Proömik und Disseminatorik

A. Abbreviaturen transklassischen Denkens.
B. Operationale Modellierung der Proemialrelation.

Rudolf Kaehr & Thomas Mahler

rolf@maya.ping.de, tmahler@xpertnet.de

erschienen in: Jahrbuch für Selbstorganisation,
Realitäten und Rationalitäten, Duncker & Humblot, Berlin 1995

Abstract

Part A: Abbreviaturen transklassischen Denkens.

Some new not yet formalized concepts about disseminatorics, kenogrammatics and dialogics are given. Limitations of semiotic thinking, possible relations about reality and rationality are abbreviated.

Part B: Operationale Modellierung der Proemialrelation.
The proemial-relationship is one of the basic transclassical concepts of polycontexturality. The present paper developes a modelisation of the proemial-relation in analogy to graph-reduction based implementation techniques for functional languages.
A proemial combinator, PR, is designed, which is proposed as an extension of functional programming languages and as an implementation technique for process communication and computational reflection.

Keywords: combinatory logic, computational reflection, disseminatorics, functional programming, kenogrammatics, lambda-calculus, parallel processing, polycontexturality, proemial relationship, semiotics.

 

A. Abbreviaturen transklassischen Denkens.

I Grenzsituationen klassischer Rationalität

1 Selbstreflexion vs. Selbstbezüglichkeit

Die Rückbezüglichkeit des Denkens, die bei der Infragestellung des Denkens angsichts seiner Grenzen entsteht, stellt es vor zwei Möglichkeiten:

a) das Denken bezieht sich auf sich selbst und vollzieht einen Selbstbezug im Modus der durch das Denken selbst bereitgestellten Form des Denkens, der Identität. Dieser Modus der Identität garantiert dem Selbstbezug des Denkens seine Rationalität, opfert diese jedoch im Vollzug der Selbstbeziehung dem Abgrund der Antinomien jeglichen regelgeleiteten selbstbezüglichen Argumentierens und Kalkulierens.

b) das Denken bezieht sich auf sich selbst, nicht im Modus der Identität, d.h. der Selbigkeit, sondern im Modus der Gleichheit als Andere ihrer selbst. Damit vermeidet die Selbstreflexion antinomische Situationen, verliert jedoch die Garantie, d.h. jegliche Form egologisch fundierter Evidenz, daß sie sich in ihrem Selbstbezug nicht selbst verfehlt und nicht im Labyrinth ihrer Aufgabe, den Bezug auf sich selbst zu vollziehen, an sich selbst als Andere ihrer selbst irre wird.

Im ersten Fall ist der Ausgangspunkt des Denkens das Ich, “Ich denke (mich).” bzw. “Ich denke etwas und dieses etwas bin ich.”, in der zweiten Form ist das Denken selbst der Ausgang und das Ich ein Produkt, eine Kristallisation des Denkprozesses selbst. Die Selbstbezüglichkeit des Denkens geht vom Ich aus und erkennt anderes Denken nur in Ich-Form als Analogie seiner selbst, ihm bürdet die Last der Deduktion des Anderen. Die Antinomien in die es sich verstrickt werden entweder verdrängt; durch Verbote, die den Grad des Selbstbezugs einschränken, eliminiert oder aber emphatisch domestiziert.

Die Selbstreflexion des Denkens geht aus vom Denken und räumt so die Anerkennung anderen Denkens ein als Du-Subjektivität; verläßt dadurch jedoch das sichere Terrain der klassischen Ontologie und ihre Operativität.

2 Die Grenze des Denkens und das Denken der Grenze

Die Grenze des Denkens ist der identitätsgeleiteten Vernunft als Grenze verborgen. Die Vernunft kennt die Grenze nur von innen als Ab- und Angrenzung. Außerhalb der Vernunft gibt es keine Vernunft.

