5 Das Lernphänomen als Strategie von Unternehmensentwicklung |
Eine erste neutrale Definition des Begriffs Lernen bietet Meyers Lexikon:
"Lernen stellt eine Verhaltensänderung aufgrund von Erfahrungen dar. Der Lernprozeß wird durch biologische, individuelle und soziale Gegebenheiten beeinflußt und vollzieht sich in allen Altersstufen. Wichtig ist die Motivation (Lernfreudigkeit). Lernen und Gedächtnis stehen in engem Zusammenhang. Da Wissen und Kenntnisse heute schnell überholt sind, ist das Ziel des Lernens nicht ein bestimmter Besitzstand von Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern das 'Lernen des Lernens'." (Meyers Lexikon 1983, Bd.2 S.403).
Für das Wandelproblem ist besonders das "Lernen des Lernens" von Bedeutung, wie in Kap. 5.6 noch aufgezeigt wird.
Weitere Lern-Definitionen liefert vor allem die psychologische Literatur. Lernen beruht hieraus auf eine Änderung von Verhaltensweisen aufgrund von Erfahrungen (vgl. Schanz, H. 1979, S.71). Lernen ist darüber hinaus aber auch der Erwerb neuen Wissens, welches im Gedächtnis wiederauffindbar wird. "Das Wissen (die Kognition) ist eine subjektive, selbst-referentielle, erfahrungsgeleitete Konstruktion des Gehirns." (vgl. Kandel und Hawkins 1992, S.66).
Lernen soll i.w.S. verstanden werden als Begriff, welcher zwischen gelernten und nicht gelernten Fähigkeiten und Verhaltensweisen unterscheidet. Diese Einschränkung leuchtet unmittelbar ein, wenn man sich vor Augen hält, daß eine Fähigkeit erworben, d.h. gelernt sein kann, jedoch -weil z.B. der Anreiz fehlt- nicht gezeigt wird.
In diesem Sinne ist die Definition Foppas (1972, S. 13) anzuführen, der unter Lernprozessen folgendes versteht:
"Letzten Endes geht es dabei jedoch immer um die Frage, auf welche Art und Weise sich der Organismus den mannigfachen Anforderungen seiner Umwelt anpaßt. Der Anpassungsprozeß selbst entzieht sich freilich genauso jeder unmittelbaren Beobachtung wie das 'Gedächtnis'. Wir betrachten deswegen nicht den eigentlichen Lernverlauf, sondern Leistungen irgendwelcher Art und deren Veränderungen. Wenn jemand in einer bestimmten Situation wiederholt etwas tut bzw. unterläßt, was er bisher unter entsprechenden Umständen nicht getan oder unterlassen hatte, oder wenn seine Leistungen rascher und sicherer ausgeführt werden als früher, sprechen wir von einem Lernprozeß."
Lernen ist von Wahrnehmung bzw. von Beobachtung abhängig, denn was nicht wahrgenommen wird, kann auch nicht in die Wissensbasis überführt werden. Aus psychologischer Sicht ist Lernen mithin ein Phänomen, das nicht unmittelbar beobachtbar ist, sondern erschlossen werden muß (vgl. Hofstätter 1970, S.195). Daher kann lediglich das Verhalten eines Menschen vor und nach bestimmten Ereignissen (z.B. Übungen) festgestellt werden, dessen Prozeß als Lernen bezeichnet werden kann (vgl. Staehle 1991, S.188).
Lernprozesse setzen notwendigerweise ein Gedächtnis voraus, das es dem Lernsubjekt erlaubt, wahrgenommene Informationen zu erhalten, um auf künftige Anforderungen dieses Wissen zu reproduzieren. Fortschrittlicheres Lernen wird durch den Grad der Wahrscheinlichkeit gekennzeichnet, mit welcher ein Organismus auf eine spezifische Situation reagiert (vgl. Ebenda).
Estes (1970, S.101) definiert Lernen als "[...] jede systematische Veränderung im Reaktionsverhalten eines Organismus, die als Folge vorangegangener Erfahrung nachgewiesen werden kann." Klix gibt eine moderne Begriffsbestimmung über Lernen: "Mit Lernen bezeichnen wir danach jede umgebungsbezogene Verhaltensänderung, die als Folge einer individuellen (systemeigenen) Informationsverarbeitung eintritt." (Vgl. Klix 1979, S. 348).
Lernen bedeutet also einen durch Wahrnehmung und Selektion initiierten Prozeß, welcher durch eine differenzierte Interpretation von Umweltsignalen schließlich in eine Handlung mündet. Für den Lernerfolg sind das Gedächtnis und das in ihm gespeicherte Wissen unabdingbare Bausteine.
5.1.1 Lernbiologie und Lernpsychologie als erkenntnisbringende Grundlage
In diesem Abschnitt soll ein kurzer Einblick in den Lernprozeß des Menschen gegeben werden. Nicht alle Erkenntnisse, die sich mit Lernen beschäftigen, können jedoch dargelegt werden. Es erfolgt eine Beschränkung auf wesentliche Teilbereiche, die für einen Zusammenhang von Entwicklungsprozessen in LO von Bedeutung sind.
Eine Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen beschäftigen sich mit dem Phänomen des menschlichen Lernens. Die Erkenntnisse sind auch für das Lernen in einer Organisation bzw. für organisationales Lernen von Bedeutung. So ist es durchaus hilfreich, Einblicke in den menschlichen Lernprozeß zu gewinnen. Dazu sind insbesondere lerntheoretische Grundsätze zu berücksichtigen, insbesondere die Lernbiologie (Neurophysiologie), die sich mit den biologischen Vorgängen im menschlichen Gehirn befaßt sowie die Lernpsychologie, die das Verhalten des Lernenden miteinbezieht.
Der Sinngehalt des Lernens ist darin zu suchen, daß ein lernfähiger Organismus in der Lage ist, sich in mehreren gleichartigen Lebenssituationen unterschiedlich zu verhalten (vgl. Foppa 1972, S. 63). Handelt es sich um unbeständige Verhaltensänderungen, so sind sie auf eine vorübergehende Erregung zurückzuführen. Beständige Verhaltensänderungen hingegen werden nur durch ein "Lernen" erreicht.
Es wird hierbei unterschieden zwischen implizites und explizites Lernen (vgl. Kandel und Hawkins 1992, S.68). Beim impliziten Lernen -einem Lernen, das allen Lebewesen gemein ist- werden Reize (Stimuli) unbewußt mit Reaktionen verbunden. Beim expliziten Lernen erfolgt der Lernvorgang durch eine "Denkleistung", indem ein Reiz (Stimulus) mit einem anderen Reiz assoziiert wird. Durch explizites Lernen wird zudem ein Gedächtnis aufgebaut, aus dem Informationen bewußt abgerufen werden.
Die Wahrnehmung von Umweltreizen erfolgt durch die Sinnesorgane, die diese wiederum in elektrische Impulse verwandeln. Diese Impulse werden über die Nervenfasern an das zentrale Nervensystem weitergeleitet, wo sie entsprechend ihres Bestimmungsortes zugeordnet werden. Operational ist das Nervensystem ein geschlossenes Netzwerk interagierender Neuronen. Eine Veränderung eines Neurons führt stets zu einer Veränderung eines anderen Neurons (vgl. Maturana 1982, S. 228).
Lernen kann demnach als ein im Gehirn des Menschen ablaufender geschlossener Prozeß betrachtet werden, der auf die Reize und die Weiterleitung von Umweltsignalen abhängig ist. Die Summe dieser Umweltsignale, die sich im "Umweltrauschen" kumulieren, kann als Gesamtheit im Gehirn unmöglich verarbeitet und gespeichert werden. Dem Lernprozeß muß daher ein Selektionsprozeß vorausgehen, der aus der Fülle von Reizen die Informationen "herausfiltert", die für sein Handeln von Wichtigkeit sind (vgl. Teigeler 1972, S.56). Vor einem Lernprozeß muß neben Selektion auch immer ein Verlernprozeß stattfinden, nach welchem unwichtige Information aus dem Gedächtnis gelöscht werden.
Aus der Summe der Reize selektiert der Mensch unbewußt Informationen, die ihn interessieren oder die bei ihm Assoziationen auslösen. Das Interesse an Informationen bzw. an eigene Erwartungshaltungen führt die Lernmotivation an. Diese weckt die Aufmerksamkeit und begünstigt bzw. beschleunigt die Informationsaufnahme und -speicherung. Die durch Informationen hervorgerufenen Assoziationen wecken positive und negative Assoziationen. Während positive Assoziationen - durch Motivation verbunden - mit einer besseren Aufnahme und Verarbeitung der Informationen von statten gehen, führen negative Assoziationen zu einer Lernhemmung oder Denkblockade (vgl. Hagmüller 1985, S.87). Denselben Effekt haben fremde, unbekannte Informationen, die weder auf Interesse stoßen noch Assoziationen verursachen. Sie werden relativ schwer aufgenommen.
