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                    | Ohne Anfang kein Ende  "Ohne Anfang kein
                        Ende"Das Unendliche als plastisches Problem
Ein Vortrag von Peter Angermann in der Städelschule Frankfurt am Main am 4. Juni 1997
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                    | A. Ohne Anfang kein Ende. |  
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 | Meine sehr verehrten Damen und
                        Herren!Hiermit beginnt mein Vortrag, und damit ist die
                        Voraussetzung geschaffen, daß er auch enden kann. Doch
                        ist das damit auch schon gewährleistet? Die Aussichten
                        stehen denkbar schlecht, denn wie Sie wissen, muß ich
                        zuvor die Hälfte der Zeit überschreiten. Für den
                        verbleibenden Rest gilt dann das selbe: wieder muß ich
                        erst davon die Hälfte, also ein Viertel erledigen, bevor
                        ich erneut...usw. Es wird also immer ein Rest von 1/2,
                        1/4, 1/8, 1/16, usw... meines Vortrags übrigbleiben, und
                        ein Ende ist nicht abzusehen.
 Sie dachten möglicherweise, wenn
                        ein Künstler einen Vortrag mit dem Titel "Ohne Anfang
                        kein Ende" ankündigt, kann das nach den heute geltenden
                        akademischen Regeln nichts anderes bedeuten, als daß ich
                        mich schweigend hierher stellen würde, um damit zu
                        demonstrieren, wie unendlich lang die Zeit werden kann,
                        und wie der Vortrag dann tatsächlich nie ein Ende finden
                        kann, weil er gar nicht erst beginnt. Das bleibt Ihnen
                        heute erspart. Statt dessen will ich Ihnen jetzt ein
                        hervorragendes Beispiel Konkreter Kunst vorstellen.
                        Leider kann ich es Ihnen nicht direkt vorzuführen, sie
                        müssen sich mit einer Beschreibung begnügen. |  
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                    | 1) Die Bessemerbirne
                        (Ebenenüberschreitung) |  
                    | 
 | Es handelt sich um einen Film der
                        Filmbildstelle für den Schulunterricht, den ich als
                        Schüler gesehen habe. Es ging um die Stahlherstellung.
                        Vielleicht kennt der eine oder andere von Ihnen diesen
                        Film noch. Ich habe vergessen, ob es ein SW-Film oder
                        ein Farbfilm war, doch ich ziehe es vor, dabei an SW zu
                        denken. Man sah darin die Arbeiter des Walzwerkes mit
                        Schutzmasken, derben Handschuhen, und feuerfester
                        Kleidung mit flüssigem und glühendem Metall handieren,
                        eine Atmosphäre hektischer Schufterei in Hitze und
                        Halbdunkel wie aus Menzels Bild. Ein Teil des Films
                        handelte von der Flußstahlherstellung im sog.
                        Thomasverfahren. Dabei werden in einem Konverter, der
                        Bessemerbirne, das ist ein kippbares Gefäß wie ein
                        riesiger Betonmischer mit ca 5m Durchmesser mit
                        zahlreichen Winddüsen in ihrem Boden, dem flüssigen
                        Roheisen durch Einblasen von Luft die Verunreinigungen
                        (C, Si, P, S, Mn) entzogen. Sie werden verbrannt, und
                        entweichen unter heftiger Flammenentwicklung und unter
                        Auswurf von Schlacken und und glutflüssigem Metall,
                        bevor man schließlich den fertigen Stahl abgießen kann.
                       Genau das war im Film zu sehen. Ein
                        Blick in den Höllenschlund! Ein weißglühendes,
                        funkenspeiendes Inferno kochenden Stahls im Inneren des
                        Konverters. Es war ungeheuer beeindruckend, doch der
                        Höhepunkt stand noch bevor: Gerade als sich die
                        Bessemerbirne neigte und die glühende Schlacke
                        auszuspeien begann, als das Fortissimo einsetzte und die
                        Ausdruckskraft des Mediums Film an ihre Grenzen stieß -
                        wir sind damit beim Thema angekommen - blieb der Film
                        hängen! Eben noch äußerste Turbulenz, jetzt
                        jähe Erstarrung! Eben noch hitziges Chaos, - jetzt
                        stockender Atem! Die Funken verharren erschrocken
                        auf der Stelle und vergessen das Stieben! Die Flammen
                        eingefroren! Ein absolutes Aussetzen der Zeit
                        für zwei, drei unendliche Sekunden. -- Dann kommt Leben in den Film: Der
                        Stahl beginnt, ganz zaghaft erst, erneut zu kochen. Was
                        sich bis hierhin nur in SW abspielte, blubbert nun gelb,
                        rot, schwarz, feurig gerändert, kräuselt sich, wirft
                        Runzeln aus Zelluloid riesenhaft auf die Leinwand. Die
                        Konkretion bricht sich Bahn und beamt uns - ja, wohin? -
                        in nichts geringeres als in eine brandneue Situation!
                        Feuer! Die Klasse kreischt! Der entsetzte Lehrer
                        ergreift Maßnahmen!  Flammen schlagen aus dem Projektor.
                        Die Klasse stürzt in Panik aus dem Vorführraum. Alarm!
                        Das Schulhaus steht in Flammen. Löschzüge rücken
                        an...und Kamerateams. Sie filmen den Schulhausbrand und
                        die Aufnahmen erscheinen in der Wochenschau, das waren
                        die Bildnachrichten im Vorfernsehzeitalter. Man saß
                        popcornnaschend in den Klappsesseln und sah zu, wie die
                        Feuerwehr der Situation Herr zu werden suchte.- In
                        vielen Kinos versagten damals genau an dieser Stelle die
                        Projektoren. Die Filme blieben hängen, und für ein, zwei
                        Sekunden jähen Zeitstillstands, - der Atem stockte, die
                        Pupillen weiteten sich,- geschah nichts. Dann wieder:
                        Feurig schwarz rot gelb geränderte blubbernde
                        Brandblasen in Superbreitwand usw. usw... Gut, ich räume ein, meine
                        Schilderung war teilweise übertrieben. Doch der Anfang
                        stimmte. Bis zu der Stelle, wo der Film im Projektor zum
                        ersten Mal das Brennen anfing, als die Zeit für einen
                        kurzen Augenblick angehalten wurde,...aber die Zeit kann
                        man nicht anhalten, sie findet immer einen Ausweg. In
                        diesem Moment des Brennens hat ein Ebenensprung
                        stattgefunden: Aus der Ebene des Tatsachenberichts und
                        der Schilderung wahrer Begebenheiten hinaus durch den
                        freien Raum des Denkbaren... hinein in eine Ebene
                        manifesten Sprücheklopfens... inzwischen bin ich in
                        einer Ebene selbstkritischer Reflexion angekommen. Sie
                        sehen, wir können ständig von einer Ebene in die andere
                        surfen, wenn wir wollen, so wie man durch
                        Fernsehprogramme zappen kann. Die Anlässe für solche
                        Sprünge scheinen vielfältig: äußere Anlässe, Langeweile,
                        Übermut, Verzweiflung,... doch allem gemein ist ein
                        Innehalten, ein Stocken der Zeit. Wie in dem Film. Eine
                        Situation geht zu Ende,- und weil danach etwas anderes
                        kommen muß - denn es ist bisher noch nie passiert, daß
                        nichts nachgekommen wäre - kommt auch etwas anderes
                        nach. Das kann eine mehr oder weniger triviale
                        Veränderung sein, doch bisweilen ist der Wandel
                        grundlegend, und in diesem Fall können wir von
                        Ebenenüberschreitung sprechen.- Halten wir an dieser Stelle den
                        Begriff Ebenensprung fest, sowie den Eindruck des
                        gefrorenen Feuers im Film, als die Zeit innehielt, und
                        setzen wir an zu einem Gedankensprung direkt ins
                        Paradies. |  
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                    | 2) Der Garten Eden
                        (Selbstbeobachtung) |  
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 | Lassen Sie mich bei Adam und Eva
                        anfangen. Der Garten Eden war begrenzt - zunächst durch
                        das Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen.
