Almuth Hickl
aus Düsseldorf
erhält in Anerkennung ihres künstlerischen Werks
das Hungertuch für Bildende Kunst 2005
Almuth Hickl arbeitet mit Werkgruppen,
herbeigeführt werden diese Serien durch spielerisches Experimentieren. Ihr
serielles Arbeiten sorgt für Bewegungsimpulse: Das Mäandernde, das
assoziative Andocken und elastische Verschlingen von Erfahrungen,
Erinnerungen und Empfindungen formen ihre Vorgehensweise: Wie viel Zeit
lassen wir uns für Wahrnehmungen?
Wenn sich das Leben tatsächlich in allem beschleunigt und die
Aufmerksamkeitsspannen unaufhaltsam sinken, könnte Hickl in den Ruhestand
gehen. Was sie präsentiert, funktioniert als Absage an die Flüchtigkeit.
Diese Artistin befragt das Material, wird aber gleichzeitig auch von den
Werkzeugen angeregt. Diese Doppelsinnigkeit inspiriert sie zu ihren
Bildern. In einem Spannungsfeld, das von der Druckgrafik bis hin zu
digitaler Fotographie reicht, entstehen Mischformen, bei denen Hickl aus
einer relativen Absichtslosigkeit feste Spielregeln entwickelt und zumeist
in eine großzügige Plastizität des aufbereiteten Materials münden lässt.
Ihre Mischung aus Präsenz und Abwesenheit, von Perfektion und Nonchalance
beeindruckt . Sie ist eine Frau mit Witz und Charme, eine Artistin, die
mit ihren Kollegen ausgesprochen freundschaftlich umgeht. Treffsicher zog
sie die begabtesten Schüler und Mitarbeiter heran, um Projekte wie
beispielsweise »Raumstrukturen / Menschenspuren« zu realisieren. Im Gewirr
von Bürokratie und anderweitigen Angeboten zeigt Hickl, wie frei man mit
einer oft übermächtig wirkenden Technologie umgehen kann. Sie beschäftigt
sich zwar kritisch, aber gleichzeitig mit Begeisterung mit einem Medium,
daß gerade die deutsche Kunstszene nur mit einem gehörigen Maß an
Kulturpessimismus behandelt.
Für Hickl richtet sich das verstärkte Interesse am Verständnis der Neuen
Medien auf die "weichen" Formen des Symbolischen und deren Deutung. Die
Symbole bewußter oder unbewusster Art, die überall in der menschlichen
Lebenswelt präsent sind, wurden lange Zeit nur von wenigen Künstlern
wahrgenommen. Kein Blick ist unschuldig, erst recht nicht im Zeitalter
mechanischer Reproduktionsmedien. Jeder Blick ist insgeheim Manipulation,
bemächtigt sich dessen, was er fixiert. Und gerade auch die Leinwand ist
davon betroffen. Erfahrungen auf unterschiedlichen Gebieten der
Druckgrafik, vor allem in verschiedenen Radiertechniken und Lust auf die
Herausforderung der neuen technischen Medien haben bewirkt, daß sich Hickl
mit dem Computer auseinandersetzt, um ihn im Hinblick auf seine
druckgrafischen Möglichkeiten und Qualitäten zu untersuchen. Ein Computer
verbunden mit einem Laserdrucker, der samtiges Tiefschwarz drucken kann,
ein Scanner, mit dessen Hilfe sie Vorlagen übertragen kann, ist ihr
Handwerkszeug. An Programmen benutzt Hickl das 'Aldus FreeHand'
Zeichenprogramm, mit dem treppenlose Linien gezeichnet werden können und
'Adobe Photoshop'. Sie zeichnet mit der sperrigen Maus, nicht mit
einem speziellen Zeichenstift.
