sein, das man ihn für geistesgestört hält. Darin hat sich bei der Ablösung des Idealismus durch den dialektischen Materialismus nichts geändert. Man kann höchstens sagen, das sich angesichts dieser drei Glaubensätze ein gewisses Unbehagen auszubreiten beginnt. Aber was das Verhältnis von Form und Inhalt betrifft, so trennt man auch hier noch die klassische tradierte Logik sauber von der Dialektik, die die konkrete Inhaltlichkeit der Welt selber darstellt und an der angeblich nichts zu formulieren ist. Darin sind sich die Hegel-Interpreten der rechten und der linken Schule noch immer einig, obgleich bei den materialistischen Denkern sich Ahnungen regen, das hier etwas nicht stimmt. So spricht z.B. der russische Logiker I.S. Narski vom "Mythos von der absolut inhaltlichen Logik" und bei der Frage nach der Formalisierbarkeit des Dialektischen stellt er nur fest: "Die heuristischen Komponenten der dialektischen Logik, d.h. aller möglichen zukünftigen Synthesen, sind nicht formalisierbar". Er weist dabei auf Nogolskis Tendenzenkalkül hin, durch den vermittels eines vierwertigen Kalküls gewisses Elemente der Hegelschen Logik schon formalisiert sind.

Interessant ist, das Narski dabei das Zukünftige vom Vergangenen trennt. Wir werden dabei an das Neunte Kapitel von Peri Hermeneias bei Aristoteles erinnert, wo im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Tertium Non Datur ein scharfer Strich zwischen Vergangenheit und Zukunft gezogen wird. Es ist selbstverständlich das man nur dort von Formalisierung sprechen darf, wo der Satz vom ausgeschlossenen Dritten anwendbar ist; also bei dialektischen Vollzügen, die schon stattgefunden haben. Hier scheint Narski also auf dem richtigen Wege zu sein. Trotzdem aber bleibt im dialektischen Marxismus das Verhältnis von formaler Logik zur Dialektik unklar. Die Konzessionen, die man in puncto Formalisierung anscheinend zu machen geneigt ist, sind nicht durch eine innere Weiterentwicklung der klassischen Logik zustande gekommen, sondern durch den Einfluß der Kybernetik auf das materialistische Denken; d.h. auf dem Wege über die generelle Maschinentheorie. Der Anschluß an die Maschine bietet der theoretischen Analyse in der Tat gewisse Vorteile. Einerseits sind die Prinzipien, auf Grund derer eine Maschine arbeitet, genau formalisierbar; andererseits aber ist eine Maschine ein materialer objektiver Tatbestand, an dem sich die Verbindung von Form und Inhalt in gewisser Hinsicht genau studieren läßt.

Andererseits darf nicht vergessen werden, das alle kybernetischen Systeme, sowohl die als physische Modelle gebauten als auch die theoretischen Entwürfe von Wissenschaftlern entworfen worden sind, die noch ausschließlich auf dem Boden der klassisch-zweiwertigen Logik denken und für die Mehrwertigkeit in ihren Berechnungen nur in Form von Wahrscheinlichkeit, bzw. Stochastik auftritt. Was also aus der Hegelschen Logik heraus destilliert werden kann, sind wieder nur Elemente klassischer Rationalität, und das solche in der Dialektik enthalten sind, hat ja noch kein vernünftiger Mensch bestritten.

Das Problem, um das es hier wirklich geht, ist ein ganz anderes. Es ums nämlich gefragt werden, ob sich aus der Dialektik Formelemente abziehen lassen, die nicht zum Bereich der klassischen Logik gehören, sondern die einem erweiterten Formsystem von transklassischer Dignität angehören. Durch das klassische Denken allein kann der innere Lebensnerv der Dialektik nicht rational verständlich gemacht werden, weil unser tradiertes Denken das logisch Wesentliche an der Dialektik überhaupt nicht einfangen kann. In anderen Worten: enthält die Dialektik präzis identifizierbare Eigenschaften, die klipp und klar erweisen, das unser bisheriges Vorurteil über die unübersteigbaren Grenzen des rationalen Denkens eben nicht weiter als eine widerlegbare Voreingenommenheit unseres Bewußtseins sind? Eine Art Lokalpatriotismus des theoretischen Ichs, das ganz vergessen hat, das es eine Vielheit der Dus gibt und das vielleicht auch das Es abgesondert von Ich und Du eine analoge Tätigkeit ausübt.

Um aber die Frage zu beantworten, ob die Dialektik außer der klassischen Formalität auch einen operierbaren transklassischen Formalismus enthält, dazu gehört eine Analyse der Strukturbedingungen des tradierten Denkens, die der dialektische Materialismus bisher nicht vorgenommen hat. De facto sind die Bemühungen des gegenwärtigen Autors, die in diese Richtung vorstoßen, bisher entweder ignoriert oder ausdrücklich abgelehnt worden. Nach dem Vorurteil über das Verhältnis von Form und Inhalt ist sich der dialektische Materialismus mit der idealistischen Tradition darüber einig, das die klassische Logik die weitesten Grenzen des rationalen, kommunizierbaren, berechenbaren Denkens absteckt. Jenseits dieser Grenze fängt das Gefühl, die Intuition und die Mystik an. Und wenn es nicht Gefühl und Mystik oder ähnliches sein soll, dann ruft man nach dem Handeln, weil das Denken angeblich jenseits seiner traditionellen Grenzlinien versagt.

Aber die Handlung, die solcherweise ins Leben gerufen wird, ist mehr ein Ausdruck der Verzweiflung und der physischen Not. Man weiß nicht weiter, aber man kann es sich nicht leisten in beschaulicher Ruhe und genüßlich auf die besonnte Vergangenheit zurückzublicken. So setzt der Anfang des dialektischen Materialismus die Handlung an die Stelle des Denkens. Ein Symptom dieser Attitüde ist die krasse Vernachlässigung der Logik und insbesondere ihrer philosophischen Seite, die die erste Stufe des dialektischen Materialismus kennzeichnet. Heute kann man allerdings Anzeichen bemerken, das diese Haltung im Verschwinden begriffen ist. Was aber immer noch eine Neu-Orientierung verhindert, ist das dritte Vorurteil, daß das bisherige materialistische Denken mit dem idealistischen teilt. Es ist, wie wir schon bemerkten, der Glaube an die Wesensverschiedenheit von Zahl und Begriff. Zwar redet man ausgiebig darüber, das gemäß Hegel zwischen Qualität und Quantität ein dialektisches Verhältnis besteht, und man weist darauf hin, das wenn quantitative Veränderungen ein für das Objekt zulässiges Maß überschreiten sie die Einheit von Quantität und Qualität sprengen. "Die Qualität hört auf zu existieren, verwandelt sich in eine grundlegend andere, die mit der veränderten Quantität eine neue Einheit bildet, welche sich in einem neuen Maß manifestiert". So sind dieser Interpretation gemäß die Konstanten der Physik ihrer logischen Struktur nach Knotenpunkte, in denen Quantität in Qualität umschlägt. Wie weit diese Deutung den Beifall der Physiker findet, soll und kann hier nicht untersucht werden; wir müssen nur bemerken, das solche und ähnliche Beispiele und wenn sie noch so richtig sind, das generelle logische Verhältnis zwischen Begriff und Zahl nicht erhellen. Hegel hat die Frage im Dritten Abschnitt des Ersten Buchs der Logik unter dem Thema "Das Maß" behandelt. Das Maß ist die dialektische Einheit von Qualität und meßbarer Größe im Sein. Der dialektische Materialismus folgt im wesentlichen dem im Dritten Abschnitt von Hegel entwickelten Gedankengang. Wichtig ist dabei besonders eine interessante Idee Hegels, die er unter dem Titel "Knotenlinie von Maßverhältnissen" abspielt. Nach allgemeineren Bemerkungen kommt Hegel dabei auch auf das System der natürlichen Zahlen zu sprechen. Wir zitieren: "Das natürliche Zahlensystem zeigt schon eine solche Knotenlinie von qualitativen Momenten, die sich in dem bloß äußerlichen Fortgang hervortun. Es ist einesteils ein bloß quantitatives Vor- und Zurückgehen, ein fortwährendes Hinzutun oder Wegnehmen, sodaß jede Zahl daßelbe arithmetische Verhältnis zu ihrer vorhergehenden und nachfolgenden hat als diese zu ihrer vorhergehenden und nachfolgenden usf. Aber die hierdurch entstehenden Zahlen haben auch zu andern hervorgehenden oder folgenden ein spezifisches Verhältnis, entweder ein solches Vielfaches von einer derselben, als eine ganze Zahl ausdrückt, oder Potenz und Wurzel zu sein." Die Beispiele, die Hegel an dieser Stelle bringt, sind teilweise aus der musikalischen Harmonielehre, teilweise aus der Chemie und schließlich sogar aus Ethik und Politik genommen. Es ist aber weder Hegel noch seinen Nachfolgern in den Sinn gekommen, von der Idee der Knotenlinie eine direkte Brücke zur formalen Logik zu schlagen. Für die Idealisten ist die Idee absurd; denn sie brächte sie ja in Verdacht die göttliche Wahrheit und ihre Offenbarung mit der Elle messen zu wollen. Für den Materialisten sollten solche Ängste eigentlich gegenstandslos sein. Das Faktum aber ist, das auch er noch einer abergläubischen Scheu unterliegt den Begriff in allzu enge Nähe mit der Zahl zu bringen.

Und doch besteht eine ganz natürliche und unmittelbare Verbindung zwischen Zahl und Begriff, wenn man sich nur von dem Vorurteil freimachen könnte, das die zweiwertige Logik eben die Logik ist. Zählt man nämlich nur bis zur Zahl 2 dann drängt sich dem Denken die tiefe Wesensverwandtschaft von Zahl und Begriff schwerlich auf. Im eigenwertigen System - wenn man hier überhaupt schon von System sprechen will - ist Zahl und Begriff überhaupt noch nicht derart unterscheidbar, das man sie in ihrer vorläufigen Entgegensetzung dann ausdrücklich als dennoch wesensverwandt zusammenbringen könnte. In der Dualität fehlt vorläufig noch das logische Moment der Vielheit, das für diesen Zweck wesentlich ist. Ja, man kann fast sagen, das im zweiwertigen System die beginnende Quantität als Vielheit eher als ein Betrug des Denkens erscheint; denn aller Henismus belehrt uns ja seit den Griechen, daß das Wahre das Eine ist. Die coincidenta oppositorum sagt nichts anderes und der Isomorphiecharakter der klassischen Logik bestätigt es auf seine Weise. Auch Hegel hat hier seinen unerfreulichen Beitrag geleistet. In der Lehre vom Begriff werden wir im Rahmen der Großen Logik ausdrücklich darauf hingewiesen, das die Zahl eine höchst unpassende Form für die Bestimmungen des Begriffs ist. Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind drei bestimmte Begriffe, "wenn man sie nämlich zählen will", bemerkt er verächtlich. Es habe sich aber ergeben, das solche verschiedene "bestimmten Begriffe vielmehr nur Einer und derselbe Begriff sind, als das sie in die Zahl auseinander fallen". Als gezählte werden die Momente des Begriffs zu "einander ganz gleichgültigen".

Es ist ganz offensichtlich, das Hegel ganz wie die ihm vorangehende Tradition das eigentliche Problem überhaupt nicht sieht. Es handelt sich gar nicht darum, das man andere Begriffe wie Allgemeinheit, Sonderheit und Einzelheit abzählt, sondern das man die Zahlen selbst als Begriffe und nicht nur als geistlose Registrierung von Quantitäten auffaßt. Tatsächlich behandelt Hegel wenigstens den Anfang der Reihe der natürlichen Zahlen gelegentlich in diesem Sinne. Dem Eins wir in seiner Darstellung der Pythagoräischen Philosophie immerhin zugestanden, das es "eine Kategorie des qualitativen Seins" ist. Und über die Zwei erfahren wir erstens, das sie "Gegensatz gegen Eins" ist, als eine qualitative und nicht quantitative Differenz. Und dann heißt es überdies, "Einheit und Zweiheit sind noch nicht Zahlen". Und von der Zweiheit erfahren wir überraschender Weise, das "die Zweiheit als Möglichkeit der Vielheit, nicht gesetzte Vielheit die Materie" ist. Wir begegnen hier einem "unvollkommenen", aber eben doch einem "Anfang der Kategorien". Alles das in dem Abschnitt über die Pythagoräer, aber mit Hinblick auf das Gesamte der griechischen Philosophie. Was die Trias nun anbetrifft, so ist ihre philosophische Relevanz in Verbindung mit der religiösen Idee der Dreieinigkeit zu bekannt, als das wir darüber viele Worte zu verlieren brauchten. Es ist aber wichtig daran zu erinnern, das Hegel in seiner Darstellung der Pythagoräischen Philosophie kommentiert, das die Trias "die Zahl (ist), worin die Monas zu ihrer Realität, Vollendung gelangt ist. Die Monas schreitet fort durch die Dyas, und mit diesem unbestimmt Vielem wieder unter die Einheit verbunden, ist sie die Trias". Nach einer Anzahl von Zitaten setzt sich dieser Kommentar mit den folgenden Worten fort: "... das Vollkommene ist Dreiheit: kontinuierlich sich selbst gleich; ungleich teilbar, der Gegensatz ist darin; und die Einheit hiervon, die Totalität dieses Unterschiedes; - wie die Zahl überhaupt, aber an der Dreiheit ist dies wirklich. Die Trias ist tiefe Form." Im Fortgang seiner Darstellung weist Hegel darauf hin, das auch die Tetras für die Phythagoräer eine besondere philosophische "Würde" gehabt hat, weil in ihr die Triade weiter entwickelt ist. Von da gehen die Pythagoräer (immer nach Hegel) gleich zur Zehn als einer anderen Form der Tetras über. Hegels Kommentar über die Folge der natürlichen Zahlen bei den Pythagoräern schließt mit der folgenden Bemerkung: "Der weitere Fortgang der Zahlen ist ungenügend. Was von den übrigen Zahlen gefunden wird, ist unbestimmter, und der Begriff verliert sich in ihnen. Bis Fünf mag wohl in den Zahlen noch ein Gedanke sein, aber von Sechs an sind es lauter willkürliche Bestimmungen."

Nachdem Hegel den Pythagoräischen Gedankengang bis zur Zahl Vier verfolgt hat und die Dekas dann gemäß der alten Tradition als die Summe von 1 2 3 4 angibt, weiß man nicht recht, was für ein Gedanke wohl noch in der Zahl fünf sein soll und warum ausgerechnet von Sechs ab der Begriff sich in den Zahlen verliert. Prüft man das, was Hegel sowohl hinsichtlich der Pythagoräischen Zahlenmystik als auch was er an eigenem Gedanklichen zum Thema sagt, so kann eigentlich nur überzeugen, wenn von Eins und von Zwei die Rede ist. Schon seine Kommentare über Dreiheit zeigen deutlich, das er die Nahtstelle nicht sieht, an der logischer Begriff und Zahl aneinander geheftet sind. Im wesentlichen dürfte daran schuld sein, und seine eigenen Aussagen bezeugen das auch, das er im Begriff der Zahl fast ausschließlich das quantitative Element sieht. Er hat wenig - wenn nicht gar kein - Verständnis für die Idee der Mathematik gehabt, die Leibniz vorschwebte. Diese Idee wird von Cassirer auf eine Weise dargestellt, die den Kern des Problems in vorbildlicher Weise an die Oberfläche bringt. Im Substanzbegriff und Funktionsbegriff lesen wir: "Die Mathematik ist ... nicht die allgemeine Wissenschaft der Größe, sondern der Form, nicht der Quantität, sondern der Qualität. Die Kombinatorik wird damit zur eigentlichen Grundwissenschaft: sofern man unter ihr nicht die Lehre von der Zahl der Verbindungen gegebener Elemente, sondern die universelle Darstellung der möglichen Weisen der Verknüpfung überhaupt und ihrer wechselseitigen Abhängigkeit versteht. Wo immer eine bestimmte Weise der Verknüpfung gegeben ist, die wir in gewissen Grundregeln und Axiomen aussprechen können, da ist im mathematischen Sinne ein identisches 'Objekt' fixiert. Die Relationsstruktur als solche, nicht die absolute Beschaffenheit der Elemente macht den eigentlichen Gegenstand der mathematischen und Betrachtungs- und Untersuchungsweise aus. Zwei Urteilskomplexe, von denen der eine etwa von Geraden und Ebenen, der andere von Kreisen und Kugeln eines bestimmten Kugelgebüsches handelt, gelten vom Standpunkt dieser Betrachtungsweise einander als äquivalent, sofern sie denselben Gehalt begrifflicher Abhängigkeiten bei einem bloßen Wechsel der anschaulichen 'Subjekte', für welche die Abhängigkeiten ausgesagt werden, in sich schließen. In diesem Sinne lassen sich die 'Punkte', von denen die gewöhnliche Euklidische Geometrie handelt, nach einander mit Kugeln und Kreisen, mit inversen Punktpaaren eines hyperbolischen oder elliptischen Kugelgebüsches oder auch mit bloßen Zahlentripeln ohne spezifische geometrische Bedeutung, vertauschen, ohne das der deduktive Zusammenhang der einzelnen Sätze, die wir für diesen Punkt entwickelt haben, dadurch in sich selbst verändert würde. Dieser Zusammenhang bildet somit eine eigene, rein formale Bestimmtheit, die sich von der materialen Grundlage, an der sie jeweilig auftritt, loslösen und für sich in ihrer Gesetzlichkeit feststellen läßt. Die besonderen Elemente werden in der mathematischen Begriffsbildung nicht nach dem, was sie an und für sich sind, sondern stets nur als Beispiele für eine bestimmte, allgemein gültige Form der Ordnung und Verknüpfung erfaßt: die Mathematik zum mindesten kennt an ihnen kein anderes 'Sein' als dasjenige, das ihnen kraft der Teilhabe an dieser Form zukommt. Dieses Sein allein ist es, das in die Beweisführung, in den Prozeß des Folgerns und Schließens eingeht und das somit der vollen Gewißheit zugänglich ist, die die Mathematik ihren Objekten verleiht."

Von diesem Abschnitt, den wir seiner enormen Wichtigkeit wegen fast in seinem vollen Umfang zitiert haben, ist als nicht vorbildlich für die Darstellung des Wesens der Mathematik nur der allerletzte Passus auszunehmen, wo von der vollen Gewißheit die Rede ist, die die Mathematik ihren Objekten verleiht." Von diesem Abschnitt, den wir seiner enormen Wichtigkeit wegen fast in seinem vollen Umfang zitiert haben, ist als nicht vorbildlich für die Darstellung des Wesens der Mathematik nur der allerletzte Passus auszunehmen, wo von der vollen Gewißheit die Rede ist, die die Mathematik ihren Objekten verleiht. Man bedenke, das diese Sätze vor 1910 geschrieben worden sind, als man noch weit davon entfernt war, die mathematische Grundlagenkrisis in ihrem vollen Umfang zu begreifen und wo den Mathematikern und Logikern in einer damals nicht so schnellebigen Zeit noch Henri Poincare's Triumphruf auf dem Mathematikerkongreß in Paris im Jahre 1900, das endlich vollkommene mathematische Strenge erreicht sei, in den Ohren klang. Worauf es hier ankommt ist, das die Mathematik nicht eine Wissenschaft von Quantitäten sondern von Qualitäten ist und das insbesondere die Lehre von der Zahl sich am wenigsten mit der Anzahl der Verbindungen von simplen Einheiten befaßt, wie das Hegel meint, wenn er sagt, das irgend eine beliebige Zahl, etwa fünf "ein ganz äußerliches Zusammengefügtsein des beliebig wiederholten Gedankens Eins" ist. Die Mathematik ist vielmehr die Lehre von der universellen Darstellung der möglichen Weisen der Verknüpfung. D.h. aller logischen Beziehungen, die zwischen gesondert erfaßten Bestimmungen des Seins auftreten können. Die nicht abzählbare Unendlichkeit der Reihe der natürlichen Zahlen entspricht der im gleichen Sinne unendlichen Menge der möglichen Bestimmungen oder Prädikate des Seins. Und insofern als einem qualitativen Seinsprädikat immer ein logischer Wert entsprechen ums, ums die Zahl der logischen Werte, die in den Seinsgesetzen (nicht in den Denkgesetzen des Bewußtseinsraums) involviert sind, unendlich sein. Die reine Anzahl der Werte hat also insofern schon logische Relevanz, als mit ihrem Anwachsen der kombinatorische Reichtum der logischen Relationen steigt, die sich in ihnen realisieren. Was hier für die Werte gesagt wird, gilt im gleichen Maß für die steigende Anzahl der Variablen, die in mehrwertigen Systemen benötigt werden um die logischen Eigenschaften dieser Systeme sichtbar zu machen. Es ums zu denken geben, wenn ein zweiwertiges System nur 16 Fregekonstanten hat, diese Zahl schon durch Zufügen eines einzigen Wertes auf 19683 anschwillt, bei zusätzlicher Addition einer dritten Variablen aber die arithmetische Größenordnung von ?????????????????? erreicht. Das ist, wie man sieht, eine 13stellige Zahl. Geht man zu einem vierwertigen System über und balanziert daßelbe wieder durch die Addition einer vierten Variablen, so ist die Zahl der Funktionen, die den 16 Fregekonstanten der zweiwertigen Logik entsprechen, nur noch durch eine zahl auszudrücken, die aus mehr als hundert Ziffern besteht. Fügt man nun noch 2 oder 3 Werte und Variable dazu, haben wir schon mit 1000ziffrigen Zahlen zu tun. In andern Worten: die Größenordnung steigt so rapide, daß das rein quantitative Anwachsen durch praktisch endloses Hinzufügen von Einheiten nach dem Muster von 1 - 1 - 1 ... - n irrelevant geworden ist. Das Gleiche gilt für das Anwachsen der Negationen. In einem zweiwertigen System begegnen wir nur zwei Werten, mit denen eine Variable besetzt werden kann; im dreiwertigen System entwickeln sich daraus 6 Wertkonstellationen; im vierwertigen sind es schon 24. Allgemein gesagt entspricht das Anwachsen der Negationskonstellationen der Fakultätsfolge der natürlichen Zahlen n! 1 2 3 ... n. In einer anderen Abhandlung hat der Autor gezeigt, das für eine Darstellung der strukturellen Minimalbedingungen der Hegelschen Theorie des objektiven Geistes ein Wertskelett von 55 Werten notwendig sei. Das ist das absolute Minimum, mit dem sich nur die allerflüchtigsten Umrisse des Prozesses der Objektivierung des Geistes skizzieren lassen und die nur allerdürftigsten Ansprüchen genügt. Trotzdem beträgt in diesem Fall die Zahl der Negationskonstellationen 1.26964 x 1073. Wir befinden uns hier noch in relativer Nähe zu Bemermanns Limit, gemäß dem kein System - weder künstlich noch lebend - mehr als 2 x 1047 Informationsleiter per Sekunde und per Gramm seiner eigenen Masse prozessieren kann. Bremermann nennt diese Zahl selber "klein", und W.Ross Ashby spricht von ihr in einer Abhandlung über die Funktionen des Zentralnervensystems als "little more than an infinitesimal". Er hat einiges Recht dazu, denn er jongliert in demselben Zusammenhang mit Zahlen wie 21000 000 und 10300 000, und 1047000. Es sollte evident sein, das, wenn solche Zahlendifferenzen noch irgend einen Sinn haben sollen, der betreffende im Qualitativen und nicht im Quantitativen liegt.

Diesen flüchtigen Andeutungen über mögliche unentdeckte Beziehungen zwischen Zahl und Begriff müssen uns an dieser Stelle genügen, denn es kommt uns nur darauf an aufmerksam zu machen, das sowohl der Idealismus als auch seine Widerspiegelung im dialektischen Materialismus eine merkwürdige Scheu zeigen sich mit dem Verhältnis von Zahl und Begriff zu befassen. Weder ist es der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik, obwohl sie sich dauernd mit Systemen von geradezu unvorstellbarer Komplikation und Komplexität befaßt, eingefallen von solchen Beziehungen wie der Winzigkeit des Bremermannschen Limits in seinem Verhältnis zu der Kolossalheit des informativ zu bewältigenden Stoffes Kenntnis zu nehmen, noch hat sich der dialektische Materialismus bisher mit der Theorie der Mehrwertigkeit, die direkt auf diese Problematik hinführt, ernsthaft beschäftigt. Einerseits versucht man, sich mit der höchst unsicheren Methode des intuitiven Verstehens zu behelfen, die auf einem historischen Konsensus beruht, dessen Vorhandensein mehr oder weniger eine geschichtliche Zufälligkeit ist, andererseits haben sich bisher weder Idealisten noch Materialisten in dem Sinne, wie er hier vorgezeichnet ist, mit der Theorie der Mehrwertigkeit beschäftigt. Bezeichnend dafür ist die Aussage eines Materialisten, der im europäischen Osten eine einflußreiche Rolle spielt. Er gibt zwar zu, das "die klassische Logik, die nur mit absolut wahren und absolut falschen Aussagen arbeitet, d.h. mit Wahrheitswerten, die nur in einem schmalen Bereich der Aussagen verwirklicht sind, einer Ergänzung durch eine Logik der relativen Wahrheit und relativen Falschheit bedarf ... " Solche Elemente der Relativität "sind zweifellos in den mehrwertigen Logiken enthalten". Es bleibt also bei der alten zweiwertigen Logik mit den absoluten Grenzwerten von wahr und falsch und die angebliche Mehrwertigkeit ist nur die Skala eines allmählichen Überganges von der negativen zur positiven und von der positiven zur negativen Grenze. Hier wehrt man sich noch gegen die Möglichkeit eines dritten Wertes, der jenseits von wahr und falsch liegen könnte und der die ganze klassische Alternative von wahr und falsch als Gesamtsystem verwirft. Soweit Mehrwertigkeit überhaupt zugelassen wird, geschieht das nur im Sinne einer wachsenden Kompliziertheit, für die das klassische Denken ja durchaus genügt, das Problem der strukturellen Komplexität als unterschieden von bloßer Kompliziertheit tritt aber überhaupt nicht in den Gesichtskreis der bisherigen materialistischen Logik.

Das wird deutlich an dem Buch über mehrwertige Logik von A.A. Sinowjew, das wir nach der gekürzten deutschen Ausgabe zitieren. Auch dieses Werk hält an der idealistischen Grundkonzeption fest, nach der alle formale Logik eine Logik des zweiwertigen Bewußtseinsraums ist, aus dem das Denken in Form von Aussagen hervortritt. Aber "das Entdecken der Mehrwertigkeit der Aussagen gestattet es Korrektive in logischen Theorien einzuführen, dem Sinn nach verwandte logische Zeichen zu unterscheiden und neue Zeichen zu definieren. Hierdurch wird auch das scheinbare Abweichen von den logischen Gesetzen geklärt. Es gibt eine und nur eine Logik für beliebige Wissenschaften und für beliebige Bereiche der Erkenntnis". Die eine Logik, von der hier die Rede ist, ist selbstverständlich wieder die klassische und Mehrwertigkeit soll nur dazu dienen innerhalb ihres Rahmens Differenzen und Verfeinerungen zu entwickeln, die sich aus dem einfachen Gegensatz 'Wahr und Falsch' nicht ergeben können. Der russische Autor kommt nicht auf die Idee, das die klassische Logik die einer toten Objektivität ist und das man dadurch, das man diese Theorie des Denkens beliebig verfeinert, nie über den Bereich der Objektivität hinauskommt. Es ist bezeichnend, das er seine Auffassung der Mehrwertigkeit nicht in eine positive Beziehung zur Dialektik bringen kann. Denn Dialektik ist - wie man anderweitig im Materialismus längst weiß - der Index dafür, das wir in einer Welt leben, deren wissenschaftlicher Begriff sich nicht in der Idee der toten Objektivität erschöpfen soll, sondern das wir einem Universum angehören, das sowohl Subjekt als Objekt ist. Die Addition der Komponente Subjektivität aber bedeutet, daß das System der Logik überhaupt nicht in einen Bewußtseinsraum eingeschlossen sondern über den Gegensatz von Ich, Du und Es distribuiert sein ums. Auch bei der Sinojew'schen Auffassung der Mehrwertigkeit spielt das Verhältnis von Zahl und Begriff keine ernsthafte Rolle, weil die Vielheit der Bewußtseinsräume, die sich unter dem Titel Du verbirgt, bei der Verfeinerung der klassischen Logik keine Rolle spielen kann. -

Wir jetzt endlich so weit zu dem letzten und tiefsten weltanschaulichen Grund vorzudringen, in dem der Idealismus und der ihm antithetisch gegenüberstehende Materialismus sich letztlich einig sind. Als noch relativ vordergründige Symptome dieser Einigkeit haben wir dreierlei Übereinstimmungen dieser angeblich so unvereinbaren Weltanschauungen angeführt. Sie betrafen erstens die gleiche Attitüde gegenüber dem Form- und Inhaltsproblem, die sich darin ausdrückte, das sich beide Parteien bis dato mit gleicher Leidenschaftlichkeit gegen die Idee gewandt haben, das man die Hegelsche Logik und überhaupt die Dialektik formalisieren könne. Dem Idealismus bleibt nichts übrig als an diesem Dogma bis zum bitteren Ende festzuhalten, während sich beim Materialismus gemäß unserer These, das er sich auf eine zweite Stufe hin entwickelt, bereits schüchterne Ansätze dafür zeigen, das hier etwas in Wandlung begriffen ist. Die zweite Position, die auf eine tiefere Gemeinsamkeit der beiden Gegner hinweist, ist die heute noch überall geteilte Überzeugung, das die absoluten Grenzen theoretischer Rationalität bekannt sind und ein für alle Mal feststehen. Sie sind definiert durch die Grundgesetze der klassischen zweiwertigen Logik als einer Theorie der reinen Objektivität. Dieser Objektivität gegenüber tritt das Subjekt nur als die Quelle des Irrtums auf; und als solche ist Subjektivität nie formalisierbar. Das dritte und vielleicht stärkste Vorurteil, daß das Denken auf beiden Seiten lenkt, ist die These von Wesensfremdheit von Zahl und Begriff, über die auf beiden Seiten ebenfalls Einmütigkeit herrscht.

Diese weitgehende Übereinstimmung wird verständlich, wenn wir den dialektischen Materialismus erster Stufe als eine Widerspiegelung des Idealismus mit negativem Wertvorzeichen auffassen. Eine Spiegelung ist eine Wiederholung des Urbildes im Abbild. Das setzt aber voraus, das die Eigenschaften des Urbilds im Abbild noch einmal auftreten. Und die Negation, die Urbild und Abbild von einander trennt, besagt nichts weiter als das trotz gleicher Bestimmungen die beiden doch nicht dieselben sind. Das ist auch der tiefere Sinn jener Behauptung von Reinhold Baer, das zwar jede Aussage von ihrer Negation verschieden ist, das aber kein wesentlicher Unterschied zwischen positiven und negativen Aussagen, sogar schärfer: zwischen einer Aussage und ihrer Negation besteht. Baer selbst nennt das einen "merkwürdigen Sachverhalt, das zwei wohl unterschiedene Dinge in allem Wesentlichen übereinstimmen", aber so sehr merkwürdig ist dieser Tatbestand nun wieder nicht, wenn man bedenkt, daß das Negationszeichen lediglich der Ausdruck dafür ist, das ein Sachverhalt, der ursprünglich in einem ontologischen Ort beheimatet war, durch die Negationsoperation in eine andere ontologische Dimension transferiert wird. Der Inhalt des Übertragenen wird durch diese Übertragung überhaupt nicht berührt. Man denke dabei an das von Hegel am Anfang der Logik dargestellte Verhältnis von Sein und Nichts und an die Negation als einen Prozeß, der die gegebenen Bestimmungen aus der einen ontologischen Leerform in die andere transportiert. Der Widerspruch bezieht sich dann überhaupt nicht auf das Inhaltliche, sondern darauf, das wenn die verneinte Bestimmung in dem ersten ontologischen Ort, genannt 'Sein' lokalisiert ist, dann kann sie nicht im Nichts gefunden werden. Und wenn wir sie in der Leerform des Nichts aufdecken, dann werden wir sie im Sein vergeblich suchen. Wir sind diesem Verhältnis schon längst bei der Analyse der Platonischen Dialogstruktur begegnet. Wenn die Subjektivität im Ich eingenistet ist, dann werden wir sie vergeblich im Du suchen, das uns als Objekt begegnet. Wenn wir aber stipulieren, das ein gegebenes Du die jeweilige Subjektivität ist, dann müssen wir darauf verzichten ihr im Ich zu begegnen, weil das letztere ins Ansich hineingesunken ist.

Die historische Notwendigkeit und Legitimität des dialektischen Materialismus erster Stufe ergibt sich daraus, das eine Weiterentwicklung des philosophischen Denkens überhaupt nicht möglich ist, ohne das sich der Idealismus in seiner eigenen Negation noch einmal wiederholt. Darin liegt seine Aufhebung und sein Ende. Diese Wiederholung aber zeitigt implizite trans-idealistische Resultate, die über den antithetischen Gegensatz von Idealismus und Materialismus hinausgehen, die aber vom dialektischen Materialismus, obgleich sie in seiner Literatur pseudo-morphisch auftauchen, überhaupt noch nicht systematisch verarbeitet sind, weil sie den polemischen Intentionen dieser Philosophie nicht entsprechen. Die heutige Intention des dialektischen Materialismus geht in jeglicher Hinsicht darauf aus, den Idealismus zu bekämpfen und ihn als ontologische Fehlleitung des Denkens zu dekouvrieren. Wenn sich aber zwei Systeme derart kontradiktorisch gegenüberstehen und auf ihre philosophischen Fragen gegenteilig Antworten geben, so wird es schließlich unvermeidlich darüber eine Untersuchung anzustellen, welchen Charakter eigentlich jene Fundamentalontologie hat, aus deren Wesen sich jene primordiale Fragen ergeben, über deren unterschiedliche Beantwortung man sich zu Todfeinden entwickelte. Dieser Streit demonstriert vor allem Eins: nämlich wie felsenfest beide Parteien an die Legitimität des Problems glauben, um dessen Lösung sie kämpfen und wie einig sie über die Berechtigung jenes Fragens sind, über dessen Beantwortung sie sich nicht einigen können.

Wir haben heute in der Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens längst den Punkt überschritten, wo die Verschiedenheit der Antworten noch irgend ein "metaphysisches" Interesse hat. Was allein interessiert, ist die Identität der Problemstellung. Und wenn der dialektische Materialismus das Tor zu einer zukünftigen Philosophie öffnen will, dann ist es erst einmal seine Aufgabe sich aus dieser Gemeinsamkeit der fundamental-ontologischen Voraussetzungen zu lösen und damit auch jene Bruderschaft mit dem Idealismus abzustoßen, die darin besteht, das man der Wirklichkeit die gleichen philosophischen Fragen vorlegen ums. Gegen diesen Schritt bestehen aber heute noch enorme emotionale Widerstände, weil man damit seinen Feind verliert. Auch das ist ein Verlust, wenn die Gegnerschaft zum Idealismus zu einer gleichgültigen und historisch erledigten Angelegenheit wird.

Worin aber besteht nun jene Problemsituation, an die beide Seiten mit größter Selbstverständlichkeit glauben und die zwei logisch gleichberechtigte Wirklichkeitsbeschreibungen hervorruft und das auf eine derartige Weise, das die eine die andere aus dem geistesgeschichtlichen Raum verdrängen ums, weil sie sich diametral widersprechen und deshalb unmöglich nebeneinander bestehen können. Unserer Antwort darauf ums die Bemerkung vorausgeschickt werden, das der Tatbestand, um den es hier geht, unvergleichlich einfach ist, weil es sich um elementarste Grundvorstellungen der Welt handelt, andererseits aber in der Geistesgeschichte in höchst verklausulierter und umwegiger Darstellung erscheint, weil er mit bisherigen Denkmitteln nicht lösbar war und die theoretische Reflexion deshalb immer wieder verzweifelte Anstrengungen machte sich denselben zu verbergen. Sowohl der Idealismus wie der dialektische Materialismus machen in ihren höchst entwickelten Formen ausdrücklich den Anspruch Monismen zu sein. Wird postuliert, das die Einheit der Welt in ihrer Idealität besteht, die sich in dem Apex der Platonischen Ideenpyramide konzentriert, oder in der Weltherrschaft eines einzigen Gottes, so sprechen wir von idealistischem Monismus; wird aber davon ausgegangen, das die Einheit der Welt in ihrer Materialität besteht, dann ist von materialistischem Monismus die Rede. Was beiden Philosophien hier gemeinsam ist, ist eine bestimmte Vorstellung von dem Einheitscharakter der Wirklichkeit, um dessen Deutung sie sich letztlich entzweit haben. Beide Philosophien sind sich völlig einig darüber, das die Wirklichkeit eine logische Kontinuität darstellt. D.h. die Wirklichkeit ist ein Daseinszusammenhang, der überall grundsätzlich zugänglich ist. Es gibt also keine Weltorte, zu denen man nicht "hingehen" könnte. Wobei diese Zugänglichkeit sowohl im Physischen wie im Geistigen gemeint sein kann. Wir wollen einen solchen Zusammenhang eine Universalkontextur oder kurz Kontextur im Gegensatz zu dem auch sonst gebräuchlichen Ausdruck Kontext nennen. (Der exakte Unterschied zwischen Kontext und Universalkontextur wird weiter unten angegeben werden.) Wenn wir solche Ausdrücke wie Welt, Wirklichkeit oder das All im täglichen Sprachgebrauch benutzen, dann reden wir ohne es zu wissen von einer Universalkontextur. D.h. von einem Zusammenhang, indem es keine Brüche gibt. Es ist unvorstellbar, das die Wirklichkeit Löcher hat. Wir können uns schlechterdings nicht vorstellen, das etwas zwischen unserer Erde und irgend einem Sternensystem, das Milliarden von Lichtjahren entfernt ist, Stellen existieren, in denen schlechterdings Nichts ist. Sogenannter leerer Raum ja; aber das ist schon "etwas". Und alles andere als reines Nichts. Im leeren Raum gibt es ja zum mindesten Entfernungen. Das sind Bestimmungen und bei Hegel lesen wir ja deutlich genug, das eine Bestimmung immer 'etwas' bestimmt, also eine Selbstbestimmung ist. Das bisher gesagte könnte nun den Eindruck erwecken, das hier von einer elementaren Denknotwendigkeit die Rede ist, über die man sich nicht entzweien kann, weil es schlechthin gar nicht möglich ist anders zu denken. Aber in der Idee der Universalkontextur, die von beiden Seiten einmütig vorausgesetzt werden ums, steckt so wie der Idealismus und der Materialismus sie verwenden noch eine zweite Voraussetzung, über die sich der Idealismus und der dialektische Materialismus in seiner bisherigen Gestalt ebenfalls einig sind. Für beide ist die Welt ein mono-kontexturaler Zusammenhang. D.h. auch bei dem Zurückgehen auf primordialste ontologische Zusammenhänge ist nur eine Kontextur zu entdecken.

