Der Nil - längster Strom der Erde,Wiege uralter Kulturen.
Vor 5000 Jahren entstand von Assuan bis zum Mittelmeer der altägyptische Staat der
Pyramidenbauer. Im Süden, in Nubien, blühten die ersten Kulturen des antiken Sudan: Die
C-Gruppe um Aniba, die Kerma-Kultur im fruchtbaren Kerma-Becken.
Um 1550 v.u.Z. stoßen die Heere der Pharaonen der 18. Dynastie weit nach Süden vor, das
Land "Kusch" wird ägyptische Provinz. In Abu Simbel, Soleb, Kawa und am Gebel
Barkal werden Tempel errichtet.
Um 1000 v.u.Z. müssen sich die Ägypter aus Nubien zurückziehen. In der Steppe Bayuda
und um den vierten Katarakt entsteht ein einheimisches Fürstentum, dessen Herrscher auf
dem Friedhof von El-Kurru bestattet werden. Deren König Piye zieht um 728 v.u.Z. nach
Ägypten, schlägt die dort um den Pharaonenthron kämpfenden Fürsten. Seine Nachfolger
beherrschen als Pharaonen der 25. Dynastie ein Reich, das von Palästina bis zum Weißen
Nil reicht.
Pharao Taharqo ist der berühmteste dieser "schwarzen Pharaonen", von dessen
glanzvoller Regierung Bauten in Ägypten und im Sudan künden.
Um 664 v.u.Z. erobern die Assyrer Ägypten, die Kuschiten müssen sich zurückziehen. Am
heiligen Berg Gebel Barkal und in der Hauptstadt Napata entsteht das Zentrum der
napatanischen Periode des Reiches von Kusch. Auf dem Friedhof von Nuri werden die
Herrscher beigesetzt.
Um 270 v.u.Z. wird der königliche Friedhof in die Nähe der alten Stadt Meroe verlegt.
Mehr und mehr beginnen einheimische, afrikanische Elemente die Kultur zu prägen, die
bisher stark unter ägyptischem Einfluß stand. Deutlichster Ausdruck dafür ist die
Erfindung einer eigenen Buchstabenschrift.
Unweit von Meroe liegen in der Steppe Butana zwei weitere Zentren dieser Periode: die
Stadt Naga und das Pilgerzentrum von Musawwarat es Sufra.
Etwa 40 km vom Nil entfernt liegt das Tal von Musawwarat. Eine im ganzen Niltal einmalige
Ansammlung von Tempeln wurde hier errichtet. Die bedeutendsten sind die sogenannte
"Große Anlage" auf der Westseite des Wadis und der "Löwentempel" auf
der Ostseite.
Arnachamani (56 KB)
Zur Zeit der Regierung des
Königs Arnachamani, etwa 220 v.u.Z., wurde der Löwentempel errichtet. Der Tempel war
einem der größten meroitischen Götter, dem Löwengott Apedemak geweiht. Apedemak
versinnbildlicht als Gott die zerstörende und die schöpferische Macht.
Der Tempeleingang ist nach Südosten gerichtet. Alle anderen Tempel des Löwengottes in
der Butana sind ebenfalls so orientiert. Wahrscheinlich richteten sie sich nach einem
Wandelsternbild aus.
Der Tempel besteht aus einem Raum, dessen Dach von sechs Säulen getragen wird. Im
hinteren Teil der Halle steht ein Thron für das Götterbild.
Den Eingangsbereich des Tempels bilden zwei Pylontürme. Das Baumaterial ist der örtliche
Sandstein, der in den Bergen der Umgebung gebrochen wurde. Innen- und Außenwände des
Tempels sind mit Reliefs überzogen. Die Inschriften des Tempels sind in ägyptischen
Hieroglyphen geschrieben, der heiligen Schrift auch für die Kuschiten (das damals in
diesem Gebiet herrschende Volk).
Aus der ägyptischen Tempelarchitektur sind die architektonischen Details entlehnt: die
Hohlkehle, die die Tempelwände nach oben abschließt, die Wasserspeier in Form liegender
Löwen, der Fries aus aufgerichteten Kobraschlangen.
Die Säulen des Inneren symbolisieren Papyruspflanzen, die das Tempeldach, das Symbol des
Himmels, tragen.
Tempeleinblick (48 KB)
Betrachtet man die Reliefs des
Tempels, erschließen sich Sinn und Bedeutung dieses Tempels.
Auf den Pylontürmen waren die beiden Schutzgottheiten der meroitischen Tempel
dargestellt: Arensnuphis mit der Federkrone auf der rechten, der nördlichen Seite,
Sebiumeker mit der Doppelkrone auf der südlichen Seite.
Über dem Eingang prangte ein Dreikopf, die Darstellung des Gottes Amun als Widder,
flankiert vom Löwen des Apedemak: links mit der Kriegskrone in seiner zerstörenden Form,
rechts mit der Mondsichel in seiner schöpferischen Form.
Unter dem Arensnuphis sieht man ein Krokodil, dem das Maul verbunden wurde. So wurde auf
der Seite des Friedens und der Schöpfung seine tödliche Macht gebannt.
Auf der anderen Seite kündet ein ungebändigter Löwe von der zerstörenden Kraft des
Gottes.
Auf der südlichen Außenwand tritt der König vor eine Prozession von Göttern.
"Der König, Herr der Länder, Herr des Opferns, Herr der Wahrheit, Sohn der Sonne,
Herr der Diademe, großer Herrscher von Nubien - Arnachamani."
Er trägt das Ornat der Herrscher von Meroe: Die Krone mit den Widderhörnern, die Kette
mit drei Widderköpfen, die Schärpe, den langen Mantel.
