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Das Hungertuch

Erstmals verliehen
am 16. Dezember 2001 in Düsseldorf!

Hungertuch-Startseite

Die Laudatio auf die Preisträger von Dr. Enrik Lauer

 

Tom Täger
aus Mülheim an der Ruhr
erhält in Anerkennung seines Lebenswerks
das Hungertuch für Musik 2001

 

Seit 1981 ist Tom Täger an Produktionen mit 'Comalounge', 'Die Regierung', 'His Girl Friday', 'Die Sterne', 'MissFits', Combos aus der Weltmusik, Life–Mixen für Musicals an der Folkwangschule Essen, und anderen beteiligt. Mit großer Kompetenz und menschlicher Wärme betreut Tom Täger “Behinderte und Bekloppte” sowie exzentrische Künstlerpersönlichkeiten.

1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte "Seine größten Erfolge". Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr.
Nach der Produktion von Helge Schneiders Hörspielen folgten Hörbuchproduktionen mit dem Minnesänger Ludmillus, der seit 1994 die Herzen seines Publikums mit mittelalterlicher Musik und galanter Unterhaltung erfreut. Der neuzeitliche Barde reist mit seiner Cister “Nelly” und drei Hörbüchern im Gepäck durch die Lande. In der Tradition von Walther von der Vogelweide singt Ludmillus Lieder der gleichberechtigten Liebe oder schildert erotische Erlebnisse. Im Frauenlied wiederum wird der Minnedienst aus der Sicht der angebeteten Frau betrachtet. Sie nimmt den Minnedienst entgegen und drückt ihr Bedauern aus, daß sie ihn – natürlich – zurückweisen muß. Ludmillus ist Haus– und Hofbarde auf dem “Lager der Spiel– und Handwerksleut’” des renommierten Mittelalterveranstalters “Kramer, Zunft und Kurzweil”. Ludmillus spielt auf Burg– und Schlossfesten, sowie historischen Stadtfesten im ganzen Land, und seit Anno Domini 1999 gehört er zur erlesenen Schar jener, die jährlich zum Bardentreffen auf die Marksburg eingeladen werden. Diese Auftritte wurden von Täger mit dem Hörbuch »Live« eindrucksvoll dokumentiert.

1995 begann die Zusammenarbeit mit A.J. Weigoni, der sich seit langem mit Trivialmythen beschäftigt, die sich in Groschenheften, in der Schlagermusik, im Kino und in Fernsehserien manifestieren. Täger hat gleichfalls ein Faible für Trivialmythen, ihn faszinieren die technischen Entwicklungen der elektronischen Medien. Seine vielgestaltige Arbeit als Musiker und Produzent im Tonstudio an der Ruhr läßt sich exemplarisch an der Produktion »RaumbredouilleReplica« darstellen. „Was heute noch wie ein Märchen klingt..." – so haben sich die Deutschen in den 60–er Jahren des 20. Jahrhunderts die Zukunft vorgestellt, als militärischen Staat, in dem die Akteure in einem Rhythmus reden, der sich als Vorläufer des Raps hören läßt. "Es gibt keine Nationalstaaten mehr, es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien."

Die RaumbredouilleReplica berücksichtigt die Anforderung des klassischen Science–Fictions (Bedrohung der Planeten, Rettung desselbigen) und ergänzt sie um Chiffren der Popkultur. Was für das "Raumschiff Enterprise" die Klingonen, waren ‘die Frogs’ für "Raumpatrouille Orion", der deutschen Science–Fiction–Serie mit Kultstatus und Heimwerkerappeal: Bügeleisen dienten dem hochtechnisierten Raumschiff als Schaltgeräte, und brennende Tennisbälle flogen durch die wolkenlose Weite des Himmels. Legendär auch das Raumfahrerkasino, in dem nach geglückter Mission zukunftsweisend Rücken an Rücken getanzt wurde. Die neu aufbereitete Tonspur dieses Straßenfegers hält ein weiteres ungeahntes Abenteuer mit Wolfgang Völz, Claus Holm, Charlotte Kerr und andere. bereit. Wie meinte Dietmar Schönherr nach bestandenem Abenteuer: "Rücksturz zur
Erde". Bei der Hörspielcollage RaumbredouilleReplica geht es in einer
Invasion der Geistesgegenwart um alles: Die Bedrohung der Erde. Einen gesteuerten Schnellläufer. Eine Invasion und natürlich: Die Rettung der Erde. Selbstverständlich mit einem Humor, der Lichtjahre von der Spaß– und Eventkultur dieser Tage entfernt ist.

Die Produktion »Señora Nada« (auf dem Hörbuch »1/4 Fund«) provoziert mit einem ‘stream–of–consciousness’ durch Inhalte und nicht durch
Dolby–Surround. Darin begleitet Täger die Schauspielerin Marina Rother mit einer Musik der befreiten Melodien. Seine Komposition zu »Señora Nada« ist durchsetzt von minimalistischen und improvisatorischen Erfahrungen, das Klangbild wird von experimentellen Klängen zu Trivialklängen in Bezug gesetzt. Die Vertonung ist rasch im Grundtempo. Crescendo– und Decrescendo–Verläufe schaffen fiebrig–erregte Ausdruckszonen wie die buchstäblich hervorbrechenden Forte– und Fortissimo–Attacken. Es gibt Momente, da berühren sich Musik und Sprache, wie eine Fingerkuppe vorsichtig in eine gespannte Wasseroberfläche eintaucht. Diese behutsamen Momente der molekularen Ädhasion sind Augenblicke, in denen für ein paar Takte kaum etwas zu hören ist. Es sind Sekunden von viel größerer Kraft als jedes Crescendo. Das Angebot, das in dieser Musik liegt, ist eine Herausforderung.

Wenn sich gegen Ende von »Señora Nada«, die Komposition zu einem leeren Quintklang zusammenzieht, haben die Takte dieses Hörstücks Welten an Ausdruck, Dynamik, Ambitus durchschritten. Man weiß es nicht so genau, ob die Ruhe nach dem Sturm nachklingt oder eine im statischen Quintklang erstarrte Erschöpfung. Die Vertonung Tägers fügt sie – mit allen Kontrasten von Tempoverläufen, Klangdichten, dynamischen Abstufungen – über die Wortbedeutungen hinweg zu einer einleuchtenden Zyklik. Klänge und Strukturen sind eigenartig: ähnlich und doch immer wieder neu, streng und doch offen. Das Zuhören führt an ein Zeitempfinden heran, wie es in dieser Weise selten zu erleben ist. Jedes Kunstwerk erinnert an den Geist und die Erweiterbarkeit des menschlichen Horizonts. Dieses Werk hat das Bewußtsein geöffnet und nicht einfach nur die öffentliche Nachfrage nach Schönheit bedient.

Kunstraum Düsseldorf, Dezember 2001 (Überarbeitet von M.H.)