Die Entzweiung der beiden Weltanschauungen leitet sich jetzt davon ab, das der empirische Befund, dem wir in unserm Dasein begegnen, dieser mono-kontexturalen Theorie kraß widerspricht. Wir wissen aus täglicher Erfahrung genau, das es in dieser Welt ontologische Orte gibt, zu denen man nicht "hingehen" kann. Es ist uns schlechterdings unmöglich, uns die Subjektivität eines Du anzueignen. Wir können es nur von außen betrachten und seine Emotionen eventuell mitfühlen, aber wir können sie nicht unmittelbar fühlen. Und nur im Märchen kann sich die Seele in ein Ding verwandeln oder ein Ding plötzlich anfangen zu sprechen. Diese primordialen Risse zwischen Subjekt und Subjekt und zwischen Subjekt und Objekt sind der Philosophie von altersher bekannt gewesen. Zu ihrer Erklärung stipuliert man eine zweite Universalkontextur und brachte sie mit der ersten durch solche Termini wie Diesseits und Jenseits, Sinnliches und Übersinnliches oder in Indien Samsara und Nirvana zum Ausdruck. Diesen Gegensätzen gegenüber äußerte sich der mono-kontexturalistische Denkzwang in der Form, das man darauf bestand, das nur eine Kontextur das Wirkliche beinhalte, die Bestimmungen der anderen Ausdruck der Illusion, des Truges und einer Scheinwelt seien. Für alle Weltreligionen und den Idealismus ist das Jenseits die Welt des Realen und die Scheinrealität dieser Welt wird spätestens am Tag des Jüngsten Gerichts im Nichts vergehen. Demgegenüber hat der Materialismus schon in seinen ersten Anfängen darauf bestanden, das die Dimension des Realen das Diesseits sei und ein Jenseits nur als fiktiver Ort aller Mythologeme und schweifender Phantasien zu bewerten sei. In beiden Fällen bleibt das Dogma von der Mono-Kontexturalität alles Wirklichen erhalten.

Noch bei Hegel setzt sich diese mono-kontexturalistische Tradition in einem verblaßten Sinne fort. Wenn er am Anfang der Großen Logik von dem reinen unbestimmten Sein und der vollkommenen Leerheit des reinen Nichts spricht, so sind in beiden Fällen Universal-Kontexturen gemeint, die in ihrer totalen Bestimmungslosigkeit miteinander vertauschbar sind. Die Tendenz zur Monokontexuralität aber setzt sich in seiner Terminologie durch. Die eine Kontextur bezeichnet das Sein und die andere eben nur Nichts. D.h. nur in einer Kontextur designieren die Bestimmungen, die in sie eingehen können, Realität; in der andern aber Nichts. Auf keinen Fall können sie in beiden Kontexturen zugleich Wirklichkeit bedeuten. Aber da Sein und Nichts als Leerformen ja vertauschbar sind, ist es nicht auszumachen, auf welche der beiden der Realitätsakzent fällt. Wenn wir sagen, das die Bestimmungen im Nichts die wahre Wirklichkeit bedeuten, dann sind diejenigen, die das Sein erfüllen, bloßer Schein und Unwirklichkeit, und umgekehrt. Bestimmungen setzen bedeutet also ein Rangverhältnis konstituieren, das zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit ausgespannt ist. Der Idealismus und Materialismus stellen kontradiktorische Entscheidungen dieses Rangverhältnisses dar, in dem die eine Universalkontextur (es fragt sich nur, welche!) selber letzten Endes zur Nullität verdammt ist, weil sie keine Bestimmungen aufnehmen kann, denen Realität entspricht. So bleibt die Mono-Kontexturalität der klassischen Tradition auch bei Hegel noch gewahrt. Denn schon auf der Stufe des Daseins ist das Nichts ganz im Sein aufgesogen. "Dasein ist, nach seinem Werden, überhaupt Sein mit einem Nichtsein, sodaß dies Nichtsein in einfache Einheit mit dem Sein aufgenommen ist. Das Nichtsein so in das Sein aufgenommen, daß das konkrete Ganze in der Form des Seins, der Unmittelbarkeit ist, macht die Bestimmtheit als solche auf. "

Dieser ontologischen Situation entspricht auf das Genaueste der Charakter der klassischen Logik mit einem designierenden und einem nicht-designierenden Wert. Der Negationsmechanismus, isoliert betrachtet, läßt offen, welcher der designierende, realitätsbezogene Wert sein soll. Jedenfalls darf es nur einer sein, woraus sich die oben gekennzeichnete Situation ergibt. Diese Logik mit nur einem auf das positive Sein hinweisenden Wert reicht völlig aus, um die theoretischen Strukturen, die im Rahmen einer Universalkontextur entwickelbar sind, anzugeben. Das dabei die Negation mit a-thematischem Akzent benötigt wird, ist selbstverständlich, denn während der positive Begriff thematisch bestimmt, obliegt es der Negation die Grenze und das Abbrechen der Bestimmungsfunktion anzugeben. Bei alledem darf aber nie vergessen werden, das es immer offen bleibt, welcher Wert ontologisch betrachtet der "wahre" positive Wert sein soll. Für eine Philosophie, die Wahrheit, Wert und Wirklichkeit in ein transzendentes Jenseits verlegt, stellt der Wert, der empirisch der negative ist, immer die wahre Positivität des Absoluten dar. Die Diesseitsphilosophie des dialektischen Materialismus hat diese subtile Umkehrung nicht nötig. Das ist einerseits ein Vorteil, aber es ist auch ein Nachteil, insofern diese Philosophie auf ihrer ersten Stufe den ganzen tiefen Reichtum des Idealismus nicht wiedergeben kann. Das ums auf der zweiten Stufe nachgeholt werden.

Mit dem bisher Gesagten über Sein als universale Leerform und das Umtauschverhältnis von Affirmation und Negation auf dem Boden der traditionellen Logik bleibt das genaue Verhältnis zwischen Wertlogik und Universalkontextur allerdings noch weitgehend unbestimmt. Wir wissen ja aus unserer theoretischen Erfahrung, das die Logik die rationalen Beziehungen der Weltinhalte in ihrem relationalen Zusammensein beschreibt. Worin liegt also, so fragen wir, der Unterschied zwischen der klassischen Logik als Repräsentation der Mono-Kontexturalität der Wirklichkeit (Kontinuum-Problem) und ihrer Darstellungsfähigkeit für die intra-kontexturalen Inhaltsbeziehungen? Wer die Geschichte der abendländischen Logik kennt, der wird kaum überrascht sein zu hören, das hier das Tertium Non Datur die entscheidende Rolle spielt. Wir begegneten ihm schon einmal als dem logischen Kriterium der Trennung zwischen Vergangenheit und Zukunft, - eine Trennung, die mit der Anwendbarkeit oder nicht Anwendbarkeit des TND zusammenfiel. Fragen wir aber nach dem Charakter der Unterscheidung zwischen der Universalkontextur selbst und den Inhalten, mit denen sie erfüllt werden kann, d.h. nach dem Wesensunterschied von Form überhaupt und ihrem materiellem Gehalt, so stoßen wir wieder auf zwei grundsätzlich verschiedene Aspekte des Drittensatzes, die noch über die Frage seiner Anwendbarkeit, bzw. Nichtanwendbarkeit hinausgehen.

In einer interessanten Studie, betitelt Das Problem des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, hat Paul Hofmann es als einen Mangel in der herkömmlichen Fassung des TND bezeichnet, das für die letzte, universalste Spannweite des logischen Gegensatzes zwischen Affirmation und Negation kein übergeordneter Bestimmungsgesichtspunkt angegeben wird, unter dem sich die beiden Werte gegenseitig ausschließen. Eine adäquate Formulierung dieses fundamentalen Prinzips der klassischen Logik müsset zum Ausdruck bringen, "das die Bestimmungen, zwischen denen der Satz seine ein Drittes ausschließende Alternative stellt, unter einem dem zu bestimmenden (möglichen) adäquaten Gesichtspunkt getroffen sein müssen". An dieser Forderung ist etwas richtig und etwas anderes sehr falsch. Richtig daran ist, das sich die Alternativen des TND nur dann als sinnvoll begreifen lassen, wenn ihnen ein übergeordneter Bestimmungsgesichtspunkt gegeben wird, aus dem sie ihren antithetischen Bedeutungszusammenhang herleiten. Wenn wir also etwas sagen: der Angeklagte ist schuldig oder nicht schuldig, oder eine geometrische Figur ist entweder dreieckig oder nicht dreieckig, so ist der übergeordnete Bestimmungsgesichtspunkt im ersten Fall strafrechtlich und im zweiten Fall wird er uns durch das System der Geometrie gegeben. Es läßt sich nun ganz allgemein sagen, das die Hofmannsche Forderung immer dann zurecht besteht, wenn wir es mit den inhaltlichen Bestimmungen einer Kontextur zu tun haben. Und in der Anwendung der klassischen Logik auf interkontexturale Relationen werden solche Bestimmungsgesichtspunkte, unter denen der Drittensatz sinnvoll wird, ja auch immer explizit oder implizit vermerkt. Es darf aber nicht vergessen werden, das mit dieser Praxis unsere Logik niemals als ein rein formales System erscheint, sondern materiell belastet ist. Der Übergang vom endlichen empirischen Kontext besteht aber gerade darin, das es unmöglich geworden ist, für die letzte Alternative noch eine übergreifende logische Kategorie als denkbar zu formulieren. Dieser Punkt ist mit der Hegelschen Alternative von Sein und Nichts erreicht. Wenn nämlich Sein das All selber, d.h. Alles, ist und ihm nur noch Nichts gegenübersteht, dann ist es unmöglich einen verbindenden Sinnzusammenhang zu entdecken; denn derselbe beruht ja unter allen Umständen darauf, das in der Verneinung stets eine verborgene Bejahung ruht. Omnis determinatio est negatio - man kann aber auch sagen: omnis negatio est determinatio.

Dies ist die letzte logische Unterscheidung von Inhalt und Form. Soweit sich der Satz des ausgeschlossenen Dritten durch übergeordnete Bestimmungsgesichtspunkte im Sinn eines angebbaren positiven Kontextes definieren läßt, haben wir es noch nicht mit der reinen Form der Universalkontextur zu tun. Sinnbestimmungen eines Kontextes bedeuten immer Inhaltlichkeit, obgleich ihnen relativ gegenüber dem Einzelfall eine gewisse relative Allgemeinheit zukommen kann. Eine Universalkontextur aber vertritt eine höhere Allgemeinheit, die dort, und nur dort, eintritt, wo wir einem "Kontext" begegnen, dem gegenüber es unmöglich ist, eine Überdachung seiner Gegensätze durch ein umfassenderes logisches Prinzip einzuführen. Ein solcher "Kontext" ist eben kein Kontext mehr sondern eine Kontextur. Dabei läßt sich der Unterschied von Kontext und Kontextur noch auf die folgende Weise weiter beschreiben. Ein Kontext hat ein unmittelbares Verhältnis zu der Inhaltlichkeit der Einzeldaten, die in ihm verbunden sind, weil er selbst noch inhaltliche abgeschwächte Positivität besitzt, obgleich er qua Kontext relationale Form ist. Die Universalkontextur aber hat kein unmittelbares Verhältnis mehr zu der Inhaltlichkeit des konkreten Einzeldatums. Sie bezieht sich direkt nur noch auf den Kontext. Sie ist eine logische Leerform mit unbeschränkter Aufnahmefähigkeit für alle überhaupt möglichen Kontexte. Da aber die logische Struktur der Kontexte von der gleichen zweiwertigen Logik geliefert wird, die die Universalkontextur bestimmt (nur mit dem Unterschied, das in dem Kontextfall der Drittensatz "geschlossen", im Kontexturalfall aber "offen" ist), spielt der Einzelkontext eine eigenartige Doppelrolle. Relativ zu den individuellen Daten, die er verbindet, ist er Form für Inhalte; aber relativ zur Universalkontextur ist er Inhalt der letzteren.

Die zweiwertige Logik mit dem Tertium Non Datur ohne übergeordneten Bestimmungsgesichtspunkt hat also die gleiche Logik, aber mit angebbaren Bestimmungsgesichtspunkten für den Drittensatz zum Inhalt. Aber dieser Inhalt ist eben auch Form, und wir werden hier an die Aristotelische Idee der ???????????,d.h. der Form, die sich nur noch selbst zum Gegenstand hat, erinnert. Diese Form der Form ist gemäß der Lehre des Idealismus die letzte und wahrste Realität, in die die ????????????, die reine Materialität, die es überhaupt noch nicht zur Form gebracht hat, wegen ihre unauflösbaren Kontingenz nicht unvermittelt eingehen kann. Aber die klassische Logik kennt die Hegelsche Vermittlung nicht, weshalb diese Materie aus dem Absoluten als der letzten Realität ausgeschlossen bleibt. So kann ein Idealist, der über den Aristotelischen Gegensatz von Inhalt und Form berichtet, auch sagen: "Bei der reinen Form dagegen, mit deren Begriffe unmittelbar derjenige wahrer Wirklichkeit verbunden ist, versteht es sich von selbst, das sie ohne irgendwelcher Materie zu bedürfen, an sich die höchste Wirklichkeit besitzt". Das versteht sich in der Tat von selbst unter der ausschließlichen Voraussetzung der zweiwertigen Logik, die sich ihrerseits aus der Idee eines mono-kontexturalen Weltbildes ableitet. Diese einzige Universalkontextur ist in der Tat Form der Form. Die klassische Logik ist ein System einer reinen Form, die sich nur selbst zum Inhalte hat und in der dieses Verhältnis zu sich selbst durch die Differenz in der Funktion des Drittensatzes als einen offenen oder geschlossenen Prinzips bestimmt wird. Hier stoßen wir auch auf die logische Wurzel jenes berühmten Ausspruchs von Lenin: "Der kluge Idealismus steht dem klugen Materialismus näher als der dumme Materialismus".

Diese vom dialektischen Materialismus bereitwillig zugestandene nahe Verwandtschaft räumt im Grunde genommen viel zu viel ein, denn sie leitet sich aus dem Faktum ab, das sowohl der Idealismus wie der dialektische Materialismus erster Stufe die zweiwertige Logik als das einzige Organon des Denkens im philosophischen Sinne anerkennen und die mehrwertige Logik - da ihre Existenz ja nicht ganz abgeleugnet werden kann - nur als ein subalternes Mittel betrachten, vermittels dessen man innerhalb des Bereiches der klassischen Logik subtilere Unterscheidungen einführen kann, indem man voraussetzt, das alle zusätzlichen Werte, die über zwei hinausgehen, nichts weiter als eine graduelle Abstufung des umfassenden Gegensatzes von wahr und falsch bedeuten. Die Idee, das der Übergang zu einer mehrwertigen Logik zugleich der zu einer poly-kontexturalen Theorie der Wirklichkeit sein könnte, ist dem Materialismus bisher nicht gekommen. Da wir eine Universalkontextur als einen Strukturbereich bezeichnet haben, in dem das Tertium Non Datur keinem übergeordneten Bestimmungsgeschichtspunkt mehr unterliegen kann, ist nicht einzusehen, warum wir nicht so viel Universalkontexturen konstruieren können, wie uns Wertpaare zur Verfügung stehen. Postulieren wir eine unendlich-wertige Logik, so würde auch die Zahl der Universalkontexturen keiner oberen Grenze unterliegen. Das setzt natürlich voraus, das die Werte, die über zwei hinausgehen, nicht als Verbindungswerte interpretiert werden, die "zwischen" (Lukasiewicz) den absoluten Grenzwerten wahr und falsch liegen, sondern das wir sie außerhalb dieser klassischen Wertspanne plazieren. Damit würde die "klassische" Mehrwertigkeit nicht unbedingt desavouiert, denn wir könnten auch dann weiter von Wahrscheinlichkeitswerten reden, wir würden nur stipulieren, das Formalstrukturen, die von mehr als zwei Werten abhängen, innerhalb gewisser Grenzen mehrdeutig sind, und zwar in dem oben angegebenen Sinn. Wenn Lenin davon spricht, das es dem Wesen der Sache nach unmöglich ist eine noch umfassendere Kategorie zu finden, die den Gegensatz von Sein und Bewußtsein überspannt, so spricht er de facto davon, das jede auf jetzt ontologische Antithesen zurückgehende Reflexion schließlich bei einer Universalkontextur landet. Aber schon die Wahl der antithetischen Termini deutet darauf hin, das es sich hier nur um Universalkontextur im Singular handeln kann. Die innere Verwandtschaft zwischen Idealismus und dialektischem Materialismus und die Gemeinsamkeit der Fragestellungen über deren Beantwortungen sie sich entzweit haben, beruht darauf, das sie beide eine mono-kontexturale Wirklichkeit voraussetzen. Auf dieser fundamental-ontologischen Gemeinsamkeit beruht ihre ganze Gegnerschaft. Geht eine zukünftige Philosophie aber zu der Idee eines poly-kontexturalen Universums über, dann tauchen philosophische Fragen auf, die mit der klassischen Idealismus - Materialismus Alternative wenig oder nichts mehr zu tun haben.

Wenn wir diese Philosophie der Zukunft bisher konsequent als eine zweite Stufe des dialektischen Materialismus bezeichnet haben, so erhebt sich sofort die Frage, warum nicht auch das System des transzendentalen Idealismus sich zu der Idee der Poly-Kontexturalität der Wirklichkeit fort entwickeln kann. Diese Frage ums negativ beantwortet werden, weil vom Idealismus - speziell in seiner Gestalt als Geistesreligion - der unvorstellbare Reichtum an neuer Begrifflichkeit, den die akzeptierte Poly-Kontexturalitätstheorie mit sich bringen würde, durch ein Opfer erkauft werden müsset, das der Idealismus unter keinen Umständen bringen will. Er kann es auch nicht bringen, weil es bedeuten würde, das er mit diesem Opfer sein innerstes Wesen aufzugeben hätte. Am deutlichsten wird das an der Gottesidee. Das idealistische Denken kann schlechterdings nicht anders als die absolute Transzendenz Gottes zu fordern. Er steht seiner eigenen Natur nach allem Welthaftem so unendlich fern, das sich die Idee eines Mittlers ergab, um wenigstens eine indirekte Verbindung zwischen Ihm und dem Irdischen herzustellen. Als deus absconditus ist er der Welt so weit entrückt, das immer wieder der Zweifel aufstieg, das er der Schöpfer des Diesseits sein könne, eines Diesseits, dessen Vergänglichkeit als Platz für die Busse und Reinigung der sündigen Seelen dienen sollte. Dies führte zur Idee des Demiurgen, der als Weltschöpfer zwischen dem deus absconditus und dem Geschaffenen steht. Für das idealistische Denken, das sich in der Idee des deus absconditus ausdrückt, oder sich bei Aristoteles darin manifestiert, das in der höchsten Form der Form????????? völlig die erste Materialität ???????????? aufgezehrt ist, kann es nur eine einzige absolute Kontexturalschranke geben, nämlich die zwischen dem kreatürlichen Diesseits und dem ewigen und absoluten Jenseits. Dazwischen gibt es keinen kontinuierlichen Übergang.

Wir wissen aus der Geistesgeschichte, welche unsäglichen Schwierigkeiten diese Idee geschaffen hat. Aber gerade aus dieser Schwierigkeit, das Verhältnis dieser beiden Welten zu erklären, stammt der ganze spirituelle Reichtum, der die regionalen Hochkulturen von China bis zum faustischen Seelentum des Abendlandes beseelt hat. Seit der Urkonzeption einer mono-kontexturalen Wirklichkeit und der Zwei-Weltentheorie von natürlichem Diesseits und übernatürlichem Jenseits hat das Denken die Frage nicht losgelassen, wie der Abgrund zwischen beiden zu überbrücken sei. Die Antwort, die gefunden wurde, und die sich trotz allem Zweifel nie abweisen ließ, war die, das diese Schranke schlechthin unüberschreitbar sei, denn alles Wirkliche gehöre jener einzigen Universalkontextur an, also müsse eine der beiden Welten entweder die des Natürlichen oder die des Übernatürlichen irreal sein. Wie dieser ontologische Trug zweier Welten aber zustande komme, sei ein unbegreifliches Mysterium und die göttliche Offenbarung die mit ihren Gnadenstrahlen vom Himmel her auf das Irdische hinabscheint, sei das Gewahrwerden dieses Geheimnisses. Ein Geheimnis, auf das es für die in der Kreatürlichkeit gefangenen Seele, keine Antwort gibt. Darum heißt es auch in einer modernen Ballade

"Sieh, keine Antwort find ich in den Psalmen!

Erbarmen aller Welt, sprich: was ist Schein?"

So weit das religiöse Gefühl in Frage kam, so hat es sich bei diesem unbegreiflichen Nebeneinanderbestehen demütig dem Mysterium unterworfen. Die Philosophie aber wollte eine Antwort und die einzige, zu der sie kommen konnte, war die: das was jenseits der Grenze sei könne nur als das reine Nichts begriffen werden. Wo aber das Nichts und wo das Sein sei, das hinge davon ab, auf welcher Seite die Seele ihre Erkenntnis sammle. Das Nichts sei immer auf der anderen Seite. Wie man sieht, sind Diesseitsglaube und Jenseitsglaube die unvermeidlichen und nicht voneinander lösbaren Korrelate eines Umtauschverhältnisses mit der gemeinsamen Voraussetzung, das Wirklichkeit daßelbe wie Mono-Kontexturalität bedeutet. An diesem Mono-Kontexturalitätsglauben hat trotz aller Schwierigkeiten und Beunruhigung, die er verursacht hat, das ganze geistige Leben jener Hochkulturen der letzten Jahrtausende, die sich über die Daseinsebene der sogenannten Naturvölker erhoben hatten, bedingungslos gehangen. Wenn Spengler davon spricht, das jede dieser Hochkulturen ein eigenes Seelentum besaß, so war diese Voraussetzung der Mono-Kontexturalität der Welt das Band, das sie alle verknüpfte und sie als Mitglieder einer Weltepoche auftreten ließ. Einer Epoche, die heute endgültig ihrem Ende zugeht. Das Lebensgefühl, das dahinter stand, war so alldurchdringend, das es abgesehen von der Philosophie, die direkt darauf reflektierte, dem Menschen kaum zum Bewußtsein kam; und doch durchdrang es alle seine Äußerungen, von der subtilsten wissenschaftlichen Abhandlung angefangen bis zur Märchenerzählung für die Kinder.

Da es im Kontrast zu dem, was weiter unten noch zur Poly-Kontexturalität gesagt werden soll, so unendlich wichtig ist, das Wesen dieses Weltgefühls, noch ehe es ganz zerfällt, ins Bewußtsein zu rufen, findet es der Verfasser nicht unangebracht, an dieser Stelle ein modernes Kunstmärchen in seinem ganzen Umfang zu zitieren. Es hat ihn als Kind stark berührt und er erinnert sich noch heute daran, das es bei ihm eine leichte Enttäuschung ausgelöst hat, weil er die Tiefe der Erzählung mit seinem kindlichen Verstand nicht voll begreifen konnte. Aber jene Enttäuschung gibt uns einen Hinweis auf die These der Poly-Kontexturalität alles Wirklichen. Aus diesem Grund soll sie ausdrücklich nach Erzählung des Märchens angemerkt werden. Das Märchen selber lautet:

Der Engel

(Hans Christian Andersen)

Jedes Mal, wenn ein gutes Kind stirbt, kommt ein Engel Gottes zur Erde hernieder, nimmt das tote Kind auf seine Arme, breitet die großen, weißen Flügel aus, fliegt hin über alle Plätze, welche das Kind lieb gehabt hat, und pflückt eine Hand voll Blumen, welche er zu Gott hinaufbringt, damit sie dort noch schöner wie auf der Erde blühen. Der liebe Gott drückt alle Blumen an sein Herz, aber derjenigen Blume, welche ihm die liebste ist, gibt er einen Kuß, und dann bekommt sie eine Stimme und kann in der großen Glückseligkeit mitsingen!"

Sieh, alles dieses erzählte ein Engel Gottes, indem er ein totes Kind zum Himmel forttrug, und das Kind hörte gleichwie im Traume, und sie fuhren hin über die Stätten der Heimat, wo der Kleine gespielt hatte, und kamen durch Gärten mit herrlichen Blumen.

"Welche wollen wir nun mitnehmen und in den Himmel pflanzen?" fragte der Engel.

Da stand ein schlanker, herrlicher Rosenstock, aber eine böse Hand hatte den Stamm zerbrochen, so das alle Zweige voll großer, halbaufgebrochener Knospen rund herum vertrocknet hingen.

"Der arme Rosenstock!" sagte das Kind. "Nimm ihn, damit er dort oben bei Gott zum Blühen kommt!"

Und der Engel nahm ihn, küßte das Kind dafür, und der Kleine öffnete halb seine Augen. Sie pflückten von den reichen Prachtblumen, nahmen aber auch die verachtete Butterblume und das wilde Stiefmütterchen mit.

"Nun haben wir Blumen!" sagte das Kind, und der Engel nickte, aber er flog noch nicht zu Gott empor. Es war Nacht, es wahr sehr still, sie blieben in der großen Stadt und schwebten in einer der schmalen Gassen umher, wo Haufen von Stroh, Asche und Auskehricht lagen, es war Umziehtag gewesen. Da lagen Scherben von Tellern, Gipsstücke, Lumpen und alte Hüte, was alles nicht gut aussah.

Der Engel zeigte in all diesem Wirrwarr hinunter auf einige Scherben eines Blumentopfes und auf einen Klumpen Erde, der herausgefallen war und den Wurzeln einer großen vertrockneten Feldblume, welche nichts taugte und die man deshalb auf die Gasse geworfen hatte, zusammengehalten wurde. "Die nehmen wir mit!" sagte der Engel. "Warum, werde ich Dir erzählen, während wir weiter fliegen!"

"Dort unten in der schmalen Gasse, in dem niedrigen Keller wohnte ein armer, kranker Knabe. Von Kindheit an war er immer bettlägerig gewesen, wenn er am gesundesten war, konnte er auf Krücken in der kleinen Stube ein paar Mal auf- und niedergehen: das war alles. An einigen Tagen im Sommer drangen die Sonnenstrahlen während einer halben Stunde bis auf den Flur des Kellers, und wenn dann der arme Knabe dasaß und sich von der warmen Sonne bescheinen ließ und das rote Blut durch seine feinen Finger sah, die er vor das Antlitz hielt, dann hieß es: 'Heute ist er ausgewesen!' - Er kannte den Wald mit seinem herrlichem Frühlingsgrün nur dadurch, das ihm des Nachbars Sohn den ersten Buchenzweig brachte, den hielt er über sein Haupt und träumte dann, unter Buchen zu sein, wo die Sonne schiene und die Vögel sängen. An einem Frühlingstage brachte ihm des Nachbars Knabe auch Feldblumen, unter diesen war zufällig eine mit der Wurzel, und deshalb wurde sie in einen Blumentopf und dicht am Bette an das Fenster gestellt. Die Blume war von einer glücklichen Hand gepflanzt: sie wuchs, trieb neue Schößlinge und trug jedes Jahr ihre Blumen. Sie wurde des kranken Knaben herrlichster Blumengarten, sein kleiner Schatz hier auf Erden, er begoß und pflegte sie und sorgte dafür, das sie jeden Sonnenstrahl bis zum letzten, welcher durch das niedrige Fenster hinunterglitt, erhielt. Und die Blume selbst verwuchs in seine Träume, denn für ihn blühte sie, verbreitete ihren Duft und erfreute ihm das Auge, zu ihr wendete er sich im Tode, als der Herr ihn rief. - Ein Jahr ist er bei Gott gewesen, ein Jahr hat die Blume vergessen im Fenster gestanden und ist verdorrt. Sie wurde deshalb beim Umziehen in den Kehricht hinaus auf die Straße geworfen. Und dies ist die Blume, die arme, vertrocknete Blume, welche wir mit in unseren Blumenstrauß genommen haben, denn diese Blume hat mehr Freude gewährt als die reichste Blume im Garten einer Königin!" Aber woher weißt Du das alles?" fragte das Kind, welches der Engel gen Himmel trug.

"Ich weiß es!" sagte der Engel. "Denn ich war selbst der kleine, kranke Knabe, welcher auf Krücken ging! Meine Blume kenne ich wohl!"

Das Kind öffnete seine Augen ganz und sah in des Engels herrliches, frohes Antlitz hinein, und in demselben Augenblicke begaben sie sich in Gottes Himmel, wo Freude und Seligkeit war. Und Gott drückte das tote Kind an sein Herz, da bekam es Flügel wie der andere Engel und flog Hand in Hand mit ihm. Und Gott drückte alle Blumen an sein Herz, aber die arme verdorrte Feldblume küßte er, und sie erhielt eine Stimme und sang mit allen Engeln, welche Gott umschwebten: Einige nahe, andere um sie herum im großen Kreisen, immer weiter und weiter in das Unendliche, aber gleich glücklich. Und alle sangen sie, kleine und große, das gute gesegnete Kind und die Feldblume, welche verdorrt dagelegen hatte, hingeworfen in den Kehricht, unter dem Unrate des Umziehtages, in der schmalen, dunklen Gasse.

Die schwache Enttäuschung, die der jugendliche Leser empfand, bezog sich auf den Flug des Engels. Die Landschaft, durch die der Engel fliegt, und die durch das Blumensammeln motiviert wird, ist die irdische. Irdisch in ihrer Wirklichkeit und irdisch in der Erinnerung des Kindes (alle Plätze, welche das Kind lieb gehabt hat) und irdisch in der Erinnerung des Engels. Aber kein Flug gen Himmel wird beschrieben. In dem Augenblick, in dem die Erinnerung des Engels, die das Irdische festhält, endet und das Kind seine Augen öffnet, sind Engel und Kind im Himmel. Dieser unvermittelte Übergang vom Diesseits zum Jenseits gab dem jugendlichen Leser die Empfindung, das hier etwas fehle. Er war zu jung um zu begreifen, das es die Absicht des Dichters war, den totalen Abbruch zwischen Immanenz und Transzendenz in dieser Weise anzudeuten, und das wenn von einem Übergang überhaupt die Rede sein könne sich derselbe allein in der Wiederholung seines irdischen Lebens in der Erinnerung des Engels und in der Bergung der Feldblume vollziehen könne. Aber auch dieser Übergang ist kein echter Übergang, denn der Bruch am Ende der Erzählung bleibt. Der Himmel nähert sich nicht während des Fluges, er ist auf einmal da; und keine allmähliche Entfaltung seines unirdischen Geheimnisses ist ihm vorausgegangen. Und doch wird der Bruch schließlich in sachter, ganz sachter Weise widerrufen; denn die Erinnerung des irdischen zittert nach in den allerletzten Worten des Märchens: "hingeworfen in den Kehricht, unter dem Unrate des Umziehtags, in der schmalen, dunklen Gasse."

Diese beiden Grundmotive: Anerkennung des Bruchs zwischen Immanenz und Transzendenz und seine Verleugnung ziehen sich wie zwei rote Leitfäden, oft in gegenseitiger Verknotung und dann wieder auseinandertretend, durch die gesamte Geistesgeschichte der Hochkulturen. Was aber die Philosophie anbetrifft, ist deutlich zu sehen, das der Faden, der am Thema des Jenseits webt, der stärkere ist, und das der Diesseitsgedanke darüber vernachlässigt wird. Das ist der Idealismus, der sich über die Niederungen der zeitgebundenen Existenz erhebt. Es ist kein Zufall, daß das Problem der Zeit eine so kümmerliche Behandlung erfahren hat und das man im Naturwissenschaftlichen sogar versucht hat es durch "Geometrisierung" ganz aus dem Denken zu drängen. Aber da wir es hier mit einem Umtauschverhältnis allergrössten Formats zu tun haben, zeigt uns die Geistesgeschichte die Dominanz der Jenseitsthematik auch mit genau den entgegengesetzten Akzenten. Das Übernatürliche ist nicht der helle Strahl der bei sich selbst weilenden Vernunft sondern das nachdunkle Unheimliche und gespenstisch Irrationale, das in Gnostik, Kabbala, Magieglauben und ähnlichen Erscheinungen ein nicht selten anrüchiges Hintertreppendasein führt. Gegenüber dem Reichtum des Gefühls ist die immer vorhandene materialistische Tendenz erheblich zu kurz gekommen. Zweifellos durch die Vernachlässigung des Denkmotives der Schranke, die dem Jenseitsglauben des Idealismus einstmals seine so siegreiche Kraft gab. Ohne die Erfahrung einer Kontexturalitätsschranke blieb der frühe Materialismus dürr und dürftig.

Die idealistische Richtung des Denkens war dadurch enorm bevorzugt und hatte ein leichteres Spiel, weil sie zu einem Weltbild führte, das viel elementarer und logisch primitiver ist als ein gleichrangiges materialistisches Weltbild sein würde - wenn wir ein solches heute schon besäßen. Die Mono-Kontexturalität des klassischen Weltbildes lenkte das Denken automatisch in die idealistische Richtung, weil damit der theoretischen Reflexion ihr Geschäft so leicht wie nur möglich gemacht wurde. Was mit primitivsten logischen Mitteln der Zweiwertigkeit nicht verstanden werden konnte, durfte in das Gebiet der Mystik und der Religion oder mit inversem Akzent in das Gegengebiet des Wert und Bedeutungslosen verwiesen werden. Dem Materialismus wäre von Anfang an ein solches Ausweichen vor einer mehr hintergründigen Problematik nicht erlaubt gewesen. Auf Grund einer sozusagen angeborenen Begabung zum Panlogismus, die sich schon bei den Griechen in einem engen Physikalismus äußerte, war es ihm nicht möglich eine Kontexturalitätsschranke zu konstruieren, hinter der sich Unverständliches und Irrationales beliebig aufhäufen konnte. Die klassische Logik erlaubte ja nur eine solche Grenze und relativ zum Idealismus war er ja selbst in seiner Ganzheit vor oder hinter der Schranke, je nachdem wo man den Idealismus plazierte. So fing der Materialismus mit seiner "dummen" Phase an. Das war historisch gesehen ganz unvermeidlich und macht verständlich, warum alles tiefere Denken sich erst einmal in dem idealistischen Lager sammeln mußte. Diese Unebenbürtigkeit der beiden Philosopheme nahm aber deutliche Konturen nur im wissenschaftlichen Bereich an - wobei wir die Philosophie zu den Wissenschaften rechnen wollen - ; in anderen Bereichen ließen sich Diesseits- und Jenseitsglauben nicht so leicht auseinanderhalten. Das Märchen von Andersen, von dem wir weiter oben sprachen, nimmt zwar entscheidend Partei für den Jenseitsglauben und auch in Goethes berühmten Gedicht Über allen Gipfeln

Ist Ruh, In allen Wipfeln

Spürest Du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest Du auch.

schwingt - obwohl schon schwächer - das Himmlische mit. Das die Ruhe, von der hier die Rede ist, keine zeitweilige irdische Rast bedeuten kann, ist selbstverständlich. Schon der Beginn des Gedichtes deutet es an, wenn gesagt ist, das die Ruhe, die schon da ist "über allen Gipfeln" ist. Trotzdem aber ist das Jenseitsgefühl schwächer. Während bei Andersen das positive Moment der Seligkeit unmißverständlich zum Ausdruck kommt, ist das Goethesche Jenseits als Ruhe im wesentlichen Negativität. Immerhin: die Spannung des Gefühls, das sich zwischen einem Diesseits und einem Jenseits ausbreitet, ist deutlich genug.

