4 Organisationsentwicklung als klassische Möglichkeit
des Umgangs mit Wandel



4.1 Zum Begriff Organisationsentwicklung

Zur Organisationsentwicklung (OE) existiert eine Flut an Literatur in Bezug auf Veränderungen in und von Organisationen. Den Begriff Organisationsentwicklung universell zu definieren, ist aufgrund der international unterschiedlichen Ansätze ein Problem. Dies ist z.B. zu erkennen, wenn sich ein Organisationsberater (Comelli) oder ein Wissenschaftler (Sievers) in der Literatur über OE äußert. Es soll dennoch im folgenden der Versuch unternommen werden, eine brauchbare Definition
wiederzugeben.

Unter dem Begriff der Organisationsentwicklung versteht Comelli einen geplanten, gelenkten und systematischen Prozeß zur Veränderung der Kultur, der Systeme und des Verhaltens einer Organisation mit dem Ziel, die Effektivität der Organisation bei der Lösung ihrer Probleme und der Erreichung ihrer Ziele zu verbessern
(Comelli 1985, S. 96).

Sievers hingegen betont bei seiner Begriffsdefinition den sozialwissenschaftlichen lernzentrierten Charakter von OE, indem er äußert, daß "durch die Institutionalisierung organisationsumgreifender Lernprozesse [...] ein Lernen von Organisationen in dem Sinne ermöglicht werden (kann), daß über unmittelbare Verhaltensänderungen einzelner Mitglieder und Subsysteme hinaus auch die Organisationsstrukturen und -prozesse sowie die ihnen zugrunde liegenden Selektionen und Generalisierungen verändert werden können." (Vgl. Sievers 1977, S. 12).

Auf dem Weg einer allgemeingültigen OE-Definition können die Definitionsmerkmale von Filley et al. herangezogen werden, die aufgrund einer Literaturauswertung folgende Merkmale von OE herausgearbeitet haben (vgl. Abbildung 6).

Organisationsentwicklung hat per definitione den Wandel von und in Organisationen als Kern. Ein Wandel kann als bewußt geplante Veränderung von Organisationen durch Menschen stattfinden. Veränderungen wiederum können aber auch durch selbstorganisatorische Prozesse veranlaßt werden. Die OE greift jedoch nur die erste Möglichkeit heraus und erklärt sie zum Untersuchungsgegenstand.

Wandel ist zudem langfristig angelegt. Ungeplante künftige Ereignisse können nur noch schwer berücksichtigt werden. Dieser Plan umfaßt das komplette Wandelproblem und läßt Details unberücksichtigt. Der Schwerpunkt von Wandelprozessen wird dabei in Organisationsgruppen und weniger in den Individuen gesehen.

Wandel findet dabei immer unter der Zuhilfenahme von externen Beratern (Change Agents) statt, die als Organisationsberater fungieren. Den Wandel betreffende notwendige Interventionen werden durch ein auf Erfahrungen basierendes Lernen (Aktionsforschung) begleitet.

 

Merkmale der Organisationsentwicklung (OE)

  • Geplanter Wandel (kein zukünftiger Wandel)
  • Umfassender Wandel (keine Detailänderung)
  • Schwerpunkt auf Wandel von Gruppen (weniger von Individuen)
  • Langfristiger Wandel (kein kurzfristiges Krisenmanagement)
  • Einbeziehung eines Change Agent
    (Wandel-Beraters, GL.)
  • Intervention durch erfahrungsbegleitetes Lernen und Aktionsforschung.
  • Quelle: Staehle 1991, S. 848 zit.n. Filley; House und Kerr (1976) S. 487 ff.

  •  

  • Vor dem Hintergurnd der Merkmale soll den Fragen nachgegangen werden, was die frühen Ansätze von OE waren und welche Ziele verfolgt wurden mit dem Ziel, OE als Bestandteil von Veränderungsprozessen hinsichtlich LO zu betrachten.

