FREISTIL, oder die Seinsmaschine
Mitteilungen aus der Wirklichkeit
Audioauszüge aus einer Sendung des WDR 3,
produziert und konzipiert von Thomas Schmitt http://www.tagtraum.de
Regie Thomas Schmitt, Text Rudolf Kaehr
Anmerkung des Herausgebers
Alles Philosophieren entstammt letztlich oral-auditiven Traditionen. Nicht
nur, dass der Felix Meiner
Verlag Aristoteles Organon in einer neuen, dem oralen Ursprung
näheren Übersetzung wieder aufgelegt hat, dem Supposé-Verlag
in Köln ist es zu verdanken, dass nun Vorträge von namhaften
zeitgenössischen Denkern wie Heinz von Foerster, Vilém Flusser und
Gotthard Günther als Hörbücher auf Audio-CD verfügbar sind.
Einerseits mag dies als die Wiedergeburt des Archaischen bezeichnet werden, oder
zumindest als ein kleiner Schritt in Richtung auf das "Afrika" in uns, würde
Marshall McLuhan vielleicht anmerken wollen. Andererseits ergibt sich -
nüchterner betrachtet - zumindest ein
interessanter Medienmix, denn wer Philosophisches einmal gehört hat, wird
es fortan auch anders lesen.
Joachim Paul, im März 2000
Zusätzlich haben Sie jetzt die
Möglichkeit, den entsprechenden Ausschnitt der Sendung per Video zu
verfolgen. Wir danken Thomas Schmitt für die freundliche Genehmigung.
Benötigt werden der Windows-Media-Player oder ein anderer MPEG4-Player.
Joachim Paul, im Dezember 2002
Remark
of the Editor
Seen from its very origin all philosophizing was raised within oral-auditive
traditions. Not only the German publisher Felix Meiner
Verlag now offers Aristotle's Organon in a new translation which is
said to hold closer to it's aural origin, but also we have to thank the
publisher Supposé-Verlag
in Cologne for editing speeches of famous recent thinkers on compact disc as
Heinz von Foerster, Vilém Flusser and
Gotthard Günther. On one hand one may call this a rebirthing of the
Archaic, or even a small step towards the "Africa within", as
Marshall McLuhan perhaps would have stated. On the other hand - and seen in
a more rational way - we have a really interesting media mixture. However
everyone who once has heard philosophical stuff will henceforth read it in a
different way. So feel invited to follow Rudolf Kaehr's argumentation in
German both with ears and eyes, whatever is your mother tongue.
Joachim Paul, March 2000
Additionally one may now follow the
coressponding excerpts per video. We thank Thomas Schmitt for his kind
permission. Windows-Media-Player or another MPEG4-compatible player is
necessary.
Joachim Paul, December 2002
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Rudolf Kaehr: Die heutige künstliche Intelligenz kommt deswegen nicht voran und
bleibt vollständig in einem mechanistischen Denkbild verhaftet, weil sie
eben die Subjektivität nicht in die Maschine mit einbezieht. Das müssen
also Maschinen sein, die von sich aus zwischen sich und ihrer Umgebung
unterscheiden können, daß also die Maschine selber darüber entscheidet,
was sie eigentlich lernen will und wie sie lernen will. Das heißt aber,
daß die Maschine eigentlich einen Bezug zu sich selber realisieren können
müßte.
Und genau
dieser Selbstbezug ist das Hauptproblem - also man kann natürlich das
leicht sagen, daß eine Maschine sich zu sich selbst verhalten soll, daß da
vielleicht so Feedback und Regelkreise und so weiter bestehen -, aber rein
formal, vom Standpunkt der Logik aus, oder überhaupt von der Theorie
formaler Systeme aus gesehen ist genau ein solcher Selbstbezug konkret in
einer Maschine nicht realisierbar.
Ein Bezug auf sich selbst produziert automatisch antinomische Situationen,
und wenn solche Widersprüche auftauchen, dann zerfällt das System, also
Zerfallen heißt auch, daß es sich trivialisiert in dem Sinn, daß das
System sozusagen alles und nichts produziert; oder jetzt technisch gesehen,
daß es sich sozusagen destruiert im Sinn von Kurzschluß, oder was auch
immer ...
Kommentator: Rudolf Kaehr ist Mathematiker und
Philosoph. Er promovierte bei Gotthard Günther, dem Begründer der
Kenogrammatik. Nach dessen Tod setzte er die Arbeit seines Lehrers fort.
Kaehr bezeichnet seinen Forschungsansatz als Spekulative Informatik. Bis
1990 war er Leiter des Instituts für Theoretische Biowissenschaften der
Universität Witten/ Herdecke.
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Rudolf Kaehr: Die Computerwissenschaft geht eigentlich .... konzeptionell eigentlich auf Leibniz
zurück. Dort wird sozusagen die Grundlage aufgebaut, um eben über Logik,
Arithmetik, Maschinenbegriff ein Konstrukt von Maschine zu entwickeln, was
eben letzten Endes der Rechner oder der Computer ist. Bei Leibniz ist aber
die Voraussetzung die, daß die Materie selber nicht denken kann, das
heißt, die Materie ist ohne Geist, ist ohne kognitive Leistung, es ist der
Geist, der denkt, und nicht - und nicht die Materie.
