Kybernetik und Systemtheorie

Versuch einer Symbiose von Bio- und Computerwissenschaften

 

 

In jüngerer Zeit haben zwei Gebiete in einer breiteren Öffentlichkeit für Schlagzeilen gesorgt:

"Neuronale Netzwerke" und "Fuzzy Logik"

Beiden wird eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für die Zukunft vorausgesagt, was wiederum zu beachtlichen Programmen öffentlicher Forschungsförderung in den USA, in Japan und Europa geführt hat - eine Entwicklung, die momentan noch in vollem Gange ist. Sieht man einmal von den wirtschaftlichen Aspekten ab, so beeindruckt vor allem die Programmatik, die von diesen Gebieten ausgestrahlt wird und in den USA zu einer regelrechten Bewegung, dem (Neo-)Konnektionismus, geführt hat. Dabei geht die dem Konnektionismus zugrunde liegende Theorie der neuronalen Netzwerke auf die "Väter der Kybernetik" zurück, die mit den Namen von Warren S. McCulloch /1/, Norbert Wiener, Alan Turing, W. Ross Ashby /2/ oder John von Neumann verknüpft sind, um hier nur einige zu nennen.

Ihre erste Blütezeit erlebte diese Bewegung in den USA bereits in den 50er und 60er Jahren. Ihre Renaissance zu Beginn der 80er Jahre verdankt dieser Versuch einer Naturwissenschaft des Denkens und Erkennens vor allem den Entwicklungen auf dem Gebiet der Computer-Hardware und einer gewissen Ernüchterung in der KI-Forschung. Es entstand erstmalig die Möglichkeit auf der Basis der Modelle neuronaler Netzwerke in wirtschaftlich akzeptablen Rechenzeiten brauchbare, d.h. industriell applizierbare Ergebnisse zu erhalten - damit war gleichzeitig die Vision massiv paralleler Rechnerarchitekturen neu geboren. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Entwicklung jedoch als ein ausschließlich quantitativer Sprung im Sinne kürzerer Rechenzeiten, und nicht als qualitative Veränderung der konzeptionellen Basis der Theorie neuronaler Netzwerke -, einer Basis, die vor allem in der statistischen Physik verwurzelt ist. Es soll an dieser Stelle zunächst weder auf die seit einigen Jahren andauernde Kritik an der Konzeption des Konnektionismus, noch auf das Phänomen, daß es sich bei diesem Programm um den Rückfall in die Anfänge des Behaviorismus handelt, eingegangen, sondern lediglich auf den historischen Bezug zum Ursprung der Kybernetik hingewiesen werden:

Die Väter der Kybernetik sind gleichzeitig auch

die Großväter der heutigen Neuroinformatik.

Während die Geburtsstunde der Kybernetik mit dem Erscheinen des Klassikers von Norbert Wiener /3/ relativ genau datiert werden kann, reicht die Idee Bertalanffy´s einer allgemeinen Systemtheorie zurück bis in die 30er Jahre und wurde erst kurz nach dem 2. Weltkrieg von ihm publiziert /4/. Beide Konzeptionen haben sich in jener Zeit zweifellos gegenseitig stimulierend beeinflußt, was sich heute in einer sehr unterschiedlichen Weise zwischen Neuroinformatik und Fuzzy Logik zu wiederholen scheint. Die Fuzzy-Set-Theorie, die 1965 von L.A. Zadeh begründet wurde, ist, um in Bilde zu bleiben, "ein Kind der allgemeinen Systemtheorie" /5/. Obwohl seit ihrer Begründung mehr als 5.000 Publikationen zum Thema der unscharfen Mengen erschienen sind, fristete diese Theorie lange Zeit ein Schattendasein bis sie Anfang der 80er Jahre bei Ingenieuren vor allem in Japan auf großes Interesse stieß. Ihre Erfolge in der Meß-, Steuer- und Regelungstechnik, der Entscheidungstheorie und Mustererkennung sind bekannt und brauchen hier nicht aufgelistet zu werden.