     

    4.2 Überblick von Organisationsentwicklung

    Ursprünglich stammt die Idee der OE aus den Vereinigten Staaten. Zeitlich ist sie dort in den 30er Jahren mit E. Mayo als deren Begründer einzugliedern. Mayo rückt mit seinem "Human Relation"- Ansatz den Menschen als autonomes Individuum und als Quelle von Kreativität und Leistung in den Mittelpunkt. Ende der 40er Jahre stützt sich die amerikanische Entwicklung der OE auf drei Hauptquellen:

    Entwicklungsstufen der OE

    • Laboratoriumsmethode, die
  • Survey-Feedback- Methode, sowie die
  • Aktionsforschung.
  • Quelle: In Anlehnung an Comelli (1985)

     

  • Die beiden erstgenannten sind eng mit dem Namen Kurt Lewin verbunden. Seine Untersuchungsmethode zeichnet sich dadurch aus, daß er als Initiator der sozialpsychologischen "Feldtheorie" Ganzheiten und bedeutsame Gestaltzusammenhänge untersucht, deren Wahrnehmung den einzelnen Menschen beeinflußt und sein Verhalten lenkt (vgl. Comelli 1985, S. 51). So handelt es sich bei der Laboratoriumsmethode um die Arbeit mit unstrukturierten Kleingruppen, in denen die Mitglieder bei ihren wechselseitigen Interaktionen und der sich dabei entfaltenden Dynamik der Gruppe lernen. Die Untersuchung der Verhaltensänderungen von Menschen untereinander führt zu der Gruppendynamik-Methode, nach welcher der Mensch in der Gruppe vom Betroffenen zum Beteiligten wird. Diese führt anschließend zu den "[...] sogenannten Sensitivity-Trainings (Sensitivierungs-Trainings), in welchen die Teilnehmer dieser Maßnahmen ihre Wahrnehmungsfähigkeit für eigene und fremde Gefühle, Stimmungen, Einstellungen und Reaktionen sowie die Einsicht in eigene und fremde Verhaltensweisen in Gruppen zu steigern suchten." (Vgl. Comelli 1985, S. 53).

    Die Survey-feedback-Methode (zu dt.: Daten-Rückkopplungs-Methode) versucht mit Hilfe von Umfragen bei Organisationsmitgliedern deren Einstellungen festzustellen. Das Neue daran ist, daß dabei besonderer Wert auf ein Feedback der Mitglieder gelegt wird. Die Befragten treffen sich zu Arbeitskreisen (Workshops), welche die Resultate der Umfrage zum Thema haben. So können die Befragten zu den Ergebnissen Stellung nehmen und eigene Erfahrungen aus ihrer Sicht überprüfen sowie Veränderungsvorschläge einbringen. Die Beteiligten werden zu Betroffenen. Es entwickelt sich aus einer statischen Datenerhebung ein Prozeß, welcher Problemsituationen und deren Ursachen in der Organisation einerseits und seiner Mitglieder andererseits detaillierter beschreibt. Die Survey-Methode stellt sich damit als eine Abfolge von Veränderungsprojekten dar, deren Inhalte jeweils partizipativ, d.h. die vom Wandel bezogenen Organisationsmitglieder einbeziehend, festgelegt werden (vgl. Schreyögg und Noss 1995, S. 172).

    In engen Zusammenhang mit der von Lewin initiierten Laboratoriums- und Survey-feedback-Methode wird auch die Aktionsforschung genannt. Diese kann im Sinne von French und Bell (1977, S. 110) definiert werden als "[...] der Prozeß der systematischen Sammlung empirischer Daten über ein System in bezug auf dessen Ziele und Bedürfnisse; aus dem Feedback dieser Daten an das System und aufgrund zusätzlicher Hypothesen werden Aktionen zur Veränderung einzelner Systemvariablen entwickelt; durch neue Datensammlungen werden die Ergebnisse dieser Aktionen überprüft und ausgewertet." Die Aktionsforschung ist ein Konzept problemorientierter Organisationsveränderung, bei dem die Probleme gemeinsam mit den Beteiligten erhoben werden: "Sie greift anstehende praktische Probleme auf und ist so im wörtlichen Sinn anwendungswissenschaftlich." (Vgl. Comelli 1985, S. 62). Auch stellt "die Aktionsforschung [...] ein normatives Lernmodell oder ein Modell für geplante Veränderungen" dar (vgl. French; Bell 1977, S. 113 zit.n. Herbert Shepard).

