6 Organisatorisches Lernen als systemorientiertes Veränderungskonzept


6.1 Operative Geschlossenheit und Identität

Die bisherigen Ansätze systemtheoretischen Organisationsverständnisses haben notwendigerweise die Bedeutung der Umwelt für die Organisation erkannt und daraufhin die Offenheit des Systems gegenüber den Umwelteinflüssen als zentrale Überzeugung postuliert. Jedoch wird der Unternehmung damit immer eine reaktive Verhaltensänderung auf Umwelteinflüsse aufoktroyiert ohne die Logik einer möglichen Selbstentwicklung von sozialen Systemen zu berücksichtigen. Der einseitigen Synchronisation (Anpassung) der Unternehmung an die Umwelt folgend, wird von einer Wechselwirkung zwischen Unternehmung und Umwelt gesprochen. Die Leitfrage dieser Sichtweise ist: Wie paßt sich eine Unternehmung optimal seiner Umwelt an? Wenngleich dies bereits ein fortschrittlicheres Denken im Organisationsverständnis voraussetzt, forden Autoren wie Bateson, Luhmann, Willke einen Paradigmawechsel, der an die Stelle der Leitidee offener Systeme die Idee der "operativen Geschlossenheit" setzt (vgl. Willke 1993, S. 95ff.). Operationale Geschlossenheit bedeutet:

"Ein System [...] definiert für sich selbst diejenige Grenze, die es ihm erlaubt, die eigene Identität nach intern zu produzieren und prozessierten Regeln zu erzeugen und gegenüber einer externen Realität durchzuhalten." (vgl. Willke 1993, S.63).

Geschlossenheit bedeutet hier, daß der lebenswichtige Austausch mit der Umwelt nur im Selbstbezug des Systems geschieht.

Ein durch vollkommene Offenheit gekennzeichnetes System unterliegt der permanenten Gefahr, durch die vielfachen Interdependenzen und Interaktionen zwischen ihm und seiner Umwelt chaosähnliche Zustände herbeizuschaffen. Dieses System dürfte Schwierigkeiten haben, bei Erhaltung dieser Offenheit die eigene Identität zu prägen (vgl. Willke 1994, S.144f.).

Durch eine mögliche selbstreferentielle Schließung bewahrt sich das System eine gewisse innere Ordnung in der turbulenten Umwelt, um schließlich mit der eigenen Komplexität besser umgehen zu können. Das System kann sich jedoch nicht gänzlich seiner Umwelt verschließen.

"Für die Informationsaufnahme muß es insofern offen sein, als jedes komplexe (selbstreferentielle) System Lernmechanismen entwickelt, mit derer Hilfe es Erfahrungen in Erwartungen transformiert und mithin sich in die Lage versetzt, gezielt nach Informationen im Sinne von attraktiven/nicht-attraktiven Signalen Ausschau zu halten." (Willke 1993, S.103).

Die Außenwelt mit ihren Einflüssen muß nachwievor einen Einfluß auf unternehmerische Entscheidungen haben. Die Geschlossenheit bezieht sich nur auf die Tiefenstruktur (Kultur) der eigenen Systemsteuerung. Diese zeigt sich von ihrer Umwelt gänzlich unabhängig und unbeeinflußbar. Willke führt dazu an:

"Konkret heißt dies, daß eine Zelle, ein Organismus oder ein menschliches Nervensystem die eigene Konstituierung ausschließlich nach den eigenen eingebauten operativen Gesetzmäßigkeiten bewerkstelligt und steuert; eine Steuerung des systemspezifischen Operationsmodus von außen ist nicht möglich, es sei denn um den Preis der Zerstörung der autopoietischen Qualität des Systems." (Vgl. Ebenda, S. 65.).

Das Autopoiese-Konzept beschreibt eine Theorie, nach welcher sich ein System selbst reproduziert im Sinne einer kontinuierlichen gegenwärtigen Selbsterzeugung des eigenen Systems (vgl. Ebenda, S. 64). In dieser Weise reproduziert ein autopoietisches System die Elemente, aus denen es besteht, mit Hilfe der Elemente, aus denen es besteht.

