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Das Hungertuch

Erstmals verliehen
am 16. Dezember 2001 in Düsseldorf!

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HÖRZU !
 

oder: Warum viele Künstler leider weiter
am Hungertuch nagen müssen

von Endrik Lauer

Der Komponist Jean Sibelius soll einmal geäussert haben, Sinn für Musik habe er „eigentlich immer nur bei Bankiers gefunden, höchst selten bei Künstlern, die lieber über Geld reden.“ Ein bemerkenswertes Bonmot für einen Künstler. Gehört es doch seit der Antike zu den Standards ihrer Rhetorik, das Geld, seine korrumpierende Macht und seine ästhetisch meist ignoranten Besitzer auf das übelste zu beschimpfen. Die Freuden des Golf–Fahrens oder die Vorzüge edler Markenkleidung zu besingen, mag wohl kurzfristigen Ruhm als Popliterat begründen und hohe Verkaufszahlen bescheren – unter Kunstverdacht steht es kaum. Wer gegen Bares das Foyer der Deutschen Bank ausmalt, hat noch seine subversivsten Bildbotschaften an die Macht des Kapitals verraten. Und zur Legende des genialen Mozart passte es einfach besser, hätte er sein Requiem in totaler Verarmung komponiert statt in auskömmlichen Verhältnissen, wenngleich mit saftigen Spielschulden.

Den schweren Dienst am Wahren, Guten, Schönen beglaubigen Künstler besser durch karge Existenzbedingungen. Das Leben der Boheme soll arm, aber aufrecht sein. Denn ob Geld in Form von Direktüberweisungen, neofeudaler Protektion oder von Verkaufserfolgen ins Spiel kommt, ist eigentlich ziemlich wurscht. Der Tausch von Kunst gegen Kohle begründet zuverlässig stets einen Verdacht: dass hier jemand ideelle Motive schnödem weltlichen Profit geopfert habe. Kommerzieller Erfolg stellt Kunstansprüche grundsätzlich in Frage.

Allein: Wer sein Leben der Kunst weiht, hat leider oft einen ausgeprägten Sinn auch für die schönen irdischen Dinge. Leonardo liebte edle Stoffe und sündhaft teure Gewürze ebenso wie die Künste und Wissenschaften. Richard Wagner hinterliess allein 48 seidene Morgenröcke. Selbst der wackere Karl Marx bestellte lieber ein paar Kisten Rheingauer Riesling oder ein Klavier, statt mit Friedrich Engels‘ Schecks die Miete oder seinen Beitrag an die 1. Internationale zu bezahlen.

Lassen wir die radikale Fraktion der wahren Asketen aussen vor. Vorzugsweise über Geld reden am liebsten jene Künstler, die seine Quellen zwar recht ordentlich verachten, den Zaster aber lustig verprassen, statt ihn wie der Bourgeois ängstlich zu horten. Warum nicht die Taschen der reichen Spiesser und der Mächtigen so weit wie möglich leeren? Verschafft man diesen damit doch Entlastung von ihrem notorisch schlechten Gewissen – und führt zugleich den angeeigneten gesellschaftlichen Reichtum wieder edleren Verwendungen zu.

Steigen wir nun ein wenig auf aus dem Tal gut abgehangener Vorurteile und blicken wir von oben auf die Szene. Ich hoffe, der Soziologe Niklas Luhmann dreht sich angesichts meines hoffnungslos unterkomplexen Gebrauches seiner Theorie nicht im Grabe herum. Doch nicht nur durch die Brille der Systemtheorie erkennt man schnell eine bemerkenswerte strukturelle Gemeinsamkeit von Kunst und Geld: beide leisten symbolische Zweitcodierungen der Welt. Ihre Zeichensysteme treffen gegenüber der unendlichen Komplexität der Welt Unterscheidungen, mit denen man arbeiten kann. Geld wie Kunst stiften Ordnungssinn und geben der Kommunikation in der und über die Welt eine Struktur. Zugegeben: eine überaus abstrakte Gemeinsamkeit. Aber das war’s dann auch schon.