Der Mensch wird durch den kognitiven Apparat zu Denkleistungen befähigt. Dieser besteht aus dem Ultrakurzzeitgedächtnis (UZG), dem Kurzzeitgedächtnis (KZG), dem Langzeitgedächtnis (LZG) und den Kanälen zwischen diesen "Speichern" (vgl. Ebenda, S.81). "Die Sensorik als die Gesamtheit der Sinnesorgane soll als Eingangskanal zum kognitiven Apparat aufgefaßt werden." (Vgl. Macke 1978, S. 90).
Der biologische Lernprozeß kann wie folgt beschrieben werden (vgl. Goldman-Rakic et al. 1992, S. 94): Das Gehirn besteht aus vielen Gehirnbereichen, in denen "Wissenselemente" gespeichert sind. Die einzelnen Bereiche des menschlichen Gehirns sind durch das Netz von Neuronen (Nervenzellen) verbunden, welche in ihrer Komplexität die Gedächtnisstrukturen des Individuums bilden. Die Wahrnehmung neuer Informationen führt bei Assoziationen zu neuen Neuronenverknüpfungen (vgl. Fischbach 1992, S.38).
Erbanlagen, Erziehung und Umwelt prägen zudem die Denkstrukturen von Menschen. Die linke Gehirnhälfte ist beispielsweise für verbales "Denken" zuständig, die rechte verarbeitet grafische Informationen (vgl. Heineken et al. 1985, S.77). Durch die Benutzung der verschiedenen Sinneskanäle des Menschen werden unterschiedliche Bereiche des menschlichen Gehirns angesprochen (vgl. Fischbach 1992, S.40).
Neben der Lernbiologie lassen sich weitere Erkenntnisse hinsichtlich des Lernens der Lernpsychologie entnehmen. Die Lernpsychologie als Teildisziplin der Psychologie beschreibt die bewußten und unbewußten Lernvorgänge sowie das Verhalten des Lernsubjektes. Sie beschreibt
"[...] die Bedingungen, unter denen es zu [...] 'Verhaltensänderungen' kommt. Sie untersucht die Faktoren, durch welche die Erinnerung gesteuert wird, analysiert den Verlauf des Vergessens und stellt fest, wie sich verschiedene Lernprozesse wechselseitig beeinflussen." (Vgl. Vester 1982, S. 97).
Ein Lernprozeß ist ein Komplex von bewußt vorgenommenen Handlungen, durch die der Lernende ein Lernziel erreicht. Innerhalb der Lernpsychologie spielt die Wahrnehmungspsychologie eine wichtige Rolle, denn vor der bewußten Aufnahme muß eine entsprechende Wahrnehmung erfolgen. Wahrnehmung wird bezeichnet als
"[...] Prozeß des Informationsgewinns aus Umwelt- und Körperreizen (äußere und innere Wahrnehmung) einschließlich der damit verbundenen emotionalen Prozesse und der durch Erfahrung und Denken erfolgenden Modifikationen." (Vgl. Fröhlich 1990, S. 365).
Der Lernvorgang umfaßt damit die Phasen der Wahrnehmung, des Aufnehmens, der Verarbeitung, des Speicherns und der Reproduktion.
Lernbiologie und Lernpsychologie beschreiben die Vorgänge des Lernens bzw. das Verhalten von Lernenden; sie gehen allerdings nicht auf die Vorgänge des Lernens ein. Wie Lernprozesse verlaufen, wird in unterschiedlichen Theorien aufgegriffen und beschrieben. Man kann dabei zwischen den beiden wichtigsten Lerntheorien unterscheiden: Die "Stimulus-Response-Theorie" sowie die "Kognitive Lerntheorie".
5.1.2 Überblick über die wichtigsten Lerntheorien
5.1.2.1 Stimulus-Response-Theorie
Der Vorgang des Lernen wird durch zahlreiche Theorien erklärt, z. B. durch die Verknüpfung von Reiz und Reaktion (behavioristische bzw. neobehavioristische Lerntheorie), durch das Lernen durch Einsicht (kognitivistische Lerntheorie), dem Lernen durch Nachahmung (Identifikationslernen) und Lernen durch Informationsverarbeitung (vgl. Hüholdt 1993, S.131ff.).
Traditionell wird die Fähigkeit zu lernen als ein Merkmal von Individuen angesehen und ein Lernprozeß wird dann unterstellt, wenn ein Individuum auf einen gleichen oder ähnlichen Reiz (Stimulus) in einer von früherem Verhalten signifikant abweichenden Weise reagiert (Response) (vgl. Foppa 1972, S. 65). Derartige Stimulus-Response-Theorien (Reiz-Reaktions-Modelle oder S-R-Theorien) kennzeichnen den Behaviorismus, in welchem der Lernprozeß in einer "black-box" stattfindet. Der Mensch, als "schwarzer undurchschaubarer Kasten" aufgefaßt, erhält Reize aus der Umwelt (Situation), verarbeitet sie irgendwie und antwortet mit bestimmten Reaktionen. Dieser Sachverhalt soll in Abbildung 11 als Modell des "Trivialen Systems" verdeutlicht werden.
Abbildung: Triviale Systeme
Von einem Lernen kann hier ausgegangen werden, wenn die Handlungen eines sozialen Systems als Reaktion auf bestimmte Reizsituationen angenommen werden. In einem trivialen System findet ein Lernprozeß in einer komplexen und durch Zufälligkeit gekennzeichneten Umwelt statt. Die Handlung erfolgt nach der Verarbeitung eines Signals. Verarbeitet wird das Signal instinktiv durch die verarbeitenden Systemmitglieder. In der S-R-Theorie wird zwischen zwei Erklärungsansätzen von Lernen unterschieden, das Lernen
nach dem Kontiguitätsprinzip und
nach dem Verstärkerprinzip.
Beide sollen kurz erklärt werden, da sie den klassischen Umgang von Organisationen mit ihrer Umwelt (Umweltreizen) beschreiben helfen. Nach dem von Guthrie aufgezeigten Kontiguitätsprinzip erfolgt das Lernen durch eine bedingte Reaktion durch Übung und kann nur durch Übung erhalten werden (vgl. Correll 1964, S. 21). Das bedeutet, daß eine Assoziation von Reizen nur zu einem Lernerfolg führen kann, wenn sie in Folge räumlich und zeitlich zusammentreffen. Bei dieser wiederholten Kopplung zeitlichen Zusammentreffens (z.B. von Reiz u. Reaktion, Kontiguität) bleibt der Organismus passiv, d.h. er wirkt nicht selbst auf die Umwelt ein, sondern reagiert lediglich auf Umweltreize. Aufgrund des einfachen Zusammenhanges von Reiz und Reaktion spricht man dabei auch vom klassischen Konditionieren.
Das Lernen nach dem Verstärkungsprinzip hat ein Lernen
aufgrund der Konsequenzen von bestimmten Verhaltensweisen zur
Folge. Das von Thorndike entwickelte "Trial and
Error"-Verfahren (Versuch und Irrtum) bezieht die
Reaktion der Umwelt auf die eigenen Handlungen ein. Dabei
probiert der Organismus ziellos herum und zieht aus den
Reaktionen, die ihm die Umwelt gibt, evt. einen Lernerfolg. Dabei
hat die Reaktion zur Erreichung des Erfolges instrumentellen
Charakter (vgl. Staehle 1991, S.192). Dieser Erfolg setzt, im
Gegensatz zur klassischen Konditionierung, einen aktiven
Organismus voraus. Das heißt, es müssen für das Lösen eines
Problems eigenständig alternative Lösungen ausprobiert werden,
so daß sich ein Lernprozeß erst nach der gezeigten Reaktion
bildet. Dieses Prinzip wird aufgrund seines instrumentellen
Charakters als instrumentelle Konditionierung bezeichnet. Als
primäre bzw. sekundäre Verstärker werden die (negativen bzw.
positiven) Motive verstanden, die zu einer unmittelbaren
Befriedigung primärer (z.B. Hunger) bzw. sekundärer
Bedürfnisse
führen sollen.
Clark L. Hull erweiterte die bisherige reizabhängigen bzw. verhaltensabhängigen Theorien durch sein "Gesetz der primären Verstärkung", wonach besonders die Reaktionen gelernt werden, die unmittelbare biologische Bedürfnisse befriedigen können.
Die bekannteste Lerntheorie nach dem Verstärkungsprinzip ist
der Ansatz der "operanten Konditionierung" nach
Skinner. Das Neue an seiner Theorie ist die Forderung nach
einem aktiven Verhalten auf Umweltreize, d.h. der Organismus muß
aktiv in die Umwelt eingreifen, um bestimmte Erfolge zu erzielen.
Dieses "Lernen durch Erfolg" ist ein wichtiger
Bestandteil in einer Organisation. Durch Anreize (z.B.
