3 Der Wandel als Anstoß von Unternehmensentwicklung |
"The world that we have made,
as a result of the level of thinking we have done thus far,
creates problems that we cannot solve
at same level at wich we created them."
(Albert Einstein, zit. in: Perich 1993, S. 81).
Das in den Mittelpunkt dieser Arbeit erhobene Themenfeld "die Lernende Organisation" bezeichnet vielschichtige, verwobene Prozesse, für deren Verständnis die Einbeziehung vieler Gegebenheiten in großen, komplexen Organisationen notwendig ist. Insbesondere sind damit die individuellen, strukturellen und kulturellen Normen angesprochen.
Daneben wird jedoch als primärer Auslöser von Veränderungen in und von Unternehmen die besondere Anfälligkeit gegenüber Krisen gesehen. Das Zitat von Albert Einstein bringt das Problem m.E. auf den Punkt, wenn er sagt, daß die Probleme im Wandel der Zeiten eine andere, neue Qualität bekommen. Da Probleme in einer auf Forschung und Entwicklung basierenden Industriegesellschaft neben der neuen Qualität auch an Komplexität gewinnen, ist jedes Unternehmen vor die Aufgabe gestellt, ein ebenfalls neues Problemlösungsprofil zu entwickeln. Eine derartige Forderung hört sich vom Anspruch her leichter an als, es die Umsetzung in der Realität meistens zuläßt. Vom theoretischen Standpunkt bedeuten neue Anforderungen auch neue Handlungskonzepte, die aber nicht ad hoc vorhanden sind, sondern aus dem Vergangenheitsraum der Unternehmung, d.h. aus der Entwicklungsperspektive geschaffen werden. Es ist darauf zu achten, daß diese Potentiale auch auf die Zukunft ausgerichtet sind.
In diesem Sinn hat "Organisationales Lernen" auch etwas mit "Entwicklungs-fähigkeit" für die Zukunft zu tun. Lernen und Entwicklung sind voneinander abhängig. Klimecki et al. fassen das Lernen als nur ein Konzept einer entwicklungsfähigen Unternehmung auf (vgl. Abbildung 4, nächste Seite).
Abbildung: Basiskonzepte einer entwicklungsfähigen Unternehmung
Anhand der Abbildung ist zu erkennen, daß neben dem "Organisationalen Lernen" auch die "Selbstorganisation" und die selbständige "Konstruktion" der Unternehmung für die Entwicklung eines Unternehmens von Relevanz sind. Entwicklung stellt sich daher als ein Prozeß der Veränderung über einen bestimmten Zeitraum dar.
Dem Konzept der LO folgend arbeiteten Pedler et al. die betriebswirtschaftlichen Gründe für die Notwendigkeit von Entwicklung auf eine Umfrage bei internationalen Managern basierend, heraus:
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Quelle: In Anlehnung an: Pedler; Boydell und Burgoyne (1991) S. 59 und S. 63
Als Grund eines Interesses am Konzept der LO wird primär die Möglichkeit der Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen genannt.
"[...] Als Organisation sind wir sicherlich mehr denn je nur um unser Überleben, sondern um unser Wachstum besorgt [...]. Das Konzept eines lernenden Unternehmens weist eine erfreulich ganzheitliche Qualität auf [...]. Es erkennt die individuellen Lernbedürfnisse [...] und die tatsächlichen Gegebenheiten unseres Geschäfts an. Es besteht nach innen wie nach außen eine hohe Dringlichkeit der Konzeptrealisierung angesichts unseres enormen Wachstums." (John Bukley von Thorm EMI zitiert von Pedler et al. in: Sattelberger 1991, S. 63.).
Die obige Heranziehung der Entwicklung des Menschen stellt die Bedeutung der Umwelt heraus. Die Umwelt einer Unternehmung wird geschaffen durch Kunden, Lieferanten, Mitbewerber oder durch den Arbeitsmarkt. Auf diese Umwelt müssen sich Unternehmen in vielfältiger Weise beziehen. Sie wird aus Sicht eines Unternehmens immer undurchschaubarer, komplexer und chaotischer. Kieser und Kubicek nennen als entscheidendes Kriterium der Umwelt in ihrem Einfluß auf die Unternehmung die Unsicherheit, denen das Management zunehmend ausgesetzt ist (vgl. Kieser und Kubicek 1992, S. 203ff.).
Damit Unternehmen sich in einer von Unsicherheit begleitenden wachsenden Umweltdynamik behaupten können, d.h. als Organisation im System Wirtschaft immer wieder die eigene Zahlungsfähigkeit zu reproduzieren (vgl. Luhmann 1988, S.12), müssen Unternehmen zunächst Veränderungen in der für sie relevanten Umwelt wahrnehmen.
"Es geht also darum, die [...] Vielfalt des Umweltgeschehens auf relevante verarbeitbare Informationen zu reduzieren und im Inneren des Unternehmens in Entscheidungen -neue Asaptionen an den Markt- umzuwandeln." (Reitger 1991, S. 119).
Die Unternehmung sieht sich einem "Umweltrauschen" gegenüber, einer Flut von Informationen, die sich aus der Umwelt kommend an die Unternehmen nähern. Aus diesem "Rauschen" von Informationen müssen diejenigen Informationen selektiert und anschließend verdichtet werden, die für die Entscheidungsprozesse relevant sind. Diese Informationen müssen in der Unternehmung derart umgewandelt werden, daß sie schließlich als Grundlage von Entscheidungen, Prozessen und/oder Strategien herangezogen werden können. Voraussetzung ist allerdings, daß die äußere Umwelt in der Unternehmung auch abgebildet werden kann, d.h. die Umwelt für das System kommunizierbar und nachvollziehbar wird, dabei aber die Identität der Organisation erhalten bleibt. Diese Umweltdynamik bzw. Unsicherheit erschwert natürlich die Planung organisatorischer Aufbau- und Ablaufprozesse und verunsichert zudem die innere Identität der Unternehmung. Unsicherheit kann zu einem Identitäsverlust hinsichtlich der eigenen Handlungsmaximen führen.