Viel interessanter ist die entscheidende Differenz von Kunstsystem und Wirtschaftssystem. Das „Problem“ der Wirtschaft heisst – Knappheit.

Die Menge der Güter (übrigens auch die der Bilder) und der Dienstleistungen (auch die der Symphoniekonzerte) ist prinzipiell begrenzt. Die Menge der Wünsche, auf diese Güter zuzugreifen, prinzipiell nicht. Die geniale Lösung besteht in der Verdoppelung dieser realen Knappheiten durch eine künstlich erzeugte Knappheit: Geldknappheit. Wer entsprechend zahlt, der bekommt widerstandslos vom Bäcker ein Brot, von Armani einen Anzug oder vom Galeristen ein Gemälde.

Knappheit reguliert geldgesteuerte Wirtschaftssysteme aber noch auf einer anderen Ebene. Denn Geld verknappt ganz extrem die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Kommunikation. Genau genommen auf eine einzige, kühle, technische Unterscheidung: zahlen oder nicht zahlen. Den Bäcker muss es nicht interessieren, ob ich sein Brot esse oder damit nächste Woche eine Scheibe einwerfe. Armani darf es herzlich egal sein, ob Ihnen ein italienischer Anzug wirklich steht. Und die Motive eines Galeristen, einen bestimmten Maler auszustellen, müssen mich ebenso wenig bewegen, wie diesen die Frage, ob ich den Kaufpreis eines Bildes durch Steuerhinterziehung oder Steuerberatung aufgebracht habe. Mit einem Wort: Geld kappt – bis auf Zahlungsakte oder Zahlungsverweigerungen – alle kommunikativen Anschlussmöglichkeiten.

Jede Vernissage, jeder Theaterabend und jede beliebige Feuilletondebatte beweisen uns schlagend, dass im Kunstsystem, dem so genannten Kulturbetrieb schlechthin das Gegenteil beabsichtigt ist: nämlich kommunikative Anschlußmöglichkeiten geradezu unendlich zu vermehren. Hier gilt:

„Bin die Verschwendung, bin die Poesie; / Bin der Poet, der sich vollendet, / Wenn er sein eigenst Gut verschwendet“ (um mit Johann Wolfgang von Goethe mal einen wohlhabenden Dichter zu zitieren). Die Systemleistung der Kunst besteht nämlich darin, Alternativversionen der eingespielten Realität präsent zu halten. Einfacher gesagt: uns dauernd zu zeigen, dass alles auch ganz anders sein könnte. Durch permanente Sinnüberflutung sorgt die Kunst dafür, dass andere Systeme irrtums– und störanfällig bleiben. Entgegen ersten Vermutungen ist dies nämlich eine Grundbedingung ihres Fortbestandes. Ohne Crash keine Börse, ohne Konjunkturkrise keine Wirtschaft, ohne Demos keine Politik, ohne Verbrechen kein Recht – und ohne Theaterskandal keine „Öffentlichkeit“.

Also: Kunst produziert alternative Weltsichten. Kommunikatives Störfeuer gewissermassen. Im Gegensatz zu Rezessionen oder Mordprozessen gilt hier freilich die Regel: No limits! In der Politik sind Ritualmorde keine zugelassene Handlungsalternative. Im Theater darf man das Wüten Antigones oder Penthesileas nach wie vor mit allen Farben des Schreckens ausmalen. Ein weisses Quadrat auf weissem Grund ist keine zustimmungsfähige Aussage unter Physikern. In der Kunst war es eine grundstürzende Botschaft. Wenn jemand auf der Jahrestagung des Arbeitgeberverbandes drei Minuten und 37 Sekunden schweigt und dabei zweimal seinen Aktenkoffer auf– und zuklappt, dann wird irgend jemand einen Arzt rufen. Wenn ein Pianist das gleiche mit einem Flügel tut, dann ist es ein Stück von John Cage und zumindest beim ersten Mal eine ästhetische Provokation. Zugleich jedoch kann man auch nach Malewitsch gegenständlich malen und nach Schönberg ein tonales Streichquartett komponieren. Das Schauspielhaus wird Dienstags das Publikum mit einem heiteren Salonstück amüsieren und Mittwochs die Schauspieler mit heiligem Ernst Handkes Verse rezitieren lassen. Ein bestimmtes Gemälde versenkt Frau Meier in mystische Meditation. Herr Meier findet nur, dass es gut zum Sofabezug passt. Anything goes!