    Zu bedeutender Beachtung in der OE gelang das Phasenmodell von Lewin, nachfolgend in Abbildung 8 dargestellt.

     

    Abbildung: Das organisatorische Änderungsgesetz von Lewin (Phasenmodell)

    Diesem Modell folgend bedingt jeder Veränderungsprozeß zunächst einer Auflösung des Gleichgewichtszustandes in einer Organisation. Dafür bedarf es zunächst einer "Auftauphase" (Unfreezing), in welcher das System seinen Gleichgewichtszustand aufgeben muß und seine Bereitschaft zur Veränderung herausbildet. Der Anstoß für diesen Auftauprozeß kann sowohl von innen (z.B. durch eine Fehleranalyse oder durch neue Mitarbeiter etc.) als auch von außen kommen (z.B. Marktanteilseinbußen, öffentliche Kritik an das Unternehmen; vgl. Shell und die Bohrplattform "Brent Spar").

    Sind Veränderungen durchgeführt worden, bedürfen diese einer Stabilisierung. Sie müssen wieder stabilisiert, d.h. "eingefroren" (Freezing) werden, damit sie in der Zukunft Bestand haben können. Lewin geht bei dieser Betrachtung stets von einer komparativ-statischen Analyse aus. Er vergleicht einen Zustand zu einem festen Zeitpunkt mit einem Zustand zu einem späteren Zeitpunkt. Der Zeitraum dazwischen wird gefüllt von einem zeitlich abgrenzbaren und dynamischen Veränderungsprozeß, der aber eher prekär wirkt. In diesem Sinne bedeutet jede Veränderung, d.h. Störung des Systems, einen Ausnahmefall. Das Phasenmodell zielt darauf ab, diesen Ausnahmefall schnell zu beherrschen, um das System so rasch wie möglich wieder in den Gleichgewichtszustand zu bringen.

    In Deutschland kommt der OE-Gedanke erst Ende der 60er Jahre auf. Während die OE sich in den USA als eigenständig sozialwissenschaftliche Disziplin etabliert, führt die OE in Deutschland ein eher bescheidenes Dasein. Die US-amerikanischen Erkenntnisse, besonders die von Lewin, gelten auch weitgehend als Grundlage von OE auch in Deutschland.

    Sievers bezeichnet die "bundesdeutsche Realität" als "eigenartige Diskrepanz", wenn er anführt, daß "[...] die theoretische und die praktische Thematisierung und Verbreitung der Organisationsentwicklung bislang relativ unabhängig und voneinander getrennt erfolgen. [...]." (Vgl. Sievers 1977, S.11).

    Comelli beschreibt den OE-Berater-Kreis als theoriescheu bis -feindlich, welcher "[...] bei langfristig entstandenen Problemsituationen nach schnell wirksamen Patent-rezepten (am liebsten über Nacht) lechzt und der Evaluierung (d.h. Erfolgskontrollen) scheut, weil dies (a) zusätzlichen Aufwand verursacht und somit Zeit und Geld kostet und weil sich (b) bei dieser Erfolgskontrolle ja auch herausstellen könnte, daß oberflächliche Konzepte und wenig fundierte Maßnahmen zu einem Mißerfolg geführt haben." (Vgl. Comelli 1985, S.78).

    OE in Deutschland läßt sich mit der amerikanischen OE schwer vergleichen, da sich die Unternehmen in Deutschland in einem anderen sozio-ökonomischen und kulturellen Umfeld bewegen. Dennoch stellen die amerikanischen Erkenntnisse die Grundlagen deutscher Organisationsentwicklung. Der Unterschied von amerikanischer und deutscher Auffassung liegt in der Formulierung der Ziele. Erstgenannte verstehen OE als Mittel zur Verbesserung von Wirksamkeit und Gesundheit der Unternehmung. In Deutschland werden als Ziele die Humanisierung der Arbeit und die Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Organisationen genannt (vgl. Ebenda). Schließlich dient Entwicklung gemeinsam der Überlebensfähigkeit des Systems und seiner Mitglieder.

