Pia Lund
aus Dortmund
erhält in Anerkennung ihres musikalischen Werks
das Hungertuch für Musik 2007
Man kann über Pia Lund nicht sprechen
und dabei über Phillip Boa schweigen. Die tiefe erdenschwere Stimme Boas
wurde stets begleitet vom ätherischen Gesang Lunds; am ohrenfälligsten in
Songs wie "Container Love" und "And Then She Kissed Her".
Nach ihrer Trennung vom Voodooclub begab sich Lund mit ihrem ersten Album
Lundaland auf einen eigenwilligen musikalischen Weg abseits ausgetretener
Pfade. Twilightzone. Elfen flüstern, magische Zeichen erinnern an uralte
Zeiten. Inmitten von sphärischen Klängen und diffusem Licht eine
engelsgleiche Stimme, Pia Lund. Ungreifbar, betörender Lorelei–Gesang,
eine eigene Welt. Mit Lundaland legt sie ein konzeptionelles Album vor,
das massiv attackiert. Madonna mia, plumpe Vergleiche zum zeitgeistlichen
Trend wollen wir lieber vermeiden, kommen aber nicht umhin, auf die
offensichtliche, gleichzeitig kommerzielle wie innovative Art der
Produktion hinzuweisen. Dem Output der deutschen Musikszene weit voraus,
ist Lundaland eine Reise in relaxte, elektronische Gefilde, an soulige
Gestade und durch sphärische Weiten. Weder schmalzig noch intellektuell
überfrachtet saugen sich die Songs an den Synapsen fest, gleiten leise, doch kraftvoll in das Unterbewusstsein.
Die Perlen vom Grunde des Lundaland Meeres sind eine poetische Reflexion
über die fin–de–siècle–Stimmung und weisen gleichsam über sie hinaus.
Natürlich ist es Rock'n'Roll, aber einen Unterschied macht es schon, wenn
eine Frau, wie in "Charlamane", eine Hure philosophieren lässt, wir bei
"Uh Uh Yeah" am Strand hin und her gerissen sind und uns bei "Shining
Bright" an der verletzbaren Aussenhaut zur Welt bewegen.
Ihre Songs haben eine, im besten Sinne, intime Stimmung, gleiten aber nie
ins exhibitionistische ab. Die bittersüsse Melancholie dieser Heroine hat
mit Reife zu tun. Sicherlich kann man "Dear Mary" als eine akustische
Ermutigung an eine gute Freundin hören, einen gesungenen Brief. Es gilt
mit "The Very Heart" die innere Kraft zu entdecken und
sich wiedergeboren zu fühlen und sie liefert sich mit "The Kiss" der
widersprüchlichen Auseinandersetzung zwischen Verstand und Gefühl aus.
Aber das ist genauso beiläufig wie die Verwendung von "Venus
Chrystal", dem schönsten Liebestext, den Phillip Boa je geschrieben hat.
Lund verfügt über eine Gelassenheit, mit der sich die Einsamkeit und
Fantasie in der Nacht, wie in Illusion, aushalten lässt. Sie scheint
zwischen den Zeilen sardonisch zu lächeln, wenn sie in "Forever" "i could
have lived for you / i could have died for you" zwitschert. Nach dieser
kraftvollen Referenz lässt sich mit "How a Flower Grows" eine entspannte,
poetische Sichtweise über die Hinwendung zum Licht einstreuen.
Was sich bei ihren Solo–Projekten Lundaland, Gift und dem Remix–Album
La Folie Angelique musikalisch entfaltet, setzt sich auch in ihrer Arbeit
als Bildhauerin fort. Biomorphe Formen beherrschen ihre Bildsprache. Diese
Artistin nimmt Bezug auf neue Tendenzen in der künstlerischen
Auseinandersetzung mit Aspekten des Lebendigen und konzentriert sich dabei
besonders auf Holzskulpturen, die explizit biologisches Formenvokabular
darstellen. Das Geometrische tritt zurück, in manchen Plastiken
verschwindet es sogar ganz. Diese freien Formen wirken wie ein Antidot auf
jene Ornamentik, die sie auch in ihren Songs vermeidet, weil sie lediglich
um ihrer selbst Willen bestehen.
Lunds Geheimnis besteht darin, dass sie sich die Fähigkeit erworben
hat, sich von Nebengeräuschen zu befreien.
A.J. Weigoni, Galerie Andreas Brüning, Januar 2008
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