                        Ferner hatte er natürliche Grenzen, wie Flüsse und
                        Felsen, vielleicht war er aber auch von einer Hecke,
                        einem Zaun oder einer Mauer umgeben, wie sich spätestens
                        bei der Vertreibung herausgestellt haben muß. Durch
                        verbotenes Naschen am Baum der Erkenntnis des Guten und
                        des Bösen haben die ersten Menschen ihre
                        Aufenthaltserlaubnis im Paradies verwirkt. Kaum
                        erkenntnisbegabt, erkannten sie, daß sie nackt waren,
                        Stichwort "Selbstbeobachtung", bedeckten sich mit
                        Feigenblättern, und das wiederum machte Gott stutzig. Er
                        vertrieb sie aus dem Paradies, wohl weniger, weil Er
                        über die Übertretung sauer war, sondern vor allem, weil
                        Er verhindern wollte, daß sie sich jetzt auch noch am
                        Baum des Lebens vergriffen, wodurch sie Unsterblichkeit
                        erlangt hätten. Das war an sich eigentlich nicht
                        verboten, doch wären die ersten Menschen dadurch
                        gänzlich gottgleich geworden. Merken Sie sich die
                        Formel: Erkenntnis +
                        Unsterblichkeit = Gottgleichheit Stellen Sie sich vor, wir hätten
                        vorher vom Baum des Lebens gegessen! Diese
                        Ebenenüberschreitung mußte unbedingt vermieden werden.
                        Gott wäre nicht Gott, hätte Er das durchgehen lassen. Er
                        hat also, könnte man sagen, aus systematischen Gründen
                        einen Schnitt zwischen sich und seine Schöpfung gezogen.
                        Er hat zwischen der Ebene Gottes und der Ebene seiner
                        Schöpfung deutlich unterschieden, um ein logisches
                        Dilemma zu vermeiden, ein Dilemma, ähnlich der Frage,
                        wer denn den Dorfbarbier rasiert, der genau alle Männer
                        im Dorf rasiert, die sich nicht selber rasieren...
                        Rasiert er sich nun selbst oder rasiert er sich nicht,
                        oder wer wen? Ein unlösbares Problem. Klar, daß so etwas
                        weit unter Gottes Würde ist. Hätte Er mit gottgleichen
                        Geschöpfen ein komplett selbstorganisierendes Universum
                        zugelassen, so hätte Er sich als Sch�pfer von Anfang
                        an wegrationalisiert. Er tat es nicht und war damit
                        vorerst aus dem Schneider. Wir Menschen aber haben es uns dank
                        Adam und Eva jetzt selbst zuzuschreiben: Wir müssen
                        einerseits erkennen, daß wir andererseits nicht
                        gottgleich sind. Diese harte Nuß ist uns seit unserem
                        Auszug aus dem Paradies für immer ins Gepäck gegeben.
                        Seit jener ersten Grenzüberschreitung können wir uns
                        daran die Zähne ausbeissen: An der Erkenntnis, daß wir
                        niemals den kompletten Durchblick = das ewige Leben,
                        haben können. Daß also unsere Erkenntnis von Grund auf
                        mangelhaft ist. Und gerade dann, wenn die Grenze, der
                        Zaun, die Schranke, das Ende zum Thema wird, liegt das
                        Problem auf dem Tisch.  Nachdem die Menschen nun draußen
                        sind aus dem Paradies, und mit allen möglichen Schikanen
                        belastet ihre Wege gehen, ist ihnen mehr oder weniger
                        klar, daß zwar alles irgendwo, irgendwann ein Ende haben
                        muß. Das ist es ja gerade, was Gott nicht auch noch
                        preisgeben wollte. Aber, und diese Erfahrung machen wir
                        auch, solange wir überhaupt noch Erfahrungen machen,
                        also noch am Leben sind: Wenn etwas zu Ende geht, kommt
                        danach irgend etwas neues, anderes. Unvorstellbar ist,
                        daß alles, und ich meine schlechthin alles, irgendwann
                        und irgendwo mal aufhört, und daß dann und dort einfach
                        nichts wäre. Leere, gut, das können wir akzeptieren,
                        denn Leere sagen wir uns, ist prinzipiell auffüllbar und
                        bedeutet eigentlich nur soviel wie nichts Bestimmtes in
                        verschärfter Form. Leere ist der Joker, der Platzhalter,
                        die wildcard unter den Begriffen, jederzeit bereit sich
                        aufzufüllen. Das Papier ist zwar weiß, aber es ist da.
                        Selbst die streng physikalische Vorstellung des Vakuums
                        provoziert auf der Stelle spontane Quantenereignisse.