Die vielfältigen Einflüsse aus der Umwelt, die Unsicherheit sowie die wachsende Dynamik systemischer Vorgänge sind Kennzeichen des prozeßorientierten Wandels aller in einem Wirtschaftssystem befindlichen Akteure. Wandel darf daher nicht als Sonderfall oder Ausnahme, sondern muß als Normalfall betrachtet werden.
Entwicklung kann eine Konsequenz von Wandel sein, oder anders herum, Wandel kann Entwicklung initiieren. Aus theoretischer Sicht gerät vor diesem Hintergrund "[...] das im Vor- und Umfeld der industriellen Revolution entstandene und hier äußerst wirkungsvoll applizierte kartesianische Weltbild mit zentralen Attributen wie Linearität, Rationalität und Machbarkeit immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik und verliert als Denkmodell und Handlungsmaxime zunehmend an praktischem Wert." (Pedler 1991, S. 82).
Aufgrund einer sich verändernden Umwelt bedarf es daher einer Veränderung und im tieferen Sinn eines Wandelprozesses in Organisationen. Unternehmen müssen sich darauf einstellen und versuchen, in einem permanenten Prozeß mit den Veränderungen Schritt zu halten. Rudolf Mann spricht bei diesem Wandelproblem vom "Wandel des Wandels" (vgl. Mann 1993, S. 14ff.), in dem er auf den stetigen Zuwachs von Veränderungen in der Umwelt und auf die daraus steigenden Schwierigkeiten des "Managens", des Beherrschens von Systemen, spricht. Diesen Prozeß skizziert er anhand 5 Eskalationsstufen:
Den Beginn der nicht mehr linear verlaufenden Änderungsprozesse, d.h. der Zeit in welcher Veränderungen immer weniger zu prognostizieren waren, begründet er im Jahr 1972. In diesem Jahr erschienen von D. Meadows die Ergebnisse des im Jahr 1970 beginnenden Prognosemodells über die Zukunft der Erde, veröffentlicht in dem Buch "Die Grenzen des Wachstums", welches die Initiative zu weiteren Forschungen des Club of Rome lieferte. Anhand globaler Systemmodelle werden dort hochkomplexe Zusammenhänge zwischen wenigen Variablen herausgestellt und aufgrund von Computersimulationen eine Reihe höchst alarmierender Krisenscenarios für die zukünftige Wirtschaft plausibel gemacht. Aus dem Verlauf der Ölkrise 1972 wurde den Unternehmensleitungen zusätzlich bewußt, mit (mathematischen) "Prognosemodellen" allein den wachsenden Umweltbedingungen nicht mehr gerecht zu werden.
Die Selbstbeschleunigung der Änderungsprozesse führte zweitens dazu, daß Vorhersagemöglichkeiten wie, was wird kommen und wann wird es kommen, nicht mehr genügend greifen; auch die Geschwindigkeit der Veränderungen ist nicht mehr absehbar. Die Verantwortlichen in den Unternehmen "[...] müssen lernen, sich auf Veränderungen einzustellen, ohne zu ahnen, welche wo und wann eintreten werden." (Vgl. Ebenda, S. 17).
Drittens ist das Wandelproblem durch eine Zunahme von Turbulenzen gekennzeichnet. Diese können z.B. auftreten durch Schwierigkeiten eines Zulieferers, Erfolgsmeldungen von "Verschlankungen" im fernen Osten (Kaizen, Lean-Konzepte) oder einem Ausfall von Produzenten in Rest-Jugoslawien. Eines haben solche Turbulenzen gemein: Sie sind nicht im voraus prognostizierbar, d.h. ein vorbeugendes Handeln scheint unmöglich zu sein:
"Man stellt erst fest, was geschehen ist, wenn es vorbei ist. Unsere Planungssysteme helfen nur noch, den Schaden zu quantifizieren. Die Abweichung aufzuzeigen, um die Intensität der notwendigen Gegensteuerung zu zeigen, bevor es zu spät ist." (Vgl. Ebenda).
Derartige Situationen können viertens -wie auch im normalen Leben- in einem Chaos enden, welches durch den Verlust der Steuerbarkeit gekennzeichnet ist. Die Methoden, die sich bisher zur Krisenbewältigung bewährt haben, greifen in diesen Situation nur ungenügend. Die bisher gemachten Erfahrungen sind nicht mehr hilfreich, man kann nichts mehr tun.
Die fünfte und letzte Stufe wird in der Herausforderung an den Menschen gesehen, in einer postmodernen Industriegesellschaft, Unmögliches möglich zu machen. Dabei greifen bewährte Instrumente und Methoden nicht mehr, und der Akteur sieht keine Lösungsmöglichkeiten mehr.
Unternehmen sind den dargelegten Einflüssen ausgesetzt und bedürfen einer aus der Unternehmung heraus gestalteten Entwicklung, die inhaltlicher Betrachtungsgegenstand der Organisationsentwicklung ist. Organisationsentwicklung bietet eine Vielzahl von Erklärungen und Erkenntnissen von Unternehmen und deren Entwicklung.
Das Lernen nimmt hier das erste Mal eine bedeutsame Rolle ein. Doch zunächst soll nach einem Definitionsversuch ein kurzer Überblick über Organisationsentwicklung gegeben werden, um darzustellen, was unter Organisationsentwicklung verstanden wird.
© 1997 Gerald Lembke