Besteht die Grundfunktion der Kunst in ästhetischer Sinnüberflutung der Gesellschaft, dann stellen sich früher oder später ernste Folgeprobleme ein. Erstens: ästhetische Überproduktion. Zweitens: Verlust der Differenzierungssicherheit. Wenn scheinbar alles geht – eben auch das Gegenteil – und wenn man alles so oder auch ganz anders sehen kann, dann drohen nicht allein systeminterne ästhetische Differenzen wie schön / häßlich, gelungen / mißlungen, oder alt / neu einzubrechen, sondern auch die Differenz zwischen System und Umwelt selbst. Sprich: zwischen der Kunst und allem was nicht Kunst ist. So wird dann zum Beispiel beim Betrachter Unsicherheit darüber erzeugt, ob ein Feuerlöscher im Museum schlicht ein Feuerlöscher ist oder doch ein Kunstobjekt. Eine situationistische Wiener Theatertruppe kann, so geschehen beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua, von der Polizei mehr oder minder versehentlich dem Schwarzen Block zugerechnet, brutal verhaftet und wochenlang inhaftiert werden.

Richtig spannend wird die Lage, wenn Kunst und Geld wieder aufeinanderstossen. Denn auch die Kunst nimmt natürlich Systemleistungen der Wirtschaft in Anspruch. Es wird Geld gezahlt – oder auch nicht. Das nennt man dann Kunstmarkt, Büchnerpreis, Eintrittskarte, Subventionskultur oder public private partnership. Eines fällt dabei allerdings sofort und durchgängig auf: Speist man Kunstwerke – egal an welcher Stelle – in den Wirtschaftskreislauf ein, dann bekommt man bloss Geld oder kein Geld. Antworten jedoch auf all die bewegenden Fragen nach Wahrheit und Lüge, Kunst oder Unterhaltung, Schönheit und Hässlichkeit oder Sein versus Design bekommt man nicht.

Die Zahlungsbereitschaft von Individuen und Institutionen für Kunst ist natürlich auf nichtökonomische Motive angewiesen. Aber das gilt für jeden Kauf. Nur: Der nüchterne Zahlungsvorgang verrät bei Kunstwerken über diese Motive genauso wenig wie bei Automobilen. Preise drücken Präferenzen aus. Aber die lustigen Banalitäten eines

Jeff Koons erzielen im Zweifelsfall bei einer Auktion denselben Preis wie die tiefernsten Meditationen eines Barnett Newman. Mag wohl sein, dass der Stadtrat die Börse zur Subventionierung eines neuen Musicaltheaters gerne etwas weiter öffnet als für eine experimentelle

Alternativbühne. Aber am Ende fliesst die „Staatsknete“ in beide Richtungen. Natürlich bekommt John Grisham höhere Vorschüsse als Botho Strauß. Aber am Ende kosten beide Bücher 39,90. Und – glauben sie dies einem Lektor – auf jeden schwer verkäuflichen Gedichtband kommen mindestens zehn gefloppte Schmonzetten und fünf Ratgeber mit weniger als 3000 verkauften Exemplaren.