Die Grenze als Grenze der Vernunft läßt sich jedoch nur denken als ein Zugleich von Innen und Außen der Vernunft. Dies ist jedoch im Modus der Identitätslogik nicht möglich, denn ihre Operatoren gelten einzig innerhalb der einen und einheitlichen Logik. Eine immanente Grenze kennt die Logik einzig als metasprachlich formulierter Dualitätssatz, als Eingrenzungen fungieren die Limitationstheoreme. Das Äußere der klassischen Logik zeigt sich in der Morphogrammatik als ihre operationale Unvollständigkeit.

3 Die Ressourcen des Denkens

Das Denken vollzieht sich im Medium des Zeichengebrauchs. Die Semiotik als formalisierte Theorie des rationalen Zeichengebrauchs kennt nur die abstrakte Verknüpfung (Konkatenation/Substitution) von vorgegebenen Zeichen eines (beliebigen, endlichen oder unendlichen) Zeichenrepertoires, das allerdings formal auf zwei Elemente (Atomzeichen und Leerzeichen) reduziert werden kann. Das Zeichen als Zeichengestalt trägt sich im Denken aufgrund der Trägerfunktion der Materialität des Zeichenereignisses. Die Differenz von Zeichengestalt und Zeichenvorkommnis kommt in der Semiotik selbst nicht zur Darstellung; sie ist ihre verdeckte Voraussetzung.

Die Zeichengestalt verbraucht sich nicht im Gebrauch ihres Ereignisses. Der Modus der Wiederholung des Zeichens ist abstrakt und gründet sich auf der Abwesenheit des Subjekts und der Annahme der Unendlichkeit der Ressourcen (Raum, Zeit, Materie).

4 Die Ver-Endlichung des Unendlichen

Der Prototyp jeglicher Operativität ist die Arithmetik der natürlichen Zahlen. Die Struktur der Arithmetik kennt Nachfolger und Vorgänger; jedoch keinen Nachbarn. Dies ist ihre Linearität. Zur Bestimmung der natürlichen Zahlen ist die Unendlichkeit des Operierens Voraussetzung. Ihre Einführung verdankt sie den Diensten einer Schrittzahl, die im Vollzug selbst nicht der Arithmetik angehört; sie bedient sich der Zirkularität. Desweiteren verbleibt sie im Abstrakten: ihre Unizität läßt sich nur bis auf Isomorphie und nicht auf Konkretion hin bestimmen. Auch ist das Endliche enthalten im Unendlichen.

Entfällt das Ideal der Linearität und Unizität der natürlichen Zahlen, und kommen gleichursprüngliche Zahlensysteme als Nachbarsysteme ins Spiel, proömialisiert sich die Hierarchie von Kardinalität und Ordinalität, von Endlichkeit und Unendlichkeit wie von Abstraktheit und Konkretheit.

So ist die Kardinalität einer natürlichen Zahl nicht mehr allein bestimmt durch ihre Nachfolgeroperation, sondern mit durch ihren Ort in der Tabularität.

II Realitäten/Rationalitäten: Das Spiel der Spiele

Ein Hauptproblem einer transklassischen Weltauffassung liegt in der philosophischen Neubestimmung des Verhältnisses von Einheit und Vielheit.

Zwischen Welt und Logik-Kalkül oder zwischen Semantik bzw. Meontik und Architektonik einer formalen Sprache gibt es in der Graphematik prinzipiell nur vier Stellungen:

1. eine Welt/eine Logik (Tarski, Scholz),

2. eine Welt/viele Logiken (Grosseteste, Wilson),

3. viele Welten/eine Logik (Leibniz, Kripke) und

4. viele Welten/viele Logiken (Günther, Derrida).

Nach dieser Schematik regelt sich auch das Verhältnis von Realität(en) und Rationalität(en).