Das sich aber das gleiche Gefühl ganz im Diesseits ansiedeln kann, demonstriert das "materialistische" Gedicht, dessen Schöpfer ironischer Weise der protestantische Pfarrer Mörike war. Wir zitieren es für den Vergleich:

Gelassen stieg die Nacht ans Land,

Lehnt träumend an der Berge Wand;

Ihr Auge sieht die goldne Wage nun

Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.

Und kecker rauschen die Quellen hervor,

Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr

Vom Tage,

Vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied,

Sie achtet's nicht, sie ist es müd';

Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,

Der flücht'gen Stunden gleichgeschwungenes Joch.

Doch immer behalten die Quellen das Wort,

Es singen die Wasser im Schlafe noch fort

Vom Tage,

Vom heute gewesenen Tage.

Das ist reine kompromißlose Diesseitslyrik, in der der Jenseitsglaube des Idealismus im Hegelschen Sinne 'aufgehoben' ist. Die relevanten Termini, die die Diesseits-Jenseits-Spaltung so oft symbolisierten, Tag und Nacht, und auch die Assoziation der Magna Mater, der Großen Mutter, wird leise wach. Aber es ist nur noch ein uralt altes Schlummerlied, dessen die Nacht müde geworden ist. Und die Erinnerung, die am Himmel hängt, meint nicht die Reinheit des ewigen Lichts sondern die Süße der irdischen Bläue. Und letztlich: wovon die Quellen murmeln ist nicht der Tag, auf den die ewige Nacht folgt, da "niemand wirken kann". Nein, sie singen vom heute gewesenen Tage, auf den morgen ein anderer irdischer Tag folgen wird.

Mörikes Gedicht lehrt uns, das die lyrische Tiefe des Gefühls, die sich einstmals an der Jenseits-Sehnsucht näherte, sich ganz im Diesseits ansiedeln kann. Freilich nicht in einem Diesseits, das der antithetischen Materialismus uns bereiten will, sondern eins, das aus dem zweiten Stadium des Materialismus emporsteigen kann. Die Ansätze dazu sind im heutigen Materialismus, dem "klugen", der sich von dem "dummen" stärker absetzt als vom Idealismus, schon längst vorhanden. Was aber die Weiterentwicklung des dialektischen Materialismus bisher verhindert, ist paradoxer Weise gerade die systematische Bindung an den Idealismus, die wie wir ausgeführt haben darin besteht, das beide von der gleichen fundamentalontologischen Problemsituation ausgehen, die nur eine Kontexturalitätsgrenze erlaubt, weil die Logik, mit der die beiden Opponenten arbeiten, nur eine totale Negation besitzt. Zwar wird dauernd von Hegels zweiter Negation geredet, aber angesichts der Formalismusscheu, die wieder ein Band zwischen beiden dialektischen Parteien liefert, kommt der Materialismus nicht auf die Idee, das Hegels zweite Negation ein Index für zusätzliche Kontexturalgrenzen ist. Das der Idealismus eine solche Pluralität nicht vertragen kann, ist selbstverständlich, denn das Wissen eines allmächtigen Gottes darf in sich selbst keine Schranken vorfinden; und die einzige, die da ist, erweist sich im Eschatologischen auch als unreal.

Der dialektische Materialismus denkt hier genau so idealistisch wie der Idealismus selber und ihm fehlt vorläufig die folgende Einsicht: aller spirituelle Reichtum, den die vergangene Epoche geschaffen hat, hatte nach dem naiven Glauben im zeitlosen überirdischen Jenseits, von dem her es sich offenbarte, seine Quelle. Dort lag die Fülle, dort war das Pleroma. Zwar tauchte gelegentlich schüchtern der Gedanke auf, das der Erzeuger des Geistes nicht das, was jenseits der Grenze lag, sondern die messerscharfe

Grenze selbst sein könnte. Diese Idee hat bisher keine nennenswerten systematischen Konsequenzen gehabt, denn wenn man überhaupt mit der Vorstellung einer Vielheit solcher Grenzen ernst gemacht hätte, dann wäre das klassische Denken gezwungen gewesen sie ins Transzendente zu verlegen. In der Tat schrieb man der Transzendenz ja genau die Eigenschaften zu, die man im Diesseits nur dann suchen kann, wenn man stipuliert, das Kontexturalgrenzen eine innerweltliche Angelegenheit des Diesseits sind. Das Mysterium des Jenseits, das über alle menschliche Vernunft hinaussteigt, konnte von hier aus gesehen nichts anderes bedeuten, als das die Mono-Kontexturalität (Zweiwertigkeit) auf eine Objektivität stieß, die mono-kontextural schlechthin nicht zu deuten war. In diesem Sinne war die Transzendenz das Sammelbecken aller jener Kontexturen, die man im Irdischen nicht entdecken durfte - solange man rational bleiben wollte - und denen man gemäß den klassisch ontologischen Voraussetzungen auch gar nicht begrifflich sondern nur emotional begegnen konnte. Es versteht sich von selbst, das man mangels einer solchen theoretischen Begegnung die zusätzlichen Universalkontexturen auch nicht als denkdistinkte Pluralität ins Jenseits projizieren konnte. Denn wenn sie im Endlichen nicht zu finden waren, dann war da nichts, was als angemessenes Projektionsmaterial dienen konnte. Gegenüber dem Poly-Kontexturalitätsproblem ums alle analogia entis versagen.

Aber gerade dieser Umstand gab dem Unirdischen seinen überirdischen Glanz. Es mußte etwas - unsichtbar - in sich verborgen halten, was in der empirischen Welt, gemäß ihrer vorausgesetzten mono-kontexturalen Natur, allem Begreifen auf ewig entrückt war. Mehr noch: solange diese Tradition in sich fest geschlossen und ihrer selbst sicher blieb, war es überhaupt nicht möglich, die Idee einer Universalkontextur zu fassen, genau so wie ein Bewußtsein, dessen Dasein in einem unaufhörlichen Strom verrauschte, die Idee der Musik nicht fassen könnte, weil es ja keine Möglichkeit hätte Musik mit Nicht-Musik zu vergleichen. Infolgedessen gehörte zu dieser kreatürlichen Welt die einzige Kontexturgrenze, mit der das Denken in Berührung kam, auch nur in einem negativen Sinn. Sie war die Schranke, die dem Denken ein Bis-hierher-und-nicht-weiter zurief. Sie umgriff alles inhaltliche Denken in totalster Weise und war in dieser Funktion reinste absolute Form. In diesem Sinne haben wir sie bereits als ein gegen das Unendliche hin offenes Tertium Non Datur kennen gelernt. In dieser Gestalt ist der Drittensatz Hüter eines Geheimnisses.

Versteht man nun das Jenseitige als die Verborgenheit der unendlichen Vielheit der Universalkontexturen, dann füllt sich für die moderne Reflexion die ältere Vorstellung des Absoluten, oder des Göttlichen, als der letzten Form der Form mit einem Gehalt, der es erlaubt, ins Innere des Geheimnisses wenigstens schrittweise und ohne Hoffnung auf das Ende eines mühseligen Weges einzudringen.

Von Anfang an hat ein nach Selbsttranszendenz verlangendes Denken immer wieder Vorstöße in dieser Richtung unternommen. Denn soviel begriff man: reines unterschiedsloses Licht war das Jenseitige immer nur insofern, als unser irdisches Auge von dem überirdischen Glanz geblendet wurde oder aber, wenn es aus dem Dämmerlicht unserer vergänglichen Existenz in die totale Nacht zu blicken suchte, in der "der Fürst der Finsternis" sein Reich hatte. Auch hier war radikale Unterschiedslosigkeit. Aber gerade hier öffnete sich in dem Panzer des Geheimnisses eine Spalte: die Unterschiedslosigkeit des ewigen Lichts und die Unterschiedslosigkeit der totalen Nacht waren selbst voneinander verschieden und zwar genau in demselben Sinne, wie am Anfang der Hegelschen Logik reines Sein und reines Nichts voneinander verschieden sind. Am konsequentesten ist diese primordiale Situation vermutlich in der Metaphysik des Manichäismus dargestellt worden, der in mehrfacher Hinsicht für uns heute interessant sein sollte. Es ist viel mehr als ein Zufall, das St. Augustin ein Manichäer war, bevor er Christ wurde. Auch ist es ein historisches Faktum, das der Manichäismus in Form von Sektenbildung (z.B. die Katharer) bis ins 13. Jahrhundert in der katholischen Kirche des Abendlandes wirksam gewesen ist. Wie für die idealistische Philosophie des Abendlandes ist für den Manichäismus der widerspruchsvolle Charakter unserer empirischen Welt Ausgangspunkt der religiös-metaphysischen Spekulation. Aber er unterscheidet sich von dem uns geläufigen Idealismus durch einen schroffen Dualismus, der gar keine oder nur wenige Anstrengungen macht, Physisches und Ethisches zu unterscheiden. Aus diesem Grunde hat A. von Harnack dieses Religionssystem als materialistisch bezeichnet. Das ist nur ein Teil der Wahrheit, soweit sie sich auf das Reich der Finsternis bezieht. Dieser aber steht das Lichtreich entgegen, und an diesem Gegensatz ist ein anderes viel wesentlicher als die Unterscheidung des Hellen und Dunklen. An der Spitze des Lichtreiches steht ein Gott von dem das Leuchtende abhängig ist. Der Satan aber mit seinen Dämonen ist aus dem Schosse der Finsternis herausgeboren. In andern Worten: im Manichäismus begegnen wir einem mythologischen System, das den idealistischen und den materialistischen Standpunkt miteinander zu vereinigen sucht. Auf der Lichtseite steht der "Gott" an der Spitze und das Reich hängt von ihm ab. Wir begegnen also an dieser Stelle einem Primat der Subjektivität über die Objektivität. Auf der andern Seite aber ist das erste das Reich der Finsternis und die Geburt des Satans geschieht nachträglich. Auf dieser Seite des Dualismus begegnen wir also einem Primat der Objektivität über die (satanische) Subjektivität. Es spielt sich nun ein kosmologischer Roman ab, weil der Satan mit seinen Dämonen einen Teil des Lichtes raubt. Der Mensch, eine Schöpfung des Satans, ist eine Mischung von Finsternis und geraubten Lichtfunken. Die Gesamtheit dieser Lichtfunken ist in der occidentalischen Version des Manichäismus später in der Gestalt des "Jesus patibilits" personifiziert worden, dem die reine Lichtgestalt des "Jesus impatibilis" gegenüber steht, der weder im Irdischen gelitten hat, noch auch gestorben ist. Der kosmische Kampf nimmt schließlich ein Ende, indem das Physische wieder ins Reich der Finsternis zurückkehrt und die gefangenen Lichtfunken - nach einer Lehre nicht alle - wieder in das Reich der Helle emporsteigen. Der Kampf endet, wenn die vollkommene Trennung beider Reiche wieder hergestellt ist. Was uns hier in einer mythologischen Phantastik begegnet, ist nicht einfach ein materialistisches System, wie Harnack (etwas voreingenommen) glaubt, sondern die Konfrontation einer idealistischen mit einer materialistischen Weltanschauung, in der es um den Primat des Subjekts über das Objekt oder des Objekts über das Subjekt geht. Aber aller Kampf und alles Leiden sind nutzlos. Wenn der kosmische Brand, in dem die aus Licht und Finsternis gemischte Welt zusammenstürzt, schließlich erloschen ist, ist alles so, wie es vorher war. Wir begegnen im Manichäismus einer imposanten mythologischen Antizipation von später im Begrifflichen ausgetragenen Kämpfen, von denen die gegenwärtige Konfrontation von transzendentalem Idealismus und dialektischem Materialismus der letzte und konsequenteste ist. Er ist im Begriffe ebenso ergebnislos zu verlaufen wie das manichäistische Weltdrama. Doch das nur nebenbei.

Was viel wichtiger ist und woran wir im Zusammenhang mit dem Manichäismus noch einmal erinnern wollen, ist unsere Behauptung, das aller Jenseitsglaube als Sammelbecken für die Pluralität jener Kontexturen dient, die sich für den Begriff in einem als mono-kontextural aufgefaßten Diesseits nicht unterbringen lassen. Die Unterteilung des Jenseits in "Reiche" ist dafür bezeichnend. Und wenn wir von den "Wohnungen" im Manichäismus hören, erinnert uns dies unwillkürlich an das Johannesevangelium, wo es (14,2) heißt: "In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen". Charakteristisch ist dabei, wie der Begriff des umschlossenen Bereiches oft mit dem der sich nach außen hin abschließenden Subjektivität verschmilzt. In der Jenseitsbeschreibung der Theologie des Dionysius Areopagita ist das besonders deutlich. Die oberste, Gott am nächsten stehende Ordnung ist die der Seraphim, der Cherubin und der Throne. Sie sind die ersten und entrücktesten Interpreten des göttlichen Schweigens. Die zweite Engelsordnung umfaßt die Herrschaften, Gewalten und Mächte, und auf sie folgt als unterste Stufe die dem Irdischen am nächsten steht, die Trinität der Fürstentümer, Erzengel und Engel. Es ist schwer bei diesen Termini zu unterscheiden wie weit es sich bei ihnen um gottähnliche Personalitäten oder um übernatürliche Dimensionen, die die Entrücktheit des deus absconditus von unserer zeitlichen Existenz trennen, handelt. Nicht zufällig ist die Beschreibung der himmlischen Hierarchie als eine "Distanzlehre" bezeichnet worden. Mit den unteren Engeln hat das Jenseits eine Grenze gegenüber dem Irdischen und nur innerhalb von Grenzen kann etwas gesagt werden; aber dort wo die spirituelle Hierarchie in Gott gipfelt, herrscht das absolute Schweigen. Auf der einen Seite ist Grenze, auf der anderen Seite Grenzenlosigkeit. Es dürfte interessant sein hier auf eine strukturelle Verwandtschaft mit dem Manichäismus hinzuweisen: die beiden Reiche des Lichts und der Finsternis haben eine gemeinsame Grenze; aber an der der Finsternis abgewandten Seite sind dem Licht keine Grenzen gesetzt, und auch die Finsternis verliert sich mehr und mehr dort, wo sie nicht dem Licht begegnet, im Grenzenlosen. In beiden Mythologien sind in bildlich-kindlicher Weise die beiden Bestimmungen, die eine Universalkontextur ausmachen, festgehalten: ihr Grenzcharakter nach "außen" und ihre inhaltliche Unendlichkeit. Diese mythologischen Beispiele über das Jenseits als Ballungsraum der potentiellen Unendlichkeit der Universalkontexturen ließen sich beliebig vermehren, aber das Angedeutet sollte genügen um zu zeigen, das die Idee des Jenseits eine unabdingliche Vorstellung ist für ein Denken, dessen analytische Kraft noch nicht ausreicht, um sich über das mono-kontexturale Weltgefühl zu erheben.

Umgekehrt: postulieren wir eine poly-kontexturale Wirklichkeitstheorie, so ums das zur Folge haben, das die jetzt im Jenseits nistenden Universalkontexturen ins Diesseits hereingerufen werden, wodurch sich das Jenseits entleert, bis schließlich nichts vom ihm übrig geblieben ist. Der Prozeß ist nicht einfach, und er involviert zweierlei. Erstens handelt es sich um eine enorme theoretische Aufgabe, zweitens aber ist etwas zu leisten, was der antithetische Materialismus, solange seine Kräfte im Kampf mit dem Idealismus gebunden sind, prinzipiell nicht leisten kann. Denn dieser Kampf entzündet sich ja an dem Umstand, daß das materialistische Denken mit dem Idealismus das mono-kontexturale Weltbild teilt und das deshalb diese beiden Philosopheme miteinander reden können und müssen - wenn auch mit emphatisch negativem Akzent. Solange aber der Materialismus nach der Beantwortung derselben Fragen sucht, die den Idealismus beunruhigen, ist es ihm ganz unmöglich die folgende Aufgabe zu bewältigen, die nur ein Denken leisten kann, das die Gegnerschaft zum Idealismus als irrelevant hinter sich gelassen hat, weil es nicht mehr willig ist sich in einem mono-kontexturalen Weltbild zu bewegen. Es handelt sich um Folgendes: solange das Jenseits die Aufgabe hatte in geballtester Form die im Diesseits noch nicht zum Zuge kommenden Universalkontexturen zu bewahren, war es auf Grund der Unentwickeltheit dieser Kontexturen, die sich nicht voneinander trennen und unterscheiden ließen, immer der Ort des Geheimnisses und unbegreiflicher Mysterien. Das aber bedeutete, das es die Heimat einer unauslotbaren Gefühlswelt war, die im Diesseits keinen Platz hatte und die in das Irdische nur so hineinleuchtete wie die Strahlen einer fernen Sonne, die durch eine dunkle Wolkendecke brechen. Die emotionale Intensität einer Dichtung, der großen Musik oder der Malerei hohen Stiles, sie alle hatten keinen anderen primordialen Ort als den der Sehnsucht nach einem total Anderem. Aber das Andere war nicht kontur- und bodenlose Leere, sondern insofern als es die Unendlichkeit aller noch möglichen Universalkontexturen beherbergte, gedrängteste, nicht zu überbietende Fülle. Nicht umsonst redete man vom Absoluten als dem Pleroma, dem gegenüber die irdische Szene als totale Leere, als Kenoma, erscheinen mußte. Und die Fülle war in der Tat in einem bestimmten Sinn überirdisch, insofern als sie aus etwas bestand, was innerhalb eines mono-kontexturalen Diesseits schlechterdings keinen Platz haben konnte. Denn diese Fülle war nichts anderes als das Resultat der Koinzidenz jener Kontexturabbrüche, die zwischen einem jeweiligen Hier und einem vom Hier aus unerreichbaren Drüben sich auftut. In diesem Sinn war der Inhalt des Jenseits, von dem alle mythologische Phantasie sehnsüchtig oder angstvoll träumte, in der Tat eine unbegreifliche Transzendenz: neue Grenzen jenseits der Grenze zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen. Eine Formenwelt von Formen, die nichts anderes mehr als Formen zum Inhalt hatte.

Aber irgend etwas war gerade an jener Grenze, die den mono-kontexturalen Naturzusammenhang vom Übernatürlichen trennte, dem Zweifel unterworfen. Der allgemeine Glaube an ein Jenseits nährte sich für den Menschen aus der sich immer erneuernden Erfahrung des Todes. Und zwischen Tod und Kontexturalität bestand "ein tiefer und früh gefühlter Zusammenhang" zwischen Tod und Ausdehnung überhaupt. (Universalkontextur). Der leblose Leichnam ist etwas, das "ganz Stoff, ganz Raum geworden ist", und er löst eine Ahnung aus, die in den Worten jenes Sterbeliedes zum Ausdruck kommt:

Nein, nein - hier ist sie nicht

Die Heimat der Seele ist droben im Licht.

Aber der Tod als Grenze der Ausdehnung des Diesseits betrifft nur den, der seinen eigenen Tod stirbt. Nur er verschwindet aus dieser Welt. Und der Verschwindende ist für den, der zurückbleibt, immer ein fremdes Du. Für das Ich aber, das diesem Verschwinden zusieht, ist der Tod nicht die Raumgrenze einer mono-kontexturalen Welt, für es geht jene Grenze mitten durch das Diesseits hindurch. Es ahnt, das der als Fremdes Ereignis erlebte Tod eines Du von dem eigenen, der noch in der Zukunft liegt, ebenfalls durch eine unüberschreitbare Kontexturgrenze getrennt ist. Kein Ich stirbt in derselben Welt, in der ein Du gestorben ist. Die Härte dieses Sachverhalts verbirgt sich das klassische Bewußtsein in der Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits, wo durch ein Mysterium alle Grenzen fallen sollen. Denn wenn alles selber Grenze und nichts Raum innerhalb einer Grenze ist, dann sind alle Schranken qua Schranken nichtig - und alles ist daßelbe Leben des Geistes.

Aber zum Tod als Schranke, die quer durch das Diesseits hindurchgeht, tritt in engste Verbindung eine zweite totale Kontexturgrenze, nämlich die zwischen Vergangenheit und Zukunft, von der ebenfalls zu sagen ist, das sie das Diesseits nicht begrenzt, sondern das sie daßelbe in zwei Teile teilt. Grenze gegen das Jenseits - und somit das Diesseits nicht durchquert - ist vom Temporalen her gesehen nur Zeitlichkeit überhaupt gegenüber dem Zeitlosen, ein Gegensatz, für den die Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft bedeutungslos geworden ist.

Es soll en passant bemerkt werden, das sich unter dem Terminus 'Zeit' ein ganzes Bündel von Universalkontexturen versammelt, die systematisch zusammengeschlossen eine Verbundkontextur ergeben, die ihrerseits ihre eigene kontexturale Grenze hat, die sie qua Verbund von anderen in ihr nicht enthaltenen Elementarkontexturen in fremden Verbundkontexturen abschließt.

Aus dieser Ahnung von kontexturalen Grenzen, die das Diesseits durchqueren, und der vagen Sicht einer neuen Problematik, die sie aufgeben sind alle Theorien des objektiven Geistes und auch die Konzeption des dialektischen Materialismus entstanden. Schon in der contradictio in adjecto, 'objektiver Geist', ist eine Kontexturgrenze angesprochen und wenn Lenin vermutet, "das die ganze Materie eine Eigenschaft besitzt, die dem Wesen nach der Empfindung verwandt ist, die Eigenschaft der Widerspiegelung", so ist das als ein grundsätzlicher Abstand von an der Oberfläche ähnlichen Ideen Diderots nur dann zu registrieren, wenn man annimmt, das ein solches Sich-zu-sich-selbst-Verhalten der Materie den klassischen Gegensatz zwischen innerweltlichem Stoff und außerweltlicher Seele ganz in sich selbst hineingenommen hat - ohne, wie es der "dumme" Materialismus tut, das kontexturale Phänomen, das sich hinter dem Wort 'Seele' verbirgt zu leugnen. Die sich in sich selbst verhaltende Materie ist nun zwar die Voraussetzung eines Weltbildes, dessen Hintergrund durch die Vorstellung eines Jenseits abgeschlossen wird, aber wenn damit auch die unüberbrückbare Schranke zu einem himmlischen oder höllischen Drüben fällt, so mißversteht man doch die gesamte Problematik völlig, wenn man annimmt, das damit die Idee einer unübersteigbaren Schranke selbst beseitigt ist. Die kontexturale Grenze, die einstmals Sinnliches und Übersinnliches trennte, kehrt jetzt in der Materie wieder in der Beziehung zwischen Urbild und Abbild, weil sich das Urbild nur durch die Vermittlung des Abbildes zu sich selbst verhalten kann.

De facto hat sich in der Idee einer selbstreflektiven Materie die Mono-kontexturalitätsgrenze, die das Irdische vom Überirdischen trennte, bereits auf drei Universalkontexturen ausgedehnt. Denn wenn wir das Feld der Urbilder als einen Kontexturbereich betrachten und die Region der Abbilder als einen zweiten, dann ist damit der Prozeß des Abbildens kontexturell überhaupt noch nicht untergebracht, es sei denn wir suchen ihn noch im alten Jenseits, wo er mythologisch in der Gestalt des Demiurgen eine Verkörperung erhalten hat. Diese Figur, als Mittler zwischen Unerschaffenem und Erschaffenem, ist aber endlichgültig säkularisiert und ist in einem Relationssystem verschwunden, wenn wir eine dritte Universalkontextur stipulieren, die die Beziehungen zwischen den ersten beiden bestimmt. Mit dieser Dreiheit der Universalkontexturen ist die Zahl der kontexturalen Grenzen auf zwei gewachsen.

An dieser Stelle ums auf das Nachdrücklichste darauf hingewiesen werden, das damit, das die klassische Schranke zwischen Diesseits und Jenseits, bzw. zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit, in den Bereich der Materie hineingenommen worden ist, diese Grenze nichts von ihrer Unübersteiglichkeit und Radikalität verloren hat. Auch dadurch nicht, das sie sich innerhalb des Diesseits als beliebig vermehrungsfähig erweist. Im Gegenteil - die ganze Wertfülle, die der Mensch einstmals in einen imaginären Tiefenraum des Jenseits projizierte, ist jetzt auf die Schranke selbst übergegangen und mit diesem Reichtum beladen kehrt sie in die Materie ein. Sie bleibt die Hüterin dessen, zu dem sie einstmals nur die Grenze bildete und das unerreichbar und unbegreifbar jenseits ihrer selbst weste. Das ist im dialektischen Materialismus auch vorgeahnt, wenn seit Lenin ausdrücklich von der Unerschöpflichkeit der Materie die Rede ist. Auf Grund dieser Unerschöpflichkeit kann sie nicht im Geist zum Verschwinden gebracht werden. Wenn die Materialität in sich Kontexturgrenzen enthält, so birgt sie damit selbst ein Geheimnis. Sie ist nicht mehr der geheimnislose Stoff des Vulgärmaterialismus, zu dessen Zeiten man die Antithese von Diesseits und Jenseits auch beschreiben konnte als den Gegensatz zwischen Geheinmisleere und Geheimnisfülle.

Die Transferierung der Poly-Kontexturalität aus dem Jenseits in das Diesseits eliminiert nun zwar die imaginären Gestalten, mit denen die religiöse Phantasie die Welt des Übersinnlichen bevölkert hat, sie führt aber zugleich zu einer folgenschweren Entdeckung. Hatte man bisher geglaubt, das die menschliche Emotionalität in allen ihren Formen bis hin zum ethischen Bewußtsein an jenen Göttern gehangen hat, deren Dämmerung jetzt gekommen ist, so kann man sich von nun ab der Einsicht nicht mehr entziehen, das die eigentliche Quelle der Emotion und des Willens nicht jene Geister sind, die angeblich jenseits der Grenze ihr seliges Wesen treiben, sondern das es die Grenze selbst ist, von der jene Bewegungen des irdischen Bewußtseins ausgehen. Nicht der gespenstische Sensemann ist es, der die Angst der Kreatur vor dem Tode auslöst, es ist vielmehr die Begegnung mit der Grenze selbst - gleichgültig ob und was dahinter sich verbirgt. Die Tröstungen der Religion oder die Drohungen der Hölle haben eher die Wirkung die Begegnung mit der Grenze, auf die es allein ankommt, abzuschwächen, weil sie das Erleben vom Wesentlichen auf das Unwesentliche des Phantasiebildes ablenken. Unwesentlich aber ist, was nicht selbst Grenze sondern was hinter der Grenze ist und von ihr eingeschlossen wird; denn es stellt sich heraus, das der Inhalt der Grenzen immer der gleiche ist. Ein frappantes Beispiel - aber nur eines unter vielen - ist die Areopagitische Theologie. Sie bemerkt ausdrücklich, das die Hierarchie der irdischen Kirche nur das Spiegelbild der himmlischen Hierarchie der Heerscharen ist, oder doch wenigstens sein soll. Nicht das Jenseits gibt die Rätsel der Wirklichkeit auf, sondern der spiegelbildhafte Abbruch zwischen Gleichem, das irgendwie und irgendwo dann doch wieder nicht das ganz Gleiche ist. Auf das totale Abbrechen kommt es an; es allein ist die Quelle der Spiritualität. Aber nichts hindert das Denken solche "metaphysische" Klüfte schon im Physischen zu suchen. Der klassische Glaube an die Mono-Kontexturalität des Physischen mag selber ein Aberglaube sein.

Da aber die Theorie der Poly-Kontexturalität, die ontologische Abbrüche im Diesseits sucht - ein Diesseits, das jetzt weder als Diesseits noch als Jenseits anzusprechen ist - die große ontologische Barriere, die die Vergangenheit errichtete, beliebig vermehren kann, bereichert sie nicht nur das intellektuelle Rüstzeug des Menschen, sie gibt dem empirischen Dasein auch eine emotionale Tiefendimension, die es in der klassischen Periode schlechterdings nicht haben konnte, weil Tiefe eben von vornherein Jenseitigkeit bedeutete und Supra-rationales versprach. Für die ältere Auffassung war die Materie flach und als solche war sie, wie Proclus sagt, " geschwätzig". Und wer geschwätzig ist, von dem sind auch keine tiefen Bemerkungen zu erwarten. Aber um Tiefe und Flachheit zu unterscheiden, dazu gehörte ein spirituelles Organ, dessen Kräfte dem Menschen offensichtlich aus jener übersinnlichen Dimension zuflossen in der Tiefe und substantielle Fülle zu suchen waren. Damit war vorausgesetzt, das - soweit der Mensch in Frage kam - die Erfahrung der Tiefe immer eine Begegnung mit der Irrationalität bedeutete. Mit der Grenze der klassischen Logik hörte auch die Domäne der Rationalität für die idealistische Tradition auf. Und die erste Negation als eine totale führte gerade bis an diese Grenze heran und keinen Schritt weiter.

Ein Organ für Tiefe, das von diesseitigen Kräften belebt wurde und das die Tiefe im Rationalen selbst suchte statt in ein Irrationales zu flüchten, schien es nicht zu geben, weil ein objektives Kriterium für daßelbe nicht aufzufinden war. Man hat auch nie sehr ernsthaft danach gesucht, obwohl nach der Entstehung der Hegelschen Philosophie es offensichtlich sein mußte, das ein engster Zusammenhang zwischen Negation und Tiefe besteht. Wenn die Hegelsche Reflexion das Denken in die Stetigkeit einer Tiefendimension führt, die andere Denker wohl in blitzhaften Intuitionen gelegentlich berührt haben, die sie aber, ungleich Hegel, nie festhalten konnten, so war dafür die Idee der zweiten Negativität verantwortlich. Trotzdem läßt uns die Hegelsche zweite Negation unbefriedigt; denn ein unbefangenes Denken wird nicht umhin können zu fragen: wenn sich hinter der ersten Negativität eine zweite auftut, warum dann nicht auch eine dritte eine vierte und so fort ad infinitum? Die Antwort darauf ist bei Hegel implizit gegeben. In der Idee der zweiten Negativität ist eine mögliche dritte, vierte und jede sonst noch folgende bereits eingeschlossen. Wenn wir die Idee des Jenseits als den Ballungsort aller möglichen zusätzlichen Kontexturalgrenzen (d.h. totaler Negativitäten) bezeichneten, so läßt sich jetzt, was die zweite Negativität der Hegelschen Philosophie angeht, sagen. das sie ihrerseits ein solches Sammelbecken aller Negativitäten ist, die der klassischen ersten folgen. Das sie bei Hegel nicht zu trennen und nicht einzeln aufführbar sind, das ist dem Grundübel des spekulativen Idealismus zuzuschreiben, nämlich dem erloschenen Willen zur Formalisierung. Formalisiert man aber die Idee sich fortsetzender totaler Negativitäten in der Gestalt einer mehrwertigen Logik, dann ist es auch möglich, in die Philosophie ein präzises Kriterium für Tiefe - und mit ihm berechenbare Grade der Tiefe - in detaillierter Form einzuführen.

Was diese Idee zuerst absurd erscheinen läßt, ist unser Gefühl das zwischen Tiefe und letztlicher Unbestimmbarkeit ein verborgener Zusammenhang besteht, der sich nicht wegdenken läßt. Dieses Gefühl soll hier nicht wegdiskutiert werden. Im Gegenteil - seine Legitimität wird ausdrücklich respektiert; aber wir müssen hinzufügen, das es sich bei aller Echtheit falsch interpretiert. Um zu verdeutlichen, was wir meinen, wollen wir noch einmal auf das Andersensche Märchen, von dem weiter oben die Rede war, zurückkommen. In dieser Erzählung gibt es kein allmähliches Aufsteigen zum Himmel, in dem die Erde allmählich zurückbleibt und die ewige Seligkeit allmählich auf das gestorbene Kind zukommt. Der Übergang aus der einen Dimension in die andere ist momentan. Geheinmisloses und Geheimnis berühren sich direkt. Das Geheimnislose ist das Rationale; und das Rationale ist die in Licht gebadete Oberfläche, die keine Tiefen haben kann, weil sie das Licht ja zurückwirft. Aber damit ist die klassische Logik auch die Logik überhaupt und an ihren Grenzen stoßen wir direkt an das Mysterium.

Demgegenüber ist zu sagen, das wenn anläßlich der Hegelschen Philosophie von Panlogismus die Rede ist, das nichts anderes bedeuten kann als, das es dem exakten Begriff gestattet sein ums unter die besonnte Oberfläche zu dringen und sich das dort angesiedelte Mysterium zu de-mysterisieren. Es ist Mysterium nur insofern, als es sich jenseits jener Kontexturgrenze befindet, innerhalb deren der klassische Denkprozeß arbeitet. Plaziert man den Denkprozeß auf die andere Seite - und das kann man ohne weiteres tun, - da ja eine elementare Leerkontextur wie die andere ist - so ist das Geheimnis ausgewichen. Es befindet sich immer gerade auf der Seite, wo das Denken nicht ist und bleibt somit unnahbar. Aber diesem metaphysischen Versteckenspielen wird schon in der Hegelschen Logik vorgebeugt durch die Idee der Vermittlung, die die beiden universalen Leerformen Sein und Nichts miteinander verbindet. Trotzdem wird die präzise Problematik bei Hegel nicht allzu deutlich, weil schwer zu erkennen ist, daß unter dem Titel 'Werden' sich eine dritte universale Leerform verbirgt, die ebenfalls mit einer zweiwertigen Logik erfüllbar ist. Wir haben schon weiter oben angedeutet, daß der Ausbruch aus einem mono-kontexturalen Weltbild nicht dadurch erfolgen kann, daß man dem einen Diesseits eine Weltdoublette hinzufügt; denn eine solche Doublette ist formell ja als Un-Welt und Mysteium schon vorhanden; sondern man muß von der Mono-Kontexturalität sofort zu einer Dreiheit von Universalkontexturen für das Diesseits übergehen. Ein solcher Schritt impliziert logische Eigenschaften, die im Diesseits eine Tiefendimension enthüllen, die man bis dato ins Übersinnliche verlegt hatte. Was hier gedacht werden soll, läßt sich in einer mehrwertigen Logik dadurch ausdrücken, daß man dieselbe als eine ontologisches Stellenwertsystem der klassischen Logik interpretiert. D.h. die Welt hat mindestens drei Kontexturbereiche (Stellen) und in jedem regiert die klassische Logik mit relativer Unabhängigkeit von der logischen Funktionalität der andern Bereiche. Insofern aber als die drei Kontexturen als trinitarische Verbundkontextur zusammengeschlossen sind, greifen logische Einflüsse von dem einen System auf das andere über. Dabei entsteht ein strukturelles Phänomen, das wir als Komplexität von bloßer Kompliziertheit deutlich abgegrenzt haben. Diese Komplexität ist der Gradmesser der Tiefe, die wir aus der Transzendenz bereits abgezogen und in das Diesseits als rationales Phänomen eingebaut haben.

Selbstverständlich ist die logische Komplexität einer trinitarischen Verbundkontextur nur der minimalste Anfang einer solchen Vertiefung des Diesseitsbegriffes. Durch Hinzufügung neuer kontexturaler Leerformen und dem entsprechenden Anwachsen der Wertigkeit, die in ihnen untergebracht werden kann, lassen sich im Anschluß an die erste weitere Tiefendimensionen in Diesseitsbeziehungen aufdecken. Einem solchen Fortschreiten ist grundsätzlich kein Ende gesetzt. Und das ist alles, was von dem Mysterium der Transzendenz übrig bleibt: die Unabschließbarkeit des Prozesses der Entmythologisierung des Geistes. Hier beginnt die Logik eine Rolle zu spielen, die sie in der klassischen Tradition nicht gehabt hat und auch nicht haben konnte. Denn je mehr man in der traditionellen Logik vom Besonderen zum Allgemeinen aufstieg, desto dünner wurde das Gewebe der Kategorien und desto blasser das Denken. Die Folge war, daß alle Wesenslehre von einer Hermeneutik übernommen werden mußte, die gar nicht anders konnte als sich im irrationalen zu verlieren, weil eine bis zum Verschwinden verdünnte Logik ihr keine Stützen mehr geben konnte. Die Bewegung des Begrifflichen strebte in dieser Epoche der Philosophie von der Zweiwertigkeit zur Einwertigkeit und suchte über die letztere hinaus sich auf Null-Wertigkeit hin einzurichten. Das entsprach einem Denken, das sich von der Erde ab und einem Gott im Himmel zuwandte.