Anerkennung) kann ein positiver Wirkungszusammenhang von Handlung
und individuell erfahrenem Erfolg entstehen, der sich auch
positiv auf die gesamte Organisation
auswirken kann.
Die kognitive Lerntheorie ist dadurch gekennzeichnet, daß sie auf die Wahrnehmung von Reizen und ihre Organisation, sowie die Struktur des Bewußtseins eingeht. Gelernt werden demnach nicht Verhaltensweisen, sondern Regeln, auf denen die Verhaltensweisen bauen. Der Mensch wird nicht mehr als "black-box" betrachtet. Vielmehr werden die kognitiven Vorgänge im Individuum in den Vordergrund gestellt.
Bei der Wahrnehmung und einem anschließenden Lernprozeß soll
Geschlossenheit und Vollständigkeit entwickelt werden. Der
bereits bekannte Satz "Das Ganze ist mehr als die Summe
seiner Teile" umschreibt den konzeptionellen Rahmen des
kognitiven
Ansatzes.
Im Gegensatz zu den Stimulus-Response-Theorien greifen die kognitiven Lerntheorien auf das S-O-R-Paradigma (Stimulus-Organismus-Response) zurück. "Dabei wird der Organismus als ein selbständiges System gesehen, welches durch Wahrnehmen, Erkennen und Nachdenken (Kognition) zu Einsichten kommt (Lernen durch Einsicht)." (Vgl. Staehle 1991, S. 194).
"Der Organismus strukturiert seine Wahrnehmungen in Hinsicht seiner Vorstellungen über die ihn umgebene Umwelt. Der Mensch steht in einem reflexiven Austausch mit seiner Umwelt. Er wählt aufgrund individueller reflektierter Erfahrungen, Erwartungen und Überzeugungen Verhaltensweisen aus und schafft somit seine eigene Umwelt." (Vgl. Klimecki et al. 1991, S. 128).
Nach Ansicht von Edward C. Tolman bildet sich der Organismus zunächst eine vorläufige "Karte" seiner Umwelt (map), mit derer Hilfe alle wahrgenommenen Reize in eine zeitlich-räumliche Struktur gebracht werden. Besteht in einer neuen Situation diese Karte noch nicht, sind die Erwartungen über mögliche Problemstrukturen relevant. Treten diese Erwartungen auch tatsächlich ein, erfährt der Organismus ein Erfolgserlebnis. "Gelerntes Verhalten ist nach kognitiven Lerntheorien also nicht das Ergebnis von Triebreduktionen oder reiz- bzw. reaktionsabhängiger Verstärkung, sondern zielgerichtetes Problemlösungsverhalten auf der Grundlage von Erwartungen über Umweltzustände [...]." (Vgl. Ebenda S. 195). Bereits hier lassen sich selbstorganisatorische Ideen erkennen, wenn Tolman dem Organismus, i.w.S. der Organisation, die Fähigkeit der Schaffung einer eigenen Wirklichkeit zuspricht. Das Handeln des Menschen wird nicht mehr nur durch seine Umwelt (Stimuli) oder erfolgreichen Handlungen gelenkt, sondern durch seine Denkvorgänge. Die kognitive Lerntheorie bietet demnach Hilfestellung zur Betrachtung von Lernprozessen in Organisationen dar.
Neben den Grundlagen kognitiver Lerntheorien muß bei einem organisationalen Lernen zwischen drei Lernebenen unterschieden werden. Dodgson stellt im Rahmen einer Literaturauswertung über organisationales Lernen fest:
"Learning is a dynamic concept, and its use in theory emphasizes the continually changing nature of organizations. Furthermore, it is an integrative concept that can unify various levels of analysis: individual, group, corporate, which is particulary helpful in reviewing the cooperative and community nature or organizations." (Vgl. Dodgson 1993, S. 376).
Organisationales Lernen bedarf hiernach einer Analyse der Lernträger Individuum, Gruppe sowie System. Der nächste Abschnitt wendet sich daher den Trägern von Lernprozessen zu.
Das Individuum nimmt als Element eines sozialen Systems eine einflußreiche Rolle ein. Organisationen können zwar in gewisser Weise unabhängig von den Organisationsmitgliedern existieren, was sich z.B. dadurch zeigt, daß Menschen austauschbar sind. Dennoch ist eine wirtschaftliche Organisation ohne seine Organisationsmitglieder nicht denkbar. Da Organisationen sozio-ökonomische Zweckgebilde sind, dabei mehr oder weniger bewußt von Menschen geschaffen und gestaltet werden, wird deutlich, daß dem Menschen als Strukturgestalter und Träger von organisationalen Aufgaben eine bedeutsame Funktion zukommt. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß das Individuum als die kleinste Organisationseinheit fundamentaler Träger von organisationalen Lernprozessen ist:
"[...] individuals are the primary learning entity in firms, and it is individuals which create organizational forms that enables learning in ways which facilitate organizational transformation." (Vgl. Dodgson 1993, S. 378).
Lernprozesse bedingen der physischen und kognitiven sowie der sozialen Fähigkeiten des Menschen. Die Bedeutsamkeit liegt darin, daß diese Fähigkeiten während der Zugehörigkeit in der Organisation erheblichen Einfluß zunächst auf den einzelnen Organisationsteilnehmer und i.w.S. auch auf die Organisation besitzt. So ist die Arbeitszufriedenheit des Individuums einerseits und die Gestaltungsprozesse für die Überlebensfähigkeit der Organisation andererseits bedeutungsvoll.
Die Summe individueller Lernprozesse ist nicht mit einem organisationalen Lernen gleichzusetzen. Dennoch bleibt unbedingt festzuhalten, daß individuelle Lernprozesse unerläßlich für ein organisationales Lernen sind. Ohne einzelne Lernerfolge kann ein Lernen höherer Ordnung nicht entstehen.
Neben den behavioristischen Lerntheorien bieten die kognitiven Lerntheorien einen "erklärungsmächtigeren" Ansatz, da diese die kognitiven Vorgänge im Menschen, d.h. den Prozeß der geistigen Codierung (Probst et al. 1994, S.62) zwischen Stimulus und Reaktion, erklären können.
Lernen in der Organisation bedeutet eine individuelle Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt auf der Grundlage seiner kognitiven Fähigkeiten. Grundlage des Prozesses dieser Auseinandersetzung ist die Beobachtung der Umwelt. Sind Individuen in der Lage, von den gemachten Beobachtungen auf andere Situationen zu abstrahieren, kann ein höheres Lernen stattfinden, dessen entscheidender Faktor die Fähigkeit von Selbstregulierungen ist. Individuen regulieren anhand intern vorhandener Standards (z.B. Werte). Individuen haben dabei gewisse Erwartungen über die künftige Realität, die über ein nicht genau zu bestimmenden Umfang differieren können. Es wird dabei wichtig, daß alle Handlungen, die die von ihnen geschaffenen Differenzen zwischen Erwartungen und Realität so klein wie möglich halten sollen, immer wieder reflektiert werden. Ohne diese Selbstreflexion ist ein höheres Lernen ebenfalls nicht möglich (vgl. Ebenda).
Individuen finden sich zielgerichtet in Gruppen zusammen. Ausgehend von der Erkenntnis, daß Individuen Träger von Lernprozessen sind, ist davon auszugehen, daß auch Gruppen Träger von Lernprozessen sein können.
Das Lernen in der Gruppe besitzt jedoch eine andere Qualität als individuelles Lernen (vgl. Miller 1986, S. 209 ff.). Das Lernen wird geprägt durch die sozialen Interaktionsformen, d.h. den sozialen Beziehungen und den darüber hinaus notwendigen Kommunikationsprozessen. Letzteren kommt dabei eine hohe Bedeutung zu, denn "je 'besser' die kommunikativen Prozesse (dargestellt durch Inhalt und Umfang der Dialogfähigkeit), desto besser die kollektive Lernfähigkeit." (Vgl. Probst 1994, S.64).
Die Individuen formulieren in der Gruppe ihre eigenen Erwartungen, Normen und Werte, die zu neuen Standards und höheren Zielen, verglichen mit denen des Individuums führen. Hinzu wird die Gruppe durch ihre individuellen Rollenerwartungen gesteuert. Die Gruppe ist demnach Träger von Lernprozessen einer neuen Qualität, weil sie unterschiedliche Verhaltenserwartungen als eine Folge von dynamischen (konfliktgeladenen) Prozessen in ihr Wesen einschließt, wonach sich auch die Leistungen der Gruppe verändern können. Hedberg weist darauf hin, daß organisatorisches Lernen eine andere Qualität besitzt:
"Although organizational learning occurs through individuals; it would be a mistake to conclude that organizational learning is nothing but the cumulative result of their members´ learning." (Vgl. Hedberg 1981 b, S.3).