Es ist weder im klassischen Sinne ein geschlossenes System noch, entgegen dem Grundpostulat der Systemtheorie, ein offenes System (vgl. Ebenda, S. 65 f.). Der interne Verarbeitungsprozeß funktioniert nach - von der Außenwelt unabhängigen - Mustern (z.B. Unternehmenskultur). Diese Muster müssen intern ständig selbstbeobachtet und reflektiert werden, damit sich eine Organisation selbstständig erneuern kann. Wesentliches Merkmal dieser Theorie ist, daß das Unternehmen auf diese Art und Weise unabhängig von externen Steuerungen der Hierarchie (der Macher) oder Organisationsberater sein kann.

Demnach ist weniger die Anpassung Voraussetzung von Krisenbewältigung in und unter Systemen als das Inbetrachtziehen von Möglichkeiten selbstorganisatorischer (Lern-) Prozesse, die ihrer eigenen (internen) Systemlogik folgen. Wichtig ist, daß sich das System eine eigene Identität schafft und bewahrt, an welcher es sich immer wieder selbsttätig konstituieren kann.

Den kritischen Anmerkungen der klassischen Organisationsentwicklung folgend (vgl. Kap. 4.4) läßt sich festhalten, daß Unternehmensentwicklung nach althergebrachten Mustern und Gewohnheiten durch z.B. externe Berater die notwendigen Veränderungen in sich stetig und immer schneller wandelnden Zeiten allein nicht mehr flexibel genug herbeiführen können. Der Paradigmawechsel erscheint gerechtfertigt, wenn er sich von der herrschenden Meinung der von außen machbaren Problembeseitigung abwendet und einen neuen Problemlösungsansatz fordert, welcher die Möglichkeiten anbietet, aufgrund des stetig wachsenden Wandels eine intern initiierte Veränderung anzuregen.

Das Besondere autopoietischer Systeme ist das Zurückgreifen auf bereits bekannte "Ressourcen" in einem sozialen System: Autonomie, Eigendynamik und Selbstreferentialität. Autopoietische Systeme bauen auf der erhöhten Nutzung dieser Ressourcen auf. Der bisherige Primat, soziale Systeme von außen durch Machbarkeit, Kontrolle und Korrektur unter Hinzuziehung von Organisationsberatern zu gestalten, wird überwunden.

In unserem Zusammenhang ist ein soziales System demnach nicht mehr ein triviales "Input-Output-System" (vgl. Abbildung 11), sondern ein System, welches externe Realitäten

"[...] intern in einer Weise verarbeitet, die vom jeweiligen Zustand des Systems selbst abhängt. [...] Ein Nicht-triviales System reagiert in seinen Operationen auf seinen eigenen Zustand und es ändert mit seinen Operationen seinen jeweiligen Zustand." (Vgl. Willke 1994, S.148f.).

In Abbildung 19 wird dieser Zusammenhang aufgegriffen, indem das Steuerungs- und Motivationspotential eines Nicht-trivialen Systems neben des natürlichen Überlebenszieles des Systems in der Sinnerklärung der Wahrnehmungen im Rahmen des organisatorischen Kognitions-, Motivations- und eigenen Entstehungspotentials liegt.

 

Abbildung: Nicht-triviale Systeme

Damit ein in sich geschlossenes System im Rahmen seiner Kultur diese Potentiale eigendynamisch und selbstreferentiell nutzen kann, muß es eine gewisse Autonomie anstreben. Das heißt, es muß autonom zu dem System Umwelt agieren können. Dieses gewisse autonome Verhalten kann dazu führen, eigene Identitäten zu formulieren und zu gestalten. Identität ist in der Entwicklung kein abschließbarer Prozeß; die Identitätsfindung ist ein Prozeß, der rekursiv ständig beobachtet und reflektiert werden muß. Diese stetige Beobachtung und Reflexion des Systems seiner selbst fördert den Identitätsprozeß und nutzt die Eigendynamik des Systems auf den Weg einer flexiblen Unternehmensentwicklung.