Bei der 1. Stellung wird das Problem der Vielheit in die Metasprache und ihre Typenhierarchie verlagert. Auf der Ebene der Objektsprache gibt es einen und nur einen allgemeinen Individuenbereich über den Attribuierungen und Sorten gebildet werden können, die letztlich auf eine 2-wertige Wahrheitswertesemantik abgebildet werden. Für die Typentheorie gelten dabei die bekannten Typen-Reduktionssätze. Ausgeschlossen bleibt die Option der Heterarchie, d.h. der selbstbezüglichen und simultan über mehrere Sprachschichten verteilten Begriffsbildungen. Es gibt also eine Realität und eine Rationalität, d.h. es gibt ein Original und ein Spiegelbild davon wie auch Spiegelbilder von Spiegelbildern ohne Abschluß.

Zur 2. und 3. Stellung. In der Autopoiesetheorie wird zwischen Realität und Wirklichkeiten und ihren Theorien unterschieden, die Resultat der unerkennbaren Realität sind. Die Unterscheidung von de dicto und de re eines Observers fängt die Vielheit in mehreren Logiken als mehrwertige Produktlogik auf.

Komplementär dazu ist die Situation in der Endo-/Exophysik, wenn die Grundstruktur “zweiäugig” als Modell von (Modellen und Fakten), als Meta-Modell charakterisiert wird. In der Kripke-Semantik gibt es jedoch keine Simultaneität und Synchronizität von Semantiken, denn diese sind fundiert in einer mono-kontexturalen Logik. Soll die Grenze simultan von innen wie von außen bestimmt werden, und nur so ist sie als Grenze und nicht als Limes begriffen, ist eine Logik des Zugleichbestehens von gegensätzlichen Situationen unabdingbar.

Dies erinnert an die reflexionstheoretische Situation der Reflexion der (Reflexion in-sich und anderes). Auch hier gibt es nur die Flucht in die Abstraktheit (des letzten Modells) oder die Verstrickung in Zirkularitäten, wenn nicht die letzthinnige Einheitlichkeit des Denkens und Handelns geopfert wird.

Die 4. Stellung sprengt den Rahmen der klassischen Logikkonzeptionen und kann nur transklassisch paradox gekennzeichnet werden als `ein Weltspiel von vielen Welten und vielen Logiken' oder als `Zusammenspiel vieler Welten und vieler Logiken in einem Spiel'. Solche Spiele sind ohne Grund. Dies ist die Situation der diskontexturalen Option. Ohne diese Kennzeichnung fällt sie in die erste Stellung zurück. Dieses Geviert von Welt und Logik expliziert die Dekonstruktion der Begrifflichkeit von Identität und Diversität im Hinblick auf die jeweils vorläufige Einführung der doppelten und gegenläufigen Unterscheidung von Selbigkeit(en), Gleichheit(en) und Verschiedenheit(en).

III Proömik vs. Hierarchie

5 Chiasmus und Zirkularität: Nicht jeder Kreis geht rund

Was Grund und was Begründetes ist, wird geregelt durch den Standort der Begründung. Der Wechsel des Standortes regelt den Umtausch von Grund und Begründetem. Es gibt keinen ausgezeichneten Ort der Begründung. Jeder Ort der Begründung ist Grund und Begründetes zugleich. Orte sind untereinander weder gleich noch verschieden; sie sind in ihrer Vielheit voneinander geschieden. Für die Begründung eines Ortes ist eine Vierheit von Orten im Spiel. Warum jedoch eine Vierheit von Orten? Diese läßt sich ins Spiel bringen, wenn wir die Möglichkeiten der Operativität einer Operation uneingeschränkt gelten lassen.

Bei einer Operation unterscheiden wir Operator und Operand. Zwischen beiden besteht eine Rangordnung, der Operator bezieht sich auf den Operanden und nicht umgekehrt. Diese Hierarchie ist bestimmend für alle formalen Systeme und erfüllt die Bedingungen logozentrischen Denkens. Wollen wir aber selbstbezügliche Strukturen erfassen, so haben wir vorerst zwei zirkuläre Möglichkeiten: 1. was Operator war wird Operand und 2. was Operand war wird Operator. Unter den logischen Bedingungen der Identität erhalten wir dadurch zwei komplementäre antinomische Situationen. Obwohl zwischen Operator und Operand eine Dichotomie besteht, ist danach ein Operator genau dann Operator, wenn er Operand ist und ein Operand genau dann Operand wenn er Operator ist.