Individuelle Lernerfolge sind demnach nicht einfach aufzuaddieren. In diesem Fall könnte die Organisation auch auf dem jeweiligen individuellen Lernniveau bleiben und die Notwendigkeit eines höheren Lernens abschwächen. Dieses autonome Lernen ist vom relativen Lernen zu differenzieren, welches den Wissensstand des Einzelnen zu dem kollektiven Wissensstand in Bezug auf bestimmte Problemsituationen relativiert. Ein wirkliches Gruppenlernen findet durch fundamentales Lernen statt (vgl. Miller 1986, S. 138). Dieses Lernen ist ganz auf die Gruppe fixiert. Durch dieses fundamentale Lernen wird durch die Individuen ein kollektives Wissen geschaffen. Dieses Wissen spiegelt die Erwartungen und Werte aller Individuen wider, so daß diese neue Wissensbasis auf den Säulen der Gruppenmitglieder basiert. "Die strukturelle Beschränktheit individueller Wissensbestände wird überwunden." (Probst 1994, S. 64).
Nach der Feststellung, daß neben Individuen auch Gruppen
Träger von Lernprozessen sind, kann das Lernen auf einer
höheren Ebene betrachtet werden, der der
Organisation.
Gemäß der Aussage, daß das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist, ist das Organisationslernen auch mehr als die Summe individuellen Lernens. Lernprozesse des Individuums oder der Gruppe sind demnach nicht gleichzeitig Lernprozesse von Organisationen. In dieser Abgrenzung individuellen von organisationalen Lernens finden sich auch unterschiedliche Erklärungsansätze des organisationalen Lernens.
Der Betrachter bewegt sich an der Schnittstelle von individuellem Lernen zu einem organisationalen Lernkonzept. Sicher gibt es Lernprozesse von Elementen und Subsystemen, die mangels Autorisierung zwar das Verhalten der Organisation, das ihr zugerechnet wird, beeinflußt. Dennoch muß zwischen Lernprozessen von Individuen und Lernprozessen von Organisationen unterschieden werden.
Der Unterschied zwischen beiden Lernkonzepten ist die Fähigkeit der Organisation, im Laufe ihrer Geschichte Lernsysteme zu entwickeln, die sich in Symbolen, Leitlinien, Werten und Normen der Organisation widerspiegeln. Fiol und Lyles behaupten zudem, daß Organisationen grundsätzlich unabhängig von den jeweiligen Mitgliedern sind. (Vgl. Fiol und Lyles 1985, S. 804).
Daß diese Unabhängigkeit nicht aufrecht erhalten werden kann, sondern vielmehr mannigfache Beziehungen zwischen Individuen und Organisationen bestehen, hält Harald Geißler in vier Thesen fest (vgl. Geißler 1991, S.95).
Demnach wird das Organisationslernen als die Änderung des organisatorischen Steuerungspotentials mit internen und externen Aufgaben und Problemen verstanden (1). Diese Änderungen sind einerseits das Resultat von individuellen Lernprozessen, andererseits auch Anlaß für individuelle Lernprozesse derjenigen Organisationsmitglieder ist, die in das Organisationslernen bisher noch nicht involviert waren.
Dazu fordert Organisationslernen individuelle Lernanstrengungen (2). Großen Lernanstrengungen seitens einzelner Organisationsmitglieder oder auch von Organisationsgruppen können nur sehr geringe oder auch gar keine Lernerfolge der Organisation gegenüberstehen.
Die dritte These greift genau das Gegenteil auf, nach welcher
auch minimale Lernanstrengungen zu großen Lernerfolgen der
Organisation führen können (3). Voraussetzung ist, daß an den
strategischen Schlüsselpositionen in der Organisation
Mitarbeiter sitzen, die für ein Organisationslernen besonders
wichtig sind. Diese haben für ein Organisationslernen eine sehr
hohe Bedeutung; sie besitzen eine relativ hohe Akzeptanz bei
allen Organisationsmitgliedern und werfen nur geringe
Realisierungsprobleme auf, die deshalb nur geringe Lernprozesse
von den Organisationsmitgliedern
verlangen.
Doch diese "glückliche" Konstellation ist nicht die
Regel (4). Ursache ist, daß nicht alle strategischen Positionen
von besonders hoch qualifizierten Organisationsmitgliedern
besetzt werden können, da derartiges Personal auf dem internen
(in der Organisation) wie externen Personalmarkt nicht immer ad
hoc abrufbar ist. Es genügt demzufolge nicht,
Organisationslernen auf nur wenige strategische Instrumente
aufzubauen.
Lernprozesse sollten, gemäß der obigen Beschreibung individuellen Lernens, als Ergebnis Verhaltensänderungen zur Folge haben. Unternimmt man den Versuch, diese Erkenntnis auf Organisationen zu transformieren, kann die Frage gestellt werden, ob eine Organisation ebenfalls Verhaltensstrukturen aufweist und wie sich organisatorisches Verhalten verändern kann. Man müßte der Organisation eine gewisse Selbständigkeit zusprechen, um diese Frage beantworten zu können.
Zunächst muß fixiert werden, wer überhaupt das Verhalten einer Organisation nach innen wie nach außen repräsentiert. Da in der Realität die Transformation biologischer Erkenntnisse von Organismen und Systemen nicht eindeutig in die Organisationstheorie implementiert werden kann, kann davon ausgegangen werden, daß dieses Verhalten von Menschen beschrieben wird. Dies geschieht nicht von allen Organisationsmitgliedern, sondern von einer selektiven Auswahl von Mitgliedern, die besonders im Außenverhältnis der Organisation als Management wahrgenommen wird. Das Verhalten der Organisation wird demnach durch das einer relativ kleinen Gruppe einer Organisation determiniert. Auf dieser Grundlage kann das Problem des Organisationslernens gezielter betrachtet werden. Die o.g. biologischen und evolutionären Untersuchungen und die vielfachen Interpretationsversuche auf betriebswirtschaftliche Organisationen sind nicht zu vernachlässigen. Ganz im Gegenteil: Sie bieten Hilfestellungen, betriebswirtschaftliche Zusammenhänge, ganz besonders auf das Organisationslernen bezogen, zu verdeutlichen und zu erklären.
Die durch wiederholt gemachte Erfahrungen gewonnenen Lernprozesse müssen für eine spätere Anwendung im Gedächtnis gespeichert werden. In diesem Gedächtnis sind neben diesen Erfahrungen ganz besonders auch die sozialen Rahmenbedingungen (Kultur, Denkweisen etc. vgl. unten) gespeichert.
Eine biologische Beschreibung der Funktionsweise menschlicher Gehirne i.S. von Maturana oder Varela kann für die Beschreibung eines organisationalen Gedächtnisses Hilfestellung leisten. Eine bedingte Abstraktion führt Hedberg herbei, (vgl. Hedberg b 1981, S.6), indem er äußert:
"Organizations do not have brains, but they have cognitive sys-tems and memories. As individuals develop their personalities, personal habits, and beliefs over time, organizations develop world views and ideologies. Members come and go, and leadership changes, but organizations´ memories preserve certain behaviors, mental maps, norms and values over time."
Ausgehend von der Austauschbarkeit von Organisationsmitgliedern, spricht Hedberg der Organisation sg. kognitive Karten (maps) sowie ein Wissenssystem zu, in welchem Erfahrungen von vergangenen Verhaltensweisen der Mitglieder, Normen und Werte sowie Mythen und Ideologien über einen längeren Zeitraum hinweg gespeichert sind. Grundlage von kognitiven und "erinnerrungsfähigen Systemen" (Hedberg) ist der Erwerb einer organisationalen Wissensbasis, die vom Individuum unabhängig ist und über das Wissen der sozialen Gruppe hinausgeht. Durch diesen Kontext werden Erklärungszusammenhänge erhalten, Führungsgrundsätze bewahrt und Arbeitsabläufe gespeichert, die im Gedächtnis der Organisation festgehalten werden.
Es stellt sich dabei die Frage, welche Strukturen in einer Organisation existieren müssen, um Lernfähigkeit vollkommen entwickeln zu können. Organisationale Lernfähigkeit muß aus diesem Grunde etwas ganz anderes als individuelles Lernen oder Gruppenlernen sein, da es zur Realisierung bestimmter Strukturen bedarf, welche für ein individuelles bzw. soziales Lernen nicht oder nur bedingt notwendig sind. Die Frage, welche Strukturen und Prozesse dazu geschaffen werden können, Lernfähigkeit voranzutreiben, wird sich an späterer Stelle etwas ausführlicher gewidmet.
Im folgenden Abschnitt wird versucht, die Komplexität des "Organisationalen Lernens" weiter einzugrenzen, um darauf aufbauend das grundlegende Konzept erläutern zu können.
5.3 Konzeptionelle Beschreibung organisationaler Lernsysteme
Eine allumfassende Definition über Lernende Organisationen in der Literatur zu finden, ist mit Schwierigkeiten verbunden, da es keine übereinkommende Vorstellung von LO gibt und in den Auffassungen des Konzeptes Unsicherheiten und grobe Unterschiede existieren.