 

Warum also ein

INSTITUT für KYBERNETIK & SYSTEMTHEORIE

und nicht eines für NEUROINFORMATIK und/oder FUZZY-LOGIK ?

 

Eine erste Antwort auf diese Frage läßt sich bereits aus dem oben skizzierten historischen Bezug ableiten. Neuroinformatik und Fuzzy Logik können sowohl als isolierte Wissenschaftsgebiete wie auch als Teilgebiete von Kybernetik und Systemtheorie angesehen werden. Lassen wir an dieser Stelle Bertalanffy zu Wort kommen (s. Ref.4b):

"general systems theory is a logico-mathematical field whose task is the formulation and derivation of those general principles that are applicable to ´systems´ in general".

Der Begriff System bezieht sich dabei im wesentlichen auf lebende Systeme wie soziale, ökologische, biologische oder ökonomische und weniger auf physikalische Systeme /6/.

Wie Norbert Wiener´s programmatischer Titel

"Cybernetics, or Control and Communication
in the Animal and the Machine"

andeutet, kommt trotz wissenschaftlich ähnlicher Zielsetzungen von Kybernetik und Systemtheorie dem Aspekt der technischen Realisierung von Prozessen in lebenden Systemen in der Kybernetik eine ganz besondere Bedeutung zu:

Eine Symbiose von Computer- und Biowissenschaften ist hier von allem Anfang an vorprogrammiert.

Beide Gebiete - und hierin liegt ihre Gemeinsamkeit - begründen sich ausschließlich methodologisch durch ihren inter - und transdisziplinären Wissenschaftsansatz.

Während Interdisziplinarität als notwendige Voraussetzung für die Realisierung eines derart wissenschaftlich orientierten Programms beinahe schon doktrinären Charakter annimmt, ist das Neue an dieser Wissenschaftlichkeit ihre Transdisziplinarität /7/. Dabei geht es um eine wissenschaftliche Basis, die allen (wissenschaftlichen) Disziplinen gemeinsam ist, sie sozusagen durchdringt - sie transzendiert:

"general systems theory is a logico-mathematical field..."

Ein konkretes Beispiel einer inter- und transdisziplinären Arbeit in diesem Kontext stellt die Studie des Physiologen und Kybernetikers W. S. McCulloch zusammen mit dem Mathematiker und Logiker W. Pitts (Ref.1) "A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity" dar. Diese Arbeit, in der wie es der Titel bereits ankündigt, die Aktivitäten einzelner Neuronen logisch analysiert werden, hat nicht nur stimulierend auf die Entwicklung von Kybernetik und Systemtheorie gewirkt, sondern vor allem auch von Neumann zu seiner ´Theorie der Automaten´ animiert, der Grundlage unserer heutigen Computer.

Das folgende Diagramm soll dazu dienen, die Situation graphisch etwas zu veranschaulichen. Dabei kommt diesem Schema eine mehrfache Bedeutung zu:

Es zeigt einmal symbolisch den Weg zu einer ´Theorie lebender Systeme´, der über sehr verschiedene Stationen wie die der Interpretation, der Formalisierung, der Simulation sowie der technischen Nachbildung (Konstruktion) verläuft. Gleichzeitig markieren die vier Eckpunkte in dem Schema jeweils Bereiche, die im allgemeinen von unterschiedlichen wissenschaftlichen Einzeldisziplinen vertreten werden. So läßt sich beispielsweise die Neuroinformatik dem Bereich [3] und entsprechend die Fuzzy Logik dem Bereich [1] zuordnen.