Aus dieser Identität ableitend, werden die relevanten Informationen aus dem "Umweltrauschen" selektiert, die zu der Überlebensfähigkeit des Systems beitragen können. Was "Nicht-triviale Systeme" von "Trivialen Systemen" in dieser Hinsicht unterscheidet, ist die Art und Weise des Verarbeitungsprozesses wahrgenommener Signale. Neben dem instinktiven Handlungsmuster eines trivialen Systems kommen die kognitiven, motivationsspezifischen und entwicklungsspezifischen Merkmale hinzu, die kumuliert den Sinn des Systems steuern, also die Frage nach der Relevanz von Wahrnehmung und des eigenen Handelns. Das triviale "Input-Output-Denken" weicht dem reflexiven Handeln zwischen Komplexität und Kontingenz.

Die begleitende Frage nach Sinn und Notwendigkeit von Lernprozessen eines Systems kann dabei ein Lernen auf höherem Niveau bzw. einen "Lernen-zu-Lernen"-Prozeß anregen. Derartige Systeme sind also nicht nur von ihrer Umwelt abhängig, sondern auch von sich selbst in der Weise, wie sie externe Signale bisher wahrgenommen, intern verarbeitet und in künftige Handlungsmuster transformiert haben. So gelangt nicht mehr nur ein Stimulus aus der Umwelt in das System, welcher nach instinktiven Parametern abgearbeitet wird. Dieser Stimulus wird statt dessen als Anlaß genommen, einen selbstorganisatorischen Veränderungsprozeß innerhalb des Systems in Gang zu setzen und die "Ressource Lernen" mehr zu nutzen. Die nach diesem Lernprozeß erzielten Ergebnisse werden mit dem Ziel der Schaffung einer organisatorischen Stabilität (schließlich) im Gedächtnis des Systems verankert. Die operative Geschlossenheit kann dazu führen, organisationale Lernprozesse zu fordern und zu fördern.

"Erst die rekursive Schließung eines Prozesses, der sich in seinen Operationen ausschließlich auf sich selbst bezieht und deshalb alle Teilreaktionszyklen des Gesamtprozesses erfassen und deshalb geschlossen sein muß, ermöglicht die eigene Reproduktion dieses Gesamtprozesses nach immanenten Steuerungsregeln." (Willke 1992, S. 34).

Die insgesamt resultierenden Veränderungsprozesse beziehen sich dabei nicht auf einzelne Personen, sondern auf die Regeln in der Unternehmung, nach welcher notwendige Veränderungen bisher vonstatten gingen. Dieses organisatorische Regelwerk determiniert, wie kommuniziert, entschieden und gelernt werden soll.

Eine die Wahrnehmung steuernde Identität bedarf der Notwendigkeit der Schaffung einer sensiblen Wahrnehmungsfähigkeit, welcher sich der nächste Abschnitt
zuwendet.

 

6.2 Wahrnehmung des Systems

Die Bedeutung der Wahrnehmung wurde bereits mehrfach betont. Die Wahrnehmungsfähigkeit von Organisationen betrachtend, kann festgehalten werden, daß vor dem Hintergrund eines organisationalen Lernens der Wahrnehmungsprozeß von dem des individuellen Lernens zu differenzieren ist. Der Organisation stehen eigenständige Sinnesorgane nicht zur Verfügung, die in der Lage wären, Umweltreize im Sinne der Organisation aufzunehmen. Wahrnehmen können nur die Organisationsmitglieder bzw. eine ausgewählte Einheit von Mitgliedern.

Fiol und Lyles betonen die von ihren Mitgliedern unabhängige Organisation. Diesem kann nur bedingt Zuspruch beigemessen werden. Schon die unabdingbare Notwendigkeit und Voraussetzung für Wahrnehmungsprozesse der Organisationsmitglieder läßt eine strikte Trennung von Organisation und seinen Mitgliedern nach Fiol und Lyles nicht zu.

