Die Gefahren einer erneuten Zerstörung des Löwentempels drohen: Wind, Sand
und Regen setzen dem neuerrichteten Tempel zu. Besonders die Oberfläche der feinen
Reliefs leidet unter der Winderosion. Es gilt, den Tempel vor der weiteren Erosion zu
bewahren. Leider haben chemische Verfahren zum Schutz der Tempelwände versagt.
Die Sudanarchäologische
Gesellschaft zu Berlin hat sich zusammen mit dem Institut für Sudanarchäologie und
Ägyptologie der Humboldt-Universität zu Berlin zur Aufgabe gemacht, die Denkmäler des
Sudan und speziell die von Musawwarat es Sufra zu erhalten. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist
die Projektierung, Finanzierung und Erhaltung einer Schutzbepflanzung um den Löwentempel.
Ein natürlicher Schutz kann dauerhaft zur Erhaltung beitragen: eine Schutzbepflanzung
rund um den Tempel hält den Sand zurück, bricht die Kraft des Windes und schützt so die
wertvollen Reliefs vor Erosion.
Schutzbepflanzungen wurden in anderen Bereichen schon erfolgreich angewandt. Ihr Einsatz
zum Schutz archäologischer Denkmäler wäre neu in der Region und kann Signalwirkung für
einen ökologisch orientierten Denkmalschutz haben.
Ein Bestandteil dieses Projektes ist es, eine audiovisuelle Dokumentation des
Grabungsplatzes von Musawwarat es Sufra zu erstellen. Die entsprechende Arbeitsgruppe
unter meiner Leitung beschäftigt sich mit videogestützter Dokumentation und
Computermodellen der Tempelanlagen.
Computermodell Tempeleingang (360 KB)
Dies führte zu Überlegungen, wie man moderne Computertechnik im Dienste der
Bewahrung von kulturhistorisch bedeutenden Altertümern einsetzen kann.
Ein Video, bestehend aus Computeranimations- und Realsequenzen, wurde unter verschiedenen
Gesichtspunkten und Absichten erstellt. Es soll einerseits den interessierten Laien, und
andererseits auch den profunden Kenner der Materie ansprechen. Dies gilt für die Bereiche
der Archäologie (im besonderen der Sudanarchäologie und Ägyptologie) und
Computeranimation.
Ich möchte zeigen, daß es mit modernsten Techniken möglich ist, einen
visuell ansprechenden Beitrag über kulturhistorische Zeugnisse der Menschheitsgeschichte
zu gestalten.
Der Computer ermöglicht uns, riesige und teilweise abstrakte Datenmengen so
aufzubereiten, daß sie auch komplizierteste Sachverhalte auf relativ einfache Art und
Weise verdeutlichen können.
Bei dem Löwentempel von Musawwarat es Sufra handelt es sich um ein relativ leicht zu
rekonstruierendes Bauwerk, bei dessen Rekonstruktion immer mehr Fragen auftauchten, die
nur mit Mühe zu lösen waren, bzw. nur in Annäherung an das Original gelöst wurden.
Hier zeigen sich die phantastischen Möglichkeiten des Computers, wir an Tempeln oder
anderen Objekten Manipulationen oder Rekonstruktionsversuche vornehmen zu können, ohne
das Original berühren und dadurch beschädigen zu müssen. Wer gibt uns das Recht zu
sagen: "So hat dieser Tempel vor 2000 oder 3000 Jahren ausgesehen!"? Jeder kann
seine Meinung dazu kundtun und muß dazu nicht das Original verändern und dadurch weiter
zerstören.
Ausgestattet mit den Meßdaten des Löwentempel, vielen Fotos, reichlich
Optimismus und Phantasie begann ich im August 1993 am Rechenzentrum der Humboldt-Universität zu
Berlin an einer IRIS Crimson von Silicon Graphics Inc.
(SGI) mit dem Softwarepaket GIG 3D-GO an der
Realisierung einer Computeranimation des Löwentempel zu arbeiten. In nur einem Monat
wurde der Tempel im Computer modelliert und eine Animation erstellt. Bedingt durch die
begrenzte Zeit und meines noch mangelndes Wissen in der Bedienung des Programms wurde der
Löwentempel buchstäblich in den Sand gesetzt. Durch eine einzige falsche
Koordinateneingabe stand der Tempel zur Hälfte im Wüstenboden. So konnte das geplante
Video nicht wie vorgesehen zu einer Ausstellungseröffnung im September 1993 gezeigt
werden.
Das Rechenzentrum der Humboldt-Universität zu Berlin bot mir an, mein Projekt im Rahmen
der Multimediagruppe zu vollenden. Von Januar 1994 bis Januar 1995 arbeitete ich als
studentische Hilfskraft mit dem Softwarepaket WAVEFRONT
an der Neuerstellung einer Computeranimation.
Computermodell innere Nordwand (384 KB)
Der Tempel wurde komplett neu im Computer modelliert. Hier merkte ich, daß die mir
zugänglichen Daten des Tempels nicht ausreichten, um alle Fragen nach genauen Maßen des
Tempels exakt zu beantworten. Es kam immer wieder zu Ungenauigkeiten, die ich nicht
beheben konnte. Der Produktionszeitplan kam immer mehr in Verzug (geplante Fertigstellung
im April 1994).
Ich entschloß mich im Februar 1994 zu einer Studienreise in den Sudan. Eine Woche wurde
genutzt, um Fotos und Meßdaten des Löwentempels von Musawwarat es Sufra zu sammeln.
Die gewonnen Erkenntnisse flossen in eine genauere Rekonstruktion des Löwentempel ein.
Durch Verwendung von Photo-CD-Bildern und gescannten Umzeichnungen der Reliefs aus
Grabungspublikationen gelang es, ein Modell zu erzeugen, welches dem Löwentempel schon
sehr nahe kam.
In dieser Phase der Arbeit wurden die Grenzen von Hard- und Software immer deutlicher.
Eine weitere Verschiebung des Zeitplans ließ sich nicht vermeiden.
Mit einer gut ausgerüsteten IndySC, einer IRIS Indigo2 Extreme von SGI und dem
Softwarepaket PRISMS gelang es in kurzer Zeit, meine
Vorstellungen der Computeranimation umzusetzen.
Auf Grund der sich ergebenden riesigen Datenmengen - Modelldaten ca. 170 MB und errechnete
Bilddaten ca. 18 GB - und daraus resultierender extremen Rechenzeiten wurde ein Großteil
der Bilder von der Fraunhofer-Gesellschaft in Stuttgart
an Grafiksupercomputern von SGI berechnet. Diese errechneten Bilder wurden mittels des
Video-Sequenzspeichersystems des Rechenzentrum auf Betacam-SP-Videoband aufgezeichnet.
Computermodell Tempelfront (280 KB)
Um die Arbeit der Stuttgarter Computer zu verdeutlichen, sei erwähnt, daß für
die Berechnung eines DIN-A3 Überformatbildes des Tempels eine SGI Skywriter mit 128 Mbyte
RAM auf zwei Prozessoren 24 Stunden rechnen mußte.
Alle Nacharbeiten wie Schnitt, Vertonung und Formatumsetzungen erfolgten in der
Zentraleinrichtung für Audiovisuelle Lehrmittel der Humboldt-Universität zu Berlin.
Das fertige Video wird der Humboldt-Universität zu Berlin und der Sudanarchäologischen
Gesellschaft zu Berlin zur Verfügung gestellt. Es soll einerseits als Anschaungsmaterial
im Unterricht, andererseits als Beispiel der heutigen technischen Möglichkeiten im Rahmen
der Archäologie genutzt werden.