Demgegenüber muß jede transklassische Philosophie, die ihre volle Befriedigung im Diesseits sucht, dadurch ausgezeichnet sein, daß sie logisch den entgegengesetzten Weg geht. Das Diesseits, das ihr zuerst in der unmittelbaren und naivsten Reflexion entgegentritt, ist zweiwertig, und da die Negation in ihm ganz im Positiven aufgesaugt wird und somit a-thematisch bleibt, ist unser erster Begriff von ihm von einer nicht zu übertreffenden Flachheit. Das begriffliche Denken kann nur feststellen, was so und nicht anders ist. Dieses 'Ist' läßt keinen Deutungsraum übrig. Es ist unvermeidlich, daß die traditionelle philosophische Hermeneutik hier einen grundsätzlichen Abstand gegenüber dem naturwissenschaftlichen und einem ihm beigeordneten mathematischen Denken spüren mußte. So entstand die Theorie der Geisteswissenschaften als der Lehre von Selbstverständnis der sinnhaften Reflexion. Es wird späteren Geschlechtern unverständlich sein, wie ganze Gelehrtengenerationen sich in dem Bemühen nach einer solchen Wissenschaft der exakten Logik ganz entledigen wollten, ganz so als ob die Naturwissenschaft qua Wissenschaft nicht auch ein Produkt des Geistes sei. Man konstruierte die Vogelscheuche einer sogen. Logik der Geisteswissenschaften, die sich durch nichts anderes auszeichnete als durch einen mangelnden Willen zur Präzision. Man kam dem Vorbilde des transzendentalen Idealismus und besonders Hegels Formalismusfeindschaft folgend gar nicht auf die Idee nach einem erweiterten Formbegriff zu suchen, der sich aus der Enge des klassischen Formkonzeptes folgerichtig hätte weiter entwickeln müssen. Und als dann im Jahre 1933 eine Arbeit erschien, die eindringlich behauptete, "daß die traditionelle Logik nur eine Seite des theoretischen Denkens repräsentiert und daß der Bereich der exakten Rationalität unvergleichlich viel weiter reicht als eine mehr als zweitausendjährige Entwicklung der abendländischen Philosophie angenommen hat", so wurde diese These einfach totgeschwiegen. Niemandem von den sogen. Geisteswissenschaftlern fiel es ein, einmal der Frage nachzugehen, welche Gestalt eine formale Logik haben müßte, in der das Phänomen der Subjektivität ebenso exakt formulierbar sein könnte, wie das die klassische Logik für die subjektfreie Objektivität leistet.

Diese - wir wollen milde sagen: Nachlässigkeit war um so weniger verzeihlich, als die Naturwissenschaft selbst dringliche Fingerzeige gab, in welcher Richtung vorzugehen sei. Als es sich nämlich in der Mikrophysik immer deutlicher herausstellt, daß das Objekt nicht mehr scharf vom Beobachter zu trennen sei, wandte sich das wissenschaftstheoretische Denken der Naturwissenschaft wie von selbst der Idee einer mehrwertigen Logik zu. Man folgte dem ganz richtigen Instinkt, daß wenn Zweiwertigkeit an isolierter Objektivität orientiert sei, dann Mehrwertigkeit irgend etwas mit Subjektivität zu tun haben müsse. Da aber die ersten nachdrücklichen Untersuchungen zum Mehrwertigkeitsthema von philosophisch ungeschulten Mathematikern ausgingen, war man sich nicht bewußt, daß eine gegebene Logik indirekter Ausdruck eines allgemeinen philosophischen Weltbildes ist und daß man den Sinn einer transklassischen Logik, die mit mehr als zwei Werten arbeitet, überhaupt gar nicht erfassen kann, solange man dieses Weltbild nicht selber revidiert. Aber gerade diese Aufgabe wurde von den Initiatoren der mehrwertigen Logik nicht geleistet. Man hielt mit völliger Selbstverständlichkeit an dem mono-kontexturalen Wirklichkeitsschema der älteren Tradition fest und machte alle Anstrengungen die neuen logischen Phänomene innerhalb dieses Rahmens zu deuten. Das hat zu keinen befriedigenden Ergebnissen geführt, wie heute jedermann weiß, der sich etwas näher mit der Entwicklung der Theorie der Mehrwertigkeit befaßt hat.

Für die mono-kontexturale Theorie der Wirklichkeit sind totale Position und totale Negation absolut Grenzwerte, für die es keinen übergeordneten Bestimmungsgesichtspunkt mehr geben kann, und die aus diesem Grunde den Bereich der Universalkontextur, die Hegel reflexionsloses Sein nennt umschreiben. Da die naturwissenschaftlichen Logiker niemals auf die Fragwürdigkeit dieses Weltbilds reflektiert hatten, war es ganz selbstverständlich und von ihren Voraussetzungen aus nur folgerichtig, daß sie die neu einzuführenden logischen Werte innerhalb der Spannweite der beiden Absoluten Werte plazierten. Absolut fehlerhaft war das nicht. Denn auch dann, wenn von der Existenz eines Subjektes überhaupt noch nicht die Rede ist, machen sich die Konsequenzen der Subjektivität schon längst bemerkbar in der Fehlbarkeit des Denkens, das sich allem Inhaltlichen gegenüber mit Annäherungsurteilen begnügen muß. Von altersher galt die Subjektivität als die Quelle des Irrtums. Das objektive Sein kann sich nicht irren. Es ist so wie es ist. Im Gegensatz dazu war das sich nie irrende Denken ein unerreichbares Ideal, weshalb jedes endliche Urteil über Objektivität mit einem grundsätzlichen Faktor von Wahrscheinlichkeit behaftet sein mußte. Es war deshalb nur natürlich, daß man bei dem ersten Versuch den subjektiven Beobachter in die Wissenschaftstheorie der Physik auf dem Weg über mehrwertige Logiken einzuführen, man dieselben als Modal- bzw. Wahrscheinlichkeitskalküle interpretierte. Anders gesagt: man ordnete die zusätzlichen Werte, die zu den bekannten klassischen hinzutraten, innerhalb der kontexturalen Spannweite von 'Falsch' und 'Wahr' an. Platz dafür gab es ja unbeschränkt, da die logische Distanz zwischen den beiden Absolut Werten ja durch kein übergeordnetes logisches Bestimmungsprinzip irgendwie eingeengt war.

Es sollte selbstverständlich sein, daß bei einer solchen erkenntnistheoretischen Einstellung die Thematik des Denkens sich überhaupt noch nicht auf das Subjekt qua Subjekt als ontologische Eigengrösse richtete. Das transzendentale Thema des Denkens blieb auch ferner das gegebene Objekt. Man war nur bereit sich logisch darauf einzurichten, daß dieses Objekt sich dem theoretischen Begriff nicht in klaren Konturen, sondern nur gesehen durch den Nebeldunst einer hinfälligen Subjektivität zeigte, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen zu sein schien. Es ist evident, daß dabei die Frage was das Subjekt per se, d.h. seiner eigentlichen Natur nach, also als nicht Objekt ist, überhaupt nicht in das Blickfeld der erkenntnistheoretischen Intention kommen konnte. Soweit die letztere in Frage kam, war Subjektivität immer noch jenes transzendente Seelentum, das im Überirdischen seinen Wohnsitz hatte, und von dort aus mit dem Lichte des Verstandes die kontexturale Scheidewand, die das Hier vom Drüben trennte, zu durchdringen suchte. Mit dieser thematischen Einstellung blieb die moderne, an der Physik orientierte Wissenschaftheorie selbstverständlich hoffnungslos hinter dem philosophischen Niveau zurück, das in der Transzendentalphilosophie des deutschen Idealismus längst erreicht war. Es war höchst bezeichnend, daß in die moderne Grundlagenkrise der Mathematik, die schon im Anfang des 20. Jahrhunderts ein seriöses Ausmaß erreichte, nichts von den transzendental-philosophischen Beständen und ihren dialektischen Elementen eingegangen ist. Denn das zentrale Anliegen dieser Philosophie ist eben die Frage nach einer Welt, zu der die Subjektivität - bzw. die Seele - mit gleichem Rechte und in gleichem Masse gehört wie das als Ding erscheinende Objekt.

Es war selbstverständlich, daß diese Frage, war sie einmal gestellt, auch beantwortet werden mußte. Zwei Wege waren dabei möglich: Einerseits hätte man von der Philosophie erwarten können, daß sie sich hier in einem exakten wissenschaftstheoretischen Sinne verpflichtet gefühlt hätte, diese Antwort von sich aus zu geben; aber diese Entwicklung wurde durch den sogen. Zusammenbruch des Idealismus abgeschnitten. Und für diejenigen seiner Kritiker, die am tiefsten und unbarmherzigsten sahen, schien hier das Ende der Philosophie überhaupt gekommen. Die zweite Möglichkeit bestand darin, daß die Physik, nachdem sie einmal entfernt am Problem der Subjektivität gerochen hatte, dieses Thema von sich aus aufnehmen und eine mathematische Theorie der Subjektivität entwickeln würde. Es wäre eine Wohltat gewesen, hier einem Denken über Subjektivität zu begegnen, welches das verschwommene Gerede der Geisteswissenschaften auf eine sichere Grundlage gestellt hätte.

Aber nichts von beidem geschah! Statt dessen ereignete sich ein Drittes höchst unerwartetes. Das Gesetz der Sache nahm wie ein durchgehendes Pferd, über das der Reiter die Herrschaft verloren hat, das Zaumzeug zwischen die Zähne und begann in eine Richtung zu galoppieren, die wenig mit den Intentionen des im Sattel Sitzenden zu tun hatte. Wir spielen hier auf die Entstehung und bisherige Entwicklung der Kybernetik an. Diese neuartige Disziplin,, die schon in ihren primitivsten Anfangsstadien eine komplizierte Mischung von formaler Logik, Mathematik, Ingenieurwissenschaft und Neurophysiologie darstellte - um nur die wichtigsten Komponenten zu nennen -, hat sich bisher ganz im Geiste ihrer ursprünglichen Begründer entwickelt, die mit einer Ausnahme (von der noch zu reden sein wird) Wissenschaftler waren, die ganz auf dem Boden der klassischen Naturwissenschaft standen, und die mit völliger Selbstverständlichkeit von dem tradierten mono-kontexturalen Weltbild ausgingen. Kybernetik war für sie eine Naturwissenschaft im alten Sinne des Wortes; daran rührte auch die biologische Komponente dieses interdisziplinären Bereich nicht im geringsten. Das methodische Ziel dieser Wissenschaftler war, die Biologie zu entbiologisieren. Es ist bezeichnend, daß einer der am intensivsten sich auf diesem Gebiet betätigenden Gelehrten noch im Jahre 1966 mit Hinblick auf die Frage nach der Subjektivität schrieb: "On the 'mind-body problem' ... and on the 'problem of consciousness' (whatever those words may mean) I shall say nothing, for I have seen no evidence that there yet exists anything worth saying." Es ist nicht unwichtig anzumerken, daß ausgerechnet der Autor dieser Bemerkung seiner Herkunft nach Neurophysiologe und Psychiater war.

Es darf also wohl mit einigem Rechte gesagt werden, daß die thematische Haltung der Wissenschaftler, die auf diesem Gebiete zu arbeiten begannen, naiv materialistisch war und noch ist. Von der Idee einer dialektischen Logik, die die Problematik der Subjektivität ausdrücklich und mit neuen konzepturalen Prinzipien anvisiert, ist in diese Kreise bis heute noch nichts gedrungen. Wir erwähnten allerdings schon eine zögernde Ausnahme. Wir meinen Warren S. McCulloch mit seiner Arbeit A Logical Calculus of the Ideas immanent in Nervous Acitvity (Mitarbeiter Walter H. Pitts),. der als eigentlicher Begründer der Kybernetik zu gelten hat. Bei McCulloch ist, wenigstens in Ansätzen, die Einsicht zu finden, daß die Kybernetik sich insofern von aller bisherigen Wissenschaft unterscheidet, als in ihr eine Thematik ganz unbewußt aufgenommen worden ist, die nach der bisherigen wissenschaftlichen Tradition überhaupt nicht in die Wissenschaft gehört, nämlich die Subjektivität als Index einer transzendentalen Größe. Tranzendentalität aber bedeutet Übergang aus einem Diesseits in ein Jenseits. Nun sollte ganz klar sein, das ein solcher Übergang für eine Wissenschaft mit den technischen Ambitionen, die die Kybernetik hat, nur eine Absurdität ist, solange man noch unter Jenseits das versteht, was die ältere Tradition darunter begriffen hat. Aber McCulloch war bereits der Einsicht ganz nahe - und eine eingehende Lektüre von Heideggers Sein und Zeit hatte ihn in diese Richtung gewiesen - , daß es innerhalb unseres Diesseitsbereiches ein Phänomen geben müsse, das der klassischen Unterscheidung zwischen Natur und Geist entspräche. In anderen Worten: das Diesseits enthält selbst sein eigenes Jenseits und ist insofern in sich heterogen.

Damit war der erste Schritt getan, das Diesseits ins Jenseits hineinzuziehen; aber eben nur der erste Schritt, der bei McCulloch zu Versuchen mit einer triadischen Logik führte, denn es blieb für diesen großen Gelehrten neben der klassischen Kontexturalgrenze, die in seinen epistemologischen Überlegungen sich weiter behauptete, bei jener zweiten, die als einzige die Immanenz durchschnitt. Erst in den allerletzten Monaten seines Lebens waren bei ihm Ansätze zu bemerken über diese Triadik hinauszugehen.

Von solchen Ideen war aber in der weiteren Entwicklung der Kybernetik wenig zu spüren. Man kann vielleicht noch darauf hinweisen, daß Norbert Wiener die Relevanz der Unterscheidung von Newtonscher und Bergsonscher Zeit für die Kybernetik demonstrierte. Im übrigen aber degenerierte die Kybernetik in ihrer Weiterentwicklung immer mehr zu einer subalternen Theorie der Datenverarbeitungssysteme, - ganz als ob der Mensch damit beschrieben wäre, daß er Daten konsumiert und andere Daten ausstößt. Es hat sich bisher in der Kybernetik kein philosophisches Bewußtsein entwickelt, daß eine Theorie des lebendigen, bewußten und selbstreflektiven Organismus eine andere Weltanschauung voraussetzt als die, aus deren Quellen die bisherige abendländische Wissenschaft getrunken hat. Und doch, - obwohl ein fundamental-theoretisches Bewußtsein den Wissenschaftlern, die auf kybernetischem Gebiet arbeiten, fast völlig mangelt, blieb es nicht aus, daß sich innerhalb dieses Wissenszweiges Problemstellungen entwickelten, die nicht mehr in die klassische Tradition gehörten und ganz deutlich bereits in den Kompetenzbereich der Hegelschen dialektischen Logik führten. Man fing an, in der Terminologie von John von Neumann von einer Logik des Dialogs, also von einer Dialogik zu sprechen, ahnte aber nicht, daß die Dialogsituation - so wie sie heute begriffen wird, und das ist himmelweit von Plato entfernt - nur ein infinitesimales Moment in der Theorie der Dialektik ist. Gelegentliche Hinweise des gegenwärtigen Autors daß das bei Hegel schon genauer und tiefer beschrieben ist, begegneten meist nur einem mitleidigen Lächeln.

Trotz allem aber kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die transzendental-dialektischen Fragestellungen von Wissenschaftlern, die weder Neigung noch Begabung für Dialektik haben, unbewußt und fast gegen ihren Willen resorbiert haben. Es ist das innere Gesetz der Sache, das hier seine Macht zeigt und das den inneren Kern der transendental-dialektischen Philosophie aus vollkommen unidealistischen Voraussetzungen heraus erneuert. Wenn die Kybernetik eine Botschaft hat, so ist es die. daß alles das, was sich nach Hegel im Reiche der Geister abspielt, in Wahrheit ein Walten innerhalb der Materie ist, an jenen Stellen, wo sie zu sich selbst kommt.

Für ein solches Zu-sich-selbst-Kommen aber genügt nicht im entferntesten, daß die Diesseitsanschauung sich von der Mono-Kontexturalität zu einer kontexturalen Dyade erhebt. Einer solchen Anschauung der Materie fehlt immer noch die echte Tiefendimension, die die Einverleibung des Geistes in die Wirklichkeit gewährleistet. Was notwendig ist, ist die Erkenntnis, daß das Diesseits von einer Unendlichkeit von Kontexturalschranken durchschnitten wird. Begnügte man sich nämlich auch im Diesseits mit einer Dualität von Kontexturen, dann verschwände erstens das Problem der Vermittlung, das in der Hegelschen Logik so mühsam erarbeitet war, und zweitens gäbe es dann keine Antwort für das Problem der Individualität. Denn wenn wir in der einen Kontextur die reine Objektivität und in der andern alle Subjektivität lokalisiert fänden, dann ließe sich zwar notdürftig die Scheidung zwischen Ich und Du andeutbar machen, aber unsere Behauptung, daß zwischen der Vielheit der individuellen Du's sich genau solche kontexturellen Grenzen ziehen wie zwischen Ich und Du hätte dann logisch keinen angebaren Sinn. Überdies: die Idee der Komplexität, die logisch erfaßbare Tiefe bestimmt, beruht ja gerade darauf, daß Elementarkontexturen sich zu Verbundkontexturen zusammenschließen, aber die einfachste Verbundkontextur schneidet bereits zwei kontexturale Abbrüche durch das Diesseits, vom Jenseits, das als Sammelbecken einer Unendlichkeit von Kontexturalitäten überhaupt noch kaum angezapft ist, ganz zu schweigen.

Die Tiefe, die die Hermeneutik verlangt, muß ebenso unauslotbar sein wie jener Materiebegriff, auf dessen Unerschöpflichkeit der dialektische Materialismus steht. Aber Tiefe bedeutet auch, daß der vordringende Gedanke im Prozeß der Formalisierung den Bereich des noch nicht formalisierten und doch schon hermeneutisch Sichtbaren nicht verringert, sondern ständig vergrößert. Für das landläufige Denken gilt zwar, daß der Fortschritt des Wissens in der Sicherheit arbeitet, nie das Reservoir des noch Ungewußten erschöpfen zu können, weil daßelbe bodenlos ist. Das Unendliche aber bleibt relativ zum Nicht-Begriffenen das Erkennen doch ein Minusprozeß. Am entschleierten Geheimnis ist etwas verloren, an dem sich der hermeneutische Trieb einmal entzünden konnte. Dieses Verhältnis aber erfährt eine Art von Umkehrung in einer Hermeneutik, die das Phänomen der Komplexität anvisiert. Je mehr es dem Denken gelingt, die Komplexität zu formalisieren, also aus dem Unbegriffenen ins Begriffene hinüberzuführen, desto mehr steigert sich das hermeneutische Geheimnis. Wir begegnen diesem Faktum unmittelbar bei dem Eintritt in den logischen Bereich der Mehrwertigkeit.

Angesichts der Strukturformen der zweiwertigen Logik gibt es kein Deutungsproblem gegenüber der Frage, was diese Konfigurationen über sich selbst aussagen. Es ist höchst bezeichnend, daß es nie einen ernsthaften Versuch gegeben hat, die Operationen und kombinatorischen Veränderungen der traditionellen Logik als Organon hermeneutischer Sinnanalyse, also als exakten intensionalen Deutungskalkül nutzbar zu machen. Sobald wir aber auch nur einen dritten Wert eingeführt haben, sind wir außer Stande mit den Wertfolgen einer solchen Struktur ontologisch sinnvoll zu arbeiten, ehe wir uns nicht zu einer hermeneutischen Deutung entschlossen haben. Der Grund dafür ist in dem Umstand zu suchen, das schon elementare mehrwertige Werttafeln Intensionales mit extensionalen Mitteln ausdrücken. Eine klassische Wertfolge beschreibt ein eindeutiges Ist, wodurch sich das was wir geisteswissenschaftliche Hermeneutik nennen erübrigt. Denn jenes Ist versteht sich als das klassische reflexionslose Sein überhaupt, an dem nichts zu deuten ist und das als factum brutum einfach zur Kenntnis genommen werden muß. In einem poly-kontexturalen Weltbild kann von einem solchen reflexionsentleerten faktischem Ist nicht mehr die Rede sein, denn es erhebt sich sofort die Frage, in welcher Elementarkontextur dieses Ist lokalisiert sein soll und zu welchen möglichen Verbundkontexturen die besagte Elementarkontextur gegebenenfalls gehören kann. Damit aber wird das einstig nur faktische Ist zu einem hermeneutischen Problem.

Das Problem ist in elementarer Form längst bekannt. Man hat sich viel den Kopf darüber zerbrochen, in welchem Sinne das mythische Flügelpferd Pegasus eigentlich 'ist'; denn es hat ja als Phantasiebild und psychisches Ereignis in unserm Bewußtsein irgendeine Form von Dasein. Aber wie unterscheidet sich jenes Dasein von dem irgendeines Pferdes, das gerade das letzte Derby gewonnen hat. Darauf ist bis heute nirgends eine befriedigende Antwort gegeben worden. weil in einem mono-kontexturalen Weltbild außerbewußtliche Existenz mit innerbewußtlichem Vorhandensein nicht in Einklang gebracht werden kann. Was man bisher zur Lösung des Problems beigetragen hat, sind denn auch nur Ausflüchte und Verlegenheitskontstruktionen gewesen, denn das klassisch-zweiwertige Denken ist selbst einer solchen elementaren Frage aufgrund seiner Strukturarmut schlechterdings nicht gewachsen. Wir müssen uns deshalb im nächsten Kapitel erst einmal der Frage zuwenden, wie denn ein Denken aussehen soll, das solchen Fragen strukturtheoretisch gewachsen ist und das bei der Pegasus-Frage ohne Umschweife darauf hinweisen kann, daß zwischen den Inhalten eines Bewußtseinsraums und der Umwelt des Bewußtseins immer ein kontextureller Abbruch zu konstatieren ist.

V.

Die alten Fragen: was ist Sein? Was ist Wirklichkeit? Und was ist Schein? haben sich in einer langen geistesgeschichtlichen Entwicklung für die betrachtende Reflexion als unlösbar erwiesen. Überdies hat der Mensch das Problem ihrer Auflösung im Bereich des theoretischen Denkens bisher nie als dringende Not empfunden, weil sich diese Fragen im Bereich der Handlung ganz von selbst überflüssig machen. Um mich von der Realität eines Steines, der im Wege liegt, zu überzeugen brauche ich nur über ihn zu stolpern. Und um der objektiven Existenz eines Stückes Brot inne zu werden, brauche ich es nur zu essen. Es liegt im Wesen philosophischer Grundfragen, daß sie im direkten Angriff grundsätzlich nicht zu bewältigen sind, denn wären sie es, dann wären sie nicht philosophisch. Ihr Schicksal ist, daß das Bewußtsein, das sei einmal formuliert hat, sie überlebt und das Interesse an ihnen verliert, weil sie sich durch weitere und tiefere Fragestellungen von selbst erledigen. Die Frage: was ist faktische Objektivität? gehört unlöslich zu dem Glauben an die Alleinherrschaft der zweiwertigen Logik als des Organons des exakten theoretischen Philosophierens. In der Einflussphäre dieser Logik ist die naive Frage, was Sein ist, unausweichlich und die begriffliche Reflexion kann sie nicht umgehen. Geht man aber zu einer transklassischen Logik über, deren erstes Stadium das Phänomen der Mehrwertigkeit ist, dann vollzieht sich eine tiefgreifende Wandlung in der Erkenntnisintention eines Bewußtseins, das mit dem neuen Organon zu arbeiten gewillt ist. Das factum brutum der reflexionsfreien Objektivität taucht natürlich als essentieller Hintergrund in jeder Universalkontextur auf, und damit präsentiert sich sofort die neue und weitergehende Frage, was kann als Sein gedeutet werden? und an diese schließt sich sofort die zweite Frage: welche Deutung kann unter gegebenen Bedingungen Vorrang vor einer anderen haben? Was damit gemeint ist, läßt sich leicht an einem Erlebnis, das wohl jedem von uns schon begegnet ist, erläutern. Wir liegen im Tiefschlaf und aus demselben kristallisiert sich allmählich ein angsteinflössender Traum; wir sehen uns von etwas verfolgt, das uns bedroht, das dem erregten Körper den Angstschweiß aus den Poren treibt. Dann verfließt der Traum, und wir finden uns in unserem nächtlichen Schlafzimmer wieder, während die Angst die wir eben noch gespürt haben, zögernd verebbt. Auf die Frage: warum uns im Schlaf intensive Furcht und vielleicht auch Panik überwältigt haben, gibt es nur eine Antwort: weil wir unsere eigenen Traumgeschichte für eine objektive bewußtseinsunabhängige Realität gehalten haben. Wir sind während des Schlafes einem Deutungszwang unterlegen, der mit dem Aufwachen einem neuen Deutungszwang weicht. Wir können jetzt nämlich nicht anders als unser Schlafzimmer als die wirkliche Realität zu erfahren, und wir verweisen damit die Ereignisse des Traumes in den Bereich der Imagination, und wir stellen erleichtert fest, daß wir uns vor etwas Eingebildetem gefürchtet haben. Angesichts dieses Schlusses sollte es uns zu denken geben, daß die religiös orientierte Philosophie mit demselben Argument arbeitet, wenn uns versichert wird, daß wir einmal aus dem Todesschlaf aufwachen werden und daß uns dann alles Irdische und Vergängliche als ein böser Traum erscheinen wird, aus dem wir endlich erlöst sind um die wahre Wirklichkeit zu schauen. Der durch die klassische Philosophie Erzogene wird vielleicht einwenden, daß unser Beispiel den Sachverhalt nicht trifft, insofern wir ja leicht nachweisen können, daß der Traum einen geringeren Wirklichkeitsgrad haben muß als das Zimmer, in dem wir ruhen. Unser Zimmer mag ein Krankenzimmer sein und an unserm Bette mögen ein Arzt und eine Krankenschwester stehen, die uns in unserm Fiebertraum beobachten. Ihr Realitätsbewußtsein widerspricht dem unsrigen kraß und es liegt in ihrer Macht das des Träumenden zu widerlegen, indem sie ihn aufwecken und ihn dem Deutungszwang unterwerfen, durch den sie selbst gebunden sind. Soweit dieses Argument geht, ist es selbstverständlich richtig, und wir denken gar nicht daran es unter den Voraussetzungen unter denen es steht zu bestreiten. Für uns handelt es sich vielmehr darum, daß der Hinweis auf die gar nicht bestrittene Überlegenheit eines sogen. wachen Bewußtseins über ein träumendes unser Problem einfach verfehlt. Was bei dem traditionellen Argument miteinander verglichen wird, sind Inhalte unterschiedlicher Bewußtseinkreise, aber nicht die Bewußtseinskreise selbst. Gerade um die letzteren aber handelt es sich bei dem Problem der Universalkontexuten. Und wir würden deshalb in dem Falle eines Arztes, der einen aus seinen Fiebertraum aufschreckenden Kranken beruhigt, sagen, daß der Deutungszwang, dem der Schlafenden unterliegt. einer Elementarkontextur angehört, während der Deutungszwang, unter dem der Arzt steht, einer Verbundkontextur zuzurechnen ist. Das darf aber nicht dazu verführen zu behaupten, daß das Urteil des Wachenden der wahren Objektivität, die irgendwo im Transzendenten west, näher kommt. Die Torheit einer solchen Betrachtungsweise ist schon von Karl Heim in seiner Kritik der Schleiermacherschen Religionsphilosophie widerlegt worden. Wenn Schleiermacher die Religion auf das Gefühl eines schlechthinigen Abhängigkeitsverhältnisses begründet und als Korrelat dieses

schlechthinigen Abhängigkeitsgefühls die Idee Gottes setzte, so bemerkt dazu Heim scharfsinnig und sehr witzig: "Stehe ich nun samt meiner ganzen 'Welt' zu etwas anderem im schlechthinigen Abhängigkeitsverhältnis, so genügt dazu vollständig, daß das andere stärker ist, als ich und meine Welt. Es braucht darum noch lange nicht unendlich stark zu sein. Um eine Maus in ein schlechthiniges Abhängigkeitsverhältnis zu bringen, genügt es, sie den Krallen einer Katze zu überliefern. Sie braucht dazu noch lange nicht in die Hände des allmächtigen Gottes zu fallen." Die Realitätssuggestion eines Bewußtseinsinhaltes mag also noch so überzeugend auftreten, immer läßt sich daraus nur ein Schluß auf eine höhere Verbundkontextur ziehen, von der unser Wirklichkeitsbewußtsein abhängig ist.

Die klassischen Voraussetzungen des Denkens gruppieren sich alle um die ins Metaphysische zielende Annahme, daß alle erscheinende Welt auf einem ontologisch absoluten Sachverhalt beruht, an dem nichts zu deuten und zu drehen ist und dessen Objektivität nur konstatiert werden kann. Hier steht der Mensch einem Unwandelbaren gegenüber, an dem sich nichts durch eine wandelnde Position des Bewußtseins ändern läßt. Die Urteile des Menschen über diesen Sachverhalt sind entweder richtig oder falsch, und wenn sie falsch sind, dann muß man sie eben berichtigen. Mit Hermeneutik hat das überhaupt nichts zu tun. Während das naturwissenschaftliche Denken den Bewußtseinsraum zu transzendieren und in ein objektives Ansich einzudringen den Ehrgeiz hat, ist die hermeutische Deutung auf den Innenraum der Subjektivität beschränkt. Hier tritt die Kategorie des innerlichen Verstehens in ihr Recht, die nicht danach fragt, was ist, sondern wie das was ist gedeutet werden kann. Das hat zu der unglückseligen Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften geführt, die um so verhängnisvoller ist, als sie die sogen. Geisteswissenschaften von der Verpflichtung eines formal-rigorosen Denkens entbunden hat. Die Trennung wäre nicht so schlimm, wenn der reine Geist es sich leisten könnte, in vornehmer Abgeschiedenheit bei sich zu bleiben; aber seit Hegel zum mindesten kennen wir ja das Problem des objektiven Geistes, einen Titel unter dem sich die chaotischen Tatsachenhaufen der sogen. Kultur- und Sozialwissenschaften verbergen. Daß hier keine Ordnung zu schaffen ist, liegt daran, daß das rückständige Denken, das sich in diesen Gegenden tummelt, immer noch mit den ausschließlichen Denkmitteln arbeitet, die ein mono-kontexturales Weltbild liefet. Ein solches Denken hat noch nicht begriffen, daß in einem poly-kontexturalen Weltbild die Idee des objektiven Ansich das Jenseits einer Erkenntnisgrenze west, durch die Erfahrung des Widerstandes ersetzt wird, den die Schranke einer Universalkontextur gegenüber dem Druck des Denkens, das über sie hinaus will, leistet. Wir sprechen davon, daß die Idee des Seins überhaupt dann und nur dann entsteht, wenn die Reflexion an einer solchen Schranke sich zurückgeworfen sieht und diese Erfahrung metaphysisch hypostatiert und sich selbst sagt, daß hier die massive Substanz der Wirklichkeit beginnt. Dem gegenüber begreift das Denken, daß diese Schranke immer der Übergang in das Nichts ist. Ein Nichts freilich, welches das Denken mit Bestimmungen füllen kann; aber dieses Bestimmungen können nur solche sein, denen die Reflexion im Diesseits bereits begegnet ist. Wenn nun das poly-kontexturale Denken zu dem Ergebnis gekommen ist, daß das Diesseits unzählige solche Schranken durchqueren, hinter denen sich wieder ein Diesseits ansiedelt, dann bleibt ihm anstatt der alten ontologischen Frage nur übrig, nach der Bedeutung zu suchen, die den kontexturellen Widerstand an einer Schranke von dem an einer anderen unterscheidet. Anders gesagt: Wir müssen uns Rechenschaft darüber geben, was wir unter Sein verstehen, wenn es uns in dieser oder jener Elementarkontextur oder auch im Umkreis einer bestimmten Verbundkontextur begegnet. Ansichsein oder Kontingenz der Objektivität wird so für das transklassische Denken zu einem Deutungserlebnis, während das klassische hier nichts weiter als einen invarianten Tatbestand sieht, der einfach zu konstatieren ist und mit dem man sich zu bescheiden hat.

Die klassische Situation des Suchens nach einem solchen kostatierbaren Tatbestand, der, wenn einmal registriert, die Suche endet, bleibt dann nur noch für jene Aktivitäten übrig, die sich aus praktischen Gründen auf das Eruieren der Eigenschaften eines total reflexionsfreien Universums beschränken. Und ein Suchen, das von nichts anderem getrieben wird als dem Glauben an eine absolute Substanz, von der Spinoza sagt. "per substantiam intelligo id, quod in se est et per se concipitur, h.e. cuius conceptus non indiget conceptu alterius rei", wird dann auch nur konstatierbare Tatsachen als Bestimmungen dieser Substanz finden. Zu deuten ist da ganz und gar nichts wie schon aus dem cuius conceptus on indiget conceptu alterius rei hervorgeht. Eine nützliche Beschäftigung gewiß, dieses Konstatieren, aber eben nur eine Vorstufe zu dem, was man seit Hegel unter Wissenschaft verstehen sollte. Ein inneres deutendes Erfassen des Gefundenen ist in dieser Tätigkeit nicht eingeschlossen. Soweit die klassische Tradition deutende Haltungen des Bewußtseins mit sich führt, sind diese immer auf das überirdische Jenseits gerichtet, zu dessen Pforten nur der religiöse Glaube tragen kann, ein Glaube ohne den der Idealismus nicht lebensfähig ist. Es ist nicht zufällig, daß für eine frühere Zeit der Terminus Deutung so nahe mit dem anderen 'Sterndeutung' verknüpft war. Der Lauf der Sterne mußte deutbar sein, sofern man in ihnen die Boten Gottes sah, wie noch 1680 eine auf eine Medaille geprägte Inschrift predigt:

Wan an des Himmels Zelt Cometen Fakheln brennen

So sollen Gottes Zorn hienieden wir erkennen.

Hier wird Faktisches nicht bloß registriert, sondern es wird auch gedeutet - gedeutet aber kann es nur werden, insofern als in ihm Überirdisches zu tun spricht. Und da das Überirdische vom Irdischen durch eine Kontexturalgrenze geschieden ist, wird uns schon damit der Zusammenhang zwischen Universalkontextur und Hermeneutik nahe gebracht.

Was der transklassische Denker an dieser Situation kritisiert, ist nicht die thematische Richtung des hermeneutischen Verstehens, sondern der irrtümliche Glaube, daß das Verstehen sich auf etwas, was jenseits der Grenze ist, richtet. In unserm Beispiel ist das Ziel der Deutung ja nicht die Kometenfackel selbst sondern der Zorn Gottes, der in den Tiefen des Himmels sozusagen 'hinter' dem Kometen brennt. Irdischer Stoff und unirdischer Geist sind hier getrennt. Hermeneutik im transklassischen Sinne setzt aber ein Universum, oder besser noch: eine endgültige Realität voraus in dem Subjektivität und Objektivität als eine unlösbare Einheit betrachtet werden müssen. Der Akzent liegt dabei auf dem Prädikat 'unlöslich'. Es ist wesentlich, daß wir uns ein Universum vorstellen, aus dem die Subjektivität nicht mehr als erlöste Seele in ein fernes Reich des Übersinnlichen fliehen kann.

Freilich, um in einem poly-kontexturalen Universum diese Einheit von Subjektivität und Objektivität wirklich zu verstehen, muß man erst einmal den Versuch machen, sie gesondert zu bestimmen. Tut man das, so bleibt einem nur übrig, auf die Unterscheidung von innerem, positiven Gehalt der Kontextur und auf die Kontextur selbst als logische Form hinzuweisen. Der Gehalt kann dann als Manifestation von Objektivität und die kontexturelle Grenzbedingung als Index der Subjektivität gelten. Ein solcher Hinweis ist allerdings sehr vage und vorläufig, aber er zielt wenigstens von fern auf den Kern des Problems. Im Augenblick aber sind wir nur daran interessiert, Subjektivität so zu definieren, daß aus der Definition sofort klar wird, daß die Seele nicht ein bloßer Gast auf Erden ist, der dieses Jammertal baldmöglichst wieder verläßt. Denn wenn Subjektivität als Index und positiver Ausdruck von kontexturellen Schranken verstanden wird, dann ist sie ein essentieller Bestandteil dieser Welt und diese Welt ist ein integraler Teil von ihr, so wie Form und Inhalt eben zusammengehören und nicht getrennt existieren können. Identifiziert man Objektivität mit kontexturellen Inhalt und Subjektivität mit der Kontexturalität selbst, bzw. ihrer Funktion als Schranke, so sollte ein solcher Hinweis, soweit es um die Subjektivität geht, allerdings immer mit der Bemerkung ergänzt werden, daß die Eigenschaften einer Kontexturalschranke nicht invariant sind. Treten mehrere Elementarkontexturen zu einer Verbundkontextur zusammen. So gehen gewisse Eigenschaften der elementaren Kontexturalität auf die umfassende Schranke der Verbundkontextur über. Wie sich das im Einzelnen vollzieht, daß muß aus den logischen Eigenschaften mehrwertiger Systeme abgelesen werden.