Nicht immer findet, wer sucht. Doch gibt eine unabgeschlossene Suche
oftmals mehr her, als ein vermeintlicher Fund. Mit methodischer Neugier
spielt und experimentiert Hickl mit den unterschiedlichen Funktionen der
Programme: sie kombiniert, trennt, überlagert, verdichtet, verzahnt,
überdruckt, verkleinert, vergrößert, zerschneidet… mit dem Ziel, eine Art
von Räumlichkeit, Transparenz und Stofflichkeit zu erreichen, die ihren
Bildvorstellungen entspricht, die sich wahrscheinlich von dem, was
gemeinhin unter Computergrafik bezeichnet wird, sehr unterscheidet und die
dennoch absolut computerspezifisch ist, und sich mit keinem anderen
Werkzeug so erzeugen lässt. Eine Ironie der Technik, die Walter Benjamin
in seinem berühmten Kunstwerkaufsatz nicht erahnen konnte: Das
Reproduzierte läuft dem Original den Rang ab. Zugleich aber müssen die
Artisten feststellen, daß Zeichen unterschiedlich gelesen werden. Der
Computer an sich, ist kaum mehr als eine Rechenmaschine, die für alle
möglichen Zwecke und Ziele ge– und missbraucht werden kann, je nach
Programmvorgaben und Nutzerphantasie. Es gibt nicht die eine,
'werkgerechte', genuine Computergrafik, geschweige denn Computerkunst,
sondern eine schier unerschöpfliche Vielzahl von Möglichkeiten, sich
diese Maschine als Werkzeug nutzbar zu machen.
Die Konzeption für eine Werkgruppe entsteht in der Auseinandersetzung mit
der Maschine. Je mehr Hickl sich auf ihre Bedingungen, Eigenheiten und
Gesetzmäßigkeiten einlässt, desto willfähriger folgt sie – scheinbar
paradoxerweise – ihren Vorstellungen und Impulsen. Und wehe, wenn sie der
Maschine etwas aufzwingen will! Ein Reservoir an Widerständen tut sich
sekundenschnell auf. So wechseln Phasen zähen Ringens mit Phasen
erstaunlicher Leichtigkeit. Und beide können zu brauchbaren Ergebnissen
führen. Zufälle und vermeintliche Fehler werden integriert und zum
Auslöser neuer Ideen und Arbeitsschritte. Viele Arbeiten sind Unikate oder
nur in kleinen Auflagen vorhanden, weil Produkt etlicher, schwer
wiederholbarer Mehrfachdruckverfahren. Das kleine, intime Format hat sich
als angemessen für diese Arbeitsweise erweisen. Einerlei, ob Bilder analog
oder digital entstehen, sind Wahrheit und Fiktion kaum voneinander zu
unterscheiden; geht man nur nah genug heran, verlieren die Bilder ihren
Informationswert und die Konstruiertheit seiner Bildwelten wird sichtbar.
Hickl verwischt die Grenzen zwischen Fotografie und Malerei. Ihre
detailgetreue Wiedergabe erweist sich als unerwartet abstrakt. Wird
Fotografie erst in der Verweigerung des Abbildhaften autonome Kunst?