Neben dem bekannten individuellen Lernen lassen sich grundsätzlich zwei Strömungen des organisationalen Lernens charakterisieren:
Zum einen wird das Lernen von Organisationen als das stellvertretende Lernen der Organisationsmitglieder verstanden (vgl. Abbildung 12: Ebene 2). In der Regel wird dieses stellvertretende Lernen von einer bestimmten Auswahl von Personen in der Organisation wahrgenommen (Management, Unternehmer). Dieses Lernen steht in einem engen Zusammenhang zur Macht in der Organisation, da das in individuellen Lernprozessen innerhalb dieses bestimmten Personenkreises erworbene Wissen bessere Möglichkeiten hat, in die organisatorischen Entscheidungsprozesse einzufließen (vgl. Pautzke 1989, S. 103f.).
Abbildung: Die verschiedenen Lernebenen
Zum anderen wird der Organisation die Fähigkeit unterstellt,
selbstständig kognitive Lernprozesse zu gestalten. Geißler
(1991, S.81) versteht die Organisation in ihrer Gesamtheit als
das Subjekt für Lern- und Veränderungsprozesse. Lernen
findet demnach nicht mehr allein auf individueller Ebene statt,
sondern wird auf der Ebene der gesamten Organisation bzw. der
Organisationseinheit (Ebene 3 in Abbildung 12) gehoben. Der
Unterschied organisationalen Lernens vom individuellen Lernen
(Ebene 1) existiert zudem in den vielfältigen Rahmenbedingungen,
in denen Lernprozesse stattfinden. So wird das Lernen einer
Organisation nach gewissen Äußerlichkeiten geordnet,
zusammengefaßt in der Organisationskultur, die
äußerlich nicht beobachtbar sind
(vgl. Kap. 5.7).
Neben diesen zwei Strömungen wird versucht, "[...] in differenzierter Weise Prozesse zu identifizieren, die ein Lernen von Organisationen jenseits einer Personifizierung erklären können." (Vgl. Pautzke 1989, S.104). Das heißt, organisationales Lernen bedeutet die Veränderung eines von allen Organisationsmitgliedern geteilten Wissens (vgl. Knyphausen 1988, S.6). Die Organisation erscheint als Gemeinschaft geteilter Selbstverständlichkeiten (vgl. Etzioni 1975, S. 20ff.), nach welcher die Bedeutung eines gemeinsamen Wissensbestandes betont wird.
Eine modernere Begriffsbestimmung lernender Organisation liefern Pedler et al. (1991, S.60). Ihrer Ansicht nach ist eine lernende Organisation
"[...] eine Organisation, die das Lernen sämtlicher Organisationsmitglieder ermöglicht und die sich selbst transformiert."
Demnach ist die Entwicklung einer LO abhängig von ihren kontinuierlichen Veränderungen, bei der die Ergebnisse individuellen Lernens zusammengefaßt werden und zu einem selbstverändernden Prozeß (Transformation) werden. Hier wird neben der Betonung des Prozesses von Veränderungen die sich eigenständig entwickelnde Organisation betont.
Dodgson faßt den organisationalen Lernbegriff folgendermaßen zusammen:
"Organizational Learning can be described as the ways firms build, supplement and organize knowledge and routines around their activities and within their cultures, and adapt and develop organizational efficiency by improving the use of the broad skills of their workfaces." (Vgl. Dodgson 1993, S. 377).
Dieser Definition nach wird organisationales Lernen als ein Weg einer Organisations-entwicklung mit einer organisatorischen Wissensbasis beschrieben, die in ihren Handlungsroutinen und ihrer Kultur eingebettet ist. Damit sind einige wichtige Bausteine organisatorischen Lernens beschrieben: Die institutionelle Wissensbasis und die Kultur.
Werden die genannten Auffassungen zusammengefaßt zuzüglich der Erkenntnis und der Notwendigkeit einer in der Organisation verankerten Dauerbereitschaft, Veränderungen (Neues) aus der Außenwelt durch Änderung bereits gelernter Erwartungs- und Kognitionsmuster zu begegnen, unterliegt organisationales Lernen unterschiedlichen Sichtweisen. Einheitlich ist die Auffassung, daß organisationales Lernen immer individueller Lernprozesse bedarf, welche in der Tiefenstruktur der Organisation eingebettet sind. Unterschiedlich sind die Auslegungen wiederum, wie das in individuellen Lernprozessen erworbene Wissen in eine organisatorische Wissensbasis überführt werden kann.
Das folgende Kapitel wendet sich den Lernkonzepten zu, die innerhalb unterschied-licher organisatorischer Lernniveaus beschrieben werden können.
5.4 Lernniveaus organisationalen Lernens
Die Amerikaner gehörten zu den ersten, die, ausgehend vom individuellen Lernen, den Lernansatz auf Organisationen übertragen haben. In der deutschen Betriebswirtschaftslehre fand das Lernphänomen Eingang vor allem in Themengebieten lerntheoretischer Überlegungen, so in Erklärungsmodellen des Konsumentenverhaltens, der produktions- und kostentheoretischen Ansätzen sowie der Entscheidungs- und der Organisationstheorie (vgl. Pautzke 1989, S.4-7, zit. n. Scheu 1971, S. 545).
March und Olsen (1976, S. 12 ff.) konzipieren das organisationale Lernen auf einen positiven "Lernzirkel", dem erfahrungsorientierten Lernen. Lernen wird hierin als Lernen durch Erfahrung interpretiert: Organisationen handeln in Bezug auf ihre Umwelt, beobachten die Konsequenzen ihrer Handlungen bzw. die Reaktionen der Umwelt und bilden "Theorien" über die Gründe für die eingetretenen Konsequenzen. Existieren Diskrepanzen zwischen aktuell bestehenden und erwünschten Umweltzuständen, wird daraus ein Problem formuliert und neue Initiativen und Handlungen (Entscheidungen) zur Problemlösung entwickelt. Mit dieser wirkt die Organisation in einer bestimmten Weise auf die Umwelt ein, worauf die Umwelt erneut reagiert. Mit dem Sinneseindruck und der Interpretation der Umweltreaktionen durch die Organisationsmitglieder wird wiederum ein neuer Lernzyklus in Gang gesetzt.
"Organisationen befinden sich demnach in einer permanenten Lernbereitschaft, einem 'aufgetauten' Zustand. Sie entwickeln darüber hinaus Lernsysteme, die im Laufe ihrer Geschichten, Symbolen, Leitlinien, Werten und Normen der Organisation widerspiegeln. Sie sind somit grundsätzlich abhängig von ihren Mitgliedern." (Vgl. Fiol und Lyles 1985, S. 804 zit. in: Klimecki et al. 1991, S.129).
Bei akuten Problemen (Krisen), wird vor dem Hintergrund der vorhandenen Orientierungsmuster das Gelernte unmittelbar in eine neue Handlungsweise umgesetzt. Die Organisationsmitglieder bzw. die Organisationen lernen aus den daraus resultierenden Umweltreaktionen (vgl. March und Olsen 1976, S. 67). Diese Theorie erinnert an das "Trial-and-Error"-Konzept von Thorndike (vgl. Kap. 5.3.1), welches das Lernen im wesentlichen durch das Reaktionsverhalten aufgrund eines Stimulus (Stimulus-Response) vollzieht.
Pautzke als ein deutscher Autor organisationaler Lernkonzeptionen veranschaulicht innerhalb der Organisationstheorie drei Erklärungsansätze für eine Betrachtung vom Lernen in einer Organisation:
Der erste geht getreu der klassischen Organisationstheorie davon aus, daß Lernen etwas mit Anpassung zu tun hat, also der anpassenden Angleichung der Organisation an Veränderungen der Umwelt (Kappler). Die Organisation muß lernen, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen. Ist sie dessen nicht in der Lage, ist die Überlebensfähigkeit der Organisation stark in Frage gestellt.
Bei dem zweiten Erklärungsansatz wird der Prozeß des Organisierens generell als ein Prozeß des Lernens beschrieben (vgl. Wolff 1982, S. 3). Die Gestaltung der organisatorischen Elemente vollzieht sich nicht mehr als einmaliger Akt, sondern als ein Prozeß, einer schrittweisen Annäherung an "optimale" Strukturen und Abläufe mit einer Vielzahl von Rückkopplungen und Lernschritten oder als beständiger Prozeß im Spannungsfeld von Selbstorganisation (vgl. Ebenda, S. 1-13).
Dritter Ansatz ist die Schaffung einer eigenen Wirklichkeit. Sie soll dazu beitragen, den Prozeß des (einfachen) Anpassens nicht mehr als herrschende Prozedur zu betrachten, sondern die Umweltveränderungen als Möglichkeit zu erkennen, "[...] die Außenwelt nach eigenen Vorstellungen an sich [...] " anzupassen (vgl. Szyperski 1969, S. 56).