Vor dem Hintergrund des konzeptionellen Ansatzes der Inter- und Transdisziplinarität von Kybernetik und Systemtheorie sind es vor allem die Bereiche zwischen den durch die vier Eckpunkte markierten Gebieten, in denen sich die wissenschaftlichen Aktivitäten kybernetischer Forschung vorwiegend bewegen. So stellen logische Analysen kognitiver Prozesse wie ´Lernen´ oder das ´Schließen aus unscharfem Wissen´ und daraus folgende Simulationen sowie entsprechende technische Umsetzungen typische Projekte der Kybernetik und Systemtheorie dar. Dieses Schema verdeutlicht jedoch auch, daß beispielsweise Mathematik oder Logik sowohl als jeweilige Einzeldisziplin betrieben, aber auch im Hinblick auf deren Umsetzung für die Beschreibung von Prozessen lebender Systeme entwickelt werden können - sozusagen als Basis oder Kunstsprache für einen inter- und transdisziplinären Wissenschaftsansatz.

N. Wiener: Cybernetics, or Control and Communication
in the Animal and the Machine

Historisch gesehen war es sicherlich kein Zufall, daß in dem programmatischen Titel von Norbert Wiener der Begriff "man" nicht erscheint. Der Bruch mit der Konzeption der klassischen Naturwissenschaften wäre vermutlich zu groß gewesen und "das Neue" hätte nur wenig Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn "der Mensch" als Beobachter gleich zu Beginn dieser neuen Wissenschaft in deren Programm als "wissenschaftliches Objekt" miteinbezogen worden wäre - hatte man doch in der (Quanten-) Physik aufgrund der Heisenberg´schen Unbestimmtheitsrelation erstmals das Problem des Beobachters in der Physik epistemologisch "zu verdauen". Aus heutiger Sicht war damit eine Kybernetik kreiert, bei der zwischen dem Beobachtenden (dem Beobachter oder dem Subjekt) und dem zu Beobachteten (dem Gegenstand oder dem Objekt) eine klare Trennung im Sinne der Naturwissenschaften vollzogen wurde. Dies war gleichzeitig der Beginn des Versuchs einer ´Naturwissenschaft des Denkens und Erkennens´, welcher heute in der Neuroinformatik eine Renaissance erlebt. Ein weiteres Resultat der Kybernetik ist die von Claude C. Shannon eingeführte Konzeption einer ´Theorie der Information´ /8/ die Basis unserer heutigen Informatik. Hier wird der Informationsgehalt von Signalen in Analogie zu physikalischen Objekten als eine allgemein meßbare Größe betrachtet. Die Nützlichkeit dieser ausschließlich objektbezogenen Konzeption von Information z.B. für die Signal- und Datenübertragung in der Nachrichtentechnik ist unbestritten. Heute ist die Shannon´sche Konzeption von Information in ihrer ursprünglichen Form wissenschaftlich jedoch nicht mehr ausreichend:

Aus der Sicht der modernen Kybernetik wird ein Signal erst in einem von dem empfangenden System ( selbst ! ) festgelegten Kontext zur Information für das betreffende System, d.h. Information existiert nicht sui generis.

Die Bedeutung von Signalen hängt also vom gewählten Kontext ab, in dem sie von einem Empfänger interpretiert werden, so daß ein und dieselbe Folge von Signalen für verschiedene Empfänger eine durchaus unterschiedliche Bedeutung haben kann. Dies impliziert jedoch eine subjektabhängige Konzeption der Wahrnehmung von Signalen und deren Verarbeitung durch ein kognitives System.

H. von Foerster :

War die (klassische) Kybernetik eine Kybernetik der beobachteten Systeme (First Order Cybernetics), so hat sie sich heute zu einer ´Kybernetik der beobachtenden Systeme´ (Second Order Cybernetics) gewandelt /9/. Der Unterschied soll durch folgenden Skizze verdeutlicht werden, in der vereinfacht eine Kommunikationsstruktur dargestellt ist: Die Subjekte_1 und _2 (O1 und O2) kommunizieren in dieser Darstellung über ihre Wahrnehmungen aus ihrer jeweiligen Umgebung (O). Ihre Mitteilungen seien die Umgebungsmodelle O1 bzw. O2, die sich voneinander mehr oder weniger unterscheiden.