An dieser Stelle kommt es uns nur auf ein philosophisches Denken an, nämlich die Umlenkung des hermeneutischen Denkens auf das Diesseits. Daß das Sein überhaupt in dem poly-kontexturalen Weltbild aus einer nackten Konstatierbarkeit zu einem Sinnproblem wird, weil sich der Sinn des Seins an jeder Kontexturgrenze in einer anderen Weise enthüllt, darauf haben wir schon hingewiesen. Wir müssen nur noch feststellen, was von der ursprünglichen Thematik der klassischen Hermeneutik erhalten bleibt und was jetzt als Neues hinzutritt. Erhalten bleibt nach dem Abbröckeln des alten Seelenmythus die radikale Nichtobjektivität des Subjektiven. Denn wenn wir das "Spirituelle" als eine in sich geschlossene Domäne bezeichnen, in der Inhalte auftauchen und wieder verschwinden können, die Domäne aber konstant bleibt, (Unsterblichkeit), so ist mit dieser Konstanz nichts Gegenständliches gemeint, sondern eine reine Gesetzlichkeit, die einen Dingbereich - einfach "Ding" im weitesten Sinne des Wortes - durch Regeln zusammenhält. Auf dieses Zusammenhängen und nur darauf kommt es an, aber nicht auf das, was zusammenhängt. Diese totale Ungegenständlichkeit (daher Subjektivität) der Universalkontextur konstituiert sich logisch betrachtet in dem fundamentalen Prinzip, daß für den totalen Inhaltsbereich der Kontextur der Satz vom ausgeschlossenen Dritten so gelten muß, daß kein übergeordneter Bestimmungsgesichtspunkt für den Gegensatz von Position und Negation mehr angebbar ist. Wir erinnern daran, daß ein solcher Gegensatz immer ein reines Umtauschverhältnis ist, das an der Wurzel aller Wahlakte liegt. Solange wir uns einem Gegensatz von Negieren und Affimieren gegenüberstehen, für den sich ein übergeordneter Sinn angeben läßt, in dessen Bannkreis das Affimieren bzw. Negieren stattfindet, solange haben wir es mit einem Gegenstandsbereich, also mit Objektivität zu tun.

Hier wird von dem klassisch erzogenen Menschen ein ziemlich radikales Umdenken gefordert. Für die landläufige Vorstellungen ist die Seele ein Ich-ansich, das - man weiß nicht wie - in der Dingwelt sein Wesen treibt, das sich einmal - wieder weiß man nicht wie - aus einem absoluten Subjekt herausgelöst hat und daß schließlich - zum dritten Mal ist man ratlos - sich mit dem absoluten Subjekt wieder vereinigt. Der Skeptizismus hat sich bemüht den Widersinn dieser naiv mythologischen Vorstellungen aufzudecken und am Ende steht bei allen denen, die nie denken konnten, die Borniertheit des Atheismus. Was völlig vergessen wird, wenn man Gott und die Seele erst einmal für nicht-existent erklärt hat, ist die Beantwortung der Frage, aus welcher unbegrifflichen Quelle eigentlich die Kraft kommt, die solche mächtigen Illusionen erzeugt hat und noch immer erzeugt. Kant hat in der Kr.d.r.Verf. in dem Abschnitt vom transzendentalen Schein darauf hingewiesen, daß in dem theoretischen Reflexionsprozeß Mechanismen eingebaut sind, die das unkritische Denken nicht nur irreleiten und in dieser Irreleitung Bewußtseinsresultate produzieren, die auch die kritische Analyse nicht eliminieren kann. Er nennt diese Resultate einen "transzendentalen Schein" und sagt von demselben: "Der transzendentale Schein ... hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn schon aufgedeckt und seine Nichtigkeit durch die transzendentale Kritik deutlich eingesehen hat. ... Die Ursache hiervon ist diese, daß in unserer Vernunft (subjektiv als ein menschliches Erkenntnisvermögen betrachtet) Grundregeln und Maximen ihres Gebrauches liegen, welche gänzlich das Ansehen objektiver Grundsätze haben, und wodurch es geschieht, daß die subjektive Notwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe, zugunsten des Verstandes, für eine objektive Notwendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten wird. Eine Illusion, die gar nicht zu vermeiden ist, ...". Kant fährt dann einige Zeilen weiter fort: "Die transzendentale Dialektik wird also sich damit begnügen, den Schein transzendenter Urteile aufzudecken, und zugleich zu verhüten, daß er nicht betrüge; daß er aber auch ... sogar verschwinde, und ein Schein zu sein aufhöre, das kann sie niemals bewerkstelligen. Denn wir haben es mit einer natürlichen und unvermeidlichen Illusion zu tun, die selbst auf subjektiven Grundsätzen beruht und sie als objektive unterschiebt, anstatt daß die logische Dialektik in Auflösung der Trugschlüsse es nur mit einem Fehler, in Befolgung der Grundsätze, oder mit einem gekünstelten Scheine, in Nachahmung derselben, zu tun hat. Es gibt also eine natürliche und unvermeidliche Dialektik der reinen Vernunft, nicht eine, in die sich etwa ein Stümper, durch Mangel an Kenntnissen, selbst verwickelt, oder die irgendein Sophist, um vernünftige Leute zu verwirren, künstlich ersonnen hat, sondern die der menschlichen Vernunft unhintertreiblich anhängt, und selbst, nachdem wir ihr Blendwerk aufgedeckt haben, dennoch nicht aufhören wird, ihr vorzugaukeln und sie unablässig in augenblickliche Verwirrungen zu stoßen, die jederzeit behoben zu werden bedürfen."

Worin die Torheit des Atheismus besteht, ist also dies: daß er sich damit begnügt, seine Anhänger davon zu überzeugen, daß es weder die Seele noch Gott gibt. Diese mythologischen Konfigurationen sind also nirgends 'da'. Mit dieser Leugnung Gottes und der Seelen begnügt er sich und begreift nicht, daß damit das eigentliche Problem überhaupt anfängt. Es muß nämlich irgendwo etwas 'da' sein, das diese Illusionen so zwangsläufig erzeugt. Das Gottesproblem ist damit also nicht erledigt, sondern es wird durch ein anderes ersetzt, das kein Skeptizismus weg eskanotieren kann und das bei Kant unter dem Titel "der transzendentale Schein" erscheint. In andern Worten: wir können das Jenseits nur dann leugnen, wenn wir im Diesseits eine Tiefe aufdecken, die den Tiefen des Himmels entspricht. Es darf also nichts verloren gehen, aber wir werden belehrt, daß wir es in einer Dimension zu suchen haben, die vorher für uns nicht existierte, weil wir das Diesseits mit blinden Augen ansahen. Hier stoßen wir auf den enormen Unterschied zwischen den Begriffen der undialektisch und der dialektisch konzipierten Materie. Wenn der Leninismus der Materie "die Eigenschaft der Widerspiegelung" zuschreibt, dann assoziiert er mit ihr jene Tiefendimension, die die klassische Tradition in eine übersinnliche Transzendenz projiziert hat, wo sie sich in der Gestalt der Heiligen, der Engel und der verschiedenen Aspekte der Gottheit dem imaginativen Bewußtsein bildlich darstellt. Der Irrtum liegt für das transklassische Denken lediglich in der ontologischen Projektion; eine Projektion aber, die unter der Führung der zweiwertigen Logik ganz unvermeidlich ist. Denn der Sachverhalt, um den es sich hier handelt, kann unter den metaphysischen Voraussetzungen der klassischen Tradition nirgendwo anders untergebracht werden. Ein mono-kontexturales Denken ist nicht imstande, im Diesseits die ontologischen Orte aufzuzeigen, wo die transzendentalen Sinnbezüge untergebracht werden sollen, wenn man ihnen ihre überirdische Heimat nimmt.

Aber irgendwie hat das mythologische Denken, das manchmal eine erstaunliche Instinktsicherheit zeigt, geahnt, daß das "Geisterhafte" doch einen Platz im Irdischen haben müsse. Das ist immer dort der Fall, wenn von dem Mythos der Tiefe, der Magna Mater, von Pan und von Ginnunggagap die Rede ist. Wo das Märchen von der Hexe im Walde erzählt, wo Wieland in seiner Höhlenschmiede hämmert und wo die Zwerge im Rauche der Erde klopfen. Überall dort ist ein Gefühl lebendig, daß die irdische Natur ihre lebendige Tiefe hat und daß in dem reflexionslos flach begriffenen 'Stoff' unsichtbar lebendige Reflexion lauert. Aber trotz allem bleibt das Bewußtsein in seiner mythologisierenden Haltung desorientiert. Es schwankt zwischen Diesseits und Jenseits hin und her, denn es gibt auch andere Formen des Mythus der Tiefe, die eindeutig ins Jenseits projiziert sind, wenn von Luzifer und seinen gefallenen Engeln die Rede ist und der Hölle als dem Gegenbilde des Himmels. Aber in diesem Schwanken zwischen dem Hier und dem Drüben mischt sich doch oft das Gefühl, daß die Erde und die Tiefe Kräfte birgt, die einmal siegen werden. So etwa wenn im Gilgamesch Ishtar zum "Haus der Verwesung" geht und dem Hüter der Schwelle droht:

wenn Du nicht öffnest, werde ich einstürzen die Tore,

zerbrechen die Riegel, zerschlagen die Pfosten,

ausheben die Türen,

werde ich heraufführen die Toten, daß sie essen und leben.

Die Lebendigen essen, zu den Lebendigen

sollen sich scharen die Toten,

daß mehr als Lebendige der Toten es gebe.

Die Andeutung ist klar: die Tiefe hat gesiegt, wenn der Toten mehr sind als der Lebendigen. Aber Ishtar braucht ihre Drohung gar nicht wahrzumachen, denn sie wird in das Haus der Verwesung eingelassen; aber je tiefer sie in das Haus hinein schreitet, desto mehr verliert sie ihre Kraft, bis sie schließlich auch der Schlaf der Unterwelt umfängt. Der gedankliche Gehalt dieses Mythus, wie auch der vieler anderer, schwankt zwischen einer Parteinahme für das Hier oder das Drüben und in anderer Orientation zwischen dem Oben und dem Unten oft hin und her. Aber er sollte uns Nachkommen wenigstens darüber deutlich belehren, daß damit, daß die Existenz einer Region verneint wird, deswegen der Gehalt dieser Region noch lange nicht verschwindet. Das ist genau das, was sich der Atheismus einbildet, und er schlägt damit bloß für diejenigen, die seinen bornierten Argumenten erliegen, ein seriöses Problem tot, auf das das Denken, wenn es die Wirklichkeit beherrschen will, nicht verzichten kann. Den Geistern, denen man im Jenseits die Wohnung geraubt hat, tut das nicht weiter weh - sie können sich genau so im Diesseits ansiedeln. Die überlegene transklassische Reflexion ficht das nicht weiter an. Sie sieht im Gegenteil hier ein faszinierendes Problem der Säkularisation, denn es drängt sich ihr die Frage auf, welche strukturellen Eigenschaften das Diesseits eigentlich haben muß, damit es in den höchstkomplexen Organisationsformen seiner selbst (Subjekten) eine Jenseitsprojektion seiner selbst entwerfen kann.

Diese Frage ist in adäquater Form heute überhaupt noch nicht gestellt - geschweige denn, daß wir befriedigende Antworten erwarten können, solange das Denken zäh an einem mono-kontexturalen Weltbegriff festhält. Wenn gesagt wird, daß der Materialismus eine Philosophie sein will, die die Welt aus sich selbst heraus erklärt, so muß man sich fragen, wie die Welt das eigentlich machen soll, wenn sie innerhalb ihrer selbst nicht wenigstens eine Kontexturalschranke zieht, die Erklärung von Erklärtem trennt. Denn das ist ja die wesentlichste Funktion (der Trennung) zwischen Diesseits und Jenseits, daß sie uns erlaubt zu denken, daß die Welt die Schöpfung eines allmächtigen Gottes ist. Zwischen Schöpfung und Erschaffenem aber liegt genau dieselbe Kontexturalschranke wie zwischen Erklärung und Erklärtem. Der Atheismus, der Gott leugnet, verwechselt das Wesentliche mit dem Unwesentlichen; er beschäftigt sich mit dem Inhalt, der angeblich jenseits einer Schranke sein Dasein hat, statt sich mit der Schranke selbst zu beschäftigen, die man irrtümlich an den Rand des Universums legt, statt sie quer durch das Universum hindurch laufen zu lassen. Re-lokalisiert man aber die Kontexturalschranke auf diese Weise, dann braucht man sich über die Inhalte, die auf der einen und der andern Seite liegen, überhaupt keine Sorgen mehr zu machen, denn sie sind automatisch entmythologisiert. Damit ist aber zugleich gesagt, daß sie keineswegs verschwunden sind - sie sind immer noch da, aber sie zeigen sich jetzt in einer Gestalt, in der das Bewußtsein ein anderes Verhältnis zu ihnen hat und zu anderen Aussagen über sie kommen muß.

Wir sagen das mit ausdrücklicher Beziehung auf das hermeneutische Denken, das nach vollzogener Diesseitsorientierung mit Kategorien arbeiten muß, die es vorher nicht gekannt hat, weil dieselben der Kontexturaltheorie entnommen sind. Dabei begegnet der Hermeneutik wieder ein "Jenseits". Es ist aber ein Jenseits, das ganz in das Diesseits eingeschlossen ist und das jenseits der Grenze liegt, die zwischen rekursiv erreichbaren Kontexturgrenzen und solchen liegt, die auf diese Weise nicht oder wenigstens noch nicht erreichbar sind. Nehmen wir einmal, etwas optimistisch, an, daß uns in der Gegenwart mehrwertige Systeme bis zu einer Wertzahl von 55 Werten begrifflich und auch rechnerisch vertraut wären, so lägen alle Systeme jenseits dieser Zahl in einem Bereich theoretischer Ungewißheit, der sich wenigstens in dieser Einsicht nicht allzuviel von demjenigen Unterschiede, der dem hermeneutischen Denken jenseits der solitären klassischen Kontexturalschranke begegnet, die unsere empirische Welt von den Transzendenten trennt, an der die herkömmliche Hermeneutik thematisch ausgerichtet ist. Der Fortschritt für die Hermeneutik läge, sobald man die Poly-Kontextural-Theorie adoptiert, darin daß jene Sinndeutungen, deren Komplexität sich innerhalb der Grenzen von 55 Werten hielte, streng begrifflich fixieren ließen, und daß vor allen Dingen damit der Philosophie als ganzer eine neue Richtung gegeben würde, die ihren Fortbestand gegenüber der Forderung sich vom Denken der Welt abzuwenden und statt dessen sich zu verändern rechtfertigen würde.

Es ist zu oft vom Ende der Philosophie geredet worden und das von ganz entgegengesetzten Seiten her, als daß man diesen Standpunkt nicht ernst nehmen sollte. Die diesbezügliche Feuerbach-These von Marx haben wir schon zitiert, und wir haben auch das Beispiel des Pragmatismus, der uns versichert, daß man nur das verstehen könne, was man gemacht habe, ganz zu schweigen von früheren Gedanken Vicos, gemäß denen der Mensch zwar die Geschichte verstehen könne, weil sie sein eigenes Werk sei, nicht aber die Natur, weil sie Gott geschaffen habe. Auch von theologischer Seite ist die Abschaffung der Philosophie gefordert worden. Diesmal allerdings mit dem Ziel, den geräumten Platz wieder für die Theologie frei zu machen. Als Beispiel zitieren wir Karl Heim, der schon 1904 schrieb: "Drei Jahrtausende hat man jetzt in Europa über die Fragen nachgedacht, die sich aus dem alten Denkschema ergeben, über das Verhältnis von Bewußtsein und Wirklichkeit, über Materialismus und Spiritualismus, Empirismus und Rationalismus, über mechanische und teleologische Naturerklärung, über Theismus, Deismus und Atheismus. Alle Geleise sind ausgefahren. Alle Antworten sind erschöpft. ... Sollen wir die alten Probleme noch einmal in Angriff nehmen und bei jedem derselben noch einmal die sieben verschiedenen Lösungen durchsprechen, die man schon versucht hat, und bei jedem Lösungsversuch noch einmal die drei Gründe anführen, die dafür sprechen, und die drei Gründe, die dagegen sprechen, um uns zuletzt für eine wohlerwogene Gesamtanschauung zu entscheiden, die womöglich allem gerecht wird? Wir haben keinen Mut, diesen Weg noch einmal zu gehen, der schon so oft gegangen worden ist, Er führt uns nur tiefer hinein in die allgemeine Ratlosigkeit. Nur ein Ausweg ist noch übrig." Heim fährt dann fort, daß "wenn alle Antworten, die man auf eine Frage geben kann, in gleich unlösbare Schwierigkeiten verwickeln, so gibt es nur noch einen Weg, den man einschlagen kann, um aus dem Labyrinth herauszukommen. Man kann die Frage selbst, die zu so unbefriedigenden Antworten geführt hat, einer Prüfung unterziehen. Vielleicht stellt sich heraus, daß sie falsch gestellt ist, daß sie auf falschen Voraussetzungen beruht. Denn es ist kein Wunder, wenn alle Antworten sinnlos ausfielen, die man auf diese Frage zu geben versuchte."

Wir haben diesen Passus ausführlich zitiert, weil sich an ihm demonstrieren läßt, an welchem Punkte sich die Wege des Philosophen von dem des Theologen trennen. Die Überlegungen, die Heim in seinem Weltbild der Zukunft anstellt, zielen auf eine totale Entwertung der Philosophie gegenüber der Theologie ab. Das philosophische Bewußtsein überhaupt ist seiner Auffassung nach ein Bewußtsein, das einer Fehlmatematisierung nachläuft. Infolgedessen ist alles, was seit jeher in der Philosophie gedacht worden ist, metaphysisch gesehen falsch, und die Geschichte der Philosophie ist nicht ein mühsamer Weg vom Irrtum zur Wahrheit, sondern das verzweifelte Umsichschlagen eines im Gestrüpp des Irrtums verlorenen Bewußtseins, für das es kein Vorwärts sondern nur ein Rückwärts gibt. In der Geschichte der Philosophie ist nach Heimscher Auffassung nichts weiter ereicht worden als die negative Einsicht, daß der Mensch nicht philosophieren soll. Die philosophische Attitüde ist als solche falsch. Allein der religiöse Glaube setzt den Menschen in ein echtes Seinsverhältnis zur Welt.

Es ist überheblich, über dieses Bekenntnis eines jungen Dozenten der Theologie aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts zu lächeln. Denn wir begegnen dieser Haltung heute auf breiterer Unterlage wieder in jenem Geschrei, das die bisherige geistige Tradition des Abendlandes auf den Gerümpelhaufen werfen will. Denn wenn Heim in toto recht hätte, daß die philosophische Fragestellung per se dem Verhältnis von Mensch und Welt unangemessen ist, dann gehörte die Tradition in der Tat in den Müll. Aber was Heim sowohl wie seine ignoranten Nachfolger vergessen, ist daß die positiven Wissenschaften nichts anderes als den Prozeß der Säkularisierung dieser Fragestellung darstellen. Wäre diese Fragestellung so grundfalsch wie Heim sie zu sein glaubt, dann dürften sich aus ihr überhaupt keine deduktiv orientierten wissenschaftlichen Resultate ergeben haben. Der historische Tatbestand widerlegt diese Folgerung so drastisch, daß es sich überhaupt nicht lohnt auf die These, daß die philosophische Fragestellung grundsätzlich eine verfehlte sei, noch weiter einzugehen.

Nichtsdestoweniger liegt in der Abwendung von einer Philosophie, die heute nur noch Kleinkariertes zu produzieren fähig ist, ein richtiger Instinkt und eine echte Ahnung. Es ist in der Tat etwas zuende und ein Bedürfnis nach einem radikal Neuem liegt vor. Wir wollen versuchen unter der Voraussetzung der Poly-Kontexturalität der Wirklichkeit den Unterschied zwischen dem Alten, das zuende geht, und einer neuen Philosophie, die kommen muß, zu beschreiben. -

Eine Philosophie, die sich auf ihre eigenen Möglichkeiten besinnt und sich positiv aber kritisch zu ihrer eigenen Vergangenheit verhält, wird dasjenige von sich abstoßen und als erledigt erklären, was sich durch den historischen Prozeß schon ganz allein von ihr abgesondert und ein eigenes Daseinsrecht gewonnen hat. Ein solcher gesonderter Sachverhalt liegt heute in den positiven Einzelwissenschaften längst und in enormen Quantitäten vor. Aber die darniederliegende Philosophie hat noch nicht die Kraft aufgebracht, sich von dem positiven und unphilosophischen Wissen bewußt abzusetzen und sich einem eigenen neuen Standpunkt zu erwerben. Sie hat einen Untergang erlebt, aber sie will ihn nicht anerkennen und bejahend in sich aufnehmen, weshalb sie auch bis heute unfähig gewesen ist, aus der Asche des vergangenen als wiedergeborener Phönix aufzusteigen. Genau von dieser Situation ist die Rede, wenn es in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes heißt: " ... daß das von seinem Umfang getrennte Akzidentelle als solches, das Gebundene und nur in seinem Zusammenhange mit anderm Wirkliche ein eigenes Dasein und abgesonderte Freiheit gewinnt, ist die ungeheure Macht des Negativen; es ist die Energie des Denkens, des reinen Ichs. Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert. Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand, weil er ihr dies zumutet, was sie nicht vermag. Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Dieser Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht, wie wenn wir von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch, und nun, damit fertig, davon weg zu irgend etwas anderem übergehen; sondern er ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt." Dem von seinem Umfange getrennten Akzidentellen begegnen wir als dem Datenbestand der positiven Wissenschaften, in denen das philosophische Bewußtsein längst erstorben ist. Und damit ist das Akzidentelle selber das Tote. Und es ist tot, weil es von seinem Umfange getrennt ist, denn nur dieser 'Umfang' verbindet es mit Anderem, und in dieser Verbindung liegt das Leben oder die Wahrheit, die es in der 'absoluten Zerrissenheit' nicht finden kann. In der Deutung, die wir der Philosophie hier geben, ist der Umfang, der das Akzidentelle umfaßt, die Schranke der Kontextur. Aber das Akzidentelle ist zerrissen, weil es sich zwischen so vielen Kontexturalschranken wiederfindet. An diesen Grenzen berührt das Akzidentell-Positive immer die Negation als die Unwirklichkeit, die festzuhalten die größte Kraft erfordert. Was in den Hegelschen Sätzen hier angedeutet ist, ist ein epochaler Themawechsel der Philosophie. Die thematische Substanz aller bisherigen Philosophie war dasjenige, was wir in unserer Terminologie als den kontexturellen Inhalt bezeichnet hatten. Auf ihn richtete sich der philosophische Blick, soweit diese Welt überhaupt in Frage kam, und wenn sich das Denken von der Immanenz abwandte, so griff sein Interesse nach dem substantiellen Gehalt der Transzendenz - also wieder nach einem Inhalt. In beiden Blickrichtungen glitt das Interesse achtlos über die Grenze hinweg. Diese Interessenlosigkeit hatte durchaus ihre Berechtigung, weil über eine Einzelgrenze eben nicht viel mehr zu sagen war, als daß sie eben eine Grenze bildete. Substantiell war sie Nichts. Das Etwas wohnte immer im Hier oder im Drüben. Die einzige Kontexturalschranke, von der das klassische Denken überhaupt etwas wußte, war im wortwörtlichsten Sinne der Tod; denn nur durch das Sterben kam man, wie alle Religionen lehren, aus dem Diesseits ins Jenseits.

Aber die Aufgabe der Philosophie ist, nach Hegel, den Tod festzuhalten und sich in der 'Zerrissenheit' (nicht im Zerrissenen) wiederzufinden. Das Zerrissene ist das nur Faktische, ontologisch Unwirkliche; es ist nur als Sinnedatum identifizierbar und ihm fehlen die Sinnbeziehungen, die es mit anderen heterogenen Fakten verbinden. Es ist höchst bezeichnend, daß es heute keine Naturphilosophie gibt, obgleich die Physik in ihren äußersten Spekulationen immer wieder an ein Sinnlich-Unsinnliches stößt. Der Grund ist darin zu suchen, daß jede solche Philosophie eine Philosophie über inhaltliche Daten sein würde, die über das Datenhafte nicht hinausgeht, weshalb in ihr die Natur nicht in das umschlägt, was man traditionell den Geist nennt. Um es einmal ganz kraß zu sagen: Alle bisherige Philosophie ist im wesentlichen ein Datenverarbeitungssystem gewesen, wobei wir zwischen Daten der äußeren Erfahrung und des inneren Erlebnisses heute keinen Unterschied mehr machen können. Die verflossene Philosophie allerdings hat, innerhalb ihres eigenen Gesichtskreises, diesen Unterschied sehr emphatisch gemacht und so hat sich der Unterschied von messenden und rechenden Naturwissenschaften und an das Verstehen appellierenden Geisteswissenschaften herausgebildet. Heute allerdings ist das Problem der Verarbeitung von Daten schon weitgehend an die kybernetische Maschinentheorie übergegangen und die letztere ist nicht geneigt, den Unterschied zwischen Daten der äußeren Erfahrung und des inneren Erlebnisses aufrechtzuerhalten, weil es ihr leitendes methodisches Prinzip ist, alles noch nicht Gegenständliche in objektivierenden Routinen umzusetzen. Ein Prozeß, dem seit dem McCulloch-Pittschen Theorem von 1943 grundsätzlich keine Grenzen gesetzt sein können. Damit ist der Philosophie, soweit inhaltlich-kontexturelle Erfüllungen in Frage kommen, der Boden entzogen worden. Oder besser: sie gelangt, wie der transzendental-dialektische Idealismus behauptet, jetzt erst zu dem, was die Inhalte umfaßt und sie von ihrer akzidentellen Rolle befreien soll. Das neue Thema der Philosophie ist die Theorie der Kontexturalgrenzen, die die Wirklichkeit durchschneiden.

Damit aber verschiebt sich der theoretische Bewußtseinsakzent. Immer stärker wandert das Interesse von der faktischen Erkenntnis - die man mehr und mehr den Maschinen überlassen kann - in das Feld der hermeneutischen Sinndeutung. Was ist, das fesselt die philosophische Aufmerksamkeit jetzt nur noch sehr indirekt gegenüber der sehr viel dringenderen Frage, wie das was eben ist, gedeutet werden muß, wenn es jenseits dieser oder jener Kontexturalschranke auftritt. Das Problem der Säkularisation der mythisch-religiösen Vorstellungen, das uns heute schon längst geläufig ist, ist nichts weiter als der Anfang eines viel tiefer reichenden Rationalisierungsprozesses. Denn wenn wir von Säkularisation reden, meinen wir ja immer nur den Übergang von einer Elementarkontextur in die andere, die sich wie Hegels Sein und Nichts zueinander verhalten. Außerdem ist in diesem Falle die Situation dadurch beengt und präjudiziert, als wir nicht anders können, als das, was sich jenseits jener Grenze befindet, in die unser monokontexturaler Erkenntnisprozeß eingeschlossen ist, als das Irrationale zu interpretieren. Davon, was sich ergibt, wenn wir die Grenzen von mehr oder weniger komplexen Verbundkontexturen überschreiten, ist in der philosophischen Tradition entweder überhaupt noch nicht oder bestenfalls in mystischen Andeutungen die Rede gewesen. Warum aber erhält sich hier die hermeneutische Methode angesichts einer enorm veränderten Problemsituation? Nun, man vergesse nicht - es ist immer wieder daßelbe objektive Ist, das schlechthin in jeder Universalkontextur eingelagert ist, mag sie elementaren Charakter haben oder nicht. Wo sich Differenzen bieten, betreffen sie immer nur das, was Hegel das Akzidentelle nennt, aber nirgends das "Wesen". Und das Wesen als "Reflexion-in-ihm-selbst" hat seine Momente an der Identität, dem Widerspruch, dem ausgeschlossenen Dritten und dem Grund. D.h. im Gebiet dessen, was bei Hegel als objektive Logik erscheint. Das Ist hat also immer dieselbe logische Gestalt, in der sich sein Wesen ausdrückt. Das muß so sein, weil in jeder Universalkontextur die gleiche zweiwertige Logik ihre akzidentelle Inhaltlichkeit bestimmt.

Es geht hier um eine sehr alte Erkenntnis, aus der sich der Negativismus der buddhistischen Philosophie z.B. aber auch die Idee der negativen Theologie im Abendlande entwickelt hat. Wollten wir das Reich Gottes inhaltlich bestimmt umschreiben, so bliebe uns nichts anderes übrig als unsere irdischen Erkenntniskategorien auf das Überirdische zu übertragen. Das hätte zur Folge, daß uns alle affirmativen Darstellungen dessen was im Jenseits west, nur die Beschreibung eines Erdreiches lieferten, in dem bestenfalls das Akzidentelle seinen Platz gewechselt und triviale Namen gegen erhabene ausgetauscht hat. Die einzig adäquate "Darstellung", die deshalb erlaubt sein kann ist die Negativität des totalen Schweigens. Hier ist in indirekter Form schon seit langem und aufs eindrücklichste gesagt, daß wir beim Übergang von einer Universalkontextur in eine andere wesensmäßig immer demselben begegnen, weil das Gesetz der Objektivität, codiert als zweiwertige Logik der Identität sich nicht geändert hat. -

An dieser Stelle muß einem Irrtum vorgebeugt werden, der dem Autor bereits öfters in wissenschaftlichen Gesprächen begegnet ist. Wenn wir dauernd betonen, daß jede Universalkontextur in ihrem inhaltlichem Bereich die Gesetze der traditionellen Logik wiederholt, so ist das oft so verstanden worden, als ob diese Logik als ein- und daßelbe umfassende System alle Kontexturen überdacht und als übergeordnete Gesetzlichkeit sich durchgehend alles Kontexturelle (und ohne Rücksicht auf dessen Grenzen) manifestiert. Das ist ein grobes Mißverständnis; das Verhältnis von Kontextur und Logik ist, jedenfalls für das gegenwärtige Stadium unserer Betrachtung, als genau umgekehrt aufzufassen. Das überdachende System wird durch die wachsende Komplexität der Verbundkontexturen geliefert; die klassische Logik aber tritt in beliebig vielen in sich geschlossenen Sondersystemen innerhalb dieser Komplexität und ihr untergeordnet auf. Wenn ein Beispiel erlaubt ist: fast jeder von uns trägt eine Uhr am Armband und in jeder Uhr wird die Zeitansage von einem unabhängig arbeitenden Mechanismus produziert, der, obgleich er im großen und ganzen denselben Gesetzen folgt wie die entsprechenden Mechanismen in andern Uhrgehäusen, mit den Zeitansagen der andern Uhren nichts zu tun hat. Wir dürfen also das Verhältnis von Logik und Kontexturalität nicht in dem Sinne jener anderen technischen Situation verstehen, in der eine Zentraluhr in einem Gebäude die Ganganzeigen aller andern an das System angeschlossenen Uhren regelt. Fällt der Mechanismus der Zentraluhr aus, so bleiben auch alle andern Uhren stehen, weil sie keine selbsttätigen Treibwerke haben, die die Zeigerstellung regelt. Wenn aber meine Armbanduhr ausfällt, dann bleibt deswegen keine andere stehen. Doch das nur nebenbei.

Worauf es uns in den letzten Erörterungen angekommen ist, ist die Einsicht, daß Sein-überhaupt nicht etwas schlechthin Konstatierbares ist, sondern daß es je nach der Universalkontextur, in der es als Objektivität auftritt, einen bestimmten Stellenwert besitzt und daß es im Sinne dieses Stellenwertes gedeutet werden muß. D.h. Sein ist immer zugleich Sinn. Das gilt für die Objektivität schlechterdings in jeder ihrer Manifestationen, weshalb es im Rahmen eines poly-kontexturalen Weltbildes falsch ist, das rechnende und messende Wissen der Naturwissenschaften von dem deutenden der sogenannten Geisteswissenschaften grundsätzlich und methodisch zu trennen. Diese Einsicht hat erhebliche Folgen, die dem Hermeneutiker der Gegenwart noch abstrus erscheinen mögen. Es bedeutet nämlich, daß auch die Mathematik die Physik ein Wort in hermeneutischen Analysen zu sagen haben. Zwar wird von den klassisch orientierten Denkern, wenn sie von Plato sprechen, hoch und heilig beteuert, daß ein tiefer metaphysischer Zusammenhang zwischen Idee und Zahl besteht. Wenn es aber zur Praxis einer modernen Verstehenstheorie kommt, dann zieht man es vor, diese hintergründigen Zusammenhänge zu vergessen. Es bleibt beim Lippenbekenntnis. Das wird in Zukunft unmöglich sein, denn die Genauigkeit und objektive Verbindlichkeit von Deutungsprozessen muß auf ein bisher unerhörtes Maß steigen, wenn man in den sogen. Kultur- und Gesellschaftswissenschaften sich davon Rechenschaft geben will, daß jede Subjektivität, die einem geschichtlichen Verband angehört, ihr eigenes Deutungsbild von der Wirklichkeit besitzt und wenn man sich vergegenwärtigt, daß solche Deutungen in Form von religiösen, politischen und andern Sekten oft eine enorme Wirkung auf den Ablauf der Ereignisse haben. Es handelt sich dabei um Abläufe, die nicht aus den Ereignissen per se hervorgehen, sondern um 'bild-induzierte' Entwicklungen, d.h. um Entwicklungen, deren zukünftiger Verlauf mehr von dem Bild beeinflußt wird, den die historische Akteure von der Sache haben als von der Sache selbst.

Wenn wir weiter oben von der Säkularisation mythischer Erlebnisbestände gesprochen haben, so ist damit ein primordialer Tatbestand berührt, der alles erlebende Bewußtsein in seinem Verhältnis zur Welt angeht. In spezialisierter Form ist uns dieses epistemologische Datum innerhalb des Arbeitskreises der Physik längst bekannt. Dort sprechen wir von einem Satz der Erhaltung der Energie, der besagt, daß die vorhandene Energie nicht verloren gehen sondern höchstens ihre Erscheinungsform ändern kann. Man irrt, wenn man glaubt, daß es sich hier nur um eine spezifisch physikalische Gesetzlichkeit handelt. Was die Physik auf ihrem eigenen Gebiete hier zum Ausdruck bringt, ist vielmehr eine fundamentale Denknotwendigkeit, der gehorcht werden muß, wenn man Wirklichkeit überhaupt in einem nicht-idealischen Sinne verstehen will. Für den Idealismus liegt hier eine solche Denknotwendigkeit nicht vor; denn für ihn ist diese Welt ja von einem Recht des Supernaturalen umgeben und er hält ausdrücklich daran fest, daß die Dimension der sinnlichen gegenüber dem Übersinnlichen offen ist und daß also aus dem Diesseits etwas abfließen kann. Das Phänomen des Todes bezeichnet den ontologischen Ort, wo ein solcher Abfluß stattfindet. Nun wird man sich fragen, was wohl der enge physikalische Satz von der Erhaltung der Energie mit dem Problem des Todes zu tun hat. Die Antwort darauf ist, daß die naturwissenschaftliche Behauptung, von der hier die Rede ist, ein System voraussetzt, das Bedingungen unterliegt, die es unmöglich machen, daß aus ihm Energie verschwindet. Die letztere kann sich nur in andere Manifestationen umsetzen, wie die berühmte Formel E m c2 aussagt.

Stellen wir das in einen weiterem Zusammenhang hinein, so handelt es sich in der Physik nur um einen engen Spezialfall eines umfassenden philosophischen Gesetzes, das wir als das Prinzip der Erhaltung der Realität bezeichnen wollen. D.h. von dem, was einmal ist, kann dort, wo es ist, nie etwas verloren gehen. Worauf aber beruht die Gültigkeit eines solchen Prinzips? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir eine Unterscheidung machen zwischen Systemen, die eine Umgebung haben und einem System, das umgebungslos ist. Der Idealismus mit seinem Jenseitsglauben setzt als selbstverständlich voraus, daß diese Welt, in der wir leben, eine metaphysische Umgebung hat und also im philosophischen Sinne nicht umgebungslos ist. Unter einer solchen Voraussetzung aber kann niemals garantiert werden, daß aus dem Diesseits nichts abfließt, und deshalb ist selbst der Satz von der Erhaltung der Energie, so richtig er in einem beschränkten physikalischen Sinne sein mag, in einem tieferen metaphysischen (für den Idealisten) doch der Ausdruck einer Unwahrheit. Diese Kritik aber wird hinfällig, wenn wir von dem All als einem System reden, das weder im Physischen noch in einem prinzipielleren ontologischen Sinn eine Umgebung haben kann. Wo keine Umgebung da ist, kann in sie nichts abfließen und kann von ihr her in das System auch nichts eintreten. Unter der Voraussetzung eines solchen Weltbildes aber verschwindet die Unterscheidung, die wir oben über die vorläufige Richtigkeit, aber endgültige Unwahrheit eines physikalischen Satzes gemacht haben. Die Unterscheidung beruhte auf einer Deutung des Wirklichen, die der Idealist anerkennt, die aber jeder Materialist, sei er dialektisch orientiert oder nicht, ablehnen muß. In diesem Sinne ist die Physik implizit immer materialistisch gewesen ohne sich um solche philosophischen Deutungsprobleme ernsthaft zu kümmern. Aber diese Zeit der Unbekümmertheit gegenüber dem Hermeneutischen ist heute vorbei und zwar durch den Eintritt der Kybernetik, die ihre weit über das Empirische hinausgehende Relevanz in einigen provozierenden Feststellungen eines ihrer bedeutendsten Vertreter angekündigt hat. Wenn der Laie darunter eine Theorie der Computer versteht, die konstruiert, gebaut werden können und die das industrielle Arbeitsfeld bereichern, so bekommt es dabei den wissenschaftlich irrelevantesten Aspekt dieser umwälzenden Disziplin ins Gesichtsfeld. Bei W. Ross Ashby, dem sachverständigen Autor, den wir hier als Kronzeugen anführen, lesen wir sehr viel mehr. In seiner Introduction to Cybernetics begegnet uns schon auf der ersten Seite die überraschende Behauptung, daß die Kybernetik zwar in vielen Hinsichten mit der Physik eng verbunden sei, daß sie aber trotzdem in der Essenz nicht auf den Gesetzen der Physik und den Eigenschaften der Materie beruhe. Sie habe es nur mit allen Formen des Verhaltens zu tun, sofern dieselben regelhaft, determiniert und reproduzierbar seien. "The materiality is irrelevant, and so is the holding or not of the ordinary laws of physics." Zur Erklärung des englischen Zitats sollte bemerkt werden, daß Ashby, wenn er von Materialität spricht, nur den naiven reflexionslosen Materiebegriff im Auge hat. Das dialektische Problem der Materie ist nie in sein Gesichtsfeld getreten. Es ist wichtig das zu wissen, um die Bedeutung seiner Definition von Kybernetik, die wir einige Seiten weiter finden, richtig würdigen zu können. Wir lesen dort: "Cybernetics envisages a set of possibilities much wider than the actual, and then asks why the particular case should conform to its usual particular restriction. In this discussion, questions of energy play almost no part - the energy is simply taken for granted. Even wether the system is closed to energy or open is often irelevant; what is important is the extent to which the system is subject to determining and controlling factors. So no information or signal or determinating factor may pass form part to part without its being recorded as a significant event. Cybernetics might, in fact, be defined as the study of systems that are open to energy but closed to information and control systems that are 'information-tight'".