                        Doch nichts ist gar nichts, nicht einmal eine
                        Tautologie. So zwingend unsere Erfahrung ist,
                        daß im einzelnen alles und jedes seine Grenzen hat, so
                        unvorstellbar ist eine allgemeine Grenze hinter der
                        nichts, aber auch gar nichts, nicht einmal eine
                        unendliche Leere wäre. Wenn wir über Unendlichkeit reden,
                        versuchen wir uns an einem Begriff, der natürlich nicht
                        wie die meisten anderen Begriffe durch unmittelbare
                        Beobachtung gewonnen wurde, sondern allein indirekt,
                        durch Reflexion und Selbstbeobachtung. Adam wird draußen
                        irgendwann frustriert vom Mißerfolg und im Schweiße
                        seines Angesichts Beobachtungen gemacht haben, wie: "Mit
                        diesem beknackten Acker werde ich ja niemals fertig. Man
                        schuftet und schuftet und es nimmt kein Ende!" So könnte das Nachdenken über das Unendliche begonnen
                        haben. Man stellt fest, daß man nicht zu einem Ende
                        kommen kann und sagt dann z.B.: Der Weltraum ist
                        unendlich. Oder: Es gibt keine größte natürliche Zahl,
                        daß es nicht durch Addition mit 1 eine noch größere
                        gäbe, usw... Wir beziehen uns also von Grund auf auf
                        unser Subjekt, wenn wir das Wort "unendlich" in den Mund
                        nehmen. Das Unendliche ist nichts, was draußen,
                        objektiv, aktual irgendwie vorzufinden wäre, sondern es
                        ist im besten Sinne des Wortes ein Hirngespinst.
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                    | 3) Zenon (Demonstration mit
                        Sektgläsern) |  
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 | Wir probieren jetzt gleich einmal
                        aus, wie es denn ist, nicht zu einem Ende kommen zu
                        können. Ich möchte dazu das berühmte, 2500 Jahre alte
                        Gedankenexperiment des griechischen Philosophen Zenon
                        von Elea vorführen. Wenn ich dieses bekannte Problem
                        hier nochmal ausführlich auftische, dann deshalb, weil
                        ich überzeugt bin, daß es vielen großen Geistern zum
                        Trotz bis auf den heutigen Tag ungelöst ist, ebenso wie
                        das andere Zenonsche Paradox, das ich am Anfang meines
                        Vortrages bemüht habe (1/2,1/4,1/8,...). Und ich glaube
                        darüber hinaus, daß es niemals gelöst werden wird... Diese Flasche ist Achilles, der
                        Halbgott und Sportsfreund, eine Flasche deshalb, weil es
                        ihm, wie wir wissen, nicht gelingt, die Schildkröte
                        einzuholen, geschweige denn zu überholen, solange wir
                        ihr auch nur den geringsten Vorsprung einräumen. Der
                        Athlet Achilles, eine Flasche mit Mumm in den Knochen
                        sozusagen. Wir stellen ihn erst mal auf Eis und geben
                        der Schildkröte einen Vorsprung. Startschuß und Achilles
                        sprintet los. Er ist in kürzester Zeit an der Stelle, wo
                        die Schildkröte gestartet ist. Doch währenddessen ist
                        auch die Schildkröte ein kleines Stückchen voran
                        gekommen. Sie hat erneut einen, wenn auch wesentlich
                        kleineren Vorsprung vor Achilles. Die Situation ist im
                        Grunde genommen dieselbe wie vorher. Wieder gelangt
                        Achilles unverzüglich an den Punkt, wo eben noch die
                        Schildkröte war, wieder ist die Schildkröte ein winziges
                        Stück weiter. So geht es ganz offensichtlich weiter bis
                        in alle Ewigkeit, und so sehr Achilles sich auch beeilt,
                        die Schildkröte wird er nie und nimmer einholen,
                        geschweige denn überholen. Die Abstände werden zwar
                        immer kürzer, sie werden aber eben immer kürzer! Das ist völlig logisch, ein
                        Vorsprung ist und bleibt ein Vorsprung. Viele Denker
                        meinten, hier läge ein Trugschluß vor, weil der Gedanke
                        all unserer Anschauung Hohn spricht. Ich kann beim
                        besten Willen keinen Trugschluß entdecken, und ich sage
                        Ihnen ohne alle Ironie, daß ich den Gedanken für logisch
                        einwandfrei, ja geradezu zwingend halte. Es liegt kein
                        Trugschluß vor. Wer das bezweifelt, nur weil er andere
                        Erfahrung gemacht haben will, sollte wissen, daß die
                        Schildkröte das Symbol der Avantgarde ist: Sie liegt
                        prinzipiell vorne. Obwohl sie so gut wie auf der Stelle
                        tritt, ist sie immer ein Stückchen voraus.  Zenon hat mit diesem
                        Gedankenexperiment die Ideen seines Lehrers Parmenides
                        untermauert, des ersten und endgültigen Ontologen der
                        Welt. Parmenides hat alles, was es zum Thema "Sein" zu
                        sagen gibt, ein für alle mal gesagt, nämlich, daß das
                        Sein eins ist, vollkommen und ewig, ohne Anfang und
                        Ende, ohne Vielheit und Unterschiede, ohne Bewegung und
                        Veränderung. Daß es dem gegenüber so etwas wie ein
                        Nichtsein nicht geben kann, weil das selbstverständlich
                        nicht ist, und das Sein somit ohne Anfang und ohne Ende
                        ist, sowie ohne alle Unterschiede und Wandel. All das,
                        das Werden und Vergehen, der unentwegte Wechsel, die
                        Vielfalt der Erscheinungen, der Fluß, in dem alles ist,
                        - nichts als ein Irrtum. Heraklit von Ephesos mit seinem
                        Panta rhei ist ein Spinner. Die Wahrheit ist eins und
                        unveränderlich. Diese großartige Idee ist die Menschheit
                        nie mehr losgeworden, und alle späteren Versuche auch
                        der bedeutendsten Denker, sie zu bändigen oder irgendwie
                        mit der Erfahrung zu versöhnen, wirken blaß und hilflos. Auch Zenons Problem ist bis auf den
                        heutigen Tag ungelöst geblieben, und auch daran wird
                        sich nichts ändern. (Ich habe erst kürzlich im Spektrum
                        der Wissenschaft einen erneuten Versuch scheitern sehen:
                        ) Wir müssen seither mit diesem Schluß, der eben kein
                        Trugschluß ist, leben, und anerkennen, daß es so ist,
                        wie es ist, und wie es nach den Eleaten nur sein kann.