Diese doppelte, links- und rechtsläufige Widersprüchlichkeit, die wegen ihrer Isomorphie selten unterschieden wird, läßt sich vermeiden, wenn wir die Umtauschverhältnisse zwischen Operator und Operand über verschiedene Orte verteilen. Diesen Möglichkeitsspielraum eröffnet uns die Unterscheidung von Gleichheit(en) und Selbigkeit(en).

Was Operator an einem Ort, ist Operand an einem andern Ort und umgekehrt. Damit wird die Umtauschrelation zwischen Operator und Operand nicht auf sich selbst, am selben Ort und damit zirkulär angesetzt, sondern über verschiedene Orte distribuiert. Am jeweiligen Ort bleibt die Ordnungsrelation zwischen Operator und Operand unberührt. Der chiastische Mechanismus läßt sich bzgl. Umtausch-/Ordnungsrelation und Operator/Operand zusammenfassen: Die Ordnungsrelation zwischen Operator und Operand einer Operation wird fundiert durch die Umtauschrelation, die der Ordnungsrelation ihren jeweiligen Ort einräumt; die Umtauschrelation zwischen Operator und Operand wird fundiert durch die Ordnungsrelation, die verhindert, daß sich der Umtausch zirkulär auf sich selbst bezieht.

Wie leicht einsichtig, werden in diesem Chiasmus vier Orte eingenommen bzw. ge-/verbraucht. Damit sind alle strukturellen Möglichkeiten zwischen Operator und Operand im Modus von Gleichheit und Selbigkeit durchgespielt. Deshalb, und weil mit der Unterscheidung Operator/Operand eine Elementar-Kontextur bestimmt ist, beginnt die Polykontexturalität nicht mit Eins, sondern mit Vier; daher hier die Vierheit.

Für die polykontexturale Logik bedeutet dieser sukzessive Aufbau der Bescheibung einer Zwei-Seiten-Form (Operator/Operand), daß insgesamt sechs Logiksysteme involviert sind.

Im Durchgang durch alle strukturell möglichen `subjektiven' Beschreibungen des Observers wird das Objekt der Beschreibung `objektiv', d.h. observer-invariant `als solches' bestimmt. Das Objekt ist also nicht bloß eine Konstruktion der Observation, sondern bestimmt selbst wiederum die Struktur der Subjektivität der Observation durch seine Objektivität bzw. Objektionalität. Der auf diesem Weg gewonnene Begriff der Sache entspricht dem Mechanismus des Begriffs der Sache und wird als solcher in der subjekt-unabhängigen Morphogrammatik inskribiert. Damit entzieht er sich der logozentrischen Dualität von dekonstruktivistischer Lichtung `letzter Worte' und dem ironisch-pragmatizistischen Spiel mit ihren Familienähnlichkeiten.

6 Die als-Funktion in der Proemialrelation

In der bisherigen Argumentation wurden identitätstheoretische Implikationen insofern mitgetragen, als die Sprechweise von Operator und Operand diese mit sich selbst als “der Operator” bzw. “der Operand” identifiziert haben. Dies war notwendig, weil wir ausgehend von klassischen Vorgaben ein transklassisches Konstrukt eingeführt haben. Ist dieses einmal eingeführt, läßt sich die Komplexion invers neu beschreiben, wobei strukturelle Asymmetrien der Konstruktion entstehen.

1. Als erstes stellen wir fest, es gibt keine isolierten Objekte (Operator bzw. Operanden) zwischen denen nachträglich eine Beziehung (Ordnungs- bzw. Umtauschrelation) hergestellt wird. Erst durch das Beziehungsgefüge wird das Objekt als das bestimmt als das es im Konnex fungiert. (Es gibt also nicht erst die Brückenpfeiler über die dann die Brücke gespannt wird.)