Ein ähnliches Erscheinungsbild gemalt gäbe weniger Rätsel auf, denn
erst die fotografische Produktionsbedingung provoziert den Diskurs über
das vermeintlich Reale. Dabei sind diese digitalen Abzüge so konkret wie
die Lichtbilder des Bauhauses: Sie dokumentieren den direkten Lichteinfall
bei der Entwicklung eines Farbfotos. Das wird im Vergleich zur
Stillebenmalerei vergangener Jahrhunderte deutlich. Die Stilllebenmaler
malten die Dinge so wirklich wie möglich (weswegen man auch von trompe
l’œil spricht) und ließen aus Farbe Früchte, Blumen und Tiere lebensecht
und zum Greifen nah entstehen. Sie ahmten auch Druckstellen, faule Flecken
oder Wurmlöcher nach, um die Betrachter immer näher und tiefer ins Bild zu
locken. Hickl verführt ebenfalls mit einer perfekten malerischen Illusion
der Bodenfläche, aber dann stößt sie ihre Betrachter zurück. Statt auf
mehr Information und Details treffen wir beim Nahekommen auf immer
weniger. Was gerade noch eine betörend wirklichkeitsgetreue Wiedergabe
war, zerfällt in Farbflächen. Das Abbild wird beinahe abstrakt, das
Gemalte erscheint künstlich und gar nicht mehr realistisch. Die Aufdeckung
dessen, was Bilder im Innersten zusammenhält, ist befragbar. Die digitale
Bearbeitung löst Motive aus ihrem ursprünglichen Kontext und das
generierte Bild wird wiederum zu einer allgemeingültigen Analogie. Der
Betrachter, die Betrachterin kann sich auf das einzelne Bild
zubewegen, ihm entgegen– kommen, es bedarf der Überwindung der Distanz.
Das Netz als "demokratisches" Medium globaler Information mißzuverstehen,
das wird anhand ihrer Arbeiten klar, ist ein Fehler. Hickl will eine
Begegnung zwischen den Abgebildeten und dem Betrachter ermöglichen. Sie
lenkt den Blick auf die manipulative Verführungsmacht der Bilder und nutzt
dieses Wissen als Instrument kritischer Weltsicht im Umgang mit aktuellen
Bildern unseres Alltags: Leben die Bilder ganz aus sich selbst?
Oder ist es nicht vielmehr so, daß erst die Betrachter – quer durch die
Zeiten – ihre flüchtigen Konstruktionen und Leseweisen ihnen einschreiben?
Das Vergrößern von kopiergeschützten, reduzierten Bildinformationen im
Internet ist eine Strategie, die nicht nur die Konsistenz digitaler Bilder
reflektiert, sondern auch die Malerei, die sich fotorealistisch nennt. Was
sehen wir, wenn wir meinen ganz nah an der Realität dran zu sein?
Hickl ist ein inspirierender Geist, sie liebt die sogenannten Neuen Medien
und führt sie aber zugleich vor, indem sie diese Maschinen humanisieren
will. Weil hier mediale Archäologie mit einer Entdeckerfreude
zusammengeht, unterstreichen diese Arbeiten die zunehmende Bedeutung des
Bildes, welches heute die Wortkultur überlagert hat und die Sinne
usurpiert. Licht, Perspektive, Spiegelung und die Illusion von Bewegung
verleihen den Abbildungen einen geheimnisvollen Charakter. Ihre
Perspektive ist auch eine Anspielung auf die Tradition der Malerei bis in
die Postmoderne. Seit der Erfindung der Zentralperspektive wurde ein
Gemälde als Fenster in eine andere, höhere oder künstliche Wirklichkeit
verstanden. Die Nachahmung der Welt war dafür die Bedingung. In der
Postmoderne wird das Abbilden verworfen und die Bildfläche in ihrer
Flächigkeit zum Gegenstand gemacht.
Der Baukasten der Postmoderne generiert laufend neue Bilder, am Computer
entworfen, vermischt sich die verfügbaren Ikonen miteinander. Virtuelle
und wirkliche Welten überlagern sich, um sich zu einem Bild
zusammenzufügen. Beim Betrachten ihrer Bilder fühlt man sich an Nikolaus
Cusanus' Schrift »De Visione Die« erinnert, in der ein blickendes Bild
beschrieben wird, von dem sich der Betrachter immer schon wahrgenommen
weiß. Hier wird der Sehende zum Gesehenen, der Suchende zum Gefundenen. So
homogen ihre Werkgruppen sind, so heterogen erscheint die Handschrift der
Artistin, wenn man die
Werkgruppen nebeneinander stellt, vielfältig wie das Leben selbst.
Matthias Hagedorn, Bismarkturm, Sommer 2005
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