Vom Ort des Beobachters "Subjekt_3" (O3) aus können die Informationsströme I1 und I2, IO,2 zwischen den Subjekten_1, _2 (O1,2) im Sinne der Shannon´schen Theorie bestimmt und der jeweilige Informationsgehalt gemessen werden; sie stellen sozusagen das vom Beobachter O3 beobachtete Objekt dar. Dabei handelt es sich bei den Strömen I1 und I2 für O3 korrekterweise zunächst nur um einen Strom von Signalen (oder Daten), der für O3 erst in einem von O3 selbst festgelegten Kontext zur Information für O3 wird. Diese Unterscheidung, die aus der vereinfachten Darstellung nicht hervorgeht, ist jedoch wichtig, denn Signale können für unterschiedliche Individuen, wie bereits erwähnt, recht unterschiedliche Bedeutung (abhängig von dem jeweils selbst gewählten Kontext) besitzen und damit unterschiedliche Information für das jeweilige Individuum vermitteln - auch ein nicht erschienener Brief vom Finanzamt kann zur Information werden und damit eine Bedeutung für den "Empfänger" besitzen.

 

Was für O3 gilt, trifft auch für O1 und O2 zu, so daß deren Wahrnehmungen über O und somit ihre Umgebungsmodelle O1 und O2 voneinander differieren. Erst in einem Kommunikationsprozeß haben O1 und O2 die Möglichkeit zu einem gemeinsam akzeptierten Modell O0 von O zu gelangen. Dies ist in der Abb.2b symbolisiert: O1 und O2 konvergieren gegen O0 (nicht gegen O), O0 stellt das aus dem Kommunikationsprozeß resultierende ´objektive Modell - die Objektivität´ dar. Auf die Rolle eines möglichen Vermittlers (gegeben z.B. durch O3) bei strittigen Kommunikationsprozessen sei hier lediglich hingewiesen, ohne diese weiter zu erörtern. Für den Kommunikations- bzw. Erkenntnisprozeß ist es dabei zunächst völlig gleichgültig, ob es sich bei der von den Subjekten O1 und O2 jeweils festgelegten ´Umgebung O´ um eine belebte oder unbelebte Umwelt handelt:

 

die Konzeption eines ´Systems´ ist somit das Resultat eines Kommunikationsprozesses zwischen verschiedenen Beobachtern, basierend auf einer geeigneten Auswahl der jeweiligen Wahrnehmungen und deren individueller Interpretation (KOGNITION);

 

im Prinzip sind diese Kommunikationsprozesse ´infinite Prozesse´, d.h. O1 und O2 konvergieren gegen O0 - der sogenannten OBJEKTIVITÄT:

 

´Objektivität´- wird somit zu einem Resultat von Kommunikation und Übereinkunft.

 

Wie sieht die KONZEPTION

eines ´KOGNITIVEN SYSTEMS´ aus ?

Wenn von den kognitiven Fähigkeiten eines Systems gesprochen wird, dann bedeutet dies, daß ein derartiges System in der Lage ist, aus eigener Leistung (Autonomie) eine Unterscheidung zwischen sich und seiner Umgebung (seiner Umwelt) zu treffen. Eine derartige Systemabgrenzung ist infolge der Individualität lebender Systeme für jedes (lebende) System unterschiedlich oder umgekehrt ausgedrückt, diese Unterschiedlichkeit macht gerade ihre Individualität aus. Damit steht eine moderne Systemtheorie vor dem Problem einen geeigneten Formalismus zu entwickeln, mit dessen Hilfe diese unterschiedlichen Systemabgrenzungen vermittelnd dargestellt werden können. Mit anderen Worten, es muß eine eindeutige, d.h. widerspruchsfreie Darstellung der prozessualen Veränderungen, der Relationen zwischen einem erkennenden Subjekt und seiner Umgebung (Kognition) sowohl vom Standpunkt des Subjekts, wie auch vom Standpunkt eines externen Beobachters aus, entwickelt werden:

 

Eine Trennung von Subjekt und Objekt, wie sie in den Naturwissenschaften durchgeführt wird, ist unter diesen Bedingungen ausgeschlossen, wenn Begriffe wie Autonomie oder Kognition wissenschaftlich konzeptionell erfaßt werden sollen.