Ich komme nun zu meiner Schlussthese. Und damit zurück zur Ausgangsfrage, warum viele Künstler leider am Hungertuch nagen. Nur um kurz zu resümieren: Die funktionale Leistung der Kunst besteht in einer ästhetischen Sinnüberflutung der Gesellschaft: einem Dauerangebot alternativer Weltsichten und vulgo alternativer kommunikativer Anschlussmöglichkeiten. Eine der Folgen ist eine dramatische ästhetische Überproduktion. Nun ist Überproduktion bekanntlich und beileibe kein exklusives Problem der Kunst. In unserer Gesellschaft gibt es, unter anderem, ja auch zu viele Autos, zu viele Biersorten und zu viele Fernsehsender. Solange drei Programme von fünf bis Mitternacht zu empfangen waren, gab der Imperativ HÖRZU! einen passablen Titel für eine TV–Zeitschrift ab. Bei dreissig bis vierzig Kanälen wirkt dieses Kommando nur noch hilflos und völlig absurd. Und so plagen sich Fernseh– und Werbeverantwortliche – noch sind das getrennte Funktionen – heute immer weniger mit der Frage, mit welchen Filmen, Serien, Shows und Spots sie den Zuschauer am besten erreichen. Viel häufiger quält sie, ob sie ihn überhaupt noch erreichen. Was Medienleuten längst in Fleisch und Blut übergegangen ist, das lehren viele Business Schools und Business Books inzwischen auch die Manager anderer Gewerke: Es gibt in unseren entwickelten Industrie–Dienstleistungs–Informations–Freizeit–Spassgesellschaften nur noch ein einziges, allerletztes knappes Gut – Aufmerksamkeit. Leider liegt es auf der Hand, dass Aufmerksamkeit zugleich ein unverzichtbares Elixier ästhetischer Kommunikation ist. Also: Dass Kunst unter Marktbedingungen nicht nur gegen andere Kunst, sondern zusammen mit Schals, Schokolade und Daily Soaps um dieses knappe Gut menschlicher Aufmerksamkeit konkurrieren muss, das ist die erste schlechte Nachricht.

Die zweite lautet: Es gibt eine noch schlechtere Nachricht. Und die geht so: Seit geraumer Zeit entdecken die Marketing–Gurus, dass die Kunst der Erweckung und Befriedigung von Bedürfnissen sowie des Verkaufens von Produkten und Dienstleistungen in ein neues Zeitalter eingetreten ist. Ursprünglich kauften Konsumenten ein Produkt wegen seiner sachlichen Funktion. Stichwort: Nutzwert. Deshalb wusch Ariel nicht nur sauber, sondern rein. Heute weiss fast jedes Kind, dass nahezu alle Waschmittel gleich weiss waschen.

Die Kunst ging dieses Funktionsargument überhaupt nichts an. Schnöden Nutzwert hatte diese Nachbildungen schliesslich nie beansprucht. In Phase zwei erwarteten die Konsumenten vom Produkt zugleich eine soziale Funktion. Stichwort: Image. Wer Marlboro raucht, in dem steckt ja vielleicht wirklich ein Cowboy. Das ist immer noch so. Doch haben die Verbraucher die Rollenspiele der Warenästhetik nicht nur durchschaut, ein bisschen langweilig finden sie sie mittlerweile auch.

Die Position der Kunst war hier schon wesentlich schwieriger: Hatten doch Repräsentationsfunktionen zumindest in ihrer Geschichte eine massgebliche Rolle gespielt. Aber: Kunst mit Imagefunktion, das ist eben Design, Kitsch oder „Kunst am Bau“. Neben den Einfallstoren für rettende Polemiken liess sich meist trefflich das Türschild „Kulturindustrie“ anbringen.

Heute nun treten wir in Phase drei des Marketings ein: Von einem Produkt oder einer Dienstleistung erwarten Verbraucher zugleich eine, man muss es wohl so nennen, metaphysische Funktion. Die Fachleute sprechen hier von second order desires. Kleidung soll nun eine „Persönlichkeit ausdrücken“. Dabei kann sie ebenso als Requisit bürgerlicher Gediegenheit dienen wie als Manifestation rebellischer Gesinnung. Das Image von Michael Jordan verkauft immer noch Turnschuhe. Doch wehe, sie wurden von Kindern in einem Sweatshop in der Dritten Welt hergestellt! Ethische Bedenken ziehen dann unmittelbaren Konsumboykott nach sich. Und mit einer Teilnahme an der Camel Trophy will man weniger dokumentieren, was für ein harter Bursche man ist.