     

    4.3 Ziele und konzeptionelle Grundfragen von Organisationsentwicklung

    Die Zielsetzung der OE läßt sich nach Comelli in der Steuerung von Veränderungsprozessen nach vorgegebenen Zielen beschreiben. Senkel und Tress treten zudem ein für die Initiierung von Lernprozessen zur Schaffung und Durchsetzung bedürfnisgerechter organisatorischer Gestaltungsmaßnahmen. Dies verdeutlicht die Darstellung der Grundsätze praktischer Organisationsentwicklungsarbeit von Senkel und Tress (Senkel; Tress 1987, S. 181). Sie verstehen die Zielsetzung der Organisationsentwicklung als eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Organisation (Effektivität) und eine Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens für die in ihr tätigen Menschen (Humanität). Die unterschiedlichen Ziele setzen sie als gleichrangig und interdependent voraus. Die Methode zur Erreichung dieser beiden Ziele soll gemäß den zitierten Autoren ein "[...] Lern- und Entwicklungsprozeß der Organisation und der in ihr tätigen Menschen" sein, welcher im "[...] weitesten Sinne durch die Verbesserung der Kommunikation, insbesondere durch das Schaffen von Lernsituationen [...] erfolgen soll".

    Sievers geht von der doppelten Zielsetzung aus: "Sie intendieren eine Steigerung der Effektivität von Organisationen sowie eine qualitative Erweiterung der Selbstverwirklichungs- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten ihrer Mitglieder im Arbeitsprozeß." (Vgl. Sievers 1977, S. 12). Für das Erreichen dieser Ziele schlägt Sievers vor, durch Institutionalisierung organisationsumgreifender Lernprozesse ein Lernen von Organisationen in dem Sinne zu ermöglichen, daß über unmittelbare Verhaltensänderungen einzelner Mitglieder und Subsysteme (Gruppen) hinaus auch die Organisationsstrukturen und -prozesse sowie die ihnen zugrunde liegenden Selektionen und Generalisierungen verändert werden können (vgl. Ebenda, S. 12).

    Entwicklung spielt nicht nur in der Namensgebung des Veränderungskonzeptes OE eine markante Rolle. Was bedeutet Entwicklung nun im Sinne von Veränderungen? Normativ argumentiert muß Entwicklung und Veränderung voneinander abgegrenzt werden. So bedeutet Veränderung eine Neuerung an der Oberflächenstruktur, z.B. wenn eine neue Abteilung gegründet oder eine andere geschlossen wird. Entwicklung hingegen heißt eine qualitative Verbesserung "[...] im Rahmen derer es zu neuen intersubjektiv geteilten Wirklichkeitskonstruktionen kommt und damit zu einem erfahrbaren Sinnzusammenhang der neuen Verhaltensmöglichkeiten." (Vgl. Probst und Naujoks 1993, S. 368 zit. n. Klimecki et al. 1991, S. 103-162).

    Gemäß den Zielen von OE und den Lösungsansätzen des Lernens bezieht OE die Problematik von Veränderung (Wandel), Effizienz und Lernprozessen mit ein. Sie stellt eine für das Unternehmen umfassende Maßnahme unter Berücksichtigung hoher Komplexität der organisatorischen Zusammenhänge dar.

    Der OE-Ansatz, wie er sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat, behandelt nach Ansicht von Schreyögg und Noss, die sich zusammenfassend über das OE-Konzept als Entwicklungskonzept äußern, verschiedene Fragestellungen: Neben der bereits skizzierten Perspektive des Phasenverlaufs sind es vor allem die Fragen nach der Art des Einstiegs (von "oben nach unten" oder von "unten nach oben"), der Rolle des externen Beraters ("change agent") und der optimalen Interventionsmethode. Die Förderung organisatorischen Wandels wird zunehmend als eine Beratungsaufgabe verstanden, welche später von der OE als Disziplin umrahmt wird (vgl. Schreyögg und Noss 1995, S. 172), innerhalb welcher sich der OE-Berater drei wesentlichen Komponenten zuzuwenden hat (vgl. Senkel und Tress 1987, S. 180):

     

      1. Dem Objekt der Veränderung und somit der Frage: Was soll entwickelt werden?
        Als Antwort gibt er die Organisation und die in ihr tätigen Menschen an.
      2. Dem Ziel der Veränderung und somit der Frage: Warum soll entwickelt werden?
        Antwort: Aus den Zielen der OE, nämlich Effektivität und Humanität.
      3. Dem Prozeß der Veränderung und somit der Frage: Wie soll entwickelt werden?
        Antwort: Lernen aller Betroffenen durch direkte Mitwirkung und praktische Erfahrung.