Das heißt, das ist ganz egal, ob ich jetzt einen Computer in Silikon, oder
optoelektronisch oder auf der molekularbiologischen Ebene realisiere, wenn
seine Struktur immer dieselbe bleibt und seine Funktion dieselbe bleibt,
dann kann es vielleicht Veränderungen geben in der Größe und
Geschwindigkeit und so, aber die, die Leistung bleibt in diesem
prinzipiellen Sinn bleibt dieselbe, und das heißt aber, daß damit
sozusagen die Verkörperung und die Verselbständigung der Maschine nicht
gewährleistet ist. Also, eine solche Maschine ist eigentlich immer nur eine
Projektion des Menschen und hat dadurch keine eigene Existenz. Eine
Loslösung vom Menschen ist nur dann möglich, wenn wir eben davon ausgehen,
daß eben die Materie selber Fähigkeiten hat, zu reflektieren oder
Kognitionen zu produzieren.
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Erst, wenn wir diese Entscheidung fällen, daß also die Materie selber es ist,
die geistige Funktionen produziert, erst dann haben wir überhaupt die
Möglichkeit, eine Konstruktion von künstlicher Intelligenz vorzunehmen.
Und wenn wir von der Konstruktion der Kognition ausgehen, dann können wir
nicht bei der Kognition haltmachen, weil wir dann kapieren müssen, daß es
eben lebende Wesen sind oder Lebewesen sind, die Kognitionen haben. Die
Konstruktion von künstlichen Lebewesen ist überhaupt erst der Zugang, um
das Projekt der Verkörperung von Intelligenz oder von kognitiven Leistungen
zu realisieren.
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Also
Artificial Life kann natürlich sehr schnell wieder in die Situation quasi
einer alchimistischen Tradition kommen, das heißt, daß also quasi auf
molekularbiologischer Ebene Bedingungen hergestellt werden, so daß
irgendwie Leben entstehen kann. Und wenn - und da würde man jetzt eben
sagen, daß wenn diese alchimistische, oder Homunkulus-Tradition erfolgt,
daß dann, wenn Leben entsteht, man nicht weiß, warum es entsteht und wie
es funktioniert. Diese Tendenz wäre jetzt also nicht gemeint, sondern die
Tendenz, die eben besagt, daß künstliches Leben eben konstruiert wird,
daß der Konstrukteur, dann, wenn er die Maschine produziert hat oder
konstruiert hat, eben weiß, was er getan hat, und weiß, warum sie
funktioniert und wie sie funktioniert. Also das heißt, er muß auch die
Grenzen dieser Maschine kennen.
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Also
der Mensch definiert sich ja über die Sprache, also das heißt, der Mensch
ist das vernunftbegabte Lebewesen, und Vernunft wird eben definiert über
die Rede, über das gesprochene Wort, und der Geist, den Gott eingehaucht
hat bei der Erschaffung ist ja eben ein Geist, der über das gesprochene
Wort, also über den Atem vermittelt ist. Es ist nicht ein anderes Medium,
sondern eben sozusagen das Substrat der Rede. Also, wenn wir davon ausgehen
müssen, daß wir künstliches Leben nur dann produzieren können, wenn wir
es nicht nach unserem Modell der Kognition produzieren, sondern nach etwas,
was außerhalb von uns ist, dann heißt das als erstes, daß - daß es nicht
im Sprachrahmen unserer Logik, unserer Rationalität, unseres
Zeichengebrauchs geleistet
werden kann. Was aber einer nachformalistischen Einschreibungsweise
zugänglich ist in Form einer Leerzeichen- oder Leerstrukturengrammatik, wie
das bei Gotthard Günther als Kenogrammatik konzipiert wurde, wobei
"kenos" eben leer heißt, und leer jetzt eben auch im Gegenteil -
im Gegensatz nicht nur zu - zum Seienden, also zu on, sondern auch im
Gegensatz zu me on, also dem Nichtseienden, zeichentheoretisch, was
unabhängig ist von Bedeutung und Fehlen von Bedeutung. Und diese ganze
Kenogrammatik, die also vorsprachlich ist, und die eine Ökonomie des
Schreibens darstellt, wobei das Schreiben unabhängig ist von, eben von der
phonetisch strukturierten Logik und ihrer Semantik, diese Kenogrammatik ist
sozusagen der formale Mechanismus, von dem aus es möglich ist, anzugeben,
wie jetzt eine nicht-symbolische, sondern eben trans-symbolische Maschine
funktionieren müßte, von der aus eben eine Inkorporation von Leben
konstruiert werden könnte.