Genau hierin, nämlich in der Einbeziehung des Beobachters in die Beschreibung lebender Systeme, kündet sich ein Paradigmenwechsel in den Biowissenschaften an, der sich aus den Resultaten moderner kybernetischer Grundlagenforschung ableitet.

 

Erschütterungen oder Umbrüche gab es öfters in der Geschichte der Wissenschaften. In der Neuzeit war es vor allem der Ubergang von der (klassischen) Newton´schen Mechanik zur Quantenmechanik, der die Gemüter am Anfang unseres Jahrhunderts erregte. Dieser Paradigmenwechsel führte zu lebhaften und teilweise sehr kontrovers geführten Diskussionen. Dabei war es vor allem die auf kausalen Raum-Zeit-Relationen beruhende Newton´sche Beschreibung von Naturvorgängen, die ins Wanken geraten war. Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie war der Versuch die Kommunikationsschwierigkeiten in jener Zeit zu beheben:

"...es ist zu Anfang gesagt worden, daß die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie mit einem Paradoxon beginnt. Sie fängt mit der Tatsache an, daß wir unsere Experimente mit den Begriffen der klassischen Physik beschreiben müssen, und gleichzeitig mit der Erkenntnis, daß diese Begriffe nicht genau auf die Natur passen..." /10/

Dieses Zitat aus dem Buch von Heisenberg macht auf ein Problem aufmerksam, das für den durch die moderne Kybernetik ausgelösten Paradigmenwechsel in den Biowissenschaften in weit stärkerem Maße Gültigkeit besitzt: Neues muß entweder mit Begriffen dargestellt werden, die noch ganz in dem alten Paradigma verhaftet und somit inhaltlich belegt sind, oder neue noch wenig bekannte Begriffe müssen eingeführt werden. Da sich die Bedeutung neu eingeführter Begriffe jeweils erst im Kontext des neuen Paradigmas ergibt, ist ein Kommunikationsproblem unausweichlich. Ein Kommunikationsproblem, das sich als weitaus fundamentaler herauskristallisiert als jenes in der Physik zu Beginn des 20.Jahrhunderts, da heute die etwa 2000 Jahre alte, auf Aristoteles zurückgehende, wissenschaftslogische Basis in Frage gestellt werden muß, um zu einer Theorie lebender Systeme zu gelangen.

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: Ziele des Instituts

Im folgenden sollen zunächst einige der wesentlichen Punkte nochmals thesenartig zusammengefaßt werden, aus denen sich die Ziele des ICS ableiten:

Kybernetik und Systemtheorie haben ihren Ursprung in den 40er Jahren, als ein der Ganzheitlichkeit verpflichteter Wissenschaftsansatz zur Beschreibung lebender Systeme und Prozesse. Beide Wissenschaftsgebiete entstanden aus der Notwendigkeit einer wissenschaftlichen, d.h. einer logischen, mathematischen und konzeptionellen Darstellung von Prozessen und Begriffen wie Selbst-Regulation, Selbst-Organisation, Autonomie oder Kognition sowie der Beschreibung heterarchisch (nebengeordnet) und hierarchisch (untergeordnet) organisierter Formen lebender Systeme und deren Kommunikation.

Die wissenschaftlichen Resultate kybernetischer Grundlagenforschung sind nicht nur von zentraler Bedeutung für die Technik und Computerwissenschaften, sondern tangieren vor allem auch Gebiete aus dem Bereich der Biowissenschaften wie die der Biologie, Medizin oder Ökologie sowie der Kultur- und Sozialwissenschaften.