     

    Der Schlüssel zum erfolgreichen Wandel wird durch "Wandel-Berater" (Organisationsberater) in einer Veränderung des Planungsprozesses bestimmt (vgl. Ebenda). Wandelerfolge verspricht sich die Organisationsleitung durch eine enge Mitarbeit mit diesen Beratern. Die bekanntesten Konzepte von Beratungsansätzen sind neben der erwähnten Survey-feedback-Methode hinaus die Prozeßberatung und das Verhaltensgitter (vgl. Schreyögg und Noss 1995, S. 173). Die Prozeßberatung soll die Unternehmung überhaupt in die Lage versetzen, Ereignisse und Probleme in ihrem Umfeld wahrzunehmen, zu verstehen und in Handlungen umzusetzen. Die Unternehmung soll befähigt werden, nach unvorhergesehener Analyse die zweckmäßigste Lösung selbst zu finden. Die Intervention stellt daher nicht auf ein vordefiniertes Ergebnis ab, sondern legt besonderen Wert auf den Prozeß der Problemlösung. Hierin liegt auch die Gegensätzlichkeit von OE, zieht man das Verhaltensgitter heran. Dieses legt die durch den Prozeß erwartenden Ergebnisse vorher fest und sieht den Prozeß nicht als einen sich dynamisch entwickelnden Ablauf von in sich selbständigen Schritten, sondern zerlegt den Gesamtprozeß in viele aufeinander aufbauende Einzelprozesse. Vorteil dieser Methode zur Prozeßberatung ist die Möglichkeit, den OE-Prozeß zeitlich abschätzen zu können. Der Nachteil ist in einer offenbar vorgegebenen Beratungsstrategie nach einem bereits festgelegten Muster zu sehen.

    Das daraus resultierende neuere Verständnis in der OE begreift die Organisation als ein sozio-technisches System, in welchem gelten soll, daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Erkannt wird in dieser Ansicht die ganzheitliche Perspektive, nach welcher in der OE "[...] Individuum, Organisation, Umwelt und Zeit ganzheitlich, d.h. in ihren Wechselbeziehungen und Systembetrachtungen betrachtet" wird (vgl. Senkel und Tress 1987, S. 181). Entsprechend dem Systemcharakter von Organisationen ist OE auf Systemvariablen ausgerichtet, die mehr sind als eine bloße Summe des Verhaltens von Individuen und Gruppen (vgl. Sievers 1977, S. 15).

     

    4.4 OE als Entwicklungskonzept für die Lernende Organisation

    Die Berücksichtigung der Umwelt und der damit steigenden Komplexität von Systemen stellt für die OE ein umfangreiches Problem dar. Deutsche Unternehmen scheinen von den Erfolgen und der Logik des "Machens" im Zuge des Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg verwöhnt zu sein. Der einfache Zusammenhang zwischen auftretenden Problemen und dem darauf folgenden Lösungsmuster genügte in den meisten Fällen, den Krisen gebührend zu begegnen. Nach dieser Argumentation ist auch der in der OE bevorzugte Einsatz des Verhaltensgitteransatzes zu verstehen. Die prozeßorientierten Ansätze der OE hinsichtlich des steigenden Problems von Wandel und Veränderungen (Stichwort: Prozeßberatung) scheinen nur wenig Beachtung zu finden (vgl. Schreyögg und Noss 1995, S. 172ff.).