Erfolgreich sind solche Events, weil sie dem Konsumenten Selbstverwirklichung, Grenzerfahrung oder Erweiterung seiner Persönlichkeit versprechen. Materielle Produkte rücken dabei immer mehr in den Hintergrund des Interesses. Die Zukunft gehört Ayurveda–Kuren auf Bali, Tarotkursen in der Toskana oder dem römischen Wochenende in den Pyrmonter Thermen. Das Geschäft blüht auf der Basis von Inszenierungen. Erschwerend hinzu: der transzendentale Erlebniskonsum ist synästhetisch. In den Klang der Türen ihrer Automobile investieren BMW oder Mercedes heute fast genauso viel wie in die Entwicklung des Motors. Wie ein Stoff sich anfühlt ist wichtiger als die Frage seiner Haltbarkeit. Eine theatralische Beleuchtung und verkaufsfördernde Duftnoten entscheiden mindestens ebenso über den Erfolg eines Warenhauskonzeptes wie eine optimale Preisgestaltung.

Kunst konkurriert mit Konsumprodukten und kommerziellen Dienstleistungen um exakt die gleichen höheren, ideellen Motive und Entscheidungsgründe von Konsumenten. Der Markt wird noch enger. Kommerzielle Konzepte werden von künstlerischen Konzepten schwerer zu unterscheiden sein. Und selbst die strikte Verweigerung kommerzieller Attitüden – nahezu zweihundert Jahre der bevorzugte Ausweis künstlerischer Ernsthaftigkeit – zieht nicht mehr. Auch den schnöden Kommerz statten philosophisch, sozial und ästhetisch restlos aufgeklärte Marketingspezialisten immer öfter mit der Aura der Konsumverweigerung aus. Nur die Kunstreligiösen rümpfen noch die Nase, dass das Gesetz von Angebot und Nachfrage auch für tendenziell immaterielle Werte gilt. Der in Sachen Kunstbetrieb Illusionsarme ist besser dran. Gerade an den bizarren Auswüchsen dieser unauflöslichen Symbiose kann man das Arkanum Markt in zugespitztester Form studieren. In der Aura des Kunstwerks findet sich jene spirituelle Erfahrung des Religiösen, in der das Transzendente im Immanenten, das Immanente in seiner Transzendenz erfahren wird.

Was also bleibt?

Entweder muss sich die Kunst mit heiterer Gelassenheit in dieses Getümmel stürzen. Oder sie muss das gleiche tun, was manche Theologen den Kirchen empfehlen: Schluss zu machen mit der Illusion umfassender gesellschaftlicher Daseinsfürsorge und sich zu besinnen auf die Verehrung Gottes, den Kult des Heiligen und die „Anschauung des Universums“ (Friedrich Schleiermacher). Das würde beide gewiss einen Grossteil ihrer sozialen Wirkung kosten. Aber für die verbleibenden Anhänger würde die Sache unter Umständen wieder überaus spannend werden.

„Worauf bin ich stolz – und darf ich stolz sein als Künstler?„, fragt sich der Romantiker Friedrich Schlegel um 1800 und gibt auch gleich selbst die Antwort, „auf den Entschluß, der mich auf ewig von allem Gemeinen absonderte; auf das Werk, was alle Absicht göttlich überschreitet; auf die Fähigkeit, was mir entgegen ist, anzubeten.“

Der Künstlerpreis des Hungertuches erinnert uns durchaus an diese Dimension des Heiligen in der Kunst. Ursprünglich wurden „Hungertücher“, Szenen der Passion Christi abbildend, nämlich während der Fastenzeit über den Altären aufgehängt. Zugleich aber erkenne ich in dem gleichnamigen Kunstpreis auch eine Form der Rückkehr zum schönen, archaischen Ritual des Gabentausches. Dieser wusste noch nichts vom Zwang zur Äquivalenz der Tauschgüter und nichts vom Streben nach profitabler Absatzsteigerung. Dafür vollzog er sich oft bis zur Erschöpfung. Und zumeist signalisierte er nicht eine Zeit der Askese, sondern fand statt im Rahmen verschwenderischer Feste mit Tanz, Musik, rituellen Festmählern und Besäufnissen. Im heutigen ökonomischen Sinne leben kann man von so was natürlich nicht. Aber wer würde solcher Form, am Hungertuch zu nagen, ernstlich widersprechen wollen?

Dr. Enrik Lauer

 

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