2. Die identifizierende Sprechweise erweist sich als verdinglichende Reduktion der als-Struktur.

Danach lautet die Sprechweise nicht mehr etwa “der Operator steht in einer Ordnungs- und simultan in einer Umtauschrelation”, sondern “der Operator als Operator steht in einer Ordnungsrelation zu einem Operanden als Operanden und der Operator als Operand steht in einer Umtauschrelation zu einem Operanden als Operator”. D.h. der Operator steht als Operator in einer Ordnungsrelation und als Operand in einer Umtauschrelation. Es gibt in einer Komplexion keinen Operator an sich, isoliert vom Ganzen, sondern nur in seiner Autologie als der Operator als Operator.

Es ist also bloß eine Abbreviation, allerdings eine irreführende, wenn das Wechselspiel zwischen Operator und Operand klassisch chiastisch formuliert wird als “was Operator war wird Operand und was Operand war wird Operator”. Erst durch die Bestimmung des Operators als Operator und als Operand kann er `simultan und synchron' als beides zugleich fungieren ohne sich dabei in logische Zirkularitäten zu verstricken. Das Zugleich von Operator und Operand ist nicht in Raum und Zeit und nicht im Subjekt und Sein, sondern `generiert' diese allererst.

Als ist nicht als ob

“Du und Ich stellen ein reines Umtauschverhältnis dar. Sie können nicht ineinander übergehen und sich miteinander vermischen.” (Günther)

Die als-ob-Sprechweise nivelliert die Entschiedenheit des Wechsels wie er in der als-Funktion auftritt durch eine Fiktionalisierung des Objekts im Modus seiner, nun virtuellen Identität.

“Versetze dich in seine Situation!”: wie soll das funktionieren, wenn ich mir bloß imaginieren kann, wie es ist, wenn ich du wäre. Dann habe ich bloß eine Vorstellung und durch diese induzierte Erlebnisse von deiner Situation, jedoch nicht von dir selbst, noch bin ich bei dir. Keine Einfühlung (Husserl) führt letzten Endes von mir zu dir und von dir zu mir; hierbei verbleibst du mir virtuell.

Anders ist es, wenn Ich als Du, und Du als Ich, im Wechselspiel ihre Funktionalität vertauschen. Dann kann Ich als Du und Du als Ich handeln, ohne sich dabei aufgeben zu müßen, was ohnehin nicht möglich ist, noch muß ich dir und du mir unerreichbar bleiben. Durch die als-Funktion bleibt die Instanz, von der aus ich du bin und von der aus du ich bist, erhalten. Was ich verdecke, ent-deckst du und was du ver-deckst, entdecke ich; in diesem Zusammenspiel ent-gründen wir unsere Welt und ihr Spiel. Ohne dieses Zugleich der gegenseitigen und gegenläufigen Anerkennung bist weder Du noch Ich. Die logozentrische Form der Rationalität schließt uns beide aus; in ihr gibt es weder Du noch Ich. Du und Ich sind ihr einzig grammatikalische Unterscheidungen ohne letztliche Relevanz für ihr Wirklichkeitsverständnis.

Als Ich bin Ich Du und versetze mich modal in deine Situation ohne mich meiner Existenz als Ich entheben zu müßen. Wer garantiert mir sonst meinen Weg zurück zu mir, wenn ich mich voll und ganz mit dir vermische? Auch wenn ich ganz bei dir bin, verliere ich mich nicht in dir. Die Orte bleiben geschieden, ihre Verschiedenheit ermöglicht überhaupt erst unser Wechselspiel. Zu verstehen gibt es hier nichts.

7 Die Sprung-Funktion in der Proemialrelation

“Der Satz des Grundes ist der Grund des Satzes.” (Heidegger)

Die Proömik regelt den Absprung vom Identitätsdenken indem es den Mechanismus des Satzes inszeniert. Das Wechselspiel zwischen Operator und Operand erweist sich als Tanz über dem Abgrund; im Gegensatz zu diesem Satz selbst, ist dieser Tanz weder ein Bacchantismus, noch eine Narretei, noch steht er unter dem Zwang eines Regelsatzes. Gewiß ist dabei weder der Grund noch der Abgrund des Seins in Anwesenheit zu bringen. Er entsteht und vergeht daselbst in diesem kenomischen Spiel ohne jegliche Verbuchung.