Staehle greift mit der folgenden Abbildung einen Vorschlag auf, wie Wahrnehmungsprozesse dargestellt werden können:

 

Abbildung 20: Stufen des Wahrnehmungsprozesses

In Bezug auf autopoietische Systeme läßt sich die Frage stellen, wie sich Wahrnehmungsprozesse in einem nicht-trivialen, operativ geschlossenen System, eingebettet in einer überkomplexen und chaotischen Umwelt, konstituieren und rekonstruieren können (vgl. Willke 1994, S. 173).

Für einen möglichen Erklärungsansatz kann die obige Abbildung 20 herangezogen werden. Demnach kann der Wahrnehmungsprozeß gegliedert werden in 5 Phasen: Aufnahme, Selektion, Organisation, Interpretation und Verhalten. Dabei erscheinen die Bereiche Selektion, Organisation und Verhalten besonders interessant: Die Selektion bewegt sich im Spannungsfeld der internen und externen Selektionsfaktoren. Der Organisation von Wahrnehmungen kommt eine zentrale Bedeutung zu; neben dem Prozeß der Gestaltung von Wahrnehmungen kommen unterschiedliche Assoziationsmuster hinzu. Das Verhalten am Ende des Prozesses wird durch die weichen Faktoren wie Einstellungen, Motive etc. beeinflußt (vgl. Kap. 5.7. ).

Autopoietische Systeme zeichnen sich zusätzlich durch selbstorganisatorische und sinnachfragende Prozesse aus. Das bedeutet für den Wahrnehmungsprozeß, daß nur die Reize aufgenommen werden, die auch einen Sinn für das System produzieren, d.h. es werden nur die Reize berücksichtigt, die den Erwartungen des Systems bzw. seiner Mitglieder gerecht werden können.

"Erwartungen sind nicht einfach da und Kommunikationen finden nicht einfach statt; vielmehr folgen sie den in der Systemgenese aufgebauten Strukturmustern. Diese lassen sich verstehen als die kondensierten Traditionen, Lernerfahrungen und Selbstidentifikation des Systems." (Willke 1995, S. 37).

Was Sinn im System ausmacht und was nicht, bestimmten wieder die internen Regeln des Systems. Entsprechen die Wahrnehmungen den Erwartungen nicht mehr, müssen die Regeln verändert werden. Denn Regeln können interne Handlungsabläufe und Kommunikationsmuster bestimmen; sie sind aber auch Bestandteile der Organisationskultur. Regeln können demnach nicht von außen "verabreicht" werden, sondern sie entstehen aufgrund von Erfahrungen im Kontext der Rahmenbedingungen einer Organisation.

Der Wahrnehmungsprozeß verstanden als ein in sich geschlossenen Prozeß, kann Organisationen in die Lage versetzen, eine eigene Wirklichkeit zu schaffen (vgl. Maturana 1982, S. 44). Die Entscheidungen, die in einem sozialen System gefällt werden, sind demzufolge nicht mehr von ihrer Umwelt determiniert, sondern kommen über die Wahrnehmung und der anschließenden Selektion von Umweltsignalen bzw. der nachfolgenden Frage zustande, welche Informationen für die bevorstehende Entscheidung von Relevanz sind. Bestimmend wirken zusätzlich Vergangenheit, kulturelle Werte, Vorstellungen über die Zukunft sowie das im System vorhandene Informationsnetz (Kommunikationsnetz) auf die Fähigkeit und Qualität der Entscheidungen.

Die Erkenntnis, daß Lernerfolge Wahrnehmungen bedingen und diese nur von Menschen aufgenommen werden können, führt zu unterschiedlichen "Verzerrungs-theorien" (vgl. Abbildung 20). Diese beziehen sich auf das Verhalten von Menschen bzw. deren Wahrnehmungsmöglichkeiten, welche in mehreren verhaltenswissenschaftlichen Theorien, z.B. der "Stereotypenbildung" oder dem "Halo-Effekt" etc. beschrieben sind (zur Skizzierung der Theorien vgl. Stahle 1991, S.183-185).

Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß Erkenntnisse der neueren Systemtheorie auch für ein organisationales Lernen interessant sind. Die Sichtweise operativer Geschlossenheit als Grundlage der Identität sowie das Problem der Wahrnehmung als Grundlage von Lernen können helfen, organisationales Lernen näher zu beschreiben. Neben diesen Aspekten sind allerdings noch weitere von grundlegender Bedeutung.