    Daher üben zitierte Autoren meiner Ansicht nach berechtigte Kritik an der OE-Wandellogik, wonach die in Deutschland etablierten OE-Ansätze nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, der heutigen Umweltdynamik und den damit verbundenen Wandelproblemen genüge zu tun. Schreyögg und Noss (vgl. Ebenda, S. 174-176) fassen ihre Kritik in vier wesentlichen Kernpunkten zusammen. Demnach wird in der heutigen OE der organisatorische Wandel aufgefaßt als:

     

    Kernpunkte kritischer Ansätze von OE

  • Spezialistensache,

    beherrschbarer Prozeß,

    fest umschriebenes Problem,

    Sonderfall.

  • Quelle: In Anlehnung an: Schreyögg und Noss (1995)
    S. 172 ff.

  • Organisatorischer Wandel wird gemäß OE zu einer Spezialistensache (1), nach der ein interner und/oder ein externer Berater mit der Aufgabe der Organisationsentwicklung betreut wird. Diese bedürfen zuvor einer äußerst speziellen Ausbildung, die zeitaufwendig und kostenintensiv ist. Die Rolle der Organisation verändert sich dadurch aber zu einem Klienten ("Patienten"), welcher den "therapeutischen" Methoden des Beraters unterliegt. Sicherlich bietet diese Art und Weise eine Möglichkeit, Organisationen mit geringen Wandelbedarf unter die Arme zu greifen.

    Organisationsentwicklung geht davon aus, daß sich der "[...] einzelne Wandelprozeß in einer kontinuierlichen, unüberschaubaren und zeitlich streckbaren Weise vollzieht oder zumindest vollziehen läßt. Der Wandel kann soweit verstetigt werden, daß er erwartbar wird; [...]." (Vgl. Ebenda, S. 174). Das Aufkommen von Veränderungen wird statisch und berechenbar. Sie erwecken dadurch den Anschein der Beherrschbarkeit (2). Veränderungen mit ihren Problemen erscheinen "[...] durchdringbar und schrittweise abarbeitbar [...]; es ist so gesehen 'problemlos'." (Vgl. Ebenda, S. 175). Der dynamischen Kraft von Veränderungen wird hingegen nicht ausreichend Rechnung getragen. Plötzliche Entwicklungen (Überraschungen), wie sie unausweichlich mit komplexen Umwelten einhergehen (Luhmann 1991, S. 249 ff.), sollten in Veränderungskonzepten, wie der OE, ebenfalls berücksichtigt werden. OE sollte sich dabei nicht nur stetigen, sondern auch dynamischen Veränderungsprozessen stellen.

    "Der OE-Ansatz startet bei einem stabilen Problemfeld und blendet Überraschungen, Diskontinuitäten etc. grundsätzlich aus. Spontane Anpassungsprozesse und selbstorganisierende Problemlösungen können in ihrer Bedeutung nicht erfaßt werden. OE verharrt (vermutlich ungewollt) in einer Welt der Planbarkeit." (Vgl. Ebenda).

    Drittens versteht OE Wandelprozesse als ein fest umschreibbares Problem (3). Wandelerscheinungen treten in sich geschlossen und temporär mit einem definierbaren Beginn und Ende auf. So folgt z.B. Wandel B auf einen Wandel A. Überlagerungen von verschiedenen Wandelprozessen wird die OE allenfalls nur unzureichend gerecht, obwohl bekanntermaßen Organisationen sich grundsätzlich in einer komplexen und unsicheren Situation befinden. Demnach muß auch die Steuerung von Organisationsentwicklung diesem Sachverhalt Rechnung tragen und kann demzufolge nicht als eine Lösung von linear abarbeitenden Problemen zur Verfügung stehen.

    Schließlich beanstanden zitierte Autoren die Auffassung, ein Wandel sei als Sonderfall (4), als Ausnahme von der Regel, aufzufassen. Diese Ansicht läßt sich zurückführen auf das Phasenmodell von Lewin (vgl. Abbildung 8), wonach jede Veränderung eine störende Episode in der Reihe von Gleichgewichten ist. Solche Episoden gilt es in diesem Modell rasch zu beenden, um so schnell wie möglich die Organisation wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Die Erhaltung des Gleichgewichtes, d.h. Stabilität, hat Priorität vor allen anderen Prozessen. Neuere Organisationskonzepte, wie z.B. die der autopoietischen Systeme (vgl. 6.1), überwinden diesen Kritikpunkt, indem sie den Elementen des Systems einen ständigen konstitutiven Prozeß des Entstehens und Vergehens zugestehen und Wandel die Motivation für einen stetigen andauernden Veränderungsprozeß bedeutet.