Die intrakontexturalen Bestimmungen, die die klassische Rationalität binden, werden hintergründig und eröffnen die Freiheiten des Springens. Die Proömik gibt die Regeln an, wie von einer Kontextur zur andern gesprungen wird, sie zeigt den Mechanismus des Satzes auf.

Zwischen den Kontexturen einer polykontexturalen Konstellation besteht ein diskontexturaler Abbruch. Keine genuin intrakontexturale Regel ist in der Lage einen Kontexturwechsel zu vollziehen. Mit keiner logischen Folgerung, keiner arithmetischen Operation, keiner Regel einer Grammatik ist diese letztmöglich zu verlassen. In ihr herrscht strenge Monotonie. Transkontexturale Übergänge involvieren immer auch Unentscheidbarkeiten und verletzen den Regelsatz.

Die Proömik weist die Wegung und begleitet die Erschlossenheit in der Dissemination der Kontexturen der Polykontexturalität.

IV Disseminatorik vs. Monokontexturalität

Die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits wiederholt sich vielfälltigst in jenem Diesseits ohne Jenseits noch Diesseits. Diese Grenze ereignet sich an jedem der Orte. Jeder Ort ist weder diesseits noch jenseits; bar jeglicher angebbarer –rtlichkeit noch beschreib- und beherrschbarer Ortschaft ist er immer schon sowohl dieseits wie jenseits.

Komplementär zur Polykontexturalität, d.h. zur Vielheit ist die Diskontexturalität, die Grenze, der Abbruch und Abgrund zwischen den Kontexturen. Dieses Zwischen der Diskontexturalität, die Dissemination der Kontexturen, ist ontologisch weder substanz-, funktions-, system-, noch struktur-ontologisch faßbar. Hinweise auf Inter- und Trans-Ontologien mögen helfen.

Etwas anderes als bei einer vorschnellen Entparadoxierungen in Raum und Zeit ist es in medias res, wie in Part II. Operationale Modellierung der Proemialrelation demonstriert, wenn bei der formalen Modellierung und deren Implementierung in einer (klassischen) Programmiersprache (ML) bewußt und explizit, als Modellierungsbedingung mit allen ihren Einschränkungen der Adäquatheit des Modells und des Implements, die paradoxe Entscheidung vollzogen wird, etwas darzustellen, was sich einer solchen Darstellbarkeit grundsätzlich entzieht. Eine weitere Konkretion der Modellierung der Proemialrelationm ist erreicht, wenn diese nicht mehr innerhalb der kombinatorischen Logik auf der Basis der Unterscheidung von `nicht strikten' und `strikten' Kombinatoren, sondern direkt zwischen disseminierten kombinatorischen Logiken selbst auf der Basis der Kenogrammatik als nicht-strikter polykontexturaler Kombinator zu verorten ist.

V Kenomik vs. Semiotik

Die Kenogrammatik läßt sich einführen, direkt und ohne den historischen Umweg über die sog. Wertabstraktion der semantisch fundierten Logik, in Analogie und in Dekonstruktion der formalen Semiotik bzw. der rekursiven Wortarithmetik. Dieser Zugang ist als ein externer zu charakterisieren, da er kenogrammatische Gebilde von außen durch Nachfolgeroperationen generiert auch wenn diese nicht mehr abstrakt, sondern retrograd und selbstbezüglich definiert sind. Im Gegensatz dazu läßt sich die Kenogrammatik auch in Analogie und Dekonstruktion organismischer bzw. genuin systemischer Konstrukte als Selbsterzeugung, intrinsischer evolutiver und emanativer Ausdifferenzierung einführen und ist daher als interne Ausführung zu verstehen.