6.3 Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung im Gefolge von Lernprozessen

Lernen bedeutet das Wahrnehmen von Umweltreizen, der anschließenden Verarbeitung nach kognitiven Mustern, um zu einer Verhaltensänderung in Bezug auf bestimmte Situationen zu kommen. Dabei sind reflexive Beobachtungen auf jeder Ebene des Lernens unerläßlich. Daneben müssen auch die internen Muster beobachtet werden und einer konstanten Reflexion unterzogen werden.

Beobachtung meint die Feststellung eines bedeutsamen Unterschiedes, der zu einem späteren Ereignis als ein weiterer Unterschied erkennbar wird.

Die "Selbstbeobachtung ist demnach die Einführung der System/Umwelt-Differenz in das System, das sich mit ihrer Hilfe konstituiert;" (Luhmann 1991, S.63).

Nur wenn ein beobachtetes Ereignis in Relation zu einem vergleichbaren Ereignis gesetzt wird, kann ein Unterschied festgestellt werden, welcher bei notwendiger Relevanz für das betreffende (beobachtete) soziale System Lernprozesse in Gang setzen kann. Die Logik der Beobachtung liegt darin, daß aus einer beobachteten Differenz eine Information zu ziehen ist, die für künftige Entscheidungen des Systems von Wichtigkeit sein kann. Ist der Beobachtungsgegenstand zu beschreiben, d.h. "die tatsächlichen oder möglichen Interaktionen und Relationen des Gegenstandes aufzuzählen" (Maturana 1982, S.34), läßt sich daraus die interne Funktionslogik des Gegenstandes erschließen. Selbstbeobachtung heißt dann analog, die eigene Funktionslogik zu erschließen (vgl. Willke 1993, S. 179).

Selbstbeobachtung bedeutet die Beobachtung der Beobachtung;

"[...] sie schließt ein, daß die Aktoren sich selbst (aber natürlich auch andere) als Aktoren beobachten, denen man (soziales) Handeln zurechnen kann." (Vgl. Kirsch und Knyphausen 1991, S.89).

Im engeren Sinne ist Selbstbeobachtung daher die Anwendung einer bezeichnenden Unterscheidung auf sich selbst. Auf der Strukturebene bedeutet Selbstbeobachtung das Beobachten des eigenen Verhaltens, auf der Elementebene ist Selbstbeobachtung reflexive Kommunikation, also die Selbstbeobachtung der Kommunikation im System (vgl. Teubner 1987, S. 96).

Beobachtetes bedarf der ungezwungenen Weitergabe der Informationen an die Organisationsmitglieder bzw. an die Personengruppe, die über den Selektionsprozeß von Informationen zu entscheiden hat. Damit diese Beobachtungen kommuniziert werden können, bedürfen sie derer genauen Beschreibung. Für die Schaffung einer eigenen Funktionslogik entwickelt sich die formale Beschreibung zu einer aktiven Selbstbeschreibung.

"Die Anfertigung einer Beschreibung, die das soziale System auf einen Handlungszusammenhang reduziert, ist mithin Voraussetzung jeder Beobachtung, die die Differenz von System und Umwelt ins Spiel bringt [...]" (vgl. Luhmann 1991,
S. 247).

"Mit einer Beschreibung oder Diagnose bringt der Beobachter seine Beobachtungen auf den Begriff; [...]" (vgl. Willke 1993, S. 183).

Die Fähigkeit, Zustände und Ereignisse beschreiben zu können, basiert auf der Fähigkeit sozialer Zusammenkunft in der Organisation, dessen stärkstes Medium in der Kommunikation liegt. Kommunikation und Sprache steuern dem Ziel entgegen, Konsens herzustellen sowie zu einer intersubjektiven Übereinstimmung in der Beurteilung eines Problems bzw. einer Situation durch das "bessere Argument" beizutragen (vgl. Habermas 1982 b, S. 14f.).