Darüber hinaus fundieren diese Resultate einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in den Biowissenschaften, der sich in der Forderung, den Beobachter in die Beschreibung des Beobachteten miteinzubeziehen, manifestiert: Eine strikte Trennung von Subjekt und Objekt, wie sie von den klassischen Wissenschaften durchgeführt wird, stellt sich heute als eine nicht länger akzeptable Einschränkung heraus, wenn die Forderung nach einer nicht-reduktionistischen Beschreibung von Leben aufrechterhalten werden soll.

Kybernetik und Systemtheorie begründen sich ausschließlich methodologisch durch ihren inter- und transdisziplnären Wissenschaftsansatz, wobei die Betonung auf dem "und" liegt. Sie stellen somit keine experimentellen Wissenschaftsgebiete wie etwa Physik oder Chemie dar, sondern verhalten sich komplementär zu den Einzeldisziplinen. Ihr konzeptioneller Wissenschaftsansatz kann als eine Brücke zur Überwindung des Methodendualismus zwischen Natur- und Geisteswissenschaften angesehen werden.

Interdisziplinarität bezieht sich dabei weniger auf Kooperationen zwischen verwandten Wissenschaftsgebieten etwa im Sinne einer gemeinsamen Nutzung von Geräten oder dergleichen, sondern vielmehr auf die fächerübergreifende Zusammenarbeit zwischen sehr unterschiedlichen Disziplinen, wie sie beispielsweise durch die Schwerpunktbildungen im Bereich der Kognitiven Wissenschaften (cognitive science /11/) angestrebt wird. Der Forschungsgegenstand - das gemeinsam zu bearbeitende Projekt - liegt im Überschneidungsbereich von Natur- und Geisteswissenschaften bzw. von Computer- und Biowissenschaften.

Das ´Experiment´ als gemeinsame wissenschaftliche Basis ist nur zwischen verwandten Disziplinen sinnvoll und scheidet daher als allgemeine methodische Grundlage für derart interdisziplinär orientierte Projekte aus. Somit ist eine wissenschaftliche Basis gefordert, die allen Disziplinen gemeinsam ist, die sie sozusagen transzendiert. Ein wissenschaftliches Fundament, das allen Disziplinen zugrunde liegt, ist durch die Akzeptanz einer allgemeinen Methodologie und Rationalitätskonzeption gegeben, wozu neben einigen methodologischen Vorgehensweisen die Anerkennung eines Logik-Systems als Grundlage für den wissenschaftlichen Diskurs gehört. Interdisziplinäre wissenschaftliche Tätigkeit auf dieser für alle Disziplinen gültigen Basis wird als transdiziplinär bezeichnet.

Die Forderung nach Transdisziplinarität entpuppt sich somit als ein wissenschaftslogisches Problem. Wird, wie das heute in aller Regel der Fall ist, eine der klassischen (mono-kontexturalen) Logik-Konzeptionen, die sich letztlich alle auf Aristoteles zurückführen lassen, als gemeinsame Basis gewählt, dann impliziert dies die prinzipielle Gleichheit der den verschiedenen Disziplinen zugrunde liegenden Subjekt- und Objekt-Konzeptionen, wie sie beispielsweise in den Naturwissenschaften mit ihrer klaren Trennung von Subjekt und Objekt gegeben ist. Auf dieser Basis ist jedoch eine ganzheitliche, d.h. eine nicht-reduktionistische (wissenschaftliche) Beschreibung lebender Systeme prinzipiell ausgeschlossen - das ist das Problem.

Um es nochmals ganz dezidiert auszudrücken:

Lebende Systeme sind kognitive, d.h. wahrnehmende Systeme, und Leben als Prozeß ist ein Prozeß der Kognition
Eine Aussage, die für alle Organismen gilt, gleichgültig, ob diese ein Nervensystem besitzen oder nicht.

