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Das Hungertuch

2007

Hungertuch-Startseite

Die Laudatio auf die Preisträger von Dr. Enrik Lauer

 

Katja Butt
aus Köln
erhält in Anerkennung ihres künstlerischen Werks
das Hungertuch für Bildende Kunst 2007

 

„Die Farben im Gemälde sind eine Falle, um das Auge zu überzeugen, wie der Charme der Verse in der Poesie“, schrieb Poussin, und „poetisch“ ist das Wort, das Katja Butts Werk am besten beschreibt.

Cacatum non est pictum, hingeschissen ist noch nicht gemalt, heißt es grob und richtig. Kunst ist kein natürlich nachwachsendes Gut, sondern wird von Menschen gemacht. Der Begriff Bedeutung führt gleichfalls in die Irre, samt seiner Geschwister Substanz oder Qualität. Als könnte man ein verbindliches Maß der Güte heranziehen, um zwischen guten und schlechten Werken zu unterscheiden. Dazu ist der Markt viel zu erratisch und die Kunst viel zu klug, viel zu reflexiv. Butt gehört zu den Künstlerinnen, die sich nicht dem erratischen Willen des Marktes unterordnen. Ihre Arbeiten nehmen Perspektiven auf, die ohnehin da sind, verstärken sie, fixieren sie oder überzeichnen sie und machen so Aspekte eines Alltags sichtbar, wie auch wir sie in unserem Leben zwar sehen, jedoch aus irgendwelchen Gründen manchmal nicht für sehenswert halten. Ihr Interesse gilt dem Wesen des Lichts, dem Wesen dessen, was und wie wir sehen, dabei geht sie so konsequent vor, wie gegenwärtig wohl kaum eine andere Künstlerin.

Butt sucht nach den ikonografischen Wurzeln von global verankerten visuellen Stereotypen; und sie zeigt, daß diese sehr oft einen magischen, religiösen oder pathetischen Kern enthalten, der den je spezifischen Wahrnehmungs– und Gedächtnisordnungen eines Kulturkreises unterliegt. Die Maler der byzantinischen Ikonen waren überzeugt davon, daß dem Betrachter aus dem nur modellhaft gemalten Antlitz eines Heiligen heraus eine höhere Wahrheit entgegenstrahle – und daß das Wesentliche der Ikone demnach nicht von Menschenhand gemacht, sondern göttlichen Ursprungs sei. Von einem solchen emphatischen Kunstverständnis, das bei einigen Malern der abstrakten Moderne unter anderen Vorzeichen nochmals kurzfristig aufblitzte, scheinen wir uns heute endgültig entfernt zu haben. In Zeiten der globalen Bildproduktion, da über diverse Medien sekündlich neue Bilder ohne Herkunft und ohne Sinnkontext auf uns einprasseln, hat sich deren Aura längst abgefeiert. Und nicht zuletzt hat uns auch die Postmoderne lange genug eingeschärft, daß jeder Anspruch auf Authentizität und Identität einem ideologisch fragwürdigen Essenzialismus verfalle.

Butts Kunst fordert den Betrachter heraus mehr von dem, was er sieht, auch ernst zu nehmen. Wir leben in einer bilderreichen Zeit und lassen uns von einer Pixelflut durch die Tage schwemmen. Die Videokünstlerin, Zeichnerin und Photographin Katja Butt befragt die umbaute Bewegung in einem Akt der Dissidens und bringt damit Bewegung in die starre Architektur. Transformation, lautet das Stichwort. Diese Artistin macht Kunst lebendig, auch wenn ihre Perspektive klassisch ist. Mit dem Ansatz einer Skulpturistin untersucht sie räumliche und architektonische Prinzipien und damit verbunden auch gesellschaftliche Zusammenhänge: Raum– und Körpertheorie, Gedankenmodell, oder künstlerischer Reflex. Ihre Kunst bricht mit Wahrnehmungsmustern, sie sucht nach neuen Antworten auf die Frage: Wie wir entscheiden, was real ist? – und führt uns so Aussichten auf eine andere, attraktivere, kaleidoskopische Wirklichkeit vor. Diese Arbeiten verbinden radikale Analyse und radikale Reduktion. Klicken, Licht, Nahaufnahme, alles wird einzeln erzeugt. Die Elemente tropfen gleichsam getrennt auf den Bildträger, während man in der Ausstellung die ganze Geschichte sieht. Sie inszeniert Kunst, die locker zwischen Schauplätzen springt und der bedeutungsschweren Sinnfreiheit der REM–Phase folgt, dies allerdings mit einer zwingenden Idee.