Das heißt für die Relativierung eines beobachteten Ereignisses, daß durch Beschreibung der Beobachtung ein Sinn auferlegt werden muß. Diese Selbstbeschreibung besitzt dann für die Entwicklung eines Systems operative Wirksamkeit (vgl. Kirsch 1990, S. 471). Die vom Individuum formulierten, d.h. in Sinn gefaßten Beobachtungen müssen daher im System artikuliert und an die Organisationsmitglieder weitergegeben werden, um anderen Systemmitgliedern an den Beobachtungen teilhaben zu lassen und die Möglichkeiten zu schaffen, diese an nachrückende Mitglieder weiter zu geben.

"In der sozialen Kommunikation produzieren Individuen Beschreibungen ihrer Beobachtungen im Medium gemeinsamer Sprache.[...] Kommunikative Verständigung kann auf Konsens zulaufen, aber ebenso auf Dissens" (Willke 1993, S. 183-185.).

Das bedeutet, die Mehrdeutigkeit der Sprache, die ein Hindernis zur vollkommenen Kommunikation darstellt, ist zugleich die Ursache dafür, daß Sachverhalte oder Beobachtungen neu geordnet und "bedacht" werden können. Gerade die kommunikative Auseinandersetzung und die möglichen unterschiedlichen subjektiven Beschreibungen von Ereignissen fördern eine tiefergehende, auf Reflexion zielgerichtete Beschäftigung, welche schließlich die kognitiven Fähigkeiten des Menschen nutzen kann. Durch die kognitive Nutzung kann der Mensch anschließend Lernerfahrungen machen.

Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung und die damit immer wieder verbundenen Reflexionen, d.h. auf den unterschiedlichen Lernebenen stattfindenden Korrekturen, sind für Lernprozesse auf allen Lernebenen unerläßlich. Sie sind Grundvoraussetzung für eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt und für ein auf kommunikativer Basis stattfindendes Lernen aller in der Organisation Tätigen. Stattfindende Selbstbeobachtungen und -beschreibungen können Indizien für eine entwicklungswillige und entwicklungsfähige Unternehmung darstellen und sowohl das Lernen als auch die Entwicklungsmöglichkeiten fördern. Das dabei auch die Kommunikation eine wichtige Rolle spielt, ist bereits erwähnt worden. Im nachfolgenden Abschnitt soll die besondere Bedeutung von notwendiger Kommunikation herausgestellt werden.

 

6.4 Kommunikation als notwendige Regel für Organisationales Lernen

Unter dem lateinischen Ausdruck Kommunikation wird "ein Prozeß der Mitteilung; des wechselseitigen Austausches von Gedanken, Meinungen, Wissen, Erfahrungen [...] sowie die Übertragung von Nachrichten, Informationen [...]" verstanden (Meyers Lexikon).

Die Kommunikation hat in der Organisation eine besondere Bedeutung. Für ein soziales System ist Kommunikation lebensnotwendig, weil durch Kommunikation Kontakte und Beziehungen sowohl intern als auch extern, d.h. zu der Außenwelt, geschaffen werden. Je intensiver die Kommunikation nach außen stattfindet, um so mehr Beziehungschancen und Informationen können ermöglicht werden.

Es sind Kommunikationen, in denen sich soziale Systeme selbst erfahren (vgl. Buchinger 1992, S. 154). Je höher dabei die Informationsvielfalt ist, desto größer ist auch die Chance, die für eine Unternehmung wesentlichen Informationen herauszufiltern. Dort wo keine Informationen auftauchen, ist die Chance, unternehmensrelevante Informationen zu bekommen, relativ gering.

Ein hoher Grad an Kommunikation wird unterdessen als besonders günstig für die Lern- und Innovationsbereitschaft der Unternehmen gesehen. Doch wie soll eine bestehende Kommunikationsstruktur geändert werden? Müller und Schienstock schlagen vor, die Kommunikationsstruktur netzartig über das gesamte Unternehmen zu erstrecken mit gleichzeitig wenigen starren Kommunikationskanälen. Mit einer derartigen Kommunikationsstruktur kann auf bestimmte Problemstellungen flexibel reagiert werden, um zahlreiche Perspektiven zu erfassen und zu beschreiben.