Übersetzen wir das aus der naturwissenschaftlichen Sprache der heutigen Kybernetik, so betont Ashby erstens, daß die Kybernetik einen Bereich von Möglichkeiten im Auge hat, der viel umfangreicher ist als das Aktuelle. Mit dem letzteren ist die Welt gemeint, so wie sie faktisch ist, und nicht was sie allen ihren Möglichkeiten nach sein könnte. Die Wirklichkeit als Partikuläres und Faktisches ist dann nur ein Spezialfall von einem unabsehbaren Bereich von Möglichkeiten, die ebenfalls sein könnten und eines Tages vielleicht sein werden. Unter diesen Umständen ist Energie als reine (reflexionslose) Stofflichkeit als selbstverständlich vorausgesetzt. Ob der Bereich der Stofflichkeit ein geschlossenes oder ein offenes System darstellt, kann nur in Spezialfällen wichtig sein; im Grundsätzlichen können oder müssen wir annehmen, daß es im Hinblick auf seine Materialität offen ist. Was aber wesentlich ist und den Charakter der Kybernetik als arteigene Wissenschaft ausmacht, ist der Umstand, daß kybernetische Systeme relativ zu Information und Kontrolle geschlossene Systeme sind. Sie sind "informationsdicht".

Nehmen wir nun an, daß das ganze Universum ein kybernetisches System von unvorstellbaren Ausmassen ist, so läßt sich die Ashby'sche Definition in philosophische, bzw. theologische Termini übersetzen. Für die idealistisch religiöse Vorstellung ist diese Welt kein System, das im Hinblick auf Information und Kontrolle geschlossen ist; denn wenn wir von der Allmacht Gottes sprechen, dann verstehen wir ihn als Weltenlenker. Also unterliegt die Welt seiner Kontrolle. Wenn wir aber die Verkündigung der Engel im 2. Kap. des Lukasevangeliums lesen, dann wissen wir, daß ein solches Ereignis sich nur in einer Welt ereignen kann, die relativ zu Information geschlossen ist. D.h. das Eindringen von irgendwelcher Information oder ihr Ausbleiben ist nicht relevanzlos, sondern hat eine Bedeutung für das, was sich in der Welt ereignet.

Soweit das Informations- und Kontrollproblem allein in Frage kommt, läßt sich das kybernetische Denken also durchaus noch mit idealistischem Denken vereinen; denn die Geschlossenheit der Welt relativ zu Information und Kontrolle bedeutet ja nicht, daß keine neue Information in sie eindringen kann, sondern nur, daß ein solches Eindringen für das Verhalten des Systems erheblich ist. Und das ist ja gerade, was der fromme Glaube behauptet, wenn er von der Offenbarung oder einer übersinnlichen Verkündigung spricht. Ihr eindringen in diese Welt ist deshalb von solcher Erheblichkeit, weil hier eine Grenze überschritten werden muß. Und das ist, was Ashby meint, wenn er den Ausdruck gebraucht "closed to information and control". Was sich aber nicht mehr mit dem idealistischen Standpunkt vereinigen läßt, ist, daß ein derart geschlossenes System relativ zu Energie, d.h. schlechthin für Materialität offen bleiben kann. Man kann zwar auf dem Informations- und Kontrollniveau einen Unterschied zwischen einem irdischen Hier und einem unirdischen Drüben machen, aber nicht auf dem Niveau der Materialität. Auf dieser Seite gibt es keine Grenze zwischen einem Hier und einem Drüben. (Da der Autor die Erfahrung gemacht hat, daß die kybernetische Denkweise heute noch vielen intelligenten Personen, die sich nie mit dieser wissenschaftlichen Thematik beschäftigt haben, Schwierigkeiten bereitet, soll die Bedeutung des Ausdrucks 'geschlossen relativ zu Information und Kontrolle' an einem einfachen Beispiel erläutert werden. Denken wir uns zwei Städte, eine mittelalterliche und eine moderne. Die mittelalterliche ist von einer Mauer umgeben, und der Verkehr kann nur durch einige wenige Tore erfolgen. In die moderne führen von allen Seiten beliebig viele Straßen in das Stadtgebiet, auf denen sich der Verkehr ungehindert abwickelt. An den Toren der mittelalterlichen Stadt stehen Wachen, die den Verkehr beobachten und wichtige Ereignisse an das Rathaus melden, von dem auf Grund der erhaltenen Information gegebenenfalls geeignete Maßnahmen getroffen werden können. Eine solche Stadt hat sozusagen eine sensitive Außenhaut, und sie kann gegenüber dem, was in sie eindringt, als geschlossene Einheit handeln. Damit setzt sie sich bewußt von dem, was außerhalb der Mauer liegt, als ihrer Umgebung ab. Eine moderne Stadt die keine solche sensitive Grenze nach außen hin besitzt, kann infolgedessen nur schwer oder gar nicht als Einheit gegenüber der Informationsmasse handeln, die täglich und stündlich in sie hinein und aus ihr herausfließt. Die Folge ist, daß wichtige Information, weil die Stadt sie nicht als Ganzes registrieren kann, wirkungslos verpufft. Es ist das die Krankheit moderner großer Metropolen, die daran zugrunde gehen, daß sie die für sie relevante Information nicht mehr verarbeiten können. Aus einer solchen Formulierung ergibt sich der merkwürdige Sprachgebrauch, daß ein System geschlossen für Information und Kontrolle ist, wenn es im kybernetischen Sinne arbeiten soll und der Ein- und Ausfluß von Information von höchster Wichtigkeit ist. Nur ein geschlossenes System kann vermittels seiner Umschließung diese Information registrieren und adäquat verarbeiten. Der eigenartige Sprachgebrauch bedeutet also keineswegs, daß in das System keine Information ein- oder ausdringen kann. Er bedeutet nur, daß es sich hier um eine geschlossene Ganzheit handelt, die als solche sensitiv für Information ist. Eine Eigenschaft, die einem offenen Bereich ohne registrierende Grenze notwendig fehlen muß.

Ein kybernetisches System aber ist prinzipiell offen relativ zu Energie, wie Ashby bemerkt. Es ist also unbeschränkt im Hinblick auf Materialität überhaupt. Eine Ausnahme davon kann nur in Fällen erfolgen, wo es nicht mehr um das Prinzipielle geht, also wo zufällige Umstände ebenso zufällige Abweichungen hervorrufen. Das Begrenzte (der kybernetische Mechanismus) ist hier also in das Grenzenlose eingebaut. Denn wie umfassend wir uns ein kybernetisches System auch denken, immer wird es offen relativ zur Materialität überhaupt sein. Wir erinnern noch einmal an den Anfang unseres Zitats von Ashby, gemäß dem sich die Kybernetik mit allen Formen des Verhaltens beschäftigt und nur damit, wodurch für den kybernetischen Gesichtspunkt die Materialität des Systems und die Gültigkeit der physikalischen Gesetze irrelevant ist. Sie werden stillschweigend vorausgesetzt. Genau so wie wir in der Ethik als selbstverständlich voraussetzen, daß der Mensch atmen muß. Das Atmen ist deswegen noch lange kein ethisches Problem. Die grundsätzliche ontologische Unterscheidung, die hier ihre Anerkennung in einem sehr exakten Sinne erzwingt, ist die zwischen Sein und Geschehen. In der Lehre von der Materialität handeln wir von dem was ist, in der kybernetischen Theorie sprechen wir von dem, wie das was ist sich verhält. Der alte Streit zwischen der Eleatik und Heraklit findet hier einen neuen Ausdruck. Für die Eleaten ist das letzte, worauf das Denken stößt, das ruhende Sein; für Heraklit hingegen ist die Wirklichkeit der immer strömende Fluß.

Versuchen wir uns heute ein Universum zu denken, daß kybernetisch total durchorganisiert ist, das also Informationsempfindlichkeit besitzt, so muß es eine Grenze besitzen, die es gegen ein Jenseits informationsmäßig abschirmt. Aus diesem Grunde sprachen wir davon, daß sich eine isolierte Analyse kybernetischer Gesetzlichkeit durchaus mit idealistischen Prinzipien verträgt. Hier ist alles Bewegung und Ereignis. Das ist die Weise, wie Heraklit die Welt sieht. Aber kybernetische Systeme realisieren sich nur in der Materialität. Und hier begegnen wir dem eleatischen Sein. Das letztere ist kein kybernetisches System; es ist per se nicht informativ sensitiv. In andren Worten: die Welt als Sein gesehen hat grundsätzlich keine Grenzen, es gibt für sie kein Jenseits. Aber insofern, als für reelle kybernetische Systeme Materialität selbstverständliche Voraussetzung ist, ist das eleatische System eingebettet. An dieser Einbettung aber zerbricht die idealistische Perspektive, die die Kybernetik vorerst zu zeigen scheint. Denn was jenseits jedes kybernetischen Systems ist, gleichgültig wie universal man es konzipiert, ist immer wieder Materialität, die sich dafür revanchiert, daß sie in der reinen Kybernetik als einer Theorie aller möglichen Verhaltensweisen nur wenig oder gar nicht mitzusprechen hat. Leider können wir uns mit dieser simplen Schematik aber nicht zufrieden geben.

Es ist seit langem bekannt und kaum mehr als eine Trivialität, daß irgend ein beliebiges Meßinstrument, das man in ein gegebenes System plaziert hat, Energie zur Verfügung haben muß, um Meßwerte anzuzeigen. Eine solche Anzeige aber bedeutet Information. Es besteht hier also eine Abhängigkeit der Information von der Energie. Neue Untersuchungen aber haben überdies gezeigt, daß der Gebrauch von Energie unter dem Gesichtspunkt ihrer thermodynamischen Verfügbarkeit zwangsläufig Information beansprucht. Es liegt also hier ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis vor, das man - wenn man will - dialektisch nennen kann. Damit aber ist schon gesagt, das der Gegensatz zwischen dem Heraklitischen und dem eleatischen Weltbegriff kein einfacher Widerspruch ist, sondern daß hier der Begriff der Materialität selbst in sich eine Zweideutigkeit entwickelt. Die berühmte Heideggersche Frage: "Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?" setzt voraus, daß wir Seiendes registriert haben. D.h. wir fangen mit einem Informationsbestand an, und der Fragende verhält sich als ein kybernetisches System, das informationsbedürftig ist. Angesichts der gegenseitigen Abhängigkeit von Materialität und Information stößt der Fragende hier auf ein Deutungsproblem. Die Situation, aus der sich die Frage entwickelt, läßt zwei Möglichkeiten offen; wir können das, wonach gefragt wird, entweder als Sache (Materialität) oder als Ereignis (Verhalten) deuten. Im ersten Fall beziehen wir uns auf das Faktische und die Kontingenz dessen, was dem Fragenden begegnet, im zweiten auf den Informationswert von Seiendem für das in ihm sich anzeigende Sein selbst. (Wie der Leser hier bemerkt, werden wir nicht müde von den verschiedensten Gesichtspunkten her immer wieder darauf hinzuweisen, daß die Hermeneutik kein vornehmes Reservat der Geisteswissenschaften ist, die sich dadurch von den Naturwissenschaften unterscheidet, sondern daß das Verstehen schon im Registrieren des bloß Natürlichen und Faktischen beginnt.)

An diesem Deutungszwang aber hängt für den Materialismus eine weitergehende Forderung. Wir haben festgestellt, daß das kybernetische System, weil es eine Welt darstellt, die eine Umgebung haben muß, immer in die Theorie der Materialität (Energie) als Sub-Systematik eingespannt ist, weil wenn wir von Materialität sprechen wir eine Welt anvisieren, für die es kein Außen, keine Umgebung gibt. Nun kann es zwar für ein kybernetisches System einen Realitätsverlust angesichts der Tatsache geben, daß Information nach außen abfließen kann (Entropie), denn es muß ja immer eine Umgebung für einen solchen Abfluß vorhanden sein, die als Auffangsystem dienen kann; eine konsequente Theorie des Materialismus kann diese Vorstellung unter keinen Umständen zulassen, denn das die Welt als Materie in keiner Hinsicht Grenzen haben kann, bietet sich auch kein Jenseits an, in dem etwas verschwinden könnte.

Die klassische, letzten Endes immer religiös-metaphysisch orientierte Philosophie hat mit diesem Problem gerungen, ohne es aus dem Zustand einer peinlichen Aporie befreien zu können. Wenn die Welt, in die wir durch die Gnade Gottes nach dem Tode eintreten, die wahre Wirklichkeit und ewige Seligkeit sein soll, dann ist es unmöglich, daß sie von irgend einem Realitätsverlust bedroht sein kann. Denn dort, wo etwas droht, kann kein ewiger Frieden herrschen. Aber eine solche Bedrohung findet immer statt, wo die Prädestinationslehre eine Anzahl Seelen zur ewigen Verdammnis bestimmt. Das Reich der Seligen hat dann ein Jenseits und es kann deshalb nicht die volle Realität sein, weil ja die Verdammnis ebenfalls Wirklichkeit haben soll. Das religiöse Gefühl hat diese Gefahr wohl gespürt, und die metaphysische Spekulation hat immer wieder versucht, hier von einer letztlichen Versöhnung zu reden. "Es werden keine unreinen Kräfte künftig gänzlich vergehen, sondern sie werden versüßt werden und wieder zur Heiligkeit kommen. Die Hölle wird zur Heiligkeit kommen, wie das Paradies heilig ist, und daselbst werden die Gerechten tanzen, und der Heilige Gebenedeite Gott wird das Haupt des Tanzes sein. Inskünftig wird der Satan gereinigt und zu einem heiligen Engel, so wird auch die Hölle gesäubert werden und zu den Grenzen des Paradieses getan." Aber damit ist eine Schwierigkeit nur auf Kosten einer anderen beseitigt worden. Denn wenn das Paradies, nachdem die Hölle zu seinen Grenzen getan ist, zu einer Welt ohne Grenze wird, dann wissen wir nicht mehr, was wir unter dem Geist Gottes verstehen sollen, denn Subjektivität fordert immer Informationsaustausch. Der letztere aber setzt ein kybernetisches System voraus, zu dessen Existenz eine Umgebung gehört. Aber wenn der Geist Gottes keine Umgebung mehr besitzt, dann kann er auch keine Subjektivität mehr sein. Er ist das, was er ist, nur insofern, als ihm ein Du und ein Es gegenübersteht. Dies beides aber leistet der Teufel und sein Reich. Gegenüber dieser unlösbaren Aporie beruhigt sich das idealistische Denken mit dem Hinweis darauf, daß wir hier einem Mysterium begegnen, und dieses Mysterium ist das Primat des Bewußtsein über das Sein.

Der Hinweis auf das Mysterium aber bedeutet nichts anderes, als daß der Idealismus hier auf das Denken verzichtet und daß der dialektische Materialismus, der sich antithetisch nur als Widerlegung des Idealismus versteht, hier auch denkerisch kapitulieren muß, obgleich er das eigentlich gar nicht will. Auch er respektiert das Mysterium, wenn Lenin ganz mit Recht darauf hinweist - und wir haben bereits darauf aufmerksam gemacht - daß Materie und Bewußtsein "letzte" erkenntnistheoretische Begriffe seien, denen gegenüber nichts weiter übrig bliebe als die "Feststellung", welcher von beiden als das Primäre genommen werden soll. Insofern als sich die idealistische Philosophie für die eine Seite der Alternative entscheidet und der Materialismus für die andere, stehen sich die beiden in der Tat in brutaler Unmittelbarkeit gegenüber, der beide Seiten dazu verführt von einem unversöhnlichen weltanschaulichen Gegensatz zu sprechen. Aber so unversöhnlich kann der Gegensatz ja nicht sein, wenn beide Seiten sich darüber einig sind, daß hier das Denken aufhört und nichts weiter als die "Feststellung" übrig bleibt. Daß die eine Seite diese Feststellung als religiösen Glauben bezeichnet und die andere jedem Worte dieses Glaubens widerspricht, ändert an der gemeinsamen Ausgangsposition des Feststellens nicht das geringste. Beide Seiten müssen sich mit einer Feststellung begnügen, weil für Bewußtsein und Sein eine übergeordnete erkenntnistheoretische Kategorie fehlt. Wenn aber eine solche fehlt, dann besteht kein Vergleichspunkt für die beiden Seiten der Alternative. Man kann also gar nicht sagen, worin eigentlich der positive Unterschied zwischen Sein und Bewußtsein bestehen soll; denn diesen Unterschied könnte ja nur die übergeordnete Kategorie feststellen, die aber fehlt, wie die "unversöhnlichen" Gegner einmütig feststellen.

Die Frage, der sich das heutige Denken nicht entziehen kann, ist die, ob wir uns angesichts der Entwicklung der Logik und der positiven Wissenschaften im 20. Jahrhundert noch mit jener Resignation zufrieden geben wollen, die auf eine theoretische Reflexion verzichtet, die über jene doppelsinnige Feststellung hinausgeht, an der sich Idealismus und Materialismus entzweit haben. Die bisherige Darstellung unseres Gedankenganges hat diese Frage bereits verneinend beantwortet. Wir sind davon ausgegangen, daß der Idealismus sowohl wie die ihm antithetische erste Stufe des dialektischen Materialismus theoretisch noch aufs engste verwandt sind, insofern sie beide einer mono-kontexturalen Weltanschauung huldigen.

Darüber hinaus haben wir aber bisher nur flüchtig andeuten können, daß eine Weiterentwicklung der Philosophie, die wir als zweite Stufe des dialektischen Materialismus bezeichnet haben, sich dadurch auszeichnen wird, daß die heute erst in primitiven Anfängen existierende Hermeneutik sich derart entwickeln wird, daß sie zu der ganzen mathematischen und naturwissenschaftlichen Forschung ein solches Verhältnis gewinnt, wie sie es heute ausschließlich zu den sogen. Geisteswissenschaften hat. Damit wird sich dann der längst überholte Gegensatz von Natur und Geist von selbst erledigen. Die theoretischen Sonderrechte, die von den Geisteswissenschaften heute noch beansprucht werden - und die letzten Endes zu einer Zerstörung der Logik führen müssen - nähren sich aus einer beiden Seiten gemeinsamen Scheu, den religiösen Mythus zu säkularisieren. Auf der idealistischen Seite bleibt er als Glaubensbestand bestehen, und auf der materialistischen tut man ihn einfach als Lüge ab. Daß im ersten Falle nichts zu säkularisieren ist, ist selbstverständlich. Im andern Fall aber sind wir nicht besser dran, denn mit Lügen braucht man sich nicht weiter zu beschäftigen, wenn man einmal glaubt sie als solche erkannt zu haben. Man vergißt dabei ganz Hegels Maxime, daß es in der Logik des Absoluten nichts Falsches geben kann. Die Logik des Absoluten ist ja nichts anderes als die Darstellung der Realität, und die Idee einer 'falschen' Realität ist schlechterdings absurd. Oder wer hat schon einmal einen falschen Baum, eine falsche Wolke oder einen falschen Stern gesehen? So ist der Mythus als notwendige Bewußtseinsverfassung ein Wirkliches in dieser Welt und als solches ist er weder falsch noch richtig, sondern es geht ihm eben wie dem Baum, der Wolke und dem Stern - er ist eben einfach da. Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß sie irgend eine Realgestalt der Welt falsch interpretieren. Und das ist ganz sicher beim Mythus der Fall. Wenn wir etwa von dem blitzschleudernden Zeus sprechen, dann objektivieren wir einen von uns noch nicht verstandenen Sachverhalt in einer Weise, die kindlich und naiv und theoretisch ganz sicher nicht zulässig ist. Aber die Realität der Sache bleibt, gleichgültig ob wir in adäquater oder in inadäquater Weise darüber reden. Und wie der Mensch zufällig redet, daß ist der Hegelschen Logik ziemlich gleichgültig. Sie ist kein Reinigungslappen, mit dem man ein Gehirn auswischt. In der Hegelschen Abweisung des Falschen steckt die Idee, daß ein Wirklichkeitsdenken, das sich noch mit dem Gegensatz von Richtig und Falsch beschäftigt, von einem Weltbild redet, dem ein Stück Wirklichkeit verloren gegangen ist.

Um das näher zu erläutern wollen wir versuchen, von dem Punkte aus weiterzudenken, wo wir das religiöse Problem des Bösen verschwinden sahen, d.h. an dem Punkte, wo nach der alten Prophezeihung die Hölle zu den Grenzen des Paradieses getan sein wird. Dieses letzte eschatologische Ereignis, nämlich die Aufhebung der einzigen Kontexturalgrenze, die das klassische Denken kennt und anerkennt (und die sich in der Eschatologie aus ihrer ursprünglichen Position zwischen Diesseits und Jenseits ganz in das Jenseits verschoben hat und die hier als das Verschwinden des Bösen in die Gnade Gottes erscheint) hat zum Resultat eine Welt, die überhaupt keine Grenze mehr hat. Sie ist - in kybernetischer Terminologie - das relativ zu Information und Kontrolle nicht geschlossene System. Das aber ist das Universum der Materialität. Wenn aber der Idealismus behauptet, daß das göttliche Wesen die coincidentia oppositorum ist, also das Verschwinden der Grenze zwischen Affirmation und Negation, dann ist die Folgerung unvermeidlich daß, wenn wir im dialektischen Sinn von Materie oder im mythischen Sinn von Gott sprechen, wir in zweierlei Weise von genau demselben reden. Der Begriff der Materie ist also die Säkularisation des Gottesbegriffes. In beiden Fällen handelt es sich darum, daß der Mangel eines übergeordneten Bestimmungsgesichtspunktes für den Gegensatz von Subjekt und Objekt, den die sich feindlichen mono-kontexturalen Weltanschauungen nur als Negativität nehmen, jetzt als eine Ultra-Positivität aufgefaßt wird, die das Denken auf eine höhere Ebene hebt, auf der das Seinsproblem der klassischen Epoche verschwunden ist.

Wenn wir einige Zeilen weiter oben bemerkten, daß wenn wir im dialektischen Sinn von Materie oder von Gott reden, wir im Grunde genommen über das gleiche Thema sprechen, so darf jetzt nicht mehr daraus die Idee einer logischen Symmetrie dieser beiden Gegenpole herausgelesen werden, wie das noch der antithetische Materialismus tut, der noch ganz simpel annimmt: wenn ich Gott verneine, dann bekomme ich die Materie. Das ist noch das Denkschema der coincidentia oppositiorum, die ein genaues Gleichgewicht zwischen Affirmation und Negation verlangt. So denkt die zweiwertige Logik, die das Zeitproblem nicht kennt. Wenn aber von Säkularisation die Rede ist, so ist hier ein temporaler Prozeß involviert. D.h. die Idee Gottes zerdehnt sich in der Zeit in die Idee der Materie. Man wird schnell bemerken, daß hier eine logische Asymmetrie im Spiele ist. In der Geistesgeschichte des Menschen ist zwar versucht worden, die Symmetrie zwischen Geist und Materie unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Das geschieht dort, wo man statt von Säkularisation des Geistes von der Heiligung der Materie spricht. (Wir erinnern noch einmal an unser Zitat von der geheiligten Hölle). Die Heiligung der Materie ist aber alles andere als ein genaues Gegenstück zur Säkularisierung Gottes. Denn wenn von Heiligung die Rede ist, da ist dem Denken ein Riegel vorgeschoben. Wir werden von Neuem an das Mysterium verwiesen. Es gibt keinen theoretischen Begriff von Heiligkeit. Umgekehrt aber, wenn von der Säkularisierung Gottes die Rede ist, dann handelt es sich um einen Prozeß, der Objektivierung des Geistes. Das Ungreifbare und Unfaßliche wird greifbar und mehr und mehr dem theoretischen Denken zugänglich. Rationalität und Objektivität sind in gewisser Hinsicht fast synonyme Termini. Daraus ergibt sich, daß das materialistische, zur Gegenständlichkeit drängende Denken eine unbedingt überlegene Chance hat das Wesen der Wirklichkeit adäquat, oder wenigstens adäquater zu erfassen als das idealistische, für das die Konturen der Realität immer mehr verschwimmen, je tiefer man in die Unfaßlichkeit des Mysteriums einzudringen strebt. Der Materialismus kann allerdings nur dann seine Chance wirklich nutzen, wenn er sich einer Logik bedient, die dieser Problematik gewachsen ist, und die das alte Problem, was Sein als absolute Transzendenz ist, hinter sich gelassen hat. Aber davon ist der dialektische Materialismus heute noch weit entfernt, weil ihn die Frage, ob die letzte Wurzel aller Wirklichkeit die Subjektivität (Gott) oder die Objektivität (Materie) ist, immer noch nicht losgelassen hat. Man kann von dieser Frage einfach nicht fort und muß sie immer wieder stellen, ob man will oder nicht, solange man sich der zweiwertigen Logik bedient. Denn die letztere ist gar nichts anderes als eine praktische Anweisung, wie man zu denken hat, wenn man eben diese Frage stellt. Die Frage wird erst dann uninteressant, wenn ein mehrwertiges Denken die Erfahrung gemacht hat, daß sich alles Gegebene unwiderleglich in dem einen oder dem andern Sinne deuten läßt; und daß jede Deutung auf einen spezifischen ontologischen Ort in einem poly-kontextural begriffenen Diesseits hinweist. Dann kommt es nicht mehr darauf an, welche Antwort auf die Frage wahr ist, sondern darauf, was man mit der einen oder der andern Deutung machen kann!

Hier geht ein hermeneutisches Denken in die Theorie der Handlung über. Die Idee eines solchen Überganges liegt der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik der vergangenen Epoche so fern wie nur möglich. Ihre Ausrichtung auf die Transzendenz und den unirdischen Charakter des Begriffes schloß eine solche Beziehung zwischen Verstehen und Handeln von vornherein aus. Im Übersinnlichen kann man nichts tun; da kann man nur als williges Gefäß Erleuchtung in sich hineinfließen lassen. Dort aber wo sich das im Diesseits bleibende Denken nicht mehr letzten Wahrheiten zuwendet, sondern sich in Aktivität immer neuer Deutungsprozesse erhalten muß, da wird der Zwang unwiderstehlich seine Deutungen zu rechtfertigen. Aber das kann nur die Praxis tun, in die das Denken deshalb immer auslaufen muß. Dieser Sachverhalt liegt in der Schellingschen Forderung einer Philosophie der Handlung, von der wir in den einleitenden Teilen dieses Buches gesprochen haben. Hat man daß erst einmal zugegeben, dann kann man auch ruhig die These, daß die Philosophen die Welt bisher nur verschieden interpretiert haben, wo es doch so viel wichtiger ist sie zu verändern, einmal gründlich kritisieren. An der Welt, in der wir leben, ist bisher herzlich wenig interpretiert worden, wo sich das Interesse mit überwältigender Majorität auf ein Endgültiges richtet für das dieses Dasein nur vorläufige Probeexistenz sein sollte, nur untergeordnetes Mittel zum Zweck. Diese Vorläufigkeit tiefer zu verstehen lohnt sich überhaupt nicht, sofern man nur von dem Ewigen berührt wurde, auf das diese elende Vorläufigkeit zusteuerte. Wenn es aber darauf ankommen soll diese Welt zu verändern, dann kann man nur sagen, daß die bisherige interpretative Geistesgeschichte des Menschen eine geradezu elende Vorbereitung auf diese Aufgabe ist.

Was heute zur Not interpretierbar ist, das ist die Theorie einer reflexionslosen Objektivität, wie sie sich in der abendländischen Naturwissenschaft und der ihr beigeordneten Technik niedergeschlagen hat. Die Theorie der reflexionsbesetzten Objektivität aber besitzen wir als prinzipielle neue Fragestellung und in vollem Umfang erst seit Hegels Theorie des objektiven Geistes. Hat man nichts anderes vor als die Reflexion schlechthin und in allen ihren Varianten von der Objektivität abzuschneiden, so kann man sich mit einer kontexturellen Schranke beschneiden, weshalb auch die klassische Logik der herkömmlichen Naturwissenschaft und Technik so vortreffliche Dienste geleistet hat. Beginnen wir aber von einer reflexionserfüllten Objektivität, also vom objektiven Geiste, zu sprechen, so darf man sich das selbstverständlich nicht so vorstellen, als ob das sogen. Geistige wie eine diffuse Flüssigkeit in alle Poren der Materie dringt, sondern die Präsenz der Reflexion produziert Abbrücke und Abgründe in der langweiligen Homogenität der reflexionslosen Materie. Die Antwort darauf, wo diese Grenzen und Abbrüche liegen, liefert die Theorie der Poly-Kontexturalität. Aber das bloße 'Wo' berücksichtigt nur das Interesse der objektiven Komponente am Ganzen. Das Interesse der Subjektivität ist erst dann befriedigt, wenn wir weiterhin fragen, was das jeweilige Wo der Grenze bedeutet. In diesem Sinne ist die Kontexturalitätstheorie ihrem eigentlichen Wesen nach eine exakte Logik der Hermeneutik. Die Frage nach dem, was schlechthin objektiv ist, kann immer innerhalb des Bereichs einer einzigen Universalkontextur beantwortet werden. Die Überschreitung einer kontexturellen Grenze gibt keine bessere Antwort, sie zerstört nur den Sinn der Fragestellung. Wem das, nach allem, was bisher über Kontexturalität gesagt worden ist, noch nicht deutlich ist, der soll sich noch einmal die klassische Situation zurückrufen: Wir fragen nach dem Sein hier auf Erden und erhalten eine Antwort, die uns in unserm irdischen Dasein befriedigt. Dann aber treten wir durch den Tod in ein Jenseits über und das, was einstmals war, ist in Leere und Wesenslosigkeit vergangen. Sein hat jetzt eine neue Bedeutung. Wir haben die Frage nach dem Sein des irdischen Objekts und die dazu gehörige Anwort vergessen. Sie hat jetzt auch keine Bedeutung mehr.

Der Überschwang des Glaubens, der auf die ewige Seligkeit wartet, vergegenwärtigt sich nicht, das der Übertritt ins Jenseits einen Sinnverlust mit sich bringt, der nicht zu vermeiden ist, weil ihm ein Realitätsverlust vorausgeht. In der Geistesgeschichte des Menschen sieht das auf Grund ihrer idealistischen Orientierung allerdings genau umgekehrt aus. Bei Plato ist es die Welt der Ideen, die alle Realität in sich trägt und verglichen mit der das Diesseits eine substanzlose Schattenwelt ist. Und ebenso lesen wir in der Bibel, Lukas 21, 33: "Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht." Desgleichen bei 1. Johannes 2,17: "Und die Welt vergehet mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit." Was über den Realitätsverlust im Jenseits hinwegtäuscht, ist die überall wiederkehrende Versicherung, daß es im Drüben auf alle Fälle besser ist. Aber das bleibt eine bloße Beteuerung der Religion und der idealistischen Metaphysik, die dadurch nicht gewisser wird, daß sie mit schwer zu übertreffendem Selbstbewußtsein auftritt. Wir haben schon unzählige Male betont, daß für das Denken die Antithese von Sein und Nichts ein symmetrisches Umtauschverhältnis ist, das nur dann als ein Rangverhältnis erscheinen kann, wenn man berücksichtigt, daß das Denken, das von dieser Antithese spricht, jeweilig auf der einen oder der anderen Seite steht. Von Realitätsschwäche des Diesseits ist selbstverständlich immer dann die rede, wenn es sich um die Erdenfahrt des Göttlichen handelt, von der Realitätsschwäche des Jenseits aber müssen wir dann reden, wenn das Irdische auf gen Himmel fährt. In der Menschwerdung Gottes, also in der Herabkunft, begibt sich das Göttliche seiner unendlichen Macht und wird Welt. Vom Abstieg der Göttlichkeit in die Armut und in die Schwäche singt die fromme Gemeinde in den lutherischen Versen:

Des ew'gen Vaters einig Kind

Jetzt man in der Krippe findt;

In unser armes Fleisch und Blut

Verkleidet sich das Ew'ge Gut.

Kyrie eleis.

Den aller Weltkreis nie beschloß,

Der liegt in Mariens Schoß;

Er ist ein Kindlein worden klein,

Der alle Ding erhält allein.

Kyrie eleis.

Die Fülle zieht langsam aus dem Himmel ab und sammelt sich auf Erden, weshalb Hegel von dem noch nicht inkarnierten Gott mit einem leichten Unterton der Geringschätzung spricht: "Gott als ein Abstractum ist nicht der wahrhafte Gott, sondern nur als der lebendige Prozeß, sein Anderes, die Welt zu setzen, welches, in göttlicher Form gefaßt, sein Sohn ist; und erst in der Einheit mit einem andern, im Geist ist Gott Subjekt." Unter Geist ist hier inkarnierter, objektiver Geist zu verstehen, und erst in der Inkarnation entsteht die Subjektivität. Das Fleisch hat hier den deutlichen Vorrang vor der Subjektivität; es ist die conditio sine qua non. Es ist nun kein Zufall, daß diese Religion sich Christentum nennt und daß der Glaube an Christus, den Erlöser, und nicht die Verehrung eines blassen deus absconditus den Kern des religiösen Erlebens bildet. In Christo ist das Diesseits geheiligt. Nicht zu Unrecht sagt Spengler: "Das Christentum ist die einzige Religion der Weltgeschichte, in welcher ein Menschenschicksal der unmittelbaren Gegenwart zum Sinnbild und Mittelpunkt der gesamten Schöpfung geworden ist." Aber der Sinn dieser Offenbarung und ihre ganze Fülle ist das Kreuz. Keine problemlose Seligkeit sondern das Leiden, weshalb Jesaia von dem Messias sagt: "Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen ... die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten; und durch seine Wunden sind wir geheilet." Das Diesseits als die erfüllte zu sich gekommene Realität kann aber nicht ertragen werden und auf die Kreuzigung folgt Auferstehung und Himmelfahrt. Die Himmelfahrt ist ein Kontexturübergang und man darf nicht vergessen, daß sich die sicheren intra-kontexturellen Bestimmungen, an denen sich das entwickelte Denken im Diesseits festhalten kann, fast völlig verflüchtigen, wenn sich der Blick auf das Jenseits richtet. Es bleibt fast nichts übrig als Analogien, poetische Bilder und Gleichnisses und die ganz in ihre eigene Überzeugung versponnene Subjektivität des Glaubens.