Für eine Wirklichkeitsschaffung ist es entscheidend, daß hier nicht mehr reines Anpassungsverhalten vorausgesetzt wird, sondern die Betonung auf die Wahrnehmung von selbstorganisatorischen Prozessen liegt, die das soziale System in einen aktiven Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozeß mit der Umwelt bringt. Zugleich müssen alle Wahrnehmungen im Zuge der Selektion und Lernhandlungen stetig beobachtet und reflektiert werden, um sie während des Ablaufs gewichten und korrigieren zu können.
Die Autoren Argyris und Schön greifen diesen Zusammenhang ebenfalls auf und stellen in ihrem Ansatz insbesondere das Verhältnis von Individuum und Organisation heraus.
Organisationen handeln demnach entsprechend den subjektiven Handlungstheorien ihrer Mitglieder, die gebildet werden über ihren Vorstellungen und Werten, über die Zusammenhänge in ihrer Umwelt und über ihre eigenen Möglichkeiten der Gestaltung. Argyris und Schön prägen für das Handeln des Menschen auf der Grundlage von Alltagstheorien den Begriff "theories-in-use". Sie heben das Lernen auf drei auf sich aufbauende Lernniveaus an. Grundsätzlich findet organisationales Lernen durch den Vergleich der Handlungsergebnisse (outcomes) mit den Erwartungen (Planvorgaben) statt. Erfolgt die Korrektur der Abweichungen unter Beibehaltung der herrschenden Managementphilosophie (theories in use), wird als niedrigstes Lernniveau vom Single-loop-Lernen (Anpassungslernen) gesprochen.
Abbildung: Anpassungslernen (Single-loop-learning)
Dieser recht einfache Ansatz des Lernens geht getreu der klassischen Organisations-theorie von der anpassenden Angleichung der Organisation an unvorhergesehene Veränderungen der Umwelt aus. Die Organisation kann demnach ihre Überlebensfähigkeit nur in Form von Anpassung an veränderte Bedingungen sichern, wobei der Umgang mit Veränderungen durch das Abrufen von Erfahrungen gleicher Situationen aus der Vergangenheit bewältigt wird.
Werden für die Korrekturen hingegen neue Interpretationsschemata der wahrgenommenen Signale aus der Umwelt gesucht, findet Double-loop-Lernen (Reflexives Lernen) statt.
Abbildung: Reflexives Lernen (Double-loop-learning)
Double-loop-Lernen nutzt den bisherigen Erfahrungsschatz der Organisation bzw. seiner Mitglieder, transformiert diese Erfahrungen und hinterfragt zugleich die grundsätzlichen institutionellen Normen und damit die grundlegenden Wertvorstellungen der Organisation. Es geht dabei um die Auseinandersetzung mit den institutionellen "theories-in-use" (vgl. Argyris und Schön 1978, S. 22). Diese Form des organisationalen Lernens erfordert eine veränderungsfähige und veränderungswillige Managementphilosophie, welche allerdings nicht konfliktfrei veränderbar sein wird. Dies kann daran liegen, daß es auf der einen Seite Mitglieder gibt, die an den alten Handlungsmustern haften bleiben, ebenso wie auf der anderen Seite Mitglieder existieren, die neue Handlungstheorien weiterhin schaffen und nutzen wollen. Es ist hierbei eine Machtfrage der einen bzw. der anderen Gruppe, inwieweit neue Umgangsformen in die Organisation eingebracht werden können. Daher ist Double-loop-Lernen nicht zwangsläufig, sondern hängt von der Durchsetzungskraft der einen oder anderen Gruppe ab.
Ein Lernfortschritt i.S. eines höheren Lernniveaus ist jedoch bei erfolgreicher Anwendung von Double-loop-Lernen nicht von der Hand zu weisen. Dieser wäre schon in der Handhabung neuer "theories-in-use" zu begründen.
Bateson faßt diese systematische Auffächerung (Single- und Double-loop-Lernen) zu einem "Lernen erster Ordnung" (bzw. "Proto-Lernen") zusammen und fügt zusätzlich das "Deutero- Lernen" an, einem Lernen durch doppelte Reflexion (vgl. Bateson 1983, S. 219ff.).
Abbildung: Prozeßlernen (Deutero-learning)
Bateson formuliert Deutero-Lernen als ein "Lernen-zu-Lernen"; ein Lernen auf der höchsten Ebene (Argyris und Schön: Metaebene), welches die Verbesserung der Lernprozesse sowohl auf der Single-loop- als auch auf der Double-loop-Ebene ermöglicht (vgl. Staehle 1991, S. 845). Das heißt, daß die institutionellen Fähigkeiten des Single- und Double-loop-Lernens besser genutzt werden können.
Die in den individuellen Lernprozessen notwendigen Reflexionen finden auch auf der organisatorischen Ebene Anwendung. Das System hat in gezielter Weise Informationen über sich selbst zu verarbeiten und schafft die erforderlichen Entscheidungsvoraussetzungen, um als System auf vergangene bzw. künftig zu erwartende Entwicklungen im Inneren wie in der Umwelt antworten zu können. Deshalb ist der Umgang mit der Selbstreflexion ein wichtiger Indikator für die Lernfähigkeit einer Organisation (vgl. Wimmer 1992, S. 96).
Die Reflexion des Lernkontextes und das Entdecken von Lernhindernissen und Lernerleichterungen stellt eine wichtige Aufgabe dar (vgl. Argyris und Schön 1978, S.26f.). Deutero-Lernen basiert auf dem ständigem Nachdenken der eigenen "theories-in-use". Für den Bau einer LO muß die Schaffung und der Gebrauch neuer "theories-in-use" alltäglich und zur Selbstverständlichkeit werden.
Es genügt demnach nicht, Lernen als abgeschlossenen Prozeß zu betrachten, sondern als einen fortlaufenden, sich selbst in einem kritischen Spiegel betrachtenden Ablauf von Verhaltensweisen. Können auf den unteren Lernebenen Lernprozesse durchaus erzwungen werden, stellen Lernsysteme höherer Ordnung nur "Lernhilfen" des Lernenden dar; beim Deutero-Lernen sind daher inneres Engagement und Motivation der Lernenden unerläßlich (vgl. Pautzke 1989, S.137).
Organisationales Lernen baut nach Argyris, Schön und Bateson auf alle drei Lernniveaus auf. Dabei geht es auf allen drei Lernebenen darum, entsprechende Kontexte zu schaffen, damit organisatorische Fähigkeiten (Umgang mit dem Neuen) im allgemeinen und das Reflexionsvermögen auf kognitiver und normativer Ebene mit dem Ziel der Entwicklung brauchbarer "theories-in-use" im speziellen verbessert wird. Diese Kontexte, Erfahrungen und Fähigkeiten (Hypothesen) sind im organisatorischen Gedächtnis gespeichert (vgl. Klimecki et al. 1991, S. 132). Dieses Gedächtnis stellt das Speicher-System der Organisation dar, welches durch die Hypothesen eine Verbindung zwischen interner und externer Umwelt herstellen kann. Die Speicherkapazität ist beschränkt; insofern erfordern Lernprozesse das Vergessen alter, unbrauchbarer Fähigkeiten und Verhaltensweisen.
"Somit müssen eingefahrene Lernroutinen, die Lernen verhindern, zunächst einmal abgebaut werden, um Lernpotentiale freisetzen zu können." (Vgl. Ebenda, S. 133).
Ein neues Lernen bedingt demnach zuerst ein Verlernen. Nicht mehr benötigte Wissenselemente müssen eliminiert werden, um Speicherplatz für neue aktuelle Elemente zu schaffen.
5.5 Rahmenbedingungen des organisatorischen Lernens
Organisationales Lernen kann gemäß dem Verständnis aus Kapitel 5.5 charakterisiert werden als eine Strategie zur Verbesserung des organisatorischen Problemlösungspotentials hinsichtlich unerwarteter Umweltsignale bzw. als eine Möglichkeit zur Umsetzung von Erfahrungen mit der Umwelt und zum Erwerb bzw. der Verbesserung von Wissen oder der Organisation zur Verfügung gestellten Wissens.
Ähnlich den Erbanlagen, der Erziehung und der Umwelt als prägende Grundbausteine individuellen Lernens, besonders der Denkstrukturen, ist der strukturelle und kulturelle Kontext innerhalb der Organisation wichtiger Hintergrund für die Umsetzung dieser Erfahrungen von Erwerb und Verbesserung des Wissen (vgl. auch Abbildung 20).
Der strukturelle Kontext besteht aus Komponenten wie z.B. der Organisationshierachie, Zentralisierung von Entscheidungen und bildet kumuliert die Oberflächenstruktur der Organisation.
Der kulturelle Kontext hingegen bezieht sich auf die Regeln und Werte, welche die Tiefenstrukturen konstruieren. In diesem Abschnitt wird insbesondere auf die Tiefenstruktur eingegangen, da diese letztendlich die Entwicklungsmöglichkeiten einer Organisation determiniert.