                        Und daß wir es, davon abweichend so sehen, wie wir es
                        sehen. Sollten es jetzt manche von Ihnen
                        trotzdem noch für möglich halten, die Strecke von Ihrem
                        Platz nach hier vorne zurückzulegen, lade ich Sie ein,
                        mit mir auf das Wohl der Avantgarde anzustoßen. Achilles gescheiterter Versuch, die
                        Avantgarde einzuholen, zeigt, daß Ebenenüberschreitung
                        nicht immer so ohne weiteres gelingt. Ein anderes
                        Beispiel: Jeder kennt die Sorte von Träumen, wo man vor
                        einem gefährlichen Verfolger flüchten muß. Man bemüht
                        sich mit letzten Kräften zu rennen, doch es ist, als
                        steckten die Arme und die Beine in irgend einer zähen
                        Masse. Man kommt nicht recht voran, der Boden ist wie
                        Teig und die Luft wie Honig und je größer die Not, je
                        näher der Verfolger, je eiliger man es hat, umso ärger
                        die Behinderung. Es ist ein vertrackter Zusammenhang von
                        Fortwollen und Fortkönnen, wie man ihn aus der
                        Speziellen Relativitätstheorie kennt, wo die Strecken
                        innerhalb eines rasenden Vehikels im Vergleich zur
                        ruhenden Umgebung umso mehr gestaucht sind, je schneller
                        es fährt, während die Zeitabschnitte, etwa die Sekunden,
                        sich im selben Maß dehnen. Solange Sie nicht
                        schweißgebadet aufwachen, wird so ein Traum immer
                        kompakter und beklemmender, und die Situation ähnelt
                        irgendwie der von Achilles. Meist wacht man aber auf,
                        oder man träumt, man stirbt und wacht dann auf.
                        Beklemmend ist die Vorstellung, in einem solchen Traum
                        hängen zu bleiben, wie bei Zenon. Das würde etwa heißen,
                        zu sterben und es nie zu erfahren. Offenbar stehen wir
                        hier wieder an dieser gewissen Grenze, wo ein
                        Ebenensprung angesagt ist, sei es vom Traum ins
                        Wachbewußtsein, in den Tod oder sonstwohin. Es gibt auch
                        noch die Möglichkeit, daß der Ebenensprung innerhalb des
                        Traums stattfindet. Ich habe das in meiner Zeit als
                        Zauberlehrling ein paar mal erlebt. In den frühen Siebzigern kamen die
                        Bücher von Carlos Castaneda heraus, die heute wie alles
                        hippyartige reichlich out sind, wohl auch, weil sie als
                        Feldforschungsberichte daherkamen, es sich aber
                        herausgestellt haben soll, daß alles aus den Fingern
                        gesaugt oder wo anders abgeschrieben gewesen sein soll.
                        Doch das ist im Grunde gleich, entscheidend ist, daß sie
                        damals für uns halbwegs aufgeklärte Menschen mit
                        durchaus rationaler Grundeinstellung die magische
                        Weltsicht wieder akzeptabel und verlockend machten. Ich
                        war damals abenteuerlustig genug, mich auf diesen Weg
                        eine Weile einzulassen. Eine Technik aus diesem System
                        war es, Einfluß auf seine Träume zu nehmen. Das Rezept
                        ist äußerst einfach: Man muß sich vornehmen, nachts im
                        Traum seine Hände anzuschauen. Wenn man gewahr wird: ich
                        träume-, braucht man nur seine Hände vor die Augen zu
                        bringen und anzugucken, weiter nichts. Alles übrige
                        stellt sich dann von alleine ein. Ich brauche Ihnen
                        nicht zu sagen, daß es tatsächlich ungeheuer schwierig
                        ist, im Traum seine Hände anzuschauen. Versuchen Sie es
                        ruhig einmal, es lohnt sich. Aber man muß wirklich ein
                        fanatischer Freak sein, um so etwas zu schaffen, und
                        darf praktisch den ganzen Tag nichts anderes im Kopf
                        haben, als den Ehrgeiz, ein Zauberer zu werden. Mir
                        selbst ist das damals so drei, vier mal gelungen. Im
                        Traum den Entschluß zu fassen, die Hände anzuschauen,
                        stößt einen geradewegs in diese zähe, teigige, lähmende
                        Welt der Fluchtträume. Sie glauben nicht, wie unendlich
                        mühsam solch eine lächerlich simple Handlung sein kann.
                        (Pantomime) Sobald man es aber geschafft hat, stürzt man
                        in eine Welt, die schlechterdings unbeschreiblich ist.
                        Sie unterscheidet sich von unserem Alltagsbewußtsein vor
                        allem durch den atemberaubenden Grad an kristallklarer
                        Bewußtheit. Man landet in einem sogenannten luziden
                        Traum. Die Gegenwart der Vision ist in einer Weise
                        direkt, zwingend und unumgänglich, daß das
                        Alltagsbewußtsein dagegen dumpf und unscharf wie
                        nebelige Benommenheit erscheint. Ein Ebenensprung hat
                        stattgefunden hinein in eine in höchsten Maße
                        interessante Welt "reinen interesselosen Schauens". |  
                    | 
 |  
                    | B) Zwei Unendlichkeitsbegriffe |  
                    | 
 | Bevor ich nun auf den Kern meines
                        Vortrags komme, dem Symbol der Unendlichkeit, dem
                        Unendlichen als plastischem Problem, möchte ich
                        festhalten, daß in dem bisher gesagten zwei verschiedene
                        Unendlichkeitsbegriffe sichtbar werden. Ich meine damit
                        nicht Aristoteles' Unterscheidung des aktual und des
                        potentiell Unendlichen (also z.B. den Versuch, die
                        Gesamtheit der Natürlichen Zahlen zu überprüfen,
                        gegenüber dem vernünftigen Entschluß, dessen
                        Ergebnislosigkeit vorwegzunehmen.), sondern des
                        ebenenbezogenen Unendlichen gegenüber dem
                        ebenenüberschreitenden Unendlichen, des statischen im
                        Gegensatz zum dynamischen Unendlichkeitsbegriff. Dem ebenenbezogenen Unendlichen
                        sind wir bei Zenon sowie bei Adam und Eva begegnet,
                        deren Mühsal außerhalb des Paradieses nie ein Ende
                        findet. Wir begegnen ihm bei der Unendlichkeit des Raums
                        und der Zeit, sowie in der Mathematik, etwa bei der
                        Menge der Natürlichen Zahlen oder dem Schnittpunkt
                        zweier paralleler Geraden usw.. Immer haben wir es hier
                        mit wohldefinierten Kategorien zu tun, dem Raum, der
                        Zeit usw., welche keine Begrenzung erkennen lassen.
                        Dabei kann es sich dann gleichermaßen um unendliche
                        Ausdehnung wie um unendliche Teilbarkeit handeln. Das
                        Bezeichnende aber ist, daß keine Ebenenüberschreitung
                        stattfindet. Jedenfalls zielt dieser Begriff der
                        ebenenbezogenen Unendlichkeit auf eine Vollständigkeit,
                        eine Ganzheit der Kategorie, die uns zwar seit unserem
                        Auszug aus dem Paradies von vorneherein verwehrt ist,
                        aber eben doch irgendwie angenommen wird. Demnach gibt
                        es prinzipielle Grenzen nicht, weshalb ja auch Achilles
                        die Schildkröte niemals einholen kann, und dieser
                        Vortrag niemals zu Ende gehen wird. In der Praxis, wir
                        wissen es, gibt es diese Grenzen sehr wohl, weil die
                        Kategorien, die Ebenen, allein im Hier und Jetzt
                        wurzeln, sich nur hier berühren, und mit zunehmendem
                        Abstand davon immer weiter auseinanderklaffen.