Dazu kommt ein weiteres Argument, das der Kybernetik entnommen ist. Wir haben zwei Kontexturen: Sein und Nichts. Die eine ist mit einem Realitätsgehalt besetzt, die andere ist leer. Wenn dann in der Inkarnation der Gehalt vom Jenseits ins Diesseits fließt und in der Himmelfahrt vom Diesseits ins Jenseits, und wenn sich das im kybernetischen Sinne um einen Wirklichkeitsvorgang handeln soll, so muß jeweilig die eine Kontextur ärmer erscheinen als die andere, denn das Überschreiten einer Kontexturalschranke verbraucht Energie und Information. Der Geisteswissenschaftler wird diese grob materialistische Interpretation des Geborenwerdens einer Seele und ihres Sterbens unter spirituellen Gesichtspunkten indiskutabel finden. Wir haben sie hier auch nur eingeführt, um die Absurdität aller klassischen Theorien der Realität zu demonstrieren, die unüberwindliche Schwierigkeiten des Denkens dadurch aus dem Wege schaffen, daß sie unerklärbare Eigenschaften der Realität als wesenlos erklären, als bloße Illusionen, die sich bei näherem Zusehen in Nichts auflösen. Der Manichäismus hat wenigstens in diesem Punkte schon tiefer gesehen, wenn er in seiner Mythologie erzählt, daß am Ende der Geschichte, wenn sich das Licht aus seiner unglückseligen Verflechtung mit der Finsternis befreit hat, die Finsternis selber auf ewig bleibt. Licht und Finsternis können nicht miteinander versöhnt werden. Gelegentlich weiß das auch die Bibel; wir lesen im Prediger Salomo (1,4): "Die Erde bleibet aber ewiglich." Nach dem Gesetz der Erhaltung der Realität kann das Irdische nicht vergehen. Die klassische Schematik des Umtauschverhältnisses von Sein und Nichts reicht für das Begreifen der Wirklichkeit nicht aus, denn was sie beschreibt, ist entweder der Zustand vor dem Umtausch oder nach dem Umtausch. Dem kontexturellen Umsetzungsprozeß selber, der die beiden Zustände miteinander verbindet, kann dieses Denken nicht bewältigen. Bei Hegel taucht der Prozeß unter dem Terminus "Vermittlung" auf. Aber Vermittlung ist selber - wie Hegels Wortwahl andeutet - ein überlebender Rest klassischer Denkgewohnheit, insofern als Vermittlung immer noch auf eine primordiale Dualität hinweist, zwischen deren Polen eine Verbindung geschaffen werden soll. Immerhin bedeutet das Hegelsche Denken insofern einen Fortschritt, über die klassische Tradition hinaus, als beide Seiten die vermittelt werden sollen, als gleichwertig real vorausgesetzt werden. Die klassische Denkform aber, ganz gleichgültig ob sie uns als Idealismus begegnet oder als der antithetische dialektische Materialismus der ersten Stufe, impliziert immer, daß die Realität jederzeit auf der einen Seite des Umtauschverhältnisses von Sein und Nichts ist. Für den Idealismus liegt sie im Jenseits, für den Materialismus im Diesseits, und jeder nennt die Kontextur, die alle inhaltliche Bestimmung in sich sammelt, Sein und die andere Nichts. Diesem Denken ist noch nicht die Idee gekommen, daß die Realität immer in derjenigen Universalkontextur zurückzubleiben scheint, aus der die Reflexion gerade heraustritt. Inkarnation und Himmelfahrt sind mythologische Bilder dieses logischen Verhältnisses. Es sollte nach dem bisher gesagten deutlich sein, daß wenn wir von Diesseits und Jenseits reden, von den Verhaltens- und Kontrollvorgängen eines kybernetischen Systems die Rede ist, denn das zentrale Problem ist das eines Grenzüberganges. Es handelt sich immer um ein relativ zu Information und Kontrolle geschlossenes System. Ein solches aber ist immer eingebettet in ein durch keine Schranken zu bestimmendes Feld der reinen Materialität, bzw. Objektivität. Fragen wir also, woher die Kraft kommt, die den Wechsel vom Sein zum Nichts und vom Nichts zum Sein bewerkstelligt, und wohin die intrakontexturalen Bestimmungen abfließen, wenn sie bei einem Kontexturwechsel verschwinden ohne identifizierbar in dem anderen aufzutreten, so muß die Antwort lauten, daß sie dann im Bereich jener offenen Materialität zu suchen sind, die allen kybernetischen Systemen zur Umgebung dient und die ihrerseits keine Umgebung mehr hat.

Strukturtheoretisch sind wir hier an der letzten Unterscheidung zwischen Bewußtsein und Materie angekommen, denn wir können ganz schlicht sagen, daß wenn wir vom Sein des Bewußtseins sprechen, wir immer etwas meinen, was von einer Grenze umgeben ist. Erwähnen wir aber die Materie, dann beziehen wir uns auf etwas, was keine Grenze hat. Damit ist der ontologische Primat der Materie ohne weiteres gegeben, und die eben formulierte Unterscheidung von Subjektivität und Objektivität stimmt auch mit der überein, die wir weiter oben bereits anführten, nämlich daß wir unter Subjekt die Unterscheidung verstehen und unter Objekt das Unterschiedene. Man braucht nicht gleich von der Magna Mater, der Mutter Gottes oder von Astarte zu sprechen, um deutlich zu machen, daß wir uns im Gebiete der Mythologie befinden. Das intellektuelle sich Bewegen in mythologischen Termini reicht unvergleichlich viel weiter; und wenn wir von Subjekt und Objekt oder von Materie und Energie sprechen, so gehen wir genau so mit mythologischen Vorstellungen um, als wenn wir Krishna oder das Nirvana erwähnen. Man muß sich darüber klar sein, daß das Denken die Mythologie nie ganz von sich abstreifen kann, aber wenn wir Bewußtsein als Unterscheidung und Materie als Unterschiedenes definieren oder wenn wir von Subjektivität als von einem System sprechen, das relativ zu Information und Kontrolle geschlossen ist, und von Objektivität als von einer Systematik, für die dieses Geschlossensein nicht gilt, dann haben wir unsere Reflexion wenigstens soweit entmythologisiert, als es auf der gegenwärtigen Stufe des Denkens überhaupt möglich ist. Wir können nach dieser Verwahrung die alten mythologischen Termini ruhig weiter gebrauchen; sie können nämlich eine besondere Funktion haben, insofern als sie uns daran erinnern, das sie Entmythologisierung in den neuen Begriffen durch die wir sie ersetzen, nie eine perfekte ist, und es ist oft nützlich anzudeuten, das der nicht aufgelöste mythologische Restbestand auch weiterhin eine nicht zu übersehende Rolle spielt.

Die Relation zwischen geschlossenem und offenem System ist der logische Ort, wo die Funktion der konstatierenden und registrierenden Erkenntnis, die es mit Unmittelbarkeit (Hegel) zu tun hat, in das deutende Verstehen übergeht. Was Sein eigentlich "ist", stellt sich letztlich als eine hermeneutische Frage heraus. Sollen wir dieses Ist als Sein mit Umgebung (kybernetisch) oder als Sein ohne Umgebung deuten? Das heißt also als System der Subjektivität oder Objektivität. Beide Deutungen hängen miteinander in dem Gesetz der Erhaltung der Realität zusammen. Verstehen wir Sein im kybernetischen Sinne, dann ist die Erhaltung der Realität nicht garantiert, und von ihrem Verschwinden reden alle Sagen von eschatologischen Weltbränden und -untergängen. In diesem Sein, das verschwinden kann, ist auch die Seele angesiedelt. Deuten wir Sein aber im Sinne einer alle kybernetischen Systeme einschließenden Materialität, dann kann von einem Realitätsverlust nicht mehr die Rede sein, denn die Wirklichkeit als Objektivität hat keine Grenze, jenseits derer etwas verloren gehen könnte.

Hier ist dem skeptischen Einwand zu begegnen, das wenn wir Materialität als trans-kybernetischen Bereich denken, wir damit wieder zu der konstatierenden und registrierenden Erkenntnisfunktion zurückgekommen wären. Der Einwand wäre zu konzedieren, wenn es sich bei dem umgebungslosen Sein um eine eindeutig identifizierbare Größe handelte. Aber gerade das muß bestritten werden. Was gemeint ist, wird sofort klar, wenn wir uns an die kontexturale Dreiheit von Ich-Subjektivität, Du-Subjektivität und den Es-Bereich erinnern. Das reine Es stellt kein kybernetisches System dar, aber es ist unterschiedlich bestimmbar, je nachdem es im Kontrast zum Ich oder zum Du beschrieben wird. So bleibt das Es immer im Hinblick auf das jeweilige Bewußtsein, das sich mit ihm beschäftigt, eine Deutungsfrage. Nur im Umkreis des klassischen Denkens ist das nicht der Fall, da die intersubjektive Allgemeingültigkeit von Aussagen gerade dadurch gewährleistet wird, das alle urteilenden Subjekte - sofern sie nur richtig denken und erkennen - ihr identisches Objekt durch gleiche Bestimmungen identifizieren müssen. Das ist aber ein Bemühen, das nur einer reflexionslosen Objektivität gegenüber gelingen kann, d.h. im Rahmen des mono-kontexturalen Seins. Hier hat das Verstehen keinen Freiheitsraum für wechselnde Deutungen. Das die klassische Tradition trotzdem schon eine Hermeneutik entwickelt hat, verdanken wir einer glücklichen Inkonsequenz des Denkens, der es nicht gelingt Sein und Nichts, Diesseits und Jenseits, konsequent auseinanderzuhalten. Die Grenze verschwimmt. Und in der Bandbreite dieses Verschwimmens hat sich die Hermeneutik bisher angesiedelt.

Es ist klar, das unter diesen Umständen die mathematisierende symbolische Logik und die Hermeneutik nichts miteinander zu tun haben konnten. In einem mono-kontexturalen Universum ist reine Objektivität als solche nicht deutbar sondern nur feststellbar. Das reflexionslose Ansich ist eben und erschöpft sich für das erkenntnissuchende Subjekt in seiner nackten Konstatierbarkeit. Zum Deuten bleibt da gar nichts übrig. Und dort, wo das Deuten anfängt, begegnet die Subjektivität nur sich selbst als gespiegelt im Objekt. Dieser Durchgang durch die Reflexionslosigkeit täuscht der Reflexion metaphysische Seinserkenntnisse vor, die keine sind. Die formale Logik ist hier unbestechlich gewesen und infolge ihrer metaphysischen Unergiebigkeit hinsichtlich geisteswissenschaftlicher Probleme hat sich die Philosophie auch immer weiter von ihr entfernt. Der durchschnittliche Logiker, der etwa im Journal of Symbolic Logic schreibt, ist an Philosophie überhaupt nicht mehr interessiert; er rechnet nur noch. Und ein sehr bekannter europäischer Logiker, der in Amerika zu erheblichem Einfluß gelangte, leistete sich schon in seiner europäischen Periode die folgende Behauptung: "Alle Philosophie im alten Sinne, knüpfe sie nun an Plato, Thomas, Kant, Schelling oder Hegel an, oder baue sie eine neue 'Metaphysik des Seins' oder eine 'geisteswissenschaftliche Philosophie' auf, erweist sich vor dem unerbittlichen Urteil der neuen Logik nicht etwa nur als inhaltlich falsch, sondern als logisch unhaltbar, daher sinnlos." Aus diesem Satze könnte immerhin noch geschlossen werden, das auf die Philosophie "im alten Sinne" eine Philosophie im neuen Sinne folgen könne, aber wir werden von demselben Logiker im weiteren Verlauf seines Gedankenganges dann zusätzlich belehrt: "Grundsätzlich unbeantwortbare Fragen gibt es nicht. Es gibt keine Philosophie als Theorie, als System eigener Sätze neben denen der Wissenschaft. Philosophie betreiben bedeutet nichts Anderes als: die Begriffe und Sätze der Wissenschaft durch logische Analyse klären. Das Werkzeug hierfür ist die neue Logik." Was hier als "neue" Logik bezeichnet wird, ist philosophisch gesehen nichts weiter wie die alte Logik, die man durch Rechenmethoden präzisiert und innerhalb des traditionellen ontologischen Rahmens - der nirgends beanstandet wird - im Detail ganz erheblich bereichert hat. Dieser ontologische Rahmen betrifft, wie wir jetzt wissen, ein subjektfreies Universum, aus dem die Seele als transzendent-religiöse Angelegenheit ausgeschlossen ist. Was aber jenen Bestandteil eines Universums, das sowohl Subjekt als auch Objekt ist, angeht, und in dem sich die Mechanik des Weltlaufs vorerst in der Produktion von Mythologemen als Zustandsbedingungen der Subjektivität manifestiert, so werden wir über die ontologische Bedeutung von Mythologemen von demselben Logiker in der folgenden Weise belehrt: "Es sind ... bloße Scheinbegriffe, die sowohl vom erkenntnistheoretischen als vom inhaltlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus abzulehnen sind. Es sind sinnlose Worte, mögen sie auch noch so sehr von Tradition geheiligt und mit Gefühlen behangen sein." Natürlich sind sie sinnlos in einem Denken, das sich ausschließlich auf ein subjektloses Universum richtet und dessen einziger Existenzbegriff der des Dinges mit seinen Eigenschaften ist. Aber dem Verfasser solcher Weisheiten ist nie der Gedanke gekommen, das solche Worte wie Gnade, Transzendenz oder Heiligkeit, genau so wie Pan, Poseidon oder Rumpelstilzchen ontologische Chiffren für Struktureigenschaften eines Universums sein könnten - und zwar eines Universums, relativ zu dem die Seele nicht ein Gast aus einer übersinnlichen Welt ist, an die man nur glauben kann, sondern in dem das Spirituelle ganz und gar im Diesseits beheimatet ist und so einen integralen Bestandteil der Wirklichkeit bildet. Damit aber sind solche Termini alles andere als Sinnlosigkeiten, auch wenn in der Physik nie von Heiligkeit die Rede sein wird, und das gleiche gilt für die Gefühle, mit denen solche Vorstellungen und Begriffe "behangen" sein sollen. Es ist ein beschämender Lokalpatriotismus des Menschengehirns, etwas, was über seine jeweilige Operationsfähigkeit hinausgeht, als sinnlos zu erklären. Nach dieser Logik könnte jeder Buschmann, der noch nicht bis 10 zählen kann, die Disquisitiones Arithmeticae als menschliche Torheit abtun.

Mit dieser Verteidigung des Mythischen aber machen wir uns nicht mehr den klassischen Standpunkt zu eigen, der hier Irrationales sieht, welches dem Begriff für immer und prinzipiell deshalb unzugänglich bleiben muß, weil es der Welt gegenüber die totale Wesensfremdheit der Transzendenz darstellt. Wir postulieren hier das genaue Gegenteil und wollen es an einem krassen Beispiel erläutern. Die Heiligkeit hat mit der Physik nicht deshalb nichts zu tun, weil der begriffliche Übergang von der Definition eines Elementarteilchens zu unsern Vorstellungen von Heiligkeit eine totale ?????????????? darstellt, sondern weil 'Heiligkeit' gegenüber den 'Elementarteilchen' eine geradezu unvorstellbare Anreicherung an logischer Komplexität bedeutet. Der Einwand, das damit zwischen den beiden Begriffen nur eine graduelle Unterscheidung sei, verfängt nicht. Denn was den andersartigen Unterschied, den die religiöse Erfahrung beansprucht, betrifft, so ist dazu zu sagen, das der sich ursprünglich aus der Kontexturalschranke zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem herleitete. Heiligkeit ist eben nicht von dieser Welt. Aber was das Kontexturproblem anbetrifft, so ist die klassische Kontexturschranke ja keineswegs weggenommen, sondern das genaue Gegenteil ist geschehen. Statt einer Kontexturalschranke trennen den physikalischen und den religiösen Begriff jetzt eine überwältigende Anzahl solcher Abbrüche. Allerdings haben wir es hier mit einem subtilen Bedeutungswandel zu tun, denn alle diese Abbrüche liegen jetzt in einem Diesseits, das sich leisten darf, auf den mythischen Begriff des klassischen Jenseits zu verzichten, weil dieses neue Diesseits ein solches ist, das sich selbst transzendiert und doch in dieser Transzendierung bei sich bleibt. Es geht also dem alten Weltbild nichts verloren, sondern alle seine Momente kehren in stets sich wandelnden Transfigurationen wieder.

Hier liegt der grundsätzliche Unterschied zum Atheismus, der vulgär-materialistischen Weltanschauung, die mit ihrer Leugnung der Dreieinigkeit des Fascinosum, des Numinosum und des Tremendum, das Gesetz der Erhaltung der Realität verletzt. Zwar ist es richtig, das eine Wirklichkeitsbestimmung - und wer leugnet etwa, das die Furcht eine Wirklichkeit ist? - aus dem Bereich einer Kontextur verschwinden kann; aber immer nur um den Preis, das sie nach einer Metamorphose in einer anderen wieder auftaucht. Solche Metamorphosen mögen, wenn die Kontexturgrenze hochkomplexe Verbundkontexturen abschließt, eine ganz unerhörte Verwandlungskraft besitzen und es ist durchaus möglich, daß das Verwandelte nach seiner Transformierung kaum wiedererkennbar ist. (Hier liegt die Aufgabe der Hermeneutik.) Aber man mache sich keine Illusionen darüber - verloren geht nichts. Eine polykontexturale Welt hat keine Grenzen, an denen etwas aus der Wirklichkeit herausfallen und einen Absturz in ein bodenloses Nichts erfahren kann. Was die Inhalte eines Kontexturbereichs anbetrifft, so ist jenseits der Grenze immer ein Nichts, aber man vergesse nicht, das für die Subjektivität jenseits der Grenze das Nichts dort beginnt, wo wir inhaltliche Fülle erfahren. Um bei unserm obigen Beispiele zu bleiben: die Eigenschaften eines Elementarteilchens und die Eigenschaften, die wir der Heiligkeit zuschreiben, sind beide von dieser Welt; aber sie gehören nicht demselben Kontexturbereich an, und es ist sinnvoll zu sagen, das die Eigenschaften des Göttlichen dieselben sind, die wir schon in der Physik entdeckt haben; aber sie sind inzwischen durch so viele Transfigurationen und Transsubstantiationen hindurchgegangen, das unser klassisch beengter Verstand nicht in der Lage ist sie in der verwandelten Gestalt wiederzuerkennen. In diesem Sinne ist z.B. das Sakrament des Abendmahls, das die Verwandlung von Wein und Brot in Blut und Fleisch des Leibes Jesu Christi lehrt, eine höchst sinnvolle Aussage über fundamental-ontologische Eigenschaften dieser Wirklichkeit, von derer Gesetzlichkeit wir heute wenig mehr als nichts wissen. Der Atheismus, der es nur bis zu der bornierten Behauptung bringt, das es weder Gott noch die Heiligen 'gebe', ist völlig unfähig zu verstehen, das Märchenbücher, Sagen oder die kodifizierten Texte der Weltreligionen als Handbücher für den kybernetischen Techniker zu gebrauchen sind. Allerdings sind diese Handbücher, was ihren technischen Gebrauch angeht, in Krytogrammen geschrieben, die erst enträtselt werden müssen.

Dem noch ganz in seinen klassischen Vorstellungen Befangenen wird das eben gesagte entweder als Blasphemie oder als krasser Unsinn erscheinen. Der Kleine und der Große Katechismus als Lehrbuch für den Elektrotechniker! Der kritiklos am mono-kontexturalen Weltbild Orientierte kann gar nicht anders urteilen. Aber man vergesse nicht, das sich in den Zeiten seit dem sogenannten Zusammenbruch des Deutschen Idealismus in den positiven Wissenschaften Wandlungen vollzogen haben, die auf keine Weise mehr sich in das tradierte Weltbild hineinfügen wollen. Aber in den 30ger Jahren des vorigen Jahrhunderts war die Zeit für eine radikale Konfrontation zwischen philosophischem Weltbild und positiven Wissenschaften noch längst nicht reif. Außerdem war das Belastungsmaterial, das von empirischer Seite beigebracht werden konnte, im 19. Jahrhundert noch viel zu dürftig. Die Grundlagenkrise der Mathematik hatte noch nicht begonnen, und die Kybernetik lag noch fast ein halbes Jahrhundert in der Zukunft. Die Hoffnung war nicht ganz unberechtigt, daß das klassische Weltbild, wenn auch mit geringfügigen und keineswegs prinzipiellen Modifikationen, überdauern könnte. Auch für den Biologen war um 1920 herum Leben, bzw. Subjektivität, eine transzendente Größe, die mit Diesseitskategorien nicht eingefangen werden konnte. Die Teilung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften war von hier aus gesehen nichts weiter als ein Symptom für den mangelnden Willen eine unbarmherzige Gegenüberstellung von Natur und Geist zu vermeiden. Den Umschwung brachte schließlich die Kybernetik, für die plötzlich das Problem der Unterscheidung zwischen Systemen, die relativ zu Information und Kontrolle eine Grenze besitzen und solchen, bei denen eine solche Grenze nicht konstatierbar ist, unaufschiebbar wurde. Damit war dem kybernetischen Logiker die Aufgabe gestellt, in allgemeinster Form festzustellen, was unter Grenze im kybernetischen Sinn eigentlich zu verstehen sei. Darüber angestellte Untersuchungen ergaben, das gewisse Eigenschaften einer solchen Grenze in ihrer radikal verallgemeinerten Konsequenz bisher nur in dem wohl überall akzeptierten Gegensatz von Erscheinung und Wirklichkeit zu finden waren. D.h. in einer Differenz, die weitgehend mit dem religiösen Glauben an ein vergängliches Diesseits und ein ewiges Jenseits zusammenfiel. Da man es aber in der kybernetischen Maschinentheorie ganz ausschließlich mit dem Diesseits zu tun hat, ergab sich automatisch der Zweifel, ob es sich hier wirklich um eine Grenze handelt, die dieses gesamte Universum so total von einem Jenseits abschlösse, das man auf der andern Seite nur nach dem suchen dürfe, was die Tradition seit je das Metaphysische nannte. Weniger und weniger ließ sich die Vermutung abweisen, das eine solche Grenze, begabt mit allen den Eigenschaften, die ihr das klassische Denken zuwies, sich ganz innerhalb des Diesseits befinden könne und einen Teil der empirischen Erscheinungswelt von einem andern trennen könne.

Da das klassische Denken sich bis kürzlich fast ausschließlich entweder mit dem Thema 'Diesseits' oder mit dem inversen Thema 'Jenseits' beschäftigt hatte, war die Grenze zwischen beiden selbst niemals Zentrum und Sammelpunkt des philosophischen Denkens gewesen. Damit ersparte sich diese Tradition allerhand Verlegenheiten, die plötzlich zum Durchbruch kamen. Als die die Mathematik im Begriff des Limes sich gezwungen sah sich mit diesem Problem zu beschäftigen, fiel zuerst einiges Licht auf die enormen Schwierigkeiten, die das Denken hier erwarteten. Die Arbeiten von Newton und Leibniz zum Differenzialkalkül riefen sehr schnell die Kritiker auf den Platz. Newton würdigte sie keiner Antwort, aber Leibniz versuchte die neue Methode zu rechtfertigen. Es war höchst charakteristisch, das Leibniz aus pragmatischen Gründen sich gegen eine überkritische logische Analyse seiner Methode wandte. Aber die Angriffe auf die logische Zuverlässigkeit der Analyse setzten sich im 18. Jahrhundert fort. Selbst die Theologie meldete sich zum Worte: Berkeley's Charakterisierung vom dy/dx als the ghost of departed quantities ist berühmt geworden. In der Weiterentwicklung der Theorie schien im 19. Jahrhundert das Berkeley'sche Gespenst exorziert zu sein. Heute wissen wir allerdings, daß das Problem der Grenze im generellsten Sinn immer noch auf seine genaue Definition als Problem wartet und von einer Lösung ist überhaupt noch nicht zu reden.

Bleiben wir noch eine kleine Weile bei dem Schema des klassischen Denkens. Redet man überhaupt von einer Grenze zwischen Physik und Metaphysik so stellt sich sofort die Frage: soll diese Grenze als letzte Manifestation des Physischen oder als erste Manifestierung des Metaphysischen betrachtet werden? Die Frage ist offensichtlich eine solche, die weder in dem einen noch in dem andern Sinne eindeutig entschieden werden kann. Es ist uns nur erlaubt zu sagen, das es sich hier um zwei Deutungen handelt, die ebenbürtig neben einander stehen. Das Problem des Seins einer solchen Grenze dekuvriert sich also als eine Aufgabe der Hermeneutik, und wenn wir von dem angeblichen Lug und Trug dieser Scheinwelt und dem wahren Realtitätsanspruch des Ewigen sprechen, so irren wir uns völlig, wenn wir glauben eine definitive Seinsaussage gemacht zu haben und dessen gewiß zu sein, was wirklich west. Wir wissen nicht, das wir uns zwischen Deutungen entschieden haben, von denen noch keine ihre endgültige Überlegenheit über die andere demonstriert hat. Anders ausgedrückt: die Alternative von Wirklichkeit und Unwirklichkeit ist nicht - wie wir so gerne glauben möchten - ein Rangverhältnis. Sie ist vielmehr ein Umtauschverhältnis. Diese unsere letzte Formulierung ist aber nichts weiter als ein sehr abstrakter Ausdruck dafür, das die kontexturale Grenze, von der wir hier sprechen, und jede weiter, von der die Rede sein kann, mitten durch das Diesseits läuft, denn nur dann gehen wir nicht fehl, wenn wir von der unbedingten Ebenbürtigkeit der beiden Seiten diesseits und jenseits der Grenze reden.

So einfach ist es! Das letzte entscheidende Kriterium, das die klassische Tradition des Idealismus und die erste Stufe des antithetischen Materialismus von der Philosophie der Zukunft als einer zweiten Stufe des dialektischen Materialismus trennt, ist diese Differenz zwischen Rang und Umtauschverhältnis. Idealismus und bisheriger Materialismus sind sich beide darin einig, das sie in der Frage nach der Wirklichkeit nach einer Rangordnung suchen, und eine mono-kontexturale Weltanschauung wird ihnen immer eine solche liefern. Das poly-kontexturale Weltbild aber ist über diese Fragestellung hinaus. Ein Denken, das sich in diesem neuen Rahmen bewegt, weiß, das die Frage nach dem, was wirklich ist, niemals auf etwas anderes als auf Umtauschverhältnisse stößt, die eine Entscheidung, bzw. eine Deutung fordern.

Damit haben wir einen langen Weg zurückgelegt, der uns wieder an die Schwelle von Schelling's positiver Philosophie und zu seiner Theorie der Handlung führt. Wir können jetzt Schelling's in seinem Alterszweck erhobenen Vorwurf gegen den ihm vorangehenden Idealismus in neuer Form wiederholen. Das klassische Denken, dessen eine Variante der Idealismus ist, kann in keiner Weise - also auch nicht in seiner materialistischen Gegenvariante - zur Realität kommen, weil sein letztes Problem das der Ordnung ist. In der Alternative zwischen Ordnung und Umtausch gibt dieses Denken den Primat an die Ordnung. Ordnung erscheint ihm von vornherein als etwas höheres als Umtausch, und Wirklichkeit ist deswegen Wirkliches, weil sie von vornherein geordnet ist. Nicht umsonst wird in dieser Tradition das Unwirkliche gelegentlich mit dem Chaos gleichgestellt. Aber wenn vom Umtauschverhältnis die Rede ist, so ist alles andere als das Chaos gemeint. Das Umtauschverhältnis ist die primordiale Relation, die die Handlung erzwingt; und sie allein ist es, die mit der Wirklichkeit eine direkte Berührung hat und die das ihm vorausgehende Denken belehrt, das - soweit es Denken bleiben will - es sich dem Sein nur auf dem Wege der Deutung also indirekt ändern kann. Wenn vom Schöpfungsprozeß die Rede ist, so ist das ein mythischer Ausdruck dafür, das die Welt von einem bewußten Willen, also als System der Rangverhältnisse geschaffen ist. Das Vorhandensein solcher Rangverhältnisse ist die Voraussetzung alles Denkens. Das klassische Denken bekommt es also nur mit den Resultaten einer gewesenen Freiheit zu tun, die es irrtümlich für das Ur-Sein nimmt, ohne ihren Resultatcharakter, ihre Nachträglichkeit, zu erkennen. Die Wurzel der Realität ist im Umtauschverhältnis zu suchen, das auf Grund seiner Unentschiedenheit Handlungen erzwingt. In dieser Zwangslage wurzelt paradoxer Weise die Theorie der Freiheit. Es ist als ob die Symmetrie des primordialen Umtauschverhältnisses allen zur Freiheit fähigen Wesen zuriefe: Zum Handeln zwinge ich euch, aber wie ihr handelt, darin seid ihr frei, denn mein Wesen kann euch nicht bestimmen und zu der einen oder andern Wahl verführen, denn die beiden Seiten, deren lebendiges Verhältnis ich bin, sind total bestimmungslos. In mir steht nur ein Nichts einem anderen Nichts entgegen. Die beiden Seiten meines Verhältnisses werden erst bestimmt durch eure Macht und ihre ersten Bestimmungen, denen keine anderen voraus gehen können, sind die, das die eine die auserwählte und die andere die verworfen ist.

Die Stimme des Urmythus, die so spräche, hätte uns, sofern wir hören können, darüber belehrt, das Sein, wie Schelling sagt, ein Urzufall ist, Denn die Wahl, die aus einem schwebenden Umtauschverhältnis ein festes Rangverhältnis macht, in dem sie eins der ununterscheidbaren Relationsglieder grundlos verwirft - in der Grundlosigkeit liegt der erste Keim der Freiheit - hat damit das Sein als Ordnung gesetzt. Um das eben gesagte in einem Sinn, der noch verdeutlicht werden soll, ernst zu nehmen, darf nicht vergessen werden, das wenn wir hier von Wahl, von Zwang, von Erwähltheit und Verwerfung reden wir uns in jener Dimension bewegen, die Schelling als die Urgeschichte des Seins beschreibt. Hier ist von dem Denker, unter dessen Händen der Idealismus zerbrochen ist, die letzte und konsequenteste Mythologie geschaffen worden, die sich zugleich entmythologisiert, indem sie uns belehrt, das Sein-überhaupt, dem sich das klassische Denken so vertrauensvoll überläßt, selbst ein Mythos ist. Sein ist Mythos, weil sein Begriff das letzte Resultat ist, mit dem die Urgeschichte der Wirklichkeit zuende ist.

Das ist vor aller Philosophie und allem Denken. Dann aber kommt der Sündenfall der Reflexion. Das, was ein Ende ist, wird als ein Anfang gesetzt, ohne das diese Umkehrung dem Denken zum Bewußtsein kommt. Das ist der Anfang der klassischen Geschichte des Geistes, die sich in der Antithetik von Idealismus und Materialismus entwickelt. Wir haben weiter oben bereits darauf hingewiesen, das diesen beiden philosophischen Richtungen ein erstrangiges Problem gemeinsam ist, um dessen Lösung sie sich in einer Weise entzweit haben, die keine Versöhnung zuläßt. Wir haben die Gemeinsamkeit der philosophischen Fragestellung weiter oben und in anderem Zusammenhang dadurch gekennzeichnet, das wir darauf hinwiesen, das beide Gegner fanatisch an dem mono-kontexturalen Charakter aller Wirklichkeit glauben. Wir wollen dieser Gemeinsamkeit jetzt ein zweites Merkmal hinzufügen. Alle klassische Philosophie, sei sie nun idealistisch oder träte sie im Gewande des dialektischen Materialismus auf, interpretiert Wirklichkeit als ein Rangverhältnis. In der Idee von Sein-überhaupt nimmt die Positivität den höchsten Rang ein, und die Negativität ist ihre gelehrige Dienerin. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn Hegel von der ungeheuren Macht des Negativen redet. Die Dialektik wäre nicht Dialektik, wenn das Negative sich nicht das Affirmative immer wieder untertänig machte. Aber in allen diesen vorläufigen Niederlagen der Positivität bleibt doch sicher, daß das Positive letztlich siegen wird.

Das eine ist noch hinzuzufügen, bevor wir diesen ersten Teil unserer Betrachtung beenden. Zwischen diesen beiden Grundmerkmalen der klassischen Periode des Denkens, nämlich die Welt mono-kontextural begreifen zu wollen und Sein als metaphysisches Rangverhältnis zu verstehen, besteht ein tieferer Zusammenhang. Dieser Zusammenhang entscheidet von vornherein darüber, das die aus ihm hervorgehende Problematik des Denkens sich im Wesentlichen idealistisch entwickeln mußte und das der Materialismus in der großen Linie von Plato bis Hegel nur die Rolle eines Nebenmotivs spielt. Eine diesseitige Welt, die mono-kontextural begriffen wird, muß - wie jetzt selbstverständlich ist - ein Jenseits haben. Jenseits aber bedeutet Umgebung, womit schon gesagt ist, das Mono-Kontexturalität immer ein kybernetisches Weltbild impliziert. Das heißt aber nichts anderes, als das die Welt in ihrem tiefsten Grunde ein System der Subjektivität ist. Nur Subjektivität kann eine echte Umgebung zugeschrieben werden. Ein Stein, der in einer Wiese liegt, hat unter diesem Gesichtspunkt keine Umgebung. Die Wiese, die sich um ihn herum ausbreitet, besagt nur, das der Stein für uns von etwas umgeben ist. Die Wiese ist aber keine Umgebung für ihn, denn der Stein verhält sich zu ihr nicht als seine Umgebung; er kann das gar nicht tun, weil ihm eben das Charakteristikum der Subjektivität fehlt. Dort aber, wo ein System eine Umgebung hat und sich Unterscheidung (Subjekt) von Unterschiedenem trennt, ist die Frage unvermeidlich, welches Verhältnis Unterscheidung und Unterschiedenes zueinander haben. Nach dem früher gesagten wissen wir längst, das es sich hier um das proömische Verhältnis handelt, das grundsätzlich eine merkwürdige Verflechtung von Umtausch- und Rangverhältnis darstellt. Wie wir uns erinnern, kann man die proömische Relation als eine Umtauschbeziehung auf der Basis von einem Rangverhältnis darstellen. Niemand aber hindert uns zu sagen, das die Proömik sich darstellt in einem Rangverhältnis auf der Basis eines symmetrischen Umtausches. Das Wesentliche alles klassischen Denkens besteht nun darin, das vorausgesetzt wird, das ein Umtauschverhältnis bereits entschieden ist, ehe das Denken überhaupt anfangen kann; denn zum Denken benötigen wir ein Sein, das sich uns zum Denken anbietet. Andererseits ist es uns ganz unmöglich, die Entscheidung die in einem Umtauschverhältnis die eine Seite der anderen vorzieht, anders zu begreifen, denn als eine Subjektivität. D.h. in Schellings Urzufall ist im Grunde genommen die Idee eines handelnden Gottes bereits impliziert, wenn auch der Terminus 'Urzufall' uns Impersonalität suggerieren soll. Mit Gott und Welt aber ist ohne weiteres ein Rangverhältnis gegeben, und wenn Gott die mono-kontexturale Welt schafft und sie nach seinem eigenen Bilde formt, dann wird sie in ihrem eigenen Aufbau die Urgeschichte des Seins widerspiegeln. D.h. sie wird ein reines Negationsverhältnis besitzen, das formal immer symmetrischen Umtausch bedeutet, das aber auf den Weltinhalt angewandt sich immer als Rangverhältnis konkretisiert. Denn wo der eine Wert sich als der wahre und der andere sich als der unwahre darstellt, da ist immer Rang gegeben.

Das gilt für jede konkrete Anwendung des Negationsverhältnisses. Bedenken wir aber, das daßelbe vor aller Anwendung ein neutrales Umtauschverhältnis ist, dann ergibt sich, daß das Verhältnis von Wahren und Unwahren umtauschbar ist, womit die Welt kontradiktorischer Deutungen fähig ist. Auf diese Weise ergibt sich der historische Kampf zwischen Idealismus und Materialismus. Aber in diesem Kampf hat der Idealismus innerhalb der ersten, zweiwertigen Epoche des Denkens eine nicht mehr zu verlierende Vorgabe. Sie liegt in der Urgeschichte des Seins beschlossen, die Sein als eine vollzogene Entscheidung, also letzten Endes als Subjektivität begreift. Von hier aus gesehen ist der Kampf des Materialismus gegen den Idealismus nichts anders als die Frage: wie kann sich das Denken an einem Umtauschverhältnis entzünden, das noch nicht entschieden ist? Die Antwort, die die bisherige Geschichte des Denkens darauf gegeben hat ist die, das es unmöglich ist, den Anfang des Denkens an das primordiale Umtauschverhältnis anzuhängen, das vor dem Urzufall des Seins noch nicht stattgefunden hat. Aber - und das ist das Resultat der klassischen Geistesprobe - nichts kann die philosophische Reflexion hindern mit der erworbenen Erfahrung des Seins als eines Rangverhältnisses zu seinen eigenen Anfängen zurückgehen und darüber nachzusinnen, was es bedeutet, wenn man versucht Wirklichkeit nicht als eine Relation des Ranges sondern als ein in der Schwebe bleibendes Umtauschverhältnis zu verstehen. Das naive und mythisch orientierte Denken, das noch nicht durch die klassische Periode der Reflexion über das Sein des Seienden hindurchgegangen ist und dort sein eigenes Versagen erlebt hat ist konstitutionell unfähig, die Frage nach der unentschiedenen Umtauschrelation überhaupt auch nur sinnvoll zu formulieren, geschweige denn mögliche Antworten zu verstehen. Um diese Fähigkeit zu erwerben benötigt es das Wissen um das, was geschieht, wenn die primordielle Entscheidung für die eine oder die andere Seite gefallen ist, und wir verstehen können, das wir diese Entscheidung als Sein-überhaupt, also empirisch gegebene Objektivität begreifen. Heute ist diese Antwort da und, gestärkt durch ihren Besitz kann sich die philosophische Reflexion die einstmalig verbotene Frage endlich vorlegen.

Sie ist die Frage, die nicht schon entschieden ist, ehe sie überhaupt formuliert werden kann und sie lautet: Was für Erfahrungen kann ein Denken noch machen, das es aufgegeben hat Sein als Rangverhältnis zu begreifen und das damit alle Fragen, die die Objektivität des Seins betreffen, aus der Philosophie ausweist und den positiven Wissenschaften zuschiebt? Gemäß der positivistischen Logik bleibt da nichts mehr übrig, wonach man fragen kann und wie bekannt, ist der Positivismus über dieses Resultat sehr glücklich. Wir aber vertreten in diesen Ausführungen die Auffassung, das wir erst an dieser Stelle dem echten ontologischen Problem des dialektischen Materialismus begegnen, der vom Idealismus ewig abhängig bleibt, solange er sich als Verneinung desselben versteht und damit indirekt zugibt, daß das idealistische und das materialistische Weltproblem das selbe - wenn gleich mit kontradiktorischer Antwort - sein muß. Eine geschichtliche Epoche kann nicht damit überwunden werden, das man neue, vielleicht sogar überraschende Antworten auf alte Fragen findet, wenn solche überhaupt noch zu finden sind, sondern das man die Fragen selbst in Frage stellt, die eine Epoche belebt und zu einer geschichtlichen Einheit zusammengefaßt haben. Ist das Interesse an der Frage erloschen, dann ist es auch gleichgültig, ob schon alle Antworten gegeben sind; denn sicher ist eins: diejenigen Antworten, die einer Epoche erlauben sich zu transzendieren und über sich hinauszugehen, liegen vor. Das historische Faktum, das etwas Neues im Auftreten begriffen ist, ist der einzig mögliche und auch zureichende Beweis. Die neue Frage aber wird, ehe sie sich durch die ihr folgenden Antworten historisch legitimiert , wie ein Wort des Apostel Paulus sagt, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit sein.