Kenogrammatische Komplexionen entstehen bei der externen Darstellung als Iterationen und Akkretionen eines (vorgegebenen zu dekonstruierenden ) Zeichenrepertoires; bei der internen Darstellung jedoch als die Wiederholungsstruktur einer (zu entmystifizierenden) Selbstabbildung und Autopoiese der kenogrammatischen Komplexionen. Beide Zugangsweisen sind komplementär und haben sich bei der Einführung der Kenogrammatik, d.h. beim Übergang vom klassischen zum transklassischen Denken bewährt, jedoch auch belastet mit einer komplementären Dekonstruktion des Anfangs (Demiurg-, deus absconditus-Struktur), d.h. mit dem Anfang als Urgrund und als Abgrund.

Semiotische Voraussetzung von Zeichenreihen ist die Unterscheidung von Zeichenvorkommnis bzw. Zeichenereignis (token) und Zeichengestalt (type). Dabei ist die Zeichengestalt definierbar als Äquivalenzklasse aller ihrer Zeichenvorkommnisse. Selbstverständlich ist die Konzeption der Äquivalenzklassenbildung bis ins letzte nur innerhalb einer Semiotik formulierbar, ihre Bestimmung somit semiotisch zirkulär. Für die semiotische Gleichheit ist unabdingbare Voraussetzung, daß die zu vergleichenden Zeichenketten von gleicher Länge sind. Unter der Voraussetzung der Längengleichheit, die durch eine Schrittzahl gemessen wird, die selbst nicht zur Objektsprache der Zeichentheorie, sondern zu ihrer Metasprache gehört, dort selbst jedoch auch wieder als Zeichen zu thematisieren ist, usw., wird die Identität bzw. Diversität der Atomzeichen je Position bzgl. der zu vergleichenden Zeichenreihen geprüft. Zwei Zeichenreihen sind genau dann gleich, wenn jeder Vergleich der Atomzeichen jeweils Identität ergibt. Die Bestimmung der Gleichheit von Zeichenreihen ist also in dieser Sprechweise die Bildung einer Äquivalenzklasse.

8 Abstraktion im Operandensystems

Es liegt nun nahe, innerhalb dieses Mechanismus der Äquivalenzklassenbildung weitere Abstraktionen vorzunehmen.

Das vollständige System der Klassisfikation aller Äquivalenzklassen bezüglich Zeichenreihen läßt sich in zwei Typen unterteilen:

a) Klassifikation über der Quotientenmenge,

b) Klassifikation über der Bildmenge bzw. Belegungsmenge und

c) Mischformen von a) und b).

Nur drei Klassen abstrahieren von der Bildmenge, diese sind, da sie von der Identität der Zeichen abstrahieren, von Günther als transklasssch relevant anerkannt und mit Proto-, Deutero- und Tritostruktur der Kenogrammatik klassifiziert und bezeichnet worden.

Die Semiotik des Calculus of Indication von Spencer Brown ist als “kommutative Semiotik” charakterisiert worden. Diese abstrahiert also nicht von der Identität der Zeichen, d.h. von der Belegungsmenge, sondern von der topographischen Anordnung der identischen Zeichen. Ihre Kommutativität ist jedoch topographisch nicht frei, sondern, induziert durch die Identität der Zeichen, auf Linearität der Zeichenreihengestalten reduziert, daher soll sie auf `identitive kommutative Semiotik' hin präzisiert werden. D.h. daß die Kommutativität schon auf der Ebene der Definition der Zeichen selbst eingeführt ist und nicht im nachhinein als Axiom in einem Kalkül erscheint. Damit ist eine weitere Sprachschicht der allgemeinen Graphematik charakterisiert.

Die verbleibenden und bis dahin nur bzgl. ihrer Kombinatorik erforschten Möglichkeiten graphematischer Schriftsysteme lassen sich als partitiv-identitive, trito-partitive, trito-kommutative und deutero-partitive bestimmen. Es sind somit zur identitiven Semiotik und ihrer Kardinalität (Zahl) acht neue Notations- bzw. Schriftsysteme zu unterscheiden; zu guter Letzt ein Anfang: die Tetraktys.