    Organisationsentwicklung soll vor dem Hintergrund der genannten Kritik jedoch nicht als völlig ungeeignet dargestellt werden. OE stellt in der Geschichte ein anwendbares Lösungskonzept für Lernprozesse in Organisationen dar. Sie bezieht das klassische Ziel der Überlebensfähigkeit ein und legt aber besonderen Wert auf die Entwicklungsfähigkeit, d.h. den Wachstum und den Fortschritt der Organisation. Sie löst sich (teilweise) vom Gleichgewichtsdenken à la Lewin oder Lawrence und Lorsch und erkennt den theoretischen Hintergrund von Entwicklung als ein neues Primat an. Die Berücksichtigung des Lernphänomens weist auch auf den Paradigmawechsel vom "Maschinenmodell" zur menschenzentrierten Organisation hin.

    OE muß sich jedoch die Kritik gefallen lassen, daß sich das Lernen allerdings nur auf das Individuum bzw. auf ein soziales Lernen in der Gruppe bezieht. Inwieweit diese Erkenntnisse auf Organisationen übertragen werden könnten, wird in den OE-Konzepten, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Hinsichtlich der LO findet Lernen auf einem relativ niedrigen Niveau statt.

    Kurze Zeit später wird Lernen jedoch wieder als Entwicklungsmodell von Individuen (Gruppe) verstanden. Doch das darauf Hinarbeiten von möglichen Lernerfolgen, ausschließlich auf Individuen und Gruppen bezogen, kommt dem raschen Wandel nicht nach. Dies kann an dem Problem von Weiterbildung in Führungsetagen verdeutlicht werden, wenn nach dem Ablauf die aktuellen Probleme wieder ganz andere sind.

    Die Krise als Störung verstanden unterschlägt selbstorganisatorische Prozesse völlig. OE degradiert die Organisation in diesem Zusammenhang durch die Hilfe eines Wandel-Beraters als ein passives Objekt, geleitet von externen (internen) Eingriffen. Organisationsentwicklung bzw. Personen, die als Berater tätig sind, stellen die Frage, wie Organisationen dem ständigen Bedarf nach Anpassung, Veränderung, Verbesserung, Reform, Krisenbewältigung oder Umstrukturierung gerecht werden können. Das Erkennen und die Diagnose von Problemen führt diese Akteure an. Je differenzierter sie das System beobachten und beurteilen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß OE auf diesem Weg zum gewünschten Erfolg führt.

    Trotzdem erfolgen die Eingriffe nach bereits erprobten Mustern (z.B. aus den Erfahrungen mit anderen Organisationen). Wissen wird von außen an die Organisation herangetragen. Wenn dieses externe Wissen, ausgehend von einem auf das Problem wirklich ausgerichteten Wissensbestand, in die Organisation nicht dauerhaft implementiert wird, erscheint OE obsolet. Auf Dauer muß hinterfragt werden, inwieweit langfristig tatsächlich Entwicklungen in Organisationen (effizient) stattfinden, die auch in der Zukunft Bestand haben können. Eine Frage, die sicher von Fall zu Fall unterschiedlich zu beantworten sein wird.

     

    4.5 Von der Organisationsentwicklung zur Lernenden Organisation

    OE unterstreicht entweder die Notwendigkeit der Anpassung an interne Faktoren (z.B. Mitarbeiter), oder sie hebt die Notwendigkeit heraus, Organisationen an externe Faktoren (Umwelt) anzupassen. Klassische Managementhandlungen zielen demnach weitestgehend darauf ab, das System "stabil" zu halten, d.h. das Funktionieren seiner Teile zu gewährleisten. Dieses mechanistische Konzept von Management wird zwar durch die Öffnung des Systems zur Umwelt gelockert, d.h. die gegenseitige Abhängigkeit und die Notwendigkeit der Interaktion wird erkannt, doch werden Systeme durch die bisherigen Konzepte nicht in die Lage versetzt, selbstständig auf Umweltveränderungen zu reagieren oder Wechselwirkungen zur Aufgabe zu machen.