Zweiter Teil.]

I.

Zur Einführung in den zweiten Teil unserer Betrachtungen zitieren wir einige Sätze aus Martin Heideggers kleiner Schrift über den 'Humanismus': "Die Heimatlosigkeit wird ein Weltschicksal. Darum ist es nötig, dieses Geschick seinsgeschichtlich zu denken. Was Marx in einem wesentlichen und bedeutenden Sinne von Hegel her als die Entfremdung des Menschen erkannt hat, reicht mit seinen Wurzeln in die Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen zurück. Diese wird und zwar aus dem Geschick des Seins in der Gestalt in der Metaphysik hervorgerufen, durch sie verfestigt und zugleich von ihr als Heimatlosigkeit verdeckt. Weil Marx, indem er die Entfremdung erfährt, in eine wesentliche Dimension der Geschichte hineinreicht, deshalb ist die Marxistische Anschauung von der Geschichte aller übrigen Historie überlegen." ...

"Das Wesen des Materialismus besteht nicht in der Behauptung, alles sei nur Stoff, vielmehr in einer metaphysischen Bestimmung, dergemäss alles Seiende als das Material der Arbeit erscheint. Das neuzeitlich-metaphysische Wesen der Arbeit ist in Hegels Phänomenologie des Geistes vorgedacht als der sich selbst einrichtende Vorgang der unbedingten Herstellung, das ist Vergegenständlichung des Wirklichen durch den als Subjektivität erfahrenen Menschen. Das Wesen des Materialismus verbirgt sich im Wesen der Technik, über die zwar viel geschrieben aber wenig gedacht wird. Die Technik ist in ihrem Wesen ein seinsgeschichtliches Geschick der in der Vergessenheit ruhenden Wahrheit des Seins. ... Als eine Gestalt der Wahrheit gründet die Technik in der Geschichte der Metaphysik. Diese selbst ist eine ausgezeichnete und die bisher allein übersehbare Phase der Geschichte des Seins. Man mag zu den Lehren des Kommunismus und zu deren Begründung in verschiedener Weise Stellung nehmen, seinsgeschichtlich steht fest, das sich in ihm eine elementare Erfahrung dessen ausspricht, was weltgeschichtlich ist."

Wir haben diesen Autor so ausgiebig zitiert, weil sich in seinen Sätzen ein Verständnis des Materialismus ausspricht, das dieser philosophischen Theorie volle Ebenbürtigkeit, wenn nicht gar seinsgeschichtliche Überlegenheit über den Idealismus sichert. Die Heimatlosigkeit als Weltschicksal wird in der Gestalt der Metaphysik hervorgerufen, und diese Metaphysik hat überdies die Funktion, das sie diese Heimatlosigkeit verdeckt. Daraus folgt, das der dialektische Materialismus im klassischen Sinne antimetaphysisch sein muß, weil das Hängen des Denkens an der Metaphysik ihm das Bewußtsein verbirgt, das sie Heimat des Menschen in der Materie gesucht werden muß. Aber dieser Weg zur Materie führt durch die Technik; denn nur in ihr kann begriffen werden, was am Sein das Wahre ist. Insofern ist die Technik wenigstens eine Gestalt der Wahrheit und in ihr ist das, was bisher Metaphysik hieß, endgültig zuende und damit übersehbar geworden. Soweit Heidegger.

Was nun die erste Stufe des dialektischen Materialismus anbetrifft, so ist zu sagen, das sie gerade darum von sich aus nach einer zweiten Stufe der Idee der Materie als Heimat verlangt, weil sie auf der ersten Stufe nicht fähig ist, das Problem der Technik geistig zu bewältigen. Da der bisherige Materialismus mit denselben Fragestellungen arbeitet wie der Idealismus und die moderne Technik völlig aus dem Gesichtskreis der klassischen Problematik herausfällt - sie stellt ja auf der physischen Seite die Liquidierung dieser Problematik dar - kann der Materialismus hier keine den Idealismus antithetische Antwort geben, weil der Idealismus seinerseits an dieser Stelle keine Überzeugungen hat, die sich aus letztem Seinsverständnis heraus ergeben. Auf beiden Seiten wird nur gespürt, das man sich dem Unverstandenen gegenübersieht und aus diesem Spüren folgt die Angst vor dem, was der innerste Kern aller Technik ist, nämlich dem Mechanismus. Derselbe ist ein Gespenst, das sowohl das idealistische wie das dialektisch-materialistische Denken erster Stufe mit gleicher Angst erfüllt, und die Materialisten haben sogar im exorzistischen Bemühen diesen Popanz zu verscheuchen ein besonders scheußliches Wort dafür erfunden. Man redet in diesen Kreisen nämlich vom Mechanismus, und meint damit ein Denken, das jedes Weltereignis auf jene elementar-mechanischen Kategorien zurückführen will, die etwa in einem Dreschflegel oder einer Kaffeemühle wirksam sind. Man identifiziert hier die Idee des Mechanismus mit der Anwendung einer Logik, die zu undialektischen Resultaten führt. Man hat noch nicht begriffen, das unter Mechanik und Maschine eine heute noch weit offene Problematik zu verstehen ist. D.h. wenn wir davon reden, meinen wir Systeme, deren Definition eine ganz erhebliche Bandbreite hat, die von der klassisch determinierten Maschine bis zu solchen Systemen reicht, die sich auf die Idee einer Markoff-Kette gründen. Unter einer klassisch determinierten Maschine verstehen wir dabei ein System, das sich auf genau dieselbe Weise verhält wie eine abgeschlossene einwertige Transformation. Unter einer Maschine, die sich aus der Idee einer Markoffschen Kette ableitet aber verstehen wir ein System, in dem ein zukünftiger Zustand völlig bestimmt ist durch den gegenwärtigen und überhaupt nicht durch die Art und Weise, in der der gegenwärtige Zustand zustande kam. Darin liegt schon eine ganz erhebliche Verallgemeinerung des Begriffes einer Maschine, bzw. der Mechanik, aber es ist heute ersichtlich, das auch diese Generalisierung noch nicht das Ende bedeutet.

Da wir hier mit Heidegger die Technik als eine Gestalt der Wahrheit ansehen, die aus der Geschichte der Metaphysik hervorgegangen ist, und die, wie wir unsererseits hinzufügen wollen, allein schon genügt jene Gestalt des Wissens, die die Tradition Metaphysik nennt, zu liquidieren, wollen wir dem Begriff der Maschine und seiner Unabgeschlossenheit noch einen weiteren Kommentar widmen. Dazu treibt uns die Besorgnis, daß das Schreckwort des Mechanizismus, das so emphatisch die Differenz von "maschinellem" und dialektischem Verhalten betont, das materialistische Denken auf seiner ersten Stufe festhalten könnte. Die Gefahr liegt deshalb nahe, weil das traditionsbedingte Denken des europäischen Menschen geeignet ist, ihn in einem emotionellen Zustand festzuhalten, der dem Übergang zum transklassischen Denken in fast unüberwindlicher Weise den Weg verstellt.

Die Unzufriedenheit mit der Technik ist heute groß, weil sie anfängt auf vielerlei Weise die Bequemlichkeit des Alltags zu beeinträchtigen. Das ist ein Oberflächenphänomen, mit dem wir hier nichts zu tun haben. Die vielberedete Verschmutzung der Umwelt können wir den Straßenkehrern niederer und höherer Ordnung überlassen. Aber es gibt eine Furcht vor dem Mechanismus, die zu den tiefsten Erlebnissen der Angst und des Grauens gehört, die der Mensch haben kann. Sie reicht bis in die letzten Wurzeln seiner Existenz, denn sie ist die Furcht vor dem Tode. Und zwar nicht vor jenem Tode, von dem man sagt, "das dann alles aus ist". sondern vor einem, der eine "Lebendigkeit" hat, die die Negation alles dessen bedeutet, was wir als Lebendigkeit unserer Seele zu erfahren glauben. Aus dem Grauen vor dieser "falschen" Lebendigkeit stammt auch die Angst vor Gespenstern und die unerklärliche Furcht, die manche Menschen vor dem Leichnam haben. Beim Gespenst, dessen Nationalkostüm sozusagen das formlose Bettuch ist, ist es die Erwartung des seelenlosen Mechanismus in der Erscheinung, die sich nicht als Du ansprechen läßt und die doch Du-Wertung beansprucht. Im Falle des Leichnams dagegen die fürchterliche Diskrepanz zwischen der Form des erloschenen Körpers, der immer noch Person und Leben suggeriert, und sichtbar darstellt, gegenüber der totalen Unwahrheit dessen, was wahrgenommen wird.

Diese sichtbare und berührbare Wirklichkeit der Unwahrheit ist der Kontrast zwischen Seele und Mechanismus, dessen dem klassischen Gefühl geläufige Unüberbrückbarkeit sich in solchen Redewendungen ausdrückt, wie der, das die Seele aus dem Körper entwichen ist. Im Schoß solcher Gefühle entsteht dann so etwas wie etwa das Negro Spiritual: "Swing low, swing low, sweet chariot .." oder die verwandte Vorstellung des Engels Gottes, der die gestorbene Seele zum ewigen Leben heimholt. Für dieses Weltgefühl ist es schlechthin ein unerträglicher Gedanke, das die sterbende Seele den Leichnam nicht verläßt, weil sie im Begriff ist, sich in den elementarsten Mechanismus des Physischen zurückzusehen und dort in der unauflösbaren Differenz zwischen dem Physischen als Dinglichkeit (Objekt) und Relationalität (Subjekt) weiterzuweilen. Weil wir heute noch, auf Grund einer Tradition, der wir nicht souverän gegenüberstehen können, und die uns mehr als wir ahnen beherrscht, einen falschen Begriff von Materie haben, haben wir auch eine völlig irreführende und lächerlich primitive Vorstellung von dem, was ein Mechanismus ist und von der phantastischen Reichweite der Verhaltensweisen, die in der Idee des Mechanischen liegen. Von dieser falschen Vorstellung ist auch der dialektische Materialismus nicht frei, der mehr manichäisch ist, als er selbst wahr haben will und der, wenn man seinen häufigen Deklamationen glauben will, die Idee, das die Dialektik eine unglaublich komplizierte und komplexe Form des Mechanismus ist, weit von sich zu weisen scheint.

Dem gegenüber haben wir bereits angemerkt, das man heute überhaupt nicht mehr schlechthin von "der" Maschine als von einem fest umrissenen Begriff sprechen kann, ohne von Seiten des Unterrichteten der Frage zu begegnen, ob man die klassisch determinierte Maschine meine oder einen Typus der Markoffschen Maschinen, in denen die Idee des traditionellen Konzeptes des Mechanismus mehr und mehr verallgemeinert wird. Dabei darf man nie vergessen - sonst geht man in dieser Gedankenwelt auch jetzt noch fehl - das für die Theorie der kybernetischen Maschine die Materialität ebenso irrelevant ist wie die Gültigkeit oder Ungültigkeit der gewöhnlichen Gesetze der Physik (Ashby: the ordinary laws of physics). Um diesen letzten Gesichtspunkt besonders eindrücklich zu mach, gibt Ashby in seiner Introduction to Cybernetics als ein echtes (wir wiederholen: echtes) kybernetisches Problem dem Studierenden die Aufgabe, aus einem Haus mit der bezeichnenden Adresse: 'Graveside', Wit's End, Haunts, in dem es 'spukt', die geisterhaft singenden und lachenden Stimmen zu exorzieren, die das Haus fast unbewohnbar machen. Da die Beobachtung der gespensterhaften Vorgänge ergibt, das die unerklärlichen Geräusche einer ihnen eigenen Regelhaftigkeit unterliegen und durch das Spielen einer Orgel und das Verbrennen von Weihrauch beeinflußt werden können, ist es möglich dem Spuk sein Handwerk zu legen. Wir brauchen hier auf die Details des Ashby'schen Beispiels nicht weiter einzugehen, da es abgesehen von seinem Übungswert für den kybernetischen Logiker von dem Autor der Introduction ... im Wesentlichen deshalb eingeführt worden ist um zu demonstrieren, das die Kybernetik nicht gebunden ist an die Eigenschaften, die im Physischen gefunden werden und das sie ihre spezifische Gesetzlichkeit von denselben nicht ableitet (Cybernetics is not bound to the properties found in terrestrial matter, nor does it draw its laws from them). Die Frage also, ob es so etwas wie Gespenster gibt, ist völlig irrelevant. Andererseits aber läßt diese besondere Haltung der Kybernetik der Physik gegenüber völlig die Frage offen, ob die physische Welt vielleicht noch Eigenschaften besitzt, die unserem gegenwärtigen Vorstellungs- und Denkvermögen völlig unfaßbar sind. In andern Worten: die Kybernetik ist ihren logischen Intentionen gemäß so angelegt, das sie in ihrem Rahmen schlechthin jede noch kommende Erweiterung unseres Naturbildes aufnehmen kann. Ja, sie impliziert, das es von ihr her gesehen keine Beschränkung solcher Erweiterungen geben kann und das sie damit der materialistischen These von der Unerschöpfbarkeit materieller Eigenschaften entspricht.

Das eben angeführte Beispiel Ashby's läßt ahnen, das der Geist, von dem in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften soviel die Rede ist, seine vornehme Abgeschiedenheit von den rechnenden Disziplinen nur solange aufrecht erhalten kann, als seine Vertreter sich bemühen nicht allzu eifrig seiner Regelhaftigkeit nachzuspüren und sich vor allem niemals die Frage vorlegen, ob mit der auf der Basis der Markoffschen Kette konzipierten Maschine schon die äußerste Grenze des Bereiches gegeben ist, in dem sich ein System in völlig maschinellen Verhaltensweisen erschöpft.

Dieser Frage, der die Geisteswissenschaftler bisher ausgewichen sind, weil sie nie Wert darauf gelegt haben, die Grenzbedingungen ihres eigenen Denkens festzulegen, müssen wir jetzt etwas weiter nachgehen. Wir haben bisher in sehr allgemeiner Form zwei Begriffe von Maschinen unterschieden, indem wir sagten, das es Typen des maschinellen Verhaltens gibt, bei denen wir in der Lage sind aus einem gegebenen Zustand den nächstfolgenden Zustand abzuleiten. Weiterhin haben wir darauf hingewiesen, das wir auch dort von Maschinen reden dürfen, wo wir nicht in der Lage sind von einem gegebenen Zustand her den unmittelbar folgenden vorauszusagen, wo wir uns aber die folgende Voraussage leisten können, das - wenn dieselbe Bedingungen des maschinellen Verhaltens sich vielfach wiederholen - es sich herausstellen wird, das die Frequenzen der möglichen Zustände der Maschine bestimmte feststellbare Werte haben werden. In einer solchen Maschine wird ein mechanischer Zustand in einen anderen nicht nach dem Gesetz einer einwertigen Transformation übergeben, wie wir das für die elementarste Form der Mechanik anmerkten, die Transformation wird vielmehr auf Grund einer Matrix von Übergangswahrscheinlichkeiten erfolgen.

Die enge logische Verwandtschaft zwischen der klassisch determinierten und der Markoffschen Maschine kann nun dadurch demonstriert werden, das man die einwertige Transformation auch als Matrize darstellt, in der nur die Werte 0 (Negation) und 1 (Affirmation) vorkommen, was bedeutet, das die Wahrscheinlichkeit des Überganges entweder mit der Gewißheit, das er stattfindet oder das er nicht stattfindet zusammenfällt. Nimmt man dann noch an, daß das klassisch-determinierte System "absoluten" Charakter hat, was nur bedeutet, das es von allen störenden Einflüssen abgeschirmt ist, dann sind wir berechtigt die Maschine mit einwertigem Transformationscharakter als ein Grenzfall des Markoffschen Mechanismus anzusehen. Das ist deshalb besonders wichtig, weil so von der Seite der Maschinentheorie her demonstriert wird, das die sogenannte mehrwertige Logik, die als Wahrscheinlichkeitslogik oder in verwandten Interpretationen auftritt, nur eine Pseudoform der Mehrwertigkeit ist. Wir bleiben hier immer noch innerhalb des philosophischen Bereichs des klassischen Denkens. Die Idee der Markoffschen Maschine ist nichts weiter wie die generalisierte Form des normalen Maschinentyps, der jedermann geläufig ist. Das ist alles andere als eine Abwertung der Idee der Markoff-Maschine. Denn wir werden im Gegenteil durch sie überhaupt erst an das Problem herangeführt, unter welchen Gesichtspunkten die "maschinellen" Aspekte solcher Systeme zu betrachten sind, deren Verhalten wir mit dem Auftreten von Subjektivität erklären. Die Frage, ob eine Maschine im engeren Sinne klassisch determiniert ist oder im Sinne einer Markoffschen Kette, wird sehr oft davon abhängig, wie weit eine Maschine einem Beobachter Einsicht in ihre Arbeitsweise erlaubt. Wir wollen einmal annehmen, das zum Bestand der Maschine ein Band gehört, auf dem sogenannte Zufallszahlen (random numbers) verzeichnet sind, deren sich die Maschine in ihrer Aktivität bedient. Für einen Beobachter, der in einer Position ist, in der er Kenntnis von diesen Zahlen hat, wird die Maschine als völlig determiniert im Sinne von einwertigen Transformationen erscheinen. Für einen andern Beobachter hingegen, dem die Kenntnis dieser Zahlen fehlt, muß das Verhalten der Maschine bis zu einem gewissen Grade als undeterminiert und unberechenbar erscheinen. Es ist wichtig, sich den Eindruck, den ein solcher Mechanismus auf den Beobachter machen muß, genau vorzustellen. Wenn die Abweichung vom "normalen" maschinellen Verhalten nur groß genug ist, wird er den Eindruck haben, sich einem irgendwie belebten Wesen gegenüberzusehen, das Launen hat und dessen Zufälligkeit Subjektivität vermuten läßt. Ashby, der die Frage der Zufallszahlen erwägt, bemerkt dazu, das die Alternative, ob die Verhaltensweise eines gegebenen Systems "wirklich" determiniert ist oder nicht, in dieser Situation als sinnlos angesehen werden muß. Die Problemstellung ist verfehlt, solange nicht der Beobachtungsbereich des Fragenden mitgegeben ist.

Mit dem Problem der Markoff-Maschine sind wir schon ganz nah an den transklassischen Bereich des Denkens herangeführt worden, betreten aber haben wir ihn noch nicht. Im Rahmen eines mono-kontexturalen Weltbildes besteht immer die Forderung nach einem idealen Beobachter, für den jedes mögliche intra-kontexturelle Seinsdatum grundsätzlich registrierbar wäre - selbst wenn kein irdisches Subjekt je im Stande sein könnte, eine solche Position einzunehmen. Die Frage, ob das Verhalten eines gegebenen Systems total determiniert sei oder nicht, hätte dann immer einen angebbaren Sinn, wenn derselbe auch nicht empirisch verifizierbar wäre. Man könnte und müßte dann also immer die Behauptung erlauben, das es in der Welt Ereignisse gäbe, die nicht durch natürliche Bedingungen bestimmt seien. Eine solche Behauptung wäre erst dann widerlegt, wenn in der Welt schlechthin alle Ereignisse als einwertige Transformationen von Zustand zu Zustand dargestellt wären. Der Laplace'sche Dämon müßte also seine Aufgabe erfüllt haben. Davon kann selbstverständlich keine Rede sein. Aber das man überhaupt einmal mit der Fiktion eines solchen Dämons operierte, setzt die grundsätzliche Zugänglichkeit aller ontologischen Orte der Wirklichkeit voraus. Und das bedeutet Mono-Kontexturalität.

Diese Situation ändert sich radikal, wenn wir zu einer poly-kontexturalen Theorie übergehen; denn der Sinn dieses neuen Weltbildes konzentriert sich ausdrücklich in dem Gedanken, das es schon in dieser empirischen Welt absolut unzugängliche Orte gibt, hinsichtlich dessen was dort geschieht sich auch ein idealer Beobachter keine Information mehr verschaffen kann, denn der Akt der Beobachtung endet immer an der kontexturellen Grenze, die für den Beobachter die Idee des objektiv gegebenen Seins beschränkt. Als eindrücklichstes Beispiel dafür hatten wir weiter oben das Phänomen der Du-Subjektivität eingeführt, die qua Subjektivität der Selbsterfahrung des Ichs grundsätzlich verschlossen bleiben muß.

Unter diesen Umständen aber ist eine prinzipielle Scheidung von Maschine und Seele grundsätzlich nicht möglich, auch wenn sie von intensivsten emotionalen Bedürfnissen gefordert wird. Uns ist höchstens noch gestattet zu sagen, das innerhalb der Grenzen einer Universalkontextur der ideale Beobachter sichere Kriterien haben kann zu entscheiden, ob es sich bei einem gegebenen Beobachtungsobjekt um eine Maschine handelt oder nicht. Aber schon hier sind gewisse Qualifikationen angebracht, die davon abhängen, ob die kontexturelle Grenze, die Weiteres abschneidet, eine Elementar- oder eine Verbundkontextur umfaßt. Wir bemerken das an dieser Stelle nur vorsorglich, da wir auf die mit der Differenz von Elementar- und Verbundkontexturen eng verbundene Frage von Subjektivitäten niederen und höheren Ranges nicht eingehen wollen. Es genügt für uns festzustellen, daß das Problem, ob ein beobachteter Vorgang Manifestation eines Mechanismus ist oder nicht, als Seinsfrage sehr schnell hinfällig wird. Das Problem wird in einer poly-kontexturalen Welt abgelöst von den anderen, welche logischen Bedingungen uns zwingen, etwas als Mechanismus zu deuten, weil sie gar keine anderen Möglichkeiten offen lassen - und umgekehrt, auf Grund welcher differenten Bedingungen wir gar nicht umhin können ein Phänomen als nicht mechanisch zu interpretieren. Dazwischen liegt dann ein weites Gebiet, in dem beide Deutungen zulässig sind.

Es ist ein sicheres Kriterium für die Unterscheidung von klassischer und transklassischer Thematik des Denkens, ob man noch die Frage stellen kann, ob etwas "ist", oder ob dieselbe abgelöst wird von der anderen, wie etwas gedeutet werden kann. Was das Problem der Unterscheidung zwischen Ich- und Du-Subjektivität angeht, hat der schottische Kybernetiker Donald M. McKay schon den Weg gewiesen. Er unterscheidet, was die Differenz von Ich- und Du-Subjektivität angeht, zwischen unterspezifizierten und vollspezifizierten Systemen. Das Ich, das seine Welt beobachtet, erlebt sich in seinem eigenen Körper als unterspezifiziert und fühlt sich deshalb als freies Wesen. Andererseits begegnet ihm das Du als mögliches Objekt in dem Kontexturbereich seiner möglichen Beobachtungen. Es ist deshalb wie alle inhaltlichen Bestimmungen voll spezifiziert, oder - grob gesprochen - es ist ein Mechanismus durch und durch. Nun dürfen wir aber nicht vergessen, daß das Verhältnis von Ich und Du ein Umtauschverhältnis darstellt. Der Beobachter, der sich selbst als Ich-Subjektivität erlebt, ist seinerseits ein du im Kontexturalbereich jeder anderen Subjektivität. Das aber bedeutet, daß das Ich, das sich relativ zu dem ihm zugeordneten Kontexturellen Zusammenhang als unterspezifiziert erlebt, in jeder andern Universalkontextur als vollspezifizierter Mechanismus auftritt. Damit bestätigt die Poly-Kontexturaltheorie die Ashby'sche Beobachtung, das unter gegebenen Umständen gar nicht danach gefragt werden kann, ob ein gegebenes Verhalten in der Welt mechanisch oder nicht mechanisch ist. Wir haben Ashby's Urteil lediglich im Sinne des Verhältnisses der Universalkontexturen zueinander erweitert. Denn wenn wir wie Ashby ausschließlich vom Beobachter sprechen, ist es nie ausgemacht, ob derselbe als Ich- oder als Du-Subjektivität verstanden werden soll. Und im Falle, das wir uns für die Du-Subjektivität entschieden haben, dann läßt sich die weitere Frage nicht abweisen, welches der vielen möglichen Du's in einem gegebenen Fall als Beobachter fungieren soll. Aus allem das ergibt sich, das wir nie endgültig wissen können, was ein Mechanismus "eigentlich" ist, da jeder Begriff, den wir davon haben, jederzeit durch einen höheren überboten werden kann, der seinerseits einem höherrangigen Konzept von angeblich nicht mechanischer Subjektivität zugeordnet ist. Relativ einfach ist die Situation nur im Falle einer mono-kontexturalen Weltauffassung, die gegenüber dem Diesseits einer in Sinnesempfindungen gegebenen Objektivität nur ein übersinnliches Jenseits kennt, in dem nur eine echte Subjektivität waltet, nämlich die des Absoluten oder Gottes. Die Vielheit der Ich- und Du-Subjektivitäten im Diesseits ist dann eine bloße Illusion, die dadurch entsteht, daß das eine ewige Licht, das in die Welt hinein scheint, sich dabei in unzähligen Brechungen spaltet. Für das Wesen des Mechanismus aber besagen diese Brechungen schlechterdings gar nicht. Deshalb verstehen wir die Idee des Diesseits als die eines eindeutigen Ansich und damit einer reflexionsfreien Objektivität, in der sich Vorgänge im Sinne einwertiger Transformationen eines Zustands in den andern verhalten müssen. Immanenz ist nur ein anderes Wort für die Welt der determinierten Maschine. Und dort, wo sich etwas im Immanenten zeigt, was nicht auf diesen Mechanismusbegriff zurückzuführen ist, dort bleibt im mono-kontexturalen Denken nichts anderes übrig als mit mystischem Augenaufschlag von dem Einbruch des Übersinnlichen ins Sinnliche zu reden.

Die Markoff-Maschine befreit uns noch nicht völlig von diesem Denkschema, aber sie demonstriert in negativer Weise, das dieses Denkschema infolge seiner Enge zu einer Fehlinterpretation der Wirklichkeit führen muß und sie zwingt uns so zu einer weiteren Reflexion auf das Wesen des Maschinellen. Wir beginnen zu ahnen, wie oberflächlich unsere Gedanken über den Mechanismus bisher gewesen sind. Sie reichten zur Not aus, solange unsere wissenschaftlichen Konzeptionen ein Universum anvisierten, aus dem das Phänomen der Subjektivität verbannt war. Sie müssen aber versagen, wenn wir diese Welt als ein System der Selbstreflexion verstehen wollen. Nur in einer Theorie eines subjektfreien Universums hat die Frage nach jenem Sein, das endgültig unwandelbar und für immer ist, einen Platz. Und nur in diesem Rahmen ist die Theorie des Mechanismus relativ unproblematisch. In der Idee der Welt als Selbstreflexion aber verschwindet die philosophische Frage nach dem absoluten Sein hinter der anderen, wie das, was sich im gegebenen Fall als Sein anbietet, von uns gedeutet werden soll. Die Frage ist gleichbedeutend mit der, wie sich das Sein an allen Orten und zu allen Zeiten zu sich selbst verhält. Und sie muß immer wieder von neuem beantwortet werden, weil jede Antwort selbst ein neues Moment des Seienden ist und damit die vorgegebene Situation des Zu-sich-selbst-Verhaltens ändert. Damit aber erscheint das Denken, das sich nicht mehr in stiller Kontemplation verhalten kann, sondern gezwungen ist von Deutung zu Deutung zu gehen immer mehr als Handlung. Die Objektivität wird als Material des Handelns entdeckt, und auf diese Weise fällt sie letztlich der Technik zu, die ihrerseits das Denken qua Denken, also als reine Spekulation außer Kraft setzt, weil sie es als technische Anwendung in der Materie durchführt. Aber indem sie das durchführt, nimmt sie ihrerseits der Materialität ihre Eindeutigkeit, die dem Physischen gegenüber die bloße Konstatierbarkeit des Es-ist-so erlaubte. Man entdeckt, das mit einem anderen Handeln auch das Physische ein anderes wird. Wie anders denkt sich z.B. Empedokles das "Physische" als der Buschmann in der Kalahari und wie weit hat sich wieder die Vorstellung der Materialität bei dem Quantentheoretiker von der des Empedokles entfernt. Empedokles handelt in seiner Welt eben anders als der Buschmann in seiner Wüste handeln muß, und im Falle des modernen Naturwissenschaftlers ist es die experimentelle Tätigkeit, die eine Gestalt der Objektivität, die sonst nicht sichtbar wird, zur Reaktion zwingt. Das, was wir Materie nennen, verhält sich somit wie jene Meergottheit, die die Griechen Proteus genannt haben und die dem, der sie befragen wollte nur solange in einer Gestalt standhielt und antwortete, solange man sie in Fesseln schlug.

Einer der begabtesten Autoren der amerikanischen Science Fiction Literatur hat das Wesen der Materie in einer sehr tiefen Weise erfaßt, wenn er in einem seiner Romane ein "blaues Universum" beschreibt, in das sich ein irdisches Raumschiff verirrt hat. Ein Mitglied der Schiffsbesatzung bricht nach kurzer Beobachtung in die Worte aus: "... this thing is not real. It can't be real. It's too perfect to be real. It's - it's a problem in mathematics, worked out and set up as an illustration ..." Nachdem dann das Raumschiff durch die geheimnisvollen Intelligenzen, die das blaue Universum bewohnen, sanft aus diesem herausgedrängt worden ist, spricht daßelbe Mitglied der Besatzung wieder: "They -they didn't want us there ... I wonder - if my ironical comment wasn't true! If perhaps that isn't a designed Universe!" Der erst ironisch geäußerte Zweifel an der Wirklichkeit jener Welt, in der sich das verirrte Raumschiff eine kurze Weile befand, weicht einer tieferen Einsicht, nämlich der, das Wirklichkeit zweierlei bedeuten kann: einmal das Vorgefundene, das die Intelligenz konstatiert, und an dem sich die Handlung nachträglich betätigt oder die Objektivität (Materialität), die erst durch die Tätigkeit aus dem "Nichts" in die Wirklichkeit gerufen wird. Das blaue Universum ist das zweite, es ist keine vorgefundene sondern künstlich gemachte Wirklichkeit. Sie ist "synthetisch", wie der Text des amerikanischen Autors sagt. Das blaue Universum ist ein Weltall, das sich ein Wille, der sich als Setzung von Objektivität betätigt, als kosmischen Daseinsort geschaffen hat. Impliziert ist, das die Materialität auch eine andere Gestalt annehmen könnte, da der handelnde Wille ja fähig ist auch anders zu wollen. Das erste Urteil der Eindringlinge: "It can't be real", ist verständlich, denn für sie bedeutet Wirklichkeit wesenmäßig ein Vorgefundenes und das letzere muß seines Kontigenzcharakters wegen notwendig etwas Unvollkommenes sein. Eine Welt reiner mathematischer Gestalten kann nur ein Erdachtes sein. Also am Meßstab radikaler Gegenständlichkeit gemessen muß es die Unwirklichkeit eines phantasierten Bildes haben, das jederzeit von einer andern Phantastik abgelöst werden kann. Erst den aus dem blauen Universum Vertriebenen dämmert dann das Verständnis von einer Wirklichkeit, die nicht a priori Vorgefundenes ist, weil sie nur "synthetisch", d.h. als Resultat eines tätigen Willens gedeutet werden kann.

Wir haben dieses Detail aus der amerikanischen Science Fiction Literatur kurz berührt, weil es die Problematik der Gleichsetzung von Objektivität und der Wirklichkeit des Ansichs (was immer das auch heißen mag) im Gedankenspiel der unterhaltenden Erzählung vermittelt. Für das Denken, das über den naiven Objektivitätsbegriff der klassischen Reflexion hinausgeht, muß die Frage nach der Wirklichkeit immer zu einer hermeneutischen werden. Es kann sich nicht mehr dabei beruhigen, das es etwas vorfindet. Um noch einmal auf unser Beispiel zurückzukommen: wenn die Besatzung des Raumschiffs das Universum zum ersten Mal wahrnimmt, ist der Maßstab, an dem sie die blaue "Realität" mißt, ihr heimatliches Universum und der Realitätsbegriff, den sie aus der vergangenen Erfahrung abgeleitet hat. Und dieser Erfahrung widerspricht das Vorgefundene so sehr, das es nicht wirklich sein kann. Das ist Deutung vom Standpunkt des irdischen Ich. Das revidierte Urteil, das dann dem "natürlichen" Wirklichkeitsbegriff einen synthetischen gegenüber setzt, ist vom Standpunkte des Du aus gefällt, wobei unter dem Du die unbekannten Baumeister der synthetischen Realität verstanden werden müssen. Für die irdische Intelligenzen, die aus unserer Milchstraße kommen, bleibt das blaue Universum ein Vorgefundenes. Die Schöpfer desselben aber können es nicht als Vorgefundenes erleben. Beide Universen aber gehören zum Bereich des Es, welches also schon in dieser elementaren Situation eine tiefe Zweideutigkeit besitzt.

Die Lösung des Problems hat schon Hegel gegeben, wenn er wieder und immer wieder betont, das schon die elementarste Form eines Begriffes eine Triadik darstellt und das die drei Elementarkomponenten einer logischen Triadik einen Kreis bilden und ihre Plätze in einer zyklischen Bewegung wechseln. Mit dieser Idee des Kreises stoßen wir auf ein logisches Element eines mehrwertigen Systems, das wir bisher noch nicht berücksichtigt haben. Bis dato haben wir nur zwei Typen von Wertfolgen transklassischer Funktionen angemerkt. Zu dem einen Typus gehörten Konjunktion und Disjunktion und zu dem andern die Transjunktion. So sehr sich diese Typen aber auch hinsichtlich ihrer Wertwahl unterschieden, ein schien ihnen jedenfalls gemeinsam: die jeweilige Wahl des Wertes erfolgte immer auf Grund eines hierarchischen Prinzips. Jede Funktion setzte also eine bestimmte Rangordnung der Werte voraus. Diese Rangordnung konnte selbstverständlich wechseln, aber für einen beliebigen gegebenen Fall stand sie eindeutig fest. Im Falle der dreiwertigen Konjunktion z.B. war die Rangordnung der Werte 3 . 2 . 1. D.h. wenn vorhanden, wurde bei der Wertwahl immer der zahlenmäßig höchste Wert bevorzugt. Nur in dem Fall, das derselbe von den Variablen nicht angeboten wurde, durfte der nächst niedere, also in diesem Falle 2 (vor 1) gewählt werden. Der niedrigste Wert 1 kam schließlich nur dann in Frage, wenn weder 3 noch 2 verfügbar waren. Im falle der totalen Disjunktion galt dann das inverse hierarchische Prinzip: der Wert mit der größten Vorzugskraft war jetzt 1, und 3 rangierte am untersten Ende der Wertskale. Soweit aber Funktionen mit Rejektionswerten in Frage kamen, so ließ sich die Wertwahl auch noch, allerdings in einem weiteren Sinn, als hierarchisch interpretieren. Der vorgezogene Wert, der in Rejektionsfunktionen als der "höhere" rangierte, war dann immer derjenige, der im Fall einer zweiwertigen von den Variablen angebotenen Alternative ausgeschlossen war. Er war derjenige, der die Alternative als ganze verwarf und sich damit übe sie erhob. Eine hierarchische Ordnung ergab sich auch daraus, das bei mehr als dreiwertigen Systemen wir es mit Rejektionswerten zu tun hatten, die nicht nur Verwerfungen von einfachen klassischen Alternativen, also von Elementarkontexturen waren, sondern auch mit Verbundkontexturen zu tun hatten, die eine immer steigende Wertzahl beanspruchten. So traten, beispielsweise, in einem vierwertigen System Werte auf, deren Rejektionskraft sich über eine dreiwertige Verbundkontextur erstreckte. Diese Skala ist dann beliebig erweitbar, sofern man nur genügend Werte einführt.

Nun zeigen transklassische Systeme aber zusätzlich Wertbeziehungen, die sich nicht mehr in einem hierarchischen Sinne deuten lassen. Ihr zyklischer Charakter ist als solcher früh in der Entwicklung mehrwertig-logischer Systeme erkannt worden, ohne das man aber die epistemologische Konsequenz gezogen hat, nämlich das hier ein konstatierendes Denken des Seins in ein deutendes übergeht. Es kann nämlich unter der Voraussetzung zyklischer Wertrelationen nicht mehr schlechthin gesagt werden, was Sein "ist" und was andererseits Bewußtsein ist, weil eine solche Frage immer ein eindeutiges Rangverhältnis der beiden voraussetzt. Denn, fragen wir etwa nach dem Sein, so müssen wir sofort der Gegenfrage gewärtig sein:


Ende des Fragments