                        Beispiele: (diskrete Feinstruktur im Mikrokosmos,
                        Ungleichzeitigkeit im Makrokosmos, (Hören und Sehen des
                        Flugzeugs, "Zehn Hoch") Ungleich weniger naiv ist dagegen
                        der Begriff des ebenenüberschreitenden Unendlichen. Wir
                        sind ihm bisher nur indirekt begegnet, in Form des
                        ewigen Lebens, das die ersten Menschen verspielt haben,
                        und in Form einer Nahaufnahme gewissermaßen, dem Film
                        von der Bessemerbirne, als das Anhalten der Zeit den
                        Sprung in eine neue Ebene erzwang. Das
                        ebenenüberschreitende Unendliche gleicht dem, was
                        Anaximander als Urgrund aller Dinge annimmt: "Apeiron",
                        das Unbegrenzte, ist der Urgrund aller Dinge, und zwar,
                        so eine aufschlußreiche Begründung für diese Annahme:
                        "Damit das Werden nicht aufhört". Es besagt schlicht,
                        daß es weitergehen muß. Auf das ebenenüberschreitende
                        Unendliche als dynamischem Prinzip werde ich später noch
                        genauer zu sprechen kommen.  |  
                    | 
 |  
                    | C) Das Symbol (Repräsentation) |  
                    | 
 | Ein Symbol ist ein Zeichen für
                        einen Begriff, und ein Begriff wiederum ist so etwas wie
                        ein Stück geistiges Eigentum an der Wirklichkeit.
                        Begriffe wie Äpfel, Birnen, Sektkorken und Vorträge sind
                        recht gut handhabbar. Sie stellen so etwas wie Bargeld
                        dar auf dem Marktplatz des Geistes. Ein Begriff aber wie
                        "das Unendliche" gleicht mehr einem Wechsel von der
                        langen Bank. Möglicherweise ist es ein fauler Wechsel,
                        wir können es nicht mit letzter Sicherheit sagen. Er
                        erweist sich als praktisch, etwa bei der
                        Infinitesimalrechnung, solange wir vermeiden, ihn mit
                        bloßen Händen anzufassen. Er taugt gut dazu,
                        Übertreibungen auszudrücken, aber mit dem
                        Gleichheitszeichen sollte er tunlichst nicht in
                        Berührung kommen. Er hat etwas Unsauberes, Vermessenes,
                        Frevelhaftes, denn er verbirgt in sich den Anspruch auf
                        geistigen Vollbesitz der Wirklichkeit. Wer ihn ernsthaft
                        in den Mund nimmt, blickt voll durch, denken sie an
                        Parmenides und Zenon. Sein Gegenwert ist letzten Endes
                        die Gesamtheit aller übrigen Begriffe. Seine Verwendung
                        reißt ein Loch in unsere Welt, durch das jedwede
                        Orientierung, jeder Sinn zu entweichen droht. Allen zum
                        Trotz, die versucht haben, ihn in den Griff zu kriegen,
                        - Aristoteles, Archimedes, Newton, Leibniz, Cantor - es
                        wurde nie ein positiver Begriff aus dem negativen
                        Un-Endlichen, sondern es fielen allenfalls ein paar
                        praktische Rechentricks ab. Parmenides' Darstellung war
                        und ist dem Thema entsprechend endgültig.   Selbstbildnis als Klein'sche Flasche, Peter Angermann
                 Als nächstes will ich also über das
                        Symbol dieses problematischen Begriffs "Unendlichkeit"
                        reden. Dem Symbol als demjenigen Aspekt des Begriffs,
                        welcher am leichtesten zu fassen, der am handfestesten
                        und in diesem Sinne plastisch ist. Daher der Untertitel
                        meines Vortrages: Die Unendlichkeit als plastisches
                        Problem. Das wird Ihnen vielleicht auf den ersten Blick
                        oberflächlich vorkommen. Es erscheint eher lächerlich,
                        sich mit so etwas willkürlichem, zufälligem zu befassen,
                        und es wundert kaum, daß das in den vorhergehenden
                        Veranstaltungen noch nicht zur Sprache kam. Wir könnten
                        uns z.B. ohne weiteres darauf einigen, ein "U" für
                        "unendlich" zu schreiben, und uns dann sogleich dem
                        problematischen Begriff selbst widmen. Beschäftigt man
                        sich eingehender mit dem Symbol, so gleicht man ein
                        wenig dem Kind, das den Zeigefinger des Vaters, der es
                        auf den Mond hinweisen will, mit dem Mond selber
                        verwechselt. Ich meine aber, ein solcher Ansatz
                        steht gerade einem Künstler gut an. Ich halte die
                        Beschäftigung mit dem Symbol, mit dem Träger der
                        Bedeutung für alles andere als für trivial. Bedeutung,
                        Repräsentation - in der Gegenwartskunst nicht eben hoch
                        geschätzt - spielen, wie wir sehen werden, eine eminent
                        wichtige Rolle nicht nur beim vorliegenden Thema,
                        sondern überhaupt in den neueren epistemologischen
                        Entwürfen, wo es um Selbstorganisation, Bewußtsein und
                        künstliches Bewußtsein und von neuem um den Zusammenhang
                        von Geist und Materie geht. Nur die Kunstwelt kann seit
                        längerem mit diesen Konzepten wenig anfangen, sie zieht
                        im allgemeinen Dinge vor, die für sich selbst stehen und
                        nicht ausdrücklich auf etwas anderes weisen. Das hat
                        plausible kunsthistorische Gründe, doch der Wahrheit
                        letzter Schluß wird auch das selbstverständlich nicht
                        sein. Ich meine, Repräsentation ist alles andere als ein
                        statisches Konzept, als ein Rückgriff auf Bestehendes,
                        vielmehr bildet sie die Grundlage des ganzen lebendigen
                        feedbacks der Wahrnehmung.  |  
                    | 
 |  
                    | 1) Platteste Symbolik (Die
                        Unendlichkeit als plastisches Problem) |  
                    | 
 | Ein Symbol ist fast so etwas wie
                        ein materielles Substrat des Begriffs, sozusagen seine
                        hardware. Eine Eselsbrücke zwischen den zwei Welten. Es
                        kann gar nicht platt genug sein, denn es dient dem eher
                        haptischen Aspekt des Begreifens. Sperrige Symbole sind
                        schwach. Die Kraft eines Symbols liegt geradezu in
                        seiner Plattheit. für die Gedankentiefe müssen wir
                        selber sorgen. Um ganz und gar den Sprung von der Ebene
                        der Begriffe in die Ebene der Symbole zu schaffen,
                        bediene ich mich jetzt eines bewährten Mittels: Ich
                        unterbreche den Fluß der Zeit. Es ist jetzt 20.30 Uhr
                        und ich halte die Zeit an! (Demonstration mit Uhr und
                        Schraubstock) Damit sind wir gewaltsam in der
                        Ebene plattester Symbolik gelandet!  Ein frühes Symbol der Unendlichkeit
                        ist die bekannte Schlange, die sich in den Schwanz
                        beißt. Das hängt vielleicht mit der Schöpfungsgeschichte
                        zusammen. Hätten Adam und Eva nein gesagt, die Schlange
                        hätte sich vor Wut in den Schwanz gebissen, denn: Naive,
                        selige Menschen ohne eigene Erkenntnis - sie hätte
                        stempeln gehen können. Der Mensch, ohne Umschweife ins
                        Himmelreich: Buchstäblich ein Kurzschluß bei der
                        UnterweltGmbH.  Eher anzunehmen ist jedoch, daß
                        gerade das Gegenteil von Kurzschlüssen gemeint ist,
                        Langschlüsse gewissermaßen, nämlich die Kreisläufe des
                        Lebens, das Werden und Vergehn ohn Unterlaß. Die
                        Schlange beißt sich nicht nur in den Schwanz, sie frißt
                        sich von hinten her auf, wächst und gedeiht durch diese
                        gesunde und ökologisch einwandfreie Ernährung (kein
                        Ressourcenverbrauch, keine Abfälle) umso prächtiger,
                        usw. (Demonstration mit Fahrradreifen) Abstrakt denkenden Menschen wird
                        diese Symbolik zu bildhaft gewesen sein und dem
                        problematischen Begriff des "Unendlichen" unangemessen.
