Katja Butt
aus Köln
erhält in Anerkennung ihres künstlerischen Werks
das Hungertuch für Bildende Kunst 2007
„Die Farben im Gemälde sind eine Falle,
um das Auge zu überzeugen, wie der Charme der Verse in der Poesie“,
schrieb Poussin, und „poetisch“
ist das Wort, das Katja Butts Werk am besten beschreibt.
Cacatum non est pictum, hingeschissen ist noch nicht gemalt, heißt es grob
und richtig. Kunst ist kein natürlich nachwachsendes Gut, sondern wird von
Menschen gemacht. Der Begriff Bedeutung führt gleichfalls in die Irre,
samt seiner Geschwister Substanz oder Qualität. Als könnte man ein
verbindliches Maß der Güte heranziehen, um zwischen guten und
schlechten Werken zu unterscheiden. Dazu ist der Markt viel zu erratisch
und die Kunst viel zu klug, viel zu reflexiv. Butt gehört zu den
Künstlerinnen, die sich nicht dem erratischen Willen des Marktes
unterordnen. Ihre Arbeiten nehmen Perspektiven auf, die ohnehin da sind,
verstärken sie, fixieren sie oder überzeichnen sie und machen so Aspekte
eines Alltags sichtbar, wie auch wir sie in unserem Leben zwar sehen,
jedoch aus irgendwelchen Gründen manchmal nicht für sehenswert
halten. Ihr Interesse gilt dem Wesen des Lichts, dem Wesen dessen, was und
wie wir sehen, dabei geht sie so konsequent vor, wie gegenwärtig wohl kaum eine andere Künstlerin.
Butt sucht nach den ikonografischen Wurzeln von global verankerten
visuellen Stereotypen; und sie zeigt, daß diese sehr oft einen magischen,
religiösen oder pathetischen Kern enthalten, der den je spezifischen
Wahrnehmungs– und Gedächtnisordnungen eines Kulturkreises unterliegt. Die
Maler der byzantinischen Ikonen waren überzeugt davon, daß dem Betrachter
aus dem nur modellhaft gemalten Antlitz eines Heiligen heraus eine höhere
Wahrheit entgegenstrahle – und daß das Wesentliche der Ikone demnach nicht
von Menschenhand gemacht, sondern göttlichen Ursprungs sei. Von einem
solchen emphatischen Kunstverständnis, das bei einigen Malern der
abstrakten Moderne unter anderen Vorzeichen nochmals kurzfristig
aufblitzte, scheinen wir uns heute endgültig entfernt zu haben. In Zeiten
der globalen Bildproduktion, da über diverse Medien sekündlich neue Bilder
ohne Herkunft und ohne Sinnkontext auf uns einprasseln, hat sich deren
Aura längst abgefeiert. Und nicht zuletzt hat uns auch die Postmoderne
lange genug eingeschärft, daß jeder Anspruch auf Authentizität und
Identität einem ideologisch fragwürdigen Essenzialismus verfalle.
Butts Kunst fordert den Betrachter heraus mehr von dem, was er sieht, auch
ernst zu nehmen. Wir leben in einer bilderreichen Zeit und lassen uns von
einer Pixelflut durch die Tage schwemmen. Die Videokünstlerin, Zeichnerin
und Photographin Katja Butt befragt die umbaute Bewegung in einem Akt der
Dissidens und bringt damit Bewegung in die starre Architektur.
Transformation, lautet das Stichwort. Diese Artistin macht Kunst lebendig,
auch wenn ihre Perspektive klassisch ist. Mit dem Ansatz einer
Skulpturistin untersucht sie räumliche und architektonische Prinzipien und
damit verbunden auch gesellschaftliche Zusammenhänge: Raum– und
Körpertheorie, Gedankenmodell, oder künstlerischer Reflex. Ihre Kunst
bricht mit Wahrnehmungsmustern, sie sucht nach neuen Antworten auf die
Frage: Wie wir entscheiden, was real ist? – und führt uns so Aussichten
auf eine andere, attraktivere, kaleidoskopische Wirklichkeit vor. Diese
Arbeiten verbinden radikale Analyse und radikale Reduktion. Klicken,
Licht, Nahaufnahme, alles wird einzeln erzeugt. Die Elemente tropfen
gleichsam getrennt auf den Bildträger, während man in der Ausstellung die
ganze Geschichte sieht. Sie inszeniert Kunst, die locker zwischen
Schauplätzen springt und der bedeutungsschweren Sinnfreiheit der REM–Phase
folgt, dies allerdings mit einer zwingenden Idee.