Für die Schaffung einer derartigen Kommunikationsstruktur können flache Hierarchien und kurze Kommunikationswege hilfreich sein. Lernprozesse und Lernerfolge können auf dieser Basis schneller kommuniziert werden und zu einer organisatorischen Wissensbasis beitragen.

Grundsätzlich werden bei der Kommunikation vier Faktoren unterschieden, die für eine kommunikative Basis notwendig sind: der Kommunikator oder Sender (die Informationsquelle), die Information, also die zu übermittelnde Botschaft, das Medium der Kommunikation (Sprache, Zeitung, Fernsehen) und der Rezipient oder Empfänger der Information.

Die Information, die mitgeteilt werden soll, muß zuerst vom Kommunikator vorbereitet werden, d. h. sie muß verbal formuliert werden. Dieser Vorgang der Verschlüsselung oder Codierung findet unter Zuhilfenahme der vereinbarten Zeichensysteme (des Systemcodes) statt. Die Information wird schließlich vom Empfänger aufgenommen und entschlüsselt.

Die Informationsübertragung findet zwischen den Systemelementen (Mitarbeiter« Mitarbeiter) als auch unter den Systemen (Unternehmen« Umwelt) statt, die alle einen eigenen Systemcode benutzen. Informationsübertragung ist demnach eine Transformation zwischen den Systemcodes des Senders und des Empfängers. Auf soziale Systeme übertragen bedeutet Kommunikation dann "[...] die Übertragung von Informationen zwischen Systemen, welche eben diese Informationen zur Weiterentwicklung ihrer Systemcodes benützen können." (Lutz 1991, S. 103). Über die Fähigkeit der Informationsvermittlung hinaus sind Menschen auch in der Lage,

"[...] Kommunikationsprozesse an sich selbst zu beobachten und darüber zu kommunizieren (Selbstreflexion, Metakommunikation), und diese Vorgänge wiederum zur Weiterentwicklung ihrer persönlichen Codes oder jener von ihnen gebildeten sozialen Systeme zu benützen." (Lutz 1991, S. 103f.).

Der "Code" setzt sich aus einer bestimmten Ansammlung von Informationen zusammen, der als Wahrnehmungsfilter dienend, zu der Entscheidung beiträgt, welche Informationen wie wahrgenommen werden, wie diese Informationen interpretiert werden und wie weit sie zu einer Weiterentwicklung herangezogen werden sollen. Eine positive Kommunikation findet statt, wenn die Codes der Systemmitglieder verstanden und akzeptiert werden.

Der Code bestimmt die verfügbaren Handlungs- und Ausdrucksmuster und wird für die Entscheidungen herangezogen, welche Handlungen schließlich nach außen abgegeben werden. Im Code ist folglich auch die Kultur des sozialen Systems implementiert. Neben den bekannten Merkmalen von Systemkultur kommen Bilder des für das System relevanten Umfeldes hinzu, einschließlich der ihm eigenen Bewertungskriterien und Handlungsweisen. (Vgl. Lutz 1991, S. 104).

Eine Vielfalt der Codes muß nicht zwangsläufig zu einer negativen Kommunikation führen. Besteht bei dem "Befolgen" eines identischen Systemcodes die Gefahr, Einseitigkeit und Betriebsblindheit zu schüren, kann auf der anderen Seite die Vielfalt das Kommunikationspotential und die Kontingenz fördern. Außerdem können Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung dazu führen, den eigenen Systemcode zu erweitern (vgl. Hallay und Pfriem 1994, S. 3).

Abschließend sei für einen möglichen Bau einer LO die Ausrichtung der Kommunikation erwähnt. In einem autopoietischen Organisationsprozeß kommt es weniger darauf an, Kommunikation von oben nach unten zu gestalten, sondern die Kommunika-tion den Systemteilen bzw. Systemen zu überlassen, die auch in Relation zueinander stehen. Dabei sollte auf dem Wege einer netzartigen Kommunikationsstruktur auch die Kommunikation von unten nach oben sowie auf allen Ebenen gefördert werden.

 

 

© 1997 Gerald Lembke
GL-EDV