Peter Engstler
aus Ostheim, Rhön
erhält in Anerkennung seines lyrischen Werks
das Hungertuch für Literatur 2009
Literatur ist immer auch Behauptung.
Peter Engstler reklamiert für sich und seinen Verlag „Medien Streu“ einen
Sprachraum und schafft damit eine Wirklichkeit, die anders ist als alle
anderen Realitäten. Er macht dies mit dem Anspruch auf Autonomie,
Gültigkeit und der Bedeutung seiner Werke – und die der Kollegen.
Engstler ist ein sehr engagierter Verleger. Er gibt die
Literaturzeitschrift „Der Sanitäter“ heraus. Dieses Literaturmagazin ist,
ähnlich wie das von Jürgen Ploog herausgegebene Magazin Gasolin/23, ein
Schlüsselorgan für die Vermittlung der amerikanischen Beat–Literatur im
deutschen Sprachraum. Literatur spiegelt ihre Zeit, Beat lebt in und von
seinem Kontext, zehrt von dem kulturellen, politischen und sozialen Humus
der Epoche, dem er dem abgeklärten Publikum den Spiegel vorhält. Mit dem
scharfen Blick ihrer versierten Intelligenz zerlegten Beat–Autoren wie
beispielsweise Rolf Dieter Brinkmann die Gemütlichkeiten, in denen sich
die Hippies eingerichtet hatten. Brinkmann zeigte den Maschinenraum der
Leidenschaften, der das scheinbar aufgeklärte, um ideologische Korrektheit
bemühte Bewußtsein der westdeutschen Gesellschaft in Wahrheit antrieb.
Die Einfügung in den historischen Zusammenhang, die der
Literaturgeschichte, der Kritik und den Verlegern zufällt, gibt dem Leser
einen Schlüssel zum Verständnis der Zeitumstände und fördert zumindest das
Leserlebnis. Bevor Beat zur Pop–Literatur verniedlicht wurde, war er
gefährlich. Beat–Literatur hat ihren Reiz nicht verloren, doch in einer
Zeit, da Originalität von der Stange erhältlich ist, muss sie sich
schriller präsentieren, um noch Aufmerksamkeit zu wecken.
Auch Peter Engstlers eigene Gedichte wenden sich radikal sich gegen alle
gesellschaftlichen Normierungen, gegen den ganzen Literaturbetrieb und
dies auch ausdrücklich auch orthographisch, provozierend mit einer
verwegenen Verknäuelung von Hybris und Demut, Tiefsinn und Posse. Seine
Lyrik streift das Ephemere von den Momenten und Gelegenheiten, die sich
dem dichterischen Zugriff bieten, fast vollständig ab und führt sie in
Augenblicke glasklarer Betrachtung über. Ohne Rücksicht auf soziale
Rituale und Reglements bricht Engstler verkrustete Strukturen auf. Dieser
Autor interessiert sich gleichermaßen für die Wirklichkeit, die Psyche und
das Unbewusstsein,
hier sucht er nach der letzten Wahrheit. Seine Texte entäußern die
innere Bewegung und verinnerlichen zugleich das Äußere.
Schon früh hat sich dieser Autor in das Biosphärenreservat an die Rhön
zurückgezogen. Den vulkanischen Ursprung dieses Gebirgszugs ahnt man
ebenso als Bodensatz seines Schreibens, wie die offenen Fernen. Aus diesem
Hinterland gelingt ihm ein Transfer der Normalität ins Pathetische.
Mitunter nicht ohne ironischen Nebenton, der als kritisches Element in
seinem Band »Strophen eins« mitschwingt. Es geht in diesem Band um die
andere Wirklichkeit, die durch Literatur in die Welt kommt. Diese Lyrik
ist kein Selbstzweck, sondern eine klug angelegte, tief gestaffelte
Vorrichtung, in das Publikum auf Wortfelder trifft. Behutsam fächert
Engstler die Variationen des Blicks auf die Gegenwart auf und lädt dazu
ein, das eigene Begreifen als vorläufiges, vergängliches zu begreifen.
Dies ist ein Buch voller
Lebensweisheit, aber es stellt diese Weisheit an keiner Stelle zur Schau.
Es geht in »Strophen eins« darum, den Lesern das Disparate nahezubringen.
Mit einfachen Worten: Es geht um prismatische Wahrnehmung.
Matthias Hagedorn, vordenker.de, 2009
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