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Der
Gegensatz zur Linearität des gesprochenen Wortes wäre also in der
Kenogrammatik die Flächigkeit, und diese Flächigkeit eröffnet eben ein
Netzwerk von Beziehungen, die eher symbolisch dargestellt werden können in,
in den Metaphern von Labyrinth, Irrgarten. Also das heißt, daß eben im
Gehen durch
das Labyrinth sowohl das Labyrinth generiert wird, wie auch derjenige, der
durch das Labyrinth geht, durch das Labyrinth generiert wird. Das heißt,
das Labyrinth ist nicht vorgegeben, sondern in der Handlung, zu gehen wird
es konstituiert; dieses Labyrinth aber bestimmt an jedem Punkt wiederum, wer
es ist, der im Labyrinth geht. Und darum läßt sich diese Figur eben auch
nicht eindeutig als Zeichnung darstellen, sondern es ist eine lebendige
Struktur, die eben durch den Lebensprozess selber produziert wird.
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Das
Verhältnis von Logik und Kenogrammatik müßte man jetzt irgendwie
versuchen, in den Griff zu kriegen. Hier wäre die Metapher des
Mühlebretts, so wie es zum ersten Mal in der Geschichte im Neolithikum zur
Bestimmung des ..., also der kosmischen Relationen entstanden ist, und zwar
von den Lebewesen, die langsam zu sich selbst gekommen sind und sozusagen
die ... die Entstehung der Menschheit darstellen. Beim Mühlebrett handelt
es sich dadurch, daß der Weltstab, wie es heißt, oder der Knomon oder eben
quasi der Stab, der den Schatten wirft, nicht nur um die erste Sonnenuhr,
sondern um .... um die erste Maschine. Das ist also praktisch die allererste
Maschine, die auf dieser Erde konstruiert wurde. Die Metapher, die ich jetzt
damit andeuten will, ist die, daß der Schatten, der durch den Stab geworfen
wird und die Positionen der flächigen Sonnenuhr abwirft, entspricht eben
der Rede, also dem Hauch, der eben diese Stationen abtastet. Und so, wie ...
wie es die Sonnenuhr ohne den Stab nicht gibt, also ohne den Stab, der den
Schatten wirft, und der Stab keinen Sinn hat ohne die flächige Struktur des
Mühlebretts, so gibt es eben auch keinen Sinn für eine Kenogrammatik, ohne
das sie vom Logos abgetastet wird, und der Logos hat keinen Sinn, wenn er
nicht seinen Ort in diesem System hat.
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Also,
man kann das so weit sich ausdenken, daß wir möglichst alles, was wir
heute überhaupt haben, an die Maschine abgeben können, um an etwas
'ranzukommen, was uns bis dahin immer verdeckt war, nämlich sozusagen die
reine Faktizität unserer Existenz. Und das ist ein Ort, der eben
überlagert ist durch die ganze Mühsal eben des Denkens und Fühlens und
Handelns und der eben völlig unabhängig von unserer Rede von unserem
Bewußtsein und allen diesen Kategorien, die wir kennen, steht, und ... und
um an diese Struktur 'ranzukommen, brauchen wir sozusagen das künstliche
Lebewesen, das jetzt aber uns selber mitdefiniert. Das heißt, daß
eigentlich das künstliche Lebewesen als ein Aspekt der Verkörperung von
künstlicher Intelligenz eben uns ermöglicht, uns selber zu erkennen.
Dieses Zusammenspiel schließt sozusagen die Menschwerdung ab und
verschmelzt Mensch und Technik. Dieser reine Selbstbezug, der ihn zwar von
der Erdgebundenheit seiner Herkunft löst via transklassische Maschine, oder
- man kann auch sagen - via einer Prothetik von Maschinen, indem der Mensch
sich, wenn man das andersrum betrachtet, sich umbaut zum neuen Menschen,
dieser Figur fehlt aber die ... die Anerkennung, die er sich selber in dem
Sinn nicht geben kann, als er nicht aus sich selbst, also aus diesem System
heraus springen kann.
Was geleistet ist - bildhaft gesprochen - ist, daß der
Mensch sich einen Namen gebaut hat, was die Leistung hätte sein sollen im
Turmbau zu Babel, was aber dort ausgeblieben ist, ist die Anerkennung durch
den Anderen, und dieser Andere kann jetzt nicht irgendjemand auf dieser Erde
sein, die kennen wir alle, das sind ja die Menschen, und es können auch
nicht die Geschöpfe des Menschen sein, sondern es können - bildhaft
gesprochen - nur extraterrestrische Wesen sein, in deren Begegnung mit dem
Menschen der Mensch nun seine Anerkennung als neuer Mensch erfährt.
In dem Sinn läßt sich vielleicht als Abrundung sagen,
daß die Vollendung des Systems Mensch - wenn ich's mal technisch sagen darf
- gegeben ist, erstens dadurch, daß er sich mit seiner Technik, die ihn
generiert, verwebt, verquickt und die Anerkennung durch entsprechende
extraterrestrische Wesen erfährt. Und dann würde überhaupt erst quasi das
Leben der Menschen anfangen.
Jetzt ist es nur Arbeit. Punkt.