Diese Tiefenstruktur bzw. der Kontext offenbart sich neben den o. g. Komponenten auch in Mythen, Weltbildern, Sinnmodellen, Paradigmen etc. sowie den institutionellen Ordnungen (Normen, Regeln) und den Persönlichkeiten der Organisationsmitglieder (vgl. Müller-Stewens und Pautzke 1991, S. 189.). Diese Organisationskultur ist Bedingung und Ergebnis des wirtschaftenden sozialen Systems, das stetig auf der Suche nach den jeweils adäquaten Lösungen seines ökonomischen und gesellschaftlichen Seins ist. Kulturelle Bedingungen sind des weiteren das erworbene Wissen und die Erkenntnisse des Systems zur Interpretation der Erfahrungen und zur Generierung von Handlungen (vgl. Klimecki et al. 1991, S. 126): "Kultur, das sind geistig-sinnhafte Muster, die materielle oder substantielle Muster überlagern und ergänzen."
Das Netz von Werten, Glaubensvorstellungen, kognitiver und normativer Orientierungsmuster hält das System dabei auf geistiger Ebene zusammen. Eine bestimmte Kultur kann indessen nicht von außen aufgesetzt bzw. von innen "verordnet" werden (vgl. die Kritik "Wandel-Berater"). Sie entsteht aus den internen und/oder externen Interaktionsbeziehungen im Zuge eines reflexiven Entwicklungsprozesses und ist somit Resultat der Dynamik im Netzwerk. Kultur kann z.B. in Form von Selbstorganisa-tionsprozessen erworben werden (vgl. Klimecki et al. 1991, S.136). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß Kultur nicht einfach machbar (zu managen) und daher nicht zu instrumentalisieren ist. Hierarchische Strukturen suggerieren hingegen eine Beherrschbarkeit und Kontrollierbarkeit von sozialen Systemen, die es in komplexen Systemen nicht gibt. Kultur sollte aus diesem Grunde vielmehr als Fundament von Führungsprozessen verstanden werden, auf welchem im Gegensatz zur mechanistischen Auffassung Entwicklungen stattfinden können. "Hierbei sind Lernprozesse zu fördern, Experimente zu erlauben und Hindernisse für die Interpretation, das Verlernen und den Lerntransfer abzubauen." (Vgl. Klimecki und Probst 1990, S. 61.)
Neben der Kultur hat natürlich auch die Struktur Einfluß auf das organisatorische Lernen. Struktur ist dabei mehr als nur die Aufbau- und Ablauforganisation. Sie ist auch Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit, und zwar nicht nur unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch unter dem Aspekt humaner und individueller Arbeitsgestaltung und der strukturellen Ermöglichung von Lernprozessen: "Organisation ad personam versus Organisation ad rem." (Sattelberger 1991, S.50).
Organisatorische Rahmenbedingungen können zum einen dazu führen, daß Lernprozesse behindert werden. So können z.B. unterschiedliche Rollenerwartungen der Organisationsmitglieder dazu führen, daß individuelle Lernerfahrungen dem organisationalen Lernprozeß nicht zur Verfügung gestellt werden. Dieses Beispiel verdeutlicht, daß äußere Gegebenheiten mehr oder weniger das Organisationslernen beeinflussen können. Auf der anderen Seite können diese Rahmenbedingungen aber auch als "Ressource" von Lernprozessen dienen, die über die Möglichkeiten individuellen Lernens hinausgehen. Eine Organisation kann ein breiteres Wissen speichern, als dies ein einzelnes Mitglied kann. Dieses breite Wissen kann den Organisationsmitgliedern schließlich insgesamt zur Verfügung gestellt werden, wobei die Ergänzung des organisatorischen Wissens von einer individuellen Wissensbasis (vgl. Pautzke) nicht ausgeschlossen, sondern erwünscht ist.
Die Rahmenbedingungen liefern demnach einen doppelten Charakter: Sie können einerseits Lernen verhindern, andererseits Lernen unterstützen und fördern. Dabei sind die kulturellen und strukturellen Komponenten als Ganzes zu betrachten. Dies führt zu der Aussage, daß Erkenntnisse des individuellen Lernens für die Beschreibung komplexer organisatorischer Lernprozesse allein nicht hinreichen. Individuelle Lernprozesse beschreiben das Aneignen von Wissen und Kenntnissen bzw. das Einprägen in das Gedächtnis sowie den Vorgang, im Laufe der Zeit durch Erfahrungen, Einsichten o. ä. zu Einstellungen und Verhaltensweisen zu gelangen, die vom Bewußtsein bestimmt sind. Das organisationale Lernen hingegen betrachtet die "[...] Wechselbeziehungen von Organismus und Organisation sowie die Lernfähigkeit von sozialen Systemen [...]." (Vgl. Müller-Stewens und Pautzke 1991, S.191).
Ein lernendes Unternehmen bewegt sich also in einem Dreieck von Struktur, Kultur und der Strategie, welche das Lernkonzept als Entwicklungskonzept auffaßt. Abbildung 16 zeigt hinzu die LO im Spannungsfeld von unterschiedlich möglichen Entwicklungsansätzen.
Abbildung: Positionierung eines Lernenden Unternehmens
5.6 Der Prozeß organisationalen Lernens
Die vorangegangenen Abschnitte des achten Kapitels haben gezeigt, daß organisationales Lernen in der systemischen Betrachtung von einigen Voraussetzungen abhängig ist. Neben den kognitiven Grundvoraussetzungen lernfähiger Menschen obliegt den Trägern von Lernprozessen eine hohe Bedeutung für die Entwicklungsfähigkeit einer Organisation. Die unterschiedlichen Ansätze verstehen Lernen entweder als ein stellvertretendes Lernen oder als einen institutionellen Prozeß.
Organisationales Lernen findet statt, wenn sich nicht nur seine Teile aggregieren, sondern sich ein neues Gesamtsystem entwickelt, das eigene Gesetzlichkeiten erfährt (Vgl. Probst und Büchel 1994, S. 65). Organisationales Lernen kann -systemisch betrachtet- durch die strukturellen und prozeßorientierten Mechanismen bestimmt werden:
"Strukturen ermöglichen es dem System, nur bestimmte Selektionsmuster in der Verknüpfung der Elemente zu realisieren [...]. Prozesse erlauben es dem System, das Nacheinander der Verknüpfungen nach bestimmten Mustern selektiv zu steuern [...]" (vgl. Willke 1993, S.108).
Eine Organisation als ein soziales System verfügt jedoch über kein eigenes Verarbeitungssystem für Reize (Stimuli). Ein solches kann gefördert werden durch eine Entwicklung der Organisation mit wechselseitig aufeinander bezogene Verhaltenserwartungen der Mitglieder. Bevor allerdings Entwicklung stattfinden kann, muß Lernen stattfinden. Wie dieses Lernen als Prozeß dargestellt werden kann, zeigt das "Prozeß-Modell" von Günter Müller-Stewens und Gunnar Pautzke (vgl. Abbildung 17).
Dieses Modell setzt beim Organisationsmitglied an. Es wird zunächst auf Individuen oder Gruppen (Management, Subkulturen) als Träger von Lernprozessen hingewiesen, die stellvertretend für die Organisation lernen können. Aus dem "Umweltrauschen" nehmen die Aktoren für das System zunächst wichtige Signale wahr, die sie zu Informationen verdichten. Diese Informationen und die daraus gewonnenen Erfahrungen stellen die Aktoren als ihr individuelles oder gruppengeschaffenes Wissen der Organisation zur Verfügung. Dieses Verständnis kann, muß aber nicht zu einer höheren Lernfähigkeit der Organisation führen.
Durch Konzentration von Wissen auf einzelne Mitglieder besteht
die Gefahr, daß durch Ausscheiden dieser Mitglieder die
Wissensbasis verloren geht. Somit wäre die Organisation genauso
"klug" wie vorher. Es ist daher erforderlich, dieses
Wissen nicht nur auf einzelne Mitglieder zu verteilen, sondern
mehreren Mitgliedern verfügbar zu machen. Dies kann erfolgen,
indem durch konstruktive Konflikte und Auseinandersetzungen über
anstehende Probleme in der Organisation die daraus folgenden
Ergebnisse allen Beteiligten zukommen und durch Kommunikation
dieses Wissen in Sinnzusammenhänge gebracht wird. Das
individuelle Lernen ist das Fundament des von Müller-Stewens und
Pautzke geschaffenen folgenden Modells organisationalen
Lernens.
Abbildung: Der Organisatorische Lernzirkel (Prozeß-Modell)
Der "Organisatorische Lernzirkel" verläuft derart, daß ein Mitglied eine Idee für eine neue oder eine modifizierte "Spielregel" hat (I. Individuelles Lernen). Diese wird als Vorschlag in organisatorische Arenen eingebracht und nach kritischer Diskussion in den kollektiven Wissensvorrat übernommen (II. Kollektives Lernen). Anschließend wird sie im organisatorischen Rahmen verankert (III. Institutionalisierung, Autorisierung). Handeln die Aktoren künftig nach diesen Regeln, schlägt der Lernprozeß auf die Handlungsebene durch (IV.).