Im Atelier entstehen Einzelteile, in der Öffentlichkeit erfolgt die Synthese: gefaßt hinter Passepartouts in hellen Rahmen und in diesen Rahmen wiederum zu vierseitigen Würfelformen aufgebaut, die auf hölzernen Sockeln stehen, gemahnen ihre Photoarbeiten letztlich an Architekturmodelle und werden damit zu einem Mekka für kunstwissenschaftliche Relevanztheoretiker. Es geht der Künstlerin um Gesellschafts– und Welt–Modelle und die Versuche des Betrachters, sie zu erstellen, vermitteln, begreifen; um die Entdeckung von Möglichkeiten und ihre prinzipielle Unerschöpflichkeit. Ihre Zeichnungen und digital bearbeiteten Fotoarbeiten zeigen ebenso ein Interesse für Architektur, wie sie deren statische Tendenzen durch die Lust an Dynamik und instabilen Raumsituationen erweitern.

„Warum entdecken der Geist und das Gefühl das wirklich Neue vor allem
an vertrauten Orten?“ – diese Frage, die Edouard Vuillard in sein Tagebuch notiert hat, könnte programmatisch für die Konzeption der Videoobjekte stehen. Butt hat eine fiebrige Aura, eine Mischung aus nervös, sensitiv und intelligent, die es gerade unter Künstlerinnen selten gibt. Ihre eigenwillige Sicht durch die Kamera und die besondere Perspektive zum Gegenstand prägen die Videoobjekte wie die raumgreifenden Installationen. Die Videokunst droht mehr und mehr verloren zu gehen – weil die Datenträger enorm instabil sind, weil die Abspielgeräte für gewisse Formate immer seltener werden, weil auch die Ästhetik etwa eines Monitors oder sogar eines Spulengeräts je nachdem
Teil einer Arbeit sein kann und diese folglich nicht einfach durch einen neueren Bildschirm und einen SD–Karten–Player ersetzt werden dürfen. Butt reißt damit eine Problemstellung an, die weit über die Kunst hinausweist: Selbst beständige Speicher sichern Informationen nicht langfristig, da künftige Rechner sie nicht mehr lesen könnten. Bereits jetzt wissen unsere Computer mit zehn bis zwanzig Jahre alten Datenträgern nichts mehr anzufangen.

Auch der wachsende Energiehunger unserer Speichersysteme gibt Anlaß zur Sorge. Information bereichert nur, wenn die Menschen sie zu Wissen veredeln und dieses an kommende Generationen weitergeben. Um die Zukunft der Kultur zu sichern, genügt es also nicht, zukunftssichere Speicher zu entwickeln. Es gilt vor allem, immer wieder schöpferische Menschen wie Butt zu suchen und zu fördern, die das Gemeinsame scheinbar zusammenhangloser Informationen intuitiv erkennen und so neues Wissen schaffen oder überliefertes Wissen als falsch erkennen. Was der Existenzialist Jean–Paul Sartre über den Krieg sagte, gilt auch für Wissen: „Nicht wir erschaffen Wissen – Wissen erschafft uns.“

Die raumbezogenen Videoinstallationen von Butt verwandeln die statische Architektur des Ausstellungsortes in ein dynamisches mediales Gefüge, in dem Außen und Innen, Oben und Unten, Gestern und Heute zu einer Einheit werden. Eindringlich minimalistische Videobilder werden zu rhythmisch strukturierten Sequenzen komponiert, die sich über mehrere Monitore hinweg zu einem geschlossenen Ablauf verbinden. Der einzelne Monitor funktioniert als gestalterisches Element und jenseits einer untergeordneten Funktion als neutraler Rahmen der Begrenzung eines Bildfeldes. In der Präsentation verschmelzen Raum, Bild und pointiert gesetzte Akustik zu einer neuen Dimension, zu einem eigenständigen Körper, dessen einzelne Bestandteile voneinander abhängig sind und sich gegenseitig beeinflussen. Am Ende bleibt die Kamera im wahrsten Sinne des Wortes ein Werkzeug, ein Instrument, das man beherrschen muß, um mit ihm Sinnlichkeit darzustellen. Der Eros der Kunst von Katja Butt liegt in der Biologie der Existenz: der puren Freude und der Lust an Fleisch und Geist! Es verbleiben Pfeile mit Widerhaken, die lange im Gedächtnis des Betrachters verankert bleiben.

Matthias Hagedorn, Galerie Andreas Brüning, Januar 2008