Hinter ihm steht die Göttin Isis, den Arm zu seinem Schutz erhoben.
Vor ihm geht der "Königsohn, Priester der Isis von Musawwarat und Wad ban Naga"
Arka. Er hält zwei Opferbecken in den Händen.
Die Götter werden vom Tempelherren angeführt, dem Löwengott Apedemak.
"Großer Gott, prächtiger Gott, an der Spitze von Nubien, Löwe des Südens, stark
an Arm. Der seinen Gluthauch gegen seine Feinde schleudert."
Er führt einen Gefangenen und reicht dem König eine seiner Standarten.
Es folgt Amun, der oberste Gott, den die Kuschiten aus Ägypten übernommen haben. Er
trägt die hohe Federkrone.
Hinter ihm folgen zwei kuschitische Götter, die auch den Pylon schmücken: Sebiumeker mit
der Doppelkrone und Arensnuphis mit der Federkrone. Als Jägergottheit ist Arensnuphis mit
Sandalen bekleidet und hält eine Gazelle in der Hand. Zum Zeichen ihrer kuschitischen
Herkunft tragen beide Götter die einheimische Kugelkette.
Es folgen wieder zwei ägyptische Götter: der falkenköpfige Horus, Gott des Königtums,
und der Gott mit dem Kopf eines Ibis: Thot, Gott der Wissenschaft und des Mondes.
Auf der Rückwand des Tempels opfert der König vor zwei Göttern: Rechts vor Apedemak,
der Pfeil und Bogen hält. Der Gott steht auf zwei Kriegselefanten, unter dem König
befinden sich Gefangene, die durch ihre charakteristische Haartracht als Nomaden
gekennzeichnet sind.
Links opfert der König vor Sebiumeker. Unter ihnen ein Fries von Henkelkreuzen, dem
ägyptischen Lebenszeichen. Wir haben den Bereich der zerstörenden, tötenden Macht
verlassen und befinden uns im Bereich der lebengebenden Schöpfung.
Entsprechend ziehen auf der nördlichen Wand die Götter, begleitet von
Göttinnen, vor den König. Diese ganze Seite ist, wie schon am Pylon gesehen, dem Frieden
gewidmet.
Horus, der falkenköpfige Gott, wird von Isis begleitet.
Amun, hier mit dem Kopf eines Widders, wird von der Göttin Satis begleitet.
Das folgende Götterpaar ist kaum noch erhalten, wie auch der Name der Begleiterin des
Apedemak unbekannt bleibt.
Der löwenköpfige Tempelherr tritt waffenlos vor den König. Hier ist er "der große
Gott, der für alle Menschen die Nahrung schafft, Herr des Lebens, groß an Ansehen."
Ihm tritt der König entgegen, der hier ein Szepter hält, daß in eine Kornähre
ausläuft. Dazu hält er einen Strauß aus Durra, dem sudanesischen Brotgetreide. Auch das
verweist auf den schöpferischen Aspekt dieser Tempelwand. Der Prinz begleitet seinen
Vater.
Zeigten die Außenwände Bilder der Macht der Götter und des Königs, so beschreiben die
Reliefs der Innenwände, wie der König im Kult vor die Götter tritt.
Die Stirnseite der Halle zeigt entsprechend den König vor den beiden Hauptgöttern des
kuschitischen Pantheons: links vor dem Gott Amun mit Widderkopf, rechts vor Apedemak.
Beide Götter halten einen Löwen und einen Elefanten.
Folgen wir dem Weg, den der König bis zu diesen Göttern nimmt:
Auf der südlichen Innenwand tritt der König mit seinem Gefolge, darunter zwei Frauen,
vor Apedemak. Der nächste Gott, den er begrüßt, ist Sebiumeker. Schließlich steht er
opfernd vor dem widderköpfigen Amun.
Auf der nördlichen Innenwand tritt der König zuerst dem Amun entgegen; es folgt eine
Szene, in der der König von einem Gott auserwählt wird. Hierauf tritt der König vor den
thronenden Apedemak. In der letzten Szene sieht man den König, wie er von mehreren
Göttern empfangen und gekrönt wird.
Betrachtet man diese Bilder alternierend, zeigen sie uns den mythischen Ablauf einer
göttlichen Krönung: Begrüßung des Tempelherren Apedemak - Begrüßung des Hauptgottes
Amun - Begrüßung des Gottes Sebiumeker - Auserwählung zum Königsamt - Opfer vor Amun -
Opfer vor Apedemak - Krönung zum König.
Ein dichtes Netz theologischer Ideen verbindet die Darstellungen des Löwentempels: die
zerstörerischen und die schöpferischen Mächte der Natur, Krieg und Frieden, die
Göttlichkeit des Königs und seine Verpflichtung gegenüber der Ordnung der Götter.
Zugleich gehören diese Reliefs zum Schönsten, was uns die kuschitische Kultur
hinterlassen hat.
Nach König Arnachamani werden noch für Jahrhunderte in Musawwarat die Götter
von Kusch angebetet.
Um das Jahr 350 unserer Zeitrechnung erlischt das Reich von Meroe.
Drei christliche Reiche herrschen in Nubien vom fünften Jahrhundert bis ins Mittelalter:
Nobadia und Makuria im Norden, Alwa im Süden.
Islamisierte Stämme erobern nach und nach Nubien, das islamische Reich der Funj
beherrscht von 1504 bis 1821 von Sennar aus das Gebiet.
Mit der Eroberung des Sudan durch Ägypten gelangen ab 1821 die ersten Europäer ins Land;
Abenteurer, Romantiker und Forscher. Von ihnen stammen die ersten Darstellungen der Tempel
von Musawwarat, die nach Europa gelangten.