    Willke (1994, S. 172) faßt das Problem der bisherigen OE-Ansätze in folgende Worte:

    "Die eine Strategie maximierte Anpassung auf Kosten der Identität [der Organisation, GL], die andere Identität auf Kosten der Anpassung."

    An dieser Stelle kommt dem Begriff der Identität eine Bedeutung zu, die in Kap. 6.1 näher aufgegriffen wird. Beide Strategien zeichnen sich durch Partialerfolge aus. Einzeln scheinen sie den wachsenden Anforderungen eines Systems nicht gerecht zu werden. Klassische OE ist nicht vollkommen in der Lage ist, als alleiniges "Krisenkonzept" eingesetzt, den heutigen Umweltanforderungen gerecht zu werden; eine Betrachtungsweise, welche besonders bei sehr starken Umweltdynamiken und Wandelerfordernissen augenscheinlich werden kann.

    Wendet sich die OE dem (erfahrungsbezogenen) Lernen in ihrer Konzeption durchaus zu, bezieht sich der Lernprozeß jedoch (nur) auf die einzelnen Organisationsmitglieder bzw. auf Gruppen (Laboratoriumsmethode) und deren Qualifikation und Weiterbildung. Oganisationales Lernen wird von Pedler et al. in einen metaphorischen Satz zusammengefaßt: "[...] the transformation or organization is seen as being similar to individual learning." (Pedler zit. in. Dodgson 1993, S. 377).

    Moderne Entwicklungstheorien haben nicht mehr das Gleichgewicht (Lewin) als Primat, sondern erkennen die Dynamik als Lernpotential. Dynamik fordert innerhalb des organisatorischen Geschehens den iterierten (fortlaufenden) Lernprozeß. Dabei geht es nicht um bekannte lerntheoretische Strategien der Verhaltensänderung (z.B. durch Anreize, Sanktionen), sondern um die Möglichkeit, Systeme als lernende Institution zu betrachten. Der Organisation kommt, ausgehend von der Definition: Die Unternehmung ist eine Organisation, eine aktivere Rolle zu. Dies wird in der Literatur unter dem Begriff der Organisationstransformation (Organizational Transformation) geführt. Er unterscheidet sich von der OE durch die Betonung, die auf den Prozeß der sich eigenständig entwickelnden Organisation gelegt wird statt auf die Veränderung durch extern induzierte Interventionen (vgl. Pedler et al. 1991, S. 61). Die Organisation wandelt sich vom betrachteten Objekt zum handelnden Subjekt. Diese Transformation bedeutet mehr als nur eine triviale Anpassung an neue Gegebenheiten. Transformation beinhaltet die prozeßorientierte Umwandlung und/oder Umgestaltung der Organisation mit Betonung ihrer Autonomie.

     

    Organisatorische Transformation ist durch folgende Schlüsselfaktoren gekennzeichnet (vgl. Kakabadse und Fricker 1991, S. 75):

    Schlüsselfaktoren der Organisatorischen Transformation

  • Geeignete Antworten auf Einflüsse aus der Unternehmensumwelt. Keine blindlings über das Knie gebrochene Reaktionen auf Druck von außen.

    Geeignete Antworten auf veraltete Organisationsstrukturen. Vermeidung von irrationalem Verhalten, widersprüchlichen Botschaften, konfusen Aktivitäten und negativ ausgeprägter Unternehmenskultur.

    Geeignete individuelle Selbstentwicklung. Vermeidung unklarer Rollen, schlecht definierter Aufgaben, emotionalen Stresses und dysfunktionaler und unreifer Beziehungen.

  • Quelle: In Anlehnung an: Kakabadse und Fricker (1991) S. 75

    Die LO stellt sich als ein Konzept, welches diese Forderungen in den Mittelpunkt stellt. Die folgenden Abschnitte wenden sich dieser Thematik zu.

    © 1997 Gerald Lembke
    GL-EDV