"Organisatorisches Lernen ist damit stets durch das Nebeneinander einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Lernprozesse geprägt." (Müller-Stewens und Pautzke 1991, S. 196).
Als Sensoren einer Organisation, die Stimuli aufnehmen, können die Menschen angesehen werden, die zu der Organisation gehören. Eine Organisation kann, da ihr ein eigenes Verarbeitungssystem fehlt, nur durch ihre Organe und ihre Elemente Stimuli aufnehmen und handeln. Diese Stimuli können aber erst zu Informationen oder Wahrnehmung werden, wenn es Regeln zu ihrer Verarbeitung zu einem Gesamtbild gibt. Diese Regeln legen fest, welche Signale als Stimuli aufgefaßt werden, was überhaupt und in welcher Weise verarbeitet wird.
Die Wahrnehmung einer Organisation ist in einer Hinsicht also der menschlichen Wahrnehmung sehr ähnlich: Sie erfolgt nicht direkt, sondern sie entsteht erst aus der gemeinsamen Interpretation von Signalen (Stimuli) durch die Elemente der Organisation. Diese Signale werden durch ein gemeinsamen Regelwerk interpretiert. Dieses Regelwerk ist somit wesentlicher Bestandteil organisatorischer Lernprozesse.
5.7 Problemfelder des organisationalen Lernens
Bei der theoretischen Beschreibung einer LO kann der
Beobachter vernachlässigen, daß bei allen Überlegungen zur
Erklärung und Gestaltung organisationalen Lernens auch Probleme
existieren, die auf den ersten Blick nicht evident werden. Das
vorherige Kapitel 5.8 beschreibt den Prozeß, einen möglichen
Ablauf organisationalen
Lernens.
In dem für die Beschreibung verwandten organisatorischen Lernzirkel von Müller-Stewens und Pautzke liegen allerdings auch die Schlüsselprobleme des organisatorischen Lernens, die in Abbildung 18 (S.
*) zusammengefaßt sind. Die zitierten Autoren differenzieren das Problempotential in vier Schlüsselprobleme, die organisationales Lernen behindern und verhindern können (1991, S. 196):Das erste Schlüsselproblem ist in der Kollektivierung
individuellen Wissens zu benennen. Für die Schaffung einer
organisatorischen Wissensbasis sind alle Organisationsmitglieder
angehalten, ihr individuelles Wissensniveau in die Organisation
einzubringen und der Organisation zur Verfügung stellen. Zudem
sollten die Mitglieder auch bereit sein, ihre Ideen und damit
auch das Wissen in die Organisation
einzubringen.
Parallel ist die Organisation angehalten, durch die Schaffung umspannender, d.h. lernfördernder Gegebenheiten neue Ideen zu diskutieren und für die Organisation fruchtbar zu machen. Dies erfordert ein großes Vertrauen unter den Mitgliedern und stellt jedes Mitglied vor die Vertrauensfrage, da alle Organisationsmitglieder in einer LO das Ganze erkennen und sehen sollen und für ein gemeinsames Handeln gegenseitiges Vertrauen unabdingbar ist. Für den Aufbau einer breiten Vertrauensbasis sind die Mitglieder angehalten, im Sinne des "neuen" organisatorischen Zweckes auf ihre (teilweisen) Machtpositionen zu verzichten. Ein Festhalten auf eigene Machtpositionen in der Organisation würde (nach klassischer Organisationstheorie) ein Verhältnis zwischen "dispositiven" und "ausführenden" Lernen bedeuten, wobei kleine Lernerfolge zurückgehalten werden und dem organisatorischen Zugang verschlossen bleiben.
Ein zweites Schlüsselproblem läßt sich in der Institutionalisierung der von der Organisation übernommenen Ideen finden. Das in der Organisation generierte Wissen muß derart etabliert werden, daß daraus Handlungsregeln für die Organisation abzuleiten sind. Diese Handlungsregeln bedürfen einer Konkretisierung, um sie für reale Probleme praktikabel zu machen. Diese Notwendigkeit kann an der Machtfrage scheitern. Institutionalisierung von Ideen und Wissen kann nur stattfinden, wenn sich die Organisationsmitglieder über den Sinn eines gemeinsamen Wissens einig sind. Kleine informelle Gruppen können dieses Konzept zum Scheitern bringen.
Es wurde oben ausgeführt, daß in einer LO nicht die Personen hinsichtlich einer Lernverbesserung verändert werden, sondern die Regeln, die Wahrnehmungen und Handlungsabläufe in der Organisation determinieren. Geänderte Regeln müssen in der Organisation gefestigt werden und zwar konkret in der Persönlichkeitsstruktur der Mitglieder.
Die Transformation des institutionalisierten Wissens in konkrete Handlungsabläufe stellt sich als ein drittes sehr anspruchsvolles Problem dar. Dem "Macher-Ansatz" folgend können neue Regeln (z.B. durch das Management) einfach befohlen werden.
Die LO greift das Problem auf, das in der Organisation fortan als neue Regel gelten sollen, allerdings abseits einer Festlegung und Bestimmung von oben. An dieser Stelle ist der Gegensatz zwischen dem klassischen (neoklassischen) Organisationsverständnis und der LO zu erkennen: Wie sollen Handlungen, basierend auf neue Regeln, von der Systemebene auf die individuelle Ebene transformiert und verankert werden, so daß es alle Organisationsmitglieder in gleichem Maße betrifft. Für eine positive Realisierung wäre ein hoher Grad an "Corporite Identity" der Individuen erforderlich, der von einem mindestens gleichen Grad an Motivation für die Akzeptanz dieser neuen Regeln begleitet werden sollte. Nur durch die Akzeptanz kann Gelerntes schließlich in das tägliche Handeln einfließen. Lernen kann dabei besser als selbstorganisatorischer Prozeß und weniger als eine verordnete Handlung stattfinden.
Schließlich stellt sich viertens das Problem, aus bereits gelernten Situationen geschaffenes Wissen zu reflektieren, d.h. ein "feedback" des eigenen Lernprozesses auf die Ebene der Ideen zu erhalten. Die Ursache kann darin gesehen werden, daß Handlungsabläufe in der Organisation derart komplex sind und die Intransparenz sie nicht mehr nachvollziehbar macht. Dadurch können feedbacks in der Komplexität des Systems nicht mehr erkannt werden.
Abbildung: "Problemraute" organisatorischen Lernens
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die einzelnen Problemfelder vor allem durch die spezifischen Ebenenwechsel entstehen, wenn z.B. Handlungen vom Regelwerk des Systems zurück auf das Individuum gegeben werden müssen oder ein Feedback von der Interessenebene auf die Ideenebene erfolgt. Wenn organisationales Lernen auch zur Entwicklung der Unternehmung beitragen soll, ist darauf zu achten, daß die diversen Verläufe zwischen den Ebenen fließend verlaufen, d.h. die genannten Probleme und auftretenden Störungen müssen so klein wie möglich gehalten werden, damit der organisatorischer Lernzirkel auch funktionieren kann.
Die aufgezeigten Probleme skizzieren die Komplexität eines organisatorischen Lernprozesses und werfen immer wieder die Frage auf, welche Strukturen in einer veränderungswilligen Organisation geschaffen werden müssen, die dieses Problemlösungspotential so klein wie möglich halten. Grundsätzlich läßt sich in diesem Zusammenhang anführen, daß ein Plan hierzu nicht existiert. Das kann auch nicht die Intention des Konzeptes LO sein; immerhin wendet sich dieses ab von der Machbarkeit und Planbarkeit von Problemlösungen.
Es soll daher im folgenden Kapitel versucht werden, einige Komponenten herauszugreifen, die für ein organisationales Lernverständnis m.E. von besonderer Relevanz sind. Dabei sollen folgend keine abschließenden Handlungsanweisungen für den Bau einer LO gegeben werden. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, eine Sensibilisierung für bestimmte organisatorische Bereiche zu erzielen.
Dabei wird das Verhältnis zwischen Unternehmen und Umwelt neu interpretiert sowie die Bedeutung der eigenen Identität des Unternehmens hervorgehoben. Die aktuelle Umwelt-Unternehmen-Beziehung beinhaltet als einen wichtigen Ausgangspunkt für organisatorische Lernprozesse die Wahrnehmung, in dessen weiteren Verlauf die Beobachtung und Beschreibung von Realitäten eine erhebliche Rolle spielen. Zudem steigt und fällt das Konzept der LO mit dem Grad der in ihr tätigen Kommunikation, dessen Bedeutung abschließend aufgegriffen wird.
© 1997 Gerald Lembke