9 Abstraktion im Operatorensystem

Eine weitere Dekonstruktion des Identitätsprinzips ist in der Kenomik formulierbar, wenn nicht bloß die Basisstruktur analysiert wird, sondern auch Abstraktionen im Bereich der Operatoren zugelassen werden. In der Semiotik ist dieser Schritt nicht sinnvoll, da sie nur einen grundlegenden Operator kennt, die Konkatenation bzw. dual dazu die Substitution. Die Dualität von Konkatenation und Substitution, heißt nicht, daß zwei basale Operatoren existieren, sondern nur, daß die Semiotik entweder mit der Konkatenation eingeführt wird und die Substitutionsoperation in ihr definierbar ist oder aber daß dual dazu die Semiotik mit dem basalen Operator der Substitution eingeführt wird und die Konkatenation in ihr definierbar ist.

Die Kenomik kennt eine Vielheit von basalen Operatoren, daher ist es möglich über dieser Menge von Operatoren Abstraktionen vorzunehmen. So gilt als notwendige Voraussetzung der jeweiligen Gleichheit von Objekten, die Gleichheit ihrer Länge bzw. ihrer Kardinalität. Als Basisoperator wird die jeweilige Verkettungsgsoperation (Konkatenation) untersucht.

In der Kenogrammatik, sind u.a. die Operatoren der Verknüpfung und der Verschmelzung basal. Wird nun über der Menge der Operatoren abstrahiert, entstehen völlig neue Situationen. Zwei kenomische Komplexionen können auch dann äquivalent sein, wenn sie sich in ihrer Kardinalität unterscheiden. So sind zwei kenomische Komplexionen genau dann kenogrammatisch äquivalent, wenn sie in gleiche Teile (Monomorphien) zerlegbar sind, wenn sie sich zu gleichen Teilen verteilen. Da zwei Komplexion durch verschiedene Operatoren in gleiche Monomorphien zerlegbar sind, müßen sie nicht von gleicher Kardinalität sein; aus Monomorphien lassen sich Komplexionen verschiedener Kardinalität bilden.

Kenomische Objekte haben die Möglichkeit sich zu verschmelzen, zu verknüpfen oder zu verketten und ihre Verbindungen jeweils wieder auf ihre je eigene Weise aufzulösen.

10 Isomorphie und Konkretion

Eine wesentliche Konkretion erfährt ein formales System dadurch, daß es nicht bloß bis auf Isomorphie eindeutig, sondern direkt auf Äquivalenz charakterisierbar ist; dies ist identiven Semiotiken verwehrt. Anders in der Kenogrammatik: die Abstraktion von der Identität der Zeichen setzt jede mögliche Realisierung der Kenogrammatik als formales System kenogrammatisch äquivalent. Es gibt keinen Unterschied zwischen verschiedenen notationellen Realisationen der Kenogrammatik, sie sind nicht bloß bis auf Isomorphie bestimmt, die Verschiedenheit der Zeichen als Unterscheidungskriterium entfällt, sondern direkt kenogrammatisch identisch. Die Semiotik läßt sich damit verorten in der Graphematik, ihre Idealität dekonstruieren und auf eine innerweltlich realisierbare Konkretion und Dissemination bringen.10

Der Alphabetismus findet in seiner letztlichen Digitalität und Linearität multimedial zu sich selbst und zu seinem Abschluß in der Objektivation seiner vermeintlichen Vernetzung. Die Graphematik be-wegt den Übergang der Inskription zur Ermöglichung einer nach-schriftlichen und transterrestrischen Epoche des Welt-Spiels.  

B. Operationale Modellierung der Proemialrelation.

Den zweiten Teil dieser Arbeit können wir leider nur als DVI-Datei zur externen Betrachtung in einem DVI-Viewer zur Verfügung stellen, da er voller mathematischer Formeln und Graphiken steckt. Dazu benötigen sie eine TeX-Implementierung (z.B. emTeX). TeX Software findet man etwa bei Dante.de: ftp://ftp.dante.de.

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last revised Jan 1997