Im Atelier entstehen Einzelteile, in der Öffentlichkeit erfolgt die
Synthese: gefaßt hinter Passepartouts in hellen Rahmen und in diesen
Rahmen wiederum zu vierseitigen Würfelformen aufgebaut, die auf hölzernen
Sockeln stehen, gemahnen ihre Photoarbeiten letztlich an
Architekturmodelle und werden damit zu einem Mekka für
kunstwissenschaftliche Relevanztheoretiker. Es geht der Künstlerin um
Gesellschafts– und Welt–Modelle und die Versuche des Betrachters, sie
zu erstellen, vermitteln, begreifen; um die Entdeckung von Möglichkeiten
und ihre prinzipielle Unerschöpflichkeit. Ihre Zeichnungen und digital
bearbeiteten Fotoarbeiten zeigen ebenso ein Interesse für Architektur, wie
sie deren statische Tendenzen durch die
Lust an Dynamik und instabilen Raumsituationen erweitern.
„Warum entdecken der Geist und das Gefühl das wirklich Neue vor allem
an vertrauten Orten?“ – diese Frage, die Edouard Vuillard in sein Tagebuch
notiert hat, könnte programmatisch für die Konzeption der Videoobjekte
stehen. Butt hat eine fiebrige Aura, eine Mischung aus nervös, sensitiv
und intelligent, die es gerade unter Künstlerinnen selten gibt. Ihre
eigenwillige Sicht durch die Kamera und die besondere Perspektive zum
Gegenstand prägen die Videoobjekte wie die raumgreifenden Installationen.
Die Videokunst droht mehr und mehr verloren zu gehen – weil die
Datenträger enorm instabil sind, weil die Abspielgeräte für gewisse
Formate immer seltener werden, weil auch die Ästhetik etwa eines Monitors
oder sogar eines Spulengeräts je nachdem
Teil einer Arbeit sein kann und diese folglich nicht einfach durch einen
neueren Bildschirm und einen SD–Karten–Player ersetzt werden dürfen. Butt
reißt damit eine Problemstellung an, die weit über die
Kunst hinausweist: Selbst beständige Speicher sichern Informationen nicht
langfristig, da künftige Rechner sie nicht mehr lesen könnten. Bereits
jetzt wissen unsere Computer mit zehn bis zwanzig Jahre alten
Datenträgern nichts mehr anzufangen.
Auch der wachsende Energiehunger unserer Speichersysteme gibt Anlaß zur
Sorge. Information bereichert nur, wenn die Menschen sie zu Wissen
veredeln und dieses an kommende Generationen weitergeben. Um die Zukunft
der Kultur zu sichern, genügt es also nicht, zukunftssichere Speicher zu
entwickeln. Es gilt vor allem, immer wieder schöpferische Menschen wie
Butt zu suchen und zu fördern, die das Gemeinsame scheinbar
zusammenhangloser Informationen intuitiv erkennen und so neues Wissen
schaffen oder überliefertes Wissen als falsch erkennen. Was der
Existenzialist Jean–Paul Sartre über den Krieg sagte, gilt
auch für Wissen: „Nicht wir erschaffen Wissen – Wissen erschafft uns.“
Die raumbezogenen Videoinstallationen von Butt verwandeln die statische
Architektur des Ausstellungsortes in ein dynamisches mediales Gefüge, in
dem Außen und Innen, Oben und Unten, Gestern und Heute zu einer Einheit
werden. Eindringlich minimalistische Videobilder werden zu rhythmisch
strukturierten Sequenzen komponiert, die sich über mehrere Monitore hinweg
zu einem geschlossenen Ablauf verbinden. Der einzelne Monitor funktioniert
als gestalterisches Element und jenseits einer untergeordneten Funktion
als neutraler Rahmen der Begrenzung eines Bildfeldes. In der Präsentation
verschmelzen Raum, Bild und pointiert gesetzte Akustik zu einer neuen
Dimension, zu einem eigenständigen Körper, dessen einzelne Bestandteile
voneinander abhängig sind und sich gegenseitig beeinflussen. Am Ende
bleibt die Kamera im wahrsten Sinne des Wortes ein Werkzeug, ein
Instrument, das man beherrschen muß, um mit ihm Sinnlichkeit darzustellen.
Der Eros der Kunst von Katja Butt liegt in der Biologie der Existenz: der
puren Freude und der Lust an Fleisch und Geist! Es verbleiben Pfeile mit
Widerhaken, die lange im Gedächtnis des Betrachters verankert bleiben.
Matthias Hagedorn, Galerie Andreas Brüning, Januar 2008
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