Kognitive Prozesse lassen sich auf der Basis klassischer (mono-kontexturaler) Logik-Systeme grundsätzlich nicht widerspruchsfrei beschreiben. Damit ist der Konstrukteur eines zur Kognition befähigten Roboters mit den gleichen prinzipiellen wissenschaftslogischen Problemen konfrontiert, wie beispielsweise der nach einem ganzheitlichen Modell für die Beschreibung und die Simulation von vernetzten Ökosystemen suchende Biologe. Bis heute ist weder der Entwurf eines autonomen Roboters gelungen, noch existieren nicht-reduktionistische Modelle zur Simulation von ökologischen Systemen.

Dies erkannt, und gleichzeitig (operationsfähige) Strategien zur Lösung derartig wissenschaftlicher Herausforderungen aufgezeigt zu haben, ist das Resultat moderner kybernetischer Grundlagenforschung.

 

ZIEL des Instituts für Kybernetik und Systemtheorie ist daher

die Förderung und Durchführung inter- und transdisziplinärer Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Weiterentwicklung kybernetischer und systemtheoretischer Methoden, Techniken und Ansätze, die zu einem tieferen Verständnis sowie zur Modellierung und Simulation komplexer, d.h. lebender Systeme führen;

die Förderung des wissenschaftlichen Austauschs kybernetischer und systemtheoretischer Resultate und Ansätze sowie deren Applikation über disziplinäre, nationale und ethnische Grenzen hinweg.

Referenzen:

/1/ W.S. McCulloch & W.Pitts
A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity, in: Bull.Math.Biophys. 5 (1943) p.115

/2/ W.R. Ashby,
Design for a Brain, John Wiley, N.Y. 1952

/3/ Norbert Wiener,
Cybernetics, or Control and Communication in the Animal and the Machine, John Wiley, 1948

/4/ Ludwig von Bertalanffy,
Zu einer allgemeinen Systemtheorie, Blätter Dtsch.Philosophie 18 (1945) Nr.3 & 4.; b) An Outline of General Systems Theory, British Journal of the Philosophy of Science 1 (1950) 134-164

/5/ Lotfi A. Zadeh,
Outline of a new approach to the analysis of complex Systems and decision processes', IEEE Transactions on Systems, Man, and Cybernetlcs 1 (1973) 28-44

/6/ Ein physikalisches System ist durch die Angabe seiner Energie und bestimmter unabhängiger Standard-Variablen derart definiert, daß die Veränderungen dieser Variablen alle Prozesse festlegen, die der Physiker für das zu beschreibende Gebilde für wesentlich hält. Eine Systemabgrenzung erscheint in der Physik als so selbstverständlich, daß sie von vielen Autoren noch nicht einmal ansatzweise diskutiert wird. Dies ändert sich erst, wenn über Phänomene wie die ´Unbestlmmtheitsrelation´ oder drgl. von Physikern philosophisch spekuliert wird. Zum System-Begriff in der Physik, siehe z.B.: G. Falk & W. Ruppel, ,Energie und Entropie, Springer Verlag, 1976, p.123ff.

/7/ G. Klir,
in: ,Architecture of Systems Problem Solving', Plenum Press, N.Y., 1985

/8/ E. Shannon,
A mathematical theory of communication, Bell System Techn.Journal, 1948, p 379-423; 623-656

/9/ Heinz von Foerster,
Cybernetics of Cybernetics, Cybernetic Systems Program, San Jose, CA, 1986

/10/ Werner Heisenberg,
in: ´Physik und Philosophie´, S.Hirzel Verlag, Stuttgart, 1978, p.27-40

/11/ Unter ,Cognitive Science' werden im allgemeinen interdisziplinäre Schwerpunkte aus den Bereichen der Computerwissenschaft, Linguistik, Philosophie und Psychologie verstanden, die in jüngerer Zeit besonders an amerikanischen Universitäten gegründet wurden. Siehe dazu: Neural Nets 1(1988) 269-273

 

Autor: E. von Goldammer
publiziert in: Vorwort des ICS-Buches:

"Kybernetik und Systemtheorie - Wissenschaftsgebiete der Zukunft ?"

Symposium in Dresden, Nov.´91

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