                        Sie werden den schieren Kreis als Symbol bevorzugt
                        haben. Weil man sich weder vorstellen kann, daß die Zeit
                        oder der Raum jemals aufhört, und weil man sich das
                        Gegenteil, daß es immer und ewig weitergeht, ebensowenig
                        vorstellen kann, rettet man sich in die Vorstellung
                        eines Kreislaufs. Aber auch dann muß man anerkennen, daß
                        der in sie zu beißenden Schwanzspitze als einer
                        Markierung des Hier und Jetzt des Problems eine
                        fundamentale Bedeutung zukommt. Nimmt man aber ein Hier und Jetzt
                        innerhalb des Zyklus an, dann gibt es auch einen
                        fernsten Punkt, den Antipoden auf der Kreisbahn
                        gegenüber.Auf unserer Karussellfahrt um den
                        Erdmittelpunkt etwa ist das die Uhrzeit 8 Uhr 40 ante
                        meridian, wo sich u.a. die Neuseeländer gerade in diesem
                        Augenblick befinden. Bei unserer Fahrt um die Sonne ist
                        es der 4. Dezember, wo sich zur Zeit zwar die
                        Neuseeländer ebensowenig befinden wie wir, doch wären
                        sie dort, könnten Sie diesen Termin aus unserer Sicht
                        auch für den heutigen Tag halten. Sie sehen, größere
                        Zyklen, vor allem wenn sie sich überlagern, kriegen
                        leicht etwas Unübersichtliches. Wir verlieren den fernen
                        Zusammenhang früher oder später aus den Augen. Wir
                        vernehmen beim Lauschen in die große Muschel ein
                        Hintergrundrauschen, und halten es für das Echo, nein
                        nicht des Meeresrauschens, sondern des Urknalls. Stimmen
                        dürfte an dieser objektivistischen Vorstellung
                        zumindest, daß dort, auf der anderen Seite der Welt,
                        alles vollständig verschieden von hier erscheinen wird.
                        Und daß nur universelle Gültigkeit beanspruchen kann,
                        was auch dort gilt: nämlich gar nichts, was irgendwie zu
                        begreifen wäre, womit wir schon wieder bei Parmenides
                        gelandet wären und bei Nick dem Weltraumfahrer. Doch bleiben wir beim Symbol der
                        Unendlichkeit, und tragen wir dem Umstand Rechnung, daß
                        die notwendige Markierung ihren Antipoden bedingt und
                        umgekehrt. Legen wir also beide Seiten dieser einen
                        Medaille zusammen zu einem eleatischen Fokus, zu einem
                        Schnittpunkt der Kreisbahn mit sich selbst und erhalten
                        so die (liegende) Acht als das allgemein gebräuchliche
                        Symbol der Unendlichkeit. Betrachten wir jetzt näher den
                        Zugewinn an Symbolkraft. Die Bewegung entlang einer
                        gewöhnlichen Kreisbahn ist recht monoton. Man kennt das
                        vom Schlittschuhlaufen. Bewegen wir uns dagegen auf
                        solch einer verschlungenen Bahn, legen uns abwechselnd
                        in die Links- und in die Rechtskurve, kreuzen mal von
                        links, mal von rechts unseren eigenen Weg, dann wird uns
                        die Unendlichkeit vielleicht weniger lang. Der Vorgang
                        ist deutlich strukturiert, und am Schnittpunkt haben wir
                        sogar die Möglichkeit, uns gewissermaßen selbst zu
                        begegnen. Man könnte hier eine Verkehrsampel
                        installieren und Unfälle abwenden oder auch verursachen.
                        Man könnte Information austauschen. Reflexion ist
                        möglich und Plastizität in dem Sinne, daß ein Durchlauf
                        den nächsten prägt und verändert, und keiner dem
                        vorhergehenden völlig gleicht. Es ist also noch in
                        wesentlich tieferen Sinn das Unendlichkeitssymbol als
                        plastisches Problem zu sehen! (Demo mit zwei Spiegeln) Sie alle haben sicher schon mal
                        ihren Kopf zwischen zwei Spiegel gesteckt. Was haben sie
                        gesehen? Eine unendliche Reihe von Paaren gleicher
                        Spiegelbilder links und rechts, nur perspektivisch in
                        Größe und Kontrast verschieden?- Probieren sie es noch
                        einmal aus, und schauen Sie ganz genau hin: Kein
                        Spiegelbild gleicht dem anderen. Alle unterscheiden sich
                        in der Stellung der Augen, je nachdem, welches Sie
                        gerade anschauen! Selbstbeobachtung: Darin steckt
                        wieder merklich der Keim der Ebenenüberschreitung, ohne
                        die es die Idee des Unendlichen überhaupt nicht gäbe.
                        Eine Gerade ebenso wie ein Kreis kann diese Idee nicht
                        hervorbringen: Sie mögen unendlich sein, wie sie wollen,
                        doch sie sind ewig gleich und schließen den Wandel aus
                        und gerade dadurch die Idee des Unendlichen. (Parmenides
                        leugnet den Wandel und erklärt die Bewegung für
                        Täuschung. Und erst diese Täuschung, der er selbst
                        natürlich wie jeder andere Mensch unterliegt, macht es
                        möglich, das Unendliche zu denken) Es ist die Schleife
                        mit ihrem Moment der Selbstüberquerung also in viel
                        tieferem Sinn ein Symbol des Unendlichen als der
                        einfache Kreis, der nicht über seine Schranken
                        hinausweist, der nicht Plastizität impliziert, der kein
                        Vorher - Nachher kennt. Solche Schleifen reißen
                        gewissermaßen ein Loch in die Welt. Wo vorher
                        langweilige, übersichtliche Aufgeräumtheit herrschte,
                        tut sich plötzlich ein bodenloser Abgrund auf, der alles
                        andere als monoton, sondern überraschend komplex ist. |  
                    | 
 |  
                    | 2) Loop |  
                    | 
 | Ich ziehe es vor, unser Zeichen,
                        die liegende Acht, die Schleife auf englisch "loop" zu
                        nennen. Und zwar einmal aus offensichtlichen graphischen
                        Gründen, aber vor allem auch, weil "loop" in der Sprache
                        der Informatiker die logische Schleife bedeutet. Das ist
                        eine Struktur, die beim Programmieren eine große Rolle
                        spielt, wenn Prozeduren wiederholt ausgeführt werden
                        sollen, was sehr häufig der Fall ist, oder auch nur,
                        wenn schlicht gewartet werden soll, bis ein bestimmter
                        Umstand eingetreten ist.    Ein
                        besonders wichtiger Fall solch eines loops ist die sog.
                        Iteration. Dieser mathematische Begriff bezeichnet die
                        rechnerische Annäherung an einen Wert, der nicht direkt
                        zu ermitteln ist. Man bedient sich dabei einer
                        Rechenvorschrift, einer Formel, deren Ergebnis erst
                        berechnet und dann von neuem in die selbe Formel
                        eingegeben wird. Das neue Ergebnis wird dann wieder
                        eingegeben usw.., solange man will und kann. So könnte
                        man beispielsweise denjenigen Punkt rechnerisch
                        annähern, den die Schildkröte und immer knapper hinter
                        ihr Achilles anstreben. Solche Iterationen im
                        besonderen, wie der loop im allgemeinen spielen eine
                        hervorragende Rolle, wenn es z.B. im technischen Sinne
                        um die Struktur des Denkens geht, also um künstliche
                        Intelligenz. All das läßt sich also ohne allzuviel
                        Phantasie, doch mit hinreichender Willkür (dem
                        künstlerischen Gestaltungsprinzip Nr. 1!) aus unserem
                        einfachen Symbol herauslesen: Die Rekursion, die
                        Reflexion und Selbstbezüglichkeit am Schnittpunkt in der
                        Mitte. ... Als nächstes gehe ich noch
                        einen Schritt weiter und wende dieses Konzept auf unser
                        Symbol selbst an. Konsequent selbstbezüglich also und
                        rundum im Sinne dieser Sache. Hier sei ein sehr
                        wichtiger Gedanken angemerkt: Symbolik, also im Grunde
                        genommen Bedeutung, scheint mit der logischen Schleife
                        aufs engste zusammenzuhängen, wie zwei Seiten der selben
                        Medaille. Loop und Symbol lieben sich innig und bringen
                        erst gemeinsam den Ebenensprung als auch sein
                        Geschwisterchen, das Paradoxon hervor. (z.B.
                        Dorfbarbier, Russell, Gödel-Escher-Bach) Deshalb
                        folgender Vorschlag: Als Symbol für den Begriff "Symbol"
                        sei fürderhin der loop eingesetzt. Das schließt
                        keineswegs aus, ihn auch weiterhin als Symbol der
                        Unendlichkeit einzusetzen, im Gegenteil!  Mal sehen, was dabei herauskommt,
                        wenn wir unser Symbol rekursiv bearbeiten. Gestatten Sie
                        mir, daß ich als erstes eine gewisse Asymmetrie
                        einführe, nicht aus prinzipiellen, nur aus formalen
                        Gründen, der Platz reicht sonst nicht. Sodann füge ich
                        hier eine weitere, kleinere Schleife an. Dadurch erhalte
                        ich einen zweiten Schnittpunkt, wodurch sich im Grunde
                        auch noch nichts ändert, denn der erste Schnittpunkt
                        kann ja auch beliebig oft durchlaufen werden. daß der zu
                        durchlaufende Weg dadurch etwas länger wird, kann das
                        Symbol der Unendlichkeit ebenfalls ganz gut vertragen.
                        Ich füge noch weitere Schleifen an. Überall, wo noch
                        Platz ist, füge ich eine entsprechend große Schleife an.
                        So lautet die Verfahrensregel: Füge überall, wo noch
                        Platz ist, weitere Schleifen an. Fahre fort, bis - - -
                        vielleicht der letzte Zuhörer den Raum verlassen hat,
                        und laß auch dann noch nicht locker. Die Chancen stehen
                        gut, den Vortrag unendlich in die Länge zu ziehen.  |  
                    | 
 |  
                    | D) Mandelbrotmenge |  
                    | 
 | Bei großzügigster Interpretation
                        könnte man diese Verfahrensregel mathematisch
                        folgendermaßen schreiben: xn+1= xn2+c
                          Dabei sind x und c komplexe Zahlen.
                        Dieses mathematische Objekt mit dem populären Namen
                        "Apfelmännchen" kennt inzwischen jeder. Es handelt sich
                        um die Mandelbrotmenge, benannt nach Benoit Mandelbrot,
                        der sie 1980 entdeckte. Das Konzept ist allerdings
                        einige Zeit älter und geht auf die französischen
                        Mathematiker Gaston Julia und Pierre Fatou zurück, die
                        sich Anfang des Jahrhunderts mit komplexer Dynamik
                        befaßten. Sichtbar gemacht werden konnten diese
                        ungeheuer rechenintensiven Darstellungen aber erst,
                        nachdem der Computer da war, und sich bis zu einer
                        gewissen Rechenkapazität entwickelt hatte. (Auf die scheinbaren Abweichungen
                        (Kerbe, Antennen) vom Konzept näher einzugehen, bin ich
                        nach dem Vortrag bereit, falls Wert darauf gelegt wird)
                        Lassen wir das Apfelmännchen, unser neues, modifiziertes
                        Symbol der Unendlichkeit, einen Augenblick beiseite und
                        erinnern uns an den Film von der Bessemerbirne: Der Film
                        ist hängen geblieben, also die Eigenzeit des Films wurde
                        angehalten. Das erzwang eine Ebenenüberschreitung in
                        eine andere konkretere Zeitebene, unsere damalige
                        Eigenzeit vor ca. 40 Jahren, als ich noch Schüler war,
                        denn unter dem Strich muß die Zeit immer weitergehen.
                        Daß dies selbstbezüglich und im Zeichen des Feuers
                        geschah, des Inbegriffs dynamischen Geschehens und des
                        Übergangs, war meines Erachtens nichts geringeres als
                        ein Augenzwinkern irgend eines Unsterblichen. Ich habe
                        Heraklit im Verdacht. Versuchen Sie sich jetzt
                        vorzustellen, man hätte damals, nachdem der Film
                        hängengeblieben war, und als das Zelluloid zu kochen
                        anfing und feurig gelb-rotgeränderte Blasen warf, und
                        als wir plötzlich auf diese viel konkretere Ebene
                        umstiegen, (jeder Moment ist übrigens konkreter als der
                        vorhergehende) wiederum die Zeit angehalten, in den
                        Schraubstock geklemmt - wie hätte das ausgesehen? können
                        Sie es sich nicht vorstellen? - - Es ist mir das wahrhaft Unmögliche
                        gelungen, diesen Ebenensprung zu fixieren, diesen Moment
                        des Brennens auf ein Dia zu bannen.   (Dia 1). Unser neues Unendlichkeits-
 symbol. Das Feuer und der Rauch hier an den Rändern,
                        ohne Chance, sich Luft zu machen, ohne den Bruchteil
                        einer weiteren Sekunde, sich zu recken und zu entfalten
                        und jetzt die Halle der Städelschule hier in Schutt und
                        Asche zu legen. Das erstarrte Feuer ist sozusagen
                        gezwungen, sich in einer Art absolut stillen
                        Schwelbrandes in die Unendlichkeit des Mikrokosmos
                        hineinzufressen. Wir nehmen nun das Mikroskop zu Hilfe
                        und gehen der Sache nach (Dias 2-8)...
 Prinzipiell ist es möglich, immer
                        weiter in diese Struktur hineinzuzoomen, ohne daß wir
                        jemals an ein Ende kämen, und ohne daß sich mehr als die
                        groben Grundformen wiederholen würden. Die Formen werden
                        im Detail sogar immer komplizierter, je weiter wir
                        hineinzoomen. Mathematisch gesehen, befinden wir uns
                        hier an der Grenze zwischen zwei Einzugsgebieten,
                        zwischen zwei Becken, ähnlich einer Wasserscheide. Ich
                        wohne selbst genau auf der großen Europäischen
                        Wasserscheide, wo jeder Regentropfen der links davon
                        fällt, über die Donau zum Schwarzen Meer hin fließt,
                        während ein anderer rechts davon, vielleicht nur einen
                        Zentimeter entfernt, in das andere Einzugsgebiet über
                        den Main und den Rhein zum Atlantik gelangt. Eine solche
                        Grenze liegt auch hier vor, wenn auch nicht auf der
                        Landkarte der Oberpfalz, sondern in der Komplexen
                        Zahlenebene namens C2:  Ein Punkt, der iterativ berechnet,
                        sich auf einen endlichen Wert einpendelt, gehört zur
                        Mandelbrotmenge im Inneren des Apfelmännchens. Dem
                        gegenüber gehört ein Punkt, der in der Iteration früher
                        oder später erkennen läßt, daß er immer extremere Werte
                        annimmt,also in unendliche Ferne abschweift, dem anderen
                        Einzugsgebiet an. So läßt sich jeder denkbare Punkt nach
                        hinlänglichem, oft beträchtlichen, oft schier
                        unendlichen Rechenaufwand einem der beiden
                        Einzugsgebiete zuordnen. Ich habe einmal vor 11 Jahren,
                        in meiner Hackerzeit, meinen Computer 6 Wochen an einem
                        solchen Bild rechnen lassen, während ich verreist war. Wollte man anthropomorph schildern,
                        was an dieser sonderbaren Grenze geschieht, die sich
                        umso bizarrer kräußelt, je näher man ihr kommt, müßte
                        man annehmen, die beiden Einzugsbereiche zieren sich
                        derart prüde, sich nahezukommen, daß sie keine
                        Verrenkung scheuen, sich aus dem Weg zu gehen. Zwei
                        gänzlich unvereinbare Gebiete sehen sich auf gleicher
                        Ebene (C) zu paradoxer Koexistenz gezwungen. Sie weigern
                        sich förmlich, aneinander zu grenzen, denn es ist in der
                        Tat ausgeschlossen, auch nur den geringsten
                        Streckenabschnitt einer gemeinsamen Grenze auszumachen.
                        Alles, was wir können, ist, uns der Grenze beliebig zu
                        nähern, oder durchweg vereinzelte Grenzpunkte
                        auszumachen. Ein bildgewordener totaler Widerspruch -
                        so, meine Damen und Herren sieht es aus, wenn man nur
                        einen Augenblick die Zeit anhält. Wenn man eine fällige
                        Ebenenüberschreitung verweigert. - - |  
                    | 
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                    | E) Fazit: |  
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 | 1) Das negativ definierte Un-endliche
                        ist in kategorischer Beschränkung (d.h. ebenenbezogen
                        z.B. bei Mengen, Abmessungen..) ein paradoxer Begriff.
                        Er ist ein Dorfbarbier. Die allgemeine Vollständigkeit
                        des Zusammenhangs, die er beansprucht, steht uns als
                        endlichen Wesen, als internen Beobachtern dieser Welt,
                        prinzipiell nicht zur Verfügung. 2) Das ebenenüberschreitende
                        Unendliche entspricht als dynamisches Prinzip
                        Anaximanders Urgrund aller Dinge ("damit das Werden
                        nicht aufhört"). Dynamik ist konkret gegeben, wo
                        Zirkularität der Beziehungen an sich geschlossene
                        Systeme öffnet, und so Zeitlichkeit, Plastizität
                        bedingt. Die Zeitlichkeit ist dann zyklisch, eine
                        Überlagerung beliebig großer Kreisläufe. 3) Jede Darstellung dynamischer
                        Zusammenhänge auf welcher Ebene auch immer, macht
                        wiederum das Paradoxon sichtbar.  Es mag eine Täuschung sein, verehrte
                        Zuhörer, doch damit scheint dieser Vortrag nun doch an
                        einem Ende angekommen, und stellt die teleologische
                        Annahme, daß alles, was einen Anfang hat, auch ein Ende
                        nehmen muß, keine Sekunde länger in Frage.  Peter
                          Angermann Die
                          